„Man muss den Männern zeigen, was sie sehen wollen.
Stil ist, wenn unter einem Nerzmantel ein billiges Kleid aus dem Second-Hand-Shop, wie ein schweineteurer Designerfummel wirkt. Und wenn es dazu nicht mehr reicht -
Für eine Frau mit Phantasie
ist Haut ist immer eine gute Alternative.“
Sina Sidonius
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Du fragst dich, warum ich dir das alles erzähle? Warum ich dir hier und jetzt mein Herz ausschütte? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Ein gestandener Mann, der eine Affäre beginnt, oder an gebrochenem Herzen laboriert, möchte sich mitteilen, erzählen und mit Gleichgesinnten sprechen. In dieser Phase des Lebens ist es eine besondere Mischung von Freiheitsdrang und Bestätigungssucht, die den mittelalten Grandseigneur befällt. Entdecker und Eroberer, von Alexander dem Großen bis, also jetzt fällt mir kein Name ein, der mit dem letzten Buchstaben des Alphabets beginnt, haben es getan. Sie wollten immer nur das Eine. Sie wollten Ruhm, Anerkennung und nach verlorenem Sieg, die Wunden geleckt bekommen.
Bei mir war es nicht anders. Aus einem einmaligen Seitensprung wurden mehrere und dann eine Affäre mit allem Schicki-Micki. Durch meine göttliche Sina bekam mein trostloses Eheleben wieder einen Sinn. Sina war für mich tiefe und einmalige Leidenschaft, gewürzt mit höllisch scharfem Trinidad moruga scorpion Chili. Und das schönste war, Sina war intelligent. Sie verstand meine Bonmots, und sie konnte aufrichtig und herzhaft über meine tiefsinnigen Scherze lachen. Ich spürte die quälende Liebe mit jeder Faser meines Herzens. Sie war ein reiner Engel und ein Wort von ihr hätte genügt, ja ich gestehe es, ich war bereit es zu tun - den Boden abzulecken auf dem sie mit ihren zarten Füßchen wandelte. Ich war ihr verfallen und kurz davor, so wie seit Jahrhunderten unzählige Ehemänner auch, in Puschen und im handgestrickten Ringelpullover zum Zigarettenautomat an der Ecke zu schlurfen (falls damals welche in der Nähe gewesen wären) um dann für immer in der dunklen Nacht zu verschwinden. Zum Glück ahnte sie nicht wie weit ich gehen würde. Sie fand andere Mittel, um mir ihre Liebe zu zeigen.
Ich muss zugeben, ich war angenehm überrascht, als mir meine phantasievolle Geliebte wie beiläufig den harmlos klingenden Satz ins Ohr flüsterte: „Schatz (unauffällig-abschätzender Blick von oben nach unten und wieder zurück, dazu ein kaum merkbarer, aber unterschwellig vorwurfsvoller Ton in der Stimme), wir[1] müssen für dich mal wieder ein paar neue Hemden und Sweatshirts kaufen.“
„Was für eine gute Seele sie doch ist“ ging mir spontan durch den Kopf. Der Gedanke, dass sie nur mein Bestes will, erzeugte ein beruhigendes Hochgefühl. Obwohl, einen kurzen Moment schoss mir der intuitive Gedanke durch den Kopf: „Ob sie mich vielleicht unattraktiv findet?“
Aber bei ihrem hinreißenden Lächeln und dem verheißungsvollen Blick mit den blitzenden blaugrauen Augen (jugendlich-unbekümmerte Geilheit pur) waren meine Zweifel schnell weggeblasen, denn ich war verliebt und darum arglos und dazu anfällig für Versuchungen jeder Art. Mental berührt und auch äußerst motiviert, schloss ich aus dem Satz, dass jetzt der Prozess der heimlichen Legalisierung unseres äußerst illegalen Verhältnisses beginnen sollte, wozu ich nach den Erlebnissen der vergangenen Wochen nicht gänzlich abgeneigt war.
„Liebling, wenn du meinst, wann ist dein Mann wieder auf Geschäftsreise? Dann können wir ja mal einen kleinen Einkaufsbummel machen“, war meine neutral klingende, aber doch beschwingt formulierte Einverständniserklärung.
„Schatz, du bist einfach der Beste!“ war der freudig umhalsfallende Ausruf (mit angewinkeltem, linken Bein). Damals war mir die Tragweite des harmlos klingenden Satzes unbekannt. Erst viele Jahre später habe ich verstanden. Man muss mindestens eine aktuelle, oder besser mehrere Vergleichsmöglichkeiten haben, um das Prädikat „der Beste“ zu verleihen. Aber immer nur das Gute in der Menschin sehend, machte ich mir über die kleinen Spitzfindigkeiten der Kommunikation keine Gedanken.
Frohgemut und geblendet von einem tiefen und treuherzigen Blick aus den ehrlichen und bereits erwähnten, blitzblaugrauen Augen, ging ich auf den selbstlosen Vorschlag meiner geliebten Sina ein. In meiner emotionalen Vorfreude war mir bewusst, dass Geiz in so einer Situation ziemlich ungeil wäre. Ohne zu zögern und ohne nachzudenken war ich bereit, nicht nur in mich, sondern gegebenenfalls und in Maßen auch in meine hingebungsvolle Geliebte zu investieren, um meiner Konkurrenzfähigkeit willen. Obwohl, für einen kurzen Moment kamen mir die Prioritäten in den Sinn. Die mir zugewiesene Rolle des außerehelichen Lustspenders war klar als solche definierte. Sie beinhaltete nicht die laufenden Unterhaltsinvestitionen. Nüchtern betrachtet war es die Aufgabe ihres Ehegatten (ich vergaß zu erwähnen, dass meine junge Geliebte glücklich mit einem überregional bekannten Kickboxer verheiratet war), und nicht die meine. Aber in der Liebe gibt es keine Ordnung, und obwohl es Parallelen gibt, gelten die Genfer Konventionen für nur für andere Lebensbereiche. Darum sah ich es als eine Art erster Bewährungsprobe meiner bedingungslosen Hingabe und meiner Potenz, der finanziellen.
Liebe empörte Leserin, verehrter wissender und erfahrener Freund, deine Vermutung ist richtig. Der Autor war zum fraglichen Zeitpunkt etwas älter, und Sina[2] war, wie du inzwischen schon weißt, sehr viel jünger und sich ihres schmückenden Wertes nicht nur intui-, sondern auch manipulativ bewusst. Aber du musst dich um mich nicht sorgen. Ich war und bin nicht so ein verliebter Trottel, der sich in einem letzten Anfall von zweitem Frühling von einer flittchenhaften Liebschaft irreleiten lässt. Und verkleiden, wie ein Pfingstochse lasse ich mich bis heute nicht. Noch hatte ich alle meine ästhetischen und finanziellen Sinne zusammen, dachte ich.
Wenn Frauen einkaufen, soll es und wie man hört, für Männer eine Qual sein. Ich behaupte, die Qualen befallen ausschließlich verheiratete Männer. Das hat seine Gründe. Mann kennt die Ausgabegewohnheiten der Angetrauten und der Einkaufsvorgang ist eine mehr oder weniger lästige Pflicht zur Vorratsergänzung unter Berücksichtigung des verfügbaren und meist zu geringen Kapitals.
Dagegen verhalten sich verheiratete Männer im mittleren Alter, die vom Ehe-Alltag abgestumpft, in ihren Käfigen, Gattern und Geschirren dahinvegetieren, und die mit Umsicht und Bedacht eine leidenschaftliche Affäre kultivieren, vollkommen anders. Sie verfallen unter Ausschaltung des Groß-, des Zwischen- und auch des Kleinhirns einem hedonistischen Sorglosigkeitssyndrom. Man kann dieses Verhalten auch mit dem berühmten „Spiel mit dem Feuer“ vergleichen. Das Spiel mit dem Feuer beginnt dann, wenn die Affäre über eine gewisse Zeit, so etwa ein halbes Jahr nicht aufgeflogen ist. Man(n) diese Zeit unbeschadet überlebt hat, wird er mutiger, denn er hat gelernt, mit seinem Brennstab und den Gefahren einer jederzeit möglichen Kernschmelze umzugehen. Dabei spielt der männliche Geltungstrieb eine besondere Rolle. Solche, wie von mir beschriebene Konstellationen sind dann besonders brisant, wenn die Affäre im Vergleich zu der legalen Verbindung und entgegen den sonstigen Gewohnheiten und Möglichkeiten sehr vorzeigbar ist.
Du kannst das nicht nachvollziehen? Du warst noch nie in einer vergleichbaren Situation? Du hast mein volles Mitgefühl. Es ist wie mit den Autos. Zur Fahrt ins Büro, zum Bio-Markt, oder um die Kinder von der Schule abzuholen nimmt man den feinstofflich korrekt dieselnden Familienkombi. Praktisch, geräumig, behäbig, schwergängig in den Kurven und mit weicher, etwas durchgesessener Federung. Unauffällig, immer unaufgeräumt, politisch einwandfrei und vor allem preisgünstig. Den sündteuren Sportwagen lässt man besser in der Garage, weil es einfach obszön wäre, sich bei Tageslicht damit zu zeigen. Andrerseits, wer hat schon mit ein em Traktor seinen Spaß, wenn man ein superheißes Gerät sein Eigen nennt? Einige Landwirte in abgelegenen Gegenden und Naturfreaks, die einsam im Regen die Furchen ziehen vielleicht.
Die richtige, die männliche Freude kommt nur auf, wenn man an schönen Sonnentagen voller Stolz zeigen kann, dass man so eine Höllenmaschine besitzt und dazu über die Fähigkeiten und die Mittel verfügt, die Kräfte zu bändigen. „Schön ist es auf der Welt zu sein, wenn du ohne auf die Kosten achten zu müssen, das Biest reitest“, wie mein Onkel, der Philosoph, vor langer Zeit summend in Erinnerungen schwelgend sagte.
Bei mir traf das alles und noch viel mehr zu, denn Sina war zum damaligen Zeitpunkt ein sprichwörtlich heißes Gerät und äußerst vorzeigbar. Das Einkaufserlebnis versprach das Vergnügen demonstrativen Konsums. Ich war bereit, und dafür schäme ich mich auch heute noch, einem zwingenden Bedürfnis nachzugeben und die egoistische Botschaft auszusenden, die da lautete: „Ihr kleinen Ehekrüppel, seht euch meine Beute an, ich bin der Größte. Ich kann mir so ein leckeres Schnittchen leisten.“
Mehr wollte ich in aller Bescheidenheit nicht. Sina war eine intelligente Frau. Sie verstand meine Sehnsüchte. Mit einem gütigen Lächeln sah sie mich an und in ihren (wie bereits erwähnt, blaugrauen) Augen konnte ich ihre Gedanken nicht lesen. Vermutlich dachte sie: „Heute werde ich ihn Mittagessen nennen.“
Freue dich jetzt mit mir auf einen Einkaufsbummel der besonderen Art.
Shoppen ist für Frauen ein situationsbedingtes und zwiespältiges Erlebnis. Der weibliche Teil eines Ehepaars achtet auf das familiäre Geld. Mann und Frau halten es zusammen, jedenfalls im klischeebehafteten Allgemeinen.
Zwei shoppende Freundinnen verhalten sich wieder anders, mehr bummelig suchend, um dann nach einem verträumten Vor- und Nachmittägchen und mehreren verwüsteten Boutiquen, aber ohne größere Geldausgaben im Cafe zu beenden.
Einzelne Männer gehen los und erwerben das, was zu erwerben beabsichtigt war. Das hat mit dem von mir entdeckten Neandertaler-Trieb zu tun. Oder anders ausgedrückt: Ein Mann muss jagen, eine Mann muss töten, und ein Mann muss die Beute auf dem schnellsten Weg in die Wohnhöhle schleppen, weil er sich seiner Verantwortung für gefräßige Frau und hungrige Bälger bewußt ist (sonst wäre die Menschheit bereits ausgestorben.) Aber eine dekorative erstausgeführte Affäre erkennt intuitiv die Gunst der schwachen Stunde. Es geht darum, und das scheint ein weiblicher Urinstinkt zu sein, dem schwächeren, also dem abwesenden Teil unter Aufbietung aller psychologischen Tricks den verfügbaren Anteil zu entreißen, um damit die Lebensgrundlage der legitimen Verbindung zu zerstören. Dekorative und frische Affären in männlicher Begleitung verwandeln sich in Sekundenbruchteilen in reißende Werwölfinnen, die skrupellos die männliche Geberhand zerfleischen, wenn die Kreditkarten nicht schnell genug gezückt werden. Das wusste ich nicht, denn ich war verliebt und darum übergab ich meiner angebeteten Sina vertrauensvoll die strategische Teamleitung und sie bestimmte die Einkaufsstätten nach einem uralten, und ich vermute genetisch bedingten Code im weiblichen Gehirn.
Vorzugsweise und ganz zufällig werden solche ausgesucht, die vom Sortiment erlesen und daraus resultierend teuer, und eine größere Auswahl hochmodischer Kleidungsstücke für Mann und Frau gleichermaßen vorrätig haben, und außerdem bei jungen Frauen total angesagt sind. Ich bekam den Part des Investors zugewiesen und vergaß vor lauter Freude den Rat eines bekannten Bankiers: „Investoren sind dumm und frech, sie wollen ihr Geld wieder sehen und sie wollen etwas dafür haben.“
Das Humankapital, in diesem Fall der verliebte Raoul und seine überaus vorzeigbare Begleitung betraten Arm in Arm eine dieser durchgestylten Einkaufsstätten, in einer Straße, die es in jeder Großstadt gibt, und die überregional als unverschämt teuer verschrien sind. Leise Musik empfing uns und der erste Satz traf mich vollkommen unvorbereitet: „Schatz guck mal da, nein nicht die da, die da find ich toll!“
Wie befohlen guckte ich.
Sina steuerte (mit dem souverän wirkenden Autor als noch benötigtes, aber eigentlich lästiges Anhängsel im Schlepptau) zuerst einmal, vermutlich um mich in Sicherheit zu wiegen und gegen meinen inneren Drang nach Wohlfeilem, zielstrebig auf die chromblitzenden Regale mit angeblich hochmodischen Sweatshirts zu.
„Oh Schatz, die stehen dir bestimmt gut“ war die emotional erregt klingende Stimme[3], die meinen Willen paralysierte. Ob des freudigen Ausrufs meiner Sina und die Situation sofort durchblickend, begannen sich mehrere Verkäuferinnen unauffällig in einer strategischen Ausgangslage aufzustellen - immer bereit der schwachen Dame zum Nachteil des Herrn behilflich zu sein. Diese feine Konstellation erkannte ich nicht, denn ich war verliebt und darum geblendet. Einen kurzen Moment sah ich vor meinem geistigen Auge einen jungen Wuschelhund, der das erste Mal in seinem Leben auf einer üppigen Sommerwiese herumtollt und den man irgendwie supersüss findet. Falls du dich schon einmal mit der Erziehung von kleinen oder mittelgroßen Hunden beschäftigt hast, weißt du was ich meine. Am Anfang lässt man noch alles durchgehen, weil die Viecher ja so niedlich und tapsig sind. Erst später merkt man, oft viel zu spät, welche Fehler man im Unterricht gemacht hat.
Du errätst das Prinzip? Jede Nachlässigkeit in der Erziehung und in der Liebe verkehrt die Kräfte ins Gegenteil und mir ging es nicht anders. Unter solidarischer Mithilfe von geschultem Verkaufspersonal wurden für mich unmündiges Opfer, einige (bitte beachte die Mehrzahl) Shirts ausgesucht, die niemand (und ich schon gar nicht) mit wachem Verstand anziehen würde, denn ich war damals keine Neunzehn mehr.
Und jetzt kommt die hinterlistige Falle, vor der ich dich, lieber männlicher und darum unerfahrener Leser eindringlich warnen möchte. Falls du jemals in eine ähnlich gefährliche Situation geraten solltest, achte wie beim Schach auf den ersten Spielzug. Wenn du bei der Eröffnung unachtsam bist und nicht mitdenkst, ist alles verloren. Du musst in jeder Sekunde das Spiel aktiv führen und darfst dich niemals in die Defensive drängen lassen. Auch wenn deine Augen etwas anderes sehen.
Diesen wertvollen Rat kannte ich nicht, und die strategische Okkupation meiner Ressourcen durch die viel jüngere Dame begann mit dem Satz: „Schatz, die sind super, ich zieh die mal für dich an, damit du siehst, wie die aussehen.“
Welcher Mann könnte schon widerstehen, wenn der zweite Satz mit einem unschuldigen Augenaufschlag (du erinnerst dich an die blitzblaugrauen Augen), und einer leicht vibrierenden, etwas abgesenkt, betont lockenden Stimme gesprochen wird.
„Schahaatz, komm doch mit in die Umkleidekabine, dann musst du nicht draußen allein rum stehen.“
So viel Mitgefühl muss echte Liebe sein, dachte ich. Als aufgeklärter und phantasiebegabter, männlicher Leser wirst du ahnen, was dann geschah. Es gehört zum Standardtraumrepertoire jedes gestandenen und auf ehelicher Sparflamme halbgar gekochten Mannes. Auch ich ging wie eine kleine Fruchtfliege in die Falle der Spinne.
In der engen Umkleidemöglichkeit fand folgendes statt: Zuerst wurde langsam die Bluse aufgeknöpft und danach ausgezogen. Dazu muss natürlich auch die Jeans aufgeknöpft werden. Danach bückte sich meine wunderschöne Pretty-Woman, und ich war sozusagen gezwungen, ihren schmalen schwarzen String zu betrachten, der so prachtvoll den makellos jungen und hübsch tätowierten Po teilt.
Verehrte Leserin, geschätzter Leser, ich weiß, die katholische Kirche sieht „a tergo“ nicht so gern, und die Kaufhäuser ihre Kunden auch nicht. Aber was sollte ich, euer verliebt-ahnungsloser Raoul machen, wenn ich meinen Verstand angesichts eines sich verlockend dargebotenen Apfels (metaphorisch gesprochen) in ihrer Hand verliere.
„Schaahatz, guck mal.“
Meine Brille war zwar wegen der bedrückenden Enge etwas verschoben und beschlagen. Aber ich guckte wieder, wie sie es mir sagte, denn ich konnte nicht anders. Es wäre unmenschlich und gegen die Natur gewesen.
Die Shirts für mich standen ihr wirklich gut. Es war eine Situation, in der man Schwächen überspielen und Entscheidungen treffen muss. Doppelt gibt, wer schnell und gern gibt, eine andere Wahl hat der hilflose Mann nicht.
Das Ergebnis dieser Einkaufsejakulation, die, wie du dich sicher erinnerst, für den Besten unter Vielen und nur zu meinem Besten war, kann man nur mit allgemeinen Wohltaten beschreiben. Es war der aussichtslose Kampf zwischen meinen kleinen Genüssen und dem unerwartet großen Limit meiner Kreditkarten.
Du meinst, ich hätte mich falsch verhalten? Hätte ich über mein Verhalten nachdenken sollen? Meine Liebe tadeln, knausern oder mich sogar über ihr Verhalten beschweren? Das konnte und kann niemand von mir verlangen.
Ein weiterer, ich nehme an, typisch männlicher Traum, ging in Erfüllung. Ich kam nicht nur in den Genuss eines kurzen Handy-Quickies in Verbindung mit einem schnellen aber gekonnten Blow-Job. Ich durfte mich sogar, matt wie ich mich nun mal fühlte, mit fünf (oder mehr, ich weiß es nicht mehr so genau) großvolumigen Einkaufstüten (ungefährlich) und einigen kleineren (gefährlich weil teurer Inhalt) abschleppen.
Warum ich es getan habe? Das ist einfach zu erklären. Ich musste es tun, denn der Weg mit der Beute zur heimischen Höhle ist seit den Zeiten des Neandertalers die Aufgabe des Mannes. Der Mann ist nun mal der Jäger und Transporteur. Für alles andere ist das Weib zuständig. Trotz Emanzipationsgetöse und Gender-Mainstream, wird sich daran auch in den nächsten zehntausend Jahren nichts ändern.
Über den Inhalt der Einkaufstüten machte ich mir noch keine Gedanken. Als Mann muss man einfach mal hin und wieder etwas wagen. Aber nach meiner Erinnerung waren sie mit Folgendem befüllt: Zwei bunte Sweatshirts und zwei Jeans für mich. In den restlichen vier Tüten waren dann noch einige Kleinigkeiten für die Süße, da ich ja nicht als knickriger, alter Egoist dastehen wollte.
Wenn dir, verehrter und sparsamer Haushaltsvorstand, meine Geschichte jetzt schon als nicht zu steigernde Folter erscheint, dann muss ich dich leider enttäuschen. Es gibt immer noch Steigerungen, auf die kein normaler (männlicher) Mensch mit wachem Verstand jemals kommen kann. Auf dem Umweg (beladen mit den Einkaufstüten) durch die Wäscheabteilung, die skrupellose Händler in ihren Hallen so angeordnet haben, dass es kein Entkommen gibt, lauerten weitere Gefahren.
Unsensible Männer und miederschlüpfertragende Allerweltsfrauen können die Risiken und Folgen für den verheirateten Mann nicht beurteilen. Aber für sensitive Männer bedeutet die geballte Ansammlung von luftigem Nichts eine ernste, wenn nicht sogar eine existenziell-finanzielle Bedrängnis, der sie nichts entgegensetzen können, ohne Schaden an der Seele zu nehmen. Die Gefahr wird in unkalkulierbarem Ausmaß verstärkt, wenn der Geliebte in einer schwachen Stunde des Vertrauens seiner Geliebten alle Details seiner freudlosen Ehe erzählt hat. Warum das so ist, habe ich erst viele Jahre später erfahren. Junge, hungrige, aber gutaussehende Frauen die sich in Affären befinden, haben einen vergrößerten Speicherchip für Benachteiligungen jeder Art und suchen früher oder später den gerechten Ausgleich.
„Guck mal Schatz, da gibt’s die gleichen Seidenstrümpfe, die deine Frau auch immer kauft!“
Und schon schnappt die Falle zu. Ein unüberlegt gesprochener Satz vor vielen Monaten. Ein kleines Klagen in schwachen Stunden über die Verschwendungssucht meiner Ehefrau. Nichts war vergessen. Jeder unbedachte Satz wurde zur Herausforderung und zur moralischen Ermahnung an die Gleichberechtigung und meiner Verpflichtung zur finanziellen Gleichstellung meiner Frauen.
Ältere und die vielfältigen, zwischenmenschlichen Konstellationen durchschauende Dessous-Verkäuferinnen lauern wie hungrige Hyänen auf ihre Opfer, denn sie kennen dieses Phänomen. Nur zu diesem Zweck halten sie für Menschen wie mich, vom Besten das Teuerste bereit. Ich hing in der Dessous-Abteilung fest, zu der Mann ja ein erregend-beklemmendes Verhältnis hat. Welcher echte Mann kann schon dem sehnlichsten Wunsch der Geliebten nach Seidenstrümpfen, und dazu ein aufregend-hauchdünnes Korsett, streng englisch, sorgfältig handgearbeitet und zwar nicht notwendig, aber stramm büstenhebend und mit allen Zutaten widerstehen, wenn es doch ganz selbstlos einem guten Zweck, der ästhetischen Freude des Investors dienen soll? Und an diesem Ort, zwischen duftigen Körbchen, winzigen Strings und hauchzarten Kleinigkeiten hatte ich endlich das Prinzip der Liebe verstanden. Liebe ist der Zwang des Nützlichkeitsprinzips unter Berücksichtigung der Gewichtung. Oder anders ausgedrückt: Männer müssen früher oder später bluten, sonst bockt das Weib.
Ich weiß, was dir jetzt durch den Kopf geht, aber es ist nicht so wie du denkst. Dein Freund Raoul gehört keinesfalls zu der willensschwachen Sorte Mann. Im Gegenteil, mir wurde oft bestätigt, dass ich die Hinterlist selbst harmlos erscheinender Situationen schnell durchschaue und die natürlichen Hürden eines schweren Lebens mit Bravour meistere. Aber wie ich aus verlässlichen Quellen und durch die intimen Geständnisse einer Vielzahl betroffener und fast immer finanziell ruinierter Männer erfahren habe, sind solche heimtückische Situationen durchaus alltäglich. Die meisten Frauen kennen die Beziehung des männlichen Willens zur Sinnlichkeit, die in solchen Situationen anschwillt und größer ist, als die zum virilen Verstand. Und sie nutzen diese kleine Schwäche brutal und schamlos aus. Darum möchte ich dir den Schluss dieses Einkaufstages nicht vorenthalten.
Wie du vielleicht noch weißt, waren ich und Sina, meine wunderschöne Geliebte zum damaligen Zeitpunkt noch anderweitig verheiratet. Zum besseren Verständnis, jeder von uns mit einem anderen Partner. Aus diesem Grund wurden die erbeuteten Schätze in der von mir aus steuerlichen Gründen erworbenen Zweit-Eigentumswohnung anprobiert. Die für mich bestimmten vier (nicht wie ich irrtümlich annahm zwei) Sweatshirts standen ihr eindeutig besser, als mir. Mit den zwei Jeans hatte ich mich auch ganz klar verkauft. Vermutlich lag es an unserem kurzen Aufenthalt an der Sushi-mit-Prosecco-Bar. Sie waren während des Transports kleiner und darum für mich zu eng geworden. Natürlich versprach mir Sina (also Petra), dass sie mich in Zukunft von solchem Einkaufsstress verschont und mir die Mühe des Umtauschs abnimmt (oder sich das investierte Geld auszahlen lässt). Den Rest der Einkaufsbeute, das rote und figurbetonte Etuikleid, die Strümpfe aus feinster Seide und Nylon mit Naht, die hauchzarten, aber dafür exquisit teuren LaPerla-Slips mit passenden Büstenheben, dazu drei Paar Pumps mit Absätzen über 9 Zentimeter konnte ich zwar kurz betrachten, aber sie verschwanden und zusammen mit der sündteuren Korsage und der restlichen Beute im Schrank.
Du wunderst dich? Es gibt eine einfache Erklärung. Sina traf eine sorgfältige, von Nützlichkeitserwägungen geprägte Entscheidung. Ich kannte meine vergötterte Sina ja ohne Verpackung. Es ergibt doch keinen Sinn, einen in und auswendig bekannten Inhalt wieder einzupacken, damit man ihn wieder auspackt. Niemand würde so etwas tun. Außerdem leidet ja die Verpackung darunter, und wer weiß, wann man sie später noch mal brauchen kann (nicht Petra, die Verpackung). Meine Sina hatte in solchen Dingen eine sehr praktische Einstellung. Darum vermute ich, dass sie kein Einzelfall, sondern eine traditionell konditionierte Frau ist. Selbstbewusste Frauen werden in jungen Jahren von selbstbewussten Großmüttern über raffinierte Verpackungstechniken aufgeklärt. In dem Zusammenhang erinnere ich mich noch an meine Großmutter mütterlicherseits. Die hatte auch immer, sparsam wie die Reste der Kriegsgeneration nun mal sind, die bunten Verpackungspapiere von den Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken und die bunten Schleifen etwas angebügelt, fein säuberlich wieder zusammengefaltet und für besondere Gelegenheiten verwahrt.
„Ist der Beutel leer, lässt sich keine sehen mehr …„ Das Zitat war mir damals nicht geläufig, aber dennoch bin ich nicht verbittert. Mich tröstet auch heute noch der Gedanke, dass meine Investitionen nicht umsonst waren. Aber der Nutzen von mir Ungezählter entstand nicht aus meiner Blindheit. Es war volkswirtschaftliche Nächstenliebe, denn meine Nachfolger konnten davon profitieren. Aber vermutlich ging es denen genau so, und wir konnten mit unserer Liebe einen wichtigen Beitrag für das Bruttosozialprodukt in Deutschland leisten.
Eventuell möchtest du, der vielleicht hoch verschuldet noch jahrelang seine Investitionen abbezahlt, von mir einen geeigneten Rat für ähnliche Situationen? Es ist nicht so wichtig, was „Liebe“ wirklich „ist“. Entscheidend ist das Wissen, dass mit zunehmender Dauer einer Verbindung, der Wert der Liebe vom „Nutzen“ abhängt. Mit voranschreitender Zeit muss man investieren können oder verzichten. Ich habe investiert, ich habe nicht verzichtet sondern investiert und genossen, und ich bereue nichts. Ich habe daraus gelernt und angenehme Erinnerungen an eine große Liebe. Liebe die mir geholfen hat, dieses Buch zu schreiben, und um dich vor Schaden zu bewahren. Falls dir der Sinn nach einer guten Tat steht, gib dieses Buch an Betroffene Männer weiter. Vielen Dank für dein konspiratives Mitwirken.
[1] Bitte beachte das verbindende „Wir“
[2] Im wirklichen Leben heißt Sina nicht Sina, sondern Petra, und stammt aus der Nähe der Kätchenstadt Heilbronn.
[3] Vielleicht kennst du die Stimmlage, die dir signalisiert: „Schatz, ich komm gerade aus der Dusche und ich bin vollkommen nackt.“
Verehrte Leserin, lieber Freund. Was ich hier, auf diesen wenigen Seiten niedergeschrieben habe, stammt aus meiner privaten Schreib-Werkstatt. Ich habe es mir in langen, einsamen Nächten, im Schein einer Glühlampe, oft frierend, hungrig und durstig, ausgedacht.
Vielleicht denkst du: „Das ist doch alles dummes Zeug. Das stimmt doch nicht. Das kann doch niemals so geschehen sein, was der da geschrieben hat ...“
Ich muss dir zustimmen. Es stimmt nicht und es kann nicht stimmen. Obwohl, manches ist tatsächlich so geschehen. Darum schüttle nicht gleich mit dem Kopf, wenn es bei dir anders ist. Oft ist das ist nur eine Laune des Zufalls. Wenn du aber sagst: „Das ist es. Das muss ich Werner (oder wem auch immer) schicken, dem Blödmann!“ dann fühle ich mich reichlich belohnt ...
Übrigens: Falls du es noch nicht bemerkt hast, das Zitat ist frei nach Kurt Tucholksky
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Texte: Raoul Yannik
Bildmaterialien: Raoul Yannik
Lektorat: Amélie von Tharach
Tag der Veröffentlichung: 13.03.2016
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Sina (oder wie auch immer du dich nennst) aus Heilbronn