HOCHZEITSTAG
Traudel und Gerhard haben heute ihren 22. Hochzeitstag. Ob das ein Grund zum Feiern ist, weiß sie nicht.
Er kommt in ihr Bettchen gekrabbelt, drückt sich an sie, streichelt sanft ihren Rücken. Er weiß, dass sie es mag, es genießt.
22 Jahre gelebtes Leben mit Höhen und Tiefen, 22 Jahre Freud und Leid und Bett geteilt.
Ja, sie ist sich sicher, dass sie genau dieses Leben wollte, mit ihm zusammen. Aber ob es noch Liebe ist? Sie vermisst das Knistern, das Spontane, das Berauschende, wenn sie in heißer Liebeslust aufeinander trafen.
Ist es das Alter, das abkühlt? Ist es die Routine, die den Alltag durchaus erleichtert, aber auf die Dauer tödlich wirkt?
Als sie sich kennenlernten war es alles andere als Liebe auf den ersten Blick.
Sie will den Abend in der Diskothek verbringen. Disco. Musik, tanzen- ein bisschen den Alltag vergessen. Sie hat zwei Kinder, ist geschieden und seit 5 Jahren solo und doch noch so jung! Voller Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit und einer richtigen Familie, mit Mann und Kind und erzählen und kochen und gemeinsame Erlebnisse haben.
Als Gerhard den Saal betritt, nimmt sie ihn nur flüchtig wahr. Groß, pummelig, absolut kein Hingucker. Im Nachhinein glaubt sie, dass es für ihn feststand, sie erobern zu wollen. Im Nachhinein wird ihr klar, dass er seine Netze längst ausgeworfen hatte.
Er quatscht sie an, kneift ihr in den Po und wartet ab, wie sie reagiert. Empört faucht sie zurück, er möge seine Grabschen von ihr lassen, aber ihre Augen funkeln vor Sehnsucht nach Berührung, nach begehrt werden. Man tanzt, man trinkt ein Likörchen, versucht einander ein bisschen auszufragen.
„ Darf ich dich besuchen kommen?“, fragt er und es soll lässig und beiläufig klingen. Tut es aber nicht.
O Gott! Bloß nicht, denkt sie, sagt aber: „Ja, ja, komm mal so in 14 Tagen vorbei.“ Bis dahin hat sich`s wieder abgekühlt, denkt sie, denn der Kerl ist ihr zu groß und doch auch etwas zu pummelig. Man verabschiedet sich und jeder geht seiner Wege.
Am nächsten Tag steht er vor ihrer Tür. Steht da wie ein Schuljunge und schaut sie an.
„Hallo…darf ich reinkommen?“, fragt er schüchtern. O nein, was will das werden? , denkt sie.
„ Hm, naja…hm…wenn `ste schon mal da bist…komm rein. Nimm Platz“, sie deutet in ihr Wohnzimmer.
Himmlischer Vater, denkt sie. Ihr Herz klopft bis zum Hals hinauf.
„Willst `nen Kaffee?“
„Ja“.
„Milch und Zucker?“
„Ne, nur Milch.“
Während sie in der Küche den Kaffee kocht, traben ihre Kinder neugierig in die Stube und beäugen den Fremden.
So, so das sind also die beiden Kinder, von denen sie gestern erzählt hat.
Auch für Gerhard ist die Situation pikant.
„Na ihr Flitzpiepen? Wollen wir Karten spielen? Kennt ihr das Spiel Mau-Mau?“….
Traudel betritt das Wohnzimmer und traut ihren Augen nicht! Der Kerl spielt mit ihren Kindern Karten und mogeln tut er auch noch! Sie weiß nicht so recht, was sie davon halten soll.
Für Gerhard steht fest- dich will ich, dich mit den zwei Kindern!
Seine Eltern sind nicht begeistert. Klar, mit 27 Jahren sollte ihr Sohn nicht mehr zu Hause wohnen, aber, muss es denn eine Frau mit zwei Kindern sein?
Ja, sagt Gerhard, packt seine Sachen und zieht zu ihr.
Sie schmeißen sich zusammen, schnuppern und naschen an der Liebe, 25 Stunden am Tag. Mit wachsendem Erfolg. Innerhalb der nächsten sieben Jahre werden fünf Kinder geboren.
Es wird geheiratet.
Sieben Kinder ziehen sie nun gemeinsam groß. Für die nächsten 20 Jahre kommt keine Langeweile auf: Babygequake - Zähnchen kriegen - die ersten Worte - Kindergeschrei - Geburtstagsfeiern - Beulen - Schrammen - Kindergarten - Einschulungen - Hausaufgabenmachen - Konfirmationen - Schulabschluß - Beginn der Lehrzeiten -Fahrerlaubnis - erste Zigarette - erster Liebeskummer…die ganze Palette, die das Leben zu bieten hat.
Das erste Enkelkind wird geboren und der älteste Sohn heiratet, zieht weg.
Nein, es war nicht immer Liebe.
Es war oft auch Einsicht in die Notwendigkeit. Aber gerade das hat sie beide zusammengeschweißt- die Verantwortung, die Pflicht.
Doch, es ist Liebe.
Trotz des Trubels haben sie sich nicht aus den Augen verloren, sind respekt- und liebevoll miteinander umgegangen. Haben sich verwöhnt, gestritten, geliebt; hat jeder für sich Freundeskreis und Hobby gefunden.
Nun liegt er neben ihr, streichelt sie.
„Wir haben heute Hochzeitstag.“
„Ich weiß“, sagt sie und kuschelt sich an ihn.
Plötzlich dreht sie sich auf den Bauch, stützt sich auf ihre Ellenbogen ab und schaut ihn an.
„Sag mal“…beginnt sie.
„Hm…?“
„Wieso hast du ´ja´ gesagt?“
„Wann…“
„Na in der Kirche. Der Pastor hat dich nicht gefragt, ob du einen Cognac willst. Der hat gefragt, ob du mich zur Frau nimmst.“ Verschmitzt lächelnd seufzt er.
„Ich weiß, auf den Cognac warte ich heute noch. Und du?“
„Warum ich ´ja´ gesagt habe?“
„Ne, ich will nur mal wissen, wieso du unbedingt mit auf das Hochzeitsfoto wolltest…“
„Oochch, na warte! Ich geb dir Hochzeitsfoto…“
Wenn auch nicht mehr ganz so behände wie vor 22 Jahren, aber immer noch flink genug um ihn zu überraschen, rappelt sie sich hoch und wirft sich auf ihn.
Liebe hin, Liebe her…ihren Humor, der sie durch manche Krise getragen hat, den haben sie jedenfalls nicht verloren.
Texte: RangerWoman
Bildmaterialien: RangerWoman und Ranger
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2012
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