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TALK-SHOW
von
Ramsy Gsenger


Der Roman

Eva Stahl empfängt heute einen ungewöhnlichen Gast in ihrer Live-Sendung. Ben Xenga polarisiert die Massen. Der Technologie-Unternehmer hat der Menschheit Meilensteine des Fortschrittes beschert und gleichzeitig mit seiner Eigenwilligkeit exzentrische Unterfangen durchgeführt, mit denen er sich mächtige Gegner gemacht hat. Obwohl die Technologien von Xenga Industries des Öfteren in den Medien besprochen werden, ist Ben Xenga als medienscheu bekannt. Heute gewährt er Eva Stahl und den Zuschauern einen umfassenden Blick hinter die Kulissen seines State-of-the-Art Forschungs-Imperiums. Doch nicht alle Antworten stoßen auf Gefallen.


Der Autor

Ramsy Gsenger wurde im März 1974 in Jeddah, Saudi-Arabien geboren und wuchs in Österreich auf. Gsenger studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film München Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik. Ramsy Gsenger arbeitete zuletzt als Video Production Manager für das Ars Electronica Futurelab. „Talk-Show“ ist sein erstes Buch.


Zehn Minuten später.


Eva Stahl
Aber die meisten Ideen kommen immer noch von Ihnen selber – wie machen Sie das?


Ben Xenga
Da mache ich mir keine großen Sorgen. Man kann sagen, der Mensch ist zum Denken verurteilt, wir denken den ganzen Tag und als ob´s nicht genug wäre auch noch die ganze Nacht. Natürlich ist unser Denken bestimmt durch unseren Alltag, und trotzdem meine ich, bleibt genug Zeit zu reflektieren, zu beten, zu träumen und zu erfinden. In meinen Anfängen war mein Denken bezüglich neuer Technologien rein intuitiv, dann wurde es eine Spur strukturierter und es reichte beim Frühstücken zwei, drei Stunden über die technologische Nachfolge des Fernsehens nachzudenken und schon hatte ich etwas zum Niederschreiben – nichts Perfektes, aber eine Richtung, der ich nachgehen konnte. Und dann gibt´s noch die, ich meine es gar nicht abwertend, Buchhalter-Methode – man setzt sich hin guckt alle Star Trek - Folgen, protokolliert jede neue Technologie und versucht einiges davon zu realisieren. Ich vergleiche es gern mi dem Schreiben – man hat einen Satz im Kopf, findet dann doch eine bessere Formulierung, schaut, ob die Aussage noch getreu der Intention ist und schon ist es geschrieben. Für die einen gilt die Inspiration von außen, für die anderen, die von innen und wieder andere brauchen beides. Woran ich ganz fest glaube ist, dass man sich zur Kreativität erziehen kann, man könnte auch disziplinieren sagen, wenn ich nicht so große Widerstände gegen Disziplin verspüren würde. Zwang ist selten gut und es sollte doch ein positives Gefühl am Anfang jeder Entwicklung stehen – auch wenn sich herausstellt, dass es der falsche Weg war – aber nochmal: suchen und vor allem finden funktioniert, indem man woanders nichts findet. Und was einem doch irgendwann zu Gute kommt ist eine gewisse Routine – man muss vielmehr aufpassen, dass man nicht versucht ist, sich ständig zu repetieren, sich selbst zu rezitieren und so in eindimensionale Manierismen verfällt – auch das ist möglich und man wehrt sich ja mit Händen und Füßen gegen solche Vorwürfe – da ist es wichtig einen kleine Kreis von Vertrauten zu haben, die sich auch trauen, einen darauf hinzuweisen. Anything goes – jeder entwickelt da seine eigenen Methoden.


Stahl
Und was ist Ihre Methode? Wie helfen Sie sich, wenn Ihnen nichts mehr einfällt?



Xenga
Mit Straßenbahn fahren.


Stahl
Wirklich – warum gerade das?


Xenga
Es gibt Faktoren, die das Denken fördern. Drei solche Bedingungen wären etwa Bewegung, Beiläufigkeit und zwanglose Konzentration. Eine Situation in der bei mir die drei Umstände gleichzeitig zusammenwirken ist besagtes Straßenbahn fahren. Man wird bewegt, ohne sich selber aktiv darum kümmern zu müssen. Wenn man aus dem Fenster sieht, erblickt man im Grunde das Gleiche, wie am Tag zuvor, vielleicht ist das Wetter etwas anders, wahrscheinlich steigen mehr oder weniger Menschen ein, als tags zuvor – das fällt unter Beiläufigkeit. Beiläufigkeit ist deswegen wichtig, weil es den neuronalen Motor gleichmäßig im niedrigen Drehzahl-Bereich am Laufen hält, aber nicht besonders beansprucht. Und da der eigentliche Hauptzweck, der Transport, vom Tram-Fahrer erledigt wird, brauchen wir keine Gedanken daran verschwenden und unser Gehirn fühlt sich frei, für alles, was wir gerade wollen. Und so wie die Straßenbahn den Schienen folgt, so fließen die Gedanken in unserem Kopf. Wenn man auf andere Gedanken kommen will, lenkt man sich am besten ab. Will man auf neue Gedanken kommen, sollte man sich nicht überengagiert konzentrieren, sondern entspannt vorwärts kommen, wie zum Beispiel beim Straßenbahn fahren. Das ist jetzt nur meine persönliche Strategie. Brain Imaging Experten kennen wahrscheinlich viele andere Modelle, die den kreativen Gedankenfluss begünstigen. Wichtig ist nur, für jeden selbst herauszufinden, was einem wirklich hilft.



Stahl
Lässt sich unterscheiden, wessen Ideen besser sind und wessen nicht? Ich denke da an Ihre Konkurrenz die Tell Corporation – Sie haben da klar die Nase vorn mit einem Marktanteil von 73% gegenüber 14% von Tell – wie erklären Sie sich das?


Xenga
Es gibt große Unterschiede in der Unternehmens-Politik. Die Tell Corporation versucht, technologische Nachfolger zu finden und wir versuchen, technologische Ablöse zu schaffen. Was Tell macht, ist für mich schlicht Face-Lifting. Vom Nickel-Akku zum Li-Ionen-Akku zur Brennstoff-Zelle. Alle drei Materialien sind im Grunde Batterien mit verschiedenen Materialien – that´s it. Ich sehe da keine technologische Revolution, sondern lediglich materielle Evolution. Jedes Haus unterscheidet sich von dem Nachbar-Haus, aber das Baugerüst für die Errichtung ist immer das Gleiche. Ich denke, dass Xenga Industries radikaler denkt, mit weiteren Sprüngen und sich nicht so sehr mit Kleinholz abgibt. Unsere Ansprüche sind einfach höher – das Risiko ebenso, aber das macht eben den Spaß an Technologie und Wissenschaft für mich aus. Die berühmteste Formel in der Populär-Wissenschaft lautet immer noch E = mc2. „E“ steht für Energie, „m“ für Masse und jetzt das Entscheidende, „c“ für Lichtgeschwindigkeit. Also eine Gleichung, die für uns Menschen zurzeit praktisch nicht von Nutzen ist – vielleicht täglich erfahrbar durch Sonne, Mond, eine Straßenlaterne und so weiter, also passiv, gleichsam wie Zuschauer können wir der Formel maximal applaudieren – aber aktiv können wir sie noch nicht nützen.





Stahl
Wie wählen Sie ein Projekt aus?



Xenga
Ich unterscheide unter zwei Arten von Erfindungen: Branchen-Nachfolger und Branchen-Umwälzer – ich habe im Moment leider keine besseren Namen dafür. Branchen-Nachfolger-Projekte bewegen sich innerhalb einer bekannten Königs-Technologie und verbessern sie oder entwickeln sie weiter. Ein gutes Beispiel ist die DVD, die die VHS abgelöst hat. 75% meiner Projekte sind Branchen-Nachfolger. Sie sind wie eine logische Treppe, die immer weiter nach oben führt, bis die Treppe zu Ende ist und dann kommen die Branchen-Umwälzer ins Spiel. Ein typisches Beispiel für eine quasi Neu-Definierung eines Wirtschafts-Zweigs ist das i-Phone, das den Markt in handels-übliche Handys und Smart-Phones geteilt hat. Solche Projekte sind seltener, aber zumeist unglaublich profitabel – es sei denn, der Markt lehnt sie komplett ab.


Bevor noch ein Schritt in die Realisierung einer innovativen Technologie gesetzt wird, evaluieren wir, welche Chancen die neue Technik haben wird. Das ist ganz trockenes Markt-Verhalten, wir haben dafür einen Erden-Simulator konstruiert, der wie die Welt funktioniert und so ein Scenario demonstriert. Damit doch ein Hauch Spiel-Abenteuer erhalten bleibt und nicht nur mit nüchternen Zahlen argumentiert wird – eine Wirtschafts-Simulation quasi. Und wenn das potentielle Projekt diesen Test überstanden hat, geht´s an die Budgetierung, das Timing, die Realisierung und Rock´n´Roll.


Stahl
Machen Sie Unterschiede zwischen den Projekten, anders gefragt, haben Sie Lieblings-Projekte?


Xenga
Hab ich natürlich, aber ich behandle deswegen die anderen Projekte nicht unfair. Und es freut mich immer, wenn Projekte, denen ich keine so große Zukunft zugetraut hätte, dann richtig durchstarten. Die Überraschung ist mein liebstes Business.


Stahl
Und wenn Projekte scheitern?





Xenga
Dann ist das so und trotzdem weiß ich, dass ich nicht still stehe und es ist wie beim Suchen – man findet, indem man woanders nicht findet. Das Scheitern ist wichtiger Bestandteil des Fortschritts. Im Laufe der Projekt und Jahre bin ich auf ein Paradoxon gestoßen, vor dem einige schon lange warnen. Wer sich an die Logik hält, wird letzten Endes scheitern. Das ist vielleicht nicht auf Anhieb nachvollziehbar, deswegen will ich etwas darauf eingehen. In den letzten sagen wir 30 Jahren wurden verstärkt Erfolgskonzepte aus der Natur übernommen. Längst nicht alles erklärbar, aber erfolgreich. Demgegenüber steht eine der bedeutendsten Erfindungen der Menschheit – das Rad, das als Fortbewegungsmittel in der Tierwelt überhaupt nicht und in der Fauna verschwindend selten vorzufinden ist. Die menschliche Intelligenz ist, vereinfacht ausgedrückt, ein Mix aus Evolution, Biologie und Logik, Ratio und dementsprechend sind sein Denken, Verhalten und auch seine Erneuerungen. Ich war nie ein großer Freund der Logik, weil sie macht nicht wirklich Spaß – zu wenige Wege tun sich auf und man stößt kaum auf Überraschungen. Es ist nicht ohne Grund eine theoretische Denkweise, die eben einfach Ihren Siegeszug angetreten hat unter uns Menschen. Es gibt allerdings Dinge, die sind nicht logisch und funktionieren dennoch. Die Hummel „sollte“ nach logisch-physikalischen Berechnungen gar nicht fliegen können. Ihr Körper ist zu schwer für die kleinen Flügel. Trotzdem tut sie´s. Logik und Evolution reichen sich aber auch die Hände und schenken uns das Werkzeug Intuition. Intuition, Bauchgefühl, Gespür sind die Gefühle, denen alle Menschen am meisten vertrauen, sogar mehr als Logik und Erfahrung zusammen. Der sechste Sinn, wenn du auf ihn hörst, katapultiert dich ins nächste Level, wo Logik und Evolution keine ausreichenden Waffen wären. Ich suche schon lang nach ernst zu nehmenden Alternativen zur Logik, aber es scheint, als hätte die Ratio einfach ein Monopol.





Stahl
Wenn sie von alternativen Denkweisen sprechen, dann erinnert mich das an eins Ihrer Projekte, von dem Sie definitiv die Finger hätten lassen sollen – dem Brain-Updater.



Xenga
Tja, das hätte ich wohl, aber es war halt zu verführerisch. Der Brain-Updater, ganz kurz, ist eine Lern-Schnittstelle zwischen Inhalt und Gehirn, der im Grunde wie das Kopieren von Computer-Daten funktioniert. Wieso mühsam erlernen, wenn ich es einfach ins Gehirn reinkopieren kann - also nicht zum Beispiel einen sechs-monatigen Sprachkurs machen, sondern innerhalb von einer halben Stunde die Sprache erlernt bekommen. Von der technischen Herausforderung irrsinnig spannend. Lernen ist ein ständiger Wegbegleiter des Menschen und das in einem derartigen Maße beschleunigen zu wollen, hörte sich einfach abenteuerlich an. Ich will gar nicht auf technologische Details eingehen, wir hatten es jedenfalls hingekriegt, aber was passierte ist, dass diese Technik für ganz andere Zwecke verwendet wurde, was nicht in unserem Sinne war. Es ging sogar soweit, dass der Brain-Updater invertiert wurde und Wissen abgesaugt wurde, aus dem menschlichen Gehirn heraus auf ein externes Speichermedium. Ich glaube, jeder Geheimdienst der Welt hatte irgendwann seine eigene Version des Brain-Updater und missbrauchte ihn für seine Zwecke – obwohl das Ganze jetzt acht Jahre her ist, laufen immer noch diverse Prozesse und ich finde, dass eine wirklich ungemein innovative Geschichte ganz einfach am menschlichen Makel zerbrochen ist. Diese ganzen negativen Peaks haben leider die positiven Aspekte in den Hintergrund gedrängt, weil man darf nicht vergessen, welche Revolution die freiwillige Brain-Updater-Option für das Schulsystem, das universitäre System und die Weiterbildungs-Struktur war.





Stahl
Sie sagten vorhin, dass lange Zeit die Natur als Vorbild für Erfindungen galt – davon sehe ich wenig in Ihren Projekten. Woher kommt das?


Xenga
Der Fokus der Aufgaben hat sich verlagert. Die Erfindungen, die der Natur nachempfunden wurden, dienten hauptsächlich auch, um Probleme mit Natur zu lösen: Hitze, Kälte, Wirbelstürme und dergleichen. Der Mensch von heute sieht die Natur nicht mehr als große Bedrohung, sondern ist konfrontiert mit Problemen aus Menschenhand. Dementsprechend schaut man sich bei seinen Mitmenschen um, wie Lösungen zu diesen Problemen aussehen könnten. Und Quelle der Inspiration war und ist Sci-Fi, weniger die Filme als vielmehr die Romane. Star Trek, das kann man halten wie man will, war der Erfinder des Handys. Durch die Beschäftigung mit Sci-Fi und den Drang, gewisse futuristische Technologien nachzuahmen entsteht die sogenannte Zukunfts-Spirale. Menschen in der Vergangenheit projizieren ein Bild der Zukunft, wir bauen das nach und schon ist die Zukunft Gegenwart. Ohne Sci-Fi würde die Zukunft ganz anders aussehen.


Stahl
Ist das dann nicht eine falsche Zukunft, die man entstehen lässt – falsch ist vielleicht kein treffender Ausdruck, sondern eine nicht authentische Zukunft, die entworfen wird.






Xenga
Das ist eine philosophische Frage-Stellung, die Forschung jeglicher Art in Frage stellt. Ein Archäologe, der einen wichtigen Fund macht, ändert den Inhalt von Museen und manchmal auch den Inhalt von Geschichtsbüchern – er verändert auch die Zukunft, indem er sich mit der Vergangenheit beschäftigt. Wenn wir uns überhaupt nicht mit unserer eigenen Geschichte beschäftigen, dann lernen wir auch nicht dazu und stagnieren. Man kann´s nicht richtig machen, aber das heißt auch nicht, dass es falsch ist. Philosophisch gesehen könnten wir natürlich in stoische Bedürfnislosigkeit verfallen, aber ich glaube, der Mensch ist viel zu aktiv für ein derartiges No-Move-Verhalten. Und obendrein wählen wir unsere Zukunft ohnehin selber aus, und da geht´s gar nicht um technische Belange, sondern um menschliche. Ist ja nicht so, dass ich technokratisch die Welt in die Knie zwinge oder zu irgendetwas nötige, sondern ich reiche der Menschheit mit meinen Projekten die Hand, mal wird es erwidert, mal auch nicht.



Stahl
Und wann ist die Decke erreicht – wann ist das Bedürfnis nach Technologie erfüllt?


Xenga
Sobald der Mensch sich von seinem Körper, seiner Physis getrennt hat und nur mehr Geist und Seele ist. Das mag jetzt esoterisch klingen, aber wir haben ein Gedanken-Modell entwickelt, das folgender Massen aussieht: Der Mensch existiert auch ohne Körper. Geist, Körper, Seele – das kennen wir alle. Alle drei Komponenten sind nötig, um das menschliche Individuum klar zu definieren. Wäre der Mensch ein Computer könnte man sagen, der Köper ist die Hardware und Geist & Seele die Software. Einige Religionen sehen im physischen Tod des Körpers noch nicht das Ende von Geist & Seele. Und auch ohne Körper wird die Software immer noch als individuell und unverwechselbar angenommen. Auch wenn man Religion bei Seite lässt und den Menschen rein analytisch betrachtet, wäre es denn möglich Geist & Seele vom Körper zu trennen, also das Wesen des Menschen zu extrahieren. Der Mensch würde immer noch über seine transzendente Natur verfügen, allerdings auf seinen Körper verzichten. Nehmen wir kurz an, dass das möglich wäre, welche Konsequenzen hätte so ein Experiment und wäre es denn überhaupt von Nutzen.





Transzendenz unterliegt keinen physikalischen Naturgesetzen; es hat keinen Raum, kein Masse, keine Richtung und keine Geschwindigkeit. So wie wir Geist & Seele wahrnehmen, ist da dennoch eine gewisse Lebendigkeit; es ist nicht messbar und trotzdem da, spürbar, erlebbar, lebendig. Aber wie würde Kommunikation stattfinden, wenn alle Menschen transzendent wären, wie pflanzen wir uns fort, wo im physischen Universum würden sich die raumlosen Menschen aufhalten, wie erkennt man einen anderen Menschen überhaupt, wann stirbt man, stirbt man überhaupt und hätte man noch Spaß am Leben, das ja heutzutage immer noch viel mit Erfolg, Besitz und Status zu tun hat – Unterschiede zu anderen Menschen, die man auch gerne nach außen demonstriert, damit sie von den Mitmenschen auch wahrgenommen werden können. Gängige Probleme von heute, wie zum Beispiel Überbevölkerung des Planeten, wären auf diese Weise im Handumdrehen gelöst – neuartige Probleme ungekannter Dimensionen würden zusätzlich entstehen. Vielleicht bestehen wir Menschen auch ausschließlich aus unserem Körper, dann hat sich dieses kleine Gedanken-Experiment ohnehin erledigt.



Stahl
Das hört sich nicht gerade realistisch an.


Xenga
Mag sein – ist ja auch lediglich ein Gedanken-Experiment. Es wurde noch kein Schritt in Richtung Umsetzung getan – aber es beantwortet Ihre Frage von vorhin.


Stahl
Kann man in die Zukunft schauen?



Xenga
Man kann einen Blick in eine Spiegel-Realität werfen und wenn man das richtige Timing erwischt, Ereignisse in dieser Welt beobachten, die in unserer Realität noch nicht passiert sind.


Stahl
Na wenn das so ist, wie sind denn die Lottozahlen von kommenden Sonntag?


Xenga
In Österreich?


Stahl
Ja.



Xenga
11, 18, 28, 32, 34, 40, Zusatzzahl 9.


Stahl
Das können wir natürlich jetzt schwer überprüfen, weil wir bis Sonntag warten müssen. Haben Sie noch andere Zauber-Tricks auf Lager?


Xenga
Ich kann gar keine Zauber-Tricks und trotzdem stimmt es, es ist ein Art von Schummeln dabei bei solchen Geschichten. Naturgesetze gelten und sie gelten immer und überall – dennoch kam man durch vorübergehende Reduktion auf alle Naturgesetze verzichten, aber ein Gesetz wird bleiben. Und dieses Gesetz kann man auswählen. Die Zeit hat eine einzige Konstante, sie vergeht, egal was passiert - und das ist kein Gesetz, sondern eine Eigenschaft; sie ist linear – das heißt, sie fängt irgendwo an und hört irgendwann auf – Geburt, Leben, Tod ist die Richtung – sie ist nicht Leben, Tod und dann Geburt – sie hüpft ja nicht herum wie ein verirrter Hasse. Fakt ist, unsere Zukunft ist die Vergangenheit einer parallelen Realität – also kann man in die Zukunft schauen beziehungsweise besser gesagt, man schaut in die Vergangenheit der Parallel-Welt; das Problem besteht nur darin, die Brücken zu finden, die das erlauben. Und nicht immer kann man sich aussuchen, worauf man schaut und ob man das überhaupt sehen oder wissen will. Und ganz wichtig, der Eintritt in einen Parallel-Welt ist nur ein einziges Mal möglich, da man die eigene Gegenwart und Zukunft nun verändert erleben wird. Es gibt so viele Parallelwelten wie Sterne am Himmel, doch sind sie wie ein Schmetterling – einmal von Menschen-Hand berührt können sie nicht mehr fliegen.


Stahl
Einen Prototyp haben Sie aber dennoch ins Studio mitgenommen, um die Möglichkeiten moderner Technik veranschaulichen zu können, nicht wahr?





Xenga
Ja, ich habe ein klein wenig überlegen müssen, da Sie ja mich baten, etwas Fernseh-Taugliches mitzunehmen. Vielleicht trifft das ja auf den Sequencer zu. Ich glaube, das Gerät ist schon etwas, das man als Zauber-Trick bezeichnen kann. Ganz kurz zur Funktionsweise: der Sequencer scannt blitzschnell den ganzen Raum wie ein Radar-Gerät, nur wesentlich präziser, fast so exakt wie ein Röntgen-Apparat am Flughafen. Durch Betätigen des Push-Buttons, werden sichtbare wie unsichtbare Licht-Wellen, Audio-Wellen, Wärme-Wellen und Neutrino-Strahlen losgeschickt und die Reflexion im Gerät wieder gemessen und ausgewertet. Ich aktiviere den Sequencer mal kurz. So, und jetzt müsste ich wissen, was eine beliebige Dame aus dem Publikum alles in ihrer Handtasche hat. Sie dürfen jetzt ruhig eine Person aus dem Zuschauer-Raum auswählen.



Stahl
Jetzt haben Sie mich auch neugierig gemacht. Wie wär´s mit dem jungen Fräulein dort drüben – ja Sie.


Xenga
Ich brauch´s schon ein bisschen genauer. Welche Reihe und welcher Sitz sind das?


Stahl
Das ist die vierte Reihe von vorne, Platz fünf von links der Mittelreihe.


Xenga
Ok, Moment. Also ich sehe hier: zwei Kugelschreiber, eine Füllfeder, ein Paar Leder-Handschuhe, Lippenstift, einen Kamm und eine Haar-Bürste, ist ja erstaunlich, ein kleines Notizheft, eine Geldtasche, noch eine Geldtasche, aber viel kleiner, wohl für Münzen, ein kleines Glas-Fläschchen, ich schätze ein Parfüm, Papier-Taschentücher, ein paar Münzen und einen Schlüsselbund – ja das war´s.


Stahl
Stimmt das, junge Dame?


Fräulein
Ja, das stimmt wirklich.





Stahl
Wow – wo gibt´s das zu kaufen?



Xenga
Gar nicht. Der Sequencer war ein Just-for-Fun Neben-Produkt einer anderen Auftragsarbeit, die auch Raum-Analyse beinhaltete – es gibt nur diesen einen Prototyp und ich hab bei Leibe nicht vor, dass er in Serie geht, das könnte er gar nicht, er verletzt Datenschutz-Rechte, Privatsphäre und noch ein paar andere Grund-Rechte. Dieser Sequencer muss ein Unikat bleiben.


Stahl
Wie lang wird das noch so gut weiterlaufen mit Ihren Bestrebungen?


Xenga
Naja, irgendwie ist es wie mit den Autos. Wenn ich einem Kunden ein Auto verkaufe, hab ich einen Kunden gewonnen und gleichzeitig für längere Zeit verloren, weil er in naher Zukunft keines mehr kaufen wird. Und in meiner Branche verhält es sich nicht viel anders. Jede neue Antwort wirft viele neue Fragen auf, oft reicht auch ein unfertiges Projekt, um neue Denkrichtungen und Realisierungswege für andere Projekte zu erhalten. Und ab und an frage auch ich mich nach dem tieferen Sinn von alledem. Sind wir irgendwann fertig mit allem, ist der Mensch dann komplett, alle Technologien ausgeschöpft? Als der Ur-Mensch auf die Erde kam, hatte er im Prinzip dieselben Ressourcen zur Verfügung wie wir heutzutage. Doch zum Unterschied zu unseren Ur-Vorfahren wandeln wir heute wie Astronauten durch die Erde und das Weltall. Den Weltraum hatte der Ur-Mensch nicht zur Verfügung. Welche Ressourcen werden unsere Nachfahren entdecken. Egal welche Technologie jemals auf Erden erfunden wurde – spätestens 100 Jahre später war sie antiquiert und wurde von der Nachwelt belächelt. Für mich ist das Ende aller Technologien auch das Ende aller Probleme – ein konfliktfreier Zustand und den meine ich gar nicht metaphysisch oder esoterisch. Mit allen denkbaren Technologien ausgestattet, besiegt der Mensch jeden vorstellbaren Feind, äußere wie innere.


Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 14.12.2012
ISBN: 978-3-7309-0180-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für Mama.

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