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Januarereignisse

Früher war eigentlich nichts im Januar außer Kälte und vielleicht ekliger Schneematsch. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass im Januar mal irgend etwas besonderes passiert wäre.

 

Das änderte sich, als ich Ende 1968 – mit zwanzig Jahren - meinen zukünftigen Mann kennenlernte. Der hat nämlich am zweiten Januar Geburtstag und war gerade achtzehn! Und nicht nur er, auch eine seiner Schwestern hat im Januar Geburtstag, die ich zwangsläufig durch unsere wachsende Verbindung auch kennen und schätzen lernte.

Später kamen noch ein Schwippschwager und die Lebensabschnittsgefährten meiner Schwestern mit Januargeburtstagen dazu sowie eine weitere Schwägerin. So füllte sich langsam aber sicher auch dieser sonst ereignislose Monat mit kleinen und größeren Festen.

 

Nach etwa einem Monat hatte Hellmut es eilig, sich mit mir zu verloben. Er hat mir keinen Antrag gemacht. Er sagte nur, wir sollten uns am Samstagvormittag in der Stadt treffen, um im Kaufhaus ein Paar Ringe zu kaufen. Das war für uns beide ein kleines Abenteuer, denn wir machten das heimlich und ohne Ankündigung in der Familie. Goldene Ringe gab es nicht einfach so zu kaufen, nur gegen Abgabe von Gold. Es gab nur sogenannte Goldmantelringe. Und die konnte man im Kaufhaus erwerben. Die richtigen ließen wir uns erst später machen, als wir genug Gold zusammen hatten.

 

Unsere Verlobungszeit dauerte etwa ein Jahr, nachdem die Heimlichkeit durch meine jüngeren Geschwister bald aufgeflogen war. Im November stellte ich fest, dass ich schwanger war. Das war erstmal ein Schreck, aber dann doch sehr willkommen. Ich wusste nicht, wie ich es meinen Eltern beibringen sollte. Das war aber auch gar nicht nötig. Meine Mutter sah es mir bald an der Nasenspitze an. Es war gar keine Frage, nun „musste“ geheiratet werden. Mein Vater nutzte sofort seine Beziehungen, um einen schnellen Hochzeitstermin für uns auszumachen. So kam es, dass wir Silvester 1970 ganz allein mit der Straßenbahn zum Standesamt fuhren und uns „zusammenschreiben“ ließen. Gefeiert wurde an diesem Tag nicht, nur eine Flasche Wein zum Mittagessen aufgemacht. Weil eine kirchliche Trauung an diesem Tag nicht möglich war, wurde die für den neunten Januar 1971 vereinbart.

 

Meine Eltern haben schon immer gern gefeiert und dies war natürlich ein Grund für ein größeres Fest – die Hochzeit ihrer ältesten Tochter! Sie luden wohl alle Freunde, Bekannte und Verwandte ein, die ihnen einfielen. Wir hatten dazu nicht viel zu melden, nur anwesend zu sein.

 

Meine Oma ging mit mir zu ihrer Schneiderin und ließ ein Brautkleid im Empirestil für mich nähen. Viel Auswahl an Stoffen gab es nicht. Ich weiß auch nicht, wo diese grobe Spitze herkam. Mein Geschmack war sie jedenfalls nicht. Ich hatte jedoch keine Wahl. Aber den Schnitt konnte ich mir immerhin aussuchen. Omas Schneiderin, Frau Drecoll hatte einen sehr speziellen Nähstil. Sie schneiderte nicht nach Maß, sondern direkt auf den Körper. Das Kleid wurde ganz und gar mit schwerer Atlasseide gefüttert. Ich kenne das eigentlich so, dass beim Rockteil Ober- und Futterstoff getrennt voneinander verarbeitet werden. Frau Drecoll vernähte alles miteinander. Außerdem waren die Abstände der Nähte unterschiedlich und zogen sich irgendwie schräg, was aber nicht weiter auffiel.

 

Es gab sogar ein Brautmodengeschäft in Rostock. Mit einer Bescheinigung vom Standesamt konnte man dort auch einkaufen, nicht etwa, wenn man nur Lust dazu hatte! Ich bin mir nicht sicher, ob ich dort meine Brautschuhe gekauft habe, wo sonst. An die Schuhe kann ich mich aber nicht erinnern.

 

Auch einen Brautstrauß bekam man nur, wenn man einen Termin nachweisen konnte. Und da gab es eben, was gerade da war. Bei mir waren es ein paar weiße Nelken mit rosa Rand und ein bisschen Spargelkraut.

 

Unfassbar, was heute für ein Aufwand für eine Hochzeit betrieben wird! Und wie lange im Voraus alles geplant werden „muss“. Bei uns ging das damals alles innerhalb von vier oder fünf Wochen.

 

Zum Polterabend kamen die halbe Studentengemeinde, Freunde meiner Eltern, Verwandtschaft und das Haus meiner Eltern wurde da schon ziemlich voll. Es war damals noch nicht üblich, zum Polterabend gezielt einzuladen. Da konnte kommen, wer wollte und davon wusste.

 

Weil meine Mutter ja selbst Künstlerin ist und meine Eltern mit fast allen Rostocker Malern und Bildhauern befreundet waren, kamen sie auch fast alle zum Polterabend und zu unserer Hochzeitsfeier.

 

Wir haben am Polterabend ein Gästebuch begonnen, das sich zu einer schönen Chronik unseres gemeinsamen Lebens entwickelt hat. Es enthält auch Zeichnungen und Unterschriften vieler leider längst verstorbener Künstler.

 

 

Mein Mann hält mir heute noch vor, dass er die Polterscherben mit seiner Schwiegermutter zusammen auffegen musste, weil ich mich zu schwach und müde fühlte. Obwohl ich schwanger war, durfte er vor der kirchlichen Trauung nicht bei mir wohnen – kleine Schikane meiner Mutter.

 

Rechtzeitig vor der Hochzeit versaute ich meinem Schatz noch die Frisur. Er hatte damals vorn über der Stirn einen Wirbel, mit dem ich nicht klar kam. Als ich ihn kennenlernte, trug er so eine „Schmalztolle“, die ich ihm irgendwann unter dem Einfluss meiner Familie ausgeredet und abgeschnitten hatte. Diesmal war das ziemlich schief gegangen, und er hatte nun statt Wirbel eine Lücke, was seine Liebe zu mir jedoch nicht beeinflusste. Heute hat sich der ehemalige Wirbel von selbst erledigt...

 

Die Hochzeit feierten wir ebenfalls im Haus meiner Eltern mit über hundert Gästen. Es gab ein großes Buffet, das meine Mutter selbstverständlich selbst gemacht hatte – zusammen mit ihrer damaligen Haushaltshilfe und unserem guten Geist, „Tante“ Friedel. Das ließ sie sich nicht nehmen.

 

Die Trauung war gegen Mittag. Plötzlich war ich dann doch ganz schön aufgeregt und meine Familie wurde hektisch und trieb mich an, endlich fertig zu werden. Gerade als ich fertig im Brautstaat aus meinem Zimmer herunter kam, klingelte es und der Schornsteinfeger kam. Na, wenn das kein Glück bedeuten sollte!

 

Am Nachmittag kam sogar Hellmuts ehemaliger Posaunenchor von Rügen angereist, um uns ein Ständchen zu spielen.

 

Ein „Highlight“ war kurz vor Schluss der Hochzeitsfeier – ich lag schon matt auf unserer Klappcouch - der Besuch von „Tante“ Evi, einer Schulfreundin meiner Mutter, in unserem Schlafzimmer. Sie setzte sich auf unsere Bettkante und wollte allen Ernstes meinen Mann noch aufklären! Wie gesagt, ich war schwanger! Das war dann wohl ein bisschen spät... Wir lachen noch heute darüber.

 

Ab der kirchlichen Trauung durfte Hellmut dann endlich bei uns wohnen, das heißt, in meinem Mädchenzimmer. Bis dahin hatte er in einer eiskalten Baracke gewohnt, die das Studentenwohnheim sein sollte, das in den Semesterferien nicht geheizt wurde. Mein Opa hatte uns eine Doppelbettcouch geschenkt, so dass wir einen gemeinsamen Schlafplatz hatten.

 

Siebzehn Jahre später wurde im Januar unser Sohn als unser viertes Kind geboren.

 

 

Anmerkung: Das Relief auf dem Cover war ein Hochzeitsgeschenk des Rostocker Bildhauers Jo Jastram. Titel: Europa und der Stier

 

 

Impressum

Bildmaterialien: eigene Fotos
Cover: eigenes Foto
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2018

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