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Zwischen zwei Welten

 

Meine Erinnerungen an diese Zeit sind mehr als schwach. Aber vielleicht kommen sie ja beim Schreiben wieder. Ich fange also einfach mal an…

 

Wie Ihr ja wisst, war ich auf einer besonderen Schule für „erweiterten Russischunterricht“. Da kann man sich wohl schon denken, dass es dort auch politisch „besonders“ zuging.

 

Uns wurde eindeutig klar gemacht, wer zur Kirche und zur Konfirmation geht, gehört nicht dazu! Der ist es nicht wert, an dieser Schule unterrichtet zu werden! Natürlich waren nicht alle Lehrer so. Die meisten hielten sich da heraus. Aber die Staatsbürgerkunde-Lehrer waren sicher dazu angehalten, aus uns gute Staatsbürger zu machen.

 

Es war also auch völlig undenkbar, nicht zur Jugendweihe zu gehen. Dann wäre man total unten durch gewesen.

 

Ich habe mich während der gesamten Schulzeit immer wie zwischen zwei Welten gefühlt. Das hat mich zeitweise sehr verwirrt, so dass ich in der Schule oft nicht wusste, welche Antwort sie von mir hören wollten.

 

Die Jugendweihe wurde absichtlich auf die Osterzeit gelegt, wo ja traditionell die Konfirmationen stattfanden. Also wurde die Konfirmation auf den September verlegt. Die Kirche war da flexibel.

 

Mich hatten sie in der Schule sowieso schon immer auf dem Kieker, weil bei mir eben vieles anders lief als bei „normalen“ Leuten. Mein Vater war Rechtsanwalt und war als „reaktionärer Hund“ verschrien, was natürlich auch auf mich abfärbte. Dadurch hatte ich aber auch ein bisschen so was wie „Narrenfreiheit“. Die meisten meiner Mitschüler waren sogenannte Arbeiterkinder, was aber auch nicht ganz stimmte. Hauptsache, die Eltern waren in der „richtigen“ Partei.

Mein Vater war – als der Druck zunahm – in die NDPD eingetreten, aber auch nur, damit die anderen Ruhe geben mussten. Das haben damals viele gemacht, um der SED zu entgehen.

 

Ich machte keinen Hehl daraus, dass ich zur Kirche ging und mich konfirmieren lassen wollte, während mein Freund Leo das ganz heimlich machte und nie ein Wort darüber verlor. Nur ich wusste es, weil wir zusammen im Konfirmandenunterricht waren. Wir gehörten zur gleichen Gemeinde.

 

Aber was konnte man in der DDR schon heimlich machen?!

 

Die Zeit des Konfirmandenunterrichts war aufregend und schön, denn sie fiel mit der ersten großen Liebe zusammen! Am schönsten war es nach dem Unterricht, wenn Leo Zeit hatte, mich durch den dunklen Barnstorfer Wald nach Hause zu bringen!

 

Viel gelernt haben wir im Konfirmandenunterricht nicht, denn unser Pastor war ein alter Zausel mit Sprachfehler, dem alle auf der Nase herum tanzten. Wir lernten die zehn Gebote und deren Erklärungen und ein paar Lieder auswendig, also alles was wir für die Konfirmandenprüfung brauchten und das war’s auch schon.

 

In der Schule wurden wir in dieser Zeit auf die Jugendweihe vorbereitet mit den Jugendweihestunden, die außerhalb des Unterrichts stattfanden. Die waren naturgemäß politisch geprägt, aber nicht nur. Darüber kann ich kaum etwas sagen. Das habe ich wohl alles ausgeblendet.

 

Ich weiß nicht mal mehr, wo die Jugendweihe stattfand. Es war ein großer Festakt in einem großen Saal mit langweiligen Reden. Am Ende bekam jeder das „berühmte“ Buch „Weltall, Erde, Mensch“. Bei uns wurde dieser Tag nicht weiter gefeiert und begangen. Er war nach dem „Festakt“ erledigt.

 

Meine Eltern hatten uns alle nicht taufen lassen, weil sie die Entscheidung für oder gegen uns überlassen wollten, wenn wir alt genug dafür wären. Sie haben uns zur Christenlehre und zum Konfirmandenunterricht geschickt. Aber wir sollten selbst entscheiden, ob wir konfirmiert werden wollten.

 

Ich wollte – also musste ich vorher getauft werden. Meine Taufe fand etwa zwei Wochen vor der Konfirmation an einem Samstag statt, wenn ich mich richtig erinnere. Meine Eltern waren keine Kirchgänger und wollten nicht, dass ich am Sonntag während des Gottesdienstes getauft werde. Wahrscheinlich dachten sie auch, dass es so weniger Aufsehen erregen würde. Ich wurde dazu jedenfalls nicht befragt.

 

Aber meine Patin durfte ich mir aussuchen. Eine ganz liebe und hochinteressante alte Freundin der Familie, eine alleinstehende und weitgereiste Fotografin – das sollte meine Patin werden und wurde es auch. Ilse L. war für mich wie eine dritte Großmutter. Ich habe sie oft und gern besucht. Wir hatten uns immer viel zu erzählen.

 

Dumm war nur, dass sie früher auch eine Geliebte meines Großvaters gewesen war und meine Großmutter und Ilse sich nicht begegnen durften. Das bedeutete, dass Ilse bei keinem unserer Familienfeste dabei sein konnte – also auch nicht bei meiner Konfirmation. Das machte mich traurig.

 

Ich glaube, während des Konfirmationsgottesdienstes hat sie ganz hinten in der Kirche gesessen und ist dann danach schnell verschwunden. Aber genau weiß ich das nicht mehr. Ich denke, ich wusste damals auch gar nicht so genau, was da los war zwischen meiner Großmutter und ihr. Da gab es immer nur Andeutungen, Erklärungen erst viel später.

 

Ich kann mich auch kaum an die Konfirmation und das Drumherum erinnern. Ich weiß nur, dass meine Eltern auch diesen Tag nicht als einen ganz besonderen ansahen. Es gab keine großen Geschenke. Mädchen bekamen damals ein bisschen was „für die Aussteuer“, Handtücher, Bettwäsche oder so was. Ich fand es toll, meine eigenen Handtücher zu besitzen.

 

Vermutlich haben wir mit den Großeltern zu Hause zusammen gegessen und später zusammen Kaffee getrunken. Feiern im Restaurant war bei meiner Mutter verpönt. Sie macht ja noch heute am liebsten alles selbst. Damals war es auch nicht so attraktiv in den Restaurants, weil die Auswahl an Speisen nur klein und fast überall gleich war. Ebenso war die Einrichtung nur in den gehobenen Restaurants einigermaßen akzeptabel. Aber davon gab es nicht viele.

 

Das Kleid für die Konfirmation hat meine Oma bei ihrer Schneiderin für mich nähen lassen. Es war aus dunkelblauem Wollstoff mit dreiviertellangen Ärmeln, nach unten versetzter Taille, die ein Satinband schmückte und halsfernem weißem Pikeekragen. Das war Omas Geschmack. Ich wurde nicht gefragt. Aber ich glaube, es stand mir ganz gut.

Dazu trug ich mein Gesangbuch, das ich heute noch besitze, ein weißes Spitzentaschentuch und ein Myrthensträußchen.

 

Was ich zur Jugendweihe trug, weiß ich nicht mehr. Es hatte keine Bedeutung für mich.

 

2012 war meine Goldene Konfirmation. Da wäre ich sehr gern hingefahren – schon um Leo wiederzusehen! Leider kam etwas dazwischen…

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Tag der Veröffentlichung: 01.06.2015

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