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Der Schlüssel

 

Als wir vor siebenundzwanzig Jahren in die Wohnung zogen, in der wir noch immer „übergangsweise“ leben, wie mein Mann damals versprach, wohnte nebenan eine junge Lehramtsstudentin. Wir fanden sie sehr nett und verstanden uns gut.

 

Irgendwann zog ein junger Mann bei ihr mit ein, der Jura studierte. Dann waren sie beide fertig, heirateten und zogen in einen anderen Stadtteil. Wir verloren sie dann leider aus den Augen, wie das so ist.

 

Dann kaufte ein Ehepaar aus Hessen unsere Nachbarwohnung. Ihr Sohn wollte hier studieren und zog in die Wohnung. Er studierte Sport und war mit dem berühmten Dirk Nowitzki befreundet, dem wir auf diese Weise auch einmal im Treppenhaus begegneten.

 

Unser junger Nachbar war immer mal Wochen oder Monate nicht in der Wohnung. Dann nutzten seine Eltern sie öfter bei ihren Besuchen in Würzburg.

 

Eines Tages baten die Eltern mich, einen Schlüssel für die Nachbarwohnung an mich zu nehmen. Ich sollte im Winter, wenn sie länger leer stand, die Heizung einschalten und ab und zu nach dem Rechten sehen.

 

Dann war der Sohn fertig mit seinem Studium und zog davon. Die Wohnung stand leer. Die Eltern kamen selten. Ich brauchte den Schlüssel kaum.

 

Eines Tages tat sich wieder etwas. Ein neuer Student zog ein, er studierte Zahnmedizin. Seine Eltern sind wohl mit den Wohnungseigentümern befreundet. Deswegen durfte er dort wohnen.

 

Inzwischen ist Max mit dem Studium, das bei ihm ungewöhnlich lange gedauert hat, längst fertig, aber er wohnt immer noch nebenan. Unser Sohn ist gut befreundet mit ihm.

 

Seit Max nebenan wohnt, habe ich den mir anvertrauten Schlüssel nie mehr gebraucht. An dem Schlüssel hängt ein gelbes Schild, auf dem der Name der Eigentümer steht. Er hing lange Jahre an unserer Pinnwand in der Küche, an der auch Haken für Schlüssel dran sind.

 

Eines Tages fiel mir auf, dass der Schlüssel nicht mehr an der Pinnwand hing und mir fuhr der Schreck durch alle Glieder. Ich durchsuchte die gesamte Wohnung und ging in Gedanken alle Möglichkeiten durch. Schon fürchtete ich, dass unsere kleinen Enkel ihn unbemerkt verspielt hätten. Aber sie wussten natürlich von nichts!

 

Ich malte mir aus, dass die Eigentümer kämen – ja sie waren sogar mal hier – und nach dem Schlüssel fragten. Es war ein grauenhafter Gedanke für mich, zugeben zu müssen, dass er weg sei. Ich war froh, als sie wieder abfuhren, ohne nach dem Schlüssel gefragt zu haben. Aber der Gedanke quälte mich weiter und ich quälte meine Familie…

 

In meiner Verzweiflung rief ich sogar einmal eine „Hellseherin“ an, aber die sah nichts!

 

Der Schlüssel geriet wieder halbwegs in Vergessenheit, aber in meinem Unterbewusstsein schmorte und gärte es weiter.

 

Immer mal wieder durchsuchte ich sämtliche Schubladen, Schachteln und was mir so in die Hände kam.

Der Schlüssel blieb verschwunden! Und mein schlechtes Gewissen arbeitete weiter…

 

Eines schönen Tages – inzwischen war der Schlüssel doch wieder ganz vergessen – kam mein Sohn in die Küche und hielt eben diesen verschollenen Schlüssel in der Hand und fragte, was für ein Schlüssel das denn sei, da stünde ja K…. drauf!

 

Philipp hatte einen Stift oder irgendetwas anderes auf meinem Schreibtisch gesucht und dabei einen blauen Keramiktopf ausgeleert, der dort steht. Am Grunde des Topfes lag der lang vermisste Schlüssel! Keine Ahnung, wie er dorthin gekommen ist.

 

Das war ein Jubel! Meine Erleichterung kann sich niemand vorstellen!

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Tag der Veröffentlichung: 22.10.2014

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