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Landleben mit Tomatensoße

 

Etwa mit achtzehn Jahren wäre ich schon sehr gern bei meinen Eltern ausgezogen. Aber ich hatte keine Idee, wie das gehen sollte. Vielleicht war ich noch nicht reif genug dafür. Das Gehalt, das ich vom Kollegium der Rechtsanwälte, zu dem mein Vater damals notgedrungen gehörte, bezog, war auch nicht gerade üppig. Ich arbeitete zwar für ihn, aber das Gehalt konnte er nicht bestimmen.

 

Als ich mit einundzwanzig Jahren meinen zukünftigen Mann kennen lernte, sah ich zum ersten Mal eine Chance, endlich mein Elternhaus verlassen zu können. Leider ging das alles nicht so schnell, wie wir uns das dann gemeinsam vorstellten und erträumten. Sein Stipendium, auch wenn er immer das Leistungsstipendium erreichte und außerdem Nebenjobs machte, reichte auch nicht allzu weit.

 

Dann kündigte sich unsere erste Tochter an, wir heirateten und mein Mann zog in mein Mädchenzimmer mit ein. Wohnungen waren mehr als knapp und meine Eltern sahen überhaupt keine Notwendigkeit für uns, auf eigenen Beinen stehen zu müssen. Außerdem gefiel es meiner Mutter, von uns Kostgeld zu verlangen, was ja auch in Ordnung war, aber unsere Bewegungsfreiheit wieder einschränkte. Aber sie betreute ja auch unsere Kinder, wenn ich arbeitete und mein Mann in der Uni war und kochte und wusch für alle. Ja, sie brachte mir sogar die Kinder zum Stillen ins Büro!

 

Damals bekam man als ledige Mutter schneller eine Wohnung als eine junge Familie, was ich ziemlich absurd finde.

 

Wir wanderten oft zusammen durch die Stadt und malten uns aus, wie es wäre, endlich ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben und nicht mehr von meinen Eltern abhängig zu sein.

 

Meine Mutter führte ein strenges Regiment in ihrem Haus und was sie sagte, war „Gesetz“. So kam es für sie überhaupt nicht in Frage, dass wir uns mal in meinem Zimmer einschlossen, weil wir einfach allein sein und unsere Ruhe haben wollten.

 

Mein Opa hatte uns zur Hochzeit eine große Klappcouch geschenkt, die uns nachts als Bett diente. Diese Couch stand mit dem Kopfende neben der Zimmertür. Es kam vor, dass meine Mutter morgens plötzlich neben unserem Kopfende stand – natürlich ohne vorher anzuklopfen, denn es war ja „ihr“ Haus, um uns irgendetwas mitzuteilen oder auch nach unserer Tochter zu sehen. Das nervte uns gewaltig. Aber wir sahen immer noch keinen Ausweg vor dem Studiumsende meines Mannes.

 

Ich freute mich unbändig auf das Ende seines Theologie-Studiums, denn ich wusste, als junger Vikar würde er auf’s Land geschickt werden und ein Pfarrhaus würde für uns zur Verfügung stehen. Da ich ihn aber schon am Anfang seines Studiums kennen gelernt hatte, war es ein langer Weg und ich brauchte Geduld.

 

Inzwischen wurde auch unsere zweite Tochter geboren. Mein Zimmer, obwohl es recht groß war und einen Balkon hatte, wurde langsam mehr als eng. Wir wollten nur noch raus und weg und für uns leben.

 

Irgendwann waren meine Eltern mal wieder ein paar Tage verreist. Das waren immer herrlich freie Zeiten für uns! Da kam uns eine Idee, wie wir meiner Mutter die Suppe versalzen könnten. Wir räumten um!

 

Als meine Eltern zurück waren und meine Mutter mal wieder unsere Zimmertür einfach aufriss, stand sie plötzlich vor einer Wand, statt neben unserer Couch und war entsetzt! Wir hatten unsere Bücherwand so hingestellt, dass von der Tür aus ein schmaler Gang entstanden war. Sie musste also erst um die Bücherwand herum gehen, wenn sie mit uns reden wollte. Wir begründeten diese Veränderung damit, dass wir abends die Kinder mit ihren Bettchen hinter die Bücherwand stellen könnten und sie dort mehr Ruhe hätten, wenn wir Besuch hätten oder mein Mann lernen müsste. Das akzeptierte sie knurrend.

 

Endlich kam das Ende des Studiums meines Mannes in Sicht! Ich war sehr gespannt, wohin es uns verschlagen würde. Mein Mann wollte gar nicht gern auf’s Land. Er wäre lieber in der Stadt geblieben. Aber Wohnung und Dienstwagen hatten ja auch etwas für sich und machten ihm die Sache etwas schmackhafter.

 

Ich konnte es gar nicht erwarten. Aber der Bischof, bei dem sich mein Mann dann um eine Vikariatsstelle bewarb, nachdem er sein Diplom in der Tasche hatte, hatte ganz andere Pläne. Er war der Meinung, wir hätten ja eine Wohnung in Rostock und wollte meinen Mann dort einsetzen. Nachdem mein Mann dem Bischof klargemacht hatte, dass das nicht so war und wir dringend eine Wohnung brauchten, wurde umdisponiert und er bekam für das Vikariat eine Pfarrstelle an der wunderschönen mecklenburgischen Seenplatte zugewiesen und ganze dreihundertfünfundsiebzig Ostmark „Unterhaltsbeihilfe“.

 

Mein Vater konnte es so drehen, dass ich noch zwei Monate angestellt blieb und mein Gehalt von vierhundertfünfzig Ostmark weiter bekam, aber dann war Schluss!

 

Erstmal fuhr mein Mann mit einem Studienfreund in das Pfarrhaus, um unsere zukünftige Wohnung zu renovieren. Da hatten die beiden allerhand zu tun, denn wir bekamen vier „Tanzsäle“ und eine riesige Küche, die einer Hotelküche alle Ehre gemacht hätte. Oben im Haus wohnte eine Familie, aber auch dort waren noch Räume für uns, die wir als Gästezimmer nutzen konnten.

unser Umzug paßte auf diesen geliehenen LKW.

 

Zum ersten September 1974 konnten wir einziehen. Wir hatten unglaublich viel Platz, einen riesigen Garten, in dem wir sogar Spargelbeete entdeckten und waren glücklich.

die leicht morbide Einfahrt zu unserem "neuen" Domizil

 

der erste Dienstwagen

 

Kaum waren wir angekommen mit unseren beiden kleinen Mädchen, nahm die dreijährige Katrin ihre noch nicht ganz zweijährige Schwester Anna an die Hand und sagte: „Komm, wir suchen uns Freunde!“ Gesagt, getan. Erst nach einer ganzen Weile tauchten sie mit einem Rattenschwanz von Kindern wieder auf und waren zufrieden. Heute leider fast unvorstellbar, damals kein Problem – schon gar nicht in einem so kleinen Dorf.

die kleine Anna vor dem großen Pfarrhaus

 

Möbel hatten wir nur die aus meinem Zimmer. Als Arbeitszimmer bekam mein Mann das alte Arbeitszimmer meines Großvaters, das solange im Büro meines Vaters gestanden hatte. Und dann gab jeder ab, was er loswerden wollte und bald hatten wir eine Art Flohmarkt als unser Zuhause. Aber wir hatten ein eigenes Zuhause!

 

sogar ein "Karussel" gab es im Pfarrgarten!

 

Ich hatte nicht allzu viel Erfahrung mit dem Kochen. Neben meiner dominanten Mutter hatte ich nur selten Lust, in der Küche zu werkeln. Mein Mann behauptet immer, die ersten Jahre gab es zu allem nur Tomatensoße. Sie hieß zwar manchmal anders, schmeckte aber immer wie Tomatensoße….

 

Mein Mann hatte zuletzt neben dem Studium als Taxifahrer gearbeitet und richtig gut verdient. Seine Kollegen dort hielten ihn für total bescheuert, das aufzugeben für den Hungerlohn, den er nun bekommen sollte.

 

Aber wir sahen das ein bisschen anders. Wir waren nun weitgehend unsere eigenen Herren, hatten Platz für uns und unsere Kinder. Das Geld allerdings war immer ziemlich schnell zu Ende.

 

Ganz schlimm wurde es im ersten Winter. Wir mussten ja unsere Kachelöfen heizen und das nicht zu knapp. Da die Zimmer sehr hoch waren, brauchten wir eine Menge Heizmaterial, um sie warm zu bekommen. Wir bestellten Koks, der uns auch bald vor die Tür geschüttet wurde. Die Rechnung dafür haute uns allerdings um – etwa neunhundert Ostmark sollten wir dafür löhnen. Dafür musste mein Mann bei meinem Vater Kredit aufnehmen.

 

Irgendwann fiel uns nichts anderes mehr ein als aufzugeben und einen Ausreiseantrag zu stellen. Die KSZE-Konferenz hatte gerade stattgefunden und meinem Mann in seinem schon lange gehegten Wunsch, in den Westen zu gehen, bestärkt. Inzwischen hatte er auch Einsicht in westliche Pastorengehälter gehabt, was diesen Wunsch noch einmal verstärkte.

 

Wir stellten unseren ersten Ausreiseantrag. Aber ich war damals noch nicht soweit und stoppte das Unternehmen nach einer Weile. Das war für meinen Mann ein herber Tiefschlag und tat mir auch sehr leid. Allein aber wollte er dann doch nicht gehen und zog den Antrag zurück.

 

Insgesamt waren das zwei harte, aber auch sehr schöne Lehrjahre – gewürzt mit viel Tomatensoße.

 

 

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 08.08.2014

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