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Nie wieder Rotwein in der "Jägerhütte"

 

Es war Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts – meine Güte, wie das klingt! Mein Mann und ich lebten noch mit unseren beiden kleinen Töchtern im Haus meiner Eltern in meinem Mädchenzimmer. Wir hatten es also ziemlich eng und waren fast nie unbeaufsichtigt. Meine Mutter kontrollierte alles. Sie bekam es fertig, ohne anzuklopfen morgens plötzlich in unserem Zimmer, neben dem Kopfende unserer Schlafcouch zu stehen. Sie stand auf dem Standpunkt „in meinem Hause brauche ich nicht anzuklopfen!“ Mein Vater klopfte immer an.

 

Eines Tages hatten wir genug davon und wollten es ihr wenigstens ein bisschen schwerer machen.

 

Als meine Eltern wieder einmal ein paar Tage auf Reisen waren, schoben wir mühsam, aber erfolgreich, unsere große Schrankwand ein Stück weg von der Wand und stellten sie neben die Schlafcouch, so dass von der Tür aus ein schmaler Korridor entstand. Man musste also erst um die ganze Schrankwand herumgehen, ehe man dann an unserem Fußende stand.

 

Als meine Mutter das ein paar Tage später entdeckte, gab es  erst einmal ein Riesentheater. Wir konnten die Maßnahme jedoch damit begründen, dass unsere beiden Kleinen hinter der Schrankwand abends mehr Ruhe zum Schlafen hätten, wenn wir noch lesen oder arbeiten wollten.

Das sah meine Mutter dann ein, wenn auch zähneknirschend.

 

Mein Mann studierte damals noch. Eine zeitlang machte er nachts Extrawachen in der Universitätsklinik.

Als er dann endlich seinen Führerschein hatte, entdeckte er eine Nebentätigkeit, die ihm besser gefiel und lukrativer erschien – er fuhr nachts Taxi.

 

An einem Wochenende in dieser Zeit besuchten uns Freunde aus Berlin. Wir wollten abends mit ihnen in die „Jägerhütte“ gehen, eine beliebte Gaststätte im Barnstorfer Wald, nicht weit von meinem Elternhaus. Wir wollten schon deswegen dorthin gehen, weil wir sonst bei meinen Eltern hätten sitzen müssen und kein persönliches Wort hätten wechseln können. Meine Mutter ließ es kaum zu, dass wir uns in „ihrem Hause“ abgrenzten, selbst wenn wir Besuch hatten.

 

Mein Mann hatte Taxi-Bereitschaft, konnte also nichts trinken. Er musste warten, bis ein Kollege mit „seinem“ Taxi von einer Fernfahrt zurück kam und sollte dann übernehmen, wenn der rechtzeitig zurück wäre.

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Unsere Freundin Christiane war schwanger und trank ebenfalls nichts. So blieb Freund Hartmut und mir die „ehrenvolle“ Aufgabe, den obligatorischen Krug Rotwein zu zweit zu leeren. In der „Jägerhütte“ gab es den Rotwein in Literkrügen. Oder waren es zwei Liter? Ich weiß es nicht mehr. Vermutlich war es bulgarischer, auf jeden Fall sehr süßer und süffiger Rotwein. Gut gekühlt war er auch, denn es war Sommer und recht warm. Der Wein schmeckte leicht und wie Saft und ließ sich entsprechend gut trinken…

 

Wir haben auch gut gegessen. Ein Kommilitone meines Mannes kochte damals in der „Jägerhütte“. Es gab immer wunderbare Wildgerichte und eine superscharfe Suppe, die „geschossene Rostocker Heide“ hieß. Diese Suppe musste mit größeren Mengen Rotwein hinunter gespült werden, damit irgendwann das höllische Brennen wieder aufhörte.

Diese Suppe war so scharf, dass sie am nächsten Tag noch einmal brannte, wurde immer behauptet...

 

Hartmut und ich taten unser Bestes. Mein Mann hatte schlechte Laune, weil er zuschauen musste und auch Christiane war nicht in bester Stimmung, machte aber gute Miene. Hartmut und ich amüsierten uns köstlich und wurden im Laufe des Abends immer alberner.

 

Ich glaube, wir haben je zwei von den Rotweinkrügen geleert. Es ging uns bestens und wir unterhielten uns wunderbar. Irgendwann, so gegen zwei Uhr nachts, war dann Feierabend und wir mussten nach Hause.

 

Das gestaltete sich dann etwas schwieriger. Schon beim Klogang hatte ich festgestellt, dass meine Beine irgendwie nicht so richtig ihren Dienst tun wollten.

 

Nach Hause mussten wir mitten durch den inzwischen stockfinsteren Wald über Stock und Stein und herausragende Baumwurzeln. Unsere beiden Nüchternen hatten ihre liebe Not, uns heil nach Hause zu bringen. Mein Mann hatte inzwischen doppelt schlechte Laune, denn er war nicht zum Dienst gerufen worden und hätte beim Rotwein mithalten können.

 

Eine volltrunkene Frau neben sich, während er stocknüchtern war, das mochte er so gar nicht. Da halfen auch meine angeblichen „unsittlichen“ Angebote nichts, von denen er später behauptete, dass ich sie ihm gemacht hätte. Ich weiß davon nichts.

 

Irgendwann hielt es mich nicht mehr auf meinen Gummibeinen und so kroch ich auf allen Vieren durch den Wald. Das fand mein Schatz überhaupt nicht lustig.

 

Hartmut stolperte jammernd neben uns: „Ach, ist mir schlecht! Mir ist ja soooo schlecht…“ Auch seine Christiane war not amused, wie man sich denken kann.

 

Ich weiß gar nicht, warum die beiden noch mit in unserem Zimmer landeten – ja, sie haben auch im Haus übernachtet. Nein, Christiane war gleich schlafen gegangen. Aber Hartmut saß plötzlich auf meiner Bettkante und stöhnte und jammerte wieder, wie schlecht es ihm ging.

Ich hatte genug damit zu tun, das „Zimmerkarussell“ in meinem Kopf in Schach zu halten und schickte ihn nach unten schlafen. Dann musste ich sehr eilig ins Bad und gefühlte zwei Liter Rotwein entsorgen – natürlich oben heraus. Mein Mann meint jetzt beim Lesen, das seien „gefühlte sieben Liter“ gewesen....

 

Mein Schatz wandte sich mit Grausen ab von meiner Rotweinfahne.

 

Das Erwachen mit dickem Kopf am nächsten Morgen war natürlich vom Feinsten. Hartmut und ich waren wohl nicht sehr gesprächig beim Frühstück.

 

Ich glaube, ähnlich wie damals, bin ich nur noch einmal auf einem Fasching in Neubrandenburg versackt, später nie wieder.

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Tag der Veröffentlichung: 01.11.2013

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