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TSUNAMI

26.12.2004 / 7.58 Uhr / Thailand / Phuket
Also entweder ich befinde mich im Moment in einem miesen Traum, oder das Bett scheint sich tatsächlich zu bewegen. Ruck.. ruck.. da war es wieder, dieses seltsame Gefühl, als ob mich jemand schüttelt und zum Aufstehen zwingen will. “Verdammt, ich bezahle 20 Euro pro Nacht und dann kann ich hier nicht mal anständig pennen“, waren meine ersten Gedanken, bevor ich endgültig wach wurde. So konnte ich das allerdings keineswegs einordnen, denn ich hatte in den letzten Wochen hervorragend geschlafen und konnte mir deshalb diese unsanfte Art geweckt zu werden, überhaupt nicht erklären.
Es hatte mich schon zum zweiten Mal auf diese paradiesische Insel verschlagen und ich genoss die unglaublich herzliche Art der Einwohner und die Landschaft, die ich so noch nie erleben durfte. Meine Hotelanlage bestand ausschließlich aus kleinen Bungalows, oder einzelnen Zimmern, von denen ich mir eines gemietet hatte. Zweckmäßig eingerichtet, mit einem Blick auf die kleine Allee, die 200 Meter bis zum Meer führt und hinten hinaus auf einen Garten, wie ich ihn nur aus unserem Zoo in Stuttgart kannte. Es gab hier keinen Luxus oder ähnliches zu erwarten, doch das war auch gar nicht nötig. Wer hier her kam, der suchte die Ruhe und die Natur. Laute Bars oder Diskotheken suchte man hier vergebens und wer Party wollte, war hier verkehrt. Das beschauliche Örtchen NAI YANG in dem sich diese Hotelanlage befindet, liegt im Naturschutzgebiet und ziemlich im Norden der Insel, was sie für die meisten Touristen recht uninteressant machte. Mir gefiel es hier, denn schnell kannte man fast jeden im Ort und nicht selten bekam man an dem einen oder anderen Restaurant am Strand ein Getränk, oder etwas zum Essen zugesteckt. Vielleicht hatten die Leute ja auch einfach nur Mitleid mit mir, denn ich reiste allein und manchmal hatte ich das Gefühl, sie hätten Angst ich könnte verhungern. Der ausschlaggebende Punkt aber, warum ich ausgerechnet hier wieder die letzten Wochen des Jahres verbringen wollte, lag aber eigentlich am Strand und hieß “AQUADIVERS“. Es war die Tauchbasis auf Phuket und seit genau einem Jahr besaß ich den Tauchschein, den ich im Dezember 2003 auch dort gemacht hatte. Wer ein Mal getaucht ist, wird mir nachempfinden können was es heißt, an einem der besten Tauchreviere der Welt ins Wasser zu gehen. Die Basis wurde zu meiner zweiten Heimat, die Lehrer in den letzten Wochen zu Freunden und ich freute mich auf jeden neuen Tag und jeden neuen Tauchgang. Jeder Tag hatte ein anderes aufregendes Erlebnis zu bieten, doch an diesem Tag sollte alles ganz anders kommen..
Als ich mich auf die Bettkante setzte und mir erst mal den Schlaf aus den Augen rieb, überlegte ich erst mal, wie spät es wohl wäre. Dieser blöde Traum war so real, dass ich nach der Ruckelei sowieso nicht mehr schlafen konnte, also beschloss ich zum Frühstück an den Strand zu gehen. Ich packte nur mein Badetuch und meine kleine Bauchtasche, in der ich all meine kleinen Schätze aufbewahrte. Handy, Zigaretten, Schlüssel, Geld.. einfach meinen so genannten Überlebensbeutel. Ich trat aus der Tür, als mir auch schon die Hitze und die Luftfeuchtigkeit entgegen schlug, doch daran hatte ich mich in den letzten Wochen schon gewöhnt. Als ich die kleine Allee zum Meer hinunter lief, sah ich schon viele Menschen am Strand stehen und einige, die wild mit den Armen in der Luft herum fuchtelten. Ich war etwas verwirrt, denn plötzlich rannte eine Menge von Leuten in meine Richtung und sie schienen alle wie von Sinnen zu schreien.
“ Go, go, water comes !! “ konnte ich deutlich vernehmen und ich sah auch, wer es gerufen hatte. Es war Emm, einer der Thais, der für die AQUADIVERS arbeitete und er wiederholte es immer wieder, bis er auf ca. 10m heran war. Ich kannte ihn bisher immer nur gut gelaunt und mit einem breiten Grinsen in seinem jugendlichen Gesicht, doch jetzt hatte konnte ich nur eines in seinen Augen lesen.. Panik ! Er war nun bei mir und versuchte mich brüllend davon zu überzeugen, umzukehren. Ich verstand gar nichts und auch die hysterische Menge, die an mir vorbei raste, konnte mich nicht davon überzeugen, dasselbe zu tun, im Gegenteil. Ich wollte jetzt wissen, was eigentlich der Grund für diese Massenpanik war und lief unbeirrt weiter zum Strand. Auf den letzten Metern sah ich schon, dass etwas anders war, wie sonst.. ganz anders !

Die Tauchbasis wurde normalerweise durch eine kleine Straße vom Strand getrennt, doch da wo eigentlich die Straße sein sollte, war nun Wasser, das langsam zu steigen schien. Leute standen bis zu den Knien im Wasser und starrten völlig fassungslos auf das Meer, das sich nun langsam wieder zurückzog. Das Geschrei um mich herum, die flüchtenden Menschen und der Anblick derer, die nur wie zu Salzsäulen erstarrt dastanden, das alles war ein solch irreales Bild, dass ich diesen Moment kaum in Worte fassen kann. Ich hatte allergrößte Mühe meine Gedanken zu ordnen, denn ich verstand nur den berühmten Bahnhof. Ich entdeckte zwischen all den Menschen endlich Jens, einen unserer Tauchlehrer. Noch bevor ich ihn fragen konnte, was hier eigentlich für ein Film läuft, fiel mir die rosarote Brille der letzten Tage endgültig von der Nase. Das Meer zog sich nun wieder langsam zurück, doch es wich weiter zurück, als es bei normalem Wellengang der Fall war. Da wo eigentlich das Meer anfangen sollte, war nun nur Sand und einige Pfützen, so dass das Wasser nun ca. 20m vor der eigentlichen Wasserlinie zum stehen kam. Nun stieg auf ein Mal der gesamte Meeresspiegel an und es sah aus, als ob jemand den gesamten Ozean mit einer riesigen Hand von unten anhob. Das Meer lief einfach über ! Nun klatschte auch mir das Wasser um die Beine und ich begriff langsam, was hier los war. Geäst, Steine, Gerümpel, alles was nicht niet und nagelfest war, wurde nun einfach mitgerissen. Plötzlich kam wieder dieser gigantische Sog aus dem Meer und holte sich alles, was es bis da hin mitnehmen konnte und zog es mit sich. Dieses Mal allerdings, wich das Meer viel weiter zurück und wollte scheinbar gar nicht mehr kommen.. es hörte einfach nicht auf zurück zu gehen. Nun fiel mir schlagartig alles wieder ein und endlich begriff ich, was los war. Das Rucken und Rütteln an meinem Bett.. dieses Ereignis war kein böser Traum ! Mir fiel auf ein Mal ein, dass ich hier nicht am Bodensee bin, sondern in Südost - Asien.. einem Erdbebengebiet ! Ich erinnerte mich an einige Sendungen, die von Tsunamis in Japan handelten und die ich bei Discovery Channel gesehen hatte. Mein Gott ! Es war wie ein Schlag in den Magen, denn mir wurde übel und ich bekam eine Gänsehaut, obwohl es so heiß war. Ich hatte Angst.. wahnsinnige Angst !

“Ein Tsunami !!!“ hörte ich mich nun selber schreien und nun unterschied ich mich überhaupt nicht mehr von all den anderen Menschen, die wie wild durcheinander schrien und mit den Armen in der Luft herum ruderten. “Run, run, the water is coming back soon, it´s a Tsunami !! “ schrie ich nun die umstehenden Leute an, doch keiner nahm von dieser hysterisch herumbrüllenden Langnase Notiz. Ich schubste die mir am nächsten stehenden Leute weg vom Meer und brüllte immer wieder “ Tsunami !! Tsunami !! “. Eine Frau, die ich gerade weiter schubsen wollte, sah mich nur böse an und riß sich los, um näher an den Strand zu gehen. Es war ein unglaubliches Bild. Da liefen Leute so schnell sie konnten, weg vom Meer und andere taten genau das Gegenteil. Es gab sogar richtige Spezialisten, die nach Fischen im Matsch suchten und sich freuten, dass sie ganz trocken so weit ins nicht mehr vorhandene Meer laufen konnten. Ein spitzer, schriller Schrei riß mich aus meinen Gedanken und brachte mich wieder in die furchtbare Realität zurück. Ein kleines Kind hatte diesen markerschütternden Schrei von sich gegeben und sorgte damit dafür, dass ich bis heute zusammenzucke, wenn ein Kind so hoch schreit.
Nun machte ich endlich kehrt und fing an zu rennen, oh ja und wie ich rannte.. die Gedanken in meinem Kopf wirbelten durcheinender. Ein Tsunami ! Großer Gott ! Wie hoch wird die Welle werden, wenn sie endlich das Festland erreicht ? Wie weit wird sie ins Landesinnere reichen ? Sind wir überhaupt irgendwo sicher ? Verdammt.. wir sind auf einer Insel ! Wird die Insel einfach völlig überrollt werden ? Wie hoch kann so eine scheiß Welle werden ? Auf keinen Fall in ein Gebäude, das habe ich in Discovery Channel gesehen. Also wohin ? Ich hatte eine Idee.. auf einen Berg ! Verdammt, der nächste Berg ist mindestens 2 Km entfernt und überhaupt.. ist er hoch genug ? Während ich rannte, kam ich an meinem Zimmer vorbei und mir fiel auf ein Mal ein, dass ich ja noch meine Sachen im Zimmer hatte. Verdammt.. ich musste wenigstens die Wertsachen retten. Die Video Kamera ! Sie gehörte meinem Bruder und wenn mich der Tsunami nicht umbringt, würde des mit Sicherheit mein Bruder tun, wenn ich ohne das Teil nach Hause kommen würde. Also rein in das Zimmer und ich hatte sogar noch Glück im Unglück. Ich wollte am nächsten Tag in ein anderes Zimmer ziehen und hatte alles schon fertig in meinen Koffer gepackt, auch die Kamera lag parat. Ich hatte sie zum Aufladen auf das Bett gelegt, so dass ich alles mit wenigen Handgriffen in der Kameratasche verstaut hatte. Nun musste ich leider feststellen, dass mein riesiger Koffer mich auf meiner Flucht vor der Welle nur behindern würde, weil er so schwer war. Ich nahm ihn kurzerhand und warf ihn auf den Wandschrank, so dass er nun ca. 2,20 m hoch lag. Die Kameratasche war klein und würde mich nicht zu sehr einschränken.. zumal ja auch mein Leben davon abhing. Also hängte ich mir die Tasche um und hetzte wieder hinaus, um weiter um mein Leben zu rennen.
Ich spurtete durch den Garten immer weiter weg vom Meer und riß mir dabei die Haut blutig, da ich immer wieder durch Gestrüpp behindert wurde. Ich musste auf eine Straße, war mein nächster Gedanke und ich fand auch einen asphaltierten Weg, von dem mich nur ein kleiner Zaun trennte. Ich war selber erstaunt, wie hoch ich springen konnte, denn ich war mit einem Satz drüber und konnte nun richtig Gas geben. Plötzlich hörte ich ein bekanntes, knatterndes Geräusch hinter mir und ich stellte mit Erleichterung fest, dass es Emm war, der Thai von den AQUADIVERS ! Er raste mit seiner 125ccm Honda heran und brüllte schon von Weitem “Come, on, come on ! Hurry up !“. Er machte genau neben mir eine Vollbremsung ohne dabei das Geschrei zu vergessen. “ Hurry up ! “ schrie er und klopfte dabei wild auf die Rücksitzbank hinter sich. Ich hechtete mich auf das Moped und musste dabei höllisch aufpassen, denn Emm gab schon wieder Vollgas, bevor ich richtig Halt gefunden hatte.
“Is the water coming ?“brüllte ich durch das Geknatter und er drehte kurz den Kopf, “Oh yes, big water! Big water!“ brüllte er zurück und ich krallte mich bei diesen Worten noch mehr in das Leder seiner Rücksitzbank...

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Tag der Veröffentlichung: 12.09.2008

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