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Nimm die Seele nicht mit rein.

Impressionen aus einem Tag in einem bayerischen Staatsgefängnis.


20. Sicherheit und Ordnung
20.1
Sie haben sich nach der Tageseinteilung der Justizvollzugsanstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) zu richten. Sie haben beim Wecken sofort aufzustehen, sich zu waschen und anzukleiden, Ihr Bett zu machen und Ihren Haftraum zu reinigen. Jedes ruhestörende Verhalten ist zu unterlassen.

Es ist noch dunkel. Eigentlich ist es hier immer dunkel, aber das ist nicht die Schwärze der Nacht, die Fenster sind zwei Meter über dem Boden angebracht, das erhellt den Raum nie so richtig, es ist immer so etwas wie Dämmerung, nicht so stimmungsvoll wie etwa in einer schummrigen Kneipe, nein, es hat den Eindruck, als würde sich die Sonne weigern, hier zu verweilen.
Einer öffnet die Vorhänge und Fenster, dann holt er Wasser und hängt einen Tauchsieder rein. Erst danach geht er sich waschen. Drei andere Gefangene begeben sich auch in die Waschzelle. Einer setzt sich zu einem Morgenschiss hin, er nimmt keine Rücksicht darauf, dass man sich die Zähne putzen will und der Geruch Brechreiz verursacht. Ich muss ohnehin warten. Wir sind überbelegt, vier Waschbecken für sechs Gefangene. Das Wasser ist eisig kalt. Draussen im Gang ist ein Waschbecken mit Warmwasserversorgung, aber um die Uhrzeit ist der Boiler noch nicht angeheizt. Ausserdem stinkt es nach Verwesung und Fäulnis. Schuld sind die Gefangenen selbst: Sie schütten ihre Essensreste immr rein, und so ist es ständig verstopft. Einer reisst sich sein Pflaster, ein von einer frischen Tätowierung und mit Blut verschmiertes Objekt, runter und wirft es dazu.
Bei manchen sind Empfindungen wie Ekel so abgestumpft, dass man glauben könnte, sie wären auch in Freiheit nie existent gewesen. Ihr haltet uns wie Tiere, also benehmen wir uns wie Tiere, scheint der Konsenz

zu sein.
Margarine, Marmelade, das Brot breche ich, das Messer ist zu stumpf , um damit zu schneiden, ausserdem ist die Klinge so schmal, dass es sich schon beim Butter schmieren verbiegt. Später am Arbeitsplatz haben sie Hämmer, Sägen, Sensen und dergleichen, aber ein funktionsmässiges Besteckmesser ist nicht erlaubt.
Zu trinken gibt es Kaffee-Ersatz aus Roggen. Wer Einkauf hat, brüht sich Pulverkaffee auf. Einer fegt die Zelle aus, die Pferdedecken fusseln ab, es ist ein Kampf gegen die Windmühlen, ein paar Stunden später liegt der Flaum wieder überall herum. Die anderen rauchen schweigend. Langsam beginnen drei ein Gespräch, leise, fast beschwörend, kaum gestikulierend, reden sie. Ich verstehe sie sowieso nicht. Es sind Russen. Ein anderer ist Rumäne. Zwei Deutsche. Viele Leute aus dem Ostblock und den neuen Bundesländern. Der Eintritt in das kapitalistische Wesen scheint seine Tücken zu haben.
Ich habe mir Tee vom Vortag aufgehoben und fülle ihn in eine Plastikflasche um. Mein Arbeitsplatz ist draussen im Wald, alles was fürs Holz machen so anfällt, Äste abschlagen, die gefällten und zerstückelten Baumstämme auf Anhänger laden, da gibt es nichts zu trinken, und die Arbeit ist schwer und langweilig. Na ja, wer hat mir einen Traumjob versprochen? Niemand. Also.


An einem Traktor ist ein Gummiwagen angekoppelt. Als Aufsatz ist eine Art Häuschen montiert (die Gefangenen und auch die Beamten nennen es auch „Vogelhäuschen“ wegen seiner Optik), zwei festgeschraubte Bänke darin: unser Transportmittel. Zwei Kilometer bis in das Waldstück. Werkzeug fassen, Sägen, Äxte, Sensen und Rechen. Vormittags sollen wir im Wald arbeiten, danach Gras mähen und Heu zusammen rechen. Regen wechselt sich mit Sonnenschein ab, aber das Wetter kümmert mich nicht, eine Uhrzeit gibt es nicht, natürlich gibt es sie, aber nicht für uns, die wenigsten haben eine Uhr, und endlich ist es Mittagszeit. Wir werden zurück in die Anstalt gefahren. Essen fassen. Salzkartoffeln mit Gemüse, das aus Kohlrabi, Karotten und einer Mehlschwitze besteht. Ich esse mein restliches Brot vom Frühstück dazu, danach einen Apfel, den ich vom Vortag habe, über den ich Zucker streue. Was Süßes habe ich nicht, ich bin erst kurz hier und habe noch keinen Einkauf gehabt. Zu trinken gibt es erst abends was.
Eine halbe Stunde lege ich mich hin. Zwinge mich, nicht einzuschlafen, der halbe Tag liegt ja noch vor uns.
Ich sehe aus dem Fenster. Da sind die Berge meiner Heimat, die ich einmal geliebt habe, aber sie sind durch die Mauern verdeckt, man kann nur erahnen, dass dahinter der Chiemsee ist und die Kampenwand, ein mächtiges Bergmassiv und Skigebiet.
Die Zellenkollegen arbeiten alle ausserhalb der Anstalt, ich habe also diese Stunde für mich alleine. Eine Tageszeitung habe ich gefunden, sie leistet mir Gesellschaft, drei Tage alt, aber im Augenblick für mich aktueller als alles andere, weil es selten ist, dass mal jemand eine Zeitung liegen lässt.
Einen Brief wollte ich schreiben, zwei Briefmarken habe ich noch, aber was soll drin stehen? Ein Vakuum mit Nichts ausfüllen. Ich könnte die Briefmarken auch sparen und sie gegen eine Tafel Schokolade eintauschen. Etwas kämpft in mir. Ich überlege es mir noch. Der Brief, dessen Inhalt ohnehin belanglos wäre, muss vorläufig noch warten.
Wir satteln wieder auf. Ein Wassergraben muss vom Schilf und Unrat befreit werden. Drei Stunden hantiere ich mit Sense, Mistgabel, Spaten und Rechen. Dann ist Feierabend.
Das Duschwasser ist kalt. Wir haben das Pech, als letzte zu kommen, da waren schon fast alle duschen, deswegen ist es nicht mehr heiß. Noch ist Sommer, deshalb berührt mich das nicht. Sommer. Einer von Zweien, die ich hier verbringe. Zwei Geburtstage, zwei Weihnachtne, zwei Ostern. Zwei Jahre meines Lebens, die ich einfach verschenkt habe, als wäre ich ein Saurier, der 200 Jahre alt werden kann.
Heute gibt es Bücher, vier Stück pro Monat, leider habe ich sie in drei Tagen ausgelesen, wenn das Wochenende kommt. Ich freue mich. Kerouac „On the road“ ist dabei, ein Hohn, so etwas zu lesen, wenn man eingesperrt ist. Ich hole mir die Freiheit damit herein. Für ein paar Stunden. Abendessen. Dosenfisch in Senfsauce. Tee. Die anderen schweigen, wie immer. Eine ruhige Zelle. Um Zehn löschen wir das Licht. Noch lange liege ich wach, versuche mich zum Schlafen zu zwingen, in sieben Stunden muss ich ja wieder aufstehen. Der Rumäne schnarcht furchtbar, ich stehe auf und stopfe mir Toilettenpapier in die Ohren. Das juckt zwar, aber es dämpft. Ich wälze mich in und her. Wenn ich weinen könnte, würde ich es tun. Aber das ist im Vollzugsprogramm nicht vorgesehen.


Ralf Göhrke – März 2008

Fast 2 Jahre später:



Acht Quadratmeter im Keller. Jeden Montag muss der Stuhl an die Heizung gestellt werden. Grund ist die wöchentliche Kontrolle der Gittterstäbe. Die Fenster sind in zwei Meter Höhe, der Schließbeamte hat erst freie Sicht auf die Eisenstangen und den Hof - der mit seinen Zäunen und der Stahlkonstruktion in U-form an einen Käfig erinnert - nachdem er den Heizkörper erklommen hat. Seine Kletterhilfe ist das einzige Mobiliar, alle anderen Einrichtungsgegenstände sind fest in den Betonwänden verankert. Tisch, Sitzbank, die Schlafpritsche, der Spind, alles eingemauert oder verschraubt. Nichts für Freunde des Feng Shui. Der Anteil an Tageslicht ist gering, beinahe Tag und Nacht brennt das Neonlicht, man soll ja schließlich etwas sehen, wo es gar nichts zu sehen gibt. Um Mitternacht erlischt es automatisch, morgens um sechs Uhr flammt es wieder auf. Den Lichtschalter nutze ich nie, meinen Tag- und Nachtryhtmus überlasse ich deren Zeitschaltuhr. Die Wände sind kahl, ein gelbliches Weiß, um die Toilettenschüssel und die Fliesen, auch weiß, auch gelblich. Der Boden, blanker Estrich, grau gestrichen, kann auch blau sein, nicht definierbar. Die Deckenwand ist unverputzt, man sieht schmerzlich die einzelnen Segmente der Betonblöcke, die Nähte sind wulstige Narben, unverstrichener Mörtel. Bilder, Poster, sonstiger Wandschmuck, alles, was das Ganze etwas wohnlicher machen könnte, verboten. Eine sogenannte Posterwand, eine kleine Fläche über der Schlafpritsche, hier darf was angebracht werden. Ein Kalender, ein paar Familienfotos, ein Mannschaftsfoto meines Lieblingsfußballvereins und die Fläche ist voll. Das Bekleben des Schrankes, den jeder bei der Sperrmüllabfuhr stehen lassen würde, wird mit einer Einkaufssperre bestraft. Trotz des strikten Verbotes schlage ich mit einem Marmeladenglas, dass ich zu einem Hammer Zweck entfremdet habe, einen Nagel in die Wand. Den habe ich beim Hofgang gefunden. Einen Rosenkranz hänge ich daran, der Anstaltspfarrer hat ihn mir auf Antrag hin gebracht. Es wird toleriert. Sie haben es zwar bemerkt, aber an Jesus wollen sie sich doch nicht vergreifen. Schließlich sind wir in Bayern. Erzkatholisch, Erzkonservativ. Erzverlogen.
Über dem Tisch ein eingebauter Lautsprecher, er dient ausschließlich den Hausdurchsagen. Musik kommt da keine raus. Die Türe aus Stahl, gelblich gestrichen, den Spion habe ich schon am ersten Tag mit Toilettenpapier verschlossen. Die Dinger sind verboten. Die Kostklappen auch. Als wenn sich der Vollzug dadurch ändern würde, weil sie einem jetzt nicht mehr beim Scheissen zusehen können oder ihren Rattenfraß nicht mehr durch eine Klappe schieben können.



Der letzte Hofgang. Schweigend drehe ich meine Runden, rauche, ab und zu grüße ich einige von den "Alten", die Hallos der Neuen ignoriere ich. Man wird arrogant wenn man länger hier ist. Bei mir hat es auch ein halbes Jahr gedauert bis mich die Altknackis zur Kenntnis genommen haben. Viele Gesichter, die ich vor einem Jahr schon mal sah, Wiedergekommene, sie scherzen und lachen mit den Kumpels von früher: Stammgäste. Ein zweifelhaftes Urlaubsdomizil, dass sie sich immer und immer wieder aussuchen, in Intervallen laufen sie hier ein. Sie kommen draußen nicht zurecht. An einer Reckstange baumelt einer mit den Beinen nach oben und macht Turnübungen. Auf seiner Brust hat er das Porträt Adolf Hitlers tätowiert, auf dem Rücken SS-Runen und den Reichsadler. Ein bulliger Schwarzer geht vorbei und kickt ihm die Beine weg. Der Turnrecke fällt mit dem Kopf auf den harten Beton, rappelt sich auf, Blut rinnt ihm über seinem polierten Schädel. Böse sieht er dem Neger nach, der sich nicht mal umdreht. Die Hofbeamten sehen flissentlich weg. Alltagszoff. Nicht der Rede wert. Kein Tagesthema. Gewalt ist hier so normal wie die stinkende Kohlsuppe jeden Mittwoch.
Beim Einschluss sagt mein Stockbeamter: "Die letzte Nacht. Schon aufgeregt?"
Ich schüttele den Kopf. Nein, aufgeregt bin ich nicht. Die letzten Tage und Nächte ja, jetzt nicht mehr. Da ist nur eine Leere, so, als ob mich das Ganze gar nicht betreffen würde. Ich schlafe auf der nackten Pritsche. Bettzeug und Schaumstoffmatte habe ich schon zusammen gelegt. Will die Minuten morgen früh nicht verschenken. Alles ist fix und fertig.




Kleiderkammer, umziehen. Frische Sachen an, keine stinkende und geflickte Gefängnisuniform mehr. Man steigt in die Kleider, und es ist, als ob einem der Dreck der Jahre abfällt, ein Trugschluss für Minuten. Zahlstelle, 460 Euro für zwei Jahre, meinen Ausweis, der Entlassungsschein. Dann schließt sich die schwere Türe hinter mir. Einmal drehe ich mich noch um, sehe die Barackenförmigen Häuser, die knorrigen Bäume, die Mauern, die Elektrozäune, den Stacheldraht. Vor mir der verschneite Parkplatz, keine Spuren im Schnee. Insgeheim habe ich gehofft, dass Sie da ist, mich in den Arm nimmt und ich ihr schweigend zum Auto folgen werde. Oder vielleicht ein Freund. Irgendjemand. Lange schweifen meine Blicke über diese triste Gegend.

Da ist niemand.

Bernau am Chiemsee, März 2009

Impressum

Texte: Illustration (Wie immer) by Heiner Hink
Tag der Veröffentlichung: 20.03.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für mich

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