Name: Caspar de Fries
Buchautor und Schriftsteller
Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben
Texte und Bildmaterialien:
Caspar de Fries
Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 14.03.2015
Die Handlung und die Namen der Darsteller sind frei erfunden. Sonstige Ähnlichkeiten wären rein zufällig
Während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges war das heutige Deutschland in viele Kleinstaaten aufgeteilt, welche sich im überstaatlichen Gebilde des Heiligen Römischen Reiches zusammenfanden. Einige der deutschen Staaten unterstützten die britische Seite aus verwandtschaftlichen Beziehungen zu den eigenen Herrscherhäusern. Als 1775 die amerikanischen Kolonien gegen die britische Krone rebellierten, schloss man eine militärische Allianz, und vereinbarte Subsidien-Verträge, also Vermietung ganzer Regimenter, um die Engländer im Kampf gegen die Rebellenarmee in Amerika zu unterstützen.
Die entsendeten Soldaten waren froh über ihr Eingreifen in Amerika, zum einen, weil sie dadurch auch finanzielle Vorteile durch erteiltes Handgeld bekamen, zum Anderen, um aus ihrer sehr zukunftsarmen Heimat zu entkommen, und eventuell in Amerika ein neues Leben zu beginnen. Die Ausbeutung der Bevölkerung durch ihre Herrscher nahm beträchtliche Maße an, und da war ein Soldatenleben mit geringem Sold und mindestens einer warmen Mahlzeit am Tag die bessere Variante.Aus heutiger Sicht wirken die Motive der damaligen Zeit fremd und eigenartig, wie der Text eines zeitgenössischen Soldatenliedes aus Hessen-Kassel beweist:
Juchheissa nach Amerika, Dir Deutschland gute Nacht!
Ihr Hessen, präsentiert’s Gewehr, Der Landgraf kommt zur Wacht.
Ade, Herr Landgraf Friederich, Du zahlst uns Schnaps und Bier!
Schießt Arme man und Bein’ uns ab, so zahlt sie England Dir.
Ihr lausigen Rebellen ihr, Gebt vor uns Hessen Acht!
Juchheissa nach Amerika, Dir Deutschland gute Nacht.
Die Landgrafschaft Hessen-Kassel unter Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel, ein Onkel des britischen Königs Georg III., entsandte zunächst mit anderen Grafschaften zusammen mehr als 20.000 Soldaten nach Amerika. Um während des Krieges die vielen Verluste auszugleichen und die Reihen zu schließen, mussten immer neue Soldaten verpflichtet werden. In den kleinen deutschen Staaten kam es zu Engpässen der männlichen Arbeitskräfte. Große Flächen von Feldern lagen brach, und wurden nicht mehr beackert. Junge Familien riss man mit den Kriegstreibereien auseinander, dazu gesellten sich alte Leute und etliche verwaiste Kinder.
Viele junge Männer folgten dem Ruf nach Abenteuer, weil sie in ihrem Land keine Zukunft mehr sahen. So auch der fast 18-jährige Samuel Hauser, der den Beruf eines Schmiedes und Büchsenmachers erlernte. Er wollte ebenso in Amerika sein Glück suchen, und schloss sich den vielen Heerscharen an, die von Bremer-Lehe aus mit britischen Truppentransportern nach Amerika verschifft wurden.
Während Samuel Hauser, ein fast 18-jähriger junger Mann, 175 cm groß, breitschultrig, athletisch gebaut, blonde Haare, grüne Augen, eine leicht gebogene Nase, seine wenigen Habseligkeiten packte, ging ihm Einiges durch den Kopf. War es richtig, hier alle Freunde und Bekannte zu verlassen, nur um an einem Krieg teilzunehmen? Doch anderseits, wenn sich wirklich so viele Männer diesem Aufruf von Landgraf Friedrich II. anschlossen, gegen die Rebellenarmee in Amerika zu kämpfen, die sich gegen die britischen Kolonialherren auflehnten, um in Freiheit zu leben, wurde es hier im Land sehr ruhig, denn auch seine Freunde verließen das Land.
Samuel schüttelte den Kopf, was wissen wir schon von der großen Politik? Es wird schon die richtige Maßnahme sein, gegen diese Rebellen anzugehen. Wo kämen wir denn dahin, ständig gegen das eigene Land zu kämpfen und eine bestehende Ordnung zu zerstören? Nun, ich habe mich dazu entschlossen, mit nach Amerika zu gehen. Es wird schon seine Richtigkeit haben, denn man sollte sein eigenes Schicksal nicht ständig hin und herschieben.
Samuel nahm seinen gefüllten Armeeaffen unter den Arm, stieg die wenigen Stufen von seiner Dachkammer zur Wohnküche seines Meisters Karl-Josef Teichmeyer und seiner Ehefrau Elisabeth hinunter, um mit ihnen noch eine Tasse Tee zu trinken, bevor er sich endgültig von ihnen verabschiedete. Er wollte sich freiwillig dem Aufruf der Soldatenanwerber stellen, um mit den vielen Tausend neuen Soldaten oder altgedienten Veteranen in den Krieg nach Amerika zu ziehen.
Samuel lebte seit seinem zweiten Lebensjahr bei den Teichmeyers, die ihn wie ihren eigenen Sohn aufzogen und behandelten. Seine richtigen Eltern verstarben an einer Lungenkrankheit. Schon früh erkannte Meister Teichmeyer die handwerklichen Fähigkeiten seines Zöglings, und förderte ihn in der Kunst des Schmiedens und der Büchsenherstellung. Der Besuch einer Schule gehörte ebenso dazu, wie die Leitung eines Geschäftes mit dem höflichen Umgangston zu seinen Mitmenschen.
Samuels Ideen zu neuen Herstellungsmethoden von schmiedeeisernen Dingen, wie die Reparatur und der Umbau altgedienter Waffen, oder die Eisenmischung in gebräuchlichen Werkzeugen und Gegenständen sprach sich bei vielen Leuten aus der Umgebung herum, die Bestellungen zeigten es.
„Samuel,“ sagte die mütterliche Elisabeth Teichmeyer, „ hast du auch genügend warme Kleidung für die wirklich kalten Tage im Winter eingepackt?“
„Ja, Mutter Elisabeth, ich denke, es ist ausreichend.“
„Mein Junge, ich habe dir für unterwegs deinen Lieblingskuchen, den Streuselkuchen mit Apfel eingepackt. Viel kann ich doch nicht mehr für dich tun, denn ich sehe es dir an, dass dein Entschluss feststeht.“
„Ich habe lange darüber nachgedacht, ob dieses Kriegsabenteuer etwas für mich ist. Der Krieg nein, aber die Chance in Amerika mein Glück zu suchen, hat mich dazu bestärkt. Ich möchte euch beiden für die Fürsorge und Liebe zu mir der vielen Jahre danken, ich werde euch nie vergessen.“
Samuel nahm Mutter Elisabeth fest in den Arm, und konnte es nicht verhindern, dass sich ein paar Tränen bei ihr lösten.
Die Tür zum Verkaufsraum der Werkstatt öffnete sich, und Major Karl Eisenbarth, ein passionierter Jäger und Adjutant von General Christian von Isenburg des Kavallerieregiments K4, betrat den Raum. Samuel Hauser stand sofort auf, um den wahrscheinlich letzten seiner Kunden zu bedienen.
„Guten Tag Samuel, ich wollte fragen, ob meine Jagdflinte schon repariert ist, denn morgen ist es soweit, wir ziehen mit fast 20.000 Soldaten in den Krieg nach Amerika. Ich weiß dann nicht, wann ich wieder zurück bin.“
„Guten Tag, Major Eisenbarth, die Flinte ist fertig, nur, ich musste sie ein wenig umbauen, weil nicht nur das Steinschloss einen Riss zeigte, sondern dadurch auch die Halterung des Laufes verbog. Aus der Flinte ist jetzt ein Gewehr mit Klapplauf geworden, sodass man die Kugel nicht mehr mit Zündkraut abschießt, sondern mit einem Zündtütchen gefüllt mit Schwarzpulver, welches durch das Spannen der Schussvorrichtung einen Zündfunken erhält. Die Menge des Schwarzpulvers im Zündtütchen kann man selbst bestimmen, entsprechen weit fliegt auch die Kugel.“
Samuel präsentierte seine neue Umbaumaßnahme, was auch gleichzeitig eine Neuheit in der Gewehrherstellung bedeutete. Er zeigte die schnelle Handhabung, und auch den genauen Schuss, indem er draußen vor der Tür auf einen Ast eines Baumes zeigte, den er mit einem schnellen Schuss traf.
Major Eisenbarth schüttelte den Kopf. Er machte Samuel alle Handhabungen nach, klappte den Lauf nach unten, drückte ein Zündtütchen und eine Kugel in die Vorrichtung, klappte den Lauf zu, spannte die Abschussfeder, zielte und drückte ab. Ein weiterer Ast des etwa 100 Meter entfernten Baumes zersplitterte. Inzwischen stand auch Meister Teichmeyer hinter ihnen, und nickte mit dem Kopf. Er wusste, dass Samuel ein wirklicher Könner der Waffentechnik war. Der junge Mann musste nur die Gelegenheit haben, seine Ideen auszuleben, sie anzuwenden. Und das konnte er zurzeit nur beim Militär.
„Sag einmal Samuel, in Dir schlummern noch viel mehr Möglichkeiten, willst Du uns nicht als Schmied und Büchsenmacher nach Amerika begleiten? Du wirst viele Möglichkeiten erhalten, Dein Können unter Beweis zu stellen. Den riesigen Tross begleiten auch verschiedene Handwerker, mit denen Du dann zusammen für die mobile Werkstatt verantwortlich bist. Über Arbeit wirst du dich nicht beklagen, denn die vielen Waffen müssen auch gewartet und repariert werden.“
„Major Eisenbarth, Ihr wart vorerst mein letzter Kunde in dieser Werkstatt. Ich verabschiedete mich gerade bei meinem Meister und seiner Frau, denn ich wollte mich freiwillig zum Militär melden, und morgen mitziehen.“
„Samuel, das freut mich, wenn Du die Garnison aufsuchst und Dich einschreibst, frage sofort nach mir. Lasse Dich nicht abwimmeln. Sie werden Dich entsprechend weiterleiten. Ich freue mich, dass Du mitkommst. Auf Wiedersehen Meister Teichmeyer, es wird hier in der Gegend sehr ruhig werden. Keine Angst, Samuel wird sich schon behaupten.“
„Samuel,“ sagte Meister Teichmeyer, nachdem der Major den Laden verlassen hatte, „ komme mal bitte mit in die Werkstatt, ich habe noch etwas für Dich.“
Karl-Josef Teichmeyer öffnete die Tür eines uralten Schranks mit Hilfe eines großen Schlüssels, den er aus einem Schubfach unter der großen Werkbank hervorkramte. In weichem Filztuch eingeschlagen, mit einem Stück grünem Faden eingebunden, holte der Büchsenmeister dieses für Samuel recht ungewöhnliche Päckchen aus dem Schrank, und legte es auf die Werkbank. Er zog an den Enden des grünen Fadens, und faltete das Filztuch aus einander. Das Innenleben des Tuches bestand aus vielen Taschen, in denen selbst angefertigte Spezialwerkzeuge für die Feinmechanik der Büchsenherstellung und anderen Gegenständen untergebracht waren.
Hauchdünne Metallplättchen zur Abstandmessung von Kugel und Lauf, ganz kleine bis mittlere Feilen, vorgefertigte Rohschlüssel, Schlossöffner in verschiedenen Varianten, Bohrer für Metall und Holz, und viele wichtige Werkzeuge mehr.
Doch das Prunkstück aller vorgelegten Sachen gehörte einer auseinandernehmbaren Armbrust mittlerer Größe aus Elfenbein am Schaft und einem Spannrahmen aus vielen hauchdünnen, sehr schmalen Stahlplättchen, die übereinandergelegt verschraubt waren, die letztlich die Federung übernahmen. Zum Spannen nutzte man ein extra gedrehtes dünnes, eingefettetes Stahlseil, welches mit einem Hebel in drei Spannvarianten, je nach Schussweite, gehoben wurde. Kurze und lange Eisenpfeile sorgten für eine enorme Durchschlagskraft.„Samuel, diese Dinge, die vor mir ausgebreitet liegen, möchte ich an dich weitergeben. Du bist inzwischen fachlich soweit, dass ich dir nicht mehr viel beibringen kann. Ich hoffe, die Werkzeuge bringen dir genauso viel Glück, wie mir. Ich weiß, dass du ein hervorragender Armbrustschütze bist, und hoffe, wenn du sie zur Jagd nutzt, und dabei hin und wieder an deinen alten Meister denkst. Dein Weg nach Amerika ist weit, der Krieg wird einige Jahre dauern. Junge, ich glaube nicht, dass wir uns noch mal wieder sehen. Elisabeth und ich werden oft an dich denken, und für dich beten, solange wir noch leben. Wir wünschen dir eine glückliche Zukunft.“
Zur Militärbasis musste Samuel einen längeren Fußweg in Kauf nehmen. Dabei genoss er bei herrlichem Frühlingswetter den Fußmarsch durch die abwechslungsreiche Natur, mit seinen weiten Wiesen, einem kleinen See, der durch einen plätschernden Bach gespeist wurde. Er lächelte vor sich hin, als er die vielen Singvögel in ihrem eindringlichen Gesang und den vielen Balzversuchen zuhören konnte.
Ein Fischreiher stakste am Ufer des kleinen Sees und fischte den einen oder anderen Fisch. In den hohen Lüften beobachtete er einen Bussard, der mit ruhigen Schwingen seine Kreise zog, und nach Beute Ausschau hielt.
Nach ungefähr zwei Stunden erreichte Samuel Hauser die große Militärbasis in der Nähe von Kassel. Er schaute von einem Hügel herunter, und beobachtete einen kleinen Moment diese rege Hektik. Überall verlud man verschiedene Gegenstände auf die Pferdewagen, dazu gellten laute Befehle über den breiten Platz der Anlage. Samuel bemerkte die kribbelnde Nervosität der Verantwortlichen, denn der große Abmarsch zur Einschiffung in Hannoversch- Münden sollte in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages beginnen. Von hier starteten über 12.000 Soldaten der verschiedensten Waffengattungen des Landgrafs Friedrich II. von Hessen-Kassel, während bereits rund 8.000 Soldaten aus anderen Landgrafschaften nach Münden unterwegs waren.
Die vielen Soldaten mit ihren Pferden, Gespannen, Kanonen und Küchenwagen schifften sich auf den vielen Flussladeschuten ein, welche sie bis nach Bremen-Lehe zu den wartenden britischen Truppentransportern schafften, die dann die lange Schiffsreise über den Atlantik bis in die Delaware-Bay zu den verschiedensten Bestimmungsorten unternahmen. Ein Mammutunternehmen der höchsten Anstrengung für alle Beteiligten.
Samuel erreichte die ersten Wachen des großen Geländes und fragte:
„Mein Name ist Samuel Hauser, ich bin mit Major Eisenbarth, Adjutant von General von Isenburg, Kavallerieregiment K4, verabredet. Wo kann ich ihn finden?"
„Das Regiment befindet sich in dem großen rechten Gebäude.“
„Vielen Dank.“
Samuel musste vor dem Gebäude weitere Wachen in ihren blitzenden blau-weiß-roten Uniformen, nach oben spitz zu laufenden goldenen Metallhelmen und dem geschulterten Vorderlader, passieren. Er fragte:
„Wo finde ich Major Eisenbarth, Adjutant von General von Isenburg?“
„Die Treppe hoch, den Gang rechts, hintere Tür.“
„Vielen Dank.“
Samuel Hauser stand vor der Tür, schaute auf das Schild Major Eisenbarth, zögerte einen Moment, und klopfte dann zwei Mal an die Tür. Er vernahm ein kräftiges: „Herein“, und öffnete.
„Ah, Samuel Hauser, das freut mich, dass Du den Weg hierher gefunden hast. Hast Du Dich schon registrieren lassen?“
„Nein, ich bin direkt zu Euch gekommen.“
„Na, dann komme mal mit, ich begleite Dich zur Registratur. Alle weiteren Schritte werden sie Dir schon erklären. Ich sprach vorhin mit General von Isenburg, welche Verstärkung wir erhalten. Er freute sich sehr über Deinen sicherlich nicht einfachen Schritt, die Werkstatt zu verlassen. Er schaute immer wieder auf das umgebaute Gewehr, so, als wenn er es nicht ganz glauben konnte, was man mit älteren Waffen alles anstellen kann.“
Major Eisenbarth sprach ein paar Worte mit dem Verantwortlichen Leutnant der Registratur und meinte:
„So, Leutnant Weber wird alle Formalien mit Dir erledigen. Ab sofort werde ich auch nicht mehr das Du verwenden, denn Eure offizielle militärische Einordnung wird Obergefreiter als „Landgräfischer Schmied und Büchsenmacher“ des Kavallerieregiments K4 sein, mit General von Isenburg an der Spitze. Eure Aufgabe besteht hauptsächlich in der Wartung und Reparatur von Waffen, sowie der Verteidigung des eigenen Lagers. Bis bald, ich denke, wir sehen uns öfter.“
„Obergefreiter Hauser, ab sofort gehört Ihr zu unserer Truppe. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit. Ich möchte Euch bitten, ranghöhere Offiziere mit einem Gruß der rechten Hand an der rechten Stirnseite zu begrüßen, eine Geste, die im Soldatenleben nun einmal Brauch ist. Als halbziviler Offizier braucht Ihr an keinen Drillübungen, wie Marschieren, Schießübungen, oder sonstigen Arten von soldatischen Handlungen teilnehmen, nur wenn Ihr es ausdrücklich wünscht. Ich werde Euch gleich mit den anderen Handwerkern bekannt machen, die alle auf der gleichen Rangstufe stehen, und sich hauptsächlich nur um ihre vorgesehene Arbeit zu kümmern haben. Unterwegs kommen wir an der Kleiderkammer vorbei, die heute Nacht aufgelöst und in Kisten verpackt wird. Sucht Euch gleich noch Arbeits- und Ausgehkleidung in dreifacher Ausführung aus, damit Ihr auch Sachen für kältere Tage zur Verfügung habt.“
Bepackt mit soldatischer Wäsche und den eigenen Mitbringseln lernte Samuel die verschiedenen Handwerker kennen. Er war mit dieser Auswahl an Leuten sehr zufrieden. Sie grinsten ihn an, und freuten sich, keinen so arroganten Zögling der oberen Offiziere als Kameraden zu bekommen, sondern Einen, der ihre Sprache verstand.Mit dem Schmied Johann Becker, und den beiden Hufschmieden Karl und Max Breuer zeichnete sich sofort eine positive Chemie ab, ohne dass viele Worte gewechselt wurden. Mit ihnen fuhr er auch auf einem der Werkstattwagen, welcher eine komplette Schmiede mit mobiler Esse und einer stabilen Werkbank enthielt.Dazu gehörten zwei Kaltblüter, die den schweren Wagen ziehen mussten.
Weiterhin gab es einen Wagen der Tischler und Schreiner, der Sattler, Schuhmacher und Schneider. Jedes Regiment führte einen eigenen Küchenwagen mit Köchen und Metzgern, sowie zwei Nachschubwagen für Lebensmitteln und Frischwasser.
Samuel, der wesentlich ältere Johann Becker und die Zwillinge Karl und Max Breuer freundeten sich sehr schnell an. Johann, ein Kriegsveteran, fast 190 cm groß, etwa 45 Jahre, stark gebaut, schwielige Hände, ähnlich, wie die Zwillinge Karl und Max, die zwar etwas kleiner wirkten, aber unglaubliche Kräfte besaßen, zeigten Samuel die fahrbare Schmiedewerkstatt mit allen Werkzeugen und Möglichkeiten, die man sich von einer Schmiede eigentlich vorstellte. Samuel nahm die große Werkbank genau in Augenschein, und untersuchte die Werkzeuge, die für seine feinmechanische Arbeit in Frage kamen.Er meinte:
„Ich werde mir wohl noch ein paar spezielle Werkzeuge herstellen müssen, denn hiermit kann ich nicht alle Arbeiten ausführen. Johann, wie sieht es mit Rohstoffen aus, etwa Reste einer alten Kanone, alte Hufeisen oder alte Vorderlader, deren Materialien uns sehr helfen würden?“
„Dort ist die Alte Schmiede, vielleicht sollten wir sie mal nach noch brauchbaren Dingen untersuchen. Du hast recht, wir haben zu wenig Rohstoffe, daran hat bis jetzt keiner gedacht.“
Die Alte Schmiede entpuppte sich als wahre Pfundgrube für das Rohmaterial Eisen. Große Mengen alter Hufeisen, Eisenringe für Holzfässer, mehrere Eimer Hufnägel und vieles mehr fanden sie hier vor.
„Schaut euch das an,“ rief Karl Breuer, „ hier steht und liegt Vieles herum, hier wurde nie aufgeräumt. Die große Menge an fertigen Hufnägeln würde uns bereits über viele Tage hinweg helfen. Hier braucht man sich nur zu bücken.“
„Alte Hufe, die man nur in die richtige Form bringen kann, liegen als Wegwerfstück herum. Ich glaube, hier arbeiteten keine wirklichen Hufschmiede, sondern nur die Leute, die mal ganz schnell ein paar Hufe mit neuen Eisen versehen wollten.“
Die vier Männer schleppten viele dieser Sachen zu ihrem Werkstattwagen, und verstauten davon so viel wie nur möglich. Einige Säcke Schmiedekohle, der wichtigste Rohstoff zum Schmieden, fanden sie in einer direkt daneben befindlichen Remise, wo auch Samuel eine große Holzkiste mit alten Vorderladern entdeckte, die seltsamerweise keine Gebrauchsspuren aufwiesen. Alte Waffen, die einfach in Vergessenheit geraten waren? Auch die Kohle und die Kiste fanden ihren Platz in ihrem Wagen.
„Ich glaube“, meinte Johann, „dass sich in der Garnison niemand über diese Dinge Gedanken gemacht hatte. Da hieß es nur, die paar Handwerker werden es schon richten. Auf mehreren Pferdewagen brachten sie viele Kisten mit den neusten Vorderladern, dazu die Bajonette, die man auf so einen Schießprügel stecken konnte. Säbel in allen Größen, Trommeln und Pfeifen für den Angriffsbereich, eine große Kiste mit Orden.
Aber an wichtige Rohstoffe zur Reparatur ihrer Spielzeuge dachten sie nicht.“
„Eigentlich benötigten wir noch einen Wagen, der nur die Rohstoffe transportiert,“ sagte Max Breuer.„Das werden wir, kurz vor dem großen Transport, nicht mehr bekommen“, meinte sein Bruder Karl, „in ungefähr vier Stunden beginnt der Große Abmarsch.“
„Wo sind denn unsere beiden Zugtiere?“ fragte Samuel, „ich würde mich gerne mal mit ihnen bekannt machen.“
„Sie stehen dort in dem großen Stall, kommt, wir gehen mal hin“, sagte Karl Breuer.
Die beiden Kaltblüter, ein grauer Wallach und eine schwarzgraue Stute, hoben den Kopf, um zu zeigen, uns sucht ihr, wir sind eure Zugtiere, obwohl noch viele andere Pferde hier in ihren Boxen warteten.Ein Pferdepfleger schlurfte heran und meinte:
„Diese beiden Pferde wissen genau, welchen Wagen sie ziehen müssen, und euch riechen sie an der Schmiedekohle, die an euren Sachen haftet. Es sind Brabanter, die stärksten Kaltblüter der Welt. Eine Rasse die in Flandern, in Brabant, gezüchtet wird. Die beiden Tiere heißen Moritz und Else. Sie knabbern auch gerne an einem Brotkanten, hier im Eimer findet ihr noch ein paar Stücke.“
Samuel nahm sich zwei harte Brotkanten und ging auf die beiden riesigen, muskelbepackten Pferde zu, die ihn aufmerksam beobachteten, und dabei die Ohren hochstellten.
„Hallo Else, hallo Moritz, ich denke wir müssen uns vor der großen Reise noch anfreunden. Da stehen Johann, Karl und Max, die ebenfalls auf dem Wagen mitfahren. Ich habe ein paar Brotkanten für euch.“
Die ruhige Stimme von Samuel gefiel den beiden Pferden, denn sie ließen sich hinter den Ohren Kraulen, und rieben sogar ganz vorsichtig ihre Nüstern an seinen Schultern. Samuel reichte ihnen die Brotkanten, die sie mit einem leichten erfreuten Wiehern entgegennahmen und langsam mit ihrem enormen Gebiss zermahlten. Johann, Karl und Max verloren langsam ihre Zurückhaltung vor diesen Muskelpaketen, als sie sahen, wie Samuel mit diesen Tieren umging.
Nicht dass sie Angst vor diesen Tieren hatten, sondern weil sie sich noch nicht innerlich auf diese Reise eingestellt hatten, und mit diesen Tieren auf lange Zeit eine Einheit bilden mussten. Außerdem hatten sie in ihrem Berufsleben schon viele Hufe dieser Kaltblüter beschlagen. Doch die Bearbeitung der Hufe oder die dauernde Zusammengehörigkeit im täglichen Leben mussten erst gelernt werden. Sie kraulten beiden Tieren hinter den Ohren, was die beiden Brabanter mit einem leisen Wiehern quittierten. Anscheinend hatten nun Alle eine neue Freundschaft geschlossen.
Ein Signalhorn auf dem Exerzierplatz verkündete das Aufbrechen zu diesem großen Abenteuer Amerika mit unbekanntem Ausgang. Zuerst rollten die Werkstattwagen, dahinter die Kavallerie mit ihren Fahnen und dem Küchenwagen. Eine große Truppe Trommler und Pfeifer gab der Infanterie mit Fahnenträgern den Gleichschritttakt an, was der ganzen Angelegenheit sofort den richtigen militärischen Glanz verschaffte. Ihnen folgten die Küchen- Munition- und Waffenwagen, zum Schluss die Dragoner mit Fahnenschwenkern und Kanonen-Gespannen.
Eine fast endlose Schlange, über 12.000 Soldaten dazu die vielen Wagen machten sich auf den Weg nach Hannoversch-Münden, wo im Hafen sehr viele Frachtschuten auf ihre Passagiere warteten, um sie nach Lehe an der Wesermündung zu schippern. Die Wagenkolonne und die Kavallerie brauchten einen Tag, und begannen sofort die ersten Verladungen per Kran durchzuführen.
Die Infanterie, die Dragoner mit den Kanonen-Gespannen waren zwei Tage unterwegs, was aber auch bedeutete, dass sie nicht so viel Zeit in Wartebereichen vergeudeten.Die Werkstattwagen wurden als Erste verladen und begannen sofort ihre Reise auf der Weser nach Lehe.
Für Samuel war es die erste Schiffsreise in seinem Leben, auch die erste weitere Entfernung von seinem bisherigen Zuhause. Er stand im Bug der Frachtschute und konnte von hier seine ganzen Eindrücke der langsam vorbei ziehenden Landschaft einfach einsaugen.Das obere Wesertal mit den beiden Nebenflüssen Werra und Fulda lag bereits weit hinter ihnen.
Der kleine Ort Bodenwerder näherte sich, der Geburtsort und langjähriger Wohnsitz des „Lügenbarons“ Karl Friedrich Hieronymus von Münchhausen. Viele begeisterte Einwohner winkten und riefen "Hurra".
Ein wunderschönes Panorama, bei herrlichstem Frühlingswetter, zeigte den Blick auf das Weserbergland mit seinen teilweise schroffen Anhebungen und sanften Auen an der Weser. Waldbereiche, soweit das Auge reichte, durch das Süntel- und Wesergebirge, bis hin zur Porta Westfalica, wo die Weser zwischen dem Wiehengebirge und Wesergebirge hindurch auf die Norddeutsche Tiefebene trifft.
Mittlerweile standen die vier Männer der fahrbaren Schmiede zusammen am Bug der Frachtschute und schauten stumm auf die Schönheit dieser Landschaft. Ohne Worte genossen sie diese Ruhe, nur das Rauschen der Bugwelle, oder das Krächzen eines Raubvogels unterbrach diese Momente.
An das Ende der gesamten Reise wollte keiner von ihnen im jetzigen Augenblick denken. Sie kämpften bald in einem Krieg, den niemand von ihnen wirklich wollte. Ob sie ohne wirklichen Schaden aus dieser Sache herauskamen?
Die Schiffsschuten näherten sich dem Hafen von Lehe, ein Ort der zurzeit im Besitz des Königreiches Hannover war, das aus dem Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg hervorging, welches mit der britischen Krone eine Personalunion verband. Durch diese verwandtschaftlichen Verflechtungen war der britische König Georg III. auch gleichzeitig König von Hannover.
Der Ort Lehe liegt an der Mündung der Geeste in die Weser. Viele Anleger mit mobilen Kränen warteten auf die große logistische Herausforderung der britischen Militärführung, die schnell und unkopliziert 20.000 Soldaten, Wagen, Pferde und Kanonen über den Atlantik bringen wollte, um an der Ostküste der Insel Manhattan mit einer Fülle von Landungsschiffen diesen gewaltigen Tross an Menschen und Kriegsmaterial in kurzer Zeit zu entsorgen.
Die Einschiffung in die großen Linienschiffe und die Transporter für Pferde, Wagen und Kanonen vollzog sich in einer sehr schnellen und gekonnten Abwicklung. Sobald einige Regimenter mit samt ihrer Gepäckstücke die Decks der Linienschiffe füllen konnten, segelten immer drei Schiffe zusammen los, um den nachfolgenden Schiffen ausreichend Platz für die Lade-und Wendemanöver zu schaffen. Schnell erreichten die großen Linienschiffe das offene Meer, passierten die Insel Helgoland auf Steuerbord, und hielten Kurs 1°Nord und 1°Ost, Ziel die Straße von Dover.
Der Wind nahm zu, die See wurde rauer, Wellenberge brachen sich über dem Bugspriet und sprühten als Gischt seitlich am Schiff vorbei. Einige der Passagiere hingen mit den Köpfen über der Reling und ließen der inneren Natur freien Lauf. Die Meisten von ihnen wussten gar nicht, was wirkliche Wasserwellen überhaupt waren, denn sie kannten die Welt nur aus ihrer näheren Umgebung. Die Bezeichnung Meer oder Ozean, Wellen oder Brandung, Seesturm, Orkan oder Flaute kannten sie gar nicht. Vielleicht gab es nahe ihrer Heimat einen See, Teich, oder Fluss, aber mit diesen Naturereignissen mussten sie sich erstmalig auseinandersetzen.
Die weißen Felsen von Dover waren der Hingucker für alle Beteiligten. Weiße Kreidefelsen, die von vielen brütenden Seevögeln bewohnt werden. Sie machten einen unglaublichen Lärm mit ihrem Geschnatter und Gekreische. Natürlich sahen sie die großen Segelschiffe als ihre Feinde an, und vollführten wahre Angriffsflugmomente, wobei sie sich auf die neugierigen Matrosen stürzten. Der Smutje entleerte einen großen Abfalleimer mit Küchenabfällen im Meer, was die Mehrzahl der Vögel zunächst einmal ablenkte.
Samuel Hauser verbrachte viel Zeit auf dem Oberdeck, denn in den stickigen unteren Decks, zwischen den Kanonen, den schnarchenden, schwitzenden, und nach Schnaps und Bier riechenden Soldaten war es einfach unerträglich. Seine drei Kameraden Johann, Karl und Max dachten ähnlich. Sie schauten den Seeleuten zu, wie sie behände in die obersten Rahen kletterten, um nach einem Segelmanöver die Segel entsprechend zu setzen. Es fing an zu regnen, der Wind mutierte zu einem kräftigen Sturm, und der Aufenthalt auf Deck wurde zu gefährlich. Jetzt blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich in diesen Mief unter Deck aufzuhalten.
Die Schiffe ließen die englischen Inseln hinter sich, und steuerten auf den offenen Atlantischen Ozean, Kurs 11°Nord und 73°West, Ziel Ostküste Insel Manhattan an der Mündung des Hudson River.Ein junger englischer vierter Offizier des Linienschiffes suchte in den unteren Decks Samuel Hauser. Er rief:
„Mr. Samuel Hauser, bitte kommen Sie wegen einer wichtigen Angelegenheit in die Offiziersmesse, Mr. Samuel Hauser bitte.“
Diesen Aufruf rief er mehrere Male, bis auch Samuel etwas darüber hörte. Er ging auf den jungen englischen Offizier zu, und meinte:
„Mein Name ist Samuel Hauser, Ihr wolltet mich sprechen?“
„Ja, Mr. Hauser, mein Name ist John Harper, ich bin seit Kurzem vierter Offizier der St. George. Wir haben ein wichtiges technisches Problem im Bereich Waffentechnik. Major Eisenbarth, der deutsche Offizier sagte, Sie wären von Beruf Büchsenmacher, und hierzu ein guter Ansprechpartner.“
Samuel schaute seinen fast gleichaltrigen Gesprächspartner einen Moment an, und sagte: „Mr. Harper, klar, ich komme mit Ihnen in die Offiziersmesse, aber ich habe zwei Fragen, so ganz unter uns. Warum sprechen Sie Ihre Mitmenschen mit Sie an, während man bei uns noch immer die alte Form Ihr oder Euch wählt? Sie sprechen ein hervorragendes Deutsch, haben Sie deutsche Wurzeln?“
„Mr. Hauser, diese alte Anredeform gibt es schon lange nicht mehr auf den britischen Inseln. Zum Zweiten, meine Großmutter heiratete einen englischen Offizier. Meine Eltern starben recht früh, sodass ich bei ihr in Hamburg, später in London aufgewachsen bin.“
Die beiden jungen Männer erreichten die Offiziersmesse. Mr. Harper klopfte, und vernahm ein lautes „Herein“. In der Messe hatten sich verschiedene Offiziere versammelt, darunter auch Major Eisenbarth zusammen mit einem Major Carlington der Seesoldaten.
„Ah, Herr Hauser, schön dass Ihr so schnell hierher gefunden hab“, meinte Major Eisenbarth, „darf ich Euch Major Carlington
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Texte: Caspar de Fries
Bildmaterialien: Caspar de Fries
Tag der Veröffentlichung: 14.04.2015
ISBN: 978-3-7368-8971-2
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