Caspar de Fries
Buchautor und Schriftsteller
Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben
Texte : Caspar de Fries
Bildmaterialien: Caspar de Fries
Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2015
Die Handlung und die Namen der Darsteller sind frei erfunden, sonstige Ähnlichkeiten wären rein zufällig.
Joe Marvin, der 1935 eingesetzte Kulturattaché der amerikanischen Botschaft in Berlin, war ein Nachkomme des Indianerhäuptlings Patkanims von den Tulalip, der 1855 die Indianer-Schutzbestimmungen mit unterschrieben hatte. Jerry durfte auf Grund seiner Intelligenz und Begabung eine weiterführende Schule besuchen und studierte über das weiterführende Ausbauprogramm, dem Everett Community College, an der University of Washington neben der Lushootseed-Sprache noch Politwissenschaft und Germanistik. Dadurch erlernte er auch zusätzlich Deutsch und Französisch. Sein Studium schloss er mit Auszeichnung ab.
Er wurde Kulturattaché in der amerikanischen Botschaft in Berlin und musste sich recht schnell mit den dortigen Gegebenheiten und der geheimen deutschen Staatspolizei auseinander setzen, die ihn sofort in die Schublade eines Geheimagenten steckte, obwohl er in dieser Tätigkeit noch eine sehr weiße Weste anhatte. Seine recht unorthodoxe Art sich zu behaupten, machte ihn schnell zum Staatsfeind Nr.1 des Nazi-Deutschlands.
Der verlorene Zweite Weltkrieg als Untergang des Dritten Reiches und den zerbombten Städten, brachte dem deutschen Volk viel Leid, Hunger und Elend. Die Hauptstadt Berlin, mit seinem Mythos der Unsterblichkeit und den unfassbaren Zerstörungen, ließ die Überlebenden zusammenrücken. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als mit den vier Siegermächten, russische Sowjetunion, England, Frankreich und den USA zusammen zu arbeiten. Die Stadt wurde in Ost- und Westberlin geteilt.
Ostberlin, unter russischer Besatzung und Hauptstadt der neugeschaffenen Deutschen Demokratischen Republik, sprich DDR und Westberlin als freie Stadt Berlin, unter dem Einfluss der westlichen Alliierten, USA, England und Frankreich. Leider brach die Einigung 1947 zwischen der Sowjetunion und seinen Kriegspartnern USA, England und Frankreich auseinander. Es entstand ein sogenannter „Kalter Krieg“ als Konflikt zwischen Ostinteressen der Sowjetunion und westlichen Ideen mit den USA und seinen alliierten Partnern. Ohne militärisch aneinander geraten zu sein, führte man diesen Konflikt mit nahezu allen sonstigen Möglichkeiten aus; hierbei taten sich die vielen Geheimdienste der Staaten hervor; sie tummelten sich in Berlin und Umgebung und beäugten sich misstrauisch, in der Erwartung, der mutmaßliche Gegner macht einen Fehler.
Inzwischen vergingen einige Jahre, die Nürnberger Kriegsverbrecherverurteilungen konnten nur eine begrenzte Anzahl ehemaliger Nazis bestrafen, weil viele der wirklichen Schuldigen mit Hilfe ihrer Seilschaften unter anderen Namen und Identitäten irgendwo auf der Welt Fuß gefasst hatten.
Die Gruppe M als kleine verschwiegene Geheimorganisation schaffte es aber immer wieder, noch einige dieser Parteibonzen der NSDAP auf zu spüren.
Inzwischen verschärfte sich der normale Umgangston zwischen Ost- und Westdeutschland. Gewisse Privilegien wurden abgeschafft, das Misstrauen zu einander fand bald seinen Höhepunkt, die geheimen Unternehmungen auf beiden Seiten nahmen zu. Überall versuchte man, Spitzel in den Führungsetagen gewisser Firmen unter zu bringen.
Das Jahr 1957 wurde durch eine neue Raumfahrtära eingeläutet. Den ersten Sputnik-Satelliten schossen die Sowjetrussen ins Weltall.
Sputnikschock nannte man die politisch-gesellschaftliche Reaktion in den USA und Westeuropa. Der künstliche Erdsattelit Sputnik machte im Zeichen des Kalten Krieges deutlich, dass die Sowjetunion in der Entwicklung ihrer Raumfahrt den USA zumindest technisch ebenbürtig war. Mit der Trägerrakete R-7 war die Sowjetunion in der Lage, mit nuklear bestückten Interkontinentalraketen das Territorium der USA zu erreichen.
Das durfte und konnte die USA natürlich nicht so stehen lassen, sie als der Staat, der den Kommunismus als die alleinige politische und wahre Gesellschaftsform in der Welt bekämpfen wollte. Die USA, ein Staat, der zur Großmacht Nummer 1 auf dem Planeten anstrebte. Was nun folgte, war ein Wettlauf ins All.
Immer neue Techniken im militärischen, wie auch zivilen Bereich erfanden Techniker auf beiden Seiten. Kein Land wollte die Nummer zwei sein. Die Geheimdienste beider Seiten schickten ganze Schwadronen von Agenten ins Rennen, die auch jede neue Errungenschaft im Rüstungs- und Industriebereich ausspähten.
Man gründete die amerikanische National Security Agency, kurz NSA, ein Auslandsgeheimdienst, mit der Hauptaufgabe der Wirtschaftsspionage und Überwachung politischer Führungspositionen. Präsident Eisenhower, ein Befürworter dieser Organisation, machte den Weg frei für die Gruppe M um Joe Marvin, um ihnen weiterhin die Gelegenheit der eigenen operativen Möglichkeiten offen zu halten. Ihr Budget über die NSA zur Finanzierung ihrer Unternehmungen hatte fast unbegrenzten Charakter, mit anderen Worten, sie verfügten ständig über alle nur erdenklichen Neuheiten der Technik. Joe Marvins Job als Kulturattaché beschränkte sich jetzt nur noch auf West-Berlin, ein neuer Kollege übernahm den Teil von West-Deutschland.
Die zurückliegenden Jahre standen für Joe Marvin und Jack Forrester auf einem nicht so glücklichen Stern. Joe heiratete 1953 seine langjährige Freundin und Verlobte Gräfin Mary zu Eltz, unternahm mit ihr eine Hochzeitsreise in die USA, um anstatt der kirchlichen Trauung eine indianische Hochzeit im Kreise seiner indianischen Familie und Freunde der Tulalip zu feiern. Mary von Eltz erkrankte an Lungenkrebs und verstarb in einem Krankenhaus in Seattle. Einziger Wermutstropfen und ewiges Andenken an Mary gehörte einem amtlichen Testament, was Joe das ehemalige Gut in Gilten nebst den zugehörenden Ländereien, vererbte. Der Schlusssatz ihres handgeschriebenen Testaments lautete:
Joe Marvin, wenn du diese Zeilen hörst, werde ich schon nicht mehr unter den Lebenden verweilen. Du bist und warst meine große Liebe. Ich vermache Dir das Gut in Gilten mit den dazu gehörenden Grundstücken. Ich weiß, dass du mit deinem Herzen an diesem so schönen Stück Land hingst. Vielleicht sehen wir uns mal in einem anderen Leben wieder.
Jack Forrester heiratete seine langjährige Freundin Janette Portier, die ehemalige Hausdame von Gräfin zu Eltz. Ihr gemeinsamer langgehegter Wunsch gehörte dem Besuch der Lagunenstadt Venedig. Sie verbrachten dort drei unbeschwerte Wochen, als Janette Forrester plötzlich verschwand. Der russische Geheimdienst konnte sie in einem unbewachten Moment entführen und verschleppen.
Diese recht negativen Momente in ihrem Leben vergaßen Joe und Jack nicht. Auch wenn man sagt, die Zeit heilt viele Wunden, dauerte es doch sehr lange, bis wieder eine gewisse Normalität in ihr beider Leben trat.
Zurzeit saßen Jack und Joe auf der großen Dachterrasse ihrer beiden nebeneinander liegenden Eigentumswohnungen am Witzlebenplatz 6 in Berlin-Charlottenburg. Sie genossen das herrliche Frühlingswetter, dazu den tollen Blick auf den Lietzensee und tranken einen kühlen Weißwein. Das Telefon schellte. Jack Forrester nahm ab und fragte:
„Ja, bitte?“
„Hallo, hier ist Korotkow. Ist Mr. Marvin zu sprechen?“
„Nein, Mr. Marvin ist zurzeit nicht zu erreichen.“
„Sagen Sie ihm bitte, er möge zurück rufen.“
„Ihr Name ist Mr. Korotkow? Soviel ich weiß, wurden Sie inhaftiert?“
„Ich sitze nicht mehr im Gefängnis, man hat mich gegen andere Agenten ausgetauscht.“
„Unter welcher Nummer sind Sie zu erreichen?“
„Unter der gleichen Nummer, wie früher.“
„Ich werde es ausrichten.“
„Vielen Dank, bis bald.“
„Joe, das war Korotkow. Er wurde gegen drei andere Agenten ausgetauscht. Woher wusste er, dass wir unter dieser Adresse zu finden sind?“
„Korotkow, immer wieder Korotkow. Dieser Name verfolgt uns nun schon seit einigen Jahren. Ob er was mit der Entführung von Janette zu tun hat?“
„Ich weiß es nicht, aber möglich ist alles. Die Frage stellt sich, ob sie überhaupt noch lebt? Es sind vier Jahre her. Bis jetzt trat niemand mit uns in Kontakt, außer dieser damalige Überläufer, der behauptete, der russische KGB hätte das Verschwinden inszeniert.“
„Ich rufe gleich mal zurück. Irgendwelche Mutmaßungen nützen uns gar nichts.“
Joe nahm den Hörer des Telefons ab und wählte mit der Wählscheibe die bisherige bekannte Nummer von Korotkow.
„Hallo Korotkow, lange nichts von einander gehört. Welches dumme Geschwätz muss ich mir heute anhören?“
„Na, Mr. Marvin, direkt so unhöflich? Sie sagten immer, nur über die Höflichkeit und dem Respekt zueinander können auch vernünftige Gespräche geführt werden.“
„Gut, Mr. Korotkow, was wollen Sie?“
„Mr. Marvin, Sie wundern sich sicher, dass ich wieder frei bin. Man hat mich gegen drei westliche Agenten ausgetauscht. Dabei erfuhr ich auch über Ihre beiderseitigen Schicksalsschläge. Ich weiß, wo sich die verehrte Mrs. Forrester aufhält.“
„Ach, frei und gleich wieder im Geschäft?“
„Wissen Sie, Mr. Marvin, in unserer Branche zählt nur das Nehmen und Geben. Wenn ich Ihnen sage, wo sich die Dame aufhält, müssten Sie für ein kleines Gegengeschäft bereit sein.“
„Mr. Korotkow, welches Geschäft meinen Sie, heraus damit?“
„Ich benötige die vollständige Liste einschließlich Bilder der Mitglieder der Gruppe M, das ist doch nicht zu viel verlangt?“
„Mr. Korotkow, ich weiß nicht, wie weit Sie überhaupt noch in der Branche aktuell sind? Vielleicht sind Sie auch nur ein mieser kleiner Trittbrettfahrer, dem seine alte Einheit einen Knochen hin wirft?“
„Mr. Marvin, ich melde mich wieder, guten Tag.“
Joe schaute Jack an, zuckte mit den Schultern und meinte:
„Du hast es mit bekommen. Angeblich weiß er, wo Janette sich aufhält. Er verrät ihren Aufenthalt, wenn er die gesamte Mitgliederliste der Gruppe M, einschließlich der Bilder aller Leute, in den Händen hält.“
„Aber wir können doch nicht die eigenen Leute verraten?“
„Jack, ich denke, wir rufen die Jungs zusammen. Wir treffen uns mit ihnen in der Pension „Am grünen Deich“ in Hamburg- Hammerbrook. Ein Ort, den Korotkow sicherlich nicht auf seiner Liste hat.“
„Was willst du den Jungs sagen, dass wir sie verraten?“
„Na, ja, so ähnlich. Es wird Zeit, dass wir die gesamten Agentenringe an der Nase herumführen. Wir haben viel zu lange fast tatenlos zu gesehen.“
Die zwölf Männer von M flogen in getrennten Flugzeugen über Hannover nach Hamburg, oder Hannover nach Bremen, oder direkt nach Hamburg, um sich drei Tage später mit einem Taxi nach Hamburg-Hammerbrook zur Pension „Am grünen Deich“ chauffieren zu lassen. Ihre Zimmer waren vorbestellt, aber vorsichtshalber nicht öffentlich registriert. Sie wechselten mehrere Male das Taxi, um auch ganz sicher zu sein, nicht verfolgt zu werden.
Joe und Jack nahmen ihren kleinen Koffer aus dem Taxi, gaben dem Fahrer noch ein sehr gutes Trinkgeld, und stiegen langsam die Treppen zur alten Pension „Am grünen Deich“ empor. Einige der Gruppe M hatten bereits ihr Zimmer bezogen, und warteten im großen Gastraum bei einem Glas Bier auf den Rest der Kollegen. Die Freude stand allen im Gesicht geschrieben, denn einige von ihnen hatten sich schon länger nicht mehr gesehen. Ein paar der Gruppe meinten schon, M wäre bereits gestrichen.
„Jungs“, meinte Joe, „bevor wir uns in Erinnerungen schwelgen, werden wir hier das hervorragende Essen von Erna Albers und ihrer Tochter Lora genießen, denn ich verspreche euch, eine bessere Scholle mit Bratkartoffeln und grünen Bohnen habt ihr noch nicht gegessen. Dazu trinken wir ein kühles Astra-Rotlicht-Bier und einen norddeutschen Köm und die Welt steht wieder in den Angeln.“
„So meine Herren, das Essen kann serviert werden.“
„Ich möchte euch mal meine mütterliche Freundin vorstellen. Das ist Erna Albers, Pensionswirtin und Köchin. Erna, das sind meine langjährigen Freunde. Wir haben dein Lokal gewählt, um ernsthafte Sachen zu besprechen. Hast du noch mehr Zimmergäste, oder sind wir für heute die Einzigen?“
„Ihr seid die Einzigen. Dein Schild, geschlossene Gesellschaft, hängt bereits an der Tür.“
„Erna, ich danke dir und deiner Tochter für eure Hilfe auch der letzten Jahre, die so selbstverständlich nicht war.“
„So Jungs, dann lasst es euch gut schmecken. Wenn ihr mich braucht, dann ruft nach mir.“
Man sah nur zufriedene Gesichter, denn gutes Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen.
„Nun, es freut mich, die gesamte Truppe wieder zusammen zu sehen. Nur, wir haben recht unerfreuliche Nachrichten. Vor ein paar Tagen erhielten wir einen Anruf von unserem alten Bekannten Korotkow. Jack und ich wunderten uns darüber, woher dieser Mensch seine Informationen, sprich Telefonnummern und Adressen, her hat. Er meinte, er wüsste, wo Janette sich aufhält. Ich bezeichnete ihn als Trittbrettfahrer und Schwätzer, er aber schien mir, im Nachhinein gesehen, recht sicher in seinem Auftreten zu sein. Er sagte, seine Freiheit kam durch den Austausch von drei westlichen Agenten zu Stande. Was man auch immer davon halten soll, ich weiß es nicht. Natürlich möchte er durch die Weitergabe des Aufenthaltes von Janette ein Gegengeschäft einfädeln. Er will die gesamte Liste, mit Bildern, von der Gruppe M. Ohne diese Unterlagen würde er auch nichts ausplaudern. Natürlich konnte ich ihm nichts zusagen und habe ihn stattdessen beleidigt. Aber, was sagt ihr dazu?“
„Joe und Jack, ihr wisst, dass wir bisher immer zusammen gehalten haben“, meinte Charlie, „aber das geht doch sicherlich zu weit.“
„Charlie hat recht, “ sagte Gerald, „das werden wir sicherlich nicht zu lassen.“
„Okay, ich weiß, dass alle anderen derselben Meinung sind. Ich würde genauso reagieren. Aber ich habe eine Idee. Was haltet ihr davon, wenn wir die Geheimdienste so richtig an der Nase herum führen?“
„Joe, was hast du vor? Ich sehe dir an, dass du schon länger einen bestimmten Plan mit dir herumträgst, “ erklärte Jack.
Joe grinste seine Freunde an. Sie wussten genau, wenn er sie so ansah, konnten seine Ideen nur mehr als unnormal seien. Sein unverschämtes Grinsen zeigte schon die Vorfreude auf kommende Reaktionen gewisser Leute.
„Was hast du wirklich vor?“ fragte Charlie und schaute gespannt auf den Mann, der spielend fremde Leute mit seinem Gerede einlullen konnte und sie von etwas überzeugte, was sie so nicht verstanden.
„Wir stellen jedem von euch ein neues Gesicht her. Eure Namen und persönlichen Angaben werden fiktiv gestaltet. Wir verwenden Gesichter von bekannten Leuten aus den verschiedenen Geheimdiensten. Diese Liste hält jeder Echtheitsprüfung stand. Ich könnte mir vorstellen, dass Korotkow sich mit dieser Liste seinen erneuten Einstieg in die Kreise der Geheimdienste erkaufen möchte. Bisher kannte niemand aus der Geheimdienstszene eure Namen, Gesichter, Identitäten. Genau so soll es auch bleiben. Doch vielleicht haben wir die Chance, Janette wieder zu finden. Wir könnten die Geheimdienste an der Nase herum führen. Jack und ich werden ebenfalls dauernd in eine neue Rolle schlüpfen. Den Joe Marvin und Jack Forrester für die Liste werden verschiedene Leute verblüffen, denn unsere Gesichter gehören eigentlich bekannten Persönlichkeiten aus den Geheimdienstkreisen. Was meint ihr dazu?“
„Du meinst, wir verwandeln unsere Gesichter und bringen den geheimen Apparat ins Wanken. Keiner traut mehr dem Anderen, Misstrauen geht um. Tolle Geschichte, wenn es klappt.“
„Warum soll es nicht klappen? Keiner weiß, wer dahinter steckt. Nur, Korotkow weiß zu viel über unsere Aufenthalte. Meine Idee geht soweit, dass wir unsere Eigentumswohnungen an uns selbst unter einer anderen Identität verkaufen. Ein Umzugsunternehmen wird unsere Möbel ausräumen und in einem Übersee-Container per Schiffsfracht nach London bringen. Man wird denken, die Eigentümer siedeln sich in England an. Nach etwa einer Woche in England bringt dieses Umzugsunternehmen unsere Möbel per Flugfracht zurück nach Berlin. Wir ziehen unter einer ganz neuen Identität wieder ein. Einen Joe Marvin und einen Jack Forrester wird es dann in Berlin nicht mehr geben. Nur der Gutshof soll Freund Korotkow blenden, dass dort manchmal jemand unter den bekannten Namen wohnt. Er versucht dort an zu rufen, manchmal geht auch jemand ans Telefon.“
„Korotkow veränderte schon damals sein Aussehen. Wie werden wir ihn erkennen? Vielleicht ließ er sich durch einen Chirurgen ein neues Gesicht zu legen?“
„An die Möglichkeit dachte ich auch schon. Aber wir kennen seine Eigenart, das zweimalige Zucken mit der rechten Schulter, wenn er zwei Schritte gegangen ist und in höchster Anspannung steckt. Außerdem müssen wir unbedingt viele Aufnahmen mit den kleinen Kameras machen. Ich habe eine ganz neue Kollektion für euch besorgt, das Neuste, was es auf dem Markt der Optik gibt. Es kann sogar die Aufnahme heran ziehen, also vorher schon vergrößern.“
„Soweit so gut“, meinte Charlie, „Ich denke, wir können es riskieren. Wann sollen wir mit der Maskerade beginnen?“
„Wir fangen hier in Hammerbrook mit einer einfachen Veränderung an. Ihr müsst euch alle in diese neue Materie einarbeiten, es ist nur eine Frage der Übung. Ich habe hier für jeden von euch ein ganz normales Bild, dazu einen Ausweis mit dem gleichen Bild. Ihr nutzt das Bild als Vorlage, Jack und ich helfen. Mit dem Ausweis geht ihr durch die Passkontrolle des Flughafens. Wenn die dortigen Zollbeamten nichts zu beanstanden haben, seid ihr schon einen ganzen Schritt weiter. Wir treffen uns hinter der alten Botschaft in dem Wohnblock. Sind hierzu noch Fragen? Nein? Dann lasst uns loslegen.“
Zwölf Männer veränderten ihr Aussehen nach Vorlage einer Fotografie. Einige der Gruppe M mussten sich erst an den Umgang mit der Modelliermasse und den Schminkvorgängen gewöhnen. Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten und der Hilfe durch die Kollegen gelang es, eine passable, eigene äußerliche Verwandlung her zu stellen. Schließlich hatten sie vorher noch nie mit solchen Materialien gearbeitet. Immer weiter gelangen weitere gelungene Details, bis es allen letztlich großen Spaß machte, ihr Äußeres in eine andere Erscheinung zu verändern. Die Männer wussten, dass die Genauigkeit auch ihr eigenes Leben beeinflusste.
Sie hatten sich auf diese Sache eingelassen und merkten jetzt, dass so eine Verwandlung richtig Arbeit machte. Immer und immer wieder probten sie die Genauigkeit, stoppten die Zeit, wiederholten verschiedene Vorgänge, bis auch wirklich jeder Handgriff, jede Möglichkeit, jede weitere Veränderung ausprobiert und mehrere Male in die Tat umgesetzt wurde. Sie mussten es lernen, aus einer bestehenden Verwandlung ein erneutes Bild hervor zu zaubern, was mit dem vorigen Aussehen nichts mehr zu tun hatte.
Jeder von ihnen erhielt fünf Bilder aus der Geheimdienstszene, immer jedes aufbauend auf das Nächste, um die Veränderungen in einem gewissen Zeitrahmen zu bewegen. Dazu gehörten auch die entsprechende Kleidung mit den Requisiten für die entstandene Person, wie Ausweis, private Bilder, Visitenkarten, Familiendetails und Vieles mehr.
Joe Marvins neue Identität hieß Georg Vogel, und Jack Forrester nannte sich Klaus Köhler. Charlie fand seine neue Identität für sich sehr passend, er führte vorab den Namen Karl König.
Sie verließen die Pension „Am Grünen Deich“ in Hamburg-Hammerbrook, mit dem angespannten Gefühl, vielen Geheimdienstlern gleichzeitig auf den Füßen herum zu treten. Jeder von ihnen trat die Reise nach Berlin alleine an, allerdings immer im Blickwinkel der eigenen Kollegen, die rechtzeitig eingreifen konnten, falls irgendetwas schief ging. Was die Gruppe M nun inszenierte war ein Tanz auf der Rasierklinge. Ihre bildlichen Vorlagen stammten durchweg aus den Listen verschiedener Geheimdienste und schafften sicherlich eine Menge Unruhe.
An den Passkontrollen gab es keinerlei Schwierigkeiten. Die Pässe wurden allesamt akzeptiert. In der großen Wartehalle des Flughafens Hamburg- Fuhlsbüttel entdeckten Georg Vogel und Klaus Köhler verschiedene „Bekannte“ aus anderen Geheimdienstkreisen. Während Georg und Klaus, sowie der Rest der Gruppe M fleißig die Auslöser ihrer hochauflösenden Minikameras bedienten, ohne dass es Anderen auffiel, wurde die Gruppe M Ziel verschiedener Fotokampagnen.
Weiterhin sorgten aufgeregte Telefonate an den öffentlichen Münzfernsprechern für nicht erledigte Rätsel.
Plötzlich entdeckten sie ihren alten „Freund“ Korotkow. Georg schaute heimlich zu Klaus , der nur die Schulter hob, weil er sich nicht ganz sicher war. Doch Georg war sich ganz sicher. Auch wenn die Gesichtszüge nicht mehr so herb, sondern eher glatt wirkten, konnten sein Gang und das gelegentliche Zucken seiner rechten Schulter nicht darüber hinweg täuschen. So sah also Korotkow jetzt aus. Karl König bemerkte ebenfalls ihren alten Widersacher in Form seiner komischen Bewegungen.
Er filmte ihn und kam dabei diesem Herrn immer näher. Am Zeitungsstand kaufte sich Karl eine Zeitung, faltete sie so zusammen, dass er sie unter den linken Arm klemmen konnte. Korotkow redete mit zwei anderen Herren, die ganz klar zur Geheimdienstszene zählten. Sie sprachen russisch, was Karl König nun sehr gut verstand.
„Sorokin, habt ihr denn Fotos gemacht?“ Fragte Korotkow.
„Ja“, erwiderte Sorokin, „der Eine sieht aus wie Balowkin vom alten NKWD, aber man kann sich auch täuschen.“
„Dann müssen wir die Auswertung der anderen Bilder abwarten“, meinte Korotkow und schüttelte nur mit dem Kopf. Hier stimmte doch etwas nicht, aber was?
Georg Vogel setzte jetzt alles auf eine Karte. Er näherte sich Korotkow bis auf zwei Meter, öffnete seine Zeitung, und studierte in Ruhe die Überschriften. Ein weiterer Mann näherte sich dem alten Spion aus vergangenen Zeiten. Er sagte:
„Sacharow, wir haben sehr viele bekannte Gesichter gesehen, wollen die alle mit dem gleichen Flugzeug nach Berlin fliegen?“
„Kalowenko, hast du Angst, dass dich jemand erkennt? Wer soll dich denn auf der Liste haben? Hinter mir sind sie her, sie suchen mich überall. Aber so leicht lasse ich mich nicht mehr übertölpeln.“
„Ich habe keine Angst“, sagte Kalowenko, „wir hatten alle einen guten Chirurg. Anscheinend macht das zurzeit die Runde, ein neues Aussehen, eine neue Identität, eine weitere Sicherheit in unserem Job.“
Karl König gab einigen seiner Leute den Wink, besser mit der Bahn zu fahren, weil hier zu viele Bekannte herum stolperten.
Der Flug nach Berlin-Tempelhof wurde aufgerufen und die Fluggäste betraten das Flugzeug, eine DC-6, um ihre Plätze zu besetzen. Georg Vogel saß zwei Reihen hinter Korotkow, alias Sacharow, während Klaus Köhler auf der linken Flugzeugseite, in der gleichen Reihe wie Korotkow saß, nur durch den Mittelgang getrennt.
Die Flugzeugmotoren der viermotorigen Douglas dröhnten, die langsam in Richtung Startbahn rollte, um auf die Abfluggenehmigung vom Tower zu warten. Anscheinend gab man den Flug frei, denn ein lautes Vibrieren, Zittern und Dröhnen erfolgte, als die vier Propellermotoren zur Höchstleistung gefordert wurden, um den großen Vogel auf eine Reisehöhe von 7500 Meter zu bewegen.
„Ladies und Gentlemen, hier spricht Ihr Flugkapitän der Douglas DC-6, Flug-Nr. 12456, von Hamburg-Fuhlsbüttel nach Berlin-Tempelhof. Wir fliegen in unserer normalen Reisehöhe von 7500 Meter. Unsere Sicht ist hervorragend, blauer Himmel, kaum Wolken und strahlenden Sonnenschein. Genießen Sie die den Flug und die Aussicht. Unsere Stewardess wird Ihnen gleich erfrischende Getränke reichen. Entspannen Sie sich, lehnen Sie sich zurück. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug.“
Georg Vogel schaute aus dem Fenster der DC-6, und genoss die wunderschöne Aussicht auf die unter ihnen liegende Landschaft. Alles sah so geordnet aus, die einzelnen Parzellen, eingerahmt von Wegen und Straßen, dazwischen ein paar Häuser, die wie Spielzeuge an einander gereiht waren. Dazwischen konnte man kleine blaue Seen erkennen, wo die Sonne in kleinen Schaumkronen glitzerte. Waldstücke wirkten von hier oben wie undurchdringliche Barrieren, kleine Städte mit sinnvoll angelegten Straßen, auf denen einige Fahrzeuge rollten, als wenn sie von einer Kette gezogen wurden.
Weiter weg konnte Georg ein weiteres Flugzeug erkennen, welches in die südwestliche Richtung flog, vielleicht Frankfurt oder München? Leider stand es nicht auf dem Flugzeug geschrieben.
„Ladies und Gentlemen, hier spricht Ihr Flugkapitän. Im Namen unserer Fluglinie und der Crew an Bord bedanke ich mich für ihr Vertrauen. In wenigen Minuten landen wir in Berlin- Tempelhof. Bitte schnallen Sie sich an und erwarten die weiteren Durchsagen. Vielen Dank.
Die DC-6 setzte sanft auf der Betonpiste der Landebahn auf. Der Pilot bremste mit dem Gegenschub seiner vier Motoren und rollte langsam vor eine große Abfertigungshalle, wo auch das Gepäck oder die nötige, bestellte Fracht ausgeladen wurde.
Die Fluggäste verließen die Douglas DC-6 über eine vorgeschobene rollende Treppe und schlenderten zum Abfertigungsgebäude, wo auch die Zollbeamten die allgemeine Passkontrolle vornahmen.
Georg Vogel, Klaus Köhler und Karl König gaben sich Zeichen, Korotkow nicht mehr aus den Augen zu lassen, ihn vorsichtig zu verfolgen, um seinen möglichen Aufenthaltsort heraus zu finden. Ansonsten taten sie so, als wenn sie sich nicht kannten.
Korotkow und seine zwei Begleiter verließen die Abfertigungshalle und traten aus dem Gebäude. Eine schwarze russische Limousine erwartete sie. Sie blieben aber zunächst einmal draußen stehen, sahen sich vorsichtig um, ob dort noch einige für sie bekannte Leute waren, die sich für sie interessierten.Karl König ging an der wartenden Gruppe vorbei, ohne sie zu beachten. Er wurde auf Russisch angesprochen:
„Heh, Sie, kennen wir uns nicht?“
Karl König tat so, als wenn er nichts verstand.Jetzt versuchte der gleiche Mann, es war Sorokin, es mit Englisch:
„Hallo, Sie, kennen wir uns nicht?“
Karl ging weiter und tat so, als wenn er gar nicht begriff, dass man ihn meinte.Jetzt sprach Sorokin Deutsch:
„Sagen Sie mal, sind Sie so unhöflich und trotzdem gehen Sie weiter?
„Na klar, Sie meine ich. Sie sehen einem Bekannten ähnlich.“
„Schön für Ihren Bekannten, aber ich habe nun wirklich keine Zeit, mich mit Ihnen zu unterhalten. Lassen Sie mich einfach in Ruhe.“
„Nichts für ungut, vielleicht habe ich mich auch nur getäuscht.“
Karl schaute Sorokin nur an, hob die Schultern, so, als wenn er ein Bedauern bekundete und ging weiter in Richtung Parkplatz.
Georg Vogel schlenderte langsam in Richtung Parkplatz, schaute auf den dunklen Wagen und fotografierte im Vorbeigehen die Insassen.
„Heh Sie, “ sprach ihn dieser Sorokin auf Englisch an, „darf ich Sie etwas fragen?“
Während sich Georg Vogel zu seinem neuen Gesprächspartner umschaute, setzte sich Klaus Köhler in Bewegung, und ging langsam auf das neue Gesprächspaar zu, wo sich auch inzwischen Korotkow einfand, um dieser Unterhaltung bei zu wohnen.
„Was kann ich für
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Caspar de Fries
Bildmaterialien: Caspar de Fries
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2015
ISBN: 978-3-7368-8180-8
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