Name: Caspar de Fries
Buchautor und Schriftsteller
Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben
Texte und Bildmaterialien:
Caspar de Fries
Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 02.12.2014
Männer mit Bärten
Alle die Hölle und Teufel nicht fürchten...
Alle die mit uns das Walross schlachten...
Alle, die öligen Zwieback kauen...
Alle die mit uns zur Hölle fahren...
Alle die mit uns auf Puffern trampen….
Alle die Weiber und Branntwein lieben…..
Ein Seemannslied von Gottfried Wolters, welches das flämische Original: Al die willen te kapren varen, in deutscher Sprache sinngemäß übersetzt. Der ursprüngliche Verfasser ist unbekannt. Das Lied erzählt von den Seeleuten aus Dünkirchen, die sich als Freibeuter verstanden. Sie plünderten spanische, englische und niederländische Schiffe.
Inzwischen schreibt die Geschichte das Jahr 1584 und der achtzigjährige Unabhängigkeitskrieg der Niederlande gegen das erzkatholische Spanien geht in ein weiteres sehr ereignisreiches Jahr. Während die vielen „Wassergeusen“ als Kaperfahrer der Niederländer mit ihren Schiffen auf den Weltmeeren unterwegs waren, um die zahlreichen spanischen Flotten zu entern und zu überfallen, beladen mit vielen wertvollen Dingen für die spanische Krone unter König Phillipp II., unterwarf der neue spanische Statthalter der Niederlande, Alexander Farnese, mit vielen schwierigen Belagerungen südliche Provinzen der Niederlande. Er war ein Sohn von Margarethe von Parma, einer Halbschwester von König Phillipp II, die von 1559 bis 1567 als Statthalterin der habsburgischen Niederlande fungierte. In ihrer Amtszeit begannen die ersten Aufstände gegen die habsburgische Herrschaft. Sie führte ihren Sohn in diese Amtsgeschäfte ein, die er mit noch größerer Brutalität ausübte.
Inzwischen verfügte Alexander Farnese über eine Truppenstärke von 61000 Soldaten, die er auch 1584 in der Belagerung von Antwerpen einsetzte. Jan Martens, erfolgreicher Kaperkapitän, Mitinhaber einer Schiffsverwertungsfirma in Delfshaven und Führer einer kleinen Flotte mit vier Kriegsschiffen, unternahm mit seinen Seeleuten eine erneute Fahrt gegen die spanischen Kriegsschiffe. Wie immer war ihr Ziel die Karibik, wo sich einige spanische Gold- und Silberminen der Kolonien befanden, deren Erzeugnisse von großen Kriegsfrachtern in gesicherten Flotten nach Spanien über den Atlantischen Ozean gebracht werden sollten. Die vielen Kriegsschauplätze auf westeuropäischem Boden kosteten der spanischen Krone Unmengen an Vermögen und der Nachschub dieses so wertvollen Edelmetalls durfte nicht versiegen. Leider schafften die Männer um Jan Martens es bisher nicht, ihr Ziel „Übersee“ zu erreichen, weil sich ihre bisherigen Erfolge meistens in den Küstenregionen von Westeuropa bewegten.
Es war Anfang Juli 1584, als die Männer um Jan Martens ihre vier Schiffe, die „Isabella“, die Piet van Houte“, die „Santa Monica“ und die „Santa Antonia“ zu einer erneuten weiten Schiffsreise ins für sie unbekannte Gebiet der Karibik ausrüsteten. Ein Bote des Statthalters von Delft, William I. von Oranien und Nassau, brachte an die vier Kaperkapitäne Jan Martens, Karl Tasman, Claude von de Kirk und Knut Johannson eine Einladung, mit der Bitte, vor der Abfahrt zu dieser Schiffsreise, in der Residenz in Delft vorstellig zu werden.
Die vier Männer sattelten ihre Pferde und ritten an dem dreizehn Kilometer langen Kanal entlang, dem, Delfshavense Schie, zur Residenz des Statthalters von Delft. Sie wurden bereits von den Dienern in ihrer landesfarbenen Livree erwartet. Sie geleiteten die Männer sofort in das große Arbeitszimmer von William I. von Oranien und Nassau, der auch direkt auf den Kern seiner Einladung zu sprechen kam:
„Meine Herren, ich wollte Euch gerne noch einmal vor der Abreise dieser langen Schiffsreise sehen und verabschieden. Ich wäre gerne mal mit in die Karibik geschippert, aber meine Amtsgeschäfte, vorrangig die spanische Belagerung von Antwerpen, lassen dies leider nicht zu. Meine Herren, es kommen schwierige Zeiten auf uns zu. Heute ist der 10. Juli, ich erhielt die Nachricht, dass auf meinen Kopf eine hohe Belohnung von Seiten der Spanier, insbesondere durch Phillipp II., ausgesetzt wurde. Zum einen ehrt es mich, zum Anderen wird man nicht wie ein Staatsoberhaupt behandelt, sondern wie ein gewöhnlicher Verbrecher und das macht mich wütend.
Gerade diese schändlichen Gedanken eines Monarchen brachten mich dazu, Euch mehr als den Erfolg zu wünschen und dem fanatischen Glaubensbruder König Phillipp II. Euch Kaperfahrer als Wink des Himmels für ihn zu bescheren. Meine Wünsche an ihn sollen ihm schlaflose Nächte bereiten. Meine Herren, ich muss mich leider von Euch verabschieden.“
Sein Sekretär und der persönliche Diener warteten bereits auf ihn und geleiteten William I. von Oranien und Nassau durch die große zweiflüglige Eingangstür der Residenz.
Jan und seine Freunde folgten in gebührendem Abstand, wollten gerade ebenfalls durch die Tür treten, als drei Schüsse fielen, und William I. zusammenbrach.
Ein walisischer Kapitän, namens Roger Williams, nahm die Verfolgung des flüchtigen Attentäters auf und stellte ihn noch vor den Schutzwällen von Delft.
Die Schwester vom Statthalter William I. wollte ihm noch aufhelfen, aber es war bereits zu spät. Stöhnend stammelte er seine letzten Worte:
"Mein Gott, habe Erbarmen mit mir und meinem armen Volk."
Jan Martens stand mit seinen Freunden vor der Leiche des Statthalters. Sie hielten ihre Hüte vor der Brust und verneigten sich vor einem sehr engagierten und furchtlosen Mann, der durch die Hand eines Mörders sein Ende fand.
Sehr nachdenklich, in sich gekehrt, ritten sie nach Delfshaven zurück. Jeder von ihnen machte sich seine eigenen Gedanken über ihre weitere Zukunft. Mussten jetzt schon Mordaufträge vergeben werden, um lästige Führungspersönlichkeiten los zu werden? Anscheinend stand die Macht über Alles. Dazu die Grabenkämpfe im Glaubensbereich, so ganz nach dem Motto: Wer die Macht hat, bestimmt den rechten Glauben. Was ist überhaupt der richtige Glaube? Die eigene Überzeugung, oder das, was einem vorgeschrieben wird? Wer will da noch durchblicken.
Den Mörder Balthasar Gérard, ein äußerst fanatischer Katholik, führten die Wachen der Residenz gefesselt vor den Stadtmagistrat, um ihn zu verhören. Er zeigte sehr wenig Reue oder Verzweiflung, sondern ließ Alles mit einer stoischen Ruhe und Gelassenheit über sich ergehen. Er meinte nur:
„ Wie David, der Goliath von Gath getötet hat.“
In den folgenden Tagen erlitt der Mörder Gérard immense Qualen. Man folterte ihn, indem man seine rechte Hand durch ein glühendes Eisen verbrannte, mit Zangen an sechs Stellen des Körpers Fleisch von den Knochen riss, ihn an einer Stange aufhängte und auspeitschte, nachts an den Händen und Füßen zu einem Ball zusammengebunden, am Tag mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen an einer Stange aufhing. Zwischendurch wurde ihm die Haut vom Körper gepeitscht. Am 14. Juli richtete man Gérard hin, dabei vierteilte man ihn lebend, weidete ihn aus, riss sein Herz aus der Brust und schmiss es ihm, laut gerichtlichem Brauch, ins Gesicht. Zu guter Letzt schlug man ihm noch den Kopf ab.
Bei aller Brutalität der Hinrichtung kam am Ende noch heraus, dass Balthasar Gérard im Auftrag des spanischen Königshauses handelte und als Lohn 25000 Kronen erhalten sollte. Nun änderte man diese Vereinbarung, indem man den Eltern von Gérard anstatt der 25000 Kronen drei Landgüter in den Franche-Comté übertrug, ehemalige Ländereinen von William I. von Oranien und Nassau. Zusätzlich erhob man die Familie in den Adelsstand. Der apostolische Vikar Sasbout Vosmeer betrieb die Heiligsprechung Gérards und reiste hierzu mit dem Kopf des Toten nach Rom. Sein Ansinnen wurde dort aber abgelehnt.
Die Ermordung des Statthalters von Delft rief landesweit eine große Bestürzung hervor. Als auch noch die näheren Umstände dieses Auftragsmordes durch das spanische Königshaus bekannt wurden, ging ein Aufschrei durch die Gemeinschaft der Geusen. Man traf sich, konnte aber keine weitere Einigkeit in der gesamten Führung erzielen, bis Fürst Moritz von Oranien als Statthalter von der Provinz Holland und Zeeland ernannt wurde. Er übernahm zugleich die Amtsgeschäfte seines Vaters, und organisierte mit harter, aber ordnender Hand.
Die vier niederländischen Kriegsschiffe unter der Leitung von Kapitän Jan Martens verließen in den frühen Morgenstunden gegen Ende Juli 1584 den Hafen von Delfshaven. Die beiden Schiffe „Santa Monica“ und „Santa Antonia“ wurden in der Zwischenzeit ähnlich umgebaut wie die „Isabella“ und die „Piet van Houte“; neue Waffentechnik mit eigenen hergestellten Bug- und Heckkanonen in der Schmiede von Delfshaven, sowie überarbeitete Sprenggranaten mit längeren, bohrerähnlichen Spitzen, die sich tief in die getroffenen Holzteile der gegnerischen Schiffe eindrehen sollten. Es wurde auch eine verbesserte Sprengkraft und eine weitere Flugdistance über inzwischen 3000 Meter, bei Verstellung des Höhenwinkels erreicht. Die vier Schiffe segelten langsam auf dem Fluss Nieuwe Maas zur Mündung in die Nordsee, wo ihnen eine sehr frische Brise aus Nordosten entgegen blies.
„Achtung, klar zur Halse.“
„Ist klar.“
„Falle ab. Fier auf die Schoten.“
„Hol dicht die Großschot.“
„Rund achtern.“
„Hol über Fock.“
„Fier auf die Großschot.“
„Neuer Kurs: 51° Nord und 1° Ost.“
„Neuer Kurs liegt an.“
„Achtung: Vollsegel setzen.“
Nach diesen Befehlen an die Segelmannschaft instruierte Rüth van Deigh, der Flaggengast, die anderen drei Schiffe per Flaggensignal von den Kursänderungen, die sie auch prompt durchführten.
Der Wind frischte weiter auf, die Wellenberge vergrößerten sich, brachen sich über dem Bugspriet, sprühten hohen Gischt über das Vordeck, sodass es seitlich durch das Speigatt wieder abfließen konnte. Jedes Schiff besetzte jetzt ihren Mastkorb, um aus der eigenen Perspektive die Wasserwelt um sich herum besser beobachten zu können. Gerade hier, in diesen Gewässern wimmelte es von Piraten oder Kaperkapitänen, die sich eine Beute von mehreren Kriegsschiffen nicht entgehen lassen würden.
„Mehrere Segel aus Nordwest. Kurs die Straße von Dover.“
„Weiter beobachten.“
Die Flaggensignale der anderen Schiffe zeigten sogar fünf Schiffe an, also mussten sich hinter diesen Drei noch zwei Weitere befinden. Engländer? Man wird es bald wissen, denn ihr Kurs führte sie ebenfalls zur 33 Kilometer breiten Wasserstraße von Dover.
Jan suchte jetzt mit seinem Fernrohr den Horizont in Richtung Nordwesten ab. Dabei erkannte er die Mastspitzen von zwei Schiffen. Langsam vervollständigte sich das Bild, und auch die drei letzten Schiffe gesellten sich dazu.
Die ganz außen fahrende „Santa Monica“ mit Kapitän Claude von de Kirk bestätigte, dass englische bewaffnete Handelsgaleonen ihren Kurs kreuzten.
Jan erkannte jetzt ganz deutlich das führende Schiff, die „Primrose“, ein Handelsschiff aus London.
„Achtung, fünf weitere Segel aus Nordwest, gleicher Kurs.“
„Weiter beobachten.“
Wieder erhielt Jan die Bestätigung seiner anderen Schiffe. Man hatte noch weitere bewaffnete Handelssegler ausgemacht.
Win Wouters, der Navigator bestätigte:
„Jan, in etwa einer Stunde kreuzen wir deren Kurs, und haben mit dem führenden Schiff direkten Kontakt.“
Jan nickte und schaute weiter auf die führende „Primrose“, die sehr tief, durch schwere Fracht, im Wasser lag. Der Blick durch sein Fernrohr hing jetzt auf den folgenden Schiffen, die „Gloria“ und die „Miranda“, ebenso schwer, bis zum Anschlag beladen. Wo wollen die Schiffe hin? Eine so große Handelsflotte direkt aus London?
Die „Primrose“ näherte sich bis auf dreihundert Meter der „Isabella“ von Jan Martens, sodass die nötigsten Worte über den Sprechkontakt per „Flüstertüte“ gewechselt werden konnten.
„Hallo „Primrose“, mein Name ist Kapitän Jan Martens auf der „Isabella“, wohin führt der Kurs einer so großen englischen Handelsflotte?“
„Hallo „Isabella“, Kapitän Martens. Mein Name ist Kapitän John Trevor. Auf Anordnung unserer Königin Elisabeth I. bringen wir zehn Schiffsladungen mit Lebensmittelgütern nach Spanien. In Spanien soll es eine Missernte gegeben haben. König Phillipp II. hatte unsere Königin um Hilfe gebeten. Anscheinend hatte sich die politische Lage zwischen Spanien und England erheblich verbessert, darum bat man England in einer Notlage mit wichtigen Gütern zu helfen.“
„Nichts für ungut, Kapitän Trevor, wir wunderten uns nur und wollten sicher gehen, dass auch Alles in Ordnung ist. Wir wünschen eine gute Reise.“
Die vielen Schiffe segelten eine ganze Weile dicht neben einander durch die Straße von Dover, und bewunderten, wie viele Seefahrer vor ihnen, die gerade von der Sonne angestrahlten weißen Kreidefelsen von Dover, die auf der englischen Seite die Wasserstraße säumen. Die bis zu 106 Meter hohen Klippen sind ein Teil des North- Down Hügelzuges. Die sehr weißen Klippen bestehen aus weißem Kalziumcarbonat, versetzt mit schwarzem Feuerstein.
In der Front der Felsen nisten viele Vogelarten, wie der Eissturmvogel, sowie eine Menge Kolonien der Dreizehenmöwen. Die „Isabella“ segelte diesmal in einem etwas weiteren Abstand von den weißen Klippen, wurde aber doch noch von dem Höllenlärm der vielen Seevögel erfasst, und konnte sich kaum der heranstürmenden Seevögel erwehren, die es gar nicht so toll fanden, dass hier so viele Großsegler vorbeikamen.
„Achtung, neuer Kurs: 48,5° Nord und 3° West.“
„Neuer Kurs liegt an.“
Rüth van Deigh gab per Flaggensignale direkt die Kursänderung weiter, sodass die anderen niederländischen Schiffe sich im gleichen Kielwasser bewegen konnten. Die englischen Frachter folgten zwar ihrem Kurs, konnten jedoch der schnellen Fahrt dieser Kriegssegler nicht mehr nachkommen.
Jacob Vischer, der Steuermann, übergab das Steuerrad einem Rudergänger und setzte sich zu Win Wouters und Jan Martens an den großen Besuchertisch im Ruderhaus. Kurz darauf gesellte sich noch Jonas de Beur, der Geschützmeister zu ihnen, um sich vom Koch einen heißen aromatischen Kräutertee bringen zu lassen.
„Sagt mal, Jungs, “ meinte Jonas, „ was ist das für eine politische Veränderung zwischen Spanien und England? Heißt das etwa, die haben einen gewissen Frieden vereinbart? Irgendwie passt das nicht zusammen.“
„Ich kann mir nur denken“, gab Jan zur verstehen, „dass es sich hier um eine kleine Atempause zwischen diesen Staaten handelt. Wenn Phillipp II. die englische Krone um Beistand bittet, muss sich sein Land im Moment in einer prekären Notlage befinden. Eine Missernte der Landwirtschaft, die das ganze Land in Schwierigkeiten bringt, bedeutet, dass man nie gewisse Vorsorgen getroffen, sondern alle Vorräte für die Versorgung der vielen auswärtigen Soldaten und Schiffe in den Kriegen und den Kolonien geschickt hat. Das viele Gold und Silber hortet der König, versäumte es aber, rechtzeitig landesweite Lager für das eigene Volk an zu schaffen, dafür lässt er sich auf Mordaufträge ein und stützt seinen Blick nur auf die vergrößerte Macht.“
„Aber was macht dann Königin Elisabeth I, hat sie auf einmal ein erweichtes Herz für die Spanier entdeckt, oder ist es eine Intrige Ihrerseits, um das spanische Volk auf zu rütteln, zum Sturz ihres geliebten, glaubensstarken Königs? Will sie als die zu liebende Königin angesehen werden?“ fragte Jacob Fischer.
„Wer weiß“, meinte Jonas de Beur, „ was in den Köpfen dieser Machtmenschen vorgeht. Bekannt war doch, dass vor Jahren König Phillipp II. um ihre Hand angehalten hatte. Aber geklappt hatte das nie. Soviel ich weiß, war Elisabeth ihm nicht ganz abgeneigt, zumindest was das nächtliche Bett betraf. Sie war schon immer gewissen Männern gegenüber sehr angetan. Man spricht auch für eine Liebelei zwischen Francis Drake und ihr. Jetzt zeigt sie ihre Schwäche für Spanien? Nur wie vertragen sich dann die vielen Überfälle auf die spanischen Schiffe? Auf Grund von Gold und Silber und wegen der Weltherrschaft zu Land und zu Wasser?“
„Ich weiß es auch nicht“, sagte Win Wouters, lehnte sich in der Bank etwas zurück, zog an seiner Pfeife, „erst lädt uns diese Königin nach London ein, übergibt uns einen Kaperbrief, damit wir über die Spanier herfallen. Dann lässt sie sich in gefühlsbetonter oder auch eiskalter Berechnung auf eine mögliche verzweifelte Bitte des spanischen Königs ein. Wer versteht denn diese Politik? Ich glaube nicht, dass dieses Techtelmechtel lange anhält. Anstatt erst einmal vor zu fühlen, schickt sie gleich eine ganze Armada von Schiffen, bepackt mit Lebensmitteln nach Spanien. Wenn das man gut geht.“
Die vier niederländischen Schiffe kamen gut voran. Sie erreichten das Ende des Kanals, und umkurvten die Halbinsel der Bretagne. Der weite Atlantische Ozean lag vor ihnen.
„Achtung, klar zur Halse.“
„Ist klar.“
„Falle ab. Fier auf die Schoten.“
„Hol dicht die Großschot.“
„Rund achtern.“
„Hol über Fock.“
„Fier auf die Großschot.“
„Neuer Kurs:39 °Nord und 31° West, Ziel die Insel Flores der Azoren.“
„Neuer Kurs liegt an.“
Der kräftige Nordwind trieb die vier Schiffe vor sich her. Unter Vollzeug wurde ihre Fahrt regelrecht nach vorne gepeitscht, es war eine Pracht diese Großsegler mit schneller Fahrt zu beobachten. Zur Stabilität ließ Jan Martens die Seitenschwerter ausfahren, damit das Schiff ruhiger die See schnitt. Die anderen Schiffe folgten seinem Beispiel.
Sie hielten sich weit ab von der französischen Küste, und vermieden den Golf von Biscaya mit seinen unterschiedlichen Strömungen und wechselnden Winden. Hinter ihnen, im Bereich englischer Südküste und der Nordküste von Frankreich braute sich eine dunkle Wolkenbank zusammen, die auf sehr schlechtes Wetter hin deutete. Vielleicht blieb diese Wetterfront hinter ihnen, sodass sie zurzeit nur den Vorschub dieses kräftigen Windes als Randerscheinung des Wetters erlebten?
Jan schaute immer wieder durch sein Fernrohr und runzelte die Stirn. Er konnte die zuckenden Blitze erkennen; jetzt vernahm man auch das grollende Donnern, was langsam hinter ihnen herkam, und von Mal zu Mal deutlicher zu vernehmen war. Holte das Wetter sie doch noch ein? Keiner konnte es vorher sagen, Alle starrten gespannt auf diese Kapriolen. Die Wellentäler verlängerten sich, die Wellen verstärkten sich, und knallten gegen das Bugspriet, um in einer Meter hohen Gischtwolke über das Oberdeck zu sprühen, um dann seitlich wieder ab zu laufen. Jan ließ zur Vorsicht Halteseile spannen, damit sich die Segelmannschaft, die gerade ihren Dienst an den Masten versah, die Möglichkeit besaß, sich fest zu halten.
„Achtung, Großsegel reffen, dafür Trysegel und Sturmfock setzen. Zwei Rudergänger das Steuerrad besetzen. Rüth, gebe folgende Flaggensignale:Großsegel reffen, dafür Trysegel und Sturmfock setzen.“
Der starke Wind mutierte zu einem ausgewachsenen Sturm. Bald hieß es den Sturm „abwettern“. Jan wusste aus Erfahrung, dass sie sich hier auf eine schlimme Situation einließen.
„Achtung, lenzen vor Topp und Takel mit geschleppten Leinen. Alle Luken und Türen geschlossen halten. Lose Stücke festbinden.“
Die Männer zogen jetzt die letzten Segel ein; am Ruderrad standen nun drei Rudergänger, damit das Schiff mit dem Bug in den Wellen blieb und nicht abdriftete. Rüth van Deigh gab die Anweisungen per Flagge weiter. Es kam darauf an, wie stabil die Schiffe mit derartigem Wetter umgehen konnten.
Der Sturm verstärkte sich immer weiter, die Wellenberge erhöhten sich auf einige Meter und krachten auf das Vorschiff, drückten es unter Wasser, um es wie einen riesigen Wal wieder aus zu speien und den Vorgang zu wiederholen. Jeder Seemann auf diesen Schiffen hielt sich fest, oder gurtete sich irgendwo an, um nicht wie ein Spielball durch die Abdrift in der Gegend herum zu fliegen und sich dabei alle Knochen zu brechen.
Der Sturm heulte und jaulte in der Takelage, Blitze zuckten in die Mastspitzen und versprühten ein bläuliches Licht. Eine riesige Wasserwand baute sich in der näheren Entfernung auf, ließ die Männer im jeweiligen Ruderhaus erstarren und die Luft anhalten. Denn was da auf sie zu kam, bedeutete schon die äußerste Grenze, die ein Schiff aushalten konnte. Die Männer am Steuerrad hielten die Speichen fest, gurteten sich noch einmal extra fest, um nicht vom Ruder zu stolpern und erwarteten einen Monsteranprall von Wassermassen, der das Schiff zuerst wie ein leichtes Stück Holz anhob, um es dann weit unter Wasser zu drücken. Jetzt half nur noch beten, dass das Schiff stark genug gebaut war und nicht umschlug. Es musste gerade, ohne ab zu driften aus dem Wasser heraussteigen, und dazu gab es nur einen Versuch.
Keiner der Männer im Ruderhaus vernahm jetzt
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Caspar de Fries
Bildmaterialien: Caspar de Fries
Tag der Veröffentlichung: 16.11.2014
ISBN: 978-3-7368-6095-7
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