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Prolog

 

Name: Rainer Göcht

Buchautor und Schriftsteller

Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben

Texte und Bildmaterialien:

Rainer Göcht

Alle Rechte vorbehalten

Vorwort

Mein Vater kam mit der Nachricht nach Hause, zum 1.11.1967 nach Wipperfürth zu ziehen.

 Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Umziehen? Weg von den Freunden? Was wird mit der Schule? Meine Eltern hatten wohl einen ernsthaften Streit, meine Mutter wollte nicht nach Wipperfürth, meine Schwester wollte ihr Abitur machen, und kurz vorher noch die Schule wechseln, gar nicht aus zu denken. Nach meiner Meinung fragte natürlich keiner, denn ich war der Kleine, eben noch zu jung für eine eigene Meinung.

Mein Vater äußerte lautstark und immens seine Position und drohte mit Trennung.

Es kam, wie es kommen musste, mein Vater setzte sich gegen die Meinung meiner Mutter durch.

Ein letzter Rückblick

Einschulung in der Volksschule Allerstraße, ebenfalls eine Querverbindung zwischen Rhein – und Weserstraße. Ein Holzzaun umschloss das Schulgelände, den Schulgarten und das Toilettenhaus mit den Plumsklos hinter der Schule. Die Schulklassen waren zur Ordnung verpflichtet, Sauberkeit, Schulgarten bearbeiten, Toiletten reinigen. Meist erledigte dies eine Strafkolonne.

Ein sehr strenger Rektor mit Rohrstock führte ein manchmal zu hartes Regiment. Seine Kommiss- Vergangenheit konnte er nicht leugnen. Er verteilte höchst gerne Hiebe auf die gängige kurze Lederhose, das hieß, antreten vor dem Rektorzimmer in der 1.Etage mit Blick auf den Schulhof. Züchtiges zögerndes Anklopfen, es dauerte einen Moment, ein knarrendes „herein“. Die Tür schließen, Hände nach hinten verschränkt,  kurz mitteilen, warum man eine Strafe zu erwarten hat, mit dem Bauch über einen bereitgestellten Stuhl legen, Luft anhalten, klatsch, klatsch auf die Lederhose, bei Jammern Zugabe. Sein Kommentar, da wäre noch viel Natur zum bearbeiten. Oder Strafmaßnahme Strafkolonne Hausmeister nach der Schule. Der Hausmeister war immer besoffen und merkte dann gar nicht, wenn er nach kurzer Zeit keinen Schüler mehr um sich hatte. An den Ohren drehend ziehen, Schlüssel, Schwämme, Kreide treffsicher fliegen zu lassen gehörten zu den harmloseren Bestrafungen, Man nannte dies aufwecken, wachrütteln, Klappe halten.

Mein Schulfreund aus Volksschultagen hieß Rolf, geb am 20.02.1951, ein paar Tage jünger als ich, was aber der Gesamtentwicklung nichts entgegen stand. Unzertrennlich, hatten die gleichen Interessen, vor allen Dingen Fußball  auf dem Kasernenhof spielen, Vernünftiges aushecken, Abenteuer suchen, auf alten verrosteten Schiffen spielen, ein Floß mit alten Kunststofftonnen, abgelegten Brettern und Schiffseilen bauen, Fahrrad fahren, schwimmen, eben alles, was die Sachlage in Wilhelmshaven zuließ.

In jedem Häuserblock, über 2-3 Straßen, wohnten bestimmte Jugendliche, die irgendwie zusammenhielten, ich will nicht sagen eine Bande, aber man unternahm etwas zusammen.

Es fing mit der Fußballmannschaft an, Räuber und Angreifer, Seeräuber auf dem Kanal, alte Bunker auskundschaften, es war immer etwas zu tun. Die anderen Blocks unternahmen ähnliches, und so kam es dann zu Aufeinandertreffen, z.B. ein Fußballspiel gegeneinander, natürlich ohne Schiedsrichter. Bei Uneinigkeiten sprach auch schon mal das Faustrecht.

Wir spielten meistens auf dem Kasernenhof mit zwei großen Bunkern, einer rechteckig und zugemauert, der andere rund mit spitzen Dach, dreistöckig, der hintere Teil fehlte. Ideal zum klettern, eine Festung anlegen, also etwas für Räuber.

Die erste Zigarette, die ich rauchte, oder mit viel Husten paffte, klaute ich meinem Vater. Er rauchte schon mal Overstolz, Juno, oder Eckstein. Die Bunker boten für solche Unternehmungen den besten Schutz. Für 50Pf erstanden wir auch eine Schachtel Leut, Inhalt sechs Zigaretten, später nur noch fünf Stück. Einmal musste ich auf unserem Hof einen Teppich ausklopfen. Man legte ihn über die Teppichstange und haute mit dem Teppichklopfer den Staub aus dem Teppich. Meine Bemühungen unterbrach ich, um im vermeintlichen Schutz inmitten des Teppichs eine Leut-Zigarettenpause zu machen. Dass dann rechts und links aus dem Teppich verräterischer Rauch aufstieg und meinem lauten Teppichklopfen eine schöpferische Stille folgte, beachtete ich nicht. Eine flache Erwachsenenhand wischte um die Ecke und beendete meinen Erwachsenentraum abrupt.

Der andere Bunker reizte sehr, gerade weil er zugemauert war. Das Gemauerte entsprach ungefähr der Größe eines Fußballtores und ließ sich wunderbar zum Bolzen gegen die Wand nutzen. Im Laufe der Zeit lockerten die Mauersteine, wir halfen natürlich etwas nach. Dann war es soweit, die Öffnung entsprach unserer Körpergröße, wir kletterten hinein. Es verursachte doch ein sehr beklemmendes Gefühl, weil man nicht wusste, was einen erwartete. Wer mitmachen wollte, suchte zu Hause heimlich die Bestände der Kerzen durch, ein paar Taschenlampen, und sogar eine alte Petroliumlampe sorgten für Licht.

Auf der rechten Seite befand sich eine alte Luftschutztür zum angrenzenden Schrottplatz nach draußen, die ließ sich jedoch nicht mehr öffnen. Vor einer Treppe ohne Geländer nach oben in die 1.Etage war wiederum eine Luftschutztür mit mächtigen Riegeln. Die Tür ließ sich öffnen, und wir befanden uns in einem abgeschlossenen Raum mit vier Holzpritschen an der Wand, in der Ecke lag ein Haufen mit Blechessgeschirr, zwei Gasmasken, alte Handschuhe. Diesen Raum nutzten wir Jungs als Treffplatz. Je tiefer man in den Bunker eindrang, je gruseliger wurde es. Es hallte von den Wänden zurück, überall gab es kaputte Luftschächte , angelegt  wie Fallgruben, Unmengen von alten Schuhen und alten Regenmänteln, aber Gott sei Dank keine Leichen. Der Mut nahm zu, man gewann die Orientierung, wir fühlten uns wohl.

Manchmal erhielten wir am Bunker weiblichen Besuch. Das Mädchen hieß Madeleine, blonde Zöpfe, hoch aufgeschossen. Sie gehörte zum „anderen Block“. Sie wollte gerne auch einmal in den Bunker, keinem von uns war die Begeisterung an zu sehen. Sie sagte, sie würde für den Eintritt bezahlen. Na ja, gegen Geld hatte keiner etwas. Die Idee, Eintritt zu nehmen, wurde gerade geboren. Aber sie verlangte von uns Jungens Geld, nämlich 1 DM, dafür zieht sie sich aus. Wir sahen uns verstehend an und beratschlagten. Jeder von uns kannte deren Mutter mit ihrem Privatetablissement, und nun wollte die Tochter in die gleichen Fußstapfen treten? Die Investition fand allgemeine Zustimmung und mit weltmännischen Kennerblicken verfolgten wir die Privataufführung. Nachher bekräftigte sich die Meinung, dass eine Wiederholung nicht mehr in Frage kam.

Ihr Bruder Hauke, ein unangenehmer Zeitgenosse, ein bis zwei Jahre älter als wir, bekam Wind von dieser Vorführung und drohte mit Schlägen. Als Chef seines Blocks musste er ein Exempel statuieren. Er hatte es hauptsächlich auf mich abgesehen, warum kann ich nicht mehr sagen. So eine Prügelei, unter Gentlemen, bedarf einer terminlichen Abstimmung, dafür sollte ein Nachmittag auf dem Kasernenhof angesetzt werden. Jede Gruppe erschien fast vollzählig, sie bildeten einen großen Kreis, damit die Kontrahenten Platz zum Raufen hatten.

Die Angelegenheit war nach kurzer Zeit erledigt. Hauke hatte eine blutende Nase und ein zerrissenes Hemd.

Plötzlich fuhr das Auto unserer grünen Freunde um die Ecke. Beide Gruppen verteilten sich wie auf einem Fußballfeld und begannen ein normales Fußballspiel. Die beiden Polizisten verweilten einen Moment, als wenn sie nicht glauben wollten, was sie da sahen.

Friede, Freude, Eierkuchen …….

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch einmal über die grundsätzlichen Essgewohnheiten der eigenen Familie berichten. Ich aß gerne morgens Haferflocken mit Milch und Zucker, manchmal auch Kakao. Meine Eltern tranken Kaffee. Als Brot gab es Schwarzbrot und Graubrot vom Becker. Viel selbstgemachte Marmelade oder Gelee. Milch zapfte man im Milchladen in eine Milchkanne, Margarine, meistens Rama, an Wurst: Blutwurst und grobe Leberwurst, Käse am Stück, manchmal Harzer Roller mit Kümmel. In der Woche Kartoffeln und Gemüse, Eintopf, Stippe mit Pellkartoffeln und Speck, natürlich Fisch. Meine Mutter aß gerne geräucherte Flunder. Sonntags ein Frühstücksei, aber immer mit Brötchen, sonst war es Verschwendung, mittags einen Sonntagsbraten mit Kartoffeln und Gemüse oder Blattsalat mit Sahne und Zucker.

Dies als kleines Zwischendurch.

Wieso erwähne ich diese ganz normalen Essgewohnheiten? Ganz einfach, denn wenn man mit seinen Freunden deren Familien besuchte, war es normal, dass auch wir als Gäste eine Stulle Brot mit feiner Leberwurst von der Mutter des betreffenden Jungen erhielten. Ich möchte von einem Jungen namens Dieter erzählen, der hinter dem Nassauhafen in der ehemaligen Hausmeisterwohnung einer alten Textilfabrik wohnte. Die Wohnung befand sich im Dachgeschoss, man musste vier Etagen eines sehr brüchigen Treppenhauses erklimmen, um die Wohnung zu erreichen. Die darunter befindlichen Etagen waren überfüllt mit alten, nicht mehr gebrauchten Textilmaschinen aus der Vorkriegszeit, zum Spielen für uns Jungens ein interessanter Ort. Nur, wir gingen zu Dieter an einem bestimmten Tag in der Woche, um nicht die nächsten Sendungen von "Sport-Spiel-Spannung" zu verpassen. Man bemerke, die Eltern von Dieter besaßen einen Fernsehapparat, ein Luxus, den sich nur wenige Leute leisteten. Da saßen wir nun auf einer riesigen Couch, in einer Hand die Stulle mit feiner Leberwurst, dazu begierig diese Sendung mit zu erleben. Welch ein Gegensatz.

Viel meiner Freizeit verbrachte ich am Nassauhafen, mit seinen Zubringerschiffen zum Ölhafen, Krabbenfischern und Segelbooten. Der Schiffsanleger bestand aus einem Ponton, also schwimmend, passt sich dem unterschiedlichen Wasserstand an, verursacht durch den sechsstündlichen Wechsel zwischen Ebbe und Flut. Am Ponton befestigt, führte eine lange Brücke zum Ufer. Angetan hatte es mir die Courier, ein 70 Tonnenschiff, welches zum Transport von Proviant für die Tanker, Arzt oder Lotse, oder Mitnahme von Seeleuten genutzt wurde. Mit dem Kapitän, Herrn Fred Eilts, freundete ich mich an. Ich durfte dann so oft ich Zeit hatte, viele Touren der Courier mitmachen.

                      
        

Die Liebe zur weiten See hatte ich hier entdeckt. Die vielen Erlebnisse mit Herrn Eilts und der Courier beeinflusste mein Denken. Ich wäre gerne Seemann, bzw. Kapitän geworden, dass das Schicksal es anders drehte, ist mir viele Jahre später erst in den Sinn gekommen. Irgendwann zieht jeder einmal eine Zwischenbilanz und denkt über sich und sein Leben nach.

 Eine gewaltige Sturmflut überrollte 1962 die gesamte Nordseeküste, viele Deichbrüche, zerstörte Häuser und 340 Tote waren zu beklagen. Schlimm hatte es Hamburg erwischt.

Nicht weit von unseren Wohngebieten brach ein Deich und der gesamte Seglerhafen mit allen Schiffen und Gebäuden spülte weit ins Land. Viele Weidetiere verendeten. Wir hatten Glück, dass das Wasser nicht über unserem Deichabschnitt lief, man sprach von einem halben Meter unterhalb der Deichkrone, und das bei 3Meter unter NN.

Die enormen Stürme verursachten auch Probleme in der Schifffahrt. Einige Schiffe gerieten in Seenot, der Seenotrettungskreuzer lief im Dauereinsatz immer wieder aus. Ein Küstenfrachter trieb führerlos vor der Vogelinsel Mellum. Die Besatzung, der Kapitän, gleichzeitig der Schiffseigner, mit Frau und kleinem Kind spülten über Bord. Die Frau konnte nach vielen Stunden, hilflos in der Nordsee treibend, stark unterkühlt, gerettet werden. Das kleine Kind hatte sie auf ihrem Rücken festgeschnallt, lebte nicht mehr. Ihr Mann, der Kapitän trieb ein paar Tage später bei uns am Südstrand tot im Wasser, es war kein schöner Anblick…..

Die Kaiser-Wilhelm-Brücke ist das heimliche Wahrzeichen der Stadt Wilhelmshaven. Dreh – und Angelpunkt der Schifffahrt, Schicksalsort verschiedener Lebensunschlüssigen, Badesprungturm für Mutige. In der Mitte, Vom Geländer gemessen, beträgt die Höhe dreizehn Meter. Ich selbst bin zwei Mal per Fußsprung von der Brücke in den Kanal gesprungen, tolle Sache, aber hinterher schmerzten die Füße vom Wasseraufprall. Dieses Herunterspringen wurde öffentlich verboten, die Polizei schickte verstärkt Streifen.

Die Drehbrücke zu beobachten, war ein interessantes Schauspiel, wenn die großen Schiffe die Brücke passierten. Ich verbrachte hier an der Kaimauer viel Zeit, um Schiffe zu beobachten, Kohlezeichnungen in vielen Variationen her zu stellen. Hier konnte man von der Seemannschaft, Schiffen und ferner Ländern träumen. Kein pflichtbewusster Ruf, du musst dies oder das, hier war man für sich, keine sonstige Unterbrechung.

Unterhalb der Brücke, in einem alten Hafenbecken, befand sich ein alter verrosteter Frachter, lose Schiffsplanken, tief unten im Schiff gurgelte das Bilgewasser. Hier konnte man wunderbar ungestört angeln, ohne entdeckt zu werden. Grundangel für Aale und Schollen, Angel mit mehreren Haken für die Heringsschwärme, wenn die große Schleuse sich öffnete.

Ab und zu aßen wir zu Hause selbst geangelten Fisch….. Hier war auch der Platz, wo wir unser Floß bauten. Überall lagen alte Plastikfässer herum, alte Schiffsleinen, ausgediente Bretter, altes Segeltuch. Dies vernünftig zusammengebaut, ergab ein prima Floß. In diesem Seitenbecken des Hafens verirrte sich selten ein Schiff, schon mal die Wasserschutzpolizei, aber als sie sahen, dass alles recht harmlos von Statten ging, ließen sie Gnade vor Recht ergehen, mit der Belehrung, nicht mit unserem Gefährt in den Kanal zu fahren.

Hier in der Nähe legte eine alter, sehr knorriger Fischer seine Aalreusen aus. Natürlich fanden wir Jungens es spannend, ab und zu nachzuschauen, ob sich ein Aal in diesen länglichen Körben verirrte. Wir waren gerade dabei, eine der Reusen auf unser Floß zu hieven, als der alte Fischer mit seinem Ruderboot um den alten Frachter herum ruderte, und uns in Flaganti erwischte. So schnell konnten wir gar nicht denken, wie schnell die äußerst schwielige Hand des alten Fischers uns um die Ohren sauste. Aber danach sagte er nur: "Ihr hättet mich fragen sollen." Danach war für ihn die Angelegenheit beendet. In der darauf folgenden Zeit zeigte er uns viele Kniffe und Möglichkeiten, wie man eine Angel baut, richtig angelt, oder eine Fischfalle selber herstellt. 

Probefahrt mit einem selbstgebauten Kajak war angesagt. Es sollte für zwei Mann gebaut sein, schaffte mit viel Augenzwinkern gerade mal eine Person. Zur Austarierung der Schlagseite musste rechts ein Stein mittlerer Größe untergebracht werden. Bei der ersten Fahrt im Kanal lief das Boot voll, ein Riss in der Außenhaut des Bootes verursachte das Dilemma. Die zweite Fahrt war ein Erfolg. Der Gartennachbar von den Eltern meines Feundes Werner, Herr Tätsch, baute das Boot aus Resten von Theaterkulissen, er arbeitete dort als Kulissenschieber und Schreiner. Für sich zimmerte er ein Motorboot, selbst seine Gartenlaube bestand aus Kulissen, ich glaube vom Theaterstück: die Jungfrau von Chajeau.

Sein Lieblingssatz, wenn er etwas zu seiner Zufriedenheit erledigte, war:

Geleimt und genagelt, das hält wie Hund.

                           
                               

Oft fuhr ich mit dem Fahrrad zum Nassauhafen, um bei einer Fahrt Richtung Ölhafen und weiter dabei zu sein. Die meisten längeren Fahrten begannen in der Mittagszeit, um nach fünf bis sechs Stunden Fahrt vor Einbruch der Dunkelheit wieder im Hafen zu sein. Für Ärzte und Lotsen, die zu den Tankern auf Reede wollten, war es wichtig im Hellen das Fallreep zu erklimmen. Bei rauer See konnte ein direktes Festmachen an einem riesigen Tanker sehr gefährlich werden. Doch diese Leute verstanden etwas von Ihrer Tätigkeit.

Wenn Herr Eilts, Kapitän der Courier, gerade nicht an Bord der Courier war, holte er sich in den Büroräumen des Jadedienstes seine Aufträge. Ich sah ihn dann von weitem mit seinem schaukelnden Seemannsgang, leicht gedrungen, braun gebranntem Gesicht, immer ein Lächeln, Pfeife rechts im Mund, seinem blauen Seemannspullover und seiner blauen Seemannsschirmmütze.

Er fragte nur: Hast Du Zeit? Es geht da….. oder da hin…

Zur Besatzung der Courier gehörte noch Hannes, ein junger Matrose, Bärenkräfte, lachte immer. Mit ihm verstand ich mich sehr gut. Weiterhin gab es da noch Piet Eilers, Alter undefinierbar, viele Runzeln im Gesicht er half ab und zu aus , falls ein Mann fehlte, ansonsten war er Kapitän der „Hanne“, ein Holzschiff, gebaut um 1900. Es hatte einen kleinen Frachtraum, daneben einen Aufenthaltsraum mit drei Schlafkojen, die immer klamm und feucht waren. Piet nahm mich auch schon mal mit auf Fahrten zum Ölhafen.

Zu erwähnen sind die 4 Makerboote, kleine Schlepper, die bei Eintreffen der Tanker die Schiffstrossen zu den Bugsierern bringen, die dann die Tanker an den entsprechenden Kai schleppten.

Wir warteten auf ein Lieferfahrzeug, das diverse Lebensmittel für den Tanker „Poliere“ mitbrachte, ein 48000 Tonnen - Schiff. Die speziell wasserdicht verpackten Kartons übernahm die Courier in seinem Frachtraum. Zwei Besatzungsmitglieder des Tankers beendeten ihren Landgang und fuhren mit.

Die Fahrt zum Ölhafen dauerte je nach Tide ca. eine Stunde. Wir machten direkt neben der „Poliere“, ein französischer Tanker, fest, und sofort übernahm ein Lastenkran hoch oben vom Schiff die Fracht. Ich hatte die ehrenvolle Aufgabe zur Schiffsführung der Poliere den Postbeutel zu bringen. Ich kletterte das Fallreep hinauf und schaute ca. 15 Meter hinunter zur kleinen Courier, welch ein Unterschied. Ein Besatzungsmitglied des Tankers begleitete mich zum Kapitän und ersten Offizier. Unterwegs versuchte ich mit meinem Schulfranzösisch etwas zu glänzen, ich wurde zumindest verstanden. Die Begrüßung des Kapitäns war erst reserviert, das änderte sich, als ich etwas französisch sprach, seine Mimik hellte sich etwas auf. Auf dem Rückweg zum Fallreep wartete mein vorheriger Begleiter und drückte mir ein Päckchen in die Hand und gab zu verstehen, dass dies für mich und meine Familie wäre. Das Päckchen beinhaltete selbstgebackenes Brot vom Tanker, Schokolade, eine Dose mit fünfzig Zigaretten. Das Brot duftete und schmeckte sehr lecker……

Krabbenfischer des Nassauhafens, mit denen ich mich im Laufe der Zeit anfreundete, gaben mir zu spüren, dass ich zur großen Familie des Hafens gehörte. Dass ich noch ein Schuljunge war, störte sie nicht. Deren Söhne und Töchter fuhren in den Ferien mit den Vätern zum Fischen. Schnell sprach sich herum, dass ich gerne Granat aß, so manche Tüte mit diesen herrlichen geräucherten Tierchen schenkte man mir, um dann puhlend am Deich zu sitzen und den Tag genießen. Herr Eilts bestellte sich regelmäßig seine Schollen, gebraten mit viel Zwiebeln und Bratkartoffeln, Piet Eilers von der Hanne aß am liebsten Aal, Hannes war da nicht so wählerisch. Es herrschte ein rauer aber herzlicher Ton, es wurde gesungen, gelacht und auf einfache Art musiziert.

Schlusswort

 

Eine sehr schöne Jugendzeit in Wilhelmshaven neigte sich dem Ende zu. Ich hatte sehr viele großartige Erlebnisse, lernte viele Menschen kennen. Die Summe aus allen Steinchen zusammengefügt hat mein weiteres Leben stark beeinflusst, die Neigung zur Weite, der Natur, Unbekümmertheit, freies Denken, Einschätzen von Situationen, Soziales, einfaches Leben, praktisches Denken, Träumen, Romantik und   Freundschaft hat sich tief in mir festgesetzt. Eine Wiederholung ist nicht möglich und nicht nötig, ein Fortfahren wahrscheinlich.

Der Abschied aus dieser sehr abwechslungsreichen Zeit, das Zurücklassen meiner Freunde, das Wechseln in eine neue Umgebung mit vielen fremden Menschen belastete mich sehr. Ich brauchte recht lange, um darüber hinweg zu kommen.

Impressum

Texte: Rainer Göcht
Bildmaterialien: Rainer Göcht
Tag der Veröffentlichung: 13.05.2014

Alle Rechte vorbehalten

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