Name: Rainer Göcht
Buchautor und Schriftsteller
Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben
Texte und Bildmaterialien:
Rainer Göcht
Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung:12.02.2014
Wipperfürth, ist eine Hansestadt und älteste Stadt im Kreis Oberberg im Regierungsbezirk Köln in NRW. Dorthin verlegten wir unseren Wohnsitz, welch ein Unterschied zur Nordseeküste, es war alles ganz anders, die Leute, die Sprache, die Natur, einfach alles.
Aber der Reihe nach….
Es war Spätherbst 1967, eine Umzugsfirma aus Wilhelmshaven erhielt den Auftrag, den Umzug zu organisieren. Viele meiner liebgewonnenen Gegenstände durften wegen Platzmangels nicht mit. Viele Spielsachen, ein ganzer Karton Siku-Autos wanderte in die Mülltonne. Es war ein Jammer.
Aber das Jammern half nichts, ich sah es wie ein kommendes neues Abenteuer und fuhr im Möbelwagen mit, saß in der Mitte zwischen Fahrer und Beifahrer. Eine stundenlange Fahrt lag vor uns. Der Fahrer rauchte 70 – 90 Zigaretten am Tag, ein Kettenraucher, sogar während seiner Mahlzeiten rauchte er, unglaublich. Wir erreichten Wipperfürth, die Siedlung Düsterohl, im dicksten Schneetreiben, der Schnee blieb aber noch nicht liegen. Das Ausladen konnte beginnen.
Meine Schwester blieb in Wilhelmshaven. Für sie ein Zimmer gemietet, und sie besuchte weiter ihre Schule, in einem Jahr machte sie Abitur.
Ich war zu jung und musste mit nach Wipperfürth. Ein Vorteil sprang für mich dabei raus, ich hatte das erste Mal in meinem Leben ein eigenes Zimmer.
Eine große Eingewöhnungszeit gab es für mich nicht, ich musste in einer Schule angemeldet werden, Wipperfürth, Engelbert-von-Berg-Gymnasium. Das Vorstellungsgespräch verlief ganz anders, als ich mir das je vorgestellt hatte. Mein Aufnahmeantrag wurde abgelehnt. Was war passiert? Ich hatte doch ein gutes Versetzungszeugnis in das neunte Schuljahr, Ablehnung? Einfache Erklärung: In Wilhelmshaven lernte ich ab dem 7.Schuljahr als zweite Fremdsprache Französisch, hier in Wipperfürth herrschte ein anderes Schulsystem, dadurch wurde dies eine Klasse unter mir erstmalig praktiziert. Die neunte Klasse, in die ich normalerweise gehörte, hatte Latein als zweite Sprache, und ab der Neun erst Französisch. Welch eine verworrene Oberbergische Hühnerkacke. Und nun?
Die Alternative hieß Moltke - Gymnasium – Gummersbach, mein Anmeldungsgesuch angenommen, aber nur die Aufnahme in die Klasse 8, also ein Jahr freiwillig zurück. Ich war restlos bedient. Meine Stimmung sackte auf den tiefsten Punkt. Meine Eltern waren froh über die Einschulung, meine Meinung hierzu nahm keiner ernst, mir hörte keiner zu, bzw. ich hatte keinen, dem ich dieses Dilemma mitteilen konnte. Ich blieb genau 14 Tage Schüler des Moltke-Gymnasiums. Die Schule in Wipperfürth teilte mit, dass sie bereit wär, mich in die achte Klasse auf zu nehmen. Kleiner Erfolg, weil dadurch die elende Fahrerei nach Gummersbach endete. Doch wohl fühlte ich mich überhaupt nicht. Es folgte die schlimmste Phase in meiner pubertären Entwicklung.
Meine Lust, zur Schule zu gehen sackte auf den tiefsten Stand. Ich begann die Schule zu hassen und zu schwänzen, Lehrer ärgern, eben halt Blödsinn machen.
Ich rauchte, was viele andere Schüler auch taten. Nachschub an Zigaretten erhielten wir beim „Franz“, einer uralten Wipperfürther Kneipe gegenüber vom Gymnasium. Dort traf sich regelmäßig die gesamte „Elite“ der Schüler. Wir pokerten um Zigaretten, Pfennige und sonstige Errungenschaften. Franz, der Wirt, verkaufte die Zigaretten für einen Groschen, also 10 Pfennig. Hatte man keine Lust zur Schule, ging man zum Franz oder in die „Donnerkuhle“, zu Frau Knieps. Wenn die Lehrer eine Klassenarbeit schreiben wollten, und es waren wegen der Bewertung zu wenig Schüler anwesend, konnte es passieren, dass der ein oder andere Lehrer nachschaute, ob der ein oder andere Schüler doch gewillt war, am Unterricht teil zu nehmen, so versuchte der Lehrer seinen Notenschnitt gerade zu biegen. Unser Englischlehrer, Herr Ganter, war so ein Typ. Er kam in die Kneipe, übersah die Gesamtsituation, gab einen aus und nahm uns in den Unterricht mit. Ich hatte bei diesem Lehrer einmal einen Klassenbucheintrag wegen 43 Minuten langem Austreten, er fand das zu lang.
Spaß machte das Mitwirken bei den Leuten der Schulzeitung. Texte zusammen stellen, das ein oder andere Gedicht veröffentlichen, einige stammten von mir. Ein Gedicht verursachte bei den Lehrkörpern großen Unmut:
Wenn wie immer sonst um acht,
die Penne ihren Anfang macht,
wird nicht lang herumgesponnen,
frisch geschwänzt ist halb gewonnen.
Denn die Arbeit, die wir schrieben,
wär für mich ne sechs geblieben.
Geht man einmal nicht zur Schule,
hockt man in der“ Donnerkuhle“,
trinkt man dort ein kühles Klares,
so was hartes ist was wahres.
Denn die Pauker, diese Nieten,
können uns doch nichts verbieten.
Wer hat was gegen`s Gamlerleben,
lange Haare und daneben,
Nietenhosen, Hippihemden
Und das Moos in Prass verschwenden.
Hat man einen in der Krone,
zieht man`sHemd aus, oben ohne.
Tanzt man dann quer durchs Lokal
Pötten ist die bessre Wahl.
Beine lang die Kreise schwingen,
lallend wir ein Liedchen singen.
Ist man von der Kur noch sehr benommen,
und glücklich dann zu Hause angekommen,
pennt man eine Rund um die Uhr,
und ist fit für eine neue Tour.
Denn saufen macht das Leben angenehm,
und das Gammeln noch dazu bequem
Mein Schülerdasein im Wipperfürther Gymnasium endete, ich wechselte zur Realschule nach Hückeswagen in die Restzeit der Klasse 9a.
Realschule Hückeswagen
Meine Schulkameraden der Realschule Hückeswagen waren eine reine Chaotentruppe, die Lehrer hatten es besonders schwer. Mein Tischnachbar hieß Ulrich N., 198 cm groß, Chef der Klasse, zu jedem Scheiß bereit. Unsere erste Begegnung bestand aus einer Keilerei, die in der großen Pause im Klassenzimmer ausgetragen wurde. Der genaue Grund dieser Auseinandersetzung ist bis heute nicht geklärt. Die sehr ernsthafte Rangelei endete unentschieden. Er hatte ein blaues Auge, ich eine dicke Wange, die Kleidung beider Kontrahenten war etwas unordentlich, ein Stuhl der Klasse brach auseinander. Wir gaben uns die Hand und die Angelegenheit konnte begraben werden. Bei unserem Klassenlehrer sollten wir nach der großen Pause Geschichtsunterricht haben, er hielt uns über diverse Konflikte und andere Auseinandersetzungen erst einmal einen langen Vortrag. Ein Grinsen ging durch die Reihen, denn dadurch konnte man sich in der Zwischenzeit wichtigeren Dingen, wie vergessene Hausaufgaben, Kartenspielen oder Träumereien hingeben.
Wir Fahrschüler fuhren am Morgen und mittags mit der Eisenbahn, eigentlich ein Bus auf Schienen, genannt Schienenbus oder Triebwagen. Um mitfahren zu dürfen, benötigte man eine Schülermonatskarte, die kostete 4 DM. Viel Geld für einen Schüler, der wenig Geld sein Eigen nannte. Meistens benötigte ich diesen Betrag für andere Dinge, wie andere Mitschüler auch. Schwarzfahren konnte teuer werden, zumal regelmäßige Kontrollen abgehalten wurden. Schüler sind erfindungsreich, so halfen wir uns gegenseitig, denn bei dem Gedränge konnte der Kontrolleur schnell die Übersicht verlieren. So reichte man die Monatskarte durch das schmale Klappfenster über dem normalen Fenster einem draußen stehenden Schüler durch, der konnte mit Karte beim Kontrolleur einsteigen, und alle waren zufrieden, außer ich verpasste ich den Zug, dann war Auto-Stop, also per Anhalter angesagt.
Kaum zu glauben, aber es fand auch richtiger Unterricht mit Klausuren, auswendig lernen, Geographie, Mathematik Geschichte und Deutsch statt. Der Deutschunterricht mit seinem Deutschlehrer war ein Muss für Gedichtliebhaber. Alle Klassiker vom Taucher bis zur Glocke und geistigen Verse gehörten zum Repertoire dieses Deutschfanatikers mit rollendem RRRR.
Ich musste ein Gedicht aufsagen, um meine Deutschnote positiver zu gestalten, wie er immer zu sagen pflegte.
Das Gedicht hieß: Heilig Vaterland, von Rudolf Alexander Schröder. Ich weiß nur noch die ersten Zeilen, aber aufgesagt mit rollendem RRRR.
Oh, Herrrrrrr, Du hast ein Vaterrrrrrrrrland, ein geliebtes Land, ein heiliges Land….
Ich war so in meinem Element, dass ich gar nicht merkte, wie still es in der Klasse blieb, der Lehrer schaute mich mit einem Verzücken an, denn er konnte seine Begeisterung kaum ausdrücken. Nach dem Gedicht sah er mich etwas prüfender an und gab mir eine zwei.
Ich konnte es kaum glauben, meine Mitschüler unterdrückten ihr Lachen, überall gluckste es.
War dem Lehrer das ernst? Es sah so aus.
Einige der Lehrer und Lehrerinnen kauften regelmäßig im Schulkiosk eine Flasche Milch. Der Flaschenverschluss bestand aus Aluminiumfolie, wunderbar zum Präparieren mit Rizinusöl. Ein Mädchen unserer Klasse, Ricarda, war sehr zuckerkrank und musste Insolin spritzen. Sie brachte die nötige (aber gesäuberte) Spritze mit, um das Rizinusöl in die Milch zu bekommen. Das Unternehmen gelang recht ansprechend. Gewisse Lehrer verließen mehr als normal die Klassenräume, um sich wichtigeren Dingen zu zuwenden. Eine Lehrerin ließ sich krankschreiben. Allerdings konnten auch einige Schüler ihre Liebe zur Toilette nicht verleugnen…..
Das Musiklehrer immer alles so ernst nehmen müssen. Zufälligerweise war ich an diesem Unternehmen nicht beteiligt, wurde vom Lehrer aber beschuldigt. Was war geschehen?
Das Klavier hatte jemand im inneren des Klangkörpers auf den Seiten mit Klebebändern verklebt, zur Folge, das Klavier musste neu gestimmt werden, ein ziemlicher Aufwand. Unsere Klasse und ich betraten das Musikzimmer, setzten uns, der Musiklehrer stürmte herein, sah mich, und haute mir eine runter. Ich stand auf, ein Kopf größer als er, und haute ihm eine zurück. Der Lehrer war total perplex, und brüllte mich an, die Stimme überschlug sich, von wegen Folgen, Eltern sollten vorbeikommen, ich wusste überhaupt nicht worum es ging. Bis mich jemand aus der Klasse aufklärte. Ich sagte nur, „das war ich nicht“, zurück kam „glaube ich nicht“……
Ich packte meine Tasche und ging zum Bahnhof, um nach Hause zu fahren. Ich erzählte meinen Eltern von dieser Sache, drei Tage später besuchten mein Vater und ich die Schule, saßen beim Direktor, sprachen mit dem Musiklehrer, und alle hatten sich anschließend wieder lieb.
Nach der Schule wählten wir eine Wegabkürzung über einen naheliegenden Friedhof. Es standen zwei Schubkarren herum. Die leichten Schüler setzten sich in die Schubkarre, Parallelwege ausgeguckt, Startzeichen, und los ging das Rennen über den Friedhof bis zum Tor am anderen Ende. Leider fiel eine Schubkarre um, der Schüler viel heraus und die Karre landete in einem vorbereiteten Grab. Jemand hat dies beobachtet und die Polizei gerufen. Wir verkrümelten uns schnellstens in Richtung Bahnhof.
Am nächsten Schultag musste der Schuldirektor vor allen versammelten Schülern seine Belehrung halten. Keiner wusste, wer die Übeltäter waren….
Zu dieser Zeit gab es noch Mülltonnen aus Blech. Von der Schule zum Bahnhof durch die Stadt verlief die Straße bergab, versehen mit Kopfsteinpflaster. Die Mülltonnen waren gerade geleert worden, und standen, wie bestellt und noch nicht abgeholt, zu zweit, zu dritt oder alleine optisch von oben gesehen in einer Reihe an der abschüssigen Straße. Irgendeine Rangelei oder Geschupse unter Schülern gibt es eigentlich immer, oder schneller laufen, vielleicht auch stolpern. Jedenfalls eine obere Tonne fiel um, kullerte gegen die nächste und wieder die nächste. Es kullerten nachher fünf oder sechs Mülltonnen die abschüssige Strasse hinunter und verursachten einen Höllenkrach. Meine Güte, das wird wohl wieder Ärger geben….
Die Schulzeit in Hückeswagen endete, jeder erhielt sein Zeugnis, um beruflich mit einer Ausbildung weiter zu kommen. Mein Fazit zu dieser vergangenen Zeit ließ das Positive und das Negative gegen einander antreten. Das Negative gewann die Oberhand. Ich stellte fest, dass ich froh war, dieses teilweise unsinnige Oberlehrergehabe nicht mehr hören zu müssen. Das heißt nicht, dass ich etwas gegen das Lernen an sich habe, sondern das teilweise unsinnige „am- Leben- vorbei – Gehabe „ von Lehrkörpern, die ihre Machtpositionen konsequent nutzten, aber die Realität, das wirkliche Leben aus den Augen verloren, und vergaßen, den Schüler auf das wirkliche Leben vor zu bereiten.
Wie heißt es so schön: Es gibt Menschen, Lehrer und Beamte.
Texte: Rainer Göcht
Bildmaterialien: Rainer Göcht
Tag der Veröffentlichung: 12.02.2014
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