Cover

Prolog

 

Name: Rainer Göcht

Buchautor und Schriftsteller

Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben

 

Texte und Bildmaterialien:

Rainer Göcht

Alle Rechte vorbehalten

Tag der Veröffentlichung: 27.11.2013

 

Vorwort

Jules Renard sagte einmal: Wenn Sie das Leben kennen, geben Sie mir bitte seine Anschrift. Ein wahrer Satz, den man sicherlich in jede Lebenslage hineininterpretieren kann. In diesem Buch möchte ich wieder auf viele Lebenssituationen in Form von Kurzgeschichten eingehen, die ich so erlebte, als Erzählung aufschnappte, oder frei erfand. Den tatsächlichen Unterschied zur Realität zu erkennen ist müßig und hier nicht gewollt.

 

Ein Schritt vor, und zwei zurück

Mein stetiger Leitsatz: Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben, stammte nicht von dem russischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow selbst, sondern von seinem Sprecher Gennadi Gerassimow. Das Zitat vom 6.Oktober 1989 anlässlich des 40.Gründungstages der DDR wurde auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld laut der Zeitung „Zeit“ im Nachhinein „begradigt“. Erich Honecker, der damalige Staatsratsvorsitzende der DDR erhielt in dieser Rede noch zwei weitere, für ihn sehr wichtige, Bemerkungen, die mein Denken beeinflussten:  „Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren“, und zwei Tage später in einem 4-Augengespräch mit Honecker soll er gesagt haben: „Das Leben verlangt mutige Entscheidungen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Nun kann man sicherlich solche Sätze in allen Lebenslagen unterbringen, aber als ich 1978 mit dem Außendienst im Bereich Bausparen und Versicherungen begann, gab es für mich dieses Zitat noch nicht, da lernte man, wie man ein Produkt, was man nicht anfassen, befühlen oder beschnuppern konnte, verkaufte sollte. Auf die Schulungen über die einzelnen Produkte der Gesellschaften legte man zu dieser Zeit noch sehr großen Wert. In einem mehrtägigen Kurs wurden von morgens bis abends im sehr intensiven Training die engsten Details von Gesetzen, Hintergrundwissen und Allgemeinbildung für die neue Ware Bausparvertrag und später Versicherungen trainiert. Am Ende des gesamten Trainingsprogramms stand eine sehr schwierige Prüfung an, die über den weiteren Verlauf des Berufslebens entschied.

Man muss sich das einmal vorstellen, viele Neueinsteiger in diesem Berufsmetier, so wie ich, kamen aus Berufen, die mit Baufinanzierung, Beschaffung von Bauspardarlehen, Grundbuch, Sachversicherungen, Lebensversicherungen und so weiter und sofort, gar nichts zu tun hatten. Man erlernte in sehr kurzer Zeit einen neuen Beruf, der von einem verlangte, seinen Horizont immer weiter auszubilden. Viele meiner Kollegen gaben auf, suchten sich eine andere Beschäftigung oder dauernde andere Arbeit. Mich packte der Ehrgeiz, ich wollte die genauen Details wissen, sie lernen und auch praktisch anbringen. Ein Wettlauf mit der Zeit begann, denn die Konzernoberen hatten nur eine begrenzte Geduld mit einem, sie wollten Umsatz sehen, ich sollte mir doch ganz ernsthaft meinen Lebensunterhalt verdienen. Klar, meine theoretischen Kenntnisse konnten sich inzwischen sehen lassen, aber mein Umsatz hinkte hinterher.

 Meine ersten Außendienstversuche klappten soweit ganz gut, die Kunden behandelten mich als Neuling sehr freundlich, gaben mir über alles Auskunft, aber das entscheidende Überschwappen, die Kaufbereitschaft dieses angepriesenen Produktes, kam noch recht zögerlich. Meine Vorgesetzten rieten mir, mein Verkaufskonzept umzustellen und aggressiver zu werden. Und gerade das wollte ich eigentlich nicht. Ich hasste es, wenn früher zu uns nach Hause die Versicherungsleute kamen und einem etwas aufschwatzen wollten, was man eigentlich nicht wollte und gebrauchen konnte. Hinzu kam, dass die oberste Geschäftsleitung der Gesellschaft einen Geschäftsplan herausbrachte, an welchem sich der Umsatz orientieren sollte. Von wegen, freie Entfaltung eines Berufes, hier bestimmte der Umsatz, der Gewinn. Als kleine Fußabtreter hatte man zu kuschen. Na klar, so langsam kam die Katze aus dem Sack. Was vorher noch mit blumigen Worten als der freieste und abwechslungsreichste Beruf der Welt betitelt wurde, zeigte mal wieder den Spruch: Geld regiert die Welt, und dieses musst du dir erst verdienen.

Aber, so nach und nach gewöhnte ich mir eine eigene Verkaufsstrategie an, die auf mich, meine Person, auf mein Können und mein „Auf das Zugehen der Leute“ abgestimmt war. Meine eigene Art, mit den Menschen umzugehen, nichts Kopiertes, nichts Geschöntes, brachte auch langsam den Erfolg, über den mein Umsatz sich auch freute. Zunächst ließ man mich gewähren, die „Zahlen“ stimmten im Gesamtumsatz, aber die einzelnen Sparten hinkten etwas hinterher.

Ich wechselte das Unternehmen. Alle hielten mich für verrückt, denn ich unterschrieb einen Vertrag bei der H-M-Versicherungs-AG. Aus der Assekuranz war bekannt, dass hier die Fluktuation der Belegschaft die höchste Wechselquote besaß. Man schloss bereits Wetten über mein dortiges Scheitern ab und gab mir längstens ein Jahr Zugehörigkeit. Vorweggenommen, meine Arbeitszeit beschränkte sich auf 3 dreiviertel Jahre.

Zu dieser Zeit erhielt der neue H-M-Mitarbeiter,  einen befristeten Angestelltenvertrag, bei dem man sein Gehalt mit Provisionen ins Verdienen bringen musste. Der Vertrag schrieb vor, dass man ein mehrwöchiges Seminarprogramm, damals in Daun in der Eifel, absolvieren musste, wo neben einer schriftlichen Prüfung und einer mündlichen Befragung vor der Videokamera, mit dem erlernten Verkaufsgespräch im Wechselspiel, mal Kunde, mal Verkäufer, ein sehr harter Test durchlaufen wurde. Fast eintausend Prüflinge aus dem gesamten Bundesgebiet nahmen an diesem Mammutprogramm teil. Die Meisten wohnten im dortigen Superhotel, andere, so wie ich, waren in Ferienhäusern mit je drei Kollegen untergebracht. Die Schulungen der Versicherungstarife begannen morgens um neun und endeten abends um sechs Uhr. Stress pur, denn auch dort begann man sofort mit dem Trainingsprogramm „Verkauf vor der Videokamera“, wo letztlich vier Mann den jeweiligen Part probten, und der Rest schaute interessiert und kritisch der Vorstellung zu.

Ein Verkaufsgespräch auswendig lernen, der berühmte rote Faden. Jeder musste das gleiche Konzept durchlaufen, und wer von dieser Linie abwich, konnte sofort seine Koffer packen und nach Hause fahren.

 

 

 

Nötige Mandel-OP

Dr. K., seines Zeichens HNO-Arzt, befand meine Mandeln im Hals als OP- würdig und vereinbarte mit mir einen kurzfristigen Termin für einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus. Der Arzt überredete mich zur örtlichen Betäubung, weil man danach sehr viel schneller wieder klar denken könnte, essen und trinken wäre früher möglich.

Dr. K. setzte den OP-Termin auf morgens um 8.30 Uhr. Mit mir warteten noch drei andere Patienten auf die bevorstehende OP. Ich wurde aufgerufen, ging in den OP-Raum und glaubte meinen Augen nicht zu trauen.

Der HNO-Doc, ein sehr großgewachsener, kräftiger älterer Herr, hielt in seinen recht klobigen Fingern einen großen Holzhammer, schaute mich sehr erwartungsvoll an, sagte in einem sehr tiefen Bass mit einem süffisanten Tonfall: Wie hätten wir es gerne, Holzhammer, Vollnarkose, örtliche Betäubung? Man merkte ihm an, wie er die Situation genoss. Er wusste genau, dass fast alle Patienten mit butterweichen Knien den OP-Raum betraten, um die volle Konzentration auf das Kommende zu lenken.

Ich brachte nur ein klägliches örtlich heraus, und schon ging alles sehr schnell und präzise. Beide Hände wurden mit Lederschlaufen festgebunden und der OP-Stuhl nach hinten gekippt. Eine Spritze mit großer langer Nadel betäubte meinen Rachen und den Mundinnenraum, eine Mundspreitze klemmte zwischen den Kiefern auf der sich sonst bewegenden Zunge. Der Arzt ritzte mit einem Skalpell die Haut um die Mandeln herum auf, nutzte für jede Seite eine Schlinge, zog sie langsam heraus und legte die herausgeschnittenen Mandeln in das Auffangkörbchen, welches an einer Kordel vor dem Mund hing. Das Herausziehen verursachte ein saugendes, schmatzendes Geräusch. Eine Schwester saugte das Blut ab, und schon begann Dr. K. mit schnellen und gekonnten Bewegungen die Schnittstellen im Hals zu vernähen. Ich konnte mit etwas schiefem Blick die entfernten Teile begutachten, sie hatten die Größe und das Aussehen von Wegwerffeuerzeugen, nur nach hinten spitz zulaufend. Die ganze OP dauerte kaum 15 Minuten. Einen Moment sollte ich noch sitzen bleiben, um ruhig zu atmen und nichts sagen.

Mein Stationsbett stand schon bereit, den ersten Teil der Prozedur hatte ich überstanden.

Das Stationszimmer teilte ich mit einem Schüler des örtlichen Gymnasiums, seine Eltern waren von Beruf Beamte, und demnach Privatpatienten. Auf diese Art und Weise erhielt ich, bis auf das Essen, sämtliche privatärztlichen Vorzüge. Beim Essen profitierte ich vom ständigen Jammern des jungen Mannes, denn vor lauter Schmerzen konnte er nichts essen. Dr. K. riet jedem seiner Patienten: schlucken, kauen, sprechen. Die Bewegungen hierzu würden die Halspartien stärken und Hämatome verhindern.

Mein Schwiegervater brachte mich noch dazu, Butter zu lutschen, das wäre ein gutes Schmiermittel für den Hals, im Krieg hätte dies schon Wunder bewirkt. Wenn er das meinte?

Zusätzlich erhielten wir einen Fruchtsirup mit Eisstücken, der einen gewissen Schleim im Mund erzeugte, um möglichst zum Bewegen der Kauorgane animiert zu werden.

Beides, der Sirup wie auch die Butter, bewirkten bei mir Wunder. Ich konnte bereits am nächsten Morgen Brötchen essen. Zusätzlich erhielt ich noch von meinem Zimmergenossen die nicht gegessenen Herrlichkeiten wegen zu viel Schmerz und Jammern.

Am letzten Abend vor meiner Entlassung aus dem Krankenhaus genehmigte ich mir noch ein wunderschönes, gekühltes Bier in der Cafeteria unten im Eingangsbereich. Das heißt, ich wollte mir ein Bier genehmigen, denn nach dem ersten genussvollen Schluck war es mit der Bierherrlichkeit vorbei. Die Kohlensäure verursachte ein solches Brennen im Hals, dass ich meinte, mir wäre der Hals geplatzt. Ich hätte es erahnen müssen….

Nach einem Tag zu Hause gierte ich nach einer Currywurst mit Pommes frites und setzte dies direkt in die Tat um. Nichts passierte, ich konnte dieses so begehrte Stück mit Beilagen essen, so, als wenn ich nicht an den Mandeln operiert worden war. Aber eine spätere Banane brannte wegen seiner Säure so sehr, dass ich doch eine Zeit lang auf bestimmte Fressalien verzichtete.

 

 

Die letzten Stunden

Diese Geschichte habe ich mit Bedacht in die Reihe meiner Kurzgeschichten eingefügt, weil sie ein Teil meines Lebens ist, und Freud und Leid sehr eng zusammengehören.

Es war Sonntagvormittag, der 20. September 1997, als meine Mutter bei uns anrief, dass sie Probleme mit ihrem Ischias hatte und sich gleich wieder hinlegen wollte. Ich gab ihr zu verstehen nach dem Frühstück nach ihr zu sehen.

 Sie saß in der Küche und schaute mich wie ein Häufchen Elend an. Mir fielen direkt ihre blaue Lippen auf und die sehr fahle Blässe im Gesicht. Ich kochte ihr einen Tee und bereitete eine Scheibe Brot vor. Sie wirkte leicht apathisch, ich hatte den Eindruck, dass mit ihrem Herz etwas nicht stimmte. Ich rief meine Frau herüber, damit sie ihre Meinung zu dieser Situation abgab. Sie bestätigte meine Vermutung, wir riefen einen Arzt. Um sie auf diesen Arztbesuch vor zu bereiten, wollte meine Frau mit ihr das Bad aufsuchen, dabei klappte meine Mutter zusammen. Es gelang, sie mit vereinten Kräften ins Bett zu legen.

Der diensthabende Sonntagsarzt diagnostizierte, nach genauerer Untersuchung, einen Oberschenkelhalsbruch links. Weiterhin zeichneten sich die Konturen des Schlafzimmerheizkörpers als blaue Striemen auf ihrem linken Oberschenkel ab. Wir vermuteten, dass sie in der Nacht auf dem Weg zur Toilette über ihre Katze stolperte, die die Angewohnheit besaß, immer sehr eng um die Beine herum zu streichen.

Der Arzt wies meine Mutter in das Kreiskrankenhaus ein. Wochenende, Notbesetzung, großer Krankenandrang. Vor der Röntgenabteilung mussten lange Wartezeiten akzeptiert werden. Wir fanden diese Behandlung gar nicht so gut, denn meine Mutter hatte große Schmerzen und lag bereits sehr lange auf der fahrbaren Trage des Klino`s.

 Irgendwann, nach zu langer Zeit, fand ihre Untersuchung statt, die Diagnose bestätigte den Oberschenkelhalsbruch, es erfolgte die Einweisung auf die entsprechende Station mit der Option, am gleichen Abend noch zu operieren. Doch ihr Zustand veränderte sich rapide, sie baute total ab und wurde auf die Intensivstation verlegt.

Sie lag in einem Einzelzimmer, versehen mit allen möglichen Infusionen zur Stabilisierung des Kreislaufes, etwas gegen die Schmerzen, Beatmungsschläuche verbunden mit der Herz-Lungen-Maschine. Der behandelnde Arzt gab uns keine große Hoffnung auf Überlebenschancen, ausschlaggebend wären die nächsten Tage. Ich gab meiner Schwester in Bremen Bescheid, dass unsere Mutter im Sterben liege und sie sich auf den Weg machen sollte, damit sie sich ebenfalls noch von ihr verabschieden könne. Aber komischerweise erhielt sie angeblich von ihrem Schuldirektor keine Beurlaubung, also erübrigte sich alles Weitere.

Ich sagte alle Termine der kommenden Tage bei meinem Arbeitgeber ab. Der Bezirksdirektor von Köln erkundigte sich hinten herum, über meinen Agenturbetreuer, ob diese Aussage von mir wegen meiner Mutter zutreffe, er sollte ihm darüber Bericht erstatten. Als ich diesen „Vertrauensbeweis“ vernahm, konnte ich meine Enttäuschung meinem Agenturbetreuer gegenüber nicht verbergen und ließ ihn an den großen Chef einen schönen Gruß ausrichten, dass ich mit ihm noch ein paar persönliche Worte wechseln werde.

So oft wie möglich besuchten wir meine Mutter, wenn, um nur ihre Hand zu halten und ihr das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine ist. Im Gespräch mit dem behandelnden Arzt wurde mir mitgeteilt, dass ein nochmaliges Aufwachen meiner Mutter höchst unwahrscheinlich wäre, und ich in den nächsten Tagen mit Allem rechnen müsste. Die jetzigen lebenserhaltenen Maßnahmen bedeuteten nur noch ein Herauszögern des Sterbens, ohne die Geräte hätte sie keine Überlebenschance mehr.

Er schlug mir vor, nur noch schmerztherapeutische Maßnahmen vor zu nehmen mit dem Abschalten der Geräte, um sie auf natürliche Art und Weise sterben zu lassen. Ich verabredete mit ihm, am nächsten Tag, am Donnerstag, Bescheid zu geben, denn ich wollte diese Situation mit meiner Schwester aus Bremen besprechen.

Meine Schwester fragte an, ob ich dieses Abschalten nicht so lange bis zu ihrem Kommen am Wochenende verschieben könne? Ich sagte ihr nur, dass man den Tod nicht so einfach ignorieren könne, der macht so wie so was er will.

Der Mittwochabend gehörte zu meinen schlimmsten Tagen im Leben. Ich sollte die Verantwortung übernehmen, über den Tod eines anderen Menschen zu entscheiden. Ich fühlte mich richtig mies. Warum musste einem alles so schwer gemacht werden? Warum konnte sie nicht einfach noch einmal aufwachen, ein paar Worte sagen und sanft entschlummern? Viele Fragen, aber ich gab mir einen entscheidenden Ruck und beschloss am nächsten Tag, am Donnerstag, dem Arzt meine Endscheidung über das Abschalten der Geräte mit zu teilen.

Donnerstag, 25.September 1997, ich befand mich auf dem Parkplatz des Kreiskrankenhauses , als mein Handy schellte und man mir mitteilte, dass meine Mutter kurz vor meinem Eintreffen verstorben war.

Also hatte das Schicksal die natürliche Folge selbst erledigt. Ich begab mich in das Sterbezimmer, um meiner Mutter die letzte Ehre zu erweisen. Es war das erste Mal, dass ich mich alleine von einer mir nahestehenden Person verabschiedete. Sie sah recht friedlich aus, den Anflug eines leichten Lächelns konnte ich in ihrem Gesicht sehen, so als wenn sie damit ausdrücken wollte: endlich geschafft.

 

Grillen für Vegetarier

Man stelle sich vor, ein herrlicher Tag, warm, viel Sonne, Wandertag einer Chorgemeinschaft, mit dem Ziel, inmitten wunderschöner bewaldeter Natur eine Grillhütte an zu steuern, wo der gemeinsame Ausflug mit einem privaten Grillfest enden sollte. Natürlich gibt es in so einer größeren Ansammlung von Leuten die unterschiedlichsten Typen mit ihren „eingefleischten“ Eigenschaften, die sie mit „Tofu“ ausleben.

 Tofu, auch Bohnenquark, oder veraltet Bohnenkäse genannt, ist ein ursprünglich chinesisches und darüber hinaus asiatisches Nahrungsmittel, das zunehmend in der westlichen Welt von Vegetariern und Veganern gegessen wird.

Inzwischen stellt die Lebensmittelindustrie eine ganze Menge verschiedener Tofuprodukte her, so auch die Tofu-Grillwurst, die unserer bekannten Wurst geschmacklich ähnlich sein soll.

In der Grillhütte hatte man sich bereits auf unseren Einmarsch eingestellt, kühle Getränke, die Grillfeuer glühten, es stand nichts im Wege, die verschiedenen kulinarischen Köstlichkeiten auf den heißen Grillrost zu legen, um die hungrigen Mäuler zu stopfen. Selbstverständlich nutzten wir auch einen Grill für die Gaumenfreuden der Vegetarier. Die Tofu-Grillwürste lagen schon zum stetigen Wenden auf dem glühenden Rost bereit. Plötzlich gab es einen fürchterlichen Knall, so als wenn ein Sylvester-Kanonen-Böller die eingeschlafenen Gedanken der Anwesenden wieder wecken sollte.

Alles schaute verdattert auf den leeren Grillrost, wo vorher noch die Tofu-Würste lagen, bis die Blicke in die herabhängenden Äste mit grünen Blättern einer Buche wanderten. Eine Totenstille lastete über dem Grillplatz, die wie zu einem Blitzstart in ein brüllendes Gelächter wechselte. Die Blicke wanderten vom Grill zu den herabhängenden Blättern und wieder zurück. Den Leuten liefen vor Lachen die Tränen die Wange herunter.

 Überall in den Blättern der Buche hingen Reste der explodierten Grillwürste, ein grotesker Anblick, den die Vegetarier aber nicht satter machten.

Ein Egozentriker

In unsere Dorfstraße zog ein älteres Ehepaar aus Großstadtkreisen in ein neugebautes Haus. Der männliche Part dieser Beiden suchte jeden nur erdenklichen verbalen Streit, um ihn vor Gericht durch zu setzen. Nun muss man sich die Örtlichkeiten vorstellen, eine schmale Anliegerstraße als Sackgasse, wo die abgestellten Fahrzeuge der Bewohner halb auf dem Bürgersteig parken mussten, um nicht die Durchfahrt eines möglichen Feuerwehrfahrzeugs oder die wöchentlichen Müllwagen zu stören. Allen Anrainern war klar, dass ein Parken halb auf dem Bürgersteig gegen die gültige Straßenverkehrsordnung verstößt. Nur, in so einer engen Straße war dieser sogenannte Bürgersteig total überflüssig, kein Fußgänger nutzte ihn.

Zwanzig Jahre bestand bereits die derzeitige Konstellation, Keiner regte sich auf. Aber wenn man im Räderwerk des Gesetzes blättert und sucht, findet man immer einen Grund, als guter und gesetzestreuer Bundesbürger bestimmte Menschen anzuschwärzen.

Eines Abends, so gegen 21.30 Uhr suchte das Ordnungsamt mit zwei ihrer Außendienstmitarbeiter unsere verschlafene Wohngegend auf, und verteilte emsig an alle falsch parkenden PKW einen Strafzettel in Höhe von 50 DM. Die Entrüstung der Anwohner war groß, wer war für diesen Akt der Willkür verantwortlich?

Die meisten Leute wehrten sich mit Hilfe eines Anwaltes gegen diese Strafzettel, nur Wenige bezahlten die fällige Gebühr. Bei dieser Gelegenheit erhielt auch einer der Anwälte die Information über den Urheber dieser Maßnahme. Der ältere Herr dieses zugezogenen Ehepaares fühlte sich in seiner Bewegungsfreiheit mit seinem Auto eingeschränkt und konnte nicht schnell genug durch diese Wohnstraße fahren, sondern war bei Gegenverkehr gezwungen, zwischen den parkenden Fahrzeugen zu warten.

Ein Aufschrei der Entrüstung gegen diesen Miesepeter führte zu einer gewaltigen Unruhe in der sonst sehr freundlichen Umgebung.

Aber, der Tag der Abrechnung mit ihm war nicht mehr fern. Die Anwohner stellten weiterhin ihre Fahrzeuge so auf, wie sie es immer gewohnt waren, nämlich halb auf dem Bürgersteig. Der streitbare Mensch, mit seiner Gattin auf dem Beifahrersitz, kam mir in seinem Auto entgegen. Genau vor unserem Grundstück, zwang ich ihn, rückwärts in eine Parklücke zu fahren, denn ich fuhr rechts und hatte Vorfahrt. Nur, er machte keine Anstalten, sein Auto rückwärts zu bewegen, sondern er fing an zu toben, er brüllte und gestikulierte, sein Gesicht schwoll mit einer unglaublichen Zornesröte an, sein Adamsapfel hüpfte vor Aufregung rauf und runter.

Ich muss schon sagen, dass sich jemand so aufregen konnte, und die Stimme sich in solchen schrillen Tönen überschlug, hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Ich hatte es mit einem Choleriker der obersten Kategorie zu tun. Nur, er machte keine Anstalten Platz zu machen und rückwärts in eine vorhandene Parklücke zu fahren, sondern versuchte mich mit verbalen Beschimpfungen zu verunsichern. Jetzt war ich es leid und stellte mich stur, pochte auf mein Recht, grinste ihn an, sagte ihm: „Ich muss leider zu einer Sitzung für alleinstehende Kaiser,“ zog den Zündschlüssel meines Autos ab, stieg aus, schloss es ab, um mich einer wichtigen Aktion zu widmen.

Der Mann war für einen Moment sprachlos, weil ich ihn angrinste, ins Haus ging, und er solange noch warten musste.

Man glaubt es nicht, ich hörte sein Brüllen bis zu unserer Toilette.

Inzwischen fanden sich die ersten Nachbarn ein, grinsten recht hämisch, und begannen zu wetten, wie lange mein Alleingang zum Örtchen wohl dauern würde. Ich schaute auf die Uhr, und fand, dass man nach acht Minuten sich draußen wieder einfinden könnte.

Es sah alles sehr grotesk aus, die beiden sich gegenüberstehenden Fahrzeuge, der tobende Mann, seine keifende Gattin, und mein Grinsen vervollständigten seinen Tobsuchtsanfall. Ich ließ mich nicht beirren, setzte mich in aller Ruhe hinter das Steuer meines Fahrzeugs und wartete darauf, dass etwas geschah. Und es passierte etwas Unfassbares, der Brüllaffe knallte den Rückwärtsgang seines Autos rein, dass das Getriebe krachte, und fuhr mit quietschenden Reifen rückwärts in die breite Parklücke, ohne dass er in seinem Zorn ein anderes Fahrzeug kaschierte. Ich winkte ihm freundlich zu, fuhr an dem seltsamen Pärchen vorbei, um im Wendeplatz unserer Straße zu drehen, und die gleich wieder freiwerdende Parklücke vor unserem Grundstück zu nutzen.

"Halligalliman"

In der Wohnsiedlung unseres neuen Domizils leben viele Leute verschiedener Nationalitäten, die sich teilweise aus dem Weg gehen, oder auch freundschaftliche Beziehungen zu einander pflegen. In dem Haus, unserer Wohnung gegenüber, schaute man auf die Balkone zur Straße hin.

 Im zweiten Stockwerk wohnte eine Familie aus südlichen Gefilden, dessen Familienvorstand einen großen Hang zur eigenen Aufmerksamkeit pflegte. Ständig schaute er, weit über das Balkongeländer gebeugt, auf die anderen Balkone, um die Blicke der netten Damen auf sich zu ziehen, die in luftiger und knapper Bekleidung sich in der Sonne badeten. Natürlich erhaschte er von da auch einen Blick in die tieferen Ausschnitte der Damen, die oftmals sehr freizügig darauf achteten, ein mehr oder weniger durchgehendes Braun ihres Körpers zu erreichen.

Doch sein tägliches Ritual gab noch eine andere Tätigkeit her, denn als reinlicher Gigolo duschte er täglich mehrere Male in aller Ausgiebigkeit, um sich dann auf dem Balkon mit großer Sorgfalt abzutrocknen. Man muss sich das so vorstellen, er betrat den Balkon mit seinem um die Hüften geschwungenes extra großes Badehandtuch, gestattete sich einen Rundblick zu den einzelnen Balkonen, um dann mit der intensiven Abtrocknung seines schon in die Jahre gekommenen Körpers zu beginnen. Die Blicke der Damenwelt, ob älter oder noch jünger, waren ihm gewiss.

Interessant war zu beobachten, dass er seiner doch langen Haarpracht eine ausgiebige Abtrockenperiode widmete, um dann für einen gewissen Zeitraum seinen Spartanerkörper frei zu geben. Sorgsam durchzog er seine nassen Haarsträhnen, tupfte sich hinter den Ohren die vereinzelnden Wassertropfen ab, oder neigte sein Haupt zur Seite, damit überschüssiges Wasser das entsprechende Ohr verlassen konnte.

Die Show endete regelmäßig in dem sorgsamen Überstreifen seiner stets schwarzen Socken. Dabei schwang er einen Fuß auf das Balkongeländer und zelebrierte das Überstreifen der Fußbekleidung. Ein Hingucker der ersten Klasse. Das bis dahin keine der Damen applaudierte, war schon bemerkenswert, aber das Gespräch über ihn war ihm sicher.   

Zwei Lesben

Unser Wohnblock beinhaltet zwei Gebäude, die etwas versetzt zu einander gebaut wurden. Auf jeder Seite wohnen sechs Parteien, auch unterschiedlichen Alters. In den Parterrewohnungen beider Häuser lebten zwei alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern. Beide noch junge, etwas vollschlankere Frauen erlebten die Männerwelt in sehr unterschiedlichen Variationen, aber meistens war der sexuelle Bereich der dominierende Part. Anscheinend merkten beide Frauen, dass sich im Bereich Partnerschaft etwas ändern sollte und musste. Ihre Freundschaft zueinander, anfangs noch über das Gespräch zu ihren Beziehungen unterschiedlicher Art geprägt, wurde inniger und intimer. Dabei merkten beide Frauen, dass man auch gleichgeschlechtlich das Glück finden konnte. So weit so gut.

An einem wunderschönen sommerlichen warmen Tag verbrachten viele Bewohner ihre Freizeit auf den Balkonen, oder auf der großen Rasenfläche hinter den beiden Häusern. Die Kinder vergnügten sich im aufblasbaren Swimmingpool, bauten im abschüssigen Bereich eine Wasserrutsche, während die zwei zueinander gefundenen Mütter sich auf einer großen Decke in äußerst gewagter Kleidung räkelten, sich liebkosten und küssten, dass es eine wahre Freude war, es mit anzusehen. Die kleineren Kinder sprangen um die beiden sehr beschäftigten Mütter herum, und besahen sich dieses intensive Liebesspiel in argwöhnischer Betrachtung, weil sie es sonst nur auf die zweigeschlechtliche Art erleben durften.

Irgendwann wickelten sich diese zwei Liebenden in die Decken ein, und begannen mit einem großen Penis, aus einem erotischen Zubehörhandel, sich gegenseitig zu bearbeiten. Eine interessante Variante des Sexspiels, was so intensiv geführt wurde, dass die beiden sich Liebenden Alles um sich herum vergaßen. Selbst die Kinder schauten diesem Schauspiel zu, die meist älteren Leute auf den Balkonen wurden aufmerksam und erhielten eine Vorstellung, die über ihren eigenen Horizont hinweg raste. Bemerkungen wie: Schweinerei, unmoralisch, ekelhaft, oder endlich mal Aktion, mal etwas anderes, oder komm, das brauchen wir uns nicht mehr antun, komplettierten die allgemeine Stimmung, während die beiden Frauen sich nicht beirren ließen, sondern ihre Liebesnummer zu Ende führten.

Heilig oder Selig

In meinem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt lernte ich die unterschiedlichsten Typen von Menschen kennen. Nur alle hatten eine Gemeinsamkeit, und das war eine gesundheitliche Störung, die nur dort behandelt werden konnte.

Seinen Zimmernachbarn suchte man nicht selbst aus, sondern der Zufall der freien Betten bestimmte das kurzfristige Zusammenleben.

Ein wirklich sehr kranker älterer Herr aus den früheren Ostgebieten der UDSSR wurde mein Zimmernachbar. Hochgradig Zuckerkrank, Wasser in der Lunge, das Herz nicht in Ordnung, also etwas für einen längeren Aufenthalt in der Klinik.

Wie das nun mal so ist, man kommt ins Gespräch, man erfährt auch zwangsläufig viele private Dinge, und so rundet man sein innerliches Bild über die Sympathie zum Anderen schnell ab. Er hatte eine sehr weinerliche Stimme, etwas zittrig im Tonfall, was ich am Anfang auf gewisse Schmerzen zurückführte. Doch seine Stimme war immer so, wahrscheinlich früher sehr hoch im Ton, wie bei einem Chorknaben, jetzt im Alter sehr fistelig, leicht heiser mit einem leicht schwäbischen Dialekt, vermischt mit russischem Akzent. Dazu gehörte auch seine übertriebene Frömmigkeit, auf die ich noch gesondert eingehen möchte.

Ganz klar, die Ärzte verordneten eine Diät mit schnellstem Wasserentzug und Behandlung des hohen Zuckergehaltes in seinem Blut.

Ja, wenn da nicht seine Frau wäre, ein richtiger Dragoner, die ihren Ehemann vorschrieb, was er zu tun und zu lassen hatte. Er konnte nur noch schwach seine Zustimmung geben. Sie schleppte von ihr selbst gekochtes Essen mit ins Krankenzimmer, und ermunterte ihn, mit ihr zusammen an dem ausziehbaren Klapptisch am Bett die fetten Mahlzeiten einzunehmen. Dass er schon seine Krankenhausmittagsmahlzeit gegessen hatte, interessierte sie nicht.

Sie stopfte ihn mit Kalorien voll, dass Einem dabei schlecht wurde. Die Gerüche im Krankenzimmer rochen nach altem Fett oder deftig Gebratenem. Dabei schmatzte sie, wischte sich mit dem Handrücken das triefende Fett ab, welches langsam an ihrem Kinn herunter tröpfelte.

Der Höhepunkt dieser Essorgien war die Verspeisung geräucherter Forellen, die während des Mittagschlafes ein Besucher meines Zimmernachbarn vorbeibrachte. Die Frau meines Kollegen schnitt ihrem Mann ein paar Stücken ab, während sie mit einem Grunzen über die Fressherrlichkeiten herfiel. Bei dieser Speisung schaute die zuständige Assistenzärztin vorbei, um ihrem Patienten die Medizin zu verabreichen. Mit einem Würgen im Hals riss sie das Fenster weit auf und konnte der Ehefrau des kranken Mannes nur noch eine gehörige Standpauke verabreichen, die sie mit einer beleidigten Miene quittierte, und ihr Gatte mit einem seufzenden Grinsen und innerlichen zehn Kreuzen bekundete, weil damit hoffentlich etwas Normalität ins Krankenzimmer kam.

Der gute Mann nahm merklich ab, sein innerlicher Wasserspiegel sank auf den niedrigsten Stand, nachdem er nun keine zusätzliche Kost mehr erhielt. Sein Gesundheitszustand verbesserte sich von Tag zu Tag.

Aber jetzt begann seine Schwätzertour auf höchstem Niveau. Er hielt mir christliche Vorträge über den Jesus, der für uns Alle gestorben war, er hörte kaum noch auf. Jetzt musste ich ihm klarmachen, dass ich nicht gewillt war, mir täglich dieses Geschwafel anzuhören.

Ich wurde nachts wach, und hörte, wie jemand im Zimmer laut sprach. Ich dachte erst, mein Zimmernachbar würde im Schlaf reden, aber nein, er stand, wie ein Anklagender vor der Klagemauer in Jerusalem, vor der weißen Wand hinter seinem Bett, nickte ständig mit dem Kopf und unterhielt sich in seiner weinerlichen Stimme eine sehr lange Zeit mit seinem unsichtbarem Gesprächspartner, es sollte wohl so etwas wie ein Gebet sein.

Plötzlich merkte er, dass ich ihm zusah und mit anhörte, was er da so sagte. Er schaute zu mir leicht verklärt rüber und fragte: „Sie haben doch auch zwei Söhne, würden sie die beiden für das Heil der Menschheit opfern?“

Ich schaute ihn entgeistert an und sagte nur:

„Lassen sie mich bitte in Zukunft mit solchen Reden in Ruhe, ich möchte so einen Quatsch nie wieder hören.“

 

Abenteuer Busfahren

„Eine Busfahrt, die ist lustig, eine Busfahrt, die ist schön“…...Ich fahre seit einiger Zeit mit dem Bus in die Stadt und zurück, weil es bequemer ist, ich keinen Parkplatz suchen muss, und es meine Gesundheit bei der vielen Tabletteneinnahme einfach nicht zulässt ein Auto zu steuern.

In einem Schulbus zu fahren ist wahrhaftig kein Vergnügen, weil man sich vorkommt wie eine Sardine in der Büchse. Als Rentner sollte man sich auch die etwas gemäßigteren Zeiten heraussuchen, um diesen schwierigen Platzangeboten im Bus aus dem Wege zu gehen.

Ich beobachte gerne Menschen, deren Tun, mögliche Gewohnheiten, ihre Sprachkombinationen zwischen Deutsch und anderen Sprachen, lauthals mit fürchterlichem Geschnatter, dazwischen Kinderschreien und die unmöglichsten Gerüche.

Man glaubt gar nicht, wie viele Menschen schon in den frühen Vormittagstunden nach altem Schweiß stinken, und diesen üblen Geruch nicht bemerken. Manche übertünchen diesen Urgeruch mit aufreizenden Deodorants, genannt Körperpflegemittel. Ich frage mich nur, was da gepflegt wird, der alte Geruch oder die Stelle wo es stinkt. Naja, schlimmer wird es, wenn sich ein frischer Stallgeruch mit einer Bier- oder Schnapsfahne dazu gesellt. Gerade in der Jahreszeit, in der auch die Busse überheizen, kommen diese Aromen sehr zur Geltung.

Je länger man sich zwischen diesen Leuten aufhält, je mehr gewöhnt man sich daran. Interessant finde ich die vielen Smartphonebesitzer, die ihren Ohrstöpsel im Ohr haben, gleichzeitig lautstark ein Telefonat führen und sich mit ihrem Gegenüber unterhalten. Alle Leute hören mit, wenn es um Beziehungsdramen geht, es im Bett nicht geklappt hat, heute lege ich Die flach, oder versuche an Die heranzukommen. Letztens keifte eine Frau mittleren Alters mit einer Anderen am Handy über die Beziehung zu ihrem Mann. Die verbale Kontroverse und den Kraftausdrücken hätte noch einen Fuhrmann rot werden lassen. Was hatte diese Frau ihr Pendant zusammengefaltet. Hinterher hörte man nur noch: „So, jetzt fühle ich mich wohler.“

Es gibt auch Fahrgäste, die nur deshalb im Bus fahren, um mit fremden Menschen ein Gespräch anzufangen. Vielleicht sind sie sehr einsam und haben sonst keinen Gesprächspartner. Im Bus sitzt man sich gegenüber oder nebeneinander, also kann der mögliche Gesprächspartner auch nicht so schnell das Weite suchen. Aus Höflichkeit antwortet man, auch wenn die meisten geführten Gespräche sich über die jetzige Wetterlage auslassen.

Mit fiel auch auf, dass sich einige Leute nur über den Bus kennen, und dann auch immer die gleichen Fahrzeiten nutzen, weil Der oder Die sich eventuell im Bus aufhalten könnte. Man merkt es später, wenn die entsprechenden Fahrgäste an unterschiedlichen Haltestellen aussteigen.

Das Duschbad der Gefühle

Wenn man in einer Wohnsiedlung lebt, dann passiert es schon mal, dass man in die Wohnungen anderer Bewohner nach Gegenüber blicken kann, weil dort noch diverse Vorhänge fehlen. Aber es gibt auch Leute, die legen es darauf an, gesehen zu werden. Schon ihre Anstrengungen Bewegungen zu zeigen, die einen Hingucker wert sind, bezeugen von Aufmerksamkeit erregen oder sich persönlich wichtig zu machen.

Wenn es im Sommer besonders warm ist, halten sich viele Menschen auf ihren Balkonen auf. Dann passiert es auch, dass man seinen Blick durch die Gegend schweifen lässt. Man beobachtet eine interessante Wolkenkombination, sieht einen schönen Vogel oder schaut Fußgängern hinterher, die gerade die schmalen Fußwege nutzen. Solche Blicke passieren ganz automatisch, man lenkt sich ab, registriert gewisse Dinge, die einfach banal oder ablenkend zum weiteren Entspannen wirken.

Das heißt aber nicht, dass man mit einem Fernglas wie ein wirklicher Spanner die Gegend beobachtet, sondern weil dies eine Eigenart des Menschen ist.

Es kommt vor, dass die Neugier von außergewöhnlichen Dingen geweckt wird. Das kann natürlich auch der schöne Körper einer gutaussehenden Frau sein, genauso umgekehrt bei Frauen, die hinter einem athletisch wirkenden Mann herschauen.

Unserem Balkon visavis befinden sich die Badezimmerfenster der dortigen Wohnungen. Täglich, fast pünktlich 15.00 Uhr duschte dort eine sehr gut proportionierte junge Frau bei offenem Fenster, die Duschkabine so angebracht, dass sie sich derart offenbaren konnte. Diese Zeremonie dauerte mit Abtrocknen und anschließender Pflege eine dreiviertel Stunde. Man merkte es dieser jungen Frau an, dass sie sich immer neue Bewegungen ausdachte, um das ins gesamte Bild interessanter zu gestalten. Die Gymnastikübungen wurden komplizierter, der sexuelle Charakter nahm zu, die Frau provozierte ihre Zuschauer.

Eines Tages beendete dieses recht abwechslungsreiche Schauspiel, weil in diese Wohnung ein älteres Ehepaar einzog.

Rheumamittel in Lasagne

Der britische Umweltminister David Heath sagte im Parlament, acht Pferde von britischen Schlachtern seien positiv auf das Medikament Phenylbutazon getestet worden. Drei davon gerieten laut Heath in Frankreich in die Nahrungskette.Das im Pferderennsport und anderen Sportarten gebräuchliche Dopingmittel Phenylbutazon ist in Deutschland für Menschen zwar zugelassen, wird aber als Rheumamittel nur vorübergehend eingesetzt. In Großbritannien und Frankreich ist die Verwendung wegen starker Nebenwirkungen ganz verboten.

Aber, Pferdefleisch in Rindfleischlasagne? Also mal ehrlich, das interessiert doch keine Sau. Und dann auch noch Rheumamittel in Lasagne? Ich glaub mich tritt ein Pferd! – Ja. Aber du spürst es nicht.

Ich sehe schon, bald sitzt Lance Armstrong nochmal bei Oprah Winfrey und behauptet, er habe doch nur englische Lasagne gegessen. Aber es kommt noch viel schlimmer. Alle fleischessenden Menschen, die dem Fleischkonsum entsagen wollen, und der etwas leichteren Kost, wie Gemüse und Obst den Vorrang geben, müssen sich darauf einstellen, dass es jetzt auch schon kontaminiertes Obst gibt.  – Echt?

 

 

 

          

 

 

 

 

                                            – Ja. Pferdeäpfel.

 

Der hawaiische Glücksgruß

Die nachfolgende Geschichte in ähnlicher Fassung las ich vor vielen Jahren in einer Zeitschrift. Ich glaube, sie passt als Satire auch noch gut in die heutige Zeit.

Es war einmal ein Mann, der ging an einem Buchladen mit religiösen Büchern vorbei, als er auf einem Autoaufkleber las „Hupe, wenn Du Jesus liebst". Seine Laune war blendend, und weil er gerade von einer gelungenen Kirchenchoraufführung zurückkehrte, kaufte er sich diesen Sticker und klebte ihn auf die Heckscheibe seines Wagens. Er dachte: „Mann, was bin ich froh, dass ich das gemacht habe.“

 Die nachfolgende Begebenheit gehörte zu seiner erhebendsten Erfahrung, die er je mit anderen Gläubigen erleben durfte.

Dieser gläubige Mensch stand mit seinem Auto vor einer roten Ampel. Er sinnierte gerade über den Herrn und seine Güte, als die Ampel von rot auf grün sprang, ohne dass er es bemerkte. Aber wie es nun einmal im Leben so ist, gab es doch tatsächlich noch andere Menschen, die Jesus so liebten, dass sie ihn auf sein Missgeschick aufmerksam machten und vorsichtig anfingen zu hupen. Als er dann nicht sofort reagierte, entwickelte sich ein regelrechtes Hupkonzert, denn die vielen Jesusgläubigen verloren ihre Geduld. Endlich bemerkte der Mann die lange Autoschlange hinter ihm und hörte das selige Hubkonzert, was wie sanfte Musik in seinen Ohren klang. Ach, was müssen diese Menschen den Jesus doch lieben. Während der Mann mit seinem Auto die Ampelkreuzung blockierte,  hupte ein wild hinter ihm wartender Fahrer, lehnte sich aus dem Seitenfenster seines Wagens und schrie: „Bei Gott, vorwärts! Vorwärts!" Wie überschwänglich dieser Mann Jesus doch liebte! Alle Nachfolgenden hupten, es war ein richtiges Hup-Jesus-Konzert. Der Mann lehnte sich ebenso aus dem Fenster, winkte und lächelte diesen vielen Gläubigen zu. Selbst er hupte sogar noch mehrmals, um an ihrer Liebe teilzuhaben. Er sah einen anderen Mann, der ihm mit dem ausgestreckten Mittelfinger zuwinkte.

Aus einer Fernsehsendung erinnerte er sich noch an einen hawaiianischen Glücksgruß, und interpretierte diesen Mittelfingerzeig als so etwas Ähnliches ein.

Nun, er hatte zwar noch nie mit Leuten von Hawaii zu tun gehabt, aber man sollte jede Freundlichkeit erwidern. Anscheinend fanden die anderen Menschen diese Art von Konversation ganz okay, denn Viele erwiderten diesen Gruß mit einem wahren Freudengeheul, offenbar genossen sie alle diese religiöse Erfahrung.

Einige Leute waren so gefangen in der Freude des gesamten Augenblickes, dass sie aus ihren Autos ausstiegen und zu dem freundlichen Mann herüberliefen. Wahrscheinlich wollten sie wissen, welche Kirche er besucht, oder aber sie beabsichtigten ganz einfach nur mit ihm zu beten. Als guterzogener Autofahrer bemerkte er jetzt die grüne Ampel, winkte allen Brüdern und Schwestern noch einmal lächelnd zu und fuhr über die Ampelkreuzung.

Ihm fiel noch auf, dass er der einzige Fahrer war, der es schaffte, sein Auto über die Kreuzung zu fahren, bevor die Ampel wieder auf rot umschlug. Eigentlich war er jetzt ein wenig traurig, dass diese vielen Menschen, nach all der Gottesliebe, die sie mit ihm genießen durften, ihn durch diese technische Einrichtung einer Ampel verlassen mussten. Der Mann fuhr etwas langsamer, lehnte sich noch einmal aus dem Seitenfenster seines Wagens und winkte den nachkommenden Fahrzeugen ein letztes Mal mit dem hawaiianischen Glücksgruß zu, um dann mit Vollgas davon zu fahren.

 Lobe den Herren für solch wunderbare und gläubige Menschen!

Geisterfahrer

Ein Alptraum für jeden Autofahrer. Du fährst am späten Abend auf der A4, die Sicht ist durch leichte Nebelschwaden etwas eingeschränkt, du überdenkst deinen Tag, freust dich auf zu Hause, hast noch etwaige Hungergefühle, vielleicht auf einen leckeren Salat. So ganz nebenbei hörst du dem Autoradio zu, leichte Musik, die im Hintergrund deine Gedanken etwas schläfriger machen. Dadurch bekommst du auch nur einen Teil der Nachrichten mit, die vor einem Autofahrer auf der A… warnen. Naja, denkst du, schon wieder so ein Kamikazefahrer, der sich in der Fahrtrichtung irrt, nur, so etwas ist doch meistens weit weg von hier.

Du hast die Beleuchtung deines Wagens an, strahlst mit dem Fernlicht auf die ständigen Nebelschwaden, und merkst, dass du dadurch auch nicht viel besser die Fahrbahn erkennen kannst. Der hinter dir fahrende Wagen hatte zwischendurch die gleiche Idee, konzentriert sich jetzt aber mehr auf die Rücklichter deines PKW.

Zwischendurch blenden die starken Fernlichter der Fahrzeuge auf der Gegenfahrbahn, ansonsten ist nicht so viel Verkehr.

Plötzlich ändert sich die angegebene Situation. Das Radio warnt wieder vor einem Geisterfahrer auf der A4, du hörst genauer hin, bekommst eine Gänsehaut, du hast das Gefühl, dass sich die Nackenhaare hochstellen. Ohne nach zu denken stellst du die Warnblinkanlage deines Fahrzeugs auf Dauerbetrieb, wirst etwas langsamer und steuerst den rechten Haltestreifen an, in der Hoffnung, dass sich das nachfolgende Fahrzeug ebenfalls von der eigentlichen Fahrbahn wegbewegt.

Keinen Augenblick zu früh, ein entgegenkommendes Auto kommt, aufgeblendet mit erheblicher Geschwindigkeit, dir auf der eigentlichen Überholspur entgegen. Es sitzt nur eine Person im Fahrzeug, ein älterer Mann. Er schaut kurz zu dir herüber. Du erkennst seinen erstaunten Blick, und schon ist er vorbei.

Du schaust in den Rückspiegel, und siehst das Geisterauto hinter einer Nebelbank verschwinden. Nur ganz schwach erkennt man noch die kleiner werdenden Rückleuchten.

Etwa 10 Minuten später verkündet der Ansager im Autoradio, dass die Gefahr vorüber ist.

„Wir wünschen eine gute Weiterfahrt.“

Straßenbeobachter

Man weiß, dass es sehr neugierige Leute gibt, eine Neugier, die schon krankhaft sein kann, oder aus ehemaligen beruflichen Gründen ein festsitzender Charakterzug ist, den Derjenige nie abstreifen wird, weil es das Wenige ist, was er gut beherrscht.

 

In unserer Straße lebt so ein Spezi, der den ganzen Tag am Fenster, oder bei warmen Wetter auf dem Balkon sitzt, und alles aufschreibt, was ihm wichtig erscheint. In seinem Berufsleben gehörte er dem Team des Ordnungsamtes in einer kleinen oberbergischen Stadt an, wo er von Berufs wegen die Menschen anschwärzen konnte und auch wollte.

Als wir in die Straße zogen, grüßte ich unter anderem diesen Herrn recht freundlich, weil er mit seinem so starren Blick meine Tätigkeiten genau beobachtete. Interessant wird es, wenn man den Kofferraum seines Autos nach dem Einkaufen leert, und er sogar aus seinem Beobachtungssitz aufsteht, um genauere Kenntnis über den Einkauf zu haben.

Wenn gewisse Autos im Halteverbot oder im eingeschränkten Parkverbot stehen, notiert er sich die Kennzeichen und gibt den Gesetzesverstoß an das zuständige Ordnungsamt weiter. Klar, er macht sich mit seinen Aktionen keine Freunde, die Grimassen und diversen Stinkefinger sprechen Bände.

Es ist schon erstaunlich, wie schnell man einen Bekanntheitsgrad in den Köpfen seiner Nachbarn hat. Man sagt freundlich „Hallo“, hält ein kurzes Schwätzchen, meistens über das Wetter, den Hund oder das kleine Kind. Nur, diesen seltsamen älteren Menschen mit seinem starren, recht überheblichen Gesicht grinse ich nur noch an, damit er auch genau registriert, wann ich was in welche Mülltonne werfe, zeige auf das Papier, wie ich es in der grünen Tonne versenke, Küchenabfälle ohne Tüte entsorge, und Restmüll in der schwarzen Tonne unterbringe.

Ich bin mal gespannt, ob er wieder seine Balkonmöbel zu Sylvester ins Haus holt, weil es einige Übereifrige gibt, die ihre Knallfrösche der unterschiedlichsten Größe auf seinen Balkon werfen, um ihm ihre Verbundenheit zu demonstrieren, und ihm ein frohes „Neues Jahr“ wünschen.

Daran sieht man mal, was nachbarschaftliche Freundschaft bedeutet.

Alkohol, ein schlechter Begleiter

Wer hat nicht schon mal tief ins Glas geschaut, und was den Alkohol betrifft, seine eigenen Grenzen überschritten. So etwas gehört zum eigenen Erfahrungsschatz, man widerholt es oder lässt es für immer bleiben.

„Kluge Leute“ sprechen von Drogen, ob in gerauchter Form oder in flüssiger Nahrung. Man streitet über die Raucher, verbannt sie aus allen öffentlichen Gebäuden, inzwischen auch aus Gaststätten, Restaurants oder Hotels. Die Nichtraucherlobby hat damit die erste Runde gewonnen. Selbst Politiker lehnen den Tabakrauch ab, kassieren aber gerne die nötige Steuer.

Der Alkohol, als flüssige Droge, kommt in vielen Lebensmitteln vor, wird erlaubt, geduldet und letztlich als ein wichtiges gesellschaftliches und kulinarisches Instrument der Gemütlichkeit und Harmonie angesehen. Nur wenn jemand als abhängig von der Droge Alkohol entlarvt wird, zeigt man mit dem Finger auf die Person, und wendet sich von ihm ab.

Uns gegenüber wohnt ein sehr fleißiger Bauhandwerker, der immer in gewissen Abständen seinen Alkoholkonsum bis zum Exzess auslebt. Er lässt sich von einem Taxiunternehmen seinen Schnapsvorrat vorbeibringen, trinkt sich so lange in einen totalen Rausch, bis er seine Sinne nur noch für ein Telefonat mit der Polizei und dem Abholdienst des Krankenhauses einsetzt, um sein absolutes Delirium in der Abteilung 4 des Krankenhauses zu verleben. Manchmal geschieht das zwei Mal die Woche.

Ab und zu hat er sich nicht mehr unter Kontrolle und empfängt seine „Helfer“ mit der Axt in der Hand, und droht sie zu erschlagen. Bis jetzt gelang es immer noch, schadlos aus dieser Situation herauszukommen.

Zwischendurch schafft er es, seine Aufträge in den Baustellen zu erfüllen, um nach der nächsten umfangreichen Löhnung seinen Alkoholkonsum auf das Neuste zu verwirklichen. Seine kommende Randale ist dann wieder vorprogrammiert.

Warum schaut hier die Gesellschaft zu, warum hilft man diesem Mann nicht?

Antwort: weil er bisher noch Keinem etwas getan hat, und noch nicht bereit war, eine Entziehungskur über seine Alkoholabhängigkeit zu vollziehen.  So lautet unser Gesetz.

Balkon, Wohnzimmer bei jedem Wetter

In der vorigen Geschichte sprach ich unter Anderem von der Raucherlobby, und den Unternehmungen, die Raucher aus dem gesellschaftlichen Leben heraus zu halten.

Ich war selbst mal Raucher, bin zwar froh, dieses Laster abgelegt zu haben, aber ich wundere mich dann über eine Raucherfamilie, die freiwillig ihre vier Wände mit dem Balkon eintauscht, um ihrem Tabakkonsum dort auszuleben. Eigentlich sind es zwei verwandte Familien, die im gleichen Haus ihre Wohnungen mit Balkon derartig nutzen.Der eine Balkon ist durch den darüber befindlichen Balkon überdacht. Eine Gasheizung für den Außenbereich sorgt für ein heimeliches Gefühl, sodass sogar, gewisse Mahlzeiten, wie Frühstück und Abendbrot, in der frischen Luft eingenommen werden, um dabei gleichzeitig ein Dauerrauchen von bis zu acht erwachsenen Personen zu zelebrieren. Je nachdem, wie der Wind steht, wehen große Rauchschwaden durch die Straße, dass man meint, eine Dampflok hätte sich verirrt.

Aus diesen Genusszusammenkünften sind inzwischen richtige Partys geworden, die an Wochenenden bis tief in die Nacht dauern können.

Sogar jetzt, bei frostigen Temperaturen, scheut sich keiner der aktiven Raucher den wohltemperierten Balkon zu verlassen.

Manchmal frage ich mich, wie gemütlich doch deren Wohnung ist?

Die Puppenspieler

In meiner Außendienstzeit lernte ich ein interessantes älteres Ehepaar kennen, die über Land fuhren, und mit ihren aus Holz geschnitzten Puppen Aufführungen in Kindergärten, Schulen, Dorffeiern und größeren Räumlichkeiten vorführten. Die Tradition der Puppenspieler ging in der Familie des Puppenspielers bereits in die vierte Generation. Die Gesichter der Puppen wurden handgeschnitzt, in vielen Details mit entsprechender Mimik, die Kleidung nähte die Puppenspielerin selbst. Sie besaßen Puppen, die mehr als einhundert Jahre alt waren, und immer noch zu bestimmten Anlässen und besonderen klassischen Stücken hervorgeholt wurden.

Ein besonderes Stück der Klassiker war die Novelle „Kleider machen Leute“ vom Schweizer Dichter Gottfried Keller. Erstmals 1874 in der Novellensammlung Die Leute von Seldwyla erschienen.

Die Geschichte handelt von dem Schneidergesellen Wenzel Strapinski, der sich trotz Armut gut kleidete. In einer fremden Stadt wurde er wegen seines Äußeren für einen polnischen Grafen gehalten. Nachdem er aus Schüchternheit versäumte, die Verwechslung aufzuklären, versuchte er zu fliehen. Doch da betrat eine junge Dame, Tochter eines angesehenen Bürgers, den Schauplatz. Die beiden verliebten sich ineinander, worauf der Schneider die ihm aufgedrängte Grafenrolle weiterspielte. Ein verschmähter Nebenbuhler sorgte dafür, dass der vermeintliche Hochstapler entlarvt wurde. Auf der Verlobungsfeier kam es zum Skandal. Strapinski floh, seine Braut fand ihn, rettete ihn vor dem Erfrieren und stellte ihn zur Rede. Als sie sich davon überzeugte, dass seine Liebe echt war, bekannte sie sich zu ihm und setzte die Heirat durch. Der Schneider gründete mit ihrem Vermögen ein Atelier und brachte es zu Wohlstand und Ansehen, womit das Sprichwort „Kleider machen Leute“ sich bewährte.

Ich durfte sogar das Allerheiligste der Puppenspieler besichtigen, den großen Speicher ihres Hauses, mit den unglaublich vielen Puppen aus vielen Generationen. Sie hingen an langen Schnüren an den Dachbalken und pendelten leicht hin und her. Ein seltener Anblick, weil man das Gefühl hatte, sie bewegten sich, um hinter einem herzuschauen. Jedes Puppengesicht charakterisierte eine bestimmte Gesichtsregung, eine Situation, oder eine Szene in einem Stück. Viele der Puppen gab es in mehreren Ausführungen, um mit einer anderen Gesichtsmimik in einer weiteren Szene die Wirklichkeit genauer zu zeigen.

 Ganz schön kompliziert und während der Vorstellung mehr als anstrengend. Die beiden liebten ihren Beruf und hauchten den Puppen mit ihrem Engagement das nötige Leben ein. Man hatte das Gefühl, sich in einer Scheinwelt zu bewegen. Selbst die Texte der vielen Klassiker lasen sie nicht ab, sondern konnten sie mit verstellter Stimme und persönlicher Identifizierung mit der Puppe richtig ausleben.

Ich durfte einer größeren Vorführung beiwohnen, als es um die Jungfrau von Orleans, ein Drama von Friedrich Schiller, ging. Die Grundlage zu diesem Stück war die bekannte Jeanne D`Arc, wohl eines der häufigsten gespielten Stücke, welches sich wohl literaturgeschichtlich der Weimarer Klassik zuordnen lässt.Den Nachlass dieser beiden ungewöhnlichen Leute betreut ihr einziger Sohn, der aus einer gutgehenden Stellung ausstieg, um die Familientradition weiter zu führen.

 

Die Bienenkönigin

In der vorigen Geschichte erzählte ich von den Puppenspielern, aber dieses interessante Pärchen hatte noch ein weiteres Hobby.

 

Während der Mann aus einer Puppenspielerfamilie stammte, besaßen die Eltern der Ehefrau in Ostpreußen einen Bauernhof. Ihres Sinns für die Natur und die Verbundenheit mit der „Erde“ lebte sie voll aus. Im Garten, in den Rabatten, ob es regnete oder trocken war, sie lief mit nackten Füssen durch die Erdkrumen, um „das Gefühl der wachsenden Pflanzen“ zu spüren.

Aber ihr besonderes Interesse galt der Aufzucht von Bienenvölkern, der Herstellung von eigenem Imkerhonig und Met, dem uralten alkoholischen Getränk aus Honig und Wasser.

Aber diese Frau war etwas ganz besonderes in den einschlägigen Imkerkreisen. Sie benutzte nie eine Schutzkleidung, sondern ließ sich stechen, damit ihr Körper genügend Abwehrstoffe gegen das Bienengift hatte. Ich durfte sie bei ihrer Arbeit, in der Schutzkleidung ihres Mannes, beobachten. Die Bienen saßen zu hunderten auf ihrem Körper, und betrachteten sie als Ihresgleichen. Die „menschliche Bienenkönigin“, wie sie allgemein genannt wurde, bewegte sich mit einer stoischen Ruhe, machte keine hastigen Bewegungen, sondern entnahm den Waben das natürliche Gold, um es in der hauseigenen Zentrifuge zu bearbeiten.

Wenn sie neue Völker anlegte, hielt sie einer neuen Bienenkönigin einen Finger hin, damit das Tier daran hochkletterte und sich in eine neue, für sie angelegte Wabe transportieren ließ. Ich war von dieser Art der „Völkerverständigung“ sehr angetan, und konnte meine Blicke nicht von dieser äußerst seltenen Tierbehandlung lassen. Sie sprach nicht mit den Bienen, weil sie den Mund zu lassen wollte, sondern summte mit einem eigenartigen Ton eine paar Töne, die wohl von den Bienen als eine Art Beruhigung angesehen wurden.

Impressum

Texte: Rainer Göcht
Bildmaterialien: Rainer Göcht
Tag der Veröffentlichung: 27.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

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