Cover

Prolog

Name : Rainer Göcht

Buchautor und Schriftsteller

Zitat    : Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben.

 

 

Texte und Bildmaterialien:

Originaltext in linguistischer Sprache von Ernst Deeke

Bearbeitet von Rainer Göcht

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Tag der Veröffentlichung:

erneuert und überarbeitet am 11.11. 2013

 

 

Martensmann

Das nachfolgende bekannte Ritual zur St.Martins-Feier in Lübeck wird alljährlich am Martini-Tag, dem 11.11. eines Jahres, mit dem wortgetreuen Text von 1301 vollzogen.

1301 am Martini-Tag erreichte Heinrich der Pilger, Herzog von Mecklenburg, nach 28jähriger Gefangenschaft im gelobten Land, die Stadt Lübeck, die sich seit vielen Jahren für seine Befreiung einsetzte. Der Verhandlungsführer von Lübeck verweilte in Rom, wo während einer Papstaudienz sein Anliegen erhört wurde. Man empfing Heinrich von Mecklenburg in Lübeck mit den größten Ehren, das Volk huldigte ihn am Straßenrand, wie bei einem Triumphmarsch. Der Fürst war über seine Befreiung so dankbar, dass er dem Stadtrat mit seinen Bürgern sein Land um Lübeck schenkte, welches er von seinen Vorfahren erbte. Er gewährte den Bürgern von Lübeck Zollfreiheit durch ganz Mecklenburg, allerdings nur unter der Bedingung, dass sie zum Gedenken an ihn,  ihm jedes Jahr um Martini einen  Boten mit dem köstlichen Wein schicken möchten, den er bei ihnen in Lübeck so vorzüglich genossen hatte. Mit großer Freude sagte man ihm diese Bedingung zu und versprach sie auch zu halten.

Seitdem fuhr alljährlich am Martini - Tag ein junger Ratsdiener, in Begleitung zweier ehrbarer Männer als Zeugen, nach Schwerin. Die Fahrtstrecke musste dabei genau eingehalten werden, keine noch so kleinste zeitliche Verzögerung durfte den gesamten Ablauf stören. In einen offenen, mit Eisen beschlagenen Kaleschwagen zum Transport des Weines, gezogen von vier braunen, mit schwarzem Ledergeschirr und guten Hufeisen versehene Pferde sollten die beschwerliche Fahrt nach Schwerin unternehmen. Die Männer nahmen nichts weiter mit, als für sich ein paar Kisten mit Äpfeln, Nüssen, Semmelbrösel und etwas Kleingeld. Das Fass mit gutem Rheinwein wurde mit Stricken gut befestigt, damit es nicht während der rumpelnden Fahrt vom Wagen rollte. Ein ausgesuchter Kutscher saß auf dem Bock des Wagens mit strickten Anweisungen, nur den vorgeschriebenen Weg zu fahren. Am ersten Tage passierten sie den Ort Schönberg, wo man zu Mittag speiste. Die Nacht verbrachten sie in der kalten Herberge von Rhena, wo das Volk ihnen zujubelte, denn auch bis hierher hatte sich die seltsame Bestellung des Fürsten herumgesprochen. Sie jubelten und jauchzten, und ließen die Kutsche erst durch, als Äpfel, Haselnüsse und Semmelbrösel aus dem Wagen zu ihnen ausgestreut wurden.. Am Martini-Abend traf die Gesandtschaft in Schwerin ein, blieb aber bis zum folgenden Mittag in einem Gasthof der Vorstadt, und bereitete sich leiblich auf das so wichtige Treffen mit dem Fürst zu.. Im Gasthof durften die Gesandten aus Lübeck keinerlei Schaden anrichten, was die Konfiszierung der Kutsche zur Folge hätte, und die gesamte Mission wäre nicht erfüllt. Die Wirtsleute untersuchten mit Zeugen zugleich das gebrauchte Geschirr, fanden aber keine Mängel an demselben. Am Martens-Tag punkt 12 Uhr fuhr der Wagen in vollem Trab durch die Stadt; wo die Schildwache an einem Schlagbaum durch einen Gefreiten eine sehr strenge Prüfung des mitgebrachtem Weins unterzog. Ein Protokoll über die mitgebrachte Ware mit Siegel bestätigte den Inhalt des Fasses. Die Wache trat zur Seite, der Schlagbaum öffnete sich, die Soldaten präsentierten mit zackigem Gruß, und empfingen dafür, außer gnädigem Zuwinken, einen Gulden Trinkgeld. Ein Unteroffizier und zwei Mann begleiteten den Wagen bis zum Wirtshaus, und blieben dort zur weiteren Sicherheit.. Als sich in der Bevölkerung der umliegenden Häuser herumsprach, wer dort ins Gasthaus einzog, versammelten sich viele junge Leute, ob Schuster, Riemenschneider oder Schmiedegesellen. Sie riefen lautstark: „Martensmann! Musmarten! Schön Marten! Hei Marten! Penningsmarken! Wir danken für Äpfel, Nüssen und kleiner Münze. Sie riefen solange, bis der Bote aus dem mitgebrachten Vorrat die Dinge unter das Volk warf. Vor  das Absteigequartier stellten sich weitere lustige Leute mit Goldpapier und anderem Zierrat verkleidet, in der Hand  große Kuhschwänze, dazu setzten sie verschiedene  Masken auf und schmierten sich und andere so lange mit Melkfett ein, bis der Martensmann seine besten Säcke öffnete und Semmel, Kringel, Äpfel, Nüsse und Geld auswarf, um danach in Ruhe im Haus seinen Dingen nach zu gehen.

Danach durfte nur eine Dienstmagd – sonst war keine andere Person zugelassen – dem herzoglichen Hausvogt die Ankunft des Martensmannes melden. In der Zwischenzeit zog der Hausvogt seine Amtskleidung an, einen schwarzen Rock mit scharlachrotem Mantel ohne Ärmel, einen in viele Falten gelegten weißen Ringkragen, und eine runde, wohl gelockte Perücke. Auch der Kutscher und die mitgereisten Zeugen mussten sich sauber kleiden, der Wagen und die Pferde peinlichst sauber geputzt sein. Mit dem zufriedenen Kopfnicken des Hausvogts begann die Zeremonie auf den Glockenschlag von 3 Uhr am Nachmittag.

Nachdem man drei verschiedene Posten zu zwei Mann von der Schlosswache passierte, erschien der Martensmann im Geleit der unaufhörlich schreienden Menge, unter dem Schutz seiner Wache. Er selbst saß ganz allein auf der mittleren Bank des Wagens. Vor ihm schwenkte der Kutscher seine lange Peitsche, hinter ihm lag das Weinfass, dahinter saßen die beiden Zeugen, und ganz hinten auf dem Podest der Kutsche standen zwei Hausknechte als Lakaien. Sobald die Kutsche  die Schlosspforte erreichte, nahm  der Martensmann während der Fahrt dem Kutscher den Hut ab, und legte ihn vor sich. Dann entblößte er selbst seinen ehrwürdigen Kopf. In diesem Augenblick trat die ganze Schlosswache an, salutierte vorschriftsmäßig, was mit einem Kopfneigen gedankt und einem Gulden quittiert wurde. Bis zur Rückfahrt blieben die Köpfe unbedeckt. Nun fuhr der Kutscher in der Gegenwart des Herzogs zwei Mal gegen den Uhrzeigersinn mit der wichtigen Ladung und den ihn huldigen Leuten um den Schlosshof, um dann genau an der Hauptwache, wo Küche und Keller sich befanden, an zu halten.

Jetzt trat der Hausvogt zusammen mit den ihm zugeordneten Beamten und dem Amtsregistrator an die Kutsche. Der Martensmann nebst seinen Zeugen verließ auf der anderen Seite die Kutsche, um so seine   Ehrerbietung dem Herzog gegenüber zu zeigen und sprach: „Es lässet dem Durchlauchtigsten regierenden Landesherrn,. Herzog zu Meklenburg, Fürsten zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg, Grafen zu Schwerin, der Lande Rostock und Stargard, ein Ehrenvester und Hochweiser Rath der Stadt Lübeck dero Gruß und Dienst unterthänigst vermelden, auch alle fürstliche Prosperität anwünschen, und dabei anzeigen, daß wohlgedachter Rath sich erinnert, wie an diesem Martini-Abend jährlich dem Herzoglich Meklenburgischen Hause Schwerin von einem Hochweisen Rath der Stadt Lübeck ein Ohm Rheinwein präsentieret worden; dem wohlgedachter Rath auch jetzo nachgekommen; und lässet hiemit solchen Wein aus nachbarlicher Freundschaft und guter Affection präsentieren, wünschet dabei, daß Ihro Herzogliche Durchlaucht denselben bei allem hohen Wohlsein und guter Gesundheit genießen, Eines Ehrbaren Raths der Stadt Lübeck dabei im Besten gedenken, und also nachbarliche Freundschaft, wie allemal vorhin geschehen, erhalten mögen.“

Darauf musste der Hausvogt folgendes erwiedern: „Der Durchlauchtigste Herzog und Herr, regierender Herzog zu Meklenburg, Fürst zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg, Graf zu Schwerin, der Lande Rostock und Stargard Herr, bedanket Sich zwar des von Einem Hochweisen Rath der Stadt Lübeck zuentbotenen Grußes halber gnädigst; es ist aber aus dem Anbringen verstanden worden, daß ein wohlgedachter Rath der Stadt Lübeck dem alten Herkommen nach keinen Rheinwein-Most, sondern Rheinwein gesandt, überdem auch, daß man diese Sendung, als geschähe sie nur aus nachbarlicher Freundschaft und Affection, an- und vorbringen lassen wollen: als kann man dagegen nicht unbeantwortet lassen, daß jährlich am Martini-Abend dem Herzoglichen Hause Schwerin von Einem Hochweisen Rath der Stadt Lübeck aus Schuldigkeit und Pflicht ein Ohm Rheinwein-Most geliefert werden müsse: hätte es anjetzo auch kein Rheinwein, sondern Rheinwein-Most sein sollen. Für diesesmal will man zwar den gesandten Rheinwein nehmen, aber mit dem Bedinge, daß solches hinfüro in keine Consequenz gezogen werde, sondern nach diesem, wie Herkommens ist, von Einem Hochweisen Rath jederzeit Rheinwein-Most aus Schuldigkeit und Pflicht an dem Martini-Abend geliefert werden solle, und Ihro Herzoglichen Durchlauchten hinfüro der alten Schuldigkeit nach damit gewürdigt sein wollen. Damit aber Ihro Herzoglichen Durchlauchten haben dem uralten Recht hiedurch kein Präjudiz zuwachsen möchte, so protestiere ich im Namen Ihro Herzoglichen Durchlauchten darwider öffentlich, und requiriere den gegenwärtigen Amts-Registrator als Notarium, vi officii publici, hiemit, diese interponirte Protestation ad notam zu nehmen, und der Herzoglichen Kammer deßfalls ein beglaubtes Documentum unterthänigst einzuliefern. Sonsten halte ich dafür, daß Ihro Herzoglichen Durchlauchten nicht unterlassen werden, alles, was dero Orts zu Erhaltung guter nachbarlicher Freundschaft ersprießlich ist, zu conservieren.“

Dazu erwiderte der Martensmann: „Ein Hochweiser Rath weiß sich nicht zu erinnern, daß Ihro Herzoglichen Durchlaucht sie irgend womit verpflichtet sein sollten; sondern ich repetiere mein voriges. Der Wein wird nicht aus Schuldigkeit, sondern aus nachbarlicher Freundschaft präsentieret, derowegen ich nicht unterlassen kann, gegen das Eingewandte förmlich zu reprotestieren.“

Dem entgegnete der Hausvogt: „Ich wiederhole, daß Ein Ehrbarer Rath der Stadt Lübeck am Martini-Abend jährlich ein Ohm Rheinwein-Most aus Pflicht und Schuldigkeit senden müsse, und inhäriere dem, was ich bereits vorhin angebracht.“

Danach befahl er dem Pförtner: sowohl Wagen als auch Pferde mit seinem Gehilfen genau zu untersuchen, ob an Eisenwerk, Seilenzeug oder Hufen auch nur der geringste Mangel zu finden sei. Denn in diesem Falle durfte die Zeremonie nicht weitergeführt werden, und der Kutscher wäre sofort durch einen herzoglichen Kutscher in den Marstall gebracht worden, ein Gefängnis in der Stadtbefestigung. Die Untersuchung übernahmen die jungen Gehilfen und fanden keine Beanstandungen. Jetzt stieg der Hofkellermeister in die Kutsche, öffnete den Spund des Fasses, füllte mit einem Stechheber ein Glas, besah die Farbe, beroch den Duft, und kostete im dritten Tempo den Wein, füllte wieder und reichte dem Vogt und dessen Beamten das Glas, welche dann die Güte lobten. Das Fass wurde wieder zugeschlagen, und von den Küpern in den Hofweinkeller geschafft.

Der Martensmann und seine Leute hatten ihre Aufgabe erfüllt, erhielten noch eine gute Abendmahlzeit, und stiegen wieder in die Kutsche, um die Rückfahrt an zu treten. Sie fuhren dreimal um den Scholssplatz, streuten etwas Kleingeld, bedeckten ihre Köpfe und fuhren an der salutierenden Wache zurück nach Lübeck.

Von da ab lud der Herzog seine Bediensteten einschließlich Schlosswache zu einem opulenten Mahl ein, wo dann kein Unterschied zwischen einfacher Dienerschaft und Hausvogt gemacht wurde.

 

Impressum

Texte: Rainer Göcht/Original in Linguistisch von Ernst Deeke
Bildmaterialien: Rainer Göcht
Tag der Veröffentlichung: 11.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /