Buchautor und Schriftsteller: Rainer Göcht
Zitat:
Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben
Der Tag der Deutschen Einheit
9. November 1989
38. Dear Diary- Wettbewerb im Oktober 2013
Erlebnisse aus der Zeit des Mauerfalls
Das Jahr 1989 gehörte insgesamt zu den bemerkenswertesten Jahren aus meiner Erinnerung. Viele persönlichen und familiären Ereignisse lösten sich ab. Aber der 80. Geburtstag meines Vaters, am 18.Oktober 1989, zeigte sich unter einem ganz besonderen Stern. Klar, 80 Jahre alt zu werden, ist schon ein herausragendes Ereignis, doch wenn hierzu sich noch ganz unerwarteter Besuch anmeldete, um dieses Großereignis mitzufeiern, dann bleibt dieser Tag in bester Erinnerung, doch Alles der Reihe nach.
Die Feier fand im Haus meiner Schwester und Schwager in Bremen statt, dessen gesamter Familienclan einer alten Bremer Handelsfamilie, natürlich mit anwesend war. Ich erwähne diese Familienseite deshalb so genau, weil hier zwei sehr unterschiedliche Welten der besonderen Art aufeinander prallten.
Hoher Besuch aus der DDR sagte sich an, zum ersten Mal erhielt Jürgen K., mein Cousin, aus Schwerin, eine Reisegenehmigung nach West-Deutschland. Die Reisemöglichkeiten in den Westen wurden mittlerweile gelockert, meistens dann, wenn größere Familienangelegenheiten anstanden.
Ein weiterer Cousin aus Ost-Berlin, Peter R., erhielt ebenfalls eine Genehmigung, nach Bremen zu kommen, ein Umstand, der in dieser Art bisher noch nie dagewesen war.
Zur weiteren Erklärung der gegebenen Situation, möchte ich auf die etwas steife, sehr reservierte und vornehme Art, der Bremer Handelsfamilie aufmerksam machen, zum Anderen auf die sehr leichte und lockere Art im Ausdruck meines Verwandten aus Schwerin hinweisen, dazu meine eigene Denkweise, bestimmte Dinge sehr drastisch zu erwähnen, die einem vornehmen Menschen nur ein leichtes Hüsteln abverlangte.
Man saß im großen Wohnzimmer, verteilt um den Wohnzimmertisch. Die feiernde Gesellschaft saß etwas steif, kein Durcheinanderreden, jeder durfte mal was sagen, kein lautes Lachen, öde. Aber es gab einen Lichtblick, das kalte Buffet. Man bediente sich, jeder sagte aus Gewohnheit guten Appetit. Jürgen und ich setzten uns zum Essen an den Esstisch, natürlich aus Bequemlichkeitsgründen, weil wir dann näher am Buffet und den vielen leckeren Sachen waren. Die anderen Gäste blieben artig in ihrer Runde, und aßen kleine Häppchen an ihrem angestammten Platz. Nun begann es. Immer, wenn jemand an das Buffet ging, um Nachschub zu holen, musste Der oder Die an unserem Tisch vorbei und sagte „Guten Appetit“. Wir sagten artig „Danke“. Diese Floskeln nahmen Überhand, und mit vollem Mund immer wieder“ danke“ zu sagen, war auch recht unhygienisch. Also, immer wenn jemand sich unserem Tisch näherte, erfolgte von uns mit vollem Mund ein gedehntes mmmmmh….., um dem“ guten Appetit „zuvor zu kommen. Irgendwann konnten wir vor Lachen nicht mehr essen. Von dieser Lacherei wurde mein Vater angesteckt und machte in dieser Runde mit. Es entstand ein gedehntes mmmmmmmmmmmmh….. zu dritt.
Der Cousin aus Ost-Berlin hielt sich mit allen Äußerungen sehr zurück. Seine ganzen Bemerkungen beschränkten sich auf Fragen über die Verwandtschaft, über deren Leben und Arbeit. Zu diesem Zeitpunkt machte sich noch keiner der Anwesenden darüber besondere Gedanken. Später fiel auf, dass in den persönlichen Unterlagen meiner Schwester jemand herumgekramt hatte, um noch mehr Informationen aus persönlichen Unterlagen zu erhalten. Er war Mitglied der Stasi, und wurde gezielt auf die Westverwandtschaft angesetzt. Er reiste am nächsten Tag wieder ab.
Mein Cousin Jürgen hatte nur bis Bremen eine Fahr- und Aufenthaltserlaubnis. Für einen Tag und eine Nacht nahm ich ihn heimlich mit zu uns nach Hause. Eigentlich eine sehr gewagte Angelegenheit, die hoffentlich nicht außer Kontrolle geriet. Es durfte einfach nichts passieren, sonst bekam Jürgen mit den DDR-Behörden noch großen Ärger.
In Gummersbach schellte das Telefon, es meldete sich mein Cousin Peter R. vom Hauptbahnhof in Köln. War das Zufall? Man bemerke DDR? Reisebeschränkungen etc? Er sollte doch schon längst wieder in Ost-Berlin sein? Jetzt wollte er uns besuchen, doch ich musste ihn irgendwie abwimmeln. Mir schwante eine Menge auf uns einstürzende Schwierigkeiten. Wir konnten und durften Jürgen nicht noch mit weiteren Unannehmlichkeiten konfrontieren, denn als unser Gast waren wir für ihn verantwortlich. Dieses Telefonat gab uns reichlich Diskussionsstoff, und bestätigte die Ahnungen über die mögliche Stasi-Zugehörigkeit und das Zusammenstellen einer familiären Ahnentafel. Wir beschlossen, mit allen Äußerungen und Angaben ihm und Fremden gegenüber sehr vorsichtig zu sein. Jürgen`s zeitlich begrenzter Westaufenthalt endete, ich fuhr ihn rechtzeitig zurück nach Bremen, damit er seine offizielle Rücktour nach Schwerin antreten konnte.
Die politischen Ereignisse in der DDR überschlugen sich. Bis zu diesem Ereignis am 9.November hatte jeder Angst vor einem nahen Bürgerkrieg, mein Cousin war letztlich froh, rechtzeitig wieder bei seiner Familie zu sein.
Eine sehr bedeutende politische Wende erfuhr die DDR. In der Nacht vom 9. auf den 10.November 1989 fiel die Berliner Mauer nach 28 Jahren ihrer Existenz. Ein Ereignis, was ganz Deutschland in seinen Grundfesten und Ersehntem positiv erschütterte. Die vielen friedlichen Protestmärsche in einigen Städten der DDR, die vielen Rufe nach Freiheit in allen Belangen und die ständigen, immer wiederholenden Bekundungen: Wir sind das Volk, wurden erhört. Eine neue Ära für Ost und West brach an.
9.November 1989 Fall der BerlinerMauer
Mein Cousin aus Ost-Berlin hatte bis zum Schluss an seiner Stasi -Karriere gebastelt, viele Familienmitglieder denunziert, und kurz nach dem Fall der Mauer Selbstmord begangen.
Texte: Rainer Göcht
Bildmaterialien: Rainer Göcht
Tag der Veröffentlichung: 05.10.2013
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