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Vorwort

Caspar de Fries

Schriftsteller

Zitat:  Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben

 

Texte und Bildmaterialien:

Caspar de Fries

Alle Rechte vorbehalten

Tag der Veröffentlichung: 07.07.2013

 

Ich berichte in diesem Buch von alten Erzählungen, Sagen , Märchen und Gestalten aus vergangenen Zeiten, die sich wirklich alle in Lübeck und Umgebung zugetragen haben sollen. Man erzählt sie weiter, verschönt den Text, umschreibt die gerade existierende Lebensphilosophie, aber der Kern des Geschehens bleibt wie er ist. Dieses Fünkchen Wahrheit möchte ich den Lesern dieser Texte gerne vermitteln.

 

 

 

Zu Lübeck schenkt man`s Keinem

1351 lebte in Lübeck ein sehr kunstbegabter Maler, der von vielen reichen Kaufleuten Aufträge erhielt, die Vorzimmer und Räumlichkeiten ihrer Kontore farblich und künstlerisch zu verschönern. Die Kirchenmeister und Bischöfe vertrauten ihm ihre Kirchen und Klöster an, damit historische Motive in Verbindung mit dem Satan gemalt werden sollten. Den Anblick eines Satans gedachte er so hässlich und gräulich an der Wand und der Decke zu verewigen, dass man sofort erschreckt, wenn man diese Bilder betrachtete. Eines Tages erschien der Satan in Menschen-Gestalt bei diesem Maler und betrachtet einträchtig seine Arbeit, und spricht: „ Wie kommt es, dass Ihr den Satan so übel malt, er ist doch gar nicht so hässlich, scheußlich oder gar schrecklich?“ Der Maler entgegnet: „ Mein Herr, ich kann den Satan gar nicht greulich genug mahlen, ich sehe ihn nun einmal so vor meinem Anlitz. Da spricht der Satan wieder: „Ich biete Euch meine große Freundschaft an, wenn Ihr gelobt, ihn als Maler wie jeden anderen Menschen zu sehen, normal, nicht hässlich und nicht scheuslich, sondern als Freund und Weggefährte. Er wird Euch dann auch in vielen Lebenslagen und seltsamen Situationen als ein großer Freund begleiten. „Ich werde auch weiterhin den Satan verachten, ihn noch hässlicher als Bild erscheinen lassen, ich will diese Freundschaft nicht, denn ich suche mir meine Freunde selber aus.“ Darauf verschwand der Fremde, sagte aber noch vorher: „So eine Weigerung werdet Ihr irgendwann sehr bereuen. Zu gegebener Zeit werde ich mit Euch ganz besondere Possen spielen. Ihr werdet sehen, was Ihr davon habt, diese Freundschaft zu verschmähen. Kurze Zeit nach dieser seltsamen Begegnung begibt sich dieser Satan in Gestalt und täglicher Kleidung des Malers zum Gewandschneider, ein Freund des Malers. Er ersteht da eine Menge von sehr feinem und teuren Tuch, und achtet darauf, das ein ziemlich großer Rechnungsbetrag zusammenkommt. Er lässt sich alles schön einpacken, und trägt das Bündel mit dem feinen Tuch zur Schlafkammer des Malers und versteckt es unter dem Bett. Am nächsten Tag bringt der Lehrjunge des Gewandschneiders die Rechnung, die er, laut Anweisung seines Meisters, direkt einfordert, weil der Maler diesen Betrag noch gestern nach dem Kauf vorbei bringen wollte. Der Maler lacht ihn aus, und fragt: „Sag einmal, bist du nicht ganz dicht? Ich habe bei euch kein Tuch gekauft. Der Junge klagt es seinem Meister, dass der Maler ihn ausgelacht hätte, und gemeint, er hätte doch überhaupt kein Tuch gekauft. Wenn man ein vornehmer Gewandschneider sein will, nimmt man die Hilfe des Gerichts in Anspruch, verklagt den Maler und spricht: „Der Maler hat mir viele Ellen feinsten Tuch gestohlen und ist damit nach Hause gegangen, um sein Geld zu holen, er zog es aber vor, nicht mehr zu erscheinen.“ Der Maler ist sich keiner Schuld bewusst und meinte: „Dies ist alles nur eine reine Willkür. Wenn jemand in seiner Behausung solches Tuch finden sollte, möchte er lieber am Galgen aufgehängt werden. Der Richter schickt darauf Gerichtswachen in das Haus des Malers, um jeden Winkel in der Behausung durchsuchen zu lassen. Sie werden fündig und befördern das verlorene Tuch unter dem Bett hervor. Jetzt wurde der Maler als Dieb entlarvt, was ihn auch fürchterlich erschrickt. Er möchte sich dafür entschuldigen, doch es vermochte seine schlimme Situation nicht mehr zu retten. Von dieser Zeit an musste er auf die Reckebank, wo er seine Tat unter großer Pein zugegeben hatte. Er selbst sprach vorher von Willkür, und man verurteilte ihn auf seinen eigenen Hinweis hin, sodass er am nächsten Tag hängen sollte. In der Nacht, aber schon zum Morgengrauen erschien der Satan beim Maler im Gefängnis. Er sprach mit ganz ruhigen und sanften Worten zu dem Gefangenen: „Siehst du, wärest du vorher auf mein Angebot eingegangen, so brauchtest du jetzt nicht im Galgen hängen. Aber ich weiß noch Rat: sobald du mein sein wirst, sollst du alsbald erlöst werden.“ Der Maler antwortet: „ Nein, dann will ich lieber zwei Mal sterben als einmal zu dir zu gehören.“ „Nun wohlan,“ spricht der Satan wieder, „so sprich mir einen Eid bei deinem Gott, dass du mich in Zukunft auf das Schönste und Herrlichste malen willst; so will ich mich an deiner statt hängen lassen.“ Der Maler denkt nicht lange darüber nach, und meint für sich, dass er diesen Schwur wohl erfüllen kann und spricht den heiligen Eid. Der Maler sprach den Eid gerade zu Ende, als sich die Fesseln lösen, und der Satan sich selber die Fesseln und Schlösser anlegt. Er spricht: „Siehe, da hast du meine Kleidung.“ und bepinselt etwas in das Gesicht des Malers, „Gehe jetzt nach Hause, mache Tür und Fenster zu, so dass keiner heraus und herein kommt. Warte bis um 2 Uhr am Nachmittag, dann gehst du auf den Markt, damit dich jeder als den Maler erkennt.“ Gegen Mittag führt man den Maler in Gestalt des Satans unter den Galgen damit er seine gerechte Strafe erhält. Der Henker wartet unter dem Galgenbaum, viele Schaulustige schauen dieser Zeremonie zu. Der Henker legt dem „Maler“ den Strick um den Hals und lässt die Klappe unter den Füssen des Delinquenten heruntersausen, so dass die Strafe vollendet ist. Er wartet noch so lange, bis auch das letzte Zucken des Erhängten aufhörte. Der Maler aber sperrte sich in seinem Hause bis zum Nachmittag ein. Dann verlässt er sein Haus, geht auf den Markt, und lässt sich von allen Leuten anschauen. Die Leute jedoch weichen vor ihm zurück, und rufen mit großer Verwunderung: „Sieh da, ist der Mann nicht diesen Mittag gehängt worden?“ Der Maler spricht: „Nein, der Teufel mag hängen; ich aber bin kein Dieb gewesen.“ Seine Worte hören die hohen Herren des Gerichts. Sie lassen den Maler umgehend zu sich kommen um ihn von Angesicht zu Angesicht noch einmal zu fragen, was diese Geschichte zu bedeuten habe? Als sie ihn genauer betrachten fragen sie: „ Seid Ihr nicht vor vier Stunden gehängt worden?“ Der Maler sagt: „Nein, der Teufel möge hängen, er aber nicht. Die Richter befehlen dem Maler zu warten, und schicken einen Büttel, Gerichtsdiener, damit er sich den Gehängten ansieht. Der Büttel steigt die Leiter zum Gehängten hinauf, um sich die Gestalt etwas näher an zu sehen. Er fasst die Kleidung an und merkt, dass sie so leicht wie ein Schweif sei, wie ein Schatten, der einem Menschen mal ähnlich gewesen war. Darauf haben die Herrn Richter den Maler ganz ernstlich befragt: „ Wie verhielt sich denn dieser Handel mit dem Satan? Wir wollen jetzt nur die Wahrheit hören und Ihr an Eides statt berichten. Nun erzählt der Maler es so, wie es sich zugetragen hat. Der Satan hat ihn losgemacht, um sich dann selbst hängen zu lassen. Von dieser Geschichte stammt das gemeine Sprichwort: „ Wenn Einer nach Lübeck gewollt: „ja, ja, ziehe hin nach Lübeck; da schenkt man’s keinem nicht, und henket so bald den Teufel als Menschen an den Galgen.“ Der Maler ging nun wieder seiner Arbeit nach und hatte den Auftrag eine Altartafel zu malen, mit der Historie, Leib und Seele in Bildform so zu gestalten, dass die Engel Gottes und der Satan gleichzeitig auf die Seele warten. In diesem Moment denkt der Maler an sein Gelübde, welches er in höchster Not geschworen hatte. Jetzt malt er den Satan in Gestalt des höchsten Herrn der ganzen Welt, nämlich wie einen herrlichen, schönen alten Mann mit der Krone und dem ganzen Ornament des Papstes, jedoch anstatt der Ohren zwei gekrümmte Bockshörner, und unter dem langen Rock den einen Fuß mit einer Satansklaue; daneben stand also geschrieben: Hanc animam posco, quam plenam criminibus nosco. Diese Tafel stand hinter dem Chor auf einem Altar, ist aber anno 1600 von dem Domherrn und Structuarius Schrader in das Reventer gehängt worden 

Soll ich nehmen oder stehlen?

Im Jahr 1540 wohnte in der Burgstraße in Lübeck ein alter, sehr reicher Mann, der eine junge schöne Frau heiratete, die er abgöttisch liebte. Sie aber, heiratete ihn nur wegen seines vielen Geldes, um aus der Gosse, wo sie lange gelebt hatte, heraus zu kommen. Sonst galten ihre Interessen den wesentlich jüngeren Männern, solche, wie den Kutscher ihres Gatten. Aber der Kutscher zeigte wenig Interesse an den Verführungsversuchen und Verlockungen dieser jungen Frau. Außerdem gab es für ihn noch eine gewisse Ehre, seinem Herrn zu dienen. Mit allen Tricks versuchte die Frau, ihn um zu stimmen, aber je mehr sie sich anstrengte, seine Gunst zu erzwingen, je mehr wandte er sich von ihr ab. Ihr heißes Verlangen wandelte sich immer mehr in einen unbändigen Hass. Eines Tages schenkte ihr Ehemann ihr eine kostbare goldene Uhr, ein Einzelstück in feinster Ausführung. Zu einem besonderen Anlass wollte sie die Uhr tragen, aber sie befand sich nicht mehr in der Schmuckschatulle. Überall suchte man sie, im Garten, im Haus und im Keller. Endlich wurde sie gefunden, sie steckte in dem Koffer des Kutschers, der jedoch beteuerte, nichts mit dem Diebstahl zu tun zu haben. Sein Herr glaubte ihm, denn sein Kutscher zeigte sich sonst sehr anständig und ehrlich, und er war bereit, diese Sache zu vergessen. Doch, seine Frau verlangte strengste Bestrafung. So kettete man den Unglücklichen auf die Marterbank, um auf grausamste Art und Weise ein Geständnis von ihm zu erzwingen, vielleicht auch noch die Namen gieriger anderer Personen zu erfahren, die an dem schändlichen Raub beteiligt waren. Unter unmenschlichen Schmerzen zeigte er sich geständig. Auf Grund der Fürsprache seines Dienstherrn begnadigte man ihn, und ordnete seine Enthauptung an. Kurz bevor der Scharfrichter mit seiner riesigen Axt das Urteil vollstreckte, beteuerte der Unglückselige noch einmal seine Unschuld, aber keiner erhörte sein Flehen. Nach einiger Zeit aber, war die Uhr wieder weg. Überall forschte man nach, bis fand man sie bei einer Magd, die lange im Haus des Kutschers Dienstherrn gearbeitet hatte, fand. Die Magd war inzwischen verheiratet, und wollte die Uhr als finanzielle Mitgift zu Barem eintauschen. Es war dieselbe Magd, die vorher, nach Anweisung ihrer Herrin, für gutes Geld die Uhr heimlich unter den Sachen des Kutschers verbarg. Stadtwachen ergriffen die Magd und schlossen sie in den Diebesturm. Ihre ehemalige Herrin aber, hörte von der Verhaftung, bekam Angst, dass ihre schändliche Lüge mit dem Kutscher an das Tageslicht käme. Sie ließ anspannen, mit der Lüge, eine kranke Freundin besuchen zu wollen. Unterwegs, an der Alsheide, sollte der Kutscher anhalten. Sie gab ihm zu verstehen, dass sie ein wenig die Beine vertreten möchte, um die herrliche Luft zu genießen. Für den Kutscher waren die Anweisungen seiner Herrin ein Befehl, deswegen dachte er auch nicht weiter über diese Anweisung nach. Jedoch die Zeit wurde lang und länger. Die angemessene Zeit schien vorbei zu sein, jetzt wollte er doch einmal nach der Gnädigsten sehen. Er fand nur noch einen Schuh von ihr am Ufer der Trave, lief angstvoll an dem Fluss hin und her, fand sie aber nicht. Er machte viel Lärm an den Häusern der Umgebung und ließ nach ihr suchen. Einer der Stadtwächter, der auf der Stadtmauer seine Wache hielt, sagte später aus, dass er einen menschlichen Körper ins Wasser fallen hörte. Es wird nachgefischt, aber nichts gefunden. Ihr Ehemann, der alte, reiche Mann, ließ die diebische Magd verurteilen und am Galgen aufhängen. Seitdem fährt jedes Jahr in der Neujahrsnacht eine schwarze Kutsche ohne Kutscher mit feuerschnaubenden Rappen von der Burgstraße zur Alsheide. In der Kutsche sitzen zwei Frauen, die eine ohne Kopf, der anderen ward der Kopf in den Nacken gedreht. Sobald der Wagen aber in die Engelswisch einbiegt, verschwindet die Kutsche wie von Geisterhand. Wer in der Neujahrsnacht bei leichtem Nebel an der Trave spazieren geht, hört kurz nach Jahreswechsel das Schnauben der Pferde, das Rattern der Kutsche, und manchmal sind auch anklagende Rufe; allerdings weiß man bis heute nicht, ob die Stimme männlich oder weiblich klingt. 

Taubheit mit Blindheit vertauscht

Auf einem Armenhof in Lübeck lebten in sehr heruntergekommenen windschiefen Hütten alte Frauen oder Witwen, die dort ihr Armendasein versuchten zu meistern. Eine dieser älteren Frauen war seit vielen Jahren so taub, dass sie überhaupt nichts hörte, auch wenn man noch so laut schrie. Aber diese tauben Leute sind besonders neugierig auf das, was andere gerade sagen, denn es könnte doch über einen selbst gesprochen werden. Sie ärgerte sich meistens über ihre Nachbarinnen, wenn sie im Gespräch zusammen standen und sich unterhielten, wenn sie dann auch noch lachten, dachte sie, die beiden lachen über ihre Taubheit. Schlimm war es ihr, wenn alle anderen zur Kirche gingen, dort den Segen erhielten, nur sie war ausgeschlossen, weil sie doch nichts mehr verstand. Eines Abends rutschte die arme Frau in ihrem Kämmerlein auf den Knien vor ihrem Bett und flehte ihren Gott an. Sie bat ihn, er möge sie doch von der Taubheit erlösen, und wollte lieber mit Blindheit bestraft werden, dabei weinte sie ganz bitterlich. Das flehte sie so inbrünstig zu ihrem treuen Gott, dass sie in der Nacht in ihrem Bett davon träumte und fest daran glaubte, dass diese Bitte erhört wurde. Aus lauter Gewohnheit wachte sie morgens um sieben Uhr auf, öffnete die Augen, und wunderte sich, dass alles noch dunkel war. Sie stieg aus ihrem Bett, und hörte nebenan die beiden Nachbarinnen mit einander schwatzen. „Wie spät ist es, was hat die Turmglocke geschlagen?“ Sie antworteten beide: „Sieben Uhr!“ – „ Komisch,“ meinte sie, „warum ist es denn noch so dunkel?“ Die beiden Frauen lachten und meinten: „ Du bist doch stock betrunken, es ist tagshell, siehst du das denn nicht?“ Der plötzlich blinden Frau, die am vorigen Tag noch stocktaub gewesen war, und sehen konnte, wie alle anderen Frauen ihrer Nachbarschaft auch, fiel auf die Knie und dankte ihrem Gott, dass er so gnädig war, ihr Gebet zu erhören. Ob es nun wirklich eine so große Gnade war, das Tageslicht nicht mehr zu sehen, das bedarf einer besonderen Beachtung. Aber anscheinend empfand diese Frau es als besondere Beachtung ihrer Person, dass ihr spezielles Gebet erhört wurde, egal von wem. 

Der Mörder Giese

Am Palmsonntag-Abend 1527 ging eine Frau nach Hause. Sie lebte mit ihrem stets betrunkenen Mann, namens Giese, am Jerusalemsberg. Um ihn bei Laune zu halten, brachte sie ihm einen Lechel Bier aus Lübeck mit. Sie bestrittenein kärgliches Auskommen, doch sie schaffte es immer wieder, mit dem wenigen zu recht zu kommen. – An diesem Abend fing der Mann mit seiner Frau an zu zanken, drosch sie mit seinem Lederriemen grün und blau, fällt über sie her, sie ruft um Hilfe, keiner hört das Geschrei, sie stürzt draußen in den Abwassergraben. Dort im Dreck verging er sich noch einmal an ihr und schlug sie tot. Als man die arme Frau fand, lag neben ihr ein ungeborener Leichnam eines Kindes. Nach der Tat packte er ruhig seine Habseligkeiten zusammen, ließ den Leichnam liegen, und machte sich davon. – Der Körper der armen Frau aber war kaum gefunden, so verbreitete sich ein Entsetzen und eine ungeheure Wut auf diesen Mörder. Man suchte die ganze Gegend nach ihm ab, zu Pferd und zu Fuß. Endlich fand man den Kerl samt seinem Gepäck auf einer Fähre nach Herrenwiek, wo er sich durch einen Fährmann zur Mecklenburger Seite übersetzen lassen wollte. Schon am Nachmittag sperrte man ihn im Marstall ein, nachdem man ihm den scheuslich verstümmelten Körper seiner Frau gezeigt hatte. Er aber sagte ganz unbefangen: „Sieh, sieh, du armes Weib, das dacht’ ich nicht, als ich dich gestern in die Stadt schickte, dass ich dich so wiedersehen würde!“ Aber in demselben Augenblick begann der Leichnam übermäßig, und dermaßen zu bluten, , dass die Richter und das Volk sich höchst amtlich verwunderten, dies aber nach einem Fingerzeig Gottes auf den Schuldigen deutete. Der Mörder wurde also in den tiefsten Kerker gebracht, nur, die Stadtwachen hatten Mühe, ihn lebendig durch die Gassen zu bringen, so wütend und aufgebracht auf ihn war das Volk, überwiegend die Frauen, die diesen Schänder am Liebsten gleich zerrissen hätten. Vor der Frohnerei trat die Frau des Büttels Claus Rose voller Wut und Ekel an die Tür, und schrie: „Weg, weg mit dem Vieh; der darf nie wieder frische Luft atmen, der soll an seinem Schutz ersticken.“ Claus Rose aber sprach: „gemach, gemach, liebe Frau, ich will ihn schon verwahren, dass du behältst was dir Gott gegeben,“ und damit sperrte er ihn in den tiefsten Kerker. Nach Ostern wurde dieser Mörder gerädert, geköpft und dann gevierteilt; sein Kopf steckte man zur Abschreckung auf eine hohe Stange. 

Ein Mann namens Wullenweber

1532 war die Zeit der bürgerlichen Unruhen in Lübeck. Zum Urheber dieser zwiegespaltenen Gesellschaft gehörte Nicolas Bröms mit seinen engeren Freunden. Ein Kaufmann, namens Jürgen Wullenweber, gebürtiger Hamburger konnte diese gesamte Brut im Lübecker Rat nicht ausstehen, denn er verabscheute Zwietracht, Falschheit und Unehrlichkeit. Er war früher viel auf See unterwegs, und hatte sich in dem Krieg gegen König Christiern und seine Seeräuber sehr hervorgetan, dass seine Freunde ihn scherzweise den Admiral nannten. Seinen eigentlichen Handel betrieb er in Schweden, und sah oft, wie schmählich alle Versprechungen und Verheißungen vom Rat der Stadt Lübeck gehalten wurden, als man in großer Not Verbündete suchte, um gegen die Absicht zu kämpfen, aus dem Reich verdrängt zu werden. Die Holländer versuchten, im Ostseeraum Handel zu treiben, aber die Stadt Lübeck mit der großen Hanse versperrte ihnen alle Möglichkeiten, dort hin zu gelangen. Die Hanse versprach sogar den Schweden große Handelsvorteile zu erhalten, wenn sie den Holländern die Zufahrt durch den Sund versperrten. Selbst mit den Dänen verhandelten sie in heimlichster Weise, um die ungeliebten Holländer aus ihren nächsten Bereichen heraus zu halten. Diese ganzen Intrigen erfuhr auch der Händler Jürgen Wullenweber. Er forderte Herrn Nicolas Bröms auf, diese unrühmlichen Vorstöße der Hanse zu unterbinden und mit allem Ernst ab zu wehren. Er erbot sich, selber an der Spitze von Freiwilligen los zu ziehen, um die alte Lübsche Freiheit gegen die Holländer zu behaupten. Herr Bröms aber, der ihn nicht leiden konnte, weil er den protestantischen Lehren nachhing, wies ihn mit harten Worten ab: dies wäre die Sache des Lübecker Stadtrates, er solle sich aus den städtischen Belangen heraushalten. Die Sache steht höheren Händen zu; wenn es wider täuferischer Taten bedürfe, würde man sich vielleicht an ihn erinnern. – damit ließ er ihn stehen. Man war also nicht auf seine Hilfe angewiesen, nur weil Wullenweber sich der protestantischen Lehre verschrieben hatte, und sich nicht der päpstlichen Anordnung unterwarf. Jürgen Wullenweber war sehr von diesen Äußerungen enttäuscht. In seinem tiefsten Inneren sagte er sich, dass der Tag noch kommt, wo man sich an seine Qualitäten erinnere. Die Zeit spräche für ihn, deshalb nutzte er die Zeit, um sehr viele kampferprobte Männer an zu heuern, auf eine Gelegenheit zu warten, und seine Pläne der näheren Zukunft durch zu setzen.. Nach und nach erkannte er, dass die ganze Macht der Hansestädte angewandt werden müsse, um das Netz zu zerreißen, das immer enger um Lübeck zusammen gezogen wurde. Bröms vertrat vehement seine eigenen Interessen im Stadtrat, nur es waren nicht die Interessen der Hanse. Und deshalb befürchtete Wullenweber, dass Bröms mit seinem Anhang an der Spitze des Rats bliebe und sich immer mehr in Intrigen und Streitigkeiten gegen alle Vernunft verstrickte, und nicht mehr die reinen Stadtinteressen vertrat. Herr Bröms war ein Verfechter der reinen Lehre von Jesus Chistus und ging mit eiserner Härte gegen die evangelisch gesinnten Leute vor. Die Unruhen in der Stadt gegen den Rat häuften sich. Sogar Straßenkämpfe zeigten einen erbitterten Kampf um die Vorrechte im richtigen Glauben. Wullenweber hielt sich wohlweislich zurück, um den ersten Erfolg abzuwarten; während seine Männer sich offen in der Bürgerschaft zeigten und bereits einige Kämpfe ausfochten, wusste er durch die Drohung und die Warnung der beiden ältesten Bürgemeister, Herr Bröms und Herr Plönnies, in Allem, was seine Leute unternahmen, dass die Spitze aller Zwistigkeiten noch nicht erreicht war. Die Protestanten gewannen die Oberhand und schafften es, dass die beiden Rasherren Bröms und Plönnies heimlich die Stadt verlassen mussten, weil sie Angst um ihr Leben hatten. Jetzt begann die Zeit von Wüllenweber. Er überredete den Bürgerausschuss den ganzen Rat gefangen zu nehmen, um einen neuen, aber evangelischen Anfang in der Stadt ein zu fügen. Die gefangenen Stadträte schafften es nicht mehr, gegen die starke evangelische Präsens an zu gehen, so dass ein großer Teil von ihnen abdankte oder sich mit der neuen Herrschaft arangierte. Bereits nach 14 Tagen stand Wullenweber als Bürgermeister an der Spitze des neuen Rats, und forderte mit großer Überredungskunst die Bürgerschaft zum Krieg gegen die Holländer auf. Allerdings, kosten sollte dieser Konflikt nichts, denn er dachte daran, die hundert Zentner Silber und Gold zu nehmen, die man im Schlachthaus, in der Trete, verwahrte, als man in den Kirchen die abgöttischen Bilder und überflüssigen Geräte entfernte. Mit großen Freuden ward der Vorschlag angenommen. Das Glück begünstigte ihn. Kurz darauf starb der König von Dänemark, und die Reichsstände setzten einen jungen Prinzen auf den Thron, um das Regiment besser zu kontrollieren; dann aber kam auch Marx Meier nach Lübeck, ein erfahrner und geübter Kriegsmann der Landarmee, eben so bekannt, wie Wullenweber zur See. Man baute Schiffe, goss aus metallenen Küchengeräten Feldschlangen und Falkonette (Kanonen des Mittelalters ), warb Truppen an, um massiv gegen die Holländer zu marschieren. Es gab aber keine Feldschlacht und keinen Seekrieg, denn den Holländern war ein ständiger Frieden lieber. Die Friedensverhandlungen fanden in Hamburg statt. Im blanken Harnisch und mit silbernem Admiralstab erschien Wullenweber zur Verhandlung in Hamburg; zwei Hauptleute mit siebzig gepanzerten Reitern beleiteten ihn; Trompeten und Posaunen bliesen zu seinem Einmarsch in Hamburg, wie ein Feldherr ließ er sich feiern. Aber es gab keinen, der ihm zujubelte und ihn sehen wollte; die Hamburger Bürgerschaft verweigerte ihm im letzten Krieg schon die Gefolgschaft und gaben ihm für seine Truppen kein Proviant. Seine eigenen Amtsgenossen bemühten sich, seine Vormachtstellung in beiden Städten zu festigen. Unerwartet schloss er Frieden mit den Holländern, und gewährte ihnen am Ende selbst die freie Fahrt auf der Ostsee, weil die dänischen inneren Angelegenheiten eine Wendung erhielten, die seine ganze Kraft in Anspruch nahm. In Dänemark hatte Herzog Christian, ältester Sohn des verstorbenen Königs, eine unvermutete Anerkennung durch Holstein, Schleswig und dem schwedischen König erhalten. Wullenweber, der den dänischen und schwedischen Städten die Aufnahme in den Hansabund in Aussicht stellte, und, von den für ihn guten politischen Umständen begünstigt, wollte er dort einen Freistaat gründen. An diesem Plan wirkten seine Freunde Ambrosius Bokbinder von Kopenhagen und Jürgen Münter von Malmö mit. Doch jetzt änderte er seine ganzen insgeheimen Überlegungen. Wie ein Fähnlein im Winde befreite er König Christiern II aus seiner Lübecker Gefangenschaft. Dann warb er den Grafen Christoph von Oldenburg an und ließ einen Scheinangriff auf Holstein machen, wodurch das eigentliche Dänemark von seinen Truppen entblößt wurde. Der Kriegsschauplatz fand in der Nähe von Lübeck statt, somit konnte Wullenweber mit seinen Anhängern und dem Landstrategen Marx Meier Schonen auf schwedischen Gebiet erobern. Weiterhin eroberte Graf Christoph die dänischen Inseln, wo die Bauern sich für ihren König Christiern II. erhoben. Für den Notfall, falls der Plan nicht aufging, existierte noch ein Geheimvertrag mit den Engländern, um ihnen die dänischen Inseln zu überlassen, damit sie in Holstein und Schweden unbeschwert operieren konnten. Die Engländer stellten ihm Hilfsgeld zur Verfügung, um die Truppen bezahlen zu können. Sein Abmachungsteil bestand darin, mit dem silbernen Stab als Admiral die Ostsee von feindlichen Schiffen frei zu halten und sie zu vernichten, damit den Lübischen das weite Meer offen stand. Aber während er außerhalb von Lübeck seine Ränke schmiedete, verlor er in der Stadt selbst an Ansehen. Er hatte gehofft, durch die Befreiung Christiern II., dessen Schwager, den Kaiser zu gewinnen; aber Bröms, der am kaiserlichen Hofe die Sache des alten Rats selbst an klagte, sorgte dafür, dass der Kaiser sich für ihn entschied. Die Bürgerschaft ließ sich auf den alten Stand umstimmen, den Ausschuss, in welchem Wullenwebers Stärke lag, abzuschaffen. Bröms setzte den Frieden mit Herzog Christian durch, wendete sich aller Konsequenz nach Jütland, um seine Wahl als König zu erzwingen. Die Umgegend der Stadt Lübeck war, in Folge der Feigheit der Bürger, sehr verwüstet worden; Wullenweber drang auf eine Entschädigung seiner doch sehr ramponierten Güter, welche die Lübecker ihm letztlich verweigerten. Wullenweber dachte daran, sein Regiment ständig in Lübeck als Garnison zu erhalten. Nur als die Nachricht von der Gefangennahme des Marx Meier durch die Schweden, die Zerschlagung des Heeres des Grafen und die Verstreuung und Vernichtung der Schiffsflotte der Lübschen bei Bornholm bekannt wurde, war sein Ansehen auf dem Tiefpunkt. Wullenweber versuchte mit allen Mitteln, seine gedachte Macht doch noch zu erlangen und verhandelte mit dem Herzog von Mecklenburg wegen einer Fortführung des Krieges. Inzwischen gelangte ein kaiserliches Mandat nach Lübeck, welches die Wiedereinführung der alten Verfassung und des alten Rats befahl, wobei der Urheber dieser Unruhen bei hoher Strafe in Ungnade zu verurteilen sei. Jürgen Wullenweber kehrte schleunigst nach Lübeck zurück. Man war sich inzwischen darüber einig, dass er abdanken und die Stadt verlassen sollte. Wullenweber verließ in aller Stille Lübeck, um dem Grafen Christoph zu helfen, der in Kopenhagen von verschiedenen Truppen eingeschlossen war. Bröms und sein Anhang näherten sich feierlich der Stadt. Jedoch konnte die allgemeine Friedlichkeit nicht echt sein, denn seine Freunde warnten ihn vor Wullenwebers Truppen und die mögliche Wiedererstärkung, die einen erneuten Krieg zur Folge hatte. Daraufhin erhielt der Vogt des Erzbischofs von Bremen den Befehl, Wullenweber beim Übergang der Elbe zu packen und als Gefangenen ein zu sperren. Der Vogt nahm einen großen Teil der Truppen und Wullenweber gefangen und brachte ihn nach Rothenburg an die Wümme, von da auf die Steinburg, wo die Pfaffenknechte von Heinrich von Braunschweig, ein Bruder des Erzbischofs von Bremen Wullenweber so lange auf der Streckbank folterten, bis alle Bekenntnisse und Erklärungen, die Brömse wünschte, zu hören waren. Jetzt verklagte man Wullenweber als öffentlichen Dieb, jemand der aus Kirchen und Gemeindekassen gestohlen hatte. Weiterhin stempelte man ihn als Missetäter an Gut und Blut anderer, Ein Verräter, ein Wiedertäufer, in summa, ein Anstifter aller Bosheiten und Zerrütter gemeiner Wohlfahrt. Bröms ließ seine ganze Wut und persönliche Enttäuschung, trotz allgemeiner Amnestie, an der Vernichtung dieses Mannes aus. Die Verurteilung und das Höchsturteil vollstreckte der Scharfrichter kurz nach einander: es lautete: Wullenweber wird in vier Teile gehauen, auf vier Räder zwischen Himmel und Erde gelegt, bis er nichts mehr täte und ein anderer daran dachte. Wullenweber erinnerte jedoch den Herzog daran, dass er ihm mit seinem fürstlichen Wort Gnade zu sagte, und bat demnach wenigstens um einen schnellen Tod. Man gestattete ihm die Enthauptung vor der Zerschlagung . Auf dem Weg zur Dingstätte ( Richtplatz ), sagte er den Lübschen : Viele der vor Gericht gelesenen Artikel entsprächen der Unwahrheit. Die gehörten Erklärungen wären durch schwere Marter und Pein entstanden. Weiterhin erkläre ich alle für unschuldig, deren Namen hierdurch erpresst wurden. Die zuständigen Richter aber sprachen zum Frohnen: „Hinweg mit ihm, Meister Hans! Weißt du nicht, was dir befohlen ist?“ Da sagte Wullenweber: „Meister Hans, lass mich noch zwei oder drei Worte sprechen; danach will ich gern sterben. Ihr aber saget Euren Herren zu Lübeck, dass ich nie Sinnes oder Willens gewesen, den Bund oder Vertrag, so ich mit dem Rath aufgerichtet, im größten oder geringsten zu brechen; dazu sei ich kein Dieb, denn ich hätte nie mit Wissen einen Schilling genommen; endlich sei ich kein Verräther, und keinem Wiedertäufer treu oder hold geworden; darauf will ich sterben.“ So fiel er auf die Knie und ließ sich das Haupt abschlagen; danach ward er in vier Teile geteilt und auf vier Räder gelegt. Das geschah vor Wolfenbüttel am Montag den 24. September 1537. Wullenweber war 44 Jahr alt. Die Von LVbeCk soLLen In aLLen Tagen Den Tod Herrn VVVLLenVVebers bekLagen. 

Der Martensmann

Der Martensmann - Originaltext in linguistischer Sprache von Ernst Deeke

 

1301 am Martini-Tag erreichte Heinrich der Pilger, Herzog von Mecklenburg, nach 28jähriger Gefangenschaft im gelobten Land, die Stadt Lübeck, die sich seit vielen Jahren für seine Befreiung einsetzte. Der Verhandlungsführer von Lübeck verweilte in Rom, wo während einer Papstaudienz sein Anliegen erhört wurde. Man empfing Heinrich von Mecklenburg in Lübeck mit den größten Ehren, das Volk huldigte ihn am Straßenrand, wie bei einem Triumphmarsch. Der Fürst war über seine Befreiung so dankbar, dass er dem Stadtrat mit seinen Bürgern sein Land um Lübeck schenkte, welches er von seinen Vorfahren erbte. Er gewährte den Bürgern von Lübeck Zollfreiheit durch ganz Mecklenburg, allerdings nur unter der Bedingung, dass sie zum Gedenken an ihn, ihm jedes Jahr um Martini einen Boten mit dem köstlichen Wein schicken möchten, den er bei ihnen in Lübeck so vorzüglich genossen hatte. Mit großer Freude sagte man ihm diese Bedingung zu und versprach sie auch zu halten. Seitdem fuhr alljährlich am Martini - Tag ein junger Ratsdiener, in Begleitung zweier ehrbarer Männer als Zeugen, nach Schwerin. Die Fahrtstrecke musste dabei genau eingehalten werden, keine noch so kleinste zeitliche Verzögerung durfte den gesamten Ablauf stören. In einen offenen, mit Eisen beschlagenen Kaleschwagen zum Transport des Weines, gezogen von vier braunen, mit schwarzem Ledergeschirr und guten Hufeisen versehene Pferde sollten die beschwerliche Fahrt nach Schwerin unternehmen. Die Männer nahmen nichts weiter mit, als für sich ein paar Kisten mit Äpfeln, Nüssen, Semmelbrösel und etwas Kleingeld. Das Fass mit gutem Rheinwein wurde mit Stricken gut befestigt, damit es nicht während der rumpelnden Fahrt vom Wagen rollte. Ein ausgesuchter Kutscher saß auf dem Bock des Wagens mit strickten Anweisungen, nur den vorgeschriebenen Weg zu fahren. Am ersten Tage passierten sie den Ort Schönberg, wo man zu Mittag speiste. Die Nacht verbrachten sie in der kalten Herberge von Rhena, wo das Volk ihnen zujubelte, denn auch bis hierher hatte sich die seltsame Bestellung des Fürsten herumgesprochen. Sie jubelten und jauchzten, und ließen die Kutsche erst durch, als Äpfel, Haselnüsse und Semmelbrösel aus dem Wagen zu ihnen ausgestreut wurden.. Am Martini-Abend traf die Gesandtschaft in Schwerin ein, blieb aber bis zum folgenden Mittag in einem Gasthof der Vorstadt, und bereitete sich leiblich auf das so wichtige Treffen mit dem Fürst zu.. Im Gasthof durften die Gesandten aus Lübeck keinerlei Schaden anrichten, was die Konfiszierung der Kutsche zur Folge hätte, und die gesamte Mission wäre nicht erfüllt. Die Wirtsleute untersuchten mit Zeugen zugleich das gebrauchte Geschirr, fanden aber keine Mängel an demselben. Am Martens-Tag punkt 12 Uhr fuhr der Wagen in vollem Trab durch die Stadt; wo die Schildwache an einem Schlagbaum durch einen Gefreiten eine sehr strenge Prüfung des mitgebrachtem Weins unterzog. Ein Protokoll über die mitgebrachte Ware mit Siegel bestätigte den Inhalt des Fasses. Die Wache trat zur Seite, der Schlagbaum öffnete sich, die Soldaten präsentierten mit zackigem Gruß, und empfingen dafür, außer gnädigem Zuwinken, einen Gulden Trinkgeld. Ein Unteroffizier und zwei Mann begleiteten den Wagen bis zum Wirtshaus, und blieben dort zur weiteren Sicherheit.. Als sich in der Bevölkerung der umliegenden Häuser herumsprach, wer dort ins Gasthaus einzog, versammelten sich viele junge Leute, ob Schuster, Riemenschneider oder Schmiedegesellen. Sie riefen lautstark: „Martensmann! Musmarten! Schön Marten! Hei Marten! Penningsmarken! Wir danken für Äpfel, Nüssen und kleiner Münze. Sie riefen solange, bis der Bote aus dem mitgebrachten Vorrat die Dinge unter das Volk warf. Vor das Absteigequartier stellten sich weitere lustige Leute mit Goldpapier und anderem Zierrat verkleidet, in der Hand große Kuhschwänze, dazu setzten sie verschiedene Masken auf und schmierten sich und andere so lange mit Melkfett ein, bis der Martensmann seine besten Säcke öffnete und Semmel, Kringel, Äpfel, Nüsse und Geld auswarf, um danach in Ruhe im Haus seinen Dingen nach zu gehen. Danach durfte nur eine Dienstmagd – sonst war keine andere Person zugelassen – dem herzoglichen Hausvogt die Ankunft des Martensmannes melden. In der Zwischenzeit zog der Hausvogt seine Amtskleidung an, einen schwarzen Rock mit scharlachrotem Mantel ohne Ärmel, einen in viele Falten gelegten weißen Ringkragen, und eine runde, wohl gelockte Perücke. Auch der Kutscher und die mitgereisten Zeugen mussten sich sauber kleiden, der Wagen und die Pferde peinlichst sauber geputzt sein. Mit dem zufriedenen Kopfnicken des Hausvogts begann die Zeremonie auf den Glockenschlag von 3 Uhr am Nachmittag. Nachdem man drei verschiedene Posten zu zwei Mann von der Schlosswache passierte, erschien der Martensmann im Geleit der unaufhörlich schreienden Menge, unter dem Schutz seiner Wache. Er selbst saß ganz allein auf der mittleren Bank des Wagens. Vor ihm schwenkte der Kutscher seine lange Peitsche, hinter ihm lag das Weinfass, dahinter saßen die beiden Zeugen, und ganz hinten auf dem Podest der Kutsche standen zwei Hausknechte als Lakaien. Sobald die Kutsche die Schlosspforte erreichte, nahm der Martensmann während der Fahrt dem Kutscher den Hut ab, und legte ihn vor sich. Dann entblößte er selbst seinen ehrwürdigen Kopf. In diesem Augenblick trat die ganze Schlosswache an, salutierte vorschriftsmäßig, was mit einem Kopfneigen gedankt und einem Gulden quittiert wurde. Bis zur Rückfahrt blieben die Köpfe unbedeckt. Nun fuhr der Kutscher in der Gegenwart des Herzogs zwei Mal gegen den Uhrzeigersinn mit der wichtigen Ladung und den ihn huldigen Leuten um den Schlosshof, um dann genau an der Hauptwache, wo Küche und Keller sich befanden, an zu halten. Jetzt trat der Hausvogt zusammen mit den ihm zugeordneten Beamten und dem Amtsregistrator an die Kutsche. Der Martensmann nebst seinen Zeugen verließ auf der anderen Seite die Kutsche, um so seine Ehrerbietung dem Herzog gegenüber zu zeigen und sprach: „Es lässet dem Durchlauchtigsten regierenden Landesherrn,. Herzog zu Meklenburg, Fürsten zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg, Grafen zu Schwerin, der Lande Rostock und Stargard, ein Ehrenvester und Hochweiser Rath der Stadt Lübeck dero Gruß und Dienst unterthänigst vermelden, auch alle fürstliche Prosperität anwünschen, und dabei anzeigen, daß wohlgedachter Rath sich erinnert, wie an diesem Martini-Abend jährlich dem Herzoglich Meklenburgischen Hause Schwerin von einem Hochweisen Rath der Stadt Lübeck ein Ohm Rheinwein präsentieret worden; dem wohlgedachter Rath auch jetzo nachgekommen; und lässet hiemit solchen Wein aus nachbarlicher Freundschaft und guter Affection präsentieren, wünschet dabei, daß Ihro Herzogliche Durchlaucht denselben bei allem hohen Wohlsein und guter Gesundheit genießen, Eines Ehrbaren Raths der Stadt Lübeck dabei im Besten gedenken, und also nachbarliche Freundschaft, wie allemal vorhin geschehen, erhalten mögen.“ Darauf musste der Hausvogt folgendes erwiedern: „Der Durchlauchtigste Herzog und Herr, regierender Herzog zu Meklenburg, Fürst zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg, Graf zu Schwerin, der Lande Rostock und Stargard Herr, bedanket Sich zwar des von Einem Hochweisen Rath der Stadt Lübeck zuentbotenen Grußes halber gnädigst; es ist aber aus dem Anbringen verstanden worden, daß ein wohlgedachter Rath der Stadt Lübeck dem alten Herkommen nach keinen Rheinwein-Most, sondern Rheinwein gesandt, überdem auch, daß man diese Sendung, als geschähe sie nur aus nachbarlicher Freundschaft und Affection, an- und vorbringen lassen wollen: als kann man dagegen nicht unbeantwortet lassen, daß jährlich am Martini-Abend dem Herzoglichen Hause Schwerin von Einem Hochweisen Rath der Stadt Lübeck aus Schuldigkeit und Pflicht ein Ohm Rheinwein-Most geliefert werden müsse: hätte es anjetzo auch kein Rheinwein, sondern Rheinwein-Most sein sollen. Für diesesmal will man zwar den gesandten Rheinwein nehmen, aber mit dem Bedinge, daß solches hinfüro in keine Consequenz gezogen werde, sondern nach diesem, wie Herkommens ist, von Einem Hochweisen Rath jederzeit Rheinwein-Most aus Schuldigkeit und Pflicht an dem Martini-Abend geliefert werden solle, und Ihro Herzoglichen Durchlauchten hinfüro der alten Schuldigkeit nach damit gewürdigt sein wollen. Damit aber Ihro Herzoglichen Durchlauchten haben dem uralten Recht hiedurch kein Präjudiz zuwachsen möchte, so protestiere ich im Namen Ihro Herzoglichen Durchlauchten darwider öffentlich, und requiriere den gegenwärtigen Amts-Registrator als Notarium, vi officii publici, hiemit, diese interponirte Protestation ad notam zu nehmen, und der Herzoglichen Kammer deßfalls ein beglaubtes Documentum unterthänigst einzuliefern. Sonsten halte ich dafür, daß Ihro Herzoglichen Durchlauchten nicht unterlassen werden, alles, was dero Orts zu Erhaltung guter nachbarlicher Freundschaft ersprießlich ist, zu conservieren.“ Dazu erwiderte der Martensmann: „Ein Hochweiser Rath weiß sich nicht zu erinnern, daß Ihro Herzoglichen Durchlaucht sie irgend womit verpflichtet sein sollten; sondern ich repetiere mein voriges. Der Wein wird nicht aus Schuldigkeit, sondern aus nachbarlicher Freundschaft präsentieret, derowegen ich nicht unterlassen kann, gegen das Eingewandte förmlich zu reprotestieren.“ Dem entgegnete der Hausvogt: „Ich wiederhole, daß Ein Ehrbarer Rath der Stadt Lübeck am Martini-Abend jährlich ein Ohm Rheinwein-Most aus Pflicht und Schuldigkeit senden müsse, und inhäriere dem, was ich bereits vorhin angebracht.“ Danach befahl er dem Pförtner: sowohl Wagen als auch Pferde mit seinem Gehilfen genau zu untersuchen, ob an Eisenwerk, Seilenzeug oder Hufen auch nur der geringste Mangel zu finden sei. Denn in diesem Falle durfte die Zeremonie nicht weitergeführt werden, und der Kutscher wäre sofort durch einen herzoglichen Kutscher in den Marstall gebracht worden, ein Gefängnis in der Stadtbefestigung. Die Untersuchung übernahmen die jungen Gehilfen und fanden keine Beanstandungen. Jetzt stieg der Hofkellermeister in die Kutsche, öffnete den Spund des Fasses, füllte mit einem Stechheber ein Glas, besah die Farbe, beroch den Duft, und kostete im dritten Tempo den Wein, füllte wieder und reichte dem Vogt und dessen Beamten das Glas, welche dann die Güte lobten. Das Fass wurde wieder zugeschlagen, und von den Küpern in den Hofweinkeller geschafft. Der Martensmann und seine Leute hatten ihre Aufgabe erfüllt, erhielten noch eine gute Abendmahlzeit, und stiegen wieder in die Kutsche, um die Rückfahrt an zu treten. Sie fuhren dreimal um den Scholssplatz, streuten etwas Kleingeld, bedeckten ihre Köpfe und fuhren an der salutierenden Wache zurück nach Lübeck. Von da ab lud der Herzog seine Bediensteten einschließlich Schlosswache zu einem opulenten Mahl ein, wo dann kein Unterschied zwischen einfacher Dienerschaft und Hausvogt gemacht wurde. 

Impressum

Texte: Caspar de Fries
Bildmaterialien: Caspar de Fries
Tag der Veröffentlichung: 07.07.2013

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