Name : Rainer Göcht
Buchautor und Schriftsteller
Zitat : Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben.
Bild undTexte:Rainer Göcht
Eigenes Bild in Arylfarben
Überlieferte alte Seemannsgeschichten
Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung:
24.06.2013
Vorwort:
Der Großvater eines alten Fischers aus der Küstenregion Ostfrieslands, der als Küstenfischer mit seinem Boot bis in den Finnischen Meerbusen fuhr, erzählte, dass Seeleute gerne nach getaner Arbeit bei einem Köm oder heißen Hochprozentigem zusammen saßen und Geschichten aus längst vergangenen Zeiten erzählten, mit viel Wahrheit, Fantasie und Gehörtem aus anderen Erzählungen. Natürlich dichtete jeder Erzähler seine eigene Version dazu. Diese Geschichten, Legenden und Märchen fanden gerne Gehör bei den rauen Seeleuten mit einem sehr weichen Gemüt. Einige dieser Geschichten habe ich hier zusammengestellt und in diesem Buch verfasst.
Vor langer Zeit lebten im Küstenland zwei Brüder, der eine war sehr reich, der andere war so arm, dass er und seine reichhaltige Familie den Hühnern die Körner wegaßen, um nicht zu verhungern. Es ging auf Weihnachten zu, und der arme Bruder hatte für seine Familie kein Fleisch und kein Brot zu Hause. Er bat seinen Bruder, ihm ein paar Kleinigkeiten zu geben, gerade weil das Weihnachtsfest nahte, und es das Fest der Liebe sein sollte. Es geschah nicht zum ersten Mal, dass der reiche Bruder dem Armen etwas gegeben hatte. Aber da das Weihnachtsfest nahte, wollte er seinem armen Bruder über die Zeit helfen und sagte: „Willst du tun, was ich dir sage? Dann sollst du einen ganzen Schinken haben, so wie er im Rauch hängt.“ „Ja, das will ich gerne tun, vielen Dank.“ „Da hast du ihn, und nun gehe zur Hölle!“
„Ich habe es versprochen, dann muss ich es auch tun.“ Sprach der Arme, klemmte sich den Schinken unter den Arm und ging fort. Seine Wanderung dauerte den ganzen Tag. Er wollte schon aufgeben, um sich hin zu setzen, denn die Dunkelheit nahte, und er war sichtlich erschöpft. Plötzlich erblickte er in der Ferne einen hellen Lichtschein, der immer heller wurde, je mehr er sich darauf zu bewegte. Hier muss es sein, und erblickte einen sehr alten Mann mit einem weißen langen Bart, runzeligem Gesicht und krumm gebückt. Er hackte auf einem Holzklotz Holz klein. Der Mann mit dem Rauchschinken unter dem Arm rief: „ Guten Abend.“ „ Guten Abend, wo willst du um diese Zeit mit deinem Schinken unter dem Arm hin?“ Oh, ich wollte nur zur Hölle, aber ich weiß nicht, ob ich auf dem richtigen Weg dahin bin.“ „Ja, du hast die Hölle erreicht,“ und sprach weiter, „Wenn du die Hölle betrittst, werden wohl alle versuchen, dir deinen Schinken ab zu kaufen, denn Schweinefleisch gibt es hier recht selten. Aber verkaufe deinen Schinken nicht für Geld, sondern verlange die alte Handmühle, die hinter der Tür steht. Wenn du dann wieder mit der Mühle aus der Hölle kommst, werde ich dir zeigen, wie du die Mühle aufstellst und mit ihr umgehst.“ Der Mann mit dem Schinken unter dem Arm klopfte beim Teufel an. Die Tür öffnete sich, und viele große und kleine Teufel umringten ihn und wollten ihm den Schinken abkaufen. Einer überbot den Anderen, bis der Mann mit dem Rauchschinken unter dem Arm rief: „Hört mir zu ihr Teufel, es war meine Absicht, diesen Schinken zum Weihnachtsabend mit meiner Frau und meinen vielen Kindern zu verspeisen. Aber weil ihr alle so erpicht auf diesen Schinken seid, will ich ihn euch nur überlassen, wenn ihr mir die alte Handmühle, die hinter der Tür steht, gegen den Schinken eintauscht.“ Diese Mühle wollte der Teufel nicht herausrücken, er wand sich, sie feilschten hin und her. Doch der Schinkenmann blieb stur, und schließlich überließ der Teufel ihm die Mühle. Der Mann verließ mit der Mühle die Hölle um sich vom alten Holzhauer zeigen zu lassen, wie man die Mühle stellt und welcher Spruch dazu gehörte.
Seine Familie erwartete ihn schon sehnsüchtig, die Kinder schauten ihn bereits halbverhungert und frierend an. „Wo in aller Welt bist du denn so lange gewesen? Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Du wolltest doch etwas zu essen von deinem Bruder besorgen. Hast du es?“ Alle schauten ihn erwartungsvoll an. „Oh,“ sagte der Mann, „ich musste noch ein Geschäft erledigen, dabei hat es sehr lange gedauert. Der Weg war recht weit, aber es hat sich gelohnt. Hier diese alte Handmühle habe ich mitgebracht.“ Die Frau und die Kinder schauten enttäuscht auf diese alte Holzmühle. „Und was sollen wir essen? Ich hatte gerade mal zwei Holzsplitter, um die Weihnachtsgrütze zu erhitzen, aber jetzt ist sie wieder kalt,“ „Ihr werdet gleich sehen, ihr braucht nie wieder zu hungern.“ Er stellte die alte Handmühle auf den Tisch, und sie mahlte zuerst Lichter, ein Tischtuch, danach Essen und Bier, eben alles, was zu einem leckeren Weihnachtsschmaus gehört. So, wie er es sagte, mahlte die Mühle. Seine Familie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Woher hast du dieses Wunderding?“ „Gute Frau, das werde ich nicht verraten, die Mühle ist eben da, und fertig.“
So mahlte der Mann für das ganze Weihnachtsfest zu Essen und zu Trinken, alles was das Herz begehrte. Sofort nach Weihnachten bat er alle Freunde und Bekannte, nebst seinem reichen Bruder zu einem Gastmahl ein, wie es im Dorf und der Umgebung noch keiner erlebt hatte. Den reichen Bruder fraß der Neid, er gönnte seinem, bis dahin, ärmeren Bruder keinen Erfolg und machte ihn vor allen Leuten schlecht. „Am Weihnachtsabend war er noch so bettelarm, dass er zu mir kam, und mich um eine Kleinigkeit bat; jetzt fühlt er wie ein Graf und meint mit Allem angeben zu müssen. Woher – zum Satan – hast du diesen Reichtum her? Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.“ Aber er gab seinem Bruder noch keine Auskunft über sein inzwischen erworbenes Vermögen. Doch eines Tages, als alle in einer sehr heiteren Runde mit vielen scharfen Getränken beisammen saßen, konnte er sein Geheimnis nicht länger für sich behalten und brachte die Mühle zum Vorschein. „ Das ist die Gans, die mir diesen Reichtum bescherte,“ und er ließ die Mühle mal dieses und mal jenes mahlen. Sein neidischer Bruder gönnte ihm keinen Reichtum und kaufte ihm die Mühle nach vielem Hin und Her für dreihundert Taler ab. Doch eines sagte er seinem reichen Bruder nicht, wie man die Mühle stellte, und welche weiteren Befehle der Besitzer sprechen musste.
Der Reiche stellte die Mühle auf den Küchentisch und befahl: „Mahle Hering und Milchsuppe, dass es eine Art hat.“ Den Satz „ dass es eine Art hat“ hörte er immer von seinem Bruder, und dachte, damit schon auf dem rechten Weg zu sein. Die Mühle mahlte und mahlte, erst alle Schüsseln und Töpfe voll, und nachher so viel, dass die ganze Küche schwamm, schon riss er die Stubentür auf, bald war der Mann nahe dran in der Suppe zu ertrinken. Er riss die Haustür auf, und die Suppe nebst Heringen strömten auf den Hof und über das Feld. Als seine Frau mit den Feldarbeitern zum Essen nach Hause wollte, schwammen ihnen Hering, Milchsuppe und Brot, alles durcheinander, entgegen. Ihr Mann flüchtete voran und rief um Hilfe. Er rief: „ Gott gebe, dass jeder von euch hundert Bäuche habe, um alles in euch auf zu nehmen, nehmt euch aber in acht, dass ihr nicht in meinem Mittagessen ersauft.“ Dann rannte er, so schnell er konnte, zu seinem Bruder, und bat ihn, die Mühle ab zu stellen, sonst würde gleich das ganze Dorf in der Suppe ersticken. „Ich gebe dir die Mühle wieder, ich will sie nicht mehr.“ „Ich nehme sie nur, wenn ich von dir noch dreihundert Taler dazu erhalte. Der Reiche rückte auch diesen Betrag heraus.
Jetzt hatte der Arme sowohl Geld als auch die Mühle. Jetzt konnte er sich ein Haus direkt am Meer bauen, noch prächtiger, als das seines Bruders. Mit der Mühle mahlte er so viel Gold zusammen, dass er sein Haus ganz mit Goldplatten verkleidete, die weit über das Meer in der Sonne glänzten. Alle Schiffer, die vorbeikamen, staunten über dieses Haus und wollten auch diese wundersame Mühle sehen. Ein alter Schiffer fragte an, ob man mit der Mühle auch Salz mahlen könnte. „ Ja, die Mühle mahlt so viel Salz, wie du willst.“ „Verkauft du mir die Mühle? Denn wenn ich das Salz mahlen kann, brauche ich nicht mehr so weit und so mühselig mit meinem Schiff über die Meere zu fahren, um das wichtige Salz zu holen.“ Nach langem Verhandeln gab der nun reiche Mann dem Schiffer die Mühle für viele tausend Taler.
Der Schiffer fuhr mit der Mühle über das Meer. Unterwegs rief er: „ Mahle Salz, dass es eine Art ist.“ Da mahlte die Mühle, dass es knisterte und sprühte. Als das Schiff voll Salz überquoll, mahlte die Mühle weiter und weiter. Der Salzhaufen wuchs höher und höher, das Schiff versank, und auf dem Meeresgrund. Dort mahlt die Mühle weiter, bis auf den heutigen Tag – daher kommt es, dass das Meerwasser salzig ist.
Wenn ein schneller Segler jenseits der Kanarischen Inseln die Meere durchkreuzte und bei Einbruch der Nacht die Wellen durchschnitt, kam der Moment, wo es plötzlich stillstand und mehrere Augenblicke weder vor, noch rückwärts sich bewegte. Der Schiffer sagte dann gewöhnlich:
„ Die Windstille des Ostpassats ist im Anzuge.“ Aber die Wirklichkeit war eigentlich die Wahrheit, denn das Schiff schreckte vor der unermesslichen Wasserwüste zurück, die ihm entgegen gähnte.
Doch, von einem zum anderen Moment blies der recht günstige Wind in den Bauch der Segel und peitschte das Schiff auf die endlose Bahn. Dann fuhren die Wogen zu beiden Seiten aus einander. Der Gischt spritzte über den Bugspriet und die vielen tausenden und abertausenden Perlen des Wassers glänzten wie tausende Sterne, und der Schimmer der reichen Perlenflut des Meeres schien über den Sternenschimmer im ewigen Blau zu spotten. Mit forschendem Auge folgte der Kenner der Natur dieser Erscheinung und nannte die funkelnden Sterne Tierchen, die einen so seltsamen Glanz von sich ausströmten. Die nüchterne Abhandlung in Gelehrtenkreisen nannte es Salzteile, die diesen hellen Schein verursachten. Der alte Willy aber, der schon sehr oft über den Äquator hinaus gesegelt war, und mit klugem Blick vom Ruder aus über die glitzernde Fläche schaute, wusste es besser, und erzählte vom Leuchten des Meeres allen, die es hören wollten, hier ist seine Geschichte:
Es ist schon lange her – weit früher, als der Kiel irgendeines Schiffes in diese Gewässer kam – dass die Dinge ringsherum eine ganz andere Gestalt hatten als heute. Jetzt heben sich die Wellen wie stattliche Hügel empor und stürzen kurz darauf in sich zusammen. Das geschah in diesen Zeiten nicht, sie standen vielmehr unbeweglich und waren nichts anderes als wunderliche Inseln, die aus dem weiten Ozean auftauchten und mit ihrem lieblichen, zarten Grün das Auge des Betrachters erfreuten. In einem weiten Halbkreis reihten sie sich unabsehbar nebeneinander. An schönen lieblich duftenden Blumen herrschte Überdruss. Die Bäume neigten ihre Zweige zur Erde und bildeten schattige Lauben. Weiter brauchten die genügsamen Menschen, die hier wohnten, nichts. Sie lebten miteinander still und zufrieden, ohne Wunsch und ohne Sehnsucht, als ob ihre Inseln das das einzige Reich der Welt wären, und es kein anderes Glück gäbe, als Früchte zu essen und in den Tag hinein zu leben. Eine gütige Fee beherrschte diese Idylle mit Sorgfalt und war darauf bedacht, dass keiner ihrer Schutzbefohlenen Kunde von dem erhielt, was jenseits dieser glücklichen Inseln vorging.
Nicht weit von diesem Paradies auf Erden erhob sich eine finstere Gebirgsmasse. Dem Auge des Sterblichen war sie nicht sichtbar, denn die wohltätige Fee hatte sie mit einem dichten Nebelschleier verhüllt. Hier herrschte ein übler Zauberer, ein natürlicher Sohn des Neides und der Missgunst. Er betrachtete das Glück der Inselbewohner mit verbissenem Grimm und hätte sie gerne alle ins Verderben gestürzt. Die Fee jedoch kannte die bösen Absichten ihres Nachbarn, und machte alle bisherigen Angriffe von ihm zu Nichte. Dazu nutzte sie einen mächtigen Talisman und erboste den arglistigen Zauberer sehr. Er versuchte alles, um seinen Zauber durch zu bringen und ließ sich die gemeinsten Überlegungen einfallen, nur um dieses Inselvolk in seinen Bann zu bekommen. Dafür verließ er sein Gebirge und erregte einen gewaltigen Sturm, der das Meer in solche Bewegung brachte, dass die Wellen sich wolkenhoch türmten und dann auf die grünen Inseln herabstürzten. Doch die Fee tauchte aus den tobenden Elementen auf und sah sie solange mit einem mild bittenden Blick an, dass ihr Zorn sich langsam legte und wieder ein ruhiges Gewässer wurde. Nun warf der Zauberer seinen schwarzen Mantel um die Schultern und hielt in Hispaniens Bergen mit seinen gleichgesinnten Freunden eine lange Beratung ab. Um die Fee zu täuschen, kehrte er nicht mehr in seine Behausung in den dunklen Bergen zurück, die dann nach und nach im Meer versank. Die Fee glaubte immer an das Gute, fühlte sich von dieser geballten Last befreit, wurde sorgloser, natürlich zu ihrem eigenen Verderben. Sie unternahm eine Reise zu ihren Freundinnen, und ließ die Insulaner für eine gewisse Zeit allein.
Eines Morgens blickten die Bewohner des grünen Eilandes verwundert auf eine stattliche Insel, die wohl über Nacht aus dem Meer gewachsen war. Sie schien bedeutend größer, glänzte in vielen schönen Farben, die Morgensonne spiegelte sich anmutend in diesem Schauspiel der natürlichen Schönheit. Da die Menschen vom Grund her neugierig waren, bestiegen sie ihre Boote, um dieses ungewöhnliche Naturschauspiel ganz von der Nähe aus zu betrachten. Was sie nicht bemerkten war ein riesiger schwarzer Vogel, der aus dem Nichts zu ihnen herunter stieß und mit seinen weitausgebreiteten Flügeln um sie herum alles verfinsterte. Die Neugier siegte, auch wenn das Erscheinen dieses schwarzen Vogels sie hätte warnen müssen. Die Landung auf der Insel verlief ohne weitere Zwischenfälle. Dicht gedrängt, immer in der engeren Nähe des Anderen drangen die Menschen tiefer und tiefer in das unbekannte Land ein. Und je weiter sie vorankamen, je mehr dehnte es sich vor ihnen aus. Blickte jemand zurück, nahm die Umgebung immer andere Formen an und veränderte sich so, dass sie nicht mehr wussten, wo sie eigentlich hergekommen waren. Die Insulaner rasteten auf einer wunderschönen grünen Wiese, ein Grün, was mit dem Grün auf ihrer Insel nicht zu vergleichen war. Es leuchtete und glänzte im Sonnenlicht und zeigte sich von seiner besten Seite. Da bemerkten sie einen Mann, der ruhig im saftigen Gras saß und zu ihnen hinschaute. Er begrüßte die Ankommenden mit einem recht freundlichen Ton: „Herzlich willkommen auf meiner schönen Insel. Setzt Euch doch zu mir und ruht euch nach diesem langen Marsch aus. Ich wollte Euch wohl einige Früchte meiner Insel zur Stärkung anbieten,“ sprach er recht schlau, „ aber ich selbst benötige solche Speisen nicht, und weiß demnach auch nicht, wo sie wachsen. Ich habe als Nahrung was viel besseres, als diese Früchte, die nun selbst den Tieren zustehen.“ Mit diesen Worten griff er vor sich in das Gras und brachte eine Menge glänzender Dinge hervor, mit denen er übermütig spielte und sie um sich warf. So etwas hatten die Insulaner vorher noch nicht gesehen und staunten über dieses Spiel. Der Mann lachte und forderte sie auf, ebenfalls in das Gras zu greifen und mit diesen glitzernden Teilen zu spielen. Nach und nach griffen viele neugierige Hände in das leuchtende Gras und brachten so viel glänzenden Schmuck, versehen mit den schönsten Edelsteinen, zum Vorschein, so viel, wie sie nur fassen konnten. Bald leuchtete die gesamte Ebene um sie herum, es glitzerte und funkelte, so, als wenn die Sonne auf sie herabgestürzt wäre. Während die Insulaner noch über diese Vielfalt der Herrlichkeiten staunten, und dabei sogar ihren Hunger vergaßen, sprach der Mann in einem äußerst zurechtweisenden Ton: „ Ihr Ausgeburt aller Torheiten, warum gehorcht Ihr den Befehlen einer geizigen Frau, die Euch alle Herrlichkeiten nicht gönnt, sondern sie lieber für sich behalten will? Warum krabbelt Ihr auf der Oberfläche Eurer Inseln herum, anstatt die Geheimnisse der Berge zu lüften, wo die schönsten Reichtümer zu holen sind. Ihr seid ein jämmerliches Volk, das ich verachte. Geht, Eure Gegenwart verschandelt meine Insel.“ Damit wandte er ihnen den Rücken zu und verschwand. Die Insulaner fanden sich plötzlich in ihren Booten wieder, und wussten gar nicht, wie sie dahin gelangt waren. Wortkarg, aber gedankenvoll, fuhren sie zu ihrer alten Heimat zurück. Sie stiegen langsam aus den Booten und gingen stumm nebeneinander her. Nichts machte ihnen mehr Freude, immer und immer wieder starrten sie zu dieser ungewöhnlichen Insel. Alle glaubten, den seltsamen Mann immer wieder zu sehen, wie er mit seinen unterirdischen Schätzen spielte und sie dabei auslachte.
Endlich wagte es einer, das seltsame Spiel des Fremden auf heimischem Gras zu beginnen. Er warf sich auf die Grasfläche, wühlte und wühlte, und brachte mit einem Freudengeschrei Hände voll glänzender Perlen, Ketten Ringen Gold und Edelsteinen hervor. Die anderen Insulaner folgten seinem Beispiel und wühlten die Hügel und die Täler auf, bald waren alle schönen Blumen und Sträucher herausgerissen, weggeworfen. Selbst die Bäume, die ihnen Schatten spendeten und Früchte trugen, rissen sie aus, weil darunter auch noch viele dieser Herrlichkeiten vermutet wurden. Mit diesen Schätzen nahm natürlich auch der Neid und die Missgunst zu, jeder glaubte, der andere hätte mehr als man selbst, man schielte sofort auf den Nachbarn, und verfolgte mit gierigen Blicken dessen Reichtümer, vielleicht könnte man ihn auch überrumpeln, ihn berauben. Ein Kleinkrieg brach aus, der Stärkere gewann mit List oder Betrug, mit Gewalt und Verbrechen.
Die Fee kehrte von ihrer Reise zurück und erblickte die neuaufgetauchte Insel und erstaunte sehr. Ihr Erstaunen wandelte sich in Erschrecken, als sie ihren alten Erbfeind, den Zauberer, erblickte, der auf einem Hai sitzend die Insel umrundete. Er rief höhnisch: „ Nun wirst Du sehen, ob ich in Deiner Abwesenheit die Wirtschaft gut bestellt habe, und ob ich hoffen darf, dass Du mit meiner Aussaat zufrieden bist. Sie ist bereits über alle Maßen gut aufgegangen. Ich wünsche nur, dass ihre Früchte Dir ebenso wohl bekommen mögen, wie Deine lieben Kindlein.“ Nach diesen Worten lachte er laut und versank samt seinem Eiland in der Tiefe. Die Fee war sehr erschüttert und betrachtete die vielen Zerstörungen auf ihren geliebten Inseln. Sie rief die Insulaner zusammen und fragte nach den Beweggründen dieser gewaltigen Zerstörungswut. Sie versuchte mit sehr bewegter Stimme sie zur Mäßigung der enormen Habsucht auf zu fordern, fand aber kein Gehör, so tief saß bereits der Stachel der schlechten Eigenschaften. Außerdem brauchten sie in Zukunft keine Gebieterin mehr, sie hätten so viele Schätze in ihrem Besitz, dass sie sich selber helfen könnten. Sie wollten von dieser Stunde an nach ihren eigenen Neigungen leben.
Die Fee beschloss alle Abtrünnigen zu bestrafen und sagte in einem sehr tiefen Ernst: „Ihr undankbares Volk, ich habt es verscherzt, dass ich Euch weiterhin beschütze. Ihr seid von jetzt an für Euer eigenes Schicksal verantwortlich, ich werde Euch verlassen. Aber die Schätze der Finsternis gehören nicht dem Sonnenlicht. Darum mögen sie versinken in die Nacht des Meeres, und da Ihr euch so sehr nach ihnen sehnt, werdet Ihr den Schätzen folgen.“
Kaum ertönten diese Sätze, rollten die Edelsteine, alle Perlen und das gesamte Gold in die Tiefe des Meeres. Ein Schrei ging durch die Reihen der Inselbewohner, und sie stürzten sich selbst in die Flut. In tiefem Schmerz warf die Fee ihren großen Talisman, durch den sie diese glücklichen Inseln bisher beherrscht hatte, weit von sich. Er entschwebte in der Gestalt einer Taube. Die Hügel der Inseln sanken in sich zusammen und wurden von den Fluten verschluckt.
Auf dem Boden des Meeres aber rafften die Insulaner die versunkenen Schätze zusammen, um zwischendurch mit ihnen dem Sonnenlicht entgegen zu streben. Doch sie vermissen den festen Boden unter den Füßen und lassen die schimmernde Last fallen. So folgten sie immer wieder ihrer Gier nach dem trügerischen Spiel und den schimmernden Schätzen.
Der Herbst verdrängte bereits den Spätsommer, die Abende waren schon empfindlich kalt. Die Männer aus des kleinen Fischerortes, saßen in ihrer kleinen Dorfkneipe um einen großen runden Tisch, tranken einen heißen Hochprozentigen und lauschten den üblichen abendlichen Geschichten, die meistens der alte Mattes erzählte. Er hatte in seinem Leben schon viele Meere bereist, und demnach auch sehr eigentümliche Abenteuer erlebt. Man muss dabei sagen, Seeleute sind sehr abergläubisch und sahen hinter jedem nicht erklärbarem Ereignis einen Dämon oder ein gefährliches Omen. Diesmal war alles ganz anders als sonst.
Auf jedem Schiff ist das Wort des Kapitäns Gesetz. Die Stunde des Seegerichts hatte geschlagen. Mit ernsten Gesichtern standen die Offiziere auf dem Quarterdeck, bleich, mit klopfendem Herzen und verhaltenem Atem, vor ihnen der Kapitän mit zorniger Miene. Die Mannschaft reihte sich um den großen Mast. Vor dem Kapitän lag ein junger Seemann auf den Knien und hielt die Hände flehend empor, Feierlich beteuerte er seine Unschuld, aber der Kapitän schüttelte ungläubig den Kopf und rief: „Du bist ein Sohn von Uly Maströms dem Finnen, der den Wind zu beschwören vermag und Verderben über das Schiff bringen kann. Du hast die verfluchte Kunst deines Vaters geerbt!“ „ Ich beschwöre Euch, Kapitän, ich bin unschuldig,“ schluchzte der Unglückliche.
„Da hört ihr es! Er beschwört schon wieder! Sollen wir ihn länger unter uns dulden?“ „Fort mit ihm,“ riefen die Offiziere, als wenn es einer gesagt hätte. „ Fort mit ihm!“ hallte es am großen Mast zurück.
„Man hat dich schon mal wegen eines Vergehens angeklagt, damals hat man dich gezüchtigt. Damals sagtest du auch, dass du schuldlos bist, und alles würde sich von selber rächen. Deine Vorhersage traf ein, der Sturm brach los und wütete über unser Schiff und machte es zu einem Wrack, sodass wir weit ab von unseren Kurs abkamen. Empfange jetzt den Lohn deiner Taten.“
„Ich sterbe schuldlos.“
„Verhüte Gott, dass wir Hand an dich legen. Wir übergeben dich dem weiten Meer. Hinab mit Dir in das Boot, vielleicht hilft dir dein Wind, der dich heimwärts führt. Lebe wohl, du Wetterbeschwörer, viele Grüße an die Heimat, falls du eher da sein solltest als wir.“
Die Offiziere und die Matrosen lachten laut und es hallte grausam in den Gedanken des Verurteilten wider. Der junge Seemann konnte bald das Schiff und die höhnisch winkende Mannschaft nicht mehr erkennen. Er fühlte sich einsam, verstoßen, nicht verstanden, er versank in tiefe Schwermut und schlief augenblicklich vor Erschöpfung in dem kleinen Boot ein. Er träumte von den Sternen und dem Paradies. Das Gefühl seiner Unschuld stärkte im Traum seine Seele. Während seines sehr tiefen Schlafes umringten eine große Schar Delphine sein Boot, zogen es an einer Kette aus glänzenden Fischschuppen hinter sich her. Fliegende Fische tauchten aus der grünen Meeresflut auf und flogen als Wegweiser vor dieser seltsamen Reisegesellschaft her. Als der junge Seemann aus seinen tiefen Träumen erwachte, waren seine seltsamen Wegbegleiter verschwunden. Er rieb sich die Augen und schaute regungslos auf eine breite Felskette, die sich bis zum Horizont aus dehnte. Dazwischen himmelhoch getürmte schneebedeckte Berge, dazwischen tiefe Einschnitte, die den Blick auf ein wunderschönes, sehr reizvolles Tal gewährten. Tränen der Rührung und Freude standen ihm in den Augen. Ein wunderbarer Zauber schien auf diesem Teil des Ozeans zu ruhen. Der junge Seemann setzte die Ruder ein und trieb das Boot dem Strand entgegen, Die Meeresfläche wurde immer ebener, den Fuß der Felsen umrauschte keine Brandung, die steigende Sonne bestrahlte das Meer wie ein ungeheurer Brennspiegel.
Maström traute seinen Augen nicht, denn als er noch näher mit dem Boot an die Felsen kam, öffnete sich die Felswand und er stand still auf einer der schönsten Blumenwiesen, die er je gesehen hatte. Er stieg aus dem Boot und wollte nach den glänzenden Blumen greifen, aber sie bogen sich zurück. Er griff nur leere Luft, als wenn alles nur Schaum und Dunst zu sein schien. Plötzlich erblickte er eine aus Gold und Elfenbein kunstreich zusammengefügte Pforte mit der diamantenen Inschrift: „ Reich der Fata Morgana.“
Die Pforte sprang auf, er schritt ungehindert durch. Sein Blick wanderte über einen reich blühenden Garten, der mit den seltensten Blumen und Gewächsen geziert war. Die Blätter der Bäume und Pflanzen strahlten in den sieben Farben des Regenbogens und waren mit goldenen und silbernen Rändern eingefasst. Es plätscherten kristallklare Quellen, und auf den Fluten wiegten sich kunstreiche Muscheln und seltsame Gestalten, die sehr eigentümliche Musik ertönen ließen. Überrascht blieb Maström am Eingang eines Zaubergartens stehen. Duftig wolkige Mädchengestalten schwebten ihm entgegen, lächelten ihm verführerisch zu und zogen ihn mit sanfter Gewalt in das Innere des Gartens.
„Was habt ihr mit mir vor, ihr schönen Engel?“ fragte er leise, doch sie antworteten ihm nicht, sondern tanzten, kaum den Boden berührend, vor ihm her.
Aus der Tiefe erhob sich ein Thron, der mit einem Meer von Sternen übersät war. In ihm räkelte sich eine sehr schöne, majestätische Frau, die wie eine göttliche Königin aussah.
Die schöne Frau schaute den jungen Seemann freundlich an und sagte in einer recht lieblichen Stimme: „ Herzlich willkommen in meinem Reich, durchwandere es und sei ein glücklicher Bewohner darin. Alle Schätze, die du siehst, gehören dir, genauso wie sie allen anderen auch gehören, die hier ihre Wohnung auf geschlagen haben. Die Menschen schimpfen über mich, und verspotten mich, sie nennen mich eine Dämonin des Unheils, die alles verspricht, aber nichts wirklich gibt, und bezeichnen das, was ich zu ihrem Wohl beginne, als eine endlose Täuschung. Als ob sie es auf ihrer Erde besser haben. Wenn bei uns eine Hoffnung täuscht, so geht im gleichen Augenblick eine neue auf. Ein Tag reiht sich an den nächsten, ohne das unsere fröhliche Erwartung schwindet. Noch einmal, sei im Reich der Fata Morgana willkommen.
Der Junge Seemann war total berauscht und selig von ihrer Schönheit und vom säuselnden Klang ihrer Stimme und der letzten Worte, die er überhaupt nicht begriff. Sie streckte ihm ihre rechte Hand aus, er wollte sie ergreifen, sie verschwand und er saß als König mit Krone und Zepter auf dem Thron. Von allen Seiten schwebten die Bewohner dieses so ungewöhnlichen Reiches heran und riefen: „ Sei gegrüßt du unser König, der sich gerade mit unserer Königin vermählt hat. Du sitzt auf ihrem Stuhl und regierst jetzt das Land. Sei ein weiser Fürst, wir gehören dir mit Leib und Seele und wollen dir überall hin folgen.“
„ Dann soll es so sein,“ rief Maström, erhob sich und schaute gebieterisch auf die Menge, die sich vor ihm verneigte, „ so will ich in Mitten von euch alle Freuden des Herrschenden genießen. Er stieg vom Thron, wollte sich in das bunte Bad der Menge begeben, als alles in einen Abgrund versank, und er sich ohne Zepter und Krone auf einer blühenden Wiese wiederfand, noch betäubt und berauscht von allem Erlebten. Er blickte auf weite Saatfelder, in deren Mitte eine See erglänzte, an den Ufern standen einfache Häuser unter früchtebeladenen Bäumen, darum tanzten fröhliche Leute. Entzückt betrachtete er diese vielen lachenden und tanzenden Menschen, und er wünschte sich, dass dies kein Traum ist. Neben ihm tauchte ein Greis auf, das Alter konnte man nicht mehr schätzen, er hatte eigentlich schon längst den normalen Zenit des Lebens überschritten. „ Dieses Bild eines einfachen und glücklichen Lebens gefällt dir, mein Sohn?“ sprach der Greis, „ich durchschaue dich und kann deine Gedanken lesen, du möchtest an ihren Freuden und an ihrer Lust teilhaben?“ „Oh ja, wenn es mir doch vergönnt wäre.“ „Es ist die vergönnt, ich will dich zu ihnen geleiten.“ Kurz vor dem Ziel verschwand der Greis und alles hüllte sich in einen undurchdringlichen Nebel. Er war sehr unglücklich und fühlte sich um seine Erwartungen betrogen. Warum musste immer ihm alles Schlechte widerfahren? Durch seinen Tränenschleier sah er eine Frauengestalt, die mit sanfter Stimme zu ihm sprach: „Worüber beklagst du dich? Du bist an der Küste meines Reiches gelandet, ich habe dich als Sterblichen in meinem Land aufgenommen. Du hast die Glückseligkeit genossen, die hier alle Bewohner erfahren. Du hast die Täuschungen erlebt, denen keiner entgeht. Du hast in einem Spiegel in deine Zukunft geschaut. Die Zeit, die du in meiner Nähe verbracht hast, geht dir nicht verloren. Wenn du zu deinen Gleichgesinnten zurückkehrst, wirst du die Kraft besitzen, dich in Zukunft durch zu setzen. Das ist der Segen, den ich dir von dem Augenblick mitgebe, in dem du mein Reich verlässt. Diese milden Worte beruhigten Maström und er schritt voller Zuversicht durch die Pforte, durch die er das Zauberreich betreten hatte.
Ein alter Schiffer lebte in der Zeit auf der Insel Rügen, als viele nordische Städte sich zusammenschlossen, um den Piraten das Handwerk zu legen. Der alte Fahrensmann hatte in seinem sehr bewegten Leben viele Länder bereist und während dieser Unternehmungen auch viele Schätze gesammelt, die er jetzt, wo der Tod ihn erwartete, seinen drei Söhnen vermachen wollte. „Meine Söhne, ihr habt viele Entbehrungen hinnehmen müssen, lebtet sehr ärmlich in dieser kargen Hütte, jeder von euch hat sein bisheriges Leben mit viel Arbeit meistern können. Jetzt, wo mein irdisches Ende naht, möchte ich Euch für alles entschädigen, was ihr bisher vermisst habt. Hier stehen zwei große Kisten, die für die beiden Älteren von euch vorgesehen sind. Lasst euch von dem inhaltlichen Glanz nicht blenden und verwendet es so, dass ihr eure Zukunft damit etwas vergoldet. So, ihr beiden Söhne, gehet hin in Frieden.“ Sie verließen das Sterbezimmer ihres Vaters und schleppten beide eine schwere Kiste aus dem Haus, immer mit einem Auge zur Seite geschielt und aufgepasst, dass ihnen auch keiner diesen Reichtum entriss. „Und dir, lieber Rutwer, vermache ich meinen alten Schoner, der im Hafen liegt, und darauf wartet, wieder in Betrieb genommen zu werden. Segel damit um die Welt, und du wirst viele Schätze auf Erden erwarten.“ Der alte Mann lächelte und erriet die Gedanken von Erik und meinte: „ Mein Sohn, dieses Schiff brachte unserer Familie schon viel Glück, schon mein Großvater befuhr damit die Weltmeere. Außerdem lebt ein guter Geist auf diesem Schiff, man nennt ihn den Klabautermann. Sein Aufenthaltstort ist dieses Schiff. Er lebt dort im Verborgenen, in einer kleinen Kammer, tief unten im Schiff mit einer Kiste voll Blei, an die er gebannt ist. Hüte dich das Schiff gegen ein anderes ein zu tauschen, es sei denn, der kleine Geist möchte in eine andere Wohnung ziehen, dann wird es auch Zeit für dich. Verletzte nie das Heiligtum des Klabautermannes, und lass es auch keinen anderen sehen. Strebe nicht nach großen Schätzen, sei immer ehrlich und gerecht, tue nichts Unrechtes. So elend und verrottet das Schiff auch aussieht, es wird dir hundertfachen Segen bringen, und der Klabautermann wird dein bester Freund bleiben. Damit du an der Wahrheit meiner Worte nicht zweifelst, nehme meine Hand, und du wirst gleichzeitig die Zusicherung vom Klabautermann bekommen, denn er ist immer unter uns, obwohl ihn keiner zu sehen mag.“ Rutwer fühlte gleichzeitig in der Hand seines Vaters eine kleine, ganz kalte Hand, die aber entschwand, als sein Vater verstarb.
Rutwer begab sich zu dem kleinen Hafen, wo die Schiffe vor Anker lagen. Mitten unter den prachtvollen, sauber herausgeputzten Großseglern befand sich ein mehr als verrottetes Etwas, was mal als Schiff bezeichnet wurde. Das Bugspriet neigte sich zum Wasser, die Masten und Stangen waren schadhaft, die Segel zerfetzt, alles in Allem sah das Schiff aus wie ein müdes Augenlid über einem schläfrigen Auge. Das Deck bedeckten ein paar morsche Bretter, ein Elend, es noch als Schiff bezeichnen zu wollen. Umstehende Leute verspotteten Rutwer, viele Schmährufe schallten hinter ihm her, als er mutig und voller Tatendrang das Schiff betrat. Da ging ein leises Klopfen durch den Schiffsraum. Es hörte sich an, wie das erfreute Pochen eines Menschenherzen. Rutwer wusste sofort, dass war der freudige Ruf des Klabautermannes. Um auch sofort aktiv zu werden, begleitete den neuen Schiffseigner ein Schiffbaumeister mit seinen Gesellen, die viele Ausbesserungen an dem Schiff vornahmen, so dass es wieder ein voll taugliches, seetüchtiges Gefährt wurde. Rutwer freute sich auf die erste Fahrt mit seinem Schiff, die auch nicht lange auf sich warten ließ.
Die verbündeten Städte rüsteten ihre Schiffe gegen das immer größer werdende Problem der Vitalienbrüder, das waren brutale Seeräuber, die inzwischen die Herrschaft über die nordischen Meere übernommen hatten. Man suchte geschickte Schiffer mit leichten Schiffen, welche die schweren Kriegsschiffe der Städte durch das Labyrinth der Klippen vor dem Versteck der Piraten führen konnte. Die Belohnung war gut bemessen. Rutwer zeigte als einziger aus der Gegend die Bereitschaft, dieses gewagte Unternehmen an zu führen. Die Schätze der Handelsleute lockten ihn nicht so sehr, wie der Ruhm und das Ansehen der anderen Schiffer, die ihn bis jetzt mit Hohn und Spott überschütteten.
Die Fahrt über das Meer bis hin zu den Klippen vor dem Piratenversteck bereitete allen Schiffen große Schwierigkeiten. Ein gewaltiger Sturm peitschte die See auf, türmte riesige Wellen immer wieder übereinander. Die Schiffe der Städter hatten Mühe, dagegen zu halten, der Sturm trieb sie weit aus einander. Ohne Rutwers Führung wären sicherlich einige Schiffe verloren gegangen. Er konnte alle zum eigentlichen Ziel bringen und überraschte die Piraten, die sich fast ohne Gegenwehr ergaben. Der Schiffsverband der Städtevereinigung machte große Beute, denn so ein Piratenversteck hat auch meistens einen großen Goldschatz aus vielen Überfällen zusammengeraubt. Man lobte Rutwers Mut und seine Entschlossenheit die Dinge an zu packen, und bot ihm einen Dienst im Städteverbund an.
Der ständige Spott der anderen Schiffer um Rutwer verstummte, er selbst gelangte jetzt der festen Überzeugung, dass dies der mächtige Schutz des Klabautermanns war, und nahm sich in Zukunft vor, ihn noch weiter zu würdigen.
Er unternahm mit diesem kleinen Schiff so viele Unternehmungen, die ihm viele Schätze einbrachten, weit mehr, als seine Brüder in ihren Kisten hatten. Trotzdem blieb er bescheiden und gut zu jedem. Von seinem verdienten Gold ließ er bald ein neues Schiff bauen, und stellte es mit einer guten Mannschaft in den Dienst der Städte. Er selbst blieb weiter auf seinem kleinen, alten Schiff, und wollte es nicht eher verlassen, bis der Geist ihm das Zeichen hierzu gab.
Natürlich waren dem jungen Schiffer nicht alle Menschen gut gesonnen. Auf Helgoland lebte ein Schiffer, den Rutwer ahnungslos von dem gleichen Posten bei dem Städtebund verdrängte, den er jetzt dort bekleidete. Dieser Helgoländer war voll Hass und Neid auf den Schiffer, dass er böse Pläne schmiedete. Mit einem Gleichgesinnten planten sie, sich in dessen Vertrauen ein zu schleichen, um ihn bei Gelegenheit zu ermorden. Er ahnte nichts Böses und stellte sie als Matrosen ein. Kaum hatten die Beiden das Schiff betreten, ließ sich ein unruhiges Pochen und Klopfen vernehmen, das immer stärker wurde, je weiter die Reise ging. Es hörte sich nicht wie das leise Klopfen in der Nacht an, das wie eine freundliche, bittende Stimme klang und Rutwer oft mit Freude in stillen Nächten vernommen hatte, wenn er einsam auf Wache stand. Nein, diesmal hatten sie einen drohenden, fast heftigen Ton wie ständige Pulsschläge eines Fieberkranken, der die Grundfeste des Schiffes erschütterte. Die Mannschaft wurde unruhig, ängstlich, ja, zaghaft in ihren Tätigkeiten. An jedem Tag, an dem diese Geräusche heftiger wurden, fürchteten sich die abergläubischen Seeleute, es stieg die Gefahr und die Verwirrung. Rutwer wusste wohl, dass der Klabautermann die Geräusche verursachte, aber er wusste nicht, wobei er ihn erzürnt hatte.
Er rief die Mannschaft zusammen, und fragte jeden sehr eindringlich, ob er etwas Böses getan oder vor hatte. Denn ein fürchterlicher Sturm nahte, stärker als er es je erlebte. Er ermahnte jeden, doch ein zu gestehen, etwas zu beabsichtigen, aber alle schwiegen. Plötzlich besannen sich die beiden Mordbuben, und gestanden ihre Mordabsicht. Rutwer wollte ihnen verzeihen, aber die Mannschaft verlangte nach altem Seemannsbrauch, die Männer ins Meer zu werfen. Die Wellen schlugen über ihnen zusammen, der Sturm ließ nach, das Pochen im Schiff verstummte, die alte Ordnung auf dem Schiff kehrte zurück.
Rutwer sammelte viele Schätze und ließ ein Schiff nach dem anderen bauen, eines schöner, wie das vorige. Eines Tages berichtete der Bootsmann, dass jemand böswillig ein Kajütenfenster zerbrochen, das Hauptsegel zerrissen und das Steuer beschädigt hatte. Trotz der Wachen erneuerte sich die Beschädigung nach der Reparatur aufs Neue. Da erinnerte sich Rutwer an die Worte seines Vaters, der ihm verriet, dass der Schiffsgeist nun die alte Wohnung verlassen und eine neue beziehen wollte. Daraufhin beschloss Rutwer, auf eines der neu erbauten Schiffe zu ziehen und dieses Alte mit der Mannschaft feierlich zu verlassen. Ein Matrose hielt eine Dankesrede im Namen des Schiffes, dass die Mannschaft dem Schiff für seine gute Dienstleistung dankte, und versicherte, dass man mit seiner vergangenen Leistung sehr zufrieden sei, es hätte alle gut durch Sturm und Wellen geleitet. Darauf wurde der Kompass, die Seele des Schiffes, mit Trauerflor verhängt und vom Schiffsherrn selbst aus dem Schiff getragen. Sie sangen ein Lied, und jeder wünschte, sein Päckchen unter dem Arm, dem Schiff seine selige Ruhe.
Jetzt passierte etwas sehr merkwürdiges. Der Schiffsbaumeister und seine Gesellen sollten mit Äxten und Sägen das Schiff zerstören, aber die scharfen Beile glitten aus, kein Nagel, keine Spange wich von seinem Platz, die Sägeblätter zerbrachen. So viel die Arbeiter sich auch anstrengten, das Schiff ließ sich nicht zerstören. Rutwer ging selber noch einmal an Bord, um nach zu sehen, ob sie nicht etwas vergessen hatten. Nach langem Suchen fand er tief im Raum die wohlverwahrte Kammer. Jetzt fielen ihm auch die Worte seines Vaters ein. Vorsichtig öffnete er den Behälter und hob eine kleine bleierne Kiste heraus, die er - ohne sie der Mannschaft zu zeigen – ins neue Schiff trug. Kaum stand die Kiste dort an seinem Platz, fiel das alte Schiff wie von selbst zusammen und zerbröselte zu Staub.
Ein Ostindienfahrer, der holländisch-ostindischen Handelsflotte, befand sich in der Tafelbai bereits seit drei Tagen in einer Flaute. Hundert Augen spähten immer wieder zum Himmel, ob sich nicht irgendwo ein Wölkchen zeigte, ein Vorbote einer kleinen Brise, um endlich von diesem so unwirklichen Ort weg zu kommen. Der böse Geist dieses Schiffes war der Kapitän, ein hochmütiger und herrschsüchtiger Mann. Sein Wort war, wie üblich auf jedem Schiff, Gesetz. Nur, dass er die Gesetze nach seinen Richtlinien anwandte. Die Offiziere versuchten möglichst lautlos über das Deck zu schreiten, immer fürchtend, dass sich gleich die Kajütentür öffnete, und ein sinnloser Strafakt vollzogen werden sollte. Wer nicht unbedingt zu einer Wache eingeteilt war, ließ sich gar nicht erst sehen.
Ein alter, bärtiger Matrose, mit Namen Jan, der bereits viele Jahre die Ostindienstrecke befuhr, lag auf dem Bugspriet, in dem Netz des Stagsegels, und schaute auf einen wesentlich jüngeren Matrosen, Piet, der dicht unter ihm auf der blinden Raa saß. „ Sag mal Jan, kannst du mal die Geschichte von dem fliegenden Holländer erzählen, du hast ihn doch schon gesehen? Ich weiß, wenn man zu lange von ihm erzählt, dann versündigt man sich, aber an solche Versündigungen glaube ich nicht. Ich mag gute Geschichten. Ich gebe dir auch meine nächsten beiden Geneverrationen.“ „Piet, du weißt gar nicht, was du von mir verlangst. Wenn unser Kapitän erfährt, dass ich geschwätzt habe, ist es um uns geschehen.“ „Ach was, es merkt keiner,“ meinte Piet. Nach langem Hin und Her ließ sich Jan erweichen. Er schaute über die Weite des Ozeans und erzählte:
„Ein Kapitän, mit Namen Vanderdecken, fuhr ein mächtiges großes Schiff. Sein ganzer riesiger Besitz war in seiner Kajüte in einer großen Seekiste eingeschlossen. Man munkelte, schon der Anblick ließ jeden Betrachter lüsterne Gedanken bekommen. Seine Besatzung gehörte zu den wildesten Gesellen, die auf den Meeren unterwegs waren. Der Kaptitän übertraf seine Mannschaft noch um einiges. Bei Sturm ließ er noch zusätzliche Segel setzen, raste auf dem Deck hin und her, verfluchte Gott und die ganze Welt. Zwischendurch schloss er sich in seiner Kajüte ein, und tötete jeden, der ihn dort störte. Er tobte herum, stampfte mit den Füssen auf, redete laut vor sich hin, doch so undeutlich, dass man nicht eine Silbe verstand. Oft erhielt er auch eine Antwort von jemandem. Wenn dieser dann sprach, gab es solch einen Lärm, als ob alle Geister der Hölle gleichzeitig losgelassen würden. Manche, erzählten später, dass es nach Höllenfeuer roch. Jedes Mal, wenn dieser Besuch den Kapitän in seiner Kajüte aufsuchte, folgte ein heftiger Sturm, der das Schiff in größte Gefahren brachte. Aber jedes Mal nach diesem Kajütengebrüll wurden die Teufeleien von Kapitän Vanderdecken schlimmer. An Land mussten sämtliche Hafenhuren vor ihm kuschen und seine Absonderlichkeiten und neuen Teufeleien körperlich spüren. Der Teufel hatte seine Niederträchtigkeiten immer weiter unterstützt. Hoch oben auf den Dünen der Nordsee, fern von jedem bewohnten Ort gehörte ihm ein großes, aber sehr wüstes Haus. Darin trieb er sein Unwesen. Innerhalb des fest verschlossenen Hauses saß ein altes Hexenweib, die ihm treu ergeben war. Bei ihr holte er sich alle weiteren Ratschläge für die Behandlung der Huren. Ihr versprach der Teufel den gesamten Nachlass des Kapitäns, wenn es ihm gelänge, diesem doch noch eines Tages den Hals um zu drehen. Aber bis heute lebt der Kapitän immer noch, und die Hexe wartete weiter auf ein riesiges Vermögen. Wenn Vanderdecken einer Hure überdrüssig war, gab er nicht eine Hand voll Gold, nein, er drehte ihr den Hals um, damit sie nicht ausplaudern konnte, was bei ihm so alles zu holen war. Er steckte sie in einen Sack und ließ sie im Meer verschwinden. Während die Dirne im Meer versank lachte der Kapitän und trank aus einer Flasche mit Rum, die er direkt fluchend hinterher warf. Aber eines Tages brachte der Teufel dem Kapitän ein Mädchen, so schön, wie es Vanderdecken noch nie vorher gesehen hatte. Der Teufel hatte diese Schönheit geraubt und brachte sie in das Haus in den Dünen. Die alte Hexe bewachte sie und versuchte ihr in den schönsten Ausführungen das Leben einer Dirne schmackhaft zu machen. Es gelang ihr nicht. Der Kapitän geriet in solche Wut über dieses widerspenstige Weib, weil sie nicht auf sein körperliches Verlangen reagierte. Zusammen mit der Hexe schlugen sie so lange auf das arme Mädchen ein, bis sie tot um fiel. Jetzt steigerte sich die Rage des Kapitäns ins Unermessliche, sodass er auch die Hexe bis zur Unkenntlichkeit verprügelte. Danach schmiss er das tote Mädchen in einem Sack ins Meer. Diesmal lachte Vanderdecken nicht dabei, sondern es lachte der Teufel. Kaum aber verhallte sein Lachen, da vernahm man ein helles Klingen. Obwohl der Himmel in düsteren Wolken eingehüllt war, verbreitete sich auf dem Meer ein so heller Schein, als ob der Mond in hellen Flammen stand. In diesem Augenblick tauchte aus den Fluten des Meeres die Leiche des ermordeten Mädchens auf. Ihr so bleiches Gesicht wandte sie Vanderdecken zu und rief ihm unaufhörlich zu: „Folge mir! Folge mir!“ Das brachte Vanderdecken so sehr um seinen Verstand, dass er sich kopfüber in die See gestürzt hätte, wenn die Hexe ihn nicht mit Gewalt zurückgehalten hätte. Dabei wurde sie vom Teufel kräftig unterstützt, weil dieser ihm ein weit schlimmeres Ende zugedacht hatte. Er flüsterte dem Kapitän zu, die junge Frau lebte noch, und er könnte sie für seine Lust noch retten, wenn er nur wolle. Alsbald zeigte sich ein großes Schiff, welches Vanderdecken als sein eigenes Schiff erkannte, es wirkte nur viel größer und geheimnisvoller. Jetzt trieb es ihn an Bord. Als er sich über dem Fallreep befand, stiegen alle Segel von selbst in die Höhe. Sein neuer Kurs, steuere dem hellen Schein nach, der um das Haupt des jungen Mädchens strahlte, und das er nun ganz allein erblickte.
So trieb er durch die Nordsee, durch den Kanal, vorüber an Teneriffa, und weiter durch den Atlantischen Ozean. Die Offiziere und die Mannschaft wagten nicht nach dem Grund der schnellen Abreise zu fragen, sie hörten von ihm nur Verwünschungen. Er sagte ihnen im recht barschen Ton, dass ein Mädchenhaupt vor ihnen auf See herumtanze und von einem Heiligenschein umgeben sei, den er unbedingt haben müsse. Die Männer vernahmen diese seltsamen Äußerungen, zuckten die Achseln und dachten, dass ihr Kapitän jetzt vollkommen den Verstand verloren hatte. Sie wollten ihn schon absetzen, als sie die Tafelbai erreichten, eben den Punkt, wo wir uns jetzt befinden….“
Die Furcht übermannte den Erzähler. Er hielt inne, blickte sich nach allen Seiten um und fuhr fort:
„Also er erreichte die Tafelbai, und die Urgewalt des Sturmes legte los, er fegte ihnen heftig entgegen, so wie er es seit Wochen und Monaten hier nicht mehr erlebte. Riesige Wellen türmten sich auf und überrollten immer wieder das Schiff. Bald lag es über Steuerbords-, bald über Backbords-Halsen; aber immer trieb es während des einen Vorwärtsschubes genau so viel zurück, und die ganze mühevolle Arbeit war umsonst. Den Kapitän ergriff eine ungeheure Wut. Er lästerte und rief: „Nun will ich hier segeln bis an das Ende aller Tage! Soll ich selbst der Schrecken und das Grauen sein, so will ich es auch für alle diejenigen sein, die in meinem Kielwasser segeln, solange der Wind weht und der Hahn kräht!“ Und kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, krähte der Hahn im Hühnerhocken des Schiffes, dass es sich wie ein überlautes Alarmsignal anhörte. Im gleichen Augenblick brach ein heftiger Sturm los, schob das Schiff vor sich her, als wenn es aus dünnem Papier wäre. Das Schiff nahm so eine Geschwindigkeit auf, wie es die Unglücklichen noch nie erlebten, die in seinem Kielwasser hinterher segelten. Denn wer den fliegenden Holländer zu Gesicht bekommt, der durchschneidet seinen eigenen Lebensfaden. Der junge Matrose Piet wiederholte ganz ehrfürchtig die Worte von Kapitän Vanderdecken: „Solange der Wind weht, und der Hahn kräht.“
Es war ein kalter Novemberabend, die Fischer von Esens saßen in ihrer kleinen Stammkneipe am Hafen um einen großen runden Tisch, um ein paar Glas vom heißen Spezialgetränk des alten Gastwirtes, genannt Zossen, zu trinken. Der angehende Sturm pfiff um das alte Haus von Zossen, die ersten Vorboten des Winters kündigten sich an. Bei so einem Wetter rückten alle ein wenig näher zusammen, denn dann ließ sich Zossen dazu erweichen, eine von seinen Seemannsgeschichten zu erzählen.
„Habe ich euch schon die Geschichte von einem ungewöhnlichen Schiff aus dem Hafen von Basra erzählt? Na, gut, dann will ich euch mal von einer ganz ungewöhnliche Begebenheit aus Basra am Schatt al-Arab erzählen, ein Fluss, der in den persischen Golf fließt. Ihr müsst wissen, die Hafenstadt Basra ist für das Land Irak der wichtigste Seehafen. Dort kommen Schiffe aus vielen Ländern an, um Handel mit den arabischen Händlern zu treiben. Ich war 18 Jahre alt und wollte, zusammen mit meinem Freund Kalle auf einem Schiff anheuern, um die Welt kennen zu lernen. Unser Schiff fuhr bis Basra. Dort lud man alle mitgebrachten Güter aus, im Tausch gegen arabische Waren, die für Indien bestimmt waren. Wir waren gerade zwei Wochen unterwegs, als unser Kapitän einen gewaltigen Sturm ankündigte, der in diesen Gewässern mit den vielen Untiefen ihm doch einige Sorgen bereiteten. Er machte ein sehr bedenkliches Gesicht, zumal er mit der Fahrrinne in dieser Gegend nicht so gut vertraut war. Zur Vorsicht ließ er alle Segel reffen, um nur langsam voran zu treiben. Die Nacht brach an, sie war hell und kalt. Der Kapitän meinte schon, sich in den Anzeichen des Sturmes getäuscht zu haben, als auf einmal ein Schiff dicht an uns vorbeischwebte. Wildes Jauchzen und Geschrei ertönte vom dortigen Deck herüber, was die ganze Sache noch unheimlicher und unangenehmer machte. Der Kapitän stand neben mir, wurde ganz blass und rief: „ Mein Schiff ist verloren, dort segelt der Tod.“ Ehe ich ihn über dieses seltsame Schauspiel befragen konnte, rannten alle Matrosen schreiend und heulend heran: „ Habt ihr das gesehen,“ schrien sie, „ jetzt ist es mit uns aus.“
Der Kapitän ließ ein paar Zeilen aus der Bibel vorlesen und stellte sich selbst ans Ruder. Aber vergebens, der Sturm begann mit ungeheurer Kraft am Schiff zu zerren und zu schieben, hohe Wellenberge türmten sich auf und schlugen auf das Schiff. Es krachte ganz fürchterlich, und wir liefen in einen dieser Untiefen auf eine Sandbank auf. Die Rettungsboote wurden ausgesetzt, und wir mussten mit ansehen, wie der Sturm das Schiff hin und her schüttelte, es gegen einen Fels krachen ließ, wo es versank. Der Sturm nahm an Heftigkeit zu, sodass die Rettungsboote, bis auf das von mir und Kalle, umschlugen. Alle Matrosen ertranken.
Kalle und ich hielten uns im Boot fest. Die Morgenröte erfasste uns, und bescherte einen schönen Tag mit glatter See. Der Sturm verging, so schnell er kam. Von unserem Schiff war nichts mehr zu sehen. Aber in der Entfernung entdeckten wir ein anderes Schiff, welches genau auf uns zu segelte. Je näher es kam, je mehr wurde uns bewusst, dass dies das gleiche Schiff war, welches in der Nacht an uns vorbeischwebte. Kalle und ich schauten uns voller Grauen an. Die Äußerung unseres Kapitäns kam mir in den Sinn. Je näher es auf uns zufuhr, je lauter schrien wir. Niemand zeigte sich, niemand interessierte sich für uns. Aber wir mussten auf das Schiff, denn es gab sonst keine weitere Rettungsmöglichkeit für Kalle und mich. Am Bug des Schiffes hing ein langes Seil herab, an dem wir langsam und vorsichtig zum Deck nach oben kletterten. Was wir sahen, konnte entsetzlicher nicht sein. Das ganze Deck schwamm in Blut, zwanzig bis dreißig Leichname in türkischen Kleidern lagen auf den Planken. Am mittleren Mastbaum stand ein Mann, elegant gekleidet, einen Säbel in der Hand, das Gesicht sah blass und sehr verzerrt aus. Ein sehr langer Nagel heftete ihn durch die Stirn am Mast fest. Wir beide wagten kaum zu atmen, geschweige denn ein paar Schritte zu gehen, so fest hielt uns der Schrecken, wir waren wie gelähmt. Wir beschlossen, trotz der vielen Toten, die Unterdecks zu untersuchen, um vielleicht ein paar Erkenntnisse über die Ereignisse, die hier stattfanden, heraus zu finden. Unter Deck sah es nach einem großen Trinkgelage aus, alles lag wüst durch einander, überall lagen Kleidungsstücke, Waffen und andere Gegenstände, einfach so hingeschmissen. Aber es gab auch feinste Vorräte von Seide und Perlen, Zucker, feinsten Wein, Schmuck und Edelsteine. Viele angebrochene Speisen erregten unsere Aufmerksamkeit, denn wir merkten beide, einen gewaltigen Hunger zu haben. Nach einer reichhaltigen Stärkung beschlossen wir, uns von diesen Leichen zu befreien, und sie einfach ins Meer zu werfen. Aber keinen der toten Männer vermochten wir, ihn von seiner Sterbelage an zu heben, geschweige ihn weg zu tragen. Sie klebten einfach fest an den Schiffsplanken. Selbst den Kapitän mit seinem Nagel in der Stirn ließ sich nicht vom Mast losmachen. Den ganzen Tag mussten wir den traurigen Anblick dieser vielen Leichen ertragen. Die Nacht brach heran, ein aufregender Tag endete, wir beschlossen abwechselnd zu schlafen. Kalle legte sich unten in eine der Kajüten, ich hielt oben auf dem Vordeck Wache. Aber mich überfiel eine bleierne Müdigkeit, sodass ich mich hinter ein dort abgestelltes Fass setzte und vor Erschöpfung einschlief. Es war wohl mehr eine Betäubung als ein Schlaf, denn ich hörte die Wellen an das Schiff klatschen, und den Wind in den Segeln pfeifen. Auf einmal glaubte ich Stimmen von Männern und Tritte von Füßen auf dem Deck zu hören. Ich wollte neugierig danach schauen, doch eine unsichtbare Gewalt hielt mich bewegungslos, selbst meine Augenlider konnte ich nicht öffnen. Immer deutlicher wurden die Stimmen, es war mir, als wenn ganz fröhliche Leute sich auf dem Deck aufhielten. Mitunter vernahm ich die kräftige Stimme eines Befehlenden, der die Männer anrief, die Segel zu setzen und die Taue stramm zu ziehen. So nach und nach schwanden mir die Sinne, dass ich nur noch meinte, den Klang vom Gebrauch der Waffen vernommen zu haben. Die Sonne erwärmte mein Gesicht und weckte mich aus meiner Bewustlosigkeit. Verwundert schaute ich mich um, alles sah so aus wie gestern. Die Toten lagen auf ihrem angestammten Platz, der Kapitän hing mit seinem Nagel durch die Stirn am Mast.
Ich sah nach Kalle, dieser saß ganz nachdenklich in der Kajüte und rief: „ O Herr, ich wollte lieber im tiefsten Grund des Meeres liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht zubringen. Als ich einige Stunden geschlafen hatte, vernahm ich, dass über mir, im anderen Deck jemand immer hin und herlief. Ich dachte zuerst, du wärst das. Aber dann hörte ich ein Spektakel von mindestens zwanzig Mann, sie riefen und schrien. Einmal erklangen schwere Tritte auf der Treppe. Ich schaute hier durch die Ritzen der Tür und sah den Mann mit dem Nagel in der Stirn da vorne am Tisch sitzen, singend und trinkend. Plötzlich setzte sich ein zweiter an den Tisch, es war der, mit dem roten Mantel.“
Es war also doch keine Täuschung. So vergingen mehrere Tage, und immer mussten wir nachts diesen Lärm und dieses Gelage ertragen. Nach meiner Berechnung dürften wir bald Land sichten, am sechsten Tag trieben wir auf eine Küste zu, am siebenten Tag erblickten wir den Hafen einer indischen Stadt. Mit viel Mühe ließen wir den Anker herab, setzten uns in das Beiboot und ruderten zur Stadt hinüber. Der Wirt eines Gasthofes gab uns die Adresse eines weisen Mannes, nachdem ich ihn fragte. Ich sollte nach Mulei fragen.
Ein alter Mann mit einem sehr langen weißen Bart hörte sich unsere Geschichte an, und gab den Rat, die Toten samt den Schiffsplanken vom Schiff zu holen, denn die Leute sind bestimmt auf dem Meer verzaubert worden, und diesen Zauber kann man nur an Land lösen. Ich erzählte auch von den vielen Reichtümern, die überall in den Kajüten herumlagen. Er meinte nur, ich solle alles sehr geheim halten, damit nicht noch andere gierige Menschen hinter dem Reichtum her wären. Er gab uns ein paar Sklaven für die Beseitigung der Toten mit. Mit Sägen und Beilen gingen die Sklaven ans Werk und brachen die Schiffsplanken heraus, um die vielen Toten an Land zu bringen. Jetzt passierte etwas sehr komisches, in dem Moment, wo die Schiffsplanken mit den Toten die Erde berührten, zerbröselte alles zu Staub. Nun versuchten wir den Nagel aus dem Mast heraus zu ziehen, aber es misslang. Einer der Sklaven holte einen Topf mit Erde und schüttete dem angenagelten Kapitän die Erde über den Kopf, im Nu viel dieser in sich zusammen und zerfiel zu Staub.
Ich gab dem alten weisen Mann Schmuck und Edelsteine, und wollte am nächsten Tag das Schiff näher in den Hafen bringen, um es wieder seetüchtig zu machen. Aber nun geschah etwas ganz Ungeheuerliches. Wir ruderten mit dem Beiboot an Land, stiegen aus und zogen es ans Ufer. Beinahe gleichzeitig zerfiel das Schiff und das Beiboot zu Staub. Die Reichtümer auf dem Schiff versanken im Meer, man hat sie nie wieder zu Gesicht bekommen.
Wenn die nordischen Fischer von ihrer gewohnten Beschäftigung, dem Fischfang, zurückkehrten, hingen oft Strohhalme am Ruder, oder sie fanden noch nicht verdaute Gerstenkörner in den Fischmägen. Dann hieß es jedes Mal, dass sie über Udröst, einem Elfenland, gesegelt waren. Diese Elfengegenden zeigten sich nur guten Menschen oder wirklichen Sonntagskindern, die auf dem Meer in Lebensgefahr sind. Sie tauchten auch nur da auf, wo in der Nähe kein Land zu finden ist. Die Unterirdischen, wie sie allgemein und selbstverständlich genannt wurden, treiben Ackerbau und Viehzucht, Fischerei und Schifffahrt, wie viele andere Leute auch. Wer da hingelangt, sagt der Nordländer, der ist geborgen, denn da scheint die Sonne über grünen Weiden und gutem Ackerland, und ist immer glücklich, wenn er einige dieser wenigen Inseln zu sehen bekommt. So soll es auch vor Röst auf der Südspitze der Lofoten ein solches Feenland mit grünen Hügeln und gelben Gerstenäckern geben. Es gibt einen Bauern auf Udröst, der eine Hochseeyacht hat, wie viele andere Nordlandmänner auch. Bisweilen segelt er mit vollen Segeln auf die Fischer und Küstenschiffer zu, und in dem Moment, wo sie befürchten, mit ihm zusammen zu stoßen, ist er verschwunden,
Auf Värö, einer Nachbarinsel von Röst, wohnte einmal ein sehr armer Fischer, mit Namen Isaak. Er besaß ein sehr altes Boot und ein paar Ziegen, die seine Frau mit Fischabfällen und Grashalmen notdürftig ernährte, denn die wenige Ziegenmilch brauchte er für die vielen hungrigen Kinder, die jedes Mal hungrig und frierend auf seine Rückkehr warteten, wenn er mit dem wurmstichigen Boot aufs Meer hinausfuhr.
Eines Tages fischte Isaak weit draußen auf dem Meer, als ein besonders dichter Nebel sich auf ihn zu wälzte, ihn einhüllte, sodass er bald nicht mehr wusste, in welche Richtung er zu segeln hatte. Das Dilemma machte noch ein gewaltiger Sturm komplett, der das Meer aufwühlte, große Wellen über sein Boot spülte, sodass er gezwungen war, seinen schon sehr wenigen Fang über Bord zu werfen, um das Boot zu erleichtern. Viele Stunden schöpfte er das Wasser heraus, aber immer neue Sturzwellen schlugen über ihm zusammen und füllten das, was er gerade herausgekippt hatte, wieder nach. Als erfahrener Fischer wusste er, weiterschöpfen und weiterschöpfen, nur so konnte er sich und das Boot retten. Er glaubte immer an das Gute und meinte, bald auf Land zu treffen, doch der Wind drehte sich, und das Boot trieb ihn wieder in eine andere Richtung. Dies wiederholte sich viele Male, bis er gar nicht mehr wusste, wo er eigentlich war. Er segelte und segelte, aber kein Land zeigte sich.
Plötzlich hörte er vorne vor dem Steven ein großes, hässliches Geschrei, welches sich anhörte, als wenn der Meermann ein Sterbelied sang, und sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Während Isaak verzweifelt auf diesen schaurigen Gesang hörte, sah er etwas Schwarzes über dem Wasser schimmern. Es waren drei Raben, die auf einem Stück Treibholz saßen. Er wollte zu ihnen näher heran, aber husch, schlüpfte sein Boot an diesem Treibholz mit den Tieren vorbei. So ging es lange, bis er vor Durst und Hunger kaum noch zu diesen drei Witzbolden hinschauen konnte. Er schlief fast am Ruder ein, als er durch ein scharrendes Geräusch unter dem Kiel hoch schreckte. Das Boot stand still. Der dichte Nebel brach seine undurchdringliche weiße Wand auf. Isaak schaute in die Strahlen der Sonne und auf ein herrliches Land. Die Hügel und Berggipfel waren bis nach oben hin begrünt, Äcker und Wiesen zogen sich daran empor, er konnte den Duft von vielen Blumen und Gräsern wahrnehmen, so süß, wie er es nie zu vor wahrgenommen hatte. Isaak konnte sich nicht genug satt sehen an diesem herrlichen Anblick, voller Ruhe und Frieden.
„ Das wird Üdröst sein,“ redete er laut vor sich hin. Gerade vor ihm befand sich ein Gerstenacker, der bis an den Horizont reichte, die Ähren waren prall und voll, eine schöner wie die andere. Durch diesen Acker führte ein schmaler Weg zu einer Hütte, deren Dach mit Gras überwucherte, darauf stand eine weiße Ziege mit vergoldeten Hörnern. Vor der etwas windschiefen Tür saß auf einem Baumstumpf ein sehr kleiner, aber alter Mann, der aus seiner Pfeife rauchte und den Ankömmling neugierig betrachtete.
„ Willkommen auf Udröst, Isaak.“ „Sei gegrüßt, Vater, kennt Ihr mich denn?“ „Das wird schon so sein,“ sprach der Alte, „Du willst wohl heute Nacht hier übernachten?“ „Ja, Vater, ich bin so müde, ich nehme jede Gelegenheit wahr,“ Sagte Isaak. „ Es ist nur schlimm mit meinen Söhnen, sie mögen keine Christenmenschen, sie können sie nicht riechen. Bist du ihnen nicht begegnet?“ „Nein, ich habe unterwegs nur drei Raben getroffen, die auf einem Stück Treibholz saßen und schrien,“ erwiderte Isaak. „Ja, das waren meine Söhne,“ bemerkte der Alte. „Geh du nur ins Haus, du wirst hungrig und durstig sein.“ „Danke für die Einladung,“ meinte Isaak, und ließ sich dazu nicht drei Mal bitten.
Isaak öffnete die nach innen führende Tür und stand starr und sprachlos vor dem, was er so vor sich sah. So etwas hatte er noch nie in der Art gesehen. Den großen Tisch bedeckten die köstlichsten Speisen, es gab dicke Milch und Seebarsche, Rehbraten, Fischleberklöße mit Sirup und Käse, jede Menge Brezeln, Branntwein, Bier, Met und viele andere gute Dinge, Isaak setzte sich, aß und trank, soviel er nur konnte, seine Teller wurde nie leer, sein Glas blieb immer voll, auch wenn er es austrank. Der Alte selbst aß nicht viel, sagte gar nichts, sondern beobachtete Isaak mit einem lächelnden Gesicht.
Mit einem Mal vernahmen beide draußen vor der Tür viel Lärm und Geschrei, den die drei Söhne veranstalteten. Der Alte ging hinaus, um mit ihnen nach einiger Zeit das Haus wieder zu betreten. Zuerst feindeten sie Isaak an, machten anzügliche und bösartige Bemerkungen, bis sie aber nach einiger Zeit merkten, dass er ein harmloser Gesell sei und freundeten sich sogar mit dem Fischer an. Sie luden ihn ein, mit ihnen auf Fischfang zu gehen, damit er wenigstens etwas vorweisen könnte, wenn er wieder zurück nach Hause segelte. Die erste Fahrt mit ihnen auf See erfolgte bei einem gewaltigen Sturm. Einer der seltsamen jungen Männer saß am Steuer, der zweite am Vordersteven und der dritte hielt im Mittelraum das Segel. Isaak schöpfte das hereinschwappende Wasser aus dem Boot, dass ihm der Schweiß nur so herunter lief. Sie segelten, als wenn sie den Sturm gar nicht wahr nahmen. Nie refften sie die Segel, fuhren die höchsten Wellen an, auch wenn das Boot voll Wasser lief. Als der Sturm etwas nachließ, fingen sie an zu fischen. Es wimmelte hier nur so von Fischen, dass sie das Senkblei an den Angelschnüren nicht durch die Schwärme brachten. Die Söhne von Udröst fischten und fischten, kaum warfen sie die Angel ins Meer, schon hing der nächste Fisch am Haken. An der Angel von Isaak zupfte schon mal ein Fisch, aber jedes Mal, wenn er einen Fisch bis an den Rand des Bootes brachte, entschlüpfte er ihm wieder, er fing nicht eine Gräte. Die drei jungen Männer füllten das Boot bis zum Rand mit Fisch und fuhren mit Isaak zurück nach Udröst, weideten die Fische aus und hingen sie über die Trockengestelle. Isaak aber klagte dem Alten, dass er nicht einen Fisch fangen konnte, er hatte einfach kein Glück beim Fischen. Der Alte gab Isaak ein paar andere Angeln, die ihm auf der nächsten Fangtour ebenso viel Fisch bescherten, wie den drei jungen Männern.
Bald bekam Isaak Heimweh zu Frau und Kindern. Der Alte schenkte ihm ein neues Achtruderboot, welches mit viel nützlichen Dingen beladen war. Isaak bedankte sich höflichst, und fragte ob er denn nicht noch einmal wiederkommen könnte. „Du kannst mich im Frühjahr gerne zum Fischmarkt nach Bergen begleiten. Dort kannst du auch deine Fische gut verkaufen.“ „Welchen Kurs soll ich denn bis hierhin einschlagen?“ „ Fahr immer dem Raben nach, wenn er hinaus aufs Meer fliegt, dann hältst du den richtigen Kurs ein.“
Als Isaak sich mit seinem neuen Boot vom Lande abstößt, das Segel setzte, um den günstigen Wind zu nutzen, wollte er sich durch Winken verabschieden, drehte sich um und sah nur noch die endlose Weite des Meeres.
In Ostfriesland lebte ein Fischer, der fast nie ein Wort sagte. Und wenn er etwas von sich gab, dann waren es Schimpfworte. Er hob sich schon durch sein sehr wüstes Aussehen von allen anderen Leuten der Umgebung ab, denn sein Gesicht zierte ein feuerroter Bart, der noch durch die pechschwarzen, sehr stechenden Augen hervorgehoben wurde. Doch er verstand etwas vom Fischen, egal bei welchem Wetter, er fischte wild darauf los, dass sogar das Wetter vor seinen Flüchen und wilden Drohungen zurückschreckte. Alle Menschen nannten ihn nur den wilden Fischer, oder kurz genannt den Wilden.
Keiner der anderen Fischer wollte mit ihm hinausfahren, obwohl er dreimal mehr verdiente als drei von ihnen zusammen. Nur ein kleiner Schiffsjunge, namens Klas, wagte sich mit diesem Wilden auf das tobende Meer hinaus, weil er viel Geld verdienen wollte, um seine arme Mutter, eine Witwe, mit zu unterstützen. Viel lieber wäre er zu Hein Witt, Jan Külper oder Knorl Pitt gegangen, denn bei denen wurde gelacht und gealbert, während er bei dem Wilden ständig Schelte und Schläge erhielt, die er geduldig ertrug. Wenn sie aber einen schlechten Fang erwischten, ließ der Wilde seine ganze Wut an dem armen Jungen aus und schlug ihn so lange, bis er sich vor Schmerzen kaum noch rührte. Erst nachdem er seinen ganzen Zorn gehörig ausgetobte, kam der wilde Mann wieder zur Ruhe, legte er sich unten im Schiff in seine Koje und schnarchte, bis das Meer sich kräuselte. Klas saß derweilen oben am Heck und weinte vor Schmerz und krampfte sich verzweifelt am Steuer fest. Er hielt seinen Arm über die Reling, legte den schmerzenden Kopf darauf und schaute durch die Tränen auf die schäumenden Wogen. Die Tränen liefen ihm an den Wangen herunter und tropften in das dunkle Wasser.
Plötzlich tauchte eine kleine goldene Krone aus dem Wasser. Als Klas genauer hinschaute, bemerkte er, dass die Krone auf dem Kopf eines kleinen Fischleins saß, dass jetzt an der Oberfläche erschien und neben dem Schiff daher schwamm. Die Krone und die goldenen Schuppen des kleinen Fisches glitzerten und funkelten wie Sonnenstrahlen im Wasser. Klas staunte über die Schönheit des kleinen Fisches und sah, wie es den Kopf aus dem Wasser hob um mit sehr feiner Stimme zu sprechen: „Warum weinst Du?“ „Ach, mein Herr schlägt mich grün und blau. Wenn wir keinen Fisch fangen,“ schluchzte Klas. Und erneut flossen seine Tränen die Wangen herunter. „Du,“ sagte das Fischlein, „weine nicht so! Wir Fische können es nicht ertragen, wenn Tränen ins Meer fallen, das schmerzt uns zu sehr. Nun lass das Weinen. Du darfst dir auch etwas wünschen. Ich bin der König der Fische und kann Wünsche erfüllen.“ Nach diesem Satz verschwand der kleine Fisch.
Der Sturm pfiff noch stärker durch die Takelage, der weiße Schaum zischte über den Steven, der Gischt spritzte Klas ins Gesicht und die hohen Wellen klatschten auf das Deck. Das Deck legte sich auf die Seite, die Schoten knackten und Klas konnte kaum das Steuer halten.
Klas weinte nicht mehr, seine Gedanken schweiften um diesen kleinen Fisch, der ihm sagte, er solle sich etwas wünschen. Welchen Wunsch hatte er denn? Ein schönes großes Schiff, mit dem er an allen anderen einfach vorbeisegeln konnte? Ach nein, viel lieber ein großes Haus mit großen Zimmern, wo er und seine Mutter bequem drin wohnen könnten, dazu ein Pferd mit Wagen, um auch mal irgendwohin zu fahren? Oder ein großer Bauernhof, mit vielen Obstbäumen, schönen Pferden und Kühen? – So wanderten die Gedanken von Klas hin und her. Seine schönen Träume zerrissen, als der Wilde plötzlich vor ihm stand und brüllte: „ Netz einziehen.“ Jetzt sah Klas wieder das trostlose, endlose graue Meer mit den dunklen Wolken, die den Himmel überzogen. Die bunten goldenen Wünsche verschwanden wie Schmetterlinge im Gewittersturm. Ein banger Gedanke beherrschte ihn: ob wir etwas gefangen haben? Als sie das Netz einzogen fühlte Klas sofort, dass es sehr leicht und nicht gefüllt war. Furchtsam blickte er auf den Wilden, auf dessen finsteres Gesicht.
„Was guckst du so dumm in der Welt herum, es ist deine Schuld, du hast schlecht gesteuert.“ Schon griff die eine große schwielige Hand nach einem Tauende, die andere Hand packte Klas im Nacken und riss ihn zu sich heran. In seiner Not schrie Klas: „Ich wünsche, dass unser Netz immer voll großer, schöner Fische sei!“ Er schrie das so feierlich, dass der Wilde ihn erstaunt los ließ. Als er das Netz anfasste, fühlte es sich sehr schwer an. Nachdem sie es hochzogen und ausgeschüttet hatten, zappelten auf dem Deck große Schollen, Steinbutt, Seezungen, Petermännchen und Knurrhähne. Sie klatschten und jappten, schnappten und sprangen, dass es eine Lust war, diesen vielen Fischen zu zusehen. Selbst der Wilde konnte mit einem Mal ein wenig lächeln. Er klopfte Klas auf die Schulter und sagte: „ Du bist doch `n fixer Kerl.“ Dieses erste Lob freute Klas sehr. Er fasste alle Fische an, hob sie hoch und wog sie mit ausgestrecktem Arm. Einer schien ihm größer und prächtiger zu sein, als der andere, so dass er aus seinem Staunen nicht mehr heraus kam. Der Wilde aber warf die Fische bedächtig in den Zuber, die Schollen ins erste, die Zungen und Steinbutte ins mittlere und alle anderen Sorten ins letzte Fach, um sie später auf dem Markt nicht mehr zu sortieren. Die kleineren Fische durfte Klas für sich ins Beiboot packen, musste aber dem Wilden erzählen, wie es zu diesem Wunder gekommen sei.
Auf dieser Reise bekam Klas keine Schläge mehr, auf der zweiten begann er schon wieder mit dem Schelten. Dann aber schien er alles vergessen zu haben, Klas wurde wieder armselig verprügelt, der Wilde lief mit grimmigem Gesicht auf dem Deck hin und her, seine ganze Wut staute sich, er konnte sich wenig beruhigen. „ Verflucht,“ sagte er, „ dass man immer noch weiter zur See hinausfahren muss.“
Plötzlich hielt er inne. „ Du,“ sagte er zu Klas, „wie war das damals noch, Du hast geweint, dann kam ein Fischlein mit einer Krone?“ Klas bejahte die Frage ganz ängstlich. „Dann gehst du jetzt unter Deck, ich will hier oben allein sein und den Fisch herbeilocken.“ Klas verschwand unter Deck, während der Wilde versuchte, sich ein paar Tränen heraus zu drücken. Aber je mehr er auch das Gesicht verzog, er konnte seinen Augen keine Träne entlocken. Er stampfte mit dem Fuß auf, fluchte und schimpfte, knirschte mit den Zähnen und ging mit finsterem Blick hin und her.
Auf einmal stand er ganz still, grinste vor sich hin und meinte: „ Ha, wollen wir doch einmal sehen, Klas soll für mich wünschen. He, Klas, komm doch mal nach oben.“ Klas hatte tief und fest geschlafen und reagierte nicht sofort. Das war für den Wilden schon wieder ein Grund zu brüllen und zu toben. Als Klas schließlich auf Deck kam, schlug er ihn so lange, bis der Junge an fing zu weinen. „So, und jetzt gehst du an die Bordwand und lässt deine Tränen ins Meer fallen! Wenn das Fischlein nach dir guckt, bittest du um einen Wunsch. Was du nachher wünschen sollst, das werde ich dir dann schon sagen.“
Kaum fielen die ersten Tränen ins Meer, erschien auch schon das Fischlein. „Ach, du bist es, du weinst schon wieder.“ „Ach ja,“ antwortete Klas, „ darf ich mir noch einmal etwas wünschen?“ „Du darfst dir etwas wünschen,“ sprach der kleine Fisch und verschwand. „So,“ sagte der Wilde, „nun wirst du dir dann etwas wünschen, wenn ich dir es sage, verstanden? Komm wir wollen das Netz einziehen.“ Als das Netz zwölf Mal eingezogen war, lagen auf dem Schiffsdeck so viele Fische, dass der Wilde bis zu den Knien in den Fischleibern watete. Klas saß im Beiboot und verstaute sich hier die kleinen Fische zu recht.
Der Wilde rief: „So Klas, jetzt wünscht du dir, dass sich alle Fische in Gold verwandeln! – Wünsche!“
Im Nu verwandelten sich alle Fische zu Gold, und das Schiff fing an zu sinken. Klas gelang es gerade noch, das Beiboot vom Schiff los zu machen, als die Wellen hoch aufschäumend über Schiff und Fischer hinweg schlugen, und Alles in der Tiefe des Meeres versank. Klas trieb mit seinem Boot allein weiter, das Boot schwankte und schaukelte. Klas schaute ganz ängstlich drein, dachte an seine Mutter, den grünen Deich. Wie komme ich nur nach Hause? Da weinte Klas ganz bitterlich, dass die vielen Tränen ins Meer tropften. Abermals erschien der kleine Fisch und fragte: „ Warum weinst du schon wieder?“ „Wie soll ich denn nun nach Hause kommen?“ „Ja, so,“ sprach das Fischlein, „warte einen Augenblick.“ Er rief zwei große schwarze Fische herbei. „Die werden dich nach Hause bringen.“, Sprach`s und verschwand.
Der Wind legte sich, das Wasser hörte auf zu toben, die Wolken wichen zur Seite, und die Sonne goss ihre warmen, goldenen Strahlen ins Meer. Das Boot jagte wie ein Pfeil durch die Wellen, gezogen von zwei großen schwarzen Fischen, welche die goldene Fracht der kleinen Fische und Klas sicher ans Ufer brachten.
Wie jedes Jahr mussten die Menschen, die an der Elbe lebten, mit ansehen, wie das Wasser des Flusses über die Ufer trat, und gnadenlos alles mit sich riss, was in Reichweite zu fassen war. Vielen Anwohnern war klar, dass nur der Teufel seine Macht über die Menschen ausüben wollte und es auch mit einem gierigen Grinsen vollendete. Aber irgendwann hatte der Teufel Langeweile und suchte andere Herausforderungen.
Ein alter Kapitän schaute traurig auf die reißende Elbe, gerade war auch sein Schiff wie ein zersplittertes Stück Holz von dem Strom davon gespült worden. Traurig schaute er hinterher und dachte an die gute Zeit auf See.
Da fasste ihn plötzlich jemand an der Schulter. Er drehte sich um, und vor ihm stand der leibhafte Teufel, der ihn mit glitzernden Augen und einem tiefen Grinsen im Gesicht ansah. Der alte Seemann, der schon so manchen Sturm und gefährliche Flut erlebte, zitterte vor Angst an allen Gliedern, denn es versprach nie etwas Gutes, wenn dieser Widerling so auf einen zukam. „Du bist doch der alte Olafsen, Du schaust so sehnsüchtig hinter Deinem alten Schiff her, was so wie so nichts taugte. Ich bin gekommen, um Dir zu helfen. Ich kenne Dein Begehren, ein seetaugliches Schiff zu besitzen, welches alle Stürme und Fluten übersteht. Stell Dich hier ans Ufer der Elbe, und wenn ein Schiff vorbeikommt, was Dir gefällt, dann rufst Du ganz laut: „ Oh Satan, das ist es.
Wenn Du aber das Ganze mit meinem Gegenspieler verwechselst, wird das gleichzeitig Dein Tod und der Tod Deiner Familie sein. Wenn Du dann von See zurückkehrst, möchte ich, dass Du mir Arbeit gibst, die ich nicht erfüllen kann, sonst ist es um Dich geschehen.“
Der alte Kapitän war sehr skeptisch, aber in seiner Not versprach er alles. Ohne weitere Überlegung, nur der Blick für das neue Schiff, trieb ihn gedanklich vorwärts. Alles Weitere, ob der Teufel eine Arbeit nicht erfüllen kann, war im Moment zweitrangig. Man wird es sehen.
Ein wunderschönes Schiff, ganz neu, schipperte flussaufwärts, nur wenige Schiffe schafften es, derartig gegen den Strom zu fahren. Er rief:
„Oh Satan, das ist es.“
Viele Wochen war der alte Kapitän mit seinem Sohn und der Mannschaft auf hoher See. Ihre Aufträge und ihre Fracht brachten viel ein. Das Wattenmeer nahte, und bald erreichte das Schiff die Elbinseln. Da dachte der alte Kapitän an sein Versprechen, was er die ganzen Wochen aus seinem Gedächtnis verdrängen konnte. Sein Sohn merkte, dass dem Vater etwas sehr schweres auf der Seele lastete. Der Alte erzählte dem jungen Mann die Geschichte in höchster Not mit dem Teufel. Aber der Sohn war nicht auf den Kopf gefallen, sondern beruhigte seinen Vater und meinte, er solle sich in der Kajüte etwas ausruhen, denn vor dem Teufel fürchtete er sich nicht, er würde diese Rechnung auch mit dem Gevatter Tod begleichen können.
Wie das nun mal so ist, auch die Elbe ist ein Tidestrom, zumindest bis zu gewissen Ortschaften. Die Flut kam, mit ihr pfiff eine scharfe Nordwestbrise, und das Schiff konnte unter Vollzeug an Cuxhaven vorbeisegeln. Plötzlich hörte der junge Mann, der am großen Steuerrad stand ein seltsames Geräusch, und zugleich erschien der Teufel an Bord, trat neben den jungen Steuermann und meinte: „ Du kennst die Vereinbarung, die der alte Kapitän mit mir beschlossen hatte?“ „Ja, mein Vater hat davon berichtet.“ „, So, dann möchte ich, dass Du meine Forderung erfüllst, oder ich gehe mit Schiff und Männern davon, gib mir die Arbeit, die ich nicht erfüllen kann.“ „Sachte,“ erwiderte der junge Steuermann, „Du sollst schon zu Deinem Recht kommen.“ Er befahl der Mannschaft, sofort und auf der Stelle vor Anker zu gehen. Die Mannschaft begriff zwar nicht, worum es ging, merkten aber an dem äußerst lauten Tonfall des Steuermannes, dass ihm dieser Befehl vollster Ernst war. Außerdem war er der Sohn vom Kapitän, und wollte sicherlich mal dieses Schiff übernehmen. Unter vollen Segeln zu ankern? Mit großer Geschwindigkeit sauste der schwere Ankerhaken in die Tiefe, dass das Seil nur so vom Spill pfiff. (Ankerspill=Spindel, drehbare Vorrichtung zum einholen von Ankertrossen).
„Greif zu und halte das Schiff!“ schrie der junge Steuermann. Da packte der Teufel herzhaft zu, um das Ankertau zu halten; aber das Schiff befand sich unter vollen Segeln in höchster Fahrt, und der Teufel wurde mit einem gewaltigen Ruck weit in die Elbmündung gerissen. Die Flut spülte ihn in die vorderen Überschwemmungsgebiete, das viele Wasser in den Dörfern und Äckern zog sich zurück, sodass die Menschen wieder in ihre Wohnstuben konnten. Das Schiff und die Elbbewohner wurden dadurch gerettet. Seit dieser Zeit hat auch niemand mehr in der Gegend einen leibhaftigen Teufel zu Gesicht bekommen.
Texte: Rainer Göcht
Bildmaterialien: Rainer Göcht, eigenes Bild in Acrylfarben
Tag der Veröffentlichung: 24.06.2013
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