Name : Rainer Göcht
Land : Deutschland
Zitat : Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben
Klassenfahrt
Unser Umzug von Neumünster nach Wilhelmshaven bedeutete auch, dass ich in einer Volkschule in der Allerstrasse eingeschult wurde. Die Leitung dieser Bildungsanstalt leitete ein Rektor mit sehr strengem, Kommiss ähnlichem harten Regiment. Die Regie führte sein Rohrstock, der manchen Hosenboden einer Lederhose bearbeitete. Seine kurzen, sehr harten Hiebe waren bekannt. Wenn er einen zu Bestrafenden ausgemacht hatte, hieß das, antreten vor dem Rektorzimmer in der 1.Etage mit Blick auf den Schulhof. Züchtiges, zögerndes Anklopfen. Es dauerte einen Moment, ein knarrendes „herein“. Die Tür schließen, Hände nach hinten verschränkt, kurz mitteilen, warum man eine Strafe zu erwarten hat, mit dem Bauch über einen bereitgestellten Stuhl legen, Luft anhalten, klatsch, klatsch auf die Lederhose, bei Jammern Zugabe. Sein Kommentar, da wäre noch viel Natur zum bearbeiten.
Ein Holzzaun umschloss das Schulgelände, den Schulgarten und das Toilettenhaus mit den Plumsklos hinter der Schule. Die Schulklassen waren zur Ordnung verpflichtet, Sauberkeit, Schulgarten bearbeiten, Toiletten reinigen. Meist erledigte dies eine Strafkolonne beim
Hausmeister nach der Schule. Der Hausmeister war immer besoffen und merkte dann gar nicht, wenn er nach kurzer Zeit keinen Schüler mehr um sich hatte. An den Ohren drehend ziehen, Schlüssel, Schwämme, Kreide treffsicher fliegen zu lassen, gehörten zu den harmloseren Bestrafungen, man nannte dies aufwecken, wachrütteln, Klappe halten.
Ich wollte aber auch von recht positiven Erlebnissen erzählen, wenn es hieß, für vierzehn Tage in einem Schullandheim mit der 4. Schulklasse zu verbringen. Sobald diese Angelegenheit genehmigt war, führten sich plötzlich alle sonst so straffälligen Schüler recht gehorsam und folgsam auf, keiner wollte diese Gelegenheit, von zu Hause wegzukommen, verpassen, oder ausgeschlossen zu werden. Unser damaliger Klassenlehrer gehörte zu den humaneren Lehrern, streng, aber die mehr väterliche Richtung. Klar, er konnte auch böse werden, mit dem Schlüsselbund oder nassem Schwamm werfen, aber ihm nahm es keiner so krumm. Dafür gehörte der andere Lehrer zur Kategorie „grausam veranlagt“. Er boxte gerne den Schülern auf den Oberarm, und wartete mit einem Grinsen im Gesicht, ob es weh tat oder nicht. Wir Schüler hatten uns oft geschworen, ihn eines Tages zu bestrafen.
Der Tag des Ausflugs der 4.Klasse nach Burg Sternberg im Teutoburger Wald nahte, alle Vorbereitungen für die Busfahrt wurden abgeschlossen. Wir malten uns schon viele Abenteuer aus, eine richtige Burg, mit Burggraben, steiler Aufgang zu einem großen Burgtor, hohe Mauern mit Wehrgängen und Wachtürmen. Also genau so, wie ein Phantasie bewusster junger Schüler sich eine richtige Burg vorstellte.
In der Burg lebte ein sehr alter Geigenbauer, der seine Instrumente vorführte und spannende Geschichten erzählen konnte. Natürlich hörten wir auch von Hexen und Rittern, von Hexenverbrennungen und Folterungen. Deshalb unternahmen wir eine Fahrt nach Lemgo zum Hexenhaus mit den vielen Folterinstrumenten und den Räumlichkeiten, wo die gefangenen Frauen ihre letzten Stunden verbrachten. Von da ging es weiter zu einer großen Kakteenzucht, dem Sinalkowerk in Detmold, den Externsteinen und dem Hermannsdenkmal.
Solche Klassenfahrten konnten berühmt sein für die besonderen Einfälle. Jede aufgeteilte Gruppe, gleichbedeutend für das große Zimmer, was man mit neun anderen Jungen bewohnte, hatte im Turnus Revierdienst zu erledigen. Unsere Gruppe war für diesen Tag für den Waschraum und die nahen Toiletten eingeteilt. Im großen Waschraum standen auf dem Bord über den Waschbecken die Zahnputzbecher mit den Zahnbürsten und Tuben Zahnpasta. Die Zahnbürsten ließen sich gut mit den Geschirrspülmitteln aus der Küche präparieren, die wir tags zuvor beim Küchendienst mit Zugang zu diesen wunderbaren Erzeugnissen der Industrie, mitgehen ließen. Es sah lustig aus, wenn die „Münder“ überschäumten, denn die Geschmacksnerven der eifrigen Zähneputzer erhielten einen gewaltigen Dämpfer, alles schmeckte lange Zeit nur nach Seife.
Spaß machte auch, die sehr tief Schlafenden zu ärgern. Dies musste auch unserer boxender Lehrer erfahren, der nach einer recht durchzechten Nacht in der nahen Dorfkneipe wie ein sterbender Schwan auf seinem Bett im Einzelzimmer auf dem Rücken schlief, und fürchterlich schnarchte, dass es bis in das Treppenhaus der Burg schallte. Das linke Bein und der linke Arm hingen über dem Bettkasten aus dem Bett heraus. Jetzt konnte man wunderbar diese Körperteile in eiskaltes Wasser hängen lassen. Ein Eimer Wasser hin gestellt, ein paar Minuten gewartet, ein neuer Bettnässer ward geboren….. Man musste sagen, die Nieren des „Brutalen“ Lehrers arbeiteten phantastisch. Warum trank er auch so viel? Zusätzlich legte ihm einer meiner Kumpels noch einen nassen Lappen auf die Stirn, um seine anstehenden Kopfschmerzen zu mildern.
Wir Schüler trafen uns alle zum Frühstück im großen Essenssaal, man wartete gespannt auf das Erscheinen des Lehrers. Unser Klassenlehrer schaute schon sehr nervös auf seine Uhr, weil wir immer alle zusammen die Mahlzeiten einnahmen, da sollte es keine Ausnahmen geben. Er wollte schon sagen, dann fangt schon einmal an, als wir alle ein fürchterliches Gebrüll hörten.
Der noch schlafende, zum Bettnässer mutierte Lehrer hatte seinen erholsamen Schlaf beendet, und lag in einer total durchnässten Matratze. Er konnte jetzt natürlich nicht zugeben, in das Bett gepinkelt zu haben. Sein Kollege, unser Klassenlehrer, schaute sich die Bescherung an, und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
Keiner vermutete, dass diese Aktion vom Einfallsreichtum der Schüler herrührte. Seit dieser Zeit wurde es auch viel stiller um diesen Lehrer, der sich nach unserer Klassenfahrt versetzen ließ.
Texte: Rainer Göcht
Bildmaterialien: Rainer Göcht
Tag der Veröffentlichung: 25.02.2013
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