Name : Rainer Göcht
Land : Deutschland
Zitat: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Vom Tretroller bis zum Auto
Für uns Kinder bedeutete der Tretroller ein wahres Wunder an Technik. Zuerst aus Holz, mit kleinen Rädern, in denen sehr oft der Sand aus dem Sandkasten weitere Fahrten stoppte. Aber als man einen Roller mit aufpumpbaren Rädern besaß, dazu einem Gestell aus Metall und einer breiten Lenkstange mit einer Klingel, konnte die Reisefreudigkeit keiner mehr stoppen. Ich war oft zu lange unterwegs, weil ich vergaß, auch die gleiche Strecke zurück zu rollen. Das änderte sich, als ich meine ersten Versuche mit einem Fahrrad unternahm.
Ich wollte unbedingt lernen, mit dem Fahrrad zu fahren. Der Nachteil war, dass nur Erwachsenenräder zur Verfügung standen. Ich entschied mich für das Fahrrad meiner Mutter, es ging gerade aus, weiter….. Nachbar`s Hecke stand im Weg, die Hecke hatte ein großes Loch, das Fahrrad leicht verbogen. Natürlich hörte ich ein großes Geschrei, eine Hand rutschte aus und zeichnete seine Finger auf meiner Wange. Nur heulen oder plärren gehörte nicht zu sehr zu meinem Tun, sondern die Strafe nahm man hin, denn meistens folgte bereits die Nächste.
Rollschuhfahren gehörte zu einem Teil der Freizeitvergnügen. Überall bestanden die Fußgängerwege aus Gehsteigplatten, so dass ein Fahren in der Kolonne bis zum Bahnhofsvorplatz und dem Fußgängerbereich vor dem Kaufhaus Karstatt möglich war. Sehr zum Ärger mancher Fußgänger, die sich bei unserem Hin- und Hergerase nicht mehr sicher fühlten. Klar, je sicherer man sich beim Fahren fühlte, je mehr riskierte man. Die Polizei sah nicht gerne, wenn ein Rollschuhfahrer sich an einem Auto festhielt und sich ziehen ließ, ein gefährliches Unterfangen.
Was im Sommer das Rollschuhfahren bedeutete, gehörte im Winter das Schlittschuhfahren auf dem Stadtteich zu einem Muss. Wir warteten schon auf den etwas strengeren Frost, damit das Eis auch hielt und sicher ein Eishockeyspiel aushielt. Eine Ecke des Teiches hielt man den Enten frei als eisfreien Bereich. Aber wie es so kommt, unser Ball trudelte in diesen kleinen Gefahrenbereich, ich versuchte ihn auf zu halten, und fuhr in das Wasserloch. 10 Grat minus, weiter Weg nach Hause, die Klamotten froren unterwegs. Was war mir kalt. Zu Hause raus aus den steif gefrorenen Sachen, eine heiße Tasse Tee, im Bett aufwärmen.
Einmal fuhren mein Freund Rolf und ich nach Hookssiel, einem kleinen Küstenort an der Nordsee, ca. 12 Km von uns zu Hause, um die Verwandten von Rolf zu besuchen. Wir bekamen viel Apfelstreuselkuchen und Kakao zu essen und zu trinken. Anschließend durften wir vor Ort ins Kino. Dazu nahm jeder Besucher seinen eigenen Stuhl mit. Eintritt für Kinder 10 Pfennig, ein Heimatfilm aus den Bergen.
Auf der Rücktour fuhren wir an dem sehr hohen Zaun des FKK-Strandes von Hookssiel vorbei. Ehrensache, um da einmal an zu halten und die Fahrräder an den Zaun zu stellen, auf das Rad klettern und über den Zaun zu gucken. So etwas sah man natürlich nicht alle Tage. Ein lautes „ He, was macht ihr den da“? beendete unseren Anschauungsunterricht, Abbruch und kleinlauter Rückzug war angesagt.
Mein neuer Schulfreund im Gymnasium hieß Werner. Da wir beide im selben Bezirk wohnten, fuhren wir jeweils morgens und mittags zur und von der Schule mit dem Fahrrad. Schon mal machten wir einen Umweg in Richtung Ölhafen und kamen an einer Weide mit Shetlandponys vorbei. Ein paar Mohrrüben, etwas Zucker lockte die Tiere an den Zaun. Eines Tages entdeckten wir die Fohlen und achteten nicht so auf die nervösen Stuten. Werner wagte sich etwas zu weit vor und „zack“, ein Biss in Richtung Werners Bauch tat sein Übriges. Die eine Stute hatte ihm doch tatsächlich in den Bauch gebissen. Seit dieser Zeit respektierte er diese doch lieben Tierchen.
Ich besaß ein altes Fahrrad mit schmalen Felgen und einer Fünfgang-Kettenschaltung, die schon mal funktionierte. Es war Mittagszeit, die Schule beendet, schönes Wetter, ich fuhr auf dem Fahrradweg nach Hause. Ein Auto kam von rechts aus einer Einfahrt, übersah mich, ich konnte nicht mehr bremsen, und fuhr gegen das linke hintere Rad des Fahrzeugs. Ich stürzte, meine Hose zerriss, mein Knie blutete, mein Fahrrad war total verbogen. Ein Mann mittleren Alters stieg aus, besah sich die Bescherung und fing an, wie ein Rohrspatz zu schimpfen. Es ist schon bald unglaublich, wie schnell sich die neugierigen Leute einfanden und dumme Bemerkungen machten. Aber ein älterer Herr half mir. Er gab mir zu verstehen Arzt zu sein und schaute sich mein Knie an, und befand es als ok. Dann schrieb er sich das Autokennzeichen auf, beauftragte einen der Zuschauer, die Polizei zu rufen, und alles nahm seinen Lauf.
Aus dieser Angelegenheit erhielt ich ein neues Fahrrad Marke Hercules und eine neue Hose.
Der Vater von Werner, ständiger Schlipsträger, Abteilungsleiter bei Karstatt, brachte uns bei, einen Schlips zu binden. Es musste der doppelte Knoten sein, weil diese Art zu binden, zurzeit die Mode beeinflusste. So standen wir beide vor einem großen Spiegel und probierten so lange, bis Herr Wolter sein wohlwollendes Einverstanden gab.
Er gab uns auch zu verstehen, dass man ein Fahrrad auch mal zwischendurch putzen sollte, das wäre die Visitenkarte des Fahrers. Also fingen wir an, auf deren Hinterhof unser Fahrrad zu wienern bis es glänzte. Mein neues Fahrrad stach dann ohne Rostflecke aus allen heraus. Kurz darauf bekam Werner ein neues Fahrrad…..
Der Herbst des Jahres neigte sich dem Ende zu, morgens gab es schon mal Raureif auf den Straßen, so auch an diesem Morgen, als wir mit dem Fahrrad zur Schule fuhren, Rheinstraße Ecke Göthestraße in Höhe der Litfaßsäule, stürzte ich in der Rechtskurve und brach mir das rechte Schlüsselbein. Ich fuhr noch in die Schule, bin dann aber früher nach Hause um einen Arzt auf zu suchen. Unser Hausarzt, Dr.Pohlmann, fast 82 Jahre alt, meinte, es wäre nur angebrochen. Er verpackte den Arm in eine schwarze Schlinge, sagte ruhig halten, fertig war die Behandlung. Später stellte sich ein glatter Bruch heraus, nachdem die beiden Bruchstellen nebeneinander gewachsen waren.
Umzug nach Wipperfürth, neue Freunde, neues Glück.
Horst, ein neuer Freund aus Wipperfürth und ich unternahmen eine Fahrradtour nach Winningen an der Mosel, um dort zelten. Kurz hinter Much, nach einer langen Steigung der Straße, suchten wir uns einen Platz, wo wir ungestört unser Zelt aufbauen konnten. Der Waldboden gab dermaßen nach, dass wir Schwierigkeiten hatten, die Zeltheringe zu befestigen. Es sollte auch nur für diese eine Nacht sein. Am Morgen sahen wir uns unsere Behausung genauer an und mussten laut lachen. Unsere Fahrt führte uns über Siegburg, nach Köln auf die andere Rheinseite und auf dem Fahrradtörn immer am Rhein entlang bis Koblenz. Von Koblenz nach Winningen waren es nur noch wenige Kilometer. Eine Fahrt, die so richtig Spaß machte. Das Wetter spielte mit, es war angenehm warm. Wir bauten unser Zelt auf, verstauten unser Gepäck und gingen in den Ort, um eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken. Ein gemütliches Weinlokal erregte unsere Aufmerksamkeit. Es gab frischen Zwiebelkuchen mit frischem Wein. So etwas kannte ich überhaupt nicht. Das Tolle war der nicht zu bezahlende Zuschlag, denn die Köchin wollte ihren noch warmen Zwiebelkuchen vom Blech haben, um frischen her zu stellen. Vielleicht sahen Horst und ich auch so hungrig aus. Aber so durfte jeder Tag ausklingen.
Am nächsten Tag merkte ich ein leichtes Kratzen im Hals, dachte mir dabei aber nichts. Warmes Wetter, also schwimmen in der Mosel. Aus meinen leichten Halsschmerzen entwickelte sich eine saftige Halsentzündung mit Fieber und dergleichen. Ich legte mich ein paar Stunden in meinen Schlafsack, um die angehende Krankheit zu bekämpfen. Es nutzte nichts, wir brachen unseren Campingausflug ab und machten uns auf den Nachhauseweg. So mies hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt, ich war am Glühen, nur der Fahrtwind kühlte ein wenig das Fieber. Wir schafften den Weg nach Wipperfürth, ich lag einige Tage mit einer fiebrigen Mandelentzündung im Bett.
Erstes Auto
Ich schaffte meine Führerscheinprüfung, musste aber die theoretische Prüfung wegen zu vieler Fehler zwei Mal machen. Aber geschafft heißt, ein Auto wird die nächste Anschaffung sein.
Zwischenzeitlich begann ich meine neue Lehrstelle bei der Fa. Frickenhaus in Wuppertal- Ronsdorf.
Am 19.November 1970 musste ich zur Bundeswehrmusterung nach Bergisch-Gladbach, Ergebnis volltauglich, außer für Gebirgsjäger.
An diesem Tag sah ich in Bergisch Gladbach mein erstes Auto stehen, ein Ford-Taunus 12mP4, 40 PS, Kaufpreis 400,-DM. Der Händler meldete das Fahrzeug an, ein paar Tage später holte ich es ab. Was war ich stolz, Besitzer eines eigenen Fahrzeugs, Lenkradschaltung, Liegesitze, ideal für einen jungen Mann wie mich.
Toupéjäger
Irgendwann im Frühjahr 1971, wir Wipperfürther machten uns auf, in der Nacht vom Tanzlokal Seehaus Nanny mit unseren Autos nach Hause zu fahren. Rainer S., genannt der Toupéjäger, sollte als Nachtblinder vorausfahren. Er hatte kurz vorher mit einem Mädchen Streit, weil sie ihm kräftig in seinem vermeintlichen sehr dicken Kopfbewuchs in den Haaren ziehen wollte, und auf einmal die gesamte Frisur in den Händen hielt. Ein Aufschrei, sie ließ den Skalp fallen und lief davon. Rainer stülpte sich das zerknüllte Etwas auf den Kopf und rannte wutentbrannt zu seinem Wagen. Erst guckten sich auf der Tanzfläche einige verdutzt an, dann brach ein allgemeines Gelächter los.
Die Wipperfürther folgten dem vorausfahrenden Rainer S. und sahen gerade noch, wie sich dessen Fahrzeug in der Rechtskurve vor Gogarten drehte, stand, langsam rückwärts die Böschung hinunterfuhr und auf einem Baumstumpf hängen blieb.
Wir spannten mehrere Fahrzeuge vor Rainers Auto, um ihn aus der Misere zu befreien. Es klappte nicht, da konnte nur ein Traktor helfen, oder ähnliches. Die Kupplung meines 12m verabschiedete sich bei dieser Aktion, ich musste sie in den nächsten Tage erneuern.
Göttingen/Kassel
Im April besuchte ich meine Schwester Marianne in Göttingen, wo sie studierte. Sie wohnte mit Ihrer Freundin Ellen, genannt Mäusi, in einer WG.
Die Rücktour endete bereits in Kassel, Ampel, anfahren, stehen bleiben, nicht mehr weiter. Ich schob mein Auto zu einer in der Nähe befindlichen Tankstelle. Diagnose: Getriebeschaden, Scheiße.
Mit meinem letzten Geld fuhr ich per Bahn nach Göttingen zurück. Meine Schwester lieh mir Geld. Ich fuhr am nächsten Tag nach Kassel und ließ mein Auto zu einer Fordwerkstatt schleppen.
Der Abschleppwagen befestigte eine Abschleppstange an meinem Auto, ich saß darin und lenkte während des Schleppens mit. Meine Güte, was donnerte der durch Kassel, ich dachte, dass mein Auto auseinander bricht. Die Fordwerkstatt reparierte den 12m in der folgenden Woche, während ich nach dem Schleppen erst einmal wieder mit dem Zug nach Hause fuhr, um am folgenden Freitag mein Auto ab zu holen. Dies war ein sehr teures Wochenende.
Unser Autounfall
Den 5.Juni 1971 erlebten meine damalige Freundin, heutige Frau, und ich als einen denkwürdigen Tag, den wir wahrscheinlich nie vergessen werden. Wir wollten in Wipperfürth Schuhe kaufen. Ich holte sie von zu Hause ab, und fuhr durch Marienheide über die Bahnschienen bei der Fa. Rüggeberg. Am Ortsausgang in Richtung Wipperfürth, links vorbei an der ARAL-Tankstelle fuhr vor uns ein Porsche, der plötzlich Gas gab. Wir versuchten ihn ein zu holen, dabei unterschätzte ich die leichte Rechts-, dann die Linkskurve, die Straße war feucht, der Wagen fing an nach links zu schleudern, Lenkrad herumgerissen, rechts gegen die Leitplanke und auf zwei Rädern nach links geneigt durch eine entgegenkommende Autoschlange, mit der Front in der Wiese in den Dreck gekracht und auf dem Dach liegen geblieben. Dadurch, dass beide Seitenscheiben wegen des warmen Wetters heruntergekurbelt waren, flog meine Freundin halb aus dem Wagen, mit dem Kopf eingeklemmt unter dem Dach in der Wiese, die Beine im Wagen, ich wurde hinausgeschleudert. Sie schrie vor Angst, ich konnte mich nicht bewegen, ich bekam keine Luft. Bald liefen die ersten Leute heran und halfen ihr aus der Klemme, ein Mann drehte auf mein Anraten den Zündschlüssel raus, damit die Zündung aus war. Der Krankenwagen kam, lud uns beide ein, zuerst meine Freundin, dann mich. Der Krankenwagenfahrer roch fürchterlich nach Fusel. Mich legten sie auf eine Trage, den Kopf nach unten hängend, noch einmal anders gelegt, und los ging die Fahrt. Ich rutschte auf der Trage im Krankenwagen hin und her und hatte dadurch große Schmerzen.
Im alten Krankenhaus von Gummersbach mussten meine Freundin und ich lange in der Unfallaufnahme warten, bis sich mal jemand um uns kümmerte. Sie blutete am Kopf, der immer mehr anschwoll, die rechte Hand war gebrochen. Ich hatte geprellte Rippen und ein ganz dickes Knie. Zwei Pflegekräfte in der Nähe beschwerten sich lautstark, dass sie wieder keine vernünftige Pause hätten. Die Erstversorgung gehörte in die Kategorie ungenügend, reine Katastrophe. Sie sollte aufstehen, kippte aber direkt wegen einer sehr starken Gehirnerschütterung und blieb im Krankenhaus. Ich wurde wegen meiner Rippen geröntgt, mein Knie schaute sich ein Arzt an, sagte Bluterguss, ich könnte gehen, gab mir einen Taxischein, ich solle mir ein Taxi suchen. Das Problem war, ich konnte nicht laufen, sondern nur auf einem Bein hinken. Diese Situation bekam ein Taxifahrer mit und schimpfte mit den herumstehenden Schwestern und dem Arzt von wegen Sauladen usw.
So endete unser Schuhkauf in der entgegengesetzten Richtung.
Texte: Rainer Göcht
Bildmaterialien: Rainer Göcht
Tag der Veröffentlichung: 06.02.2013
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