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Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben.


Ein persönliches Geheimnis

Mein Geburtsdatum ist der 3.Februar 1951, Sternzeichen Wassermann, der besondere unter den Sternzeichen. Man behauptet, ich wäre in Göttingen geboren worden. Diejenigen, die das in die Welt setzten, waren sicherlich bei allen Vorbereitungen auf mein Leben beteiligt, und denen muss ich das wohl glauben. In Göttingen traf sich nach dem 2.Weltkrieg meine Familie, meine Grosseltern und meine Mutter, geflüchtet vor den anrückenden Russen aus Dramburg / Hinterpommern, mein Vater aus englischer Kriegsgefangenschaft, und natürlich meine Schwester , die ebenfalls in Göttingen zur Welt kam.

Aber ich will nicht direkt über mein Leben philosophieren, sondern über Dinge erzählen, die mir erst bewusst wurden, als alle Zeitzeugen aus vergangenen Zeiten nicht mehr lebten.
Als kleiner Junge versuchte ich stets meine fortwährende Neugier zu stillen, indem ich mich leise an Erwachsene heranschlich, um deren Gespräche zu verfolgen. An dieser Eigenart im Kindesalter war eigentlich meine Großmutter schuld, die mir schon früh beibrachte, nur über viele Informationen zu einem brauchbaren Ergebnis zu kommen. Damals konnte ich mit solchen Phrasen noch nicht viel anfangen, später wurde mir die Brisanz dieser Aufforderung erst richtig klar, ein zu setzen in vielen Lebenslagen. Unser damaliges Wohnzimmer beinhaltete eine große Couchgarnitur, die so gestellt war, dass die große Couch mit dem Rücken zur Tür stand, sodass man als kleiner Junge, schleichender weise, schnell hinter den Couchen sich versteckte, um die teils interessanten Gespräche der Erwachsenen mit zu hören.
Die Freundin meiner Mutter aus Schweden war zu Besuch, mit der sie den beschwerlichen Weg der Flucht aus Pommern unternahm. Sie tranken Kaffee, und bemerkten nicht meine Anwesenheit.
Natürlich sprachen sie von früheren Zeiten. Eines der Hauptthemen der beiden war die schlimme Krankheit meiner Mutter. Mit ungefähr 20 Jahren war sie an sehr schlimmer Lungen-TB erkrankt, und musste 1934 eine Lungenoperation über sich ergehen lassen. Ihr damaliger Verlobter, ein Offizier der Wehrmacht, verließ sie, weil er nicht mit einem Krüppel verheiratet sein wollte. Ich konnte dieser Nachricht noch nicht viel beimessen, eher der Satz, wenn das Ganze nicht gewesen wäre, würde sie heute mit einem Offizier verheiratet gewesen sein, wer weiß ob man dann die Kinder so gehabt hätte. Für mich war die letzte Gedankenfolge eine schlimme Erkenntnis, dann bin ich doch nur durch viel Glück geboren worden. Mit meinen vielleicht sieben Jahren war das eine Information, worüber ich lange nachdachte. Aber die kindliche Neugier verlangte nach mehr, denn die Geschichte ließ mir keine Ruhe. Ich fing an zu bohren. Meine arme Großmutter, als meine Vertrauensperson, musste als erste herhalten. Klar, sie druckste herum, ich wäre zu neugierig, nichts für dreimal kluge Kinder und vieles mehr. Ich sprach meine Mutter an, die natürlich alles abstritt, ich hätte mich doch nur verhört. Ich fragte so lange, bis ich doch tatsächlich wegen meiner vielen Fragen eine Ohrfeige erhielt, ich sollte mich nicht mit Dingen beschäftigen, die mich nichts angingen. Jetzt war meine Neugier geweckt, ich fragte: „ Ihr habt gesagt, wenn es so gekommen wäre, würden wir gar nicht geboren sein? Warum nicht?“ Jetzt war für lange Zeit Stille im Schacht. Mein Vater saß am Tisch, wusste nichts von den Vorreden, und machte einen ganz traurigen Eindruck. Mein damaliges kindliches Gespür begriff, dass es wohl besser sei, nichts mehr zu sagen. Ich merkte, dass ich wohl in etwas gestochen hatte, was den häuslichen Frieden erheblich störte.
Meine Großmutter erklärte mir später nur so viel, dass jeder ein kleines Geheimnis haben könnte, sei es noch so bitter, um es zu vergessen.
Viele Jahre später, meine Mutter lebte in meiner Nähe, sie hatte Alzheimer, erfuhr ich während einer ärztlichen Untersuchung vom Professor für Lungenheilkunde, dass sie nach Ihrer Lungen-OP 1934 mit einer halben Lunge lebte. Nur 30% der damaligen Patienten überlebten in dieser Zeit so einen Eingriff.
Von dieser Tatsache wusste bei uns keiner etwas, ein wohl gehütetes Geheimnis. Bei Durchsicht vieler Bilder und Briefe aus dieser Zeit, erfuhr ich einiges über ihren damaligen Verlobten, der sie als Krüppel verschmähte.

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Texte: Rainer Göcht
Bildmaterialien: Rainer Göcht
Tag der Veröffentlichung: 28.11.2012

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