Caspar de Fries
Schriftsteller
Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben
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Caspar de Fries
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Die Geschichte schreibt das Jahr 1459, seit fünf Jahren dauert nun schon der Konflikt zwischen dem Deutschen Orden und dem preußischen Bund, was bisher schon einige politische Folgen nach sich zog. Bisher hielt sich das Land Pommern aus vielen Scharmützeln raus, außer den Kämpfen ums eigene Überleben. Ein neuer Konflikt bahnte sich an. England bemühte sich, das Handelsvorrecht der Hanse im Ostseehandel zu brechen. Schon 1447 entzog König Heinrich VI. von England der Hanse alle Privilegien auf englischem Hoheitsgebiet. Selbst die Kaperung von hansischen Baiensalzschiffen unternahmen die Engländer, um ihre Macht weiter aus zu bauen. Ein 1456 abgeschlossener Waffenstillstand brachte aber nicht die gewünschte Wirkung.
Ein Bote aus Rügenwalde brachte die schlechte Nachricht, dass der Herzog Erich I. von Pommern nach schwerer Krankheit verstarb. Die Mitteilung beinhaltete auch die Beisetzungszeremonie in einem Staatsakt und die Vorstellung des neuen Herzogs Erich II, der auch nach einer dreitägigen Staatstrauer keine Zeit seines Regierungsantritts versäumen wollte.
Kasper von Greifenberg und seine Frau Barbara, sowie Konrad von der Fuhr und seine Frau Hela saßen an einem lauen Frühlingsabend im Mai 1459 vor dem Haus ihrer Pferdefarm und lasen diese recht traurigen Zeilen des Briefes. „Nun hat der Herzog seine schlimme Lungenkrankheit nicht besiegen können. Er hat jahrelang dagegen gekämpft. Ein Mann, den ich sehr mochte und seine große Bescheidenheit bewunderte. Was wird nun die Herzogin unternehmen?“ sinnierte Kasper so vor sich hin. „Sie sagte mal zu mir, sie würde sich ganz aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und in ein Frauenheim für Adelige ziehen. Das sind Häuser, die extra für die älteren Damen der höheren Gesellschaft eingerichtet wurden.“ Erklärte Barbara und trank einen Schluck ihres Rotweines. „Wann ist die Beisetzung?“ fragte Konrad und zündete sich seine geliebte Pfeife mit seiner ganz besonderen Kräutermischung an. „In drei Tagen sollen wir in Rügenwalde sein.“
Die Trauerfeier fand in der Kirche von Rügenwalde statt, alles was Rang und Namen hatte, nahm Abschied von dem doch sehr beliebten Herzog Erichs des I. Die Herzogin stand sehr einsam am Rande des Grabes und ließ die vielen Beileidsbekundungen über sich ergehen. Kasper ging so ziemlich zum Schluss zu ihr, sie schaute ihn an und meinte: „ Wisst Ihr, der Herzog und ich haben Euch wie unseren eigenen Sohn angesehen. Er hat viel von Euch gesprochen und gehalten. Wenn wir alle nachher diesen Staatsakt über uns ergehen lassen müssen, werden wir beide nicht mehr viel Zeit haben, mit einander zu reden.“ Sie gab dem persönlichen Diener vom Herzog einen Wink. Er brachte einen in Leder eingewickelten Kasten mit, den er Kasper von Greifenberg in die Hand drückte. „Dies hier ist ein Abschiedsgeschenk des Herzogs an jemanden, den er sehr verehrte. Bitte haltet es in Gedenken an meinen Gatten. Keiner hat es mehr verdient, als Ihr.“
Die Trauerfeier im Rügenwalder Schloss war ein Staatsakt, an dem viele ausländische Gäste teilnahmen. Abordnungen verschiedener Nachbarstaaten, der König von Polen, der König von Dänemark, ranghohe Leute aus der Wirtschaft und hohe Staatsbedienstete. Die Herzogin hielt entgegen aller zeitlichen Absprachen eine kurze Rede: „ Eure Hoheiten, Eure Durchlaucht, meine Damen und meine Herren. Mein Gatte, Erich I., verstarb nach langer schwerer Krankheit. Er war stets ein besonnender Regent seines Staates und versuchte lieber Konflikte auf dem diplomatischen Weg zu regeln. Waffengänge waren ihm zu wider. Der Aufbau, die Besiedelung und das Wohl seines Volkes stand für ihn im Vordergrund. Deshalb möchte ich den letzten Gruß meines Gatten vom Sterbebett an alle hier Anwesenden richten: „Bemüht Euch alle, in nachbarschaftlicher Eintracht zu leben, denkt an Euer Volk, die Euch verehren, Euch dienen, und Euch zu dem verholfen haben, was Ihr heute da stellt. Was wäre ein Herrscher ohne sein Volk?“ Diese letzten Worte von ihm sollte ich noch weitergeben. Vielen Dank.“
Herzog Erich II., der neue Regent, war sichtlich bemüht, seine Verärgerung über diese Einmischung der Herzogin zu verbergen. Kasper merkte ihm an den Gesichtzügen an, dass er nicht sonderlich erfreut über die Einmischung in seine erste Staatsaktion war. Sie sorgte mit ihrem Auftritt für ihre Aufmerksamkeit, die eigentlich ihm gebührte. Er versuchte krampfhaft seine Fassung zu bewahren und brachte auch nur eine sehr kurze Nachrede auf seinen Vorgänger zusammen:
„ Eure Hoheiten, meine Damen und meine Herren. Der Abgang und Verlust von Erich I. ist ein Verlust für das Land Pommern, und für die vielen Freunde im Land und in den Nachbarstaaten, die seine Herrschaft begleiteten. Ich bitte um eine Schweigeminute im Gedenken an Erich I.“ Alle Menschen in dem großen Saal des Schlosses standen still, schwiegen, eine heruntergefallene Stecknadel wäre schon sehr laut gewesen. „Nun wäre es mir ein Vergnügen, alle hier Anwesenden in den großen Speisesaal zu bitten, damit wir bei einer guten Speise und edlen Getränken an Erich den I. denken, und um vielleicht dabei die verschiedenen Zukunftsperspektiven zu überdenken.“
Nach dem überschwänglichen, fast verschwenderischen Mahl verzogen sich die Damen in den großen Damensalon, und die Männer in den schon fast berühmten blauen Salon, in dem Kasper von Greifenberg, Konrad von der Furt, Nicolaus von Lebbin, Ambrosius von Lingen und Daniel Lukovic, Freunde aus vielen Handelsreisen, schon manche Redeschlacht erlebten. Heute gehörte der Anlass eigentlich zu den etwas stilleren Zusammenkünften, wenn da nicht die Umtriebigkeit von Herzog Erich II. wäre, der keine Zeit unterließ, sich und seine Gedanken in den Vordergrund zu stellen.
Kasper und seine Freunde saßen wie immer an einem bestimmten runden Tisch, wie jedes Mal nach einer Konferenz, rauchten ihre Pfeife und versuchten sich entspannend zurück zu lehnen. Sonst gab es nach dem Essen noch immer einen Doppelbrandigen, aber heute liefen die Diener nur mit Tabletts voll Weingläsern herum. Der Lamegowein aus Portugal schien bei allen Beteiligten wohl der begehrteste zu sein. Nicolaus winkte einem der Bediensteten und gab ihm den Auftrag einige Gläser mit Doppelbrandigen zu besorgen. „Mein Herr, wir dürfen keinen derartigen Schnaps mehr ausschenken, da, laut Herzog, dies nur für Fuhrleute ist.“ Nicolaus und Freunde schauten den armen Saaldiener an, und wussten nicht, was sie dazu sagen sollten. „ Ich weiß, dass Ihr als Diener seinem Herzog folgen müsst. Dann tut mir den Gefallen, stellt draußen in der Getränkeküche eine Flasche mit Gläsern für uns bereit, ich hole mir das gleich selbst ab.“
Der Diener grinste verstehend und ging in seinem ruhigen Gang aus dem Salon. „Das wollen wir doch einmal sehen, uns zu verbieten, einen Doppelbrandigen zu trinken. Wir sind stolz, Fuhrleute zu sein.“ So böse hatte ihn von seinen Freunden schon lange keiner mehr gesehen. Nicolaus stand auf und ging aus dem Salon. In der Getränkeküche schien dies wohl das Gesprächsthema Nr. 1 zu sein, denn alle erwarteten einen gewaltigen Ärger. Nicolaus nahm sich die Flasche, die Gläser, stellte alles demonstrativ auf ein Tablett und marschierte wie ein Saalkellner durch die Tischreihen zu dem Tisch seiner Freunde. Er stellte jedem ein Glas hin, öffnete in aller Ruhe die Schnapsflasche und schenkte allen einen guten Doppelbrandigen ein.
Sie stießen alle mit einander an und sagten: „Prost auf den Herzog, in seinem Gedenken.“ Sie setzten gleichzeitig die Gläser wieder ab. Inzwischen wurden einige der Gäste aufmerksam auf das wiederkehrende Ausschenken des Doppelbrandigen und beauftragten den Saaldiener, ihnen ebenfalls so ein Getränk zu besorgen. Der Saaldiener erklärte, dass dieses Ausschänken auf Anraten des Herzogs nur etwas für Fuhrleute wäre, und nicht auf dem Niveau der anderen Gäste. Einige der Gäste schüttelten unwillig den Kopf, und konnten nicht begreifen, was hier so abging. Die fünf Freunde ließen sich von diesem Getuschel nicht weiter beirren und besorgten sich bereits eine zweite Flasche.
Das immer „Prost, auf sein Gedenken“ gehörte anschließend zum ständigen Ritual. Dem Herzog gefiel diese Unterwanderung seiner Autorität überhaupt nicht, und ließ durch einen Saaldiener den Schnaps trinkenden fünf Männern mitteilen, sie möchten sich bitte an seinen Tisch begeben, um zu erklären, was dieses Saufgelage zu bedeuten habe. Nicolaus schaute recht lange dem armen Saaldiener in die Augen und meinte: „ Teilt Eurem Herrn mit, dass wir gleich kommen.“ Der Diener ging zum Tisch des Herzogs und teilte ihm mit, was Herr von Lebbin ihm als Antwort mitteilte. Währenddessen füllte Nicolaus noch einmal die Gläser und es erklang ein: „Prost, in seinem Andenken.“ Danach setzten alle gleichzeitig die Gläser auf den Tisch und gingen in aller Seelenruhe zum Tisch des Herzogs.
„Eure Durchlaucht, ihr wolltet uns sprechen?“ „Was bedeutet dieses Trinkgelage? Ihr habt meine Anordnungen unterwandert. Ich habe ausdrücklich angeordnet, kein Schnaps. Wir wollen uns doch nicht auf die unterste Stufe eines Fuhrmannes stellen. Diesmal war es Kasper, der antwortete. Mit einem sehr schneidenden Ton sagte er: „Eure Durchlaucht, wir stellen uns gerne auf die Stufe von Fuhrleuten, denn wir sind welche. Alles was Ihr heute zu trinken und zu essen hattet, kam nur mit Hilfe von Fuhrleuten zustande. Unser Land Pommern ist nur durch die Arbeit vieler Fuhrleute zu dem geworden, was es heute ist. Wenn Euch unsere Anwesenheit nicht gefällt, dann werden wir, ohne weiteren Kommentar, diesen Saal verlassen. Wir sind gerne Fuhrleute, und bleiben es auch. Wenn in Pommern bekannt wird, wie Ihr mit Fuhrleuten umgeht, wird kein Sack Zucker, Mehl oder sonstiges mehr hier im Schloss abgeliefert.“
„Ihr seid Herr von Greifenberg. Wenn es Euch nicht passt, dann verlasst dieses Schloss. Über weitere Maßnahmen wird dann noch zu sprechen sein.“ Kasper schaute den Herzog lange an. Er war sicher, dass verschiedene Leute mit an hörten, was der Herzog zu Kasper von Greifenberg gesagt hat. Er verwies ihn aus dem Schloss, eine Ungeheuerlichkeit sondergleichen. „Eure Durchlaucht, es ist Eure Entscheidung.“ Kasper stand auf, seine Freunde folgten. Draußen baten sie den Saaldiener den Frauen Bescheid zu geben, dass sie die Feier verließen.
Dieser Rausschmiss war natürlich bei allen Bediensteten das Gesprächsthema und verursachte nur Kopfschütteln. Im Saal verbreitete sich diese Neuigkeit sehr schnell und viele der Anwesenden konnten diese Ungeheuerlichkeit nicht begreifen. Die Leute, denen das Land so unglaublich viel zu verdanken hatte, wurden vor die Tür gesetzt. Manche der Gäste folgten spontan, und verließen ebenfalls die Feierlichkeit.
Kasper und Freunde warteten vor dem großen Eingangsportal auf die Frauen. „Sagt mal, wollen wir uns morgen zusammen setzen und in Ruhe durchsprechen, was uns bald erwartet? Treffen wir uns auf der Farm.“
Die Diener geleiteten Barbara von Greifenberg und Hela von der Furt bis vor das Eingangsportal, wo ihre Ehemänner auf sie warteten. Konrad erzählte kurz, was sich zugetragen hatte. Auf der Kutschfahrt nach Hause sprach erst einmal keiner, jeder hing seinen Gedanken nach. Es war eine sehr laue Nacht, die Sterne funkelten, der Mond beleuchtete recht spärlich den Weg. Hin und wieder fühlte sich ein Käuzchen gestört, als die Kutsche vorbeiklapperte. „Musste es so weit kommen?“ fragte Barbara. „Nein eigentlich nicht. Aber dann hätte es an einem anderen Tag eskaliert. Der Herzog hätte nicht sagen dürfen: „Wir wollen uns mit Fuhrleuten nicht auf eine Stufe stellen.“ Hätte er gesagt, ich möchte verhindern, dass nachher so viel Schnapsleichen auf zu sammeln sind, oder ähnliches, verpackt in einen kleinen Spaßumschlag, wäre es nicht so weit gekommen. Er will jetzt mit aller Gewalt zeigen, dass er die Staatsgewalt verkörpert, und wir haben alle zu kuschen.“ „Was gedenkt ihr jetzt zu tun?“ fragte Hela. „Ich weiß es auch nicht. Wir treffen uns heute im Lauf des Tages bei uns auf der Farm, und besprechen alles Weitere. Tatsache ist, dass der Herzog einen gewaltigen Schritt zu weit gegangen ist. Ich hoffe, dass sich dies nicht eines Tages rächt.“
Kasper packte das in Leder eingewickelte Paket aus, was ihm die Herzogin auf dem Friedhof überreichte. Er konnte es fast nicht glauben. Herzog Erich I. vermachte ihm sein in Elfenbein geschnitztes Schachspiel, selbst die Felder waren aus Elfenbein und in Intarsienarbeit zusammengefügt. Ein einmaliges Kunstwerk, was für ihn einen großen, hauptsächlich ideellen, Wert darstellte. Selbst eine genaue Beschreibung des Spiels lag dabei. Kasper hatte es immer bewundert, der Herzog wollte ihm bei Gelegenheit die Spielzüge erklären zeigen und beibringen. Er stellte das Spiel, aufgebaut, ehrfürchtig hin, und konnte es kaum fassen, so etwas Edles zu besitzen.
Als seine Freunde zur gemeinsamen Besprechung ins Farmhaus kamen und dieses einmalige Kunstwerk sahen, konnten sie sich an der Schönheit und der Verarbeitung nicht satt sehen.
Nach einem gemeinsamen einfachen Mittagessen, einem Doppelbrandigen und der obligatorischen Pfeife, gingen sie den gestrigen Tag in Rügenwalde noch einmal durch. Nicolaus ergriff als erster des Wort: „Ihr wisst, dass dies für uns Konsequenzen haben wird. Wenn der Herzog weiterhin stur bleibt, werden alle staatlichen Mittel, die wir bisher in Anspruch nehmen durften, gestrichen. Das heißt, jegliche Unternehmungen dürfen wir selbst finanzieren.“ „Du meinst, wenn wir eine Handelsreise unternehmen, müssen wir das Geld dafür selbst aufbringen?“ „Ich denke, er wird versuchen, uns auf diesem Wege zu zwingen.“ „Was ist mit den Schiffen? Können wir die denn noch unterhalten?“ Kasper schaute alle nach und nach an, und grinste. Er stand auf, ging zu einer Kommode mit einer großen Schublade. Dort holte er einen zugebundenen Lederumschlag heraus und legte ihn auf den Tisch. „Was ihr vor euch seht, sind alle Eigentumsurkunden der gesamten Schiffsflotte, der Waffen nebst der Herstellungsrechte, sämtlicher sonstiger staatlichen Errungenschaften, die wir über die Handelsgesellschaft beschaffen konnten. Die gesamten Urkunden teilen sich auf, in die Osthandelsgesellschaft, Gesellschaft staatlicher Sicherheit, Gesellschaft für staatliche Eigentumsrechte, zum Beispiel im Grundbesitz. In allen Urkunden sind die Eigentümer, in Erbfolge deren Familien, ob männlicher oder weiblicher Nachfolger, genannt. Jetzt kommt aber noch das Wichtigste von Allen. Alle Dokumente sind mit dem kaiserlichen Siegel von Kaiser Friedrich III. versehen und tragen seine Unterschrift. Ein Bote des Herzogs reiste vor zwei Jahren extra nach Wien, ließ dort nicht nur die Dokumente signieren, sondern auch in fünffacher Ausführung mit dem Siegel von Kaiser Friedrich III., Kaiser des
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Caspar de Fries
Bildmaterialien: Caspar de Fries
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2012
ISBN: 978-3-95500-914-4
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