Caspar de Fries
Schriftsteller
Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben
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Caspar de Fries
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Die Geschichte schreibt das Jahr 1452. Preußische Hansestädte gründeten den Preußischen Bund, um sich gegen das Deutschordensland des Deutschen Ordens zur Wehr zu setzen. Die vielen Kleinkriege, das Anwerben und Bezahlen von Söldnerheeren, sowie die Verpflichtung vergangener Reparationen durch den Friedensvertrag von Thorn, veranlasste den Orden kräftige Steuererhöhungen in den Hansestädten und im Ordensland durch zu setzen. Mit dieser Wirtschaftspolitik waren sehr viele Bürger der Hansestädte nicht einverstanden und verlangten mehr Unabhängigkeit und Autonomie. Der Orden begann auf zu rüsten. Söldnerheere waren das große Stichwort. Zusätzliches Eingreifen in die Verfassungen der Städte und das Untergraben der führenden Positionen der Stadtherrschaft führte zu immer weiter greifenden Zwistigkeiten. Politisch bestärkte der polnische König Kasimir IV. Jagiello als einziger Herrscher eines Landes den Preußischen Bund, er übernahm letztlich sogar die Schutzherrschaft.
Die Ritterdienste der Inhaber von Dienstgütern waren für den Orden wegen des Aufkommens der Söldnerheere uninteressant geworden. Deshalb versuchte man, die Rechte der Dienstgüter mit allen Mitteln zu verschlechtern. Das Herzogtum Pommern versuchte sich aus diesen Streitereien heraus zu halten, konnte es aber nicht verhindern, dass man sie mehr oder weniger zwang, sich für eine Seite zu entscheiden, und das war letztlich das Königreich Polen, was durch verwandtschaftliche Gegebenheiten schon für sich sprach. Kasper von Greifenberg und seine Freunde waren froh, nicht für den Deutschen Orden eingespannt zu werden und kümmerten sich erst einmal um die eigenen Belange und geschäftlichen Unternehmungen. Doch, wie immer kam es anders, als alle Beteiligten sich es je gewünscht hatten. Die Zeichen standen auf Krieg, aus dem sie sich nicht so einfach enthalten konnten.
Kasper von Greifenberg und Konrad von der Furt waren mit ihren Pferdezuchterfolgen inzwischen bis weit über die Grenzen von Pommern bekannt. Fuhrunternehmen aus vielen Ländern Westeuropas kauften die starken Zugpferde, die Brabanter, die Armeen erhielten vorab ausgebildete Reitpferde und die Osthandelsgesellschaft, die sich aus verdienten Fuhrmännern gebildet hatte, folgte den vielen Handelsabkommen, die auf den verschiedenen Handelsreisen der letzten Jahre, mit der finanziellen Unterstützung des Landes Pommern, abgeschlossen wurden. Eigentlich sollten alle Beteiligten rund herum zufrieden sein. Aber, die Weltpolitik meinte es zurzeit nicht gut mit Ihnen. Wie immer wollten die Mächtigen mehr, die anderen waren auch schon mächtig, gaben aber von ihrer Macht nichts ab, der Konflikt war unausweichlich.
In Greifenberg hatte sich in den vergangenen Jahren auch viel verändert. Es gab eine Schule, wo alle Kinder, ob arm oder reich, schreiben, lesen und rechnen lernten. Diese Anregung brachte Samuel, der ehemalige Prediger, der nach einem Siedlertreck aus den Westländern Leiter des Kontors der Osthandelsgesellschaft wurde, und es mit seiner Hilfe zu einem sehr florierenden Unternehmen machte. Die Kinder von Kasper, Viktoria und Josua besuchten die neue Schule in Greifenberg. Babara, Kaspers Ehefrau, leitete das Unternehmen Pferdefarm, führte genau Buch über alle Zuchtergebnisse, kümmerte sich um die Löhne für die Farmangestellten und produzierte in ihrer Freizeit Honig mit eigenen Bienenvölkern. Die Aufzeichnungen des Bienenhändlers aus Kaunas halfen allen, mehr aus dieser sehr interessanten Tätigkeit zu machen. Inzwischen versuchten sich viele Menschen der Umgebung, an der Gewinnung von Honigprodukten. Das Getränk Met fand als Nebenprodukt sehr großen Anklang bei größeren Feiern.
Konrad, Kasper und Barbara, Clara, Elisabeth und Samuel saßen an einem schönen lauen Sommerabend im Juli 1452 vor ihrem Wohnhaus auf der Sitzgruppe und genossen den Abend mit einem Glas Wein, und wer rauchte, genoss noch zusätzlich seine Pfeife. Samuel brach das Schweigen, er, der mittlerweile ein sehr anerkannter Schuhmachermeister geworden war, und mit vielen Ideen neue Schuhkreationen entwarf. „In der Stadt erzählt man, dass die Zeichen auf Krieg stehen. Der Deutsche Orden und der Preußische Bund rüsten auf. Wisst ihr etwas Genaues?“ „Nein,“ meinte Kasper, „ich denke, wir werden in den nächsten Tagen nach Rügenwalde kommen müssen, da werden wir mehr erfahren.“ „Wird denn so ein Krieg sich auch auf unsere Region ausdehnen?“ fragte Barbara ganz besorgt. „Noch wissen wir gar nichts, noch hat kein Krieg begonnen. Aber möglich ist natürlich alles,“ brummelte Konrad so vor sich hin. „Sag mal Konrad, wenn es wirklich zum Äußersten kommt, was machen wir dann mit den Pferden? Egal wer in unsere Nähe kommt, unsere Brabanter werden ein bevorzugtes Ziel sein. Sie werden viele Pferde brauchen.“ „Vielleicht bringen wir sie weg, aber wohin?“ „Wir sollten uns darüber frühzeitig Gedanken machen.“
Ein Bote des Herzogs brachte die Einladung zu einer dringenden Konferenz in Rügenwalde. Konrad und Kasper sattelten ihre schwarzen Rappen und machten sich sofort auf den Weg. Sie waren gespannt über die Neuigkeiten, die sie auf die so wichtigen politischen Gegebenheiten einstimmen sollten. In Treptow trafen sie sich mit Daniel Lukovic, dem Schiffskommandanten ihrer Schiffsflotte, Ambrosius von Lingen, der die Sicherheitsabteilung der gesamten Trecks leitete, und Nicolaus von Lebbin, der Treckführer aller Handelsunternehmungen. Gemeinsam ritten sie zur herzoglichen Schlossanlage in Rügenwalde, um die wichtigen politischen Ereignisse in dieser Zusammenkunft aller wichtigen Persönlichkeiten des Herzogtums Pommern zu erfahren. Auf dem Innenhof vor dem großen Eingangsportal warteten bereits die Diener in ihren rotweißen Livrees, um die Gäste in den großen Konferenzraum zu geleiten. Ein Stallbursche kümmerte sich derweilen um die Versorgung der Pferde.
Im Konferenzraum warteten der Kanzler, der Militärattache aus Kopenhagen, der Kriegsminister und noch weitere maßgebliche Persönlichkeiten aus dem Wirtschaftsleben. Der persönliche Diener des Herzogs stieß zwei Mal mit seinem Stab auf den Boden: „Seine Majestät Herzog Erich I.“ Eine große Flügeltür öffnete sich, und der Herzog schritt schnellen Schrittes bis in die Mitte des Konferenzraumes und begrüßte seine Gäste: „ Meine Herren, ich begrüße Euch ganz herzlich zu dieser etwas außergewöhnlichen Konferenz, die, wie ich meine, von großer Wichtigkeit für unser Land, und darüber hinaus, sein wird. Bevor wir mit den wichtigen Informationen beginnen, möchte ich Euch alle, im Namen unseres Landes, für die wichtigen Erfolge im wirtschaftlichen Aufschwung unserer Region danken. Nur durch viel Pionierarbeit, Eigeninitiative und Vorausschau gelang es uns gemeinsam, das Land in eine aufstrebende und gewinnbringende Wirtschaftseinheit zusammen zu halten. Darauf möchte ich mit Euch mit einem traditionellen Doppelbrandigen anstoßen.“ Ein Saaldiener reichte auf einem Tablett die gefüllten Gläser, ein gemeinsames „Prost“ ertönte, und alle Anwesenden setzten sich an den großen, runden Konferenztisch.
„Meine Herren, ich möchte zu erst den politischen Hintergrund erklären, damit Ihr Euch über die komplizierte Situation selbst ein Bild machen könnt. Seit langer Zeit gab es wiederholt kriegerische Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Orden und seinem Nachbarn Polen und Litauen. Bereits 1409 verlor der Orden in der Schlacht bei Tannenberg den ausgebrochenen Konflikt mit der Polnisch-Litauischen Union. Im Friedensvertrag von Thorn musste sich der Orden zu Reparationen verpflichten, worauf Hochmeister Heinrich der Ältere von Plauen massive Steuererhöhungen im Deutschordenland durchsetzte. Mit dieser Wirtschaftspolitik waren viele Bürger in den Hansestädten nicht einverstanden und versuchten mehr Unabhängigkeit und Autonomie zu erreichen, vergleichbar mit dem Status der reichunmittelbaren Städte im Heiligen Römischen Reich. Zu diesem Zweck wurde der Preußische Bund unter Führung des Deutschritters Johann von Baysen gegründet und beim polnischen König Kasimir IV. Jagiello um Hilfe ersucht. Gleichzeitig wollte der Hochmeister vom Deutschen Orden, Heinrich von Plauen, sich nicht mit dem Ersten Thorner Frieden abfinden. Er begann auf zu rüsten. Bloß, dafür, und für die Zahlungsverpflichtungen aus dem Friedensvertrag benötigte er viel Geld, welches er den Städten und Landständen abverlangen wollte. Für alle Beteiligten verbesserte sich nicht die Gesamtsituation, als man Heinrich von Plauen absetzte. Für den Deutschen Orden begannen die Ritterdienste der Inhaber von Dienstgütern, den Rittergütern, uninteressant zu werden, weil die Ansiedlung von Bauern, als Wehrbauern, auf den Ländereien der Rittergüter mehr Zinseinnahmen brachten, demnach waren die Ritterdienste weniger wert. Der Orden untergrub die Rechte der Ritter mit allen Mitteln, selbst ein massives Eingreifen in die Verfassungen der Städte mit dem Besetzen führender Positionen in den Stadtherrschaften sollte die gewünschte Autorität stärken.“
Der Herzog nahm ein Schluck Wasser zu sich, hüstelte etwas in ein Leinentuch, trank noch einen Schluck um weiter fort zu fahren. Man merkte ihm an, dass seine Gesundheit nicht die Beste war. Er riss sich sehr zusammen und erklärte die derzeitige Lage weiter: „Politisch stärkte der polnische König die preußischen Stände. Er machte sie zu den Garanten der Friedensverträge von 1422 und 1435. Er gab dem Adel und den Städten die Macht, auf die Außenpolitik des Ordens Einfluss zu üben, der sich natürlich sämtliche Einmischungen in seine Belange verbat. Das Alles zusammen führte zu einer sehr bedrohlichen Stimmung gegen den Orden. Am 14.März 1440 schlossen sich die preußischen Stände, der Adel und die Städte in Marienwerder zu einem „Bund der Gewalt“ zusammen, um sich nicht vom Orden zu lösen, sondern sich gegen die Unterdrückung zu wehren und mit einer Stimme zu sprechen. Die vielen Meuchelmorde in Danzig und anderen Städten trugen nicht zur Befriedung dieser aufgeheizten Stimmung bei. Nach Gründung des „Engen Rates“ mit Sitz in Thorn, verlangte der neue Hochmeister des Ordens, Ludwig von Erlichshausen, die Auflösung des Bundes. Der Bund lehnte ab. Jetzt obliegt es beim Kaiser, ob der Bund rechtmäßig ist oder nicht. Nächstes Jahr, am 24. Juni 1453 soll der Gerichtstag in Wien sein. Der Bruch mit dem Deutschen Orden ist damit vollzogen worden, ohne dass bisher eine feste Vereinbarung mit dem König getroffen worden war. Soweit steht es jetzt, alles deutet auf einen Krieg hin.“
Die am Konferenztisch sitzenden Herren mussten diese doch sehr emotionale Berichterstattung ihres Landesherren erst einmal sacken lassen, und sich der Gefahr, in der sie sich befanden, bewusst werden. Der Kanzler, zweiter Mann im Staat, durchbrach das Schweigen: „Meine Herren, unser Staat steht in einer verzwickten Situation. Wir können sagen, dass wir uns aus Allem heraushalten, was sicherlich die bessere Variante ist. Aber die herzogliche Familie hat auch verwandtschaftliche wie auch wirtschaftliche Berührungspunkte mit beiden Parteien zu erfüllen. Das ist unser Problem, dem wir uns stellen müssen.“ Kasper von Greifenberg rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, so, als wenn er was sagen wollte, aber nicht genau wusste, wie er das Problem anpacken sollte. Der Kanzler sah diese unruhigen Regungen, und wusste sofort, dass gleich ein intensives Frage- und Antwortspiel auch mit den anderen Konferenzteilnehmern kam, weil der junge von Greifenberg eine Begabung hatte, sehr umsichtig und detailliert in die Problematik ein zu steigen. „Herr von Greifenberg, ich sehe Euch an, dass Ihr mit dieser kommenden politischen Entscheidung einen etwas anderen Vorschlag habt, als es in der gängigen Praxis üblich ist.“ „ Ja, in der Tat sehe ich unseren Landesanteil zu kriegerischen Auseinandersetzungen etwas anders. Welche verwandtschaftlichen Verpflichtungen hat das Herzogtum Pommern zu unseren Nachbarn? Inwiefern ist Polen auf unsere militärische Hilfe angewiesen? So weit ich weiß, ist deren Heer mit dem der Litauer eines der größten Armeen um uns herum. Wir Pommern brauchen doch unsere Soldaten mehr zur Grenzbewachung und zur Ordnung im eigenen Land. Militärisch sind wir für die nur ein unbedeutender Fleck.“ Ihr habt sicherlich recht. Unser Herzog ist ein entfernter Cousin der polnischen Königin. Wir besitzen eine Vertragsurkunde mit Polen, zu einem Nichtangriffspakt der Polen, und einen weitgehenden Handelsvertrag mit der Hauptstadt Warschau. Außerdem dürfen wir uneingeschränkt deren Gewässer für unsere Schifffahrt nutzen.“ „Das sagt also nichts über einen militärischen Beistand aus. Und so lange die Polen keine offizielle Anfrage stellen, brauchen wir auch nichts unternehmen? Ist das so richtig?“ „Das ist richtig.“ „Mit der anderen Seite, dem Deutschen Orden, haben wir keinen Vertrag oder Vereinbarung, außer laufend Ärger. Ist das auch so richtig?“ „So weit ich informiert bin, bestehen dahin keinerlei Verpflichtungen.“
„Wie sieht es denn nun mit der Hanse aus? Es gab in der Vergangenheit ein paar Neider innerhalb der Hanse, die uns ständig etwas anhängen wollten. Wir haben damals diese Tauschverträge installiert, was ihnen gar nicht gefiel. Aber wie stehen denn die oberen Kaufleute in Lübeck und Hamburg zu unserem Land Pommern?“ „Wir haben mit den Städten Lübeck und Hamburg direkte Handelsabkommen, mehr nicht.“ „Also brauchen wir uns nicht in diese gesamte Angelegenheit einmischen, oder werden wir aufgefordert, da mit zu machen?“ „So weit ist es noch nicht.“ „Kann es sein, dass die Hanse von uns gewisse technische Errungenschaften verlangt, oder erst darum bittet? Ich dachte an unsere Schiffe, die Armbrustkanonen und ähnliches?“ „Das könnte eine Möglichkeit werden, die wir hier aber noch nicht ausdiskutiert haben.“ „Wenn beide Seiten aufrüsten, kann es sein, dass wir, das Land Pommern, Sachgüter an die großen Nachbarn abgeben müssen?“ „Bis jetzt hat noch keiner angefragt.“
„Wir haben uns mit den Erfolgen der Handelsfahrten und der Ostbesiedelung einen Namen gemacht. Unsere Handelsgesellschaft ist überall bekannt, und man kennt unsere saubere Arbeitsweise. Kann es sein, dass man mit dieser Auseinandersetzung uns zwingen will, einer Seite bei zu stehen, egal wer, um unsere Handelsbeziehungen zu untergraben, sie unmöglich zu machen? Wenn das so ist, und ich glaube, da liege ich gar nicht verkehrt, wäre es besser, wir würden in der Zeit des nahen Krieges eine Handelsreise in die andere Richtung unternehmen, um unsere Kapazitäten anderswo zu binden. Ich meine damit, kein Wagen, kein Schiff, kein verfügbares Zugpferd könnte von einem der Kontrahenten verlangt werden, sie sind eben im Einsatz.“ Es folgte ein längeres Schweigen, weil man an diese Möglichkeit noch gar nicht gedacht hatte. Denn, wo nichts ist, kann man nichts holen, so einfach ist das.
Der Herzog grinste in die Runde, musste dabei etwas husten, hatte sich aber nach kurzer Zeit wieder im Griff. Ein paar andere Herren grinsten mit. Nicolaus von Lebbin hatte sich bisher aus der Diskussion herausgehalten, mischte sich aber jetzt ein, weil sein Ressort gefragt war. „Meine Herren, ich denke auch, das wäre diplomatisch wie auch wirtschaftlich für unser Land eine weitere Möglichkeit, mit friedlichen Mitteln zu versuchen, einer ernsthaften Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Wir hatten bei unseren Unternehmungen auch kriegerische Momente zu überstehen, versuchen aber stets den humanen Weg zu wählen. Ich glaube auch, dass wir mit dieser Möglichkeit uns allen helfen.“
Der Militärattache von Kopenhagen meldete sich zu Wort: „Meine Herren, ich verfolge mit großem Interesse diese Konferenz, und ich muss sagen, hier wird mit sehr viel Weitsicht in die Zukunft operiert. Ich glaube, wenn sich alle Kriegskontrahenten an diese Nase fassen würden, gäbe es bald keine Kriege mehr, bloß das ist nur ein Wunschtraum. Mein Vorschlag für Ihre Unternehmungen wären die nordischen Länder, eingeschlossen Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland. Deren Handelskapazität ist enorm, angefangen mit Holz, Felle, Handwerksprodukte in allen Möglichkeiten. Ich glaube, das wäre eine Überlegung wert.“ „Gehe ich recht mit meiner Annahme, dass vor dem 24. Juni 1453, dem Gerichtstag, die gegnerischen Parteien sich noch zurückhalten, um im Hintergrund, in aller Stille, sich auf den Ernstfall vorbereiten?“ fragte Kasper und nahm seinen Zettel hervor, auf dem er sich verschiedene Stichpunkte notiert hatte. „Ich gehe davon aus, dass vorher keinerlei offene kriegerische Handlungen ausgetragen werden,“ meinte der Kanzler. „Dass hieße dann, wenn wir ein Unternehmen planen, hätten wir Zeit bis in das Frühjahr 1453. Das hieße auch, dass unser Unternehmen so große Dimensionen haben sollte, dass wir alle Reserven unserer Frachtmöglichkeiten ausschöpfen müssten, und eventuell noch gewisse Neuerungen mit einfließen lassen.“
„An welche neuen Überlegungen denkt Ihr,“ fragte der Herzog, „Auf unserer letzten Krimreise überlegten wir, einen Wagen für die Schiffe zu konstruieren, den man auseinandernehmen kann. Das spart Platz, und schafft mehr Frachtraum. Die zweite Überlegung ist ein Schiff mit Rädern zu versehen, die man nach Bedarf wegklappen kann, und zwar so, dass die Räder gleichzeitig als Seitenschilder zur Stabilisierung bei Seegang dienen. Als Drittes überlegten wir ein Schiff so zu konstruieren, dass der Bug mit einer Bugklappe bei Landungsmöglichkeiten auf einem Strand oder Sandbank dienen kann. Das wäre ein Vorteil für den Transport von Pferden, die dann gleich durch den Bug das Schiff verlassen können. Als vierte Überlegung war unsere Schiffsflotte zu erhöhen, um viel mehr die Flüsse als Handelswege aus zu nutzen. Unsere zehn Schiffe, mit den Pferden sind einfach zu wenig für große Unternehmungen. Geeignete Lastprähmen zum Umbau liegen schon länger parat.“ Wie immer hörten alle Anwesenden gespannt zu und ließen die Worte von Kasper von Greifenberg erst einmal auf sich wirken. „Meine Herren, ich denke wir haben heute viele Informationen vernommen, die Anlass zu weiteren Diskussionen geben. Wir werden am heutigen Abend noch ausreichend Zeit finden, das ein oder andere Thema beim abendlichen gemeinsamen Mahl zu vertiefen. Auch nachher in einer gemütlichen Runde, bei einem oder auch mehreren Gläsern Wein in einer lockeren Atmosphäre den Abend ausklingen lassen. Ich sage bis nachher.“
Die Konferenzteilnehmer trafen sich nach einem vorzüglichen Abendessen in dem blauen Salon, wo sie sich an verschiedenen runden Tischen setzten, gemütlich ihre Pfeifen stopften und genussvoll den Rauch inhalierten. Ambrosius, Kasper, Konrad, Daniel und Nicolaus saßen an einem Tisch, ließen sich von einem der Saaldiener ein Tablett mit Gläsern voll Doppelbrandigen bringen, um ihre Zusammenkunft nach einigen Monaten mit einem kräftigen Schluck zu genießen.
„Was haltet ihr von unserer jetzigen Lage in Pommern?“ fragte Konrad und schaute seine Freunde in der Runde an. „Ich weiß auch noch nicht, was ich davon halten soll,“ meinte Ambrosius und zog nachdenklich an seiner Pfeife, „die Idee von Kasper, ein neues Unternehmen zu starten finde ich gut, und werde es voll unterstützen, aber wie lange müssen wir abwesend sein, um allen Meinungen aus dem Weg zu gehen? Wie lange wird dieser Konflikt andauern?“ „Ich denke, wir sollten auch noch einmal über das Ziel unserer neuen Reise nachdenken,“ fügte Nicolaus von Lebbin hinzu, „der Norden? Hilft uns das entscheidend weiter?“ „Ich glaube, wenn wir diesmal eine richtig große Tour machen wollen, dann nehmen wir uns Britannien vor, dann gehen wir allen Schwierigkeiten mit dem Orden, der Hanse, Polen und Litauen aus dem Weg,“ meinte Daniel und schaute in die Runde. „Britannien, da müssten wir aber über die Nordsee fahren, schaffen das unsere Schiffe?“ fragte Kasper. „Warum nicht, die sind seetüchtiger, als ich es für möglich gehalten habe. Die Idee mit den Zwillingsschiffen hatte sich bewährt. Aber sage mal, deine neuen Ideen mit den Schiffen, wie hast du das gemeint?“
„In unserer Runde saßen zwei Herren ganz außen am Fenster mit den grauen Haaren. Ich überlegte die ganze Zeit, wo ich diese Herren schon einmal gesehen hatte. Mich traf es wie der Blitz. Schaut einmal nach vorne zu dem Tisch, neben dem blauen Vorhang, die beiden meine ich. Die kennt ihr auch. Das sind Handelsreisende im Auftrag der Hanse. Die werden der Hanse brühwarm erzählen, was hier so besprochen wurde. Als wir die Schwierigkeiten in Danzig hatten, waren diese beiden auch da. Jetzt zu deiner Frage. Das Schiff mit der Bugklappe war nur ein blödsinniger Einfall, ich denke nicht, dass so etwas klappt, da kommt Wasser durch. Außerdem sollte es als Irreführung für die Hanse sein, denn sonst wäre es ein wunderbarer Einfall als Truppentransporter. Alles andere, was ich vorgeschlagen hatte, sollten wir testen.“
„Ein Schiff mit einer Bugklappe funktioniert. So etwas hat schon mal jemand versucht, da kam dann ständig Wasser rein. Wenn aber eine gute Verriegelung zur Verfügung steht, klappt das. Wir sollten den Versuch wagen.“ Meinte Daniel und zündete sich erneut eine Pfeife an. „Wer bestimmt nun, wo unsere Reise hingehen soll,“ fragte Konrad und lehnte sich etwas zurück, „oder ist uns das selbst überlassen?“ „Nein, letztlich bestimmt der Herzog mit Absprache des Kanzlers über weitere Aktivitäten, aber wir können durch unsere Einwände die Wünsche steuern.“ Sagte Nicolaus und schaute zu dem Tisch der beiden Hanse-Vertreter und noch so einigen anderen Wirtschaftsexperten des Landes. „Wir sollten uns ein wenig unter die Leute mischen, um noch mehr Informationen zu erhalten. Kasper, ich sehe dir an, dass es dir unter den Nägeln brennt, diese Herren etwas aus der Reserve zu locken, tue deinen Gefühlen keinen Zwang an. Ich gehe derweil an den Tisch des Herzogs, wir sprechen uns dann später.“ Daniel Lukovic grinste vor sich hin, schaute Konrad an und meinte: „das wird sicherlich gleich wieder spaßig, wenn Kasper diese Herren befragt, komm Konrad, sollten wir uns nicht entgehen lassen. Ambrosius ging zum Tisch des Kriegsministers, während Kasper an den Tisch der verschiedenen Wirtschaftsexperten trat:
„Meine Herren, darf ich mich einen Augenblick zu Euch setzen, denn Eure Meinung über die jetzige politische Lage würde mich auch einmal interessieren.“ „Bitte gerne, setzt Euch zu uns, von Euch haben wir schon eine Menge gehört.“ „Ich hoffe nur Gutes,“ meinte Kasper und schaute die beiden Handelsvertreter an, „Sagt einmal, liege ich da richtig, hatten wir uns nicht schon mal in Danzig gesehen? Ach ja, richtig, Ihr ward damals im Auftrag der Hanse in Danzig, als wir mit den Schiffen auf unserer Handelstour unterwegs waren. Naja, die Welt ist wirklich klein.“ Den beiden Herren war dieser Ausspruch, von wegen Hanse und Danzig, recht unangenehm, man merkte ihnen an, dass sie sich etwas unwohl in ihrer Haut fühlten. „Und was verschlägt Euch so nach Pommern? Will die Hanse hier bei uns ein Kontor errichten? Oder seid Ihr extra wegen unserer Konferenz hier in Rügenwalde?“
„ Nein wir sind auf ausdrücklichen Wunsch Eures Kriegsministers einer Einladung gefolgt, weil wir durch unsere Tätigkeit viel mit anderen Nationen zu tun haben.“ Welche Meinung habt Ihr zur politischen Gesamtlage, können wir uns dem allgemeinen Sog entziehen?“ „Wahrscheinlich nicht, denn Pommern liegt mitten im Streitgebiet. Es wird für das Herzogtum nicht zu verhindern sein, sich zuletzt für eine Seite zu entscheiden.“ „Für wen sollten wir uns denn entscheiden?“ „ Naja, für die Mächtigeren, die nachher die Oberhand haben.“ „Und wer wird das sein?“ „Wir, die Hanse wird als Gesamtsieger aus diesem Konflikt hervorgehen.“ „Wenn wir aber versuchen uns neutral zu verhalten, werden wir von allen Seiten wirtschaftlich isoliert, ist das so?“ „Die Hanse akzeptiert nachher nur die, die auch in den schwierigen Zeiten zu ihr gehalten hat.“ „Das heißt, keine Akzeptanz heißt gegen die Hanse. Ihr macht es Euch aber sehr einfach. Wir halten uns heraus, das heißt aber, dass wir andere akzeptieren, da ist der feine Unterschied. Die Hanse musste unsere Tauschverträge mit den Städten auch akzeptieren, auch wenn ihr es sehr schwer fiel. Wer kontrolliert die Handelsverträge?“
„Das ist unsere Aufgabe, dafür bereisen wir die Städte und Länder.“ „Dann ward Ihr die ersten der Hanse, die über die Tauschverträge Bescheid wussten.“ „So kann es gewesen sein.“ „Meine Herren, dann weiß ich auch, wer uns gewisse Leute geschickt hatte, um unsere Reise auf zu halten. Seid froh, dass Ihr hier als Gast im Schloss des Herzogs von Pommern seid, sonst würde ich Euch zu recht weisen.“ „Mein Herr, wie sprecht Ihr mit uns?“ „So wie Ihr es verdient, wir versuchen schon länger zu ergründen, wer am Meisten von unseren Misserfolgen profitieren würde, wenn man uns erledigt hätte. Unsere Vertragsformen konnten noch gar nicht so schnell nach Lübeck oder Hamburg gelangen. Es mussten Leute vor Ort sein, die nur ihren eigenen Profit im Auge hatten, die auch noch, wie sich herausstellte, an der Hanse vorbei in die eigene Tasche wirtschafteten. Ihr seid die Wölfe im Schafsfell.“
Die anderen Herren am Tisch waren sehr irritiert und wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Kasper drehte sich um und ließ die verdutzten Herren am Tisch sitzen, um wieder seinen alten Platz ein zu nehmen. Daniel und Konrad hatten das gesamte Gespräch mit angehört und waren sich der Tragweite dieser Anschuldigung bewusst. Denn dies gab gewaltigen Ärger. Nicolaus wurde bereits leise über diesen Zwischenfall informiert und fühlte sich verantwortlich, hier etwas zu unternehmen. Er sagte zum Herzog ein paar Worte, der stand auf und sagte laut in die Runde: „Meine Herren, Herr von Lebbin möchte Euch eine wichtige Mitteilung machen, bitte Herr von Lebbin.“ „Meine Herren, ich war verantwortlich für die Handelsreise auf die Krim. Unser Auftrag lautete, mit vielen Städten unterwegs Handelsabkommen zu treffen. Klar, in den größeren Städten existierten bereits die Handelsverträge mit der Hanse, die laut Vertrag kein weiteres Vertragswerk duldete. Aber einem Tauschvertrag, Ware gegen Ware, konnten sie nichts entgegensetzen und mussten erst einmal klein bei geben. Aber so etwas hat mit Verlust zu tun. Die Hanse duldet keinen Verlust, nur Gewinn. Also wurde unser kleines Handelsunternehmen schlecht gemacht, wir wurden als Banditen, Seeräuber und was nicht alles tituliert. Man schickte uns Söldnerheere hinterher, Soldaten in verschiedenen Städten sollten uns aufhalten, immer wieder mit den gleichen Anschuldigungen. Als es uns gelang, ein paar dieser Wegelagerer gefangen zu nehmen, konnten wir zumindest erfahren, wer etwas gegen uns hatte. Nur, wir wussten nie, wer bei der Hanse dahintersteckte, jetzt wissen wir es. Die beiden grauhaarigen Herren, dort an dem Tisch, sind für diese hinterhältigen Aufträge verantwortlich. Dadurch, dass man sie am Warenumsatz der Städte beteiligte, verloren sie durch unsere Tauschhandelsverträge eine Menge Geld. Verständlich, aber diese Mordaufträge gingen doch etwas zu weit. Ich beantrage hiermit die Festsetzung dieser beiden Herren und eine gerichtliche Verurteilung.“
Der Herzog stand auf und sagte: „ Meine Herren, es tut mir leid, Euch so viel Umstände machen zu müssen, aber mit diesen Anschuldigungen kann ich die beiden Herren nicht gehen lassen und werde sie von der Schlosswache in unserem Kerker einsperren lassen. Wache, bitte waltet Eures Amtes.“ Vier Schlosswachen geleiteten die zwei Hanse-Vertreter zum Gefängnis, damit in den nächsten Tagen ein ordentliches Gericht über sie entschied.
Mit so einem Auftritt am Abend hatte keiner der Beteiligten gerechnet, Kasper am Wenigsten. Der Herzog winkte ihn zu sich an den Tisch, um mehr über diese so prekäre Situation zu erfahren. „Herr von Greifenberg, wie kamt Ihr darauf, dass diese beiden Männer die Drahtzieher verschiedener Überfälle waren?“ „Eigentlich durch Zufall. Es war schon jedes Mal recht seltsam, dass wir kurz nach einem Vertragsabschluss mit weiteren Überfällen zu tun hatten. Als man versuchte, uns mit einer ganzen Hanseflotte ein zu kreisen, mit Kanonen auf den Grund der Ostsee zu befördern, konnten wir es noch nicht verstehen. In Memel verweigerte man uns als Banditen und Seeräuber die Liegeerlaubnis, das machte uns das erste Mal richt stutzig. Danach setzten sich viele einzelne Steinchen als Mosaik zusammen. Am heutigen Abend sah ich diese beiden Männer. Ich erkannte sie aus Gesprächen in Danzig wieder. Das Frage und Antwortspiel vorhin ergab dann die Gewissheit, ihre Antworten, ihre Gesten, ihr Verhalten. Sie leugneten letztlich auch nicht, weil sie wussten, dass das Spiel aus ist. Das sind die Schuldigen. Sie haben sich für den Tod von vielen Hanseleuten, Soldaten und auch Zivilisten zu verantworten. Deren Profitgier ließ sie blind werden, sie konnten die Realität und den eigenen Wunschtraum nicht mehr trennen. Sie sind schuldig, im Sinne der Anklage.“ „Ich werde unseren obersten Richter bitten, sich der Sache an zu nehmen. Ein Schuldspruch würde für beide die Todesstrafe bedeuten.“
„Eigentlich sollte der heutige Tag anders ausgehen, aber wie ist Eure Meinung zum Thema neue Handelsreise?“ fragte Kasper, um wieder auf das Wesentliche zu gelangen. „Grundsätzlich fand ich Euren Vorschlag, eine weitere Fahrt zu unternehmen, um alle Reserven in puncto Zugtiere zu binden, sehr gut. Aber wir sollten auch überlegen, wo wir in Zukunft die meisten Vorteile herausziehen können.“ „Haben wir in Pommern noch freie Hufen zur Verfügung, die wir an Siedler vergeben könnten?“ „Da habt Ihr eines meiner Lieblingsüberlegungen angeschnitten. Wir hätten noch einige brachliegende Hufen zu vergeben. Vielleicht sollten wir diesmal nicht einfach werben, sondern uns ausgebildete Handwerker ins Land holen. Menschen die gewillt sind, sich hier zu entfalten.“
„Die Idee finde ich besonders gut, denn nur mit solchen Leuten halten wir unser Land wirtschaftlich stabil. Dann käme für uns nur eine Reise in den äußersten Westen in Frage, wo es gute Schiffsbauer, Weber, Zimmerleute und Mauerer gibt.“ „Ich sehe, Eure Weitsicht ist anders gestrickt, als nur das Abenteuer.“ Der Herzog nahm wieder sein Leinentuch heraus und hustete in das Tuch. Kasper sah einige Blutflecken in dem Tuch und machte sich ernsthafte Sorgen um den Herzog. Jemand der beim Husten Blut spuckt, ist gesundheitlich nicht auf der Höhe. „Euer Durchlaucht, ich sehe Eure Blutflecken im Tuch, was ist geschehen?“ „Ich habe Schwindsucht, eine unheilbare Lungenkrankheit, die unweigerlich zum Tod führt. Mein Leibarzt kann mir das Fortschreiten der Krankheit nur noch lindern.“ „Können wir Euch denn nicht helfen?“ „Junger Mann, helft dem Land Pommern, dann helft Ihr mir. Für jeden von uns ist mal die Zeit abgelaufen. Aber noch ist es nicht so weit.“ Kasper ging sehr nachdenklich zu seinem Platz zurück und musste das Gehörte erst einmal verarbeiten.
Ein Bote brachte einen umfangreichen Bericht vom Ablauf der Konferenz. Weiterhin wurde nach vielen Diskussionen beschlossen, das nächste Reiseziel eines pommerschen Wagenzuges an den Golf von Biscaya, nach Bordeaux, zu schicken. Die Aufgabe
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Caspar de Fries
Bildmaterialien: Caspar de Fries
Tag der Veröffentlichung: 19.10.2012
ISBN: 978-3-95500-435-4
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