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Prolog

 

Caspar de Fries

Schriftsteller

 

Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben

 

Texte und Bildmaterialien:

Caspar de Fries

Alle Rechte vorbehalten

Vorwort

Die Geschichte schreibt das Jahr 1440. Überall in Europa verlangten die herrschenden Schichten mehr Abgaben von ihren Untergebenden, um ihre rauschenden Festivitäten und ihren übertriebenen Lebenswandel finanzieren zu können. Dagegen litten die ärmeren Bevölkerungsschichten mit ihren großen Familien unter Hunger und Armut, Drangsalierungen durch die Schergen der Herrschenden, willkürliche Verurteilungen und Entzug der menschlichen Rechte. Aus dieser Umklammerung wollten die Menschen sich befreien, indem sie den Aufrufen zur Besiedelung der freien Ostgebiete Europas folgten. Das empfanden einige der Landesherren als Verrat gegen ihre Autorität und versuchten mit allen Mitteln diese Völkerwanderung in Form von organisierten Trecks auf zu halten. Ein erbitterter Kampf um Leben und Tod war die Folge.

Die Organisatoren dieser Trecks ließen sich von dieser Stimmungslage gegen die ausreisewilligen Menschen nicht irritieren. Sie beauftragten weiter in den Ländern ihre Anwerber, um bei allen möglichen Gelegenheiten die Leute zu verpflichten, die beschwerliche Reise mit einem Wagenzug zu unternehmen.
Die Geschichte erzählt vom Leben, den Abenteuern und dem beruflichen Aufstieg des sechzehn jährigen Kasper, der seine Familie verließ und sein kommendes Schicksal selbst bestimmte. Er verpflichtete sich als Fuhrmann, um bald zum Stammpersonal von organisierten Wagentrecks mit professionellen Fuhrmännern und einer begleitenden Reitertruppe zu gehören. So ganz nebenbei gründeten er und seine Fuhrmannfreunde eine Handelsgesellschaft, um zu versuchen, den Mangel an eisernen Rohstoffen durch einen Schrotthandel in der Region zu kompensieren. Nach dem langen Winter in Osteuropa suchten sie eine weitere Herausforderung mit einem Treck. Kasper entwickelte sich inzwischen zu einem selbstbewussten jungen Mann, der sich gerne in den Dienst der Gerechtigkeit stellte, um möglichst vielen Menschen die Chance zu geben, sich in diesem so wun-derschönen, wie auch wildem Land nieder zu lassen und die Vergangenheit zu verdrängen.

Die Geburt und Ausführung einer Idee

Das kleine Haus von Kasper wurde dank der befreundeten Fuhrleute rechtzeitig fertig, sodass an eine zweckmäßige Einrichtung wie Tisch, Stühle, Schrank, Bett und Küche gedacht werden konnte. Einer der Fuhrmannskollegen baute einen gemauerten Ofen ein, denn die langen Winter waren sehr kalt. Der schon ältere Konrad, ein Fuhrmann der alten Schule, auf vielen Furchen im Land unterwegs gewesen, blieb diesen Winter mit in Kaspers neuer Behausung und half ihm, die nötige Einrichtung und Brennholz zu besorgen. Für die beiden treuen Pferde Else und Jacob konnte rechtzeitig ein richtiger Stall mit Boxen für sechs Pferde, und einem angrenzenden Heuschober fertig gestellt werden, damit sie ebenfalls im Winter einen vernünftigen Unterstand hatten. Nun fehlte noch ein größerer Vorrat an Lebensmitteln. Kasper erstand mit Hilfe seiner angemessenen Löhnung der Fuhrmannstätigkeit über mehrere Monate einen tauglichen Bauernkarren mit vier Rädern und dazu gehörende Schneekufen, die er, bei Bedarf, unter den Karren montieren konnte, wenn er dafür die Karrenräder abbaute. So wurde aus einer Bauernkarre ein Pferdeschlitten mit ei-ner kleinen Ladefläche, recht praktisch.

Kasper und Konrad halfen umgekehrt auch ihren anderen Fuhrmannsfreunden bei der Fertigstellung ihrer Siedlungshäuser. Die kleine Siedlung, die bei ihrer Ankunft gerade mal zehn Häuser vorweisen konnte, entwickelte sich in der Zwischenzeit zu einem größeren Ort, Tendenz Richtung Stadt. Selbst ein Marktplatz gehörte schon zum öffentlichen Bild, man nannte den Ort Greifenberg, nach dem Adelsgeschlecht Greifen. Johann, der Schmied, arbeitete von morgens bis abends, um die vielen Aufträge zu bewältigen. Er hatte ein Problem, ihm ging so langsam das Eisen aus, und mühte sich, alte nicht mehr gebrauchsuntaugliche Teile ein zu schmelzen, um allen Kunden gerecht zu werden. So fehlte es nach einiger Zeit vielen der angesiedelten Handwerker an Grundmaterialien. Aus diesem materiellen Engpass heraus entwickelte sich eine Geschäftsidee als Fuhrunternehmen. Kasper traf sich mit seinen Fuhrmannskollegen in der neuerstellten Wirtschaft, um mit ihnen diese Idee zu diskutieren. „Unsere Handwerker im Ort haben zu wenige Materialien, die sie verarbeiten können. Johann klagt über zu wenig Eisen, in der Mühle fehlen Ersatzteile, Johann kann sie nicht herstellen, weil er kein Eisen hat. Der Wagner kann seine Räder nicht beschlagen oder die Achsen für die Wagen herstellen. Jedem fehlt etwas. Wir sind Fuhrmänner, wir könnten diese Sachen herschaffen, wenn wir ein Unternehmen gründen. Wer macht mit? Dazu brauchen wir Silberlinge zum Einkaufen. Ich versuche, sie zu besorgen. Wer hat hierzu Interesse?“ „Ich mache mit, ich bin immer als Fuhrmann gefahren, warum nicht einmal im eigenen Unternehmen?“ sagte Konrad und schaute in die Runde. „Wir brauchen aber mehr, als nur Silberlinge. Wer von uns kann denn gut lesen und schreiben?“ meinte David, ein sehr kräftiger und untersetzter Mann, mittleren Alters. „Du hast recht, dazu gehört sicherlich mehr, als das bisschen lesen und schreiben, was ich auf der Fahrt hierher von Samuel lernte. Ich werde ihn fragen, ob er unsere schriftlichen Arbeiten übernimmt.“ warf Kasper ein und schaute sehr energisch in die Runde. „Unser Ziel darf auch nicht so weit sein, sondern vielleicht zwei bis drei Tagesmärsche von hier, um Altteile und Beschläge auf zu kaufen, die Johann dann einschmelzen kann. So kommt er zu seinem Rohmaterial und die Handwerker zu ihren Ersatzteilen,“ erklärte Kasper und fand seine Idee immer besser. Seine Begeisterung steckte die Kollegen an, und die erste Beteiligungsgesellschaft in einfacher Form ward geboren.

Für den Start brauchten sie Kapital. Kasper suchte Herrn von Lebbin, ihren Treckführer des letzten Wagenzuges, auf, und erklärte ihm die Situation und die Idee. Nicolaus von Lebbin war Offizier der herzoglichen Garde des Herzogs von Pommern und hatte Verbindungen bis in die höchsten Kreise. Er hörte sich Kaspers Schilderungen ruhig an, schaute ihn sehr lange und eindringlich an und lächelte den jungen Mann an. „Ich wusste, dass du jemand bist, der weiter denkt und voran schaut. Ich finde diese Idee interessant und ausbaufähig. Einen Schrotthandel auf zu bauen, hier in unserer Region ist eine geniale Idee und verspricht Gewinn. Darf ich mich daran als stiller Teilhaber beteiligen?“ fragte Herr von Lebbin und lehnte sich abwartend zurück. „Warum nicht, damit erreichen wir sicherlich noch mehr,“ begeisterte sich Kasper, seine Augen leuchteten und er konnte es kaum erwarten, seinen Freunden hiervon zu berichten. „ Ich besorge das Geld und werde verschiedene Verbindungen zu gewissen Kreisen aufnehmen, damit wir die richtigen Aufträge erhalten,“ sagte Herr von Lebbin. Er hielt Kasper die Hand hin und sagte in einem festen Ton: „Schlag ein, damit wir unseren Kontrakt besiegeln können. Dies ist eine Vereinbarung unter Männern.“ Sie reichten sich beide die Hand, drückten fest zu, und jeder schlug symbolisch mit der anderen Hand den Knoten auf.

Kasper traf sich freudestrahlend mit seinen Freunden und erzählte von diesem Kontrakt mit Nicolaus von Lebbin. Alle waren von dieser Sache sehr angetan. In der neuen Wirt-schaft wurde ihre Handelsgesellschaft Ost freudig begossen.

Herr von Lebbin besorgte alle nötigen Utensilien, die eine Schrotthandelsgesellschaft zum Transport der Güter benötigte, nämlich die nötigen wintertauglichen Wagen, die es ermöglichten, auf Kufen, wie auf Rädern, entsprechende Waren zu transportieren. Eine praktische Sache im ganzen Jahr mobil zu sein. In den höheren Schichten der angesehenen Bürger gab es genügend alte Remisen zum Entrümpeln oder alte Gebäude, die abgerissen wurden, wo noch Materialien zu finden waren, die für den Schrotthandel und zur Weiterverarbeitung der Eisenteile interessant waren. Kasper heuerte zusätzlich noch ein paar Siedler an, die froh waren, zusätzlich ein paar Silberlinge zu verdienen. Die Auftragslage wuchs ständig, sodass bald zur Unterbringung des zu ver-arbeitenden Schrotts ein Lager gebaut werden musste, um vor dem ersten Schnee die verschiedenen Materialien im Trocknen zu sortieren. Samuel, der ehemalige Prediger, der auch den langen Weg mit dem Treck aus seiner Heimat mitgemacht hatte, diente als Kontorleiter der Handelsgesellschaft Ost, weil er sehr gut lesen, schreiben und rechnen konnte. Er sorgte auch für die Koordination zwischen Auftragslage, Fahrteneinteilung und Materialverteilung. Weiterhin schrieb er die Rechnungen und verbuchte die Einnahmen und Ausgaben. Dem kleinen Fuhrbetrieb gehörten drei Fuhrmannswagen, denen bei Bedarf Schneekufen untergebaut werden konnten. Drei der Fuhrmänner fuhren ständig die Touren, lernten aber bereits ein paar der Siedler an, die sich etwas dazu verdienen wollten.

Ab Ende November schneite es ununterbrochen, dazu stürmte es, große Schneeverwehungen versperrten die Wege. Die Transporte stellten sie vorerst ein, bis sich das Wetter beruhigte. Die Außentemperaturen sanken weit unter den Gefrierpunkt. Jetzt zeigte sich, ob die neuen Holzhäuser wintertauglich waren, oder ob man noch einige Verbesserungen anstreben sollte. Der Sturm heulte über das Land und türmte den Schnee vor den Eingängen der Häuser. Um nach draußen zu gelangen, mussten Kasper und Konrad durch den Stall gehen. Eisblumen verklebten die Fensterscheiben. Was diesem Haus fehlte, waren Fensterläden, als Schutz für die Scheiben und gut gegen die Kälte und Sturm.

Es schneite drei Tage und drei Nächte ununterbrochen, bis sich plötzlich eine unheimliche Ruhe einstellte. Der Himmel klarte auf und die Sonne zeigte sich sehr zögerlich. Als wenn die Zeit stehen blieb, alles wirkte so starr und unwirklich. Die Äste der Bäume hingen weit herunter, harte Schneebretter drückten sie herunter, deren Schneekristalle funkelten und glitzerten in der Sonne. Kasper und Konrad schafften es, mit vereinten Kräften die Stalltür etwas auf zu schie-ben, und sahen nur noch aufgetürmte Schneemassen. Beim Ausatmen dampfte die Luft, eine klirrende Kälte hatte alles im Griff. Sie zogen sich beide ihre dicken Jacken an, stülpten die Fellmützen mit Ohrklappen und dicke Fausthandschuhe über, dazu zogen sie ihre fellgefütterten Stiefel an. Beide nahmen eine große Schaufel zur Hand und begannen den Schnee vor dem Haus, dem Stall und dem Zufahrtsweg weg zu räumen.

„Wollen wir mal den Schlitten ausprobieren?“ fragte Kasper seinen väterlichen Freund Konrad. „Gerne, wenn nicht jetzt, wann dann? Die Bewegung wird auch unseren beiden Braunen gut tun.“ Sie spannten Else und Jacob an, nahmen noch ein paar dicke Decken zum Wärmen auf dem Fahr-bock mit. Für beide war es die erste Winterfahrt ihres Lebens. Diese so bizarre, und vor Kälte erstarrte Landschaft zu erleben, wie sie unter der Schneelast ächzte und stöhnte, alles wie in weißen Puder einhüllte und in eine gefährliche Wirklichkeit eintauchte. Es war schon ein phantastisches Erlebnis solch einen Winterzauber zu erleben.

Die beiden Pferde hatten bisher noch keine Erfahrung mit Schnee und mussten vorsichtig, mit viel Zureden auf die neue Gegebenheit eingewöhnt werden. Aber nach ein paar gelungenen Schritten verloren sie bald ihre Scheu und die Fahrt begann. Else und Jacob hatten schnell raus, wie sie sich zu bewegen hatten und in welchem Tempo sie durch den recht tiefen Schnee den Karrenschlitten zogen. Kasper und Konrad genossen diese Schlittenfahrt, wickelten sich noch zusätzlich in ihre Decken und ließen ihren Gedanken freien Lauf.

Ihre Kutschfahrt endete zunächst vor dem neuen Wirtshaus im Ort. Lange wollten sie nicht bleiben, sie genehmigten sich ein Glas heißen Hochprozentigen und setzten die Fahrt bis zu ihrem Fuhrkontor fort, um dort nach dem Rechten zu sehen. Samuel kontrollierte die Belege und freute sich auf den Besuch. Er genoss diese Arbeit, fühlte sich bestätigt und anerkannt. Mit ihm hatten alle einen guten Griff getan.

Kasper und Konrad setzten ihre Schlittenfahrt fort, besuchten noch Johann den Schmied, um vor der Dunkelheit wieder Daheim zu sein.

Ein vorausschauender Plan

Kasper vervollständigte seinen Hausstand durch viele weggeworfene Gegenstände, die durch die Entrümpelungen alter Gebäude in ihr Lager der Handelsgesellschaft gelangten. Prunkstück war ein alter Spiegel mit einer wuchtigen Kommode aus einem Damenzimmer. Er stellte beides getrennt auf, wobei der Spiegel den Eingangsbereich des kleinen Hauses mit einer geschmiedeten Halterung von Johann zierte. Konrad stand immer wieder davor und konnte von seinem Aussehen nicht genug bekommen. Sonst schaute er schon mal sein Spiegelbild in einem der Bäche, wenn er als Fuhrmann unterwegs war. Die Kommode besaß verschiedene Schubladen, die mit allem möglichen Kleinkram gefüllt waren. Auf ihr stellte Kasper den Krug aus Ton, den er von der jungen Elisabeth aus Siegburg erhielt, die mit ihrem Vater einen Töpferbetrieb unterhielt. Er hoffte sie wieder zu sehen, denn er musste sehr oft an sie denken.

Es meldete sich Besuch an, Nicolaus von Lebbin bereiste mit dem Bevollmächtigten für Siedlerfragen vom Herzoglichen Hof, Herrn Adalberg van Fries, durch die Siedlungsgebiete, um sich von den Fortschritten ein Bild zu machen und weiteren Siedlern die Voraussetzungen für weitere Landparzellen zu schaffen. Ihr großer Pferdeschlitten mit Glöckchen am Geschirr der beiden Schimmel war schon von Weitem zu hören. Kasper schaute sich diesen hochrangigen Herrn genauer an, und war mit seinem spontanen Urteil sehr zufrieden. Aus dem Schlitten stieg ein großer, kräftig gebauter Mann, mittleren Alters mit schulterlangem Haar, einer gebogenen Adlernase und graublauen Augen mit einem ruhigen, sehr freundlichen Blick, prüfend, bestimmend aber nicht unstet.

„Dies ist Kasper, ein aufstrebender junger Mann, mit einem sehr guten Pferdeverständnis und Geschäftssinn.“ Stellte Herr von Lebbin Kasper vor. „Und der etwas Ältere der Beiden, ist Konrad, der beste Fuhrmann zwischen hier und den Alpen.“ Erklärte er Herrn van Fries, der auf beide zuging, und sie mit einem recht festen Händedruck begrüßte. Kasper und Konrad führten ihre Gäste ins Haus um mit ihnen einen Rundgang durch die Räumlichkeiten und den angrenzenden Stall mit Remise zu machen. Herr van Fries zeigte sich von dem, was er sah, sehr angetan.

„Ich muss wirklich ein großes Kompliment aussprechen, hier ist es sehr gemütlich und wohnlich, ihr habt aus den bescheidenen Mitteln eine Menge erreichen können. Herr von Lebbin erzählte mir von der Handelsgesellschaft, die aus einer Idee entstand, und zwischenzeitlich zu einem florierenden Unternehmen gewachsen ist. Tolle Leistung. Aber ich bin noch aus einem anderen Grund hier. Es betrifft die Unannehmlichkeiten der letzten Trecktour quer durch die Länder, die erbeuteten Kaperbriefe und Mordaufrufe mit Kopfprämien der einzelnen Treckfahrer, ausgestellt durch den Verantwortlichen des betreffenden Landes. Wir sind bereits vorstellig geworden und haben einen öffentlichen Protest angeregt, der aber völlig ignoriert wurde. Also besteht diese Gefahr für weitere Übergriffe auf Wagenzüge noch weiter. Aber zu dieser Sache wird Herr von Lebbin gleich noch ein paar Sätze sagen. Ich habe den Auftrag, von höchster Stelle, die wichtigen Fuhrmänner des letzten Wagenzuges zu einem weiteren Unternehmen Ostbesiedelung zu ermuntern, und ihnen eine wichtige verantwortliche Stellung in der Sache „Ostbesiedelung“ an zu bieten. Ihr werdet in unserem großen Unternehmen wichtige Rollen einnehmen, nämlich Mitverantwortung tragen. Die Treckleitung wird weiter Nicolaus von Lebbin inne haben, aber die Rollenverteilung wird diesmal anders sein.“ Er unterbrach seinen Redefluss und schaute die beiden so unterschiedlichen Männer an.

„Wir haben uns vorgestellt, dass Konrad die Gruppe Fuhrmannschaft leitet, während Kasper für die Zugtiere, Treiber und die Jagd verantwortlich ist. Beide lenkt ihr auch weiter einen Fuhrmannswagen. Alle Fuhrmänner erhalten eine gute Bewaffnung, doppelt frische Kleidung und einen angemessenen Lohn mit Gefahrenzulage. Die Begleitmannschaft leitet Ambrosius von Lingen, den ihr aus dem letzten Treck her kennt. Er ist auch so etwas wie die rechte Hand vom Treckleiter. Im März beginnen überall in den Ländern die Anwerber die angehenden Siedler zu verpflichten, während ihr parallel auf Pferden unseren Startpunkt anreist, den wir aber noch frühzeitig bekannt geben werden. Habe ich euch mit im Boot?“ Herr van Fries schaute beide erwartungsvoll an, und hörte fast einstimmig: „Wir werden dabei sein.“

„Ich habe hier bereits eure Verträge ausarbeiten lassen, ihr braucht nur noch, hier unten, den Namen zu schreiben.“ Kasper unterschrieb recht flüssig, während Konrad darin noch etwas holperte, aber eine lesbare Unterschrift vollbrachte und sehr stolz sein Werk anschaute. Sie reichten sich zusammen die rechte Hand und schlugen gemeinsam den symbolischen Knoten durch.

„Die Auseinandersetzungen mit den Soldaten, und letztlich mit der großen Bande der Wegelagerer habt ihr beide hautnah miterlebt und mit viel Mut bewiesen, die richtigen Verbündeten und Vertraute weiterer Unternehmen zu sein. Wir wollen diesmal mehrere kleinere Trecks, mit guter Bewaffnung und Begleitung von verschiedenen Orten fast zeitgleich starten lassen, und vor der Stadt, in Siegburg, wo Kasper die nette Wirtin kennen lernte, treffen. Die einzelnen Trecks kommen aus unterschiedlichen Regionen verschiedener Landesteile aus dem Westen und werden ab dem Treff zu einem großen Treck bis hier in die östlichen Siedlungsgebiete reisen. Ihr merkt jetzt schon, dass auf euch eine riesige Verantwortung zu kommt. So ein Unternehmen lässt sich auch nur mit Leuten durchziehen, den man vertrauen kann und die die nötige Übersicht behalten können. Die Einzelheiten erhaltet ihr in einer schriftlichen Order durch einen Boten in ungefähr vier Wochen, bis dahin werden die Reisewege auch wieder schneefrei sein. Ich hoffe auf ein gutes Gelingen.“ Herr von Lebbin und Herr van Fries verabschiedeten sich und setzten ihre regionale Rundfahrt fort.

 Kasper und Konrad setzten sich auf Ihre Bank am Tisch in der Stube und rauchten zur Entspannung erst einmal eine gemütliche Pfeife mit Kräutern und dachten über das so eben gehörte nach. Sie sagten eine ganze Weile gar nichts und schauten nur den Rauchschwaden der Pfeife nach, die sie nach jedem Zug ausstießen. Konrad unterbrach als erster die angespannte Ruhe:

„Ein verlockendes Angebot, waren wir zu voreilig mit unserer Zusage?“ „Ich glaube nicht, Konrad, denn wir wollten doch wieder als Fuhrmann fahren und uns in den Dienst der Gerechtigkeit stellen. Wenn Herr von Lebbin uns soviel Vertrauen schenkt, sollten wir ihn auch nicht enttäuschen. Außerdem bin ich froh, weiterhin mit dir als Fuhrmann zu fahren, deine Freundschaft bedeutet mir sehr viel,“ entgegnete Kasper. Konrad war ganz gerührt und musste einen Kloß herunterschlucken.

Da muss man erst so alt werden, um eine richtige Freundschaft zu erfahren, dachte er und sinnierte vor sich hin. „Bevor wir für längere Zeit von hier verschwinden, müssen wir noch jemanden finden, der auf unser Haus aufpasst. Ich denke, wir fragen Johann den Schmied, der wird seine Schmiede nicht verlassen und hier bleiben,“ meinte Kasper und hing einen Wasserkessel für Tee über die Feuerstelle.

Der Aufruf

Ein Bote brachte die detaillierte Order von Nicolaus von Lebbin mit allen Einzelheiten über den Zeitpunkt des Treffens im Westen, die weiteren Mitreisenden, Reisegeld und verschiedene Punkte, die im Moment zu beachten waren. Obwohl die beiden Zugpferde Else und Jacob eine Ruhepause verdient hätten, nahm Kasper sie auf diesen langen Ritt als Packpferde mit. In der mittlerweile sehr großen Siedlung Greifenberg warteten in der Wirtschaft bereits die anderen zehn Fuhrmannskollegen, damit Kasper ihnen die schriftliche Order vorlesen konnte und Konrad seinen Job als zukünftiger Vormann antrat. Man begrüßte sie mit einem großen Hallo und freute sich auf gemeinsame Unternehmungen.

„Ihr wisst von den zukünftigen Wagentrecks und welche gigantische Wagenkolonne daraus entstehen soll, so groß, wie es in der Geschichte wohl noch nie gegeben hat,“ erklärte Konrad und fuhr fort: „Deshalb ist es auch wichtig, genaue Einzelheiten für sich zu behalten, um das Gesindel nicht noch auf bestimmte Gedanken zu bringen. Irgendwann werden diese Halunken mitkriegen, welch großer Kuchen da durch die Gegend fährt. Wir müssen den vorgegebenen Zeitplan für die verschiedenen Treffs mit den einzelnen Gruppen anderer Fuhrmänner einhalten, um zum Schluss mit sechzig Treckfahrern den vereinbarten Ort zu erreichen. Jede Grup-pe führt neben den Reittieren Reservepferde und Packtiere mit. Unser nötiges Gepäck erhalten wir hier in der Siedlung, und fangen nachher direkt an alles zu verstauen. Im Morgengrauen beginnen wir unseren Ritt nach Westen. Habt Ihr noch Fragen? Dann an die Arbeit.“

Die Männer verstauten das mit zu nehmende Gepäck inklusiv Wasser und Lebensmittel auf den Packtieren, während sich Kasper nach und nach die Hufe der Pferde anschaute und mit den Tieren redete, damit sie seine Stimme kannten, und er einen gewissen Bezug zu ihnen aufbaute, weil auf der langen Reise Mensch und Tier auf einander angewiesen waren.

Alle mitreisenden Männer erhielten die gleiche Bewaffnung, Armbrust mit vielen Metallpfeilen, ein großes Messer, Peitsche und Axt mit kurzem Stiel, und ausreichend Seile. Drei der Männer führten aus eigenem Bestand noch einen Langbogen mit, der in der Verteidigung sicherlich noch eine gute Alternative sein konnte. In Kaspers Hosentasche steckten wie immer seine Steinschleuder und einige große ausgewogene Kieselsteine, die für unterwegs zur Hasenjagd vortreffliche Dienste leisten werden.

Für diese Nacht belegten die Fuhrleute die vorhandenen Fremdenzimmer jeweils mit drei Mann. Kasper, Konrad und Jonathan, ein blonder Hüne mit blauen Augen und einem tiefgründigen Lächeln im Gesicht, teilten sich eines der Zimmer für die restlichen vier Stunden bis zum Morgengrauen.

Kaspers innere Uhr sagte ihm, dass es Zeit zum Aufstehen sei. Er stiefelte direkt los, um die Tiere zu versorgen, und in Ruhe eine Kräutermischung in seiner Pfeife zu rauchen, die er als Andenken von seinem Vater erhielt, als er die Familie verließ. Diese Pfeife schnitzte sein Großvater aus einer Hartholzwurzel. Er träumte von seinen Eltern und Geschwistern, schafften sie die Feldarbeit ohne ihn? Kasper nahm sich vor, bei Gelegenheit seine Familie mal zu besuchen, wenn der Beruf es zuließ. Im Wirtshaus setzten sich alle Fuhrmänner noch zum gemeinsamen Frühstück zusammen, stimmten noch ein paar Einzelheiten ab und machten sich auf den Weg nach Westen. Vor seiner Schmiede stand Johann der Schmied und wünschte allen ein gesundes Wiederkommen.

Über einem nahen See zeigte die Sonne in einem langsam steigenden orangeroten Feuerball ein farbenprächtiges Schauspiel, und bot den Reitern mit fortschreitender Zeit eine intensive Farbenvielfalt, welche sich auf der leicht gekräuselten Wasseroberfläche wieder spiegelte. Die Vögel fingen an zu zwitschern, ein Raubvogel stieg auf und begann seine Kreise zu ziehen. Ein paar Wildenten quakten laut, als sie durch das Hufgetrappel der vielen Pferde aufgeschreckt wurden.

Alle zwei Stunden tauschten sie die Reitpferde und konnten auf diese Art und Weise eine konstante Reisegeschwindigkeit beibehalten, ohne die Tiere zu überfordern.

Im Schatten von ein paar Bäumen, auf einer Wiese, rasteten sie, pflockten die Pferde an, so dass sie weiden konnten, und aßen ein paar Kleinigkeiten. „Wir vermeiden in den ersten Tagen größere Ansiedlungen oder Städte, um nicht unnötig zum Gesprächsstoff Nr. 1 zu werden,“ meinte Konrad und kaute auf einem Stück Brot und Hartkäse herum.

Nicht weit von ihnen pflügte ein Bauer sein Feld, und hatte vor seinen Pflug einen Ochsen gespannt, der mit tief gebäugtem Kopf die Ackerfurchen entlang schritt. Der Bauer stand hinten auf dem Pflug, und versuchte mit Zurufen das Tier schneller zu bewegen.

Die Fuhrmannschaft schaffte in den nächsten vierzehn Tagen einen hervorragenden Reiseschnitt und hatte bereits die Hälfte des Weges geschafft. Ein Tier lahmte etwas auf der rechten Hinterhand. Kasper stellte fest, dass ein Hufeisen gelockert war. Sie machten an einem kleinen Bach eine Rast, entfachten ein Feuer, damit Kasper ein vorgefertigtes Eisen vorglühen konnte, um es auf dem kleinen mitgebrachten Amboss in die richtige Form zu bringen. Das alte Eisen nahm er als Vorlage und steckte es als Rohmaterial ein. Das neue Hufeisen schlug er mit den Hufnägeln am Huf fest, und das Tier brauchte sich nicht mehr quälen.

Ihr erstes großes Ziel hieß Magdeburg, die Stadt, wo sie als letzten Stadtaufenthalt mit dem letzten Wagenzug Rast machten und den Fuhrmännern und Siedlern durch neue Kleidung anderes Aussehen verschafften, ein sehr ungewöhnliches Ereignis. Hier in der Stadt sollte der Treff mit Ambrosius von Lingen und seiner gesamten Treckbegleitmannschaft sein, insgesamt 100 Mann, um sich dann zu je 20 Mann zu teilen, die einzelnen Wagenzüge zu treffen und bis zum Gesamttreffpunkt zu begleiten.

Kasper und Konrad freuten sich schon sehr auf ein Wiedersehen mit ihrem Freund Ambrosius im gleichen Wirtshaus, wie das Jahr zuvor. Die Begleitmannschaft verteilte sich über die ganze Stadt, denn eine so große Gruppe würde den Stadtkommandanten mit seiner Truppe nur unruhig machen. Ambrosius wartete bereits seit einem Tag auf die Fuhrleute und war ganz erleichtert auf die Ankunft seiner Freunde. „Schön, dass ihr auch im gesamten Zeitrahmen hierher gefunden habt. Dann werden wir uns auch nicht lange in der Stadt aufhalten, sondern im Morgengrauen alle Gruppen auf ihren Weg bringen. Ich schicke gleich einen Melder zu den anderen Leuten, damit wir uns alle weit

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Caspar der Fries
Bildmaterialien: Caspar de Fries
Tag der Veröffentlichung: 17.10.2012
ISBN: 978-3-95500-420-0

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