Caspar de Fries
Schriftsteller
Zitat: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben
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Caspar de Fries
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Diese Geschichte befasst sich mit einem sozialkritischen Thema aus dem Mittelalter und beginnt mit dem Frühjahr des Jahres 1439.
Die Ausbeutung der Bevölkerung durch die Feudalherren wurde oft sehr übertrieben. Während die reichen Landbesitzer sich in ihrem überschwänglichen Lebensstil frönten und immer mehr Abgaben aus den kargen Erträgen der Landbevölkerung forderten, versuchten diese Leute mit Geschick, Mut und Lebenswillen ihre oft kinderreiche Familie durch viel Arbeit zu kleiden, zu ernähren und am Leben zu halten. So nebenbei führten die regierenden Fürsten nachbarliche Kriege, um ihren Ruhm zu stärken und die Ländereien aus zu dehnen. Um dieses zu bewerkstelligen, musste jede Familie männliche Personen als Soldaten zur Verfügung stellen. Natürlich gingen diese Maßnahmen nicht ohne Probleme von Statten, viele junge angehende Soldaten, ab 14 Jahre, versuchten dieser „Einberufung“ aus dem Wege zu gehen. Leider gelang dies nicht allen jungen Männern, denn sogenannte Presskommandos holten die Drückeberger aus ihren Verstecken und zwangen sie zum Soldatendasein. Flucht bestrafte man auch zu dieser Zeit mit dem Tode.
Die meisten Familien lebten von der Landwirtschaft oder gingen einem Handwerk nach. Die Abgaben an die Herrschaftsfamilien waren so hoch, dass auch die letzten Rücklagen der eigentlich selbstständigen Leute wie eine Zitrone ausgequetscht wurden. Es folgte der Weg in die Leibeigenschaft und eine vollkommene Abhängigkeit zur herrschenden Schicht, die einseitig nicht gekündigt werden kann. Eine Flucht hieraus bezahlten die Meisten mit ihrem Leben.
Die Geschichte erzählt vom Leben, den Abenteuern und dem beruflichen Aufstieg des fast fünfzehn jährigen Kasper, der mit viel Mut und Willen das karge und entbehrungsreiche Leben seiner Familie verlässt und sein kommendes Schicksal selbst bestimmen möchte. So wie seine beiden älteren Brüder wollte er nicht enden, sie versuchten sich vor den Schergen des Kurfürsten Jacob I. von Trier zu verbergen und verloren dabei ihr Leben.
Sein junges eigenständiges Arbeitsleben begann mit der Verpflichtung als Fuhrmann, was bereits, in dieser Zeit, schon als sehr angesehen und mit sehr viel Respekt betrachtet wurde. Ein Fuhrmann musste verschiedene Berufe können, vom Wagenlenker bis zum Tierarzt, vom Seiler bis zum Stellmacher oder Wagner, vom Schmied bis zum Spurenleser. Die Fuhrleute waren eine eingeschworene Gesellschaft, die nicht jeden in ihrer Gemeinschaft auf nahmen. Es gab einen Ehrenkodex untereinander: Helfe in der Not, so hast Du Freunde im Leben, und bis in den Tod. In der Zeit des fortschreitenden Handels in ganz Europa, der Besiedelung verödeter Landschaften, war die Verpflichtung eines guten Fuhrmannes viel Wert und wurde überdurchschnittlich gut bezahlt. Hinzu kam, dass sie keiner bestimmten Knechtschaft oder Lehnsherrschaft angehörten. Ihr Beruf gehörte zu den freien Berufen und unterstand nur dem Kaiser oder König des Landes. Ein Fuhrmann konnte die Möglichkeit nutzen auf zu steigen und als eigener Händler mit einer eigenen Fuhrmannschaft die Länder bereisen, bloß fehlte den meisten die Gabe, lesen und schreiben zu können.
Noch vor Sonnenaufgang spannten Kasper und sein Vater den Ochsen vor den Karren, beluden den hinteren Teil mit Zwiebeln, Speiserüben und ein paar Kohlpflanzen, dazu stellten sie noch eine Holzkiste mit zwei selbst gezogenen Hühnerküken, um sie feil zu bieten.Das frühe Erreichen des Marktes in der naheliegenden Stadt Kieleburch, ermöglichte das Ergattern eines günstigen Platzes zum Verkauf ihrer Waren. Der Ort befand sich im hügeligen Gelände des Eifelvorlandes und war Teil des Kurfürstentums Trier. Der ausgefahrene Weg mit den tief gefurchten Wagenspuren beanspruchte viel Geschick mit dem Umgang des schwerfälligen Ochsen und dem rumpelnden Gefährt, zumal es die Nacht regnete und das Geläuf sehr aufgeweicht und glitschig war.
Der junge Kasper, ein kräftiger heranwachsender junger Mann, mittlerer Größe, wirkte leicht schlaksig, mit etwas abstehenden Ohren, einer gebogenen Nase, grünblauen Augen und sehr widerspenstig wachsenden blonden Haaren, lenkte das Gespann sehr umsichtig, sodass sein Vater sich gemütlich nach hinten lehnte und seine Tonpfeife genussvoll paffen konnte. Beide schwiegen und hörten den ersten Gesängen der bereits wachen Vögel zu. Im Osten ging langsam die Sonne auf, ein sanft orangeroter Schimmer am Horizont vergrößerte sich. Leichte Bodennebelschwaden verschwanden durch das Ansteigen der Tagestemperatur. Welch ein immer wieder kehrendes Schauspiel mit immer neuen Varianten lud den Betrachter zum Träumen ein, um aber kurz darauf in die volle Realität zurück zu schnellen, als hinter ihnen Peitschengeknalle und Kommandorufe einer nahenden Kutsche zu hören war.
Beide blickten sich um und erkannten die herrschaftliche Kutsche in vollem Tempo auf sie zu kommen. Aber wohin sollten sie ausweichen? Der Kutscher rief bereits von weitem: „wollt ihr wohl den Weg freimachen, ihr faules Pack? Ich lasse euch gleich die Peitsche spüren“. Kasper gab dem Ochsen seine Kommandos und fluchte vor sich hin, sein Vater saß ganz ehrfürchtig auf dem Karrenbock und hielt seine Kopfbedeckung in Form einer Kappe in der Hand. Irgendwie schaffte Kasper es, das schwere Gefährt auf die schräge Böschung zu lenken, um die Herrschaften vorbei zu lassen. Der Kutscher ließ es sich aber nicht nehmen, mit der Peitsche noch nach dem Vater von Kasper zu schlagen und traf ihn an der rechten Wange, sodass es blutete. Die zwei Soldaten, die hinten auf einem Podest der Kutsche standen, lachten und verhöhnten die beiden im Vorbeifahren. „So etwas müssen wir uns gefallen lassen, wir haben denen doch nichts getan. Irgendwann werde ich gegen diese Gemeinheiten etwas tun“, schnaufte Kasper und drängte den Ochsen zur Höchstanstrengung, um wieder auf den Weg zu kommen. „Was willst du denn gegen diese Menschen machen, das sind unsere Herren, wir müssen gehorchen“, erwiderte Kaspers Vater.
Sie erreichten die Stadt und mussten vor einem der mächtigen Stadttore eine Kontrolle der wachhabenden Soldaten über sich ergehen lassen. Dabei untersuchten die Wächter die mitgebrachten Waren sehr genau, selbst die beiden Hühnerküken durchlebten ihre erste Bewährungsprobe. Kasper lenkte den Karren unter einen Baum am Rande des Marktplatzes, nicht weit entfernt von der Kirche, während sein Vater den Marktherren suchte, um sich einen Verkaufsplatz zu weisen zu lassen, und um den entsprechenden Marktzoll, je nach Stand und Lage, zu entrichten. Ihr heutiger Platz befand sich in der Nähe des Prangers, wo ein vor verurteilter Dieb, eingezwängt in der Halskrause und den beiden Handzwingen, auf seine heutige Verurteilung wartete. So ein Marktgericht bedeutete einen großen Menschenandrang und für die anpreisenden Händler einen guten Umsatz. Kasper versorgte den Ochsen mit Wasser und Futter und baute mit seinem Vater neben dem Karren den kleinen Marktstand in Form eines Brettes mit zwei seitlichen Stützen auf. Die Zwiebeln, den Kohl und die Speiserüben verteilten sie auf dem Brett, die Kiste mit den beiden Küken stellten sie darunter, damit die kleinen Tiere nicht in der direkten Sonne standen.
Der Markt füllte sich, die Menschen drängten sich um die Stände, um die besten Angebote aus zu loten. Die reichen Bürgerfrauen erkannte man an den Sonnenschirmen und den weißen Häubchen und den etwas eleganteren Kleidern, die Bauersfrauen trugen meist graue Kleider mit Schürzen und Holzschuhen, dazu grobmaschige Hauben oder breitkrempige Strohhüte. Auch deren Gang und Sprachweise unterschied sich von denen der Stadtfrauen. Zu Allem gesellten sich noch ein paar Gaukler, die ihre Kunststücke präsentierten, ganz in der Nähe von Kasper und seinem Vater baute eine Wahrsagerin ihr Zelt auf, Musikanten mit verschiedenen Instrumenten zeigten ihr Können. Mitten auf dem Marktplatz stand ein Podest für das spätere Gericht und gab Marktlesern die Möglichkeit, wichtige amtliche Bekanntmachungen vor zu lesen, um auch den im hintersten Bauernland lebenden Menschen mit den neuesten Informationen zu versorgen.
Um dieses Podest drängten sich bereits viele Menschen, gierig auf die Neuigkeiten, um sie dann den Nichtanwesenden in eigener Version weiter zu erzählen. Ein Mann mittleren Alters, graue Perücke, grüne Jacke, dicker Bauch, weißes Hemd, Kniebundhose, weiße Strümpfe, rollte eine Papierrolle auf und las mit einer vollen dröhnenden, aber sehr sonoren Stimme, seinen Text. Vor dem Podest stand ein Tisch und ein Stuhl, auf dem ein weiterer, ähnlich aussehender Herr Platz nahm. Mit einer Feder kritzelte er auf ein Blatt Papier, um dann inne zu halten, denn der Vorleser begann seinen Text:
Ihr Leute dieser schönen Stadt Kieleburch und des Landes. Wer träumt nicht vom Paradies, welches er sich selbst erschaffen kann? Eigenes Land, frei von jeglicher Knechtschaft, eigener Herr seiner eigenen Hufe, eingetragen im Landregister, vorerst keine Steuer, Bereitstellen von Bau- und Brennholz, Bereitstellen von Ackergerätschaften aus Eisen mit den Zugtieren! Wir suchen solche tatkräftigen Leute wie euch, die durch harte Arbeit für sich selbst arbeiten und sich nicht immer von anderen treten lassen wollen. Nur die Reise dahin müsst ihr schon selber vornehmen. Wer dieses Paradies auf Erden erreichen will, braucht sich hier nur amtlich eintragen lassen, denn wann die Reise beginnt, wohin es geht, werden wir jedem nach der Eintragung sagen. Leute tretet näher und überlegt nicht lange, denn solch eine Gelegenheit gibt es nur einmal im Leben.
Kasper und sein Vater schauten sich an und sahen hinüber zu dem Rednerpodest und dem Tisch, wo sich bereits eine größere Menschentraube gebildet hatte. Kasper war begeistert, sein Vater zweifelte. „Vater, das ist die Gelegenheit aus dieser Knechtschaft zu entfliehen, lass uns dort neu anfangen“.
Kaspers Vater schüttelte den Kopf: „ Ich werde das erst mit deiner Mutter und deinen Geschwistern besprechen, bevor ich mich entscheide. Wie ich sehe, hast du dich bereits entschieden. Für dein Leben kann ich nicht mehr sprechen, sei aber nicht unüberlegt.“
Kasper stellte sich in die Schlange der Wartenden und hörte geduldig auf das, was um ihn herum gesprochen wurde. Als er an der Reihe war, schaute der ältere Herr am Tisch ihm direkt eindringend in die Augen, fragte nach dem Namen, und dem Alter. „Mein Name ist Kasper und ich werde diesen Monat 15 Jahre alt. Ich kann arbeiten, mit einem Pferd, einem Zugochsen und Gespann umgehen.“ Die anderen Anwesenden hörten andächtig auf die bestimmenden kurzen und knappen Worte vom jungen Kasper. Der Herr am Tisch lächelte freundlich und meinte: „ Für unseren Treck bis zum Siedlungsland brauchen wir tatkräftige und zupackende junge Fuhrleute. Wäre so eine Arbeit etwas für dich?“ Kasper guckte ihn begeistert an, schluckte, und sagte zu.“ Wir sind noch ein paar Tage in der Stadt, wer sich noch nicht eingeschrieben hat, erreicht uns ständig im Roten Ochsen.“ sagte dies, stand auf, ergriff seine Unterlagen und schritt davon.
Kasper ging langsam zum Verkaufstand seines Vaters und verdaute erst einmal innerlich und recht nachdenklich die letzten Geschehnisse. Sein Vater sah ihm die Gemütslage an, ließ Kasper zunächst in Ruhe und stellte keine weiteren Fragen.
An den Tisch setzte sich jetzt ein Gerichtsdiener, ein sehr schmächtig wirkender, blasser Mann, mittleren Alters, dünnen Hals und hervorquellenden Augen. Er versuchte sehr würdevoll seinen Platz aus zu füllen, was ihm aber nicht so ganz gelang. Dann kam die wichtigste Persönlichkeit, der Marktrichter, in Begleitung von vier Marktwachen und einem dunkelgekleideten, sehr düster wirkenden, grobschlächtigen Mann, der in einem schwarzen Behältnis seine Utensilien mitbrachte. Er war allen bekannt, als der Vollstrecker der Gerichtsbarkeit, und sollte heute ein Urteil direkt vor Ort vollstrecken. Der Marktrichter entrollte ein großes Papier und verlass die Anklage, die das Marktgericht gegen den seit Stunden im Pranger eingepferchten Mann erhob:
Ihr Bürger der Stadt Kieleburch, das Marktgericht sah es als erwiesen, das Karl der Besenbinder in schändlicher Absicht und Profitgier den Verkaufsstand von Anna der Blumenfrau in ihrer menschlichen Pause weit abseits stellte, auf diesen freien Platz seinen Besenstand aufbaute, um sie dann, bei Rückkehr von ihrem Bedürfnis, während des Streitgesprächs unsittlich zu berühren. Jeder kennt die Regeln dieses Marktes, keiner darf sich auf Kosten anderer einen Vorteil verschaffen. Im Namen seiner Durchlaucht, Kurfürst Jakob I. Erzbischof und Kurfürst von Trier, des Marktgerichtes dieser Stadt, bin ich bevollmächtigt das Urteil zu verkünden:
Karl der Besenbinder darf von heute an einen Monat diesen Markt nicht betreten, oder vor der Stadt seine Ware anbieten. Des Weiteren erhält er zur Warnung fünfzehn Peitschenhiebe. Ich bitte den Marktvollstrecker, waltet Eures Amtes, und vollstreckt.
Der Angesprochene öffnete sein schwarzes Behältnis, nahm eine kurzstielige Peitsche heraus, deren Spitze dreimal geteilt war. Er schaute in die Runde, um sich zu vergewissern, dass ihn auch alle beachteten, ging zum Pranger, riss dem Delinquenten das Hemd am Rücken auf, trat ein paar Schritte zurück, schaute zum Marktrichter und wartete auf sein zustimmendes Nicken, welches auch sofort erfolgte.
Nach dem ersten Schlag vernahm man nur ein gepresstes Schnaufen, nach dem fünften Schlag hörte man ein leiseres Stöhnen, rote Striemen zeichneten sich bereits auf dem Rücken des Gepeitschten ab. Nach dem zehnten Schlag schrie der Mann gellend auf, die Haut platzte auf, Blut floss aus seinem Mund, weil er sich wohl auf die Lippe gebissen hatte. Die letzten fünf Schläge gingen in seinem lauten Gebrüll unter. Einige der begeisterten Zuschauer bekamen ganz leuchtende Augen wegen dieser für sie tollen Darbietung.
Kasper wandte sich ab, weil ihn Vorstellungen solcher Art anekelten, und er es als unmenschlich ansah. Den Gepeinigten entließ man aus dem Pranger, er versuchte so schnell wie möglich den Markt zu verlassen, um nicht noch weiteren Demütigungen ausgesetzt zu sein.
Kasper und sein Vater verkauften komplett die mitgebrachten Waren, spannten den Ochsen vor den Karren und rumpelten schweigend mit gemischten Gefühlen zu ihrer Bauernkate zurück.
Der Himmel schüttete sich aus, es regnete ununterbrochen. Kasper stand am Fenster der kleinen Wohnstube und schaute auf das Dach der naheliegenden Scheune, wo das Regenwasser in Sturzbächen auf den sonst so bevölkerten Hühnerhof herunter lief. Er hing seinen Gedanken nach und versuchte sie zu sortieren. Immer wieder schlug er mit der rechten Faust in die linke Handfläche, um sich die wichtigste Entscheidung seines Lebens noch einmal selbst zu bestätigen. Seine Eltern, die zwei jüngeren Schwestern und der kleine sechsjährige Bruder saßen an dem klobigen, selbstgezimmerten Tisch und warteten auf ein paar Worte von Kasper.
„Ich werde die Arbeit eines Fuhrmannes annehmen, sie wird gut bezahlt. Ich bekomme jede Woche einen Silbertaler, dazu erhalte ich richtige Fuhrmannskleidung, zu essen und zu trinken. In dem Siedlungsgebiet übertragen sie auf meinen Namen eine freie Hufe und Bauholz für ein eigenes Haus, was sagt ihr dazu?“ Sein Vater räusperte sich, um den möglichen Klos im Hals herunter zu schlucken. „Kasper, deine Mutter, deine Geschwister und ich haben entschieden, diese sehr beschwerliche Reise nicht mit zu machen, wir wollen hier bleiben und so leben, wie wir es gewohnt sind. Wenn du diese Entscheidung getroffen hast, dann geh mit Gott, aber geh. Wir stehen Dir nicht im Wege.“ Er ging zu einer in der Ecke stehenden Kiste, kramte darin herum und fand eine alte Holzpfeife.
„Diese Pfeife hat einmal deinem Großvater gehört, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dieses Andenken weiter zu geben. Diese Pfeife soll dich immer an deine Familie erinnern.“
Kasper war ganz gerührt, denn er wusste, dass sein Vater dieses letzte Andenken an seinen Vater sehr behütet hatte.
„Sobald der Regen aufhört, bringe ich dich mit dem Wagen in die Stadt, damit du ohne Schwierigkeiten an der Stadtwache vorbeikommst.“
Kasper suchte seine wenigen Sachen zusammen, legte sie fest in ein Tuch und knotete es zu. Er schlang sich ein Stück Seil um den Hosenbund, befestigte daran eine Lederschlaufe als Halterung für sein Messer mit dem selbst geschnitzten Knauf. In die rechte Hosentasche verstaute er noch seine Steinschleuder mit ein paar Kieselsteinen, um bei einer möglichen Hasenjagd erfolgreich zu sein.
Der Regen ließ nach, die Wolkendecke brach auf, sodass die Sonne sich mit ein paar Strahlen durchsetzen konnte. So gleich begann die Erde zu dampfen, ein Regenbogen zeigte sich am Horizont, überall erwachte das Leben mit lautem Gezwitscher.
Kasper drückte noch einmal seine Geschwister und nahm seine Mutter ganz fest in den Arm. Sie lächelte ihn an, strich im über das Haar und sagte: „bleib gesund mein Bub`, und gehe den Streitigkeiten aus dem Weg, benutze lieber deinen Verstand.“ Kasper schluckte ganz kräftig und bekam ein ganz komisches Gefühl, setzte sich auf den Bock des bereitgestellten Wagens, sein Vater knallte mit der Peitsche und rumpelnd setzte sich das schwere Gefährt in Bewegung. Seine Mutter und die Geschwis-ter standen vor dem Haus und winkten, bis der Ochsenkarren um eine Wegbiegung verschwand. Kaspers Vater sagte kein Ton, obwohl er seinem Sohn noch vieles mit auf den Weg geben wollte. Doch sehr gesprächig war er nie gewesen, er war ein Mann, der seine Arbeit liebte und das Reden lieber anderen Leuten überließ.
Sie erreichten das große offene Stadttor. Die beiden Stadtwächter saßen vor ihrem Wachhäuschen und winkten recht müde zur Weiterfahrt. Sie zeigten an dem rumpelnden Gefährt kein Interesse.
Vor dem Roten Ochsen hielten sie an, damit Kasper nach den beiden Herren schauen konnte, die am Vortag auf dem Marktplatz die Leute anwarben. Sie saßen beide an einem blank gescheuerten Tisch, tranken einen Krug Wein und erkannten Kasper sofort. „Bitte setz dich zu uns und erzähl uns etwas von dir.“ Kasper setzte sich, während sein Vater noch hereinschaute und ebenfalls zum sitzen aufgefordert wurde, höflichst dankend ablehnte und sich noch kurz von Kasper verabschiedete. Stumm umarmten sich beide. Kaspers Vater ging zu seinem Ochsenkarren und rumpelte davon.
Um ein richtiger Fuhrmann zu werden, machten die beidenAnwerber Kasper mit einem alten Fuhrmann, namens Konrad bekannt, der auf allen Wagenfurchen in Europa unterwegs war und dem jungen Kasper so einiges beibringen konnte. Konrad grinste über alle Runzeln seines gebräunten Gesichtes und schob seine Pfeife von einem Mundwinkel in den anderen. Er quetschte zwischen den Zähnen ein:„ Na, dann komm mal mit, du junger Hüpfer,“ hervor und schaute den jungen Mann ganz fest mit seinen graublauen Augen an. Kasper erwiderte den festen Blick, ohne weg zu gucken. Dem alten Fuhrmann gefiel, was er da sah und betrat mit Kasper einen Art Mietstall, wo ein großer Teil der Zugpferde untergebracht waren, die ihre Fracht nach Osteuropa ziehen sollten.
„Zuerst lernst du unsere Pferde kennen, und die Pferde dich. Wichtig ist, dass du zu ihnen Vertrauen hast, viel mit ihnen redest, damit sie den Tonfall deiner Stimme behalten und im richtigen Moment die Kommandos ausführen. Fang schon mal an den Stall aus zu misten, und sprich dabei mit ihnen.“ Kasper legte los, wie er es von zu Hause gewohnt war. Er klopfte den Tieren freundschaftlich an den Hals, kraulte etwas hinter den Ohren und sprach ganz beruhigend auf sie ein. Dabei nutzte er die Mistgabel und füllte die Handkarre mehrere Male und merkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Zwei Pferde, eine braune Stute mit weißen Fesseln und ein Wallach mit einem weißen Fleck auf der Stirn, hatten es ihm besonders angetan, denn sie fingen an, mit ihm zu schmusen und rieben ihre Nüstern ganz vorsichtig an seiner Schulter. Kasper merkte selbst, welch seltene Fähigkeit und guten Draht er zu den Tieren besaß.
Eine ganze Zeit lang beobachtete Konrad das erfreuliche Verhalten der Tiere zu seinem Schützling und war froh, so einen Schüler unter seine Fittiche zu haben.
Der Tag verging, die gesamte Mannschaft nächtigte in den Fremdenzimmern des Wirtshauses, die auch den Mietstall unterhielten. Kasper und Konrad bewohnten eine winzige Kammer unter dem Dach. Ein großer Krug mit Wasser und eine flache Schüssel zum waschen stand zwischen den sehr harten Nachtlagern, jeder hatte eine recht muffelige Decke zum Zudecken, als Kopfkissen nutzte man seine eigene Jacke. Kasper konnte vor Aufregung kaum einschlafen, die vielen neuen Eindrücke verhinderten einen ruhigen Schlaf.
Noch vor Sonnenaufgang begann bereits der neue Arbeitstag. Die Tiere mussten versorgt werden, danach gab es ein bescheidenes Frühstück in Form von Milch, etwas Brot und Käse. Konrad drängte zum Aufbruch, um die Wagen zu begutachten und eventuelle Reparaturen vor zu nehmen. Danach sollten die Tiere an die Deichsel und das Geschirr gewöhnt werden, um unterwegs nicht unliebsame Überraschungen zu erleben. „Du bekommst ab so fort die beiden Braunen, die dich doch wohl besonders lieben“, meinte Konrad zum jungen Kasper und grinste über das ganze Gesicht. „Ich habe dich gestern beobachtet, und war sehr erfreut, von dem, was ich da sah. Ich glaube, aus Dir mache ich noch einen guten Fuhrmann.“ Kasper freute sich über so viel Lob und konnte es kaum erwarten, die beiden Zugpferde an die Deichsel zu bekommen.
An den Wagen brauchten keine größeren Reparaturen durchgeführt werden. Jetzt kam es darauf an, wie die Pferde sich im Geschirr verhielten. Kasper zeigte, was er von seinem Vater gelernt hatte und führte die Pferde nach und nach an ihren Platz, redete ruhig auf sie ein und gab nach dem einwandfreien Einschirren beiden je ein Stück Rübe, die er im Stall neben der Futterkiste gefunden hatte. So, als wenn er nie etwas anderes gemacht hätte, hörten die beiden Pferde mit einer Selbstverständlichkeit seine Kommandos. Sie spitzten die Ohren und reagierten auf jede Kleinigkeit, die Kasper von ihnen verlangte. Konrad stand am Stallausgang, die Pfeife im Mund, er vergaß sogar sie hin und her zu schieben, so begeisterte ihn die Vorstellung, die Kasper und sein Gespann boten.
Nachdem die Fuhrleute ihre Gespanne ausprobierten, saßen alle im Wirtshaus um einen großen runden Tisch und bekamen einen großen Teller Suppe mit Brot und Dünnbier zur Stärkung. „Sag mal Kasper, was hast du diesen Pferden gesagt, dass sie wie ein Hund alle Befehle ausführen? Oder bist du gar ein Pferdeflüsterer?“ Kasper wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Tatsache war, dass diese einfach denkenden Menschen ihn von nun an sehr respektvoll ansahen und ihn, trotz seines jugendlichen Alters, in
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Caspar de Fries
Bildmaterialien: Caspar de Fries
Tag der Veröffentlichung: 15.10.2012
ISBN: 978-3-95500-373-9
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