Eine Polonaise
Der Rosenmontag gilt in Köln als höchster Feiertag. Die Karnevalsaktivitäten erreichen ihren Höhepunkt mit dem Spitzenereignis, dem Rosenmontagszug. Kind und Kegel ziehen in den buntesten Verkleidungen aus, um schon früh morgens in der Innenstadt die Straßenränder zu säumen, die für den Verkehr abgesperrt wurden. Je kälter es um diese Jahreszeit im Februar oder März ist, desto mehr Alkohol wird konsumiert und desto schneller steigt die Stimmung, die durch Karnevalsmusik an jeder Ecke angeheizt wird. Nähert sich der Zug, schließen sich die Reihen der Jecken dichter und diejenigen, die glaubten, sich als Erste am Straßenrand die besten Stehplätze gesichert zu haben, müssen mit Mühe ihr Erstlingsrecht gegenüber spät ankommenden Dränglern verteidigen. Schon einige Zeit, bevor der Karnevalszug die entsprechenden Straßenabschnitte erreicht, verengt sich der Raum für Zuschauer insbesondere in schmalen Straßen so, dass man von seinem Stehplatz kaum mehr wegkommt. Das macht grundsätzlich auch nichts, denn alle wollen den Zug sehen, „Kamelle“ auffangen und gemütlich in der Menge schunkelnd lauthals die Karnevalslieder mitsingen, die die Zugkapellen anstimmen. Probleme tauchen allerdings dann auf, wenn jemanden bei dem stundenlangen Stehen anfängt, ein Bedürfnis zu plagen. Zu befreienden Aktionen gibt es kaum Gelegenheit.
Mein Bruder ist vierzehn Jahre jünger als ich und war zehn, als wir in großer Gruppe von Verwandten und Freunden in einer schmalen Innenstadtstraße am Zugweg standen. In diesem Jahr gab es außergewöhnlich viele Besucher von innerhalb und außerhalb, weil das Wetter mitspielte. Die Sonne schien vom strahlend blauen Himmel und die Mittagstemperatur lag im Schatten zwischen neun und zwölf Grad. Im Sonnenschein war es deutlich wärmer. Wir standen schon seit zehn Uhr und warteten auf den Zug, der uns kurz nach zwölf erreichen sollte. Es wurde getrunken, gegessen, gesungen und gelacht, die Stimmung konnte nicht besser sein. Nur mein kleiner Bruder wurde zusehends stiller, was zuerst niemand bemerkte, aber dann, es war noch circa eine halbe Stunde bis zum Zuganfang, meiner Mutter auffiel. Er musste einmal dringend und zwar nicht nur für „kleine Mädchen“. Wenn es überhaupt eine Chance geben sollte, dann jetzt, bevor der Zug kam, danach wäre alles zu spät gewesen. Ich griff ihn bei der Hand und zwängte mich mit ihm durch die Straßenabsperrungen auf die andere Straßenseite, wo sich um die nächste Ecke eine Tankstelle befand. Ich hoffte, dort eine Toilette vorzufinden. Diese Hoffnung wurde auch nicht enttäuscht. Aber ein dringendes Bedürfnis hatte nicht nur mein Bruder, viele hatten dasselbe Bedürfnis und dieselbe Idee. Vor der Toilette stand eine Schlange von mindestens zwölf Personen und es gab nur eine Toilette. Trotzdem stellten wir uns hinten an und warteten, wobei ich nervös meine Uhr beobachtete. Spätestens in einer Viertelstunde musste der Zug eintreffen, was bedeutete, dass wir keine Chance mehr gehabt hätten, unseren alten Platz und unsere Gruppe zu erreichen. Das war auch meinem Bruder klar. Zwei Bedürftige benötigten fünf Minuten, die Zeit hatten wir gemessen. Die Bedeutung war uns beiden bewusst. Meine Nervosität sprang auch auf den Kleinen über, was bei ihm eine Zurückentwicklung der Dringlichkeit verursachte. Er meinte, wir sollen wieder zurückkehren, er glaube, es schon aushalten zu können. Mir fiel ein Stein vom Herzen und mit größter Mühe quetschten wir uns wieder durch die Menschenmenge, die erst davon überzeugt werden musste, dass wir ihr nicht ihren Platz streitig machen wollten, sondern nur vorhatten, wieder zu unserem alten Platz zurückzugelangen. Kaum dort angekommen zog eine Reiterstaffel Polizisten vorbei, die Spitze des heiß erwarteten Karnevalszuges.
Über zwei Stunden ging es gut. Dann hatte mein kleiner Bruder nicht nur Schweißperlen auf der Stirn, es drückten sich auch langsam Tränen in seine Augen. Er konnte es nicht mehr aushalten. Was tun mit dem Kleinen? Meine Mutter hatte die Idee, einen Plastikbeutel zu entfremden, der eigentlich zum Verstauen der Kamellen gedacht war. Eine kurze Beratschlagung in der Gruppe, und alle waren damit einverstanden, ihn so vor fremden Blicken abzuschirmen, dass er mit heruntergezogener Hose seine Last in den Plastikbeutel ablassen konnte. Zuerst wies er diesen Vorschlag weit von sich. Er schämte sich zu sehr. Aber es dauerte nicht lange, da verdrängte der zunehmende Druck in seinem hinteren Bereich die Scham und mit verlegenem Gesichtsausdruck ließ er zaghaft seine Hosen hinunter, eifrig bemüht, ja nichts Edles irgendwelchen Blicken preiszugeben. Dieser Bemühung schenkte er wesentlich mehr Aufmerksamkeit als der Position des Beutels, den er halb offen mit einer Hand unter sich hielt.
Der Prunkwagen der Jungfrau näherte sich, als durchdringende Düfte die Erledigung der unaufschiebbaren Geschäfte ankündigten. Aber alle in unserer Gruppe waren froh, dass das größte Problem „gelöst“ war. Die Gruppe klatschte vor Freude hierüber, die umstehenden Karnevalsjecken klatschten der Jungfrau zu. Der Kleine zog schnellstens seine Hose wieder hoch und sein bleiches Gesicht gewann langsam wieder Farbe.
Nach der Jungfrau folgte nicht der Kölner Bauer, sondern unsere Ernüchterung. Die für kurze Zeit durchaus zu ertragenden Düfte ließen nicht nach, sondern verstärkten sich je nach Windrichtung ungemein. Der Kleine hatte seine Toilettenbesuche wohl schon seit Tagen aufgeschoben, was nicht nur die Intensität seines Verlangens verstärkt hatte, sondern auch die Penetranz der Gerüche. Die Bescherung lag hinter der Gruppe auf dem Bürgersteig. Der Plastikbeutel konnte ruhigen Gewissens noch seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden, er hatte nichts abbekommen. Der stolze Haufen hatte sein ihm zugedachtes Ziel verfehlt und dampfte und strahlte prächtig in der Nachmittagssonne.
Es war nicht windig an diesem Tag, nur laue Lüfte regten sich ab und zu und wehten in unterschiedliche Richtungen. Trotzdem das Geschehen mit einem Stück Papier abgedeckt wurde, entwichen immer wieder strenge Gerüche und je nachdem, ob sie nach rechts oder links wehten, vernahm man von da oder dort ein Aufstöhnen und einige Frauen befleißigten sich, Taschentücher mit Kölnisch Wasser zu tränken und sich unter die Nase zu halten. Der Kölner Bauer bemerkte wohl die an diesem Abschnitt des Zugweges gedämpfte Stimmung und bemühte sich, diese mit dem händevollen Auswurf von Kamellen, Pralinen und Sträußchen anzuheizen. Das gelang ihm auch kurzfristig, dann waren die Sinne der Begeisterten wieder benebelt. Ich denke, wenn der Zug nicht sowieso bald zu Ende gewesen wäre, hätten einige vorzeitig die unwirtliche Stätte verlassen. Aber man gedachte wohl die letzte Viertelstunde noch überstehen zu können, zumal der Prinz Karneval noch nicht gesichtet war.
Niemand hatte vor Zugende mit einer Erlösung gerechnet. Sie näherte sich auch völlig unerwartet. Schon von Ferne konnte man das laute Gegröle hören und die Unruhe erkennen, die eine Polonaise angetrunkener Jecken verursachte, die sich hinter den Reihen an der Häuserwand entlang drängte. Zuschauer, die im Wege standen, wurden unsanft beiseite gestoßen und beschimpft, wenn sie es wagten, aufzumucken.
Unsere Gruppe machte ihnen gerne Platz. Der erste trat auf die schon durchgeweichte Papierabdeckung, die an seinem Schuh kleben blieb. Die weiteren trugen nach und nach den Haufen ab und jeder von ihnen zog mit seinem Scherflein von dannen. Ihr Alkoholpegel lag so hoch, dass sie die Klebemasse unter ihren Schuhen nicht bemerkten. Ob ihnen irgendwann ein fremder Geruch in die Nasen stieg, weiß ich nicht zu sagen.
Dann kam der Prinz. Wie befreit jubelte ihm unsere Gruppe zu, was ihn so begeisterte, dass er sein wertvollstes Wurfmaterial opferte. Mein kleiner Bruder fing eine große Schachtel Pralinen auf, aber die hielt er unter seinem Arm. In den Plastikbeutel wollte er sie nicht stecken.
Onkel Mattsches Erdbeeren
Alle riefen sie ihn Mattsche. Als Kind glaubte ich, das sei ein Name wie jeder andere. Aber irgendwann wunderte ich mich, dass nur Onkel Mattsche „Mattsche“ hieß, niemand sonst. Er war nicht mein Onkel im eigentlichen Sinne. Er war der Mann der Schwester meiner Oma. Aber ich nannte ihn Onkel Mattsche, wie es mir als Kind bedeutet wurde und wie auch sonst? Mattsche lebte und starb in Arnoldsweiler, dem Geburtsort meiner Oma und meines Vaters, ein Dorf bei Düren im Rheinland.
Bekanntlich war das Rheinland zu Zeiten Napoleons von seinen Truppen besetzt, die nicht nur französische Ausdrücke in das Rheinland einbrachten. Bis heute haben sich in der rheinischen Sprache, speziell auch in der kölschen Sprache französische Einflüsse aus dieser Zeit erhalten. So gehören für Kölner französische Begriffe zur Umgangssprache wie zum Beispiel Trottoir, Plymo, Portemonnaie und „Visitez ma tent“, eingekölscht „Fisematentchen“. Die kölsche Mutter weist ihre Teenager-Tochter, die alleine mit einem Freund ausgeht, an, nur ja keine Fisematentchen zu machen. Damit meint sie, die Tochter solle sich nicht auf zu weitgehende Intimitäten einlassen, zu denen die kölschen Mädchen zur napoleonischen Zeit von den strammen französischen Soldaten mit der Aufforderung „Visitez ma tent“, „Besuch mich in meinem Zelt“ eingeladen wurden.
Ich vermute, dass aus dieser Zeit auch die Abwandlung des deutschen Namens Mathias in Mattieu kommt und dass aus Mattieu umgangssprachlich Mattsche wurde.
Wie auch immer, Onkel Mattsche war ein lustiger Kerl, mit verschmitzten, listigen Augen jederzeit zu einem Spaß bereit, besonders, wenn er zulasten seiner Frau ging. Regte diese sich auf, und sie regte sich meistens auf, über seine Späße auf ihre Kosten, dann saß er in seinem Wohnzimmersessel und grinste mit kullernden Augen. Für die nicht betroffenen Anwesenden waren diese Szenen immer eine besondere Gaudi, was Onkel Mattsche umso mehr zu weiteren Späßen anspornte.
Als Kind fuhr ich gerne mit meiner Oma für einige Tage nach Arnoldsweiler zu Besuch bei ihrer Schwester Lena und ihrem Schwager Mattsche. Nicht nur die Zugfahrt nach Düren mit einer Dampflokomotive und die Weiterfahrt mit dem Linienbus waren für mich ein besonderes Erlebnis, auch der Aufenthalt auf dem Land bot für mich als Stadtkind außergewöhnliche Eindrücke. Da gab es noch keine Wasserleitungen. Trinkwasser wurde entweder aus einem eigenen Brunnen direkt in das Haus gepumpt oder man bediente sich an öffentlichen Pumpen auf der Straße. Bei Onkel Mattsche befand sich im Hauseingang ein Waschbecken, über dem ein Wasserhahn und ein Pumpenhebel angebracht waren. Mir machte es eine höllische Freude, den Pumpenhebel mit aller kindlichen Mühe hin und her zu schwingen, um mit eigener Kraft Wasser vom Hahn in den Abfluss zu befördern. Ein weiteres ländliches Wunder versetzte mich in ungläubiges Staunen: Es gab keine Toilette im Haus. Das Örtchen befand sich im Hinterhof vor einer Scheune, ein kleines, schmales Häuschen mit einer Herzchentür, wie man sie aus alten Filmen kennt. Das Herzchen verzierte nicht nur die Tür, sondern diente als einzige Lichtquelle. Innen befand sich eine grob zusammengeschreinerte Holzkiste, darauf oben ein runder Deckel, der ein hinterteilgroßes Loch verschloss. Einen ersten Blick in dieses Loch vermochte ich nicht zu vertiefen, ich schrak eher zurück. Nicht nur wegen der eklig labberigen, gelb-braunen Masse, die mir dunkel entgegen schimmerte, sondern mehr wegen des nasenzusammenkrampfenden, beißenden Geruchs. An der Wand hing an einem dicken Nagel, mit grober Kordel durch ein Loch im Papier zusammengebunden die geschnipselte Ausgabe der vorletzten Hör Zu. Nach meinem Gefühl etwas zu glatt, um den ihr zugedachten Zweck ordentlich zu erfüllen. Aber zur Verrichtung der notwendigen Bedürfnisse gab es keine Alternative, weder am Tag noch in der Nacht, in der Nacht bei Kerzenschein.
Die Kiste war fast voll und ich wunderte mich, was wohl passieren würde, wenn sie ganz voll wäre. Der Zeitpunkt der Erkenntnis nahte, denn nach einigen Tagen spürte ich nasezuhaltend bei der Verrichtung meines morgendlichen Geschäftes, dass die Altitude der labberigen Masse schon eine bedenkliche Nähe zu meinem Allerwertesten erreicht hatte, ja, ihn vielleicht schon knapp berührte, wenn ich mich ungeschickt bewegte. Wenn auch noch die anderen Benutzer dieser Institution dort ihre dringenden Probleme lösen würden, müsste die Kiste wohl gestrichen voll sein. Ich fühlte förmlich, dass heute etwas passieren musste und um nichts zu verpassen, hielt ich mich im Dunstkreis des Häuschens auf. Mit meiner Einschätzung der akuten Situation lag ich nicht falsch. Am späten Vormittag erschien mein Onkel Mattsche auf der Bildfläche mit Gummistiefeln, Schaufel und einer hölzernen Schubkarre ausgestattet. Sein weg führte schnurgerade auf das Scheißhäuschen zu. Er öffnete die Tür, stellte die Schubkarre vor den Eingang in Position, hob die gesamte obere Abdeckung der Kiste zur Seite und griff zur Schaufel.
Die Schubkarre musste fünf Mal gefüllt werden, bis die Kiste soweit geleert war. Onkel Mattsche hätte die letzten Überbleibsel nur entfernen können, wenn er sich mit einer akrobatischen Übung tief in die Kiste hineingebeugt hätte. Trotz meiner unbändigen Neugier hielt ich mich in gehöriger Entfernung auf. Selbst in fünf bis zehn Meter Abstand ließ sich der Gestank kaum ertragen. Aber Onkel Mattsche schien das nichts auszumachen. Er trug wie immer sein verschmitztes Lächeln auf den Lippen und wenn er mich mit meinem faszinierten Staunen, gemischt mit einer Prise Entsetzen, da stehen sah, kullerten seine lustig-listigen Augen vor Vergnügen.
Er verzichtete auf die letzten Reste und forderte mich auf, ihn doch in den großen Garten zu begleiten, wo er den edlen Naturdünger in den Boden stocherte, aus dem Bohnen und Erdbeeren sprossen.
Zugegeben, es fiel mir schwer, mir vorzustellen, welche positive Wirkung der Edelstoff auf Wachstum und Geschmack von Bohnen und Erdbeeren haben sollte. Aber was soll ich sagen? Als ich Ende Mai erneut meine Oma nach Arnoldsweiler begleitete, servierte uns Tante Lena die geschmackvollsten Erdbeeren, die ich je gegessen habe.
Das Chinaklo
In europäischen Ländern gibt es ja teilweise ganz unterschiedliche Klos. Auch bei uns in Deutschland sind sie nicht einheitlich. Da gibt es Plumpsklos, einmal mit kleinem Abfluss und stehendem Wasser, andere, bei denen die komplette Schale bis zur halben Höhe mit Wasser gefüllt ist, das sich beim Abdrücken im Uhrzeigersinn mit allen Mitnehmseln in den Abfluss dreht. Außerdem kennen wir die Schalenklos, bei denen man sich vor dem Abziehen seine Hinterlassenschaft anschauen kann. In ländlichen Gegenden begegnet man hier und da Fallklos. Hier erfolgt gleichzeitig mit der Lösung auch die absolute Trennung von dieser, den sie fällt durch ein Loch und entschwindet auf Nimmerwiedersehen. Je nach Falltiefe und Konsistenz lässt sich noch ein mehr oder weniger lautes Klatschen vernehmen.
In den südlichen Ländern Italien, Süd-Frankreich sind Erdlochklos beheimatet. Hier muss man sich bei der Erledigung der betreffenden Geschäfte in eine unbequeme Hockstellung begeben, wobei einem manchmal mit vorgegebenen Fußstapfen oder Haltestangen Hilfestellung gegeben wird. Auf jeden Fall wird den Benutzern eine gehörige Treffsicherheit abverlangt, die vielen Nordeuropäern nicht zueigen ist, was dann an unansehnlichen, übel riechenden Fehltreffern erkannt werden kann. Diese Überbleibsel vergrößern das Hygieneproblem der hinuntergelassenen Hosen und der hinunterhängenden Röcke oder Kleider ungemein.
In den USA eröffnen die für Europäer ungewohnt offenen, nicht vom Boden bis zur Decke hermetisch verschlossenen Kabinentüren erstaunliche Blicke über und unter den Türrand. Je nach Akteur liegt die Sicht durch den unteren breiten Türspalt offen auf seine hinuntergelassenen Hosen, ein scheuer Blick über den oberen Türrand zeigt vor Anstrengung gerötete Köpfe oder auch nicht. Obwohl das eigentliche Geschehen nicht erkennbar wird, fühlt man sich als Europäer inwendig der Kabine unangenehm beobachtet, eigentlich unnötig, denn das liegt den Amerikanern fern.
Es erstaunt, dass sich die Toiletten in China nicht grundsätzlich von europäischen unterscheiden, zumindest die in Hotels und Restaurants. Ich meine die Technik, nicht die Hygiene. Selbst die Hygiene ist bei den Toiletten, die auch Touristen zugänglich sind, oft einwandfrei. Die Klos, die den Einheimischen in Altstadtvierteln zur Verfügung stehen, kennen wir nicht. Dort gibt es keine eigenen Toiletten in den einzelnen Häusern, sondern man hat zentrale Anlagen für ganze Straßenzüge.
Einmal auf unserer Jang Tse Fahrt hatte meine Frau das dringende Bedürfnis, in einem eigentlich vorzüglichen Restaurant die Toilette aufzusuchen. Und wenn sie es als dringend kundtut, dann meint sie es auch so. Nun, ich musste nicht und wartete außerhalb. Überall auf der Welt sind die Damen normalerweise benachteiligt, da sie selbst für kleinere Geschäfte Kabinen benutzen müssen, die regelmäßig nur in kleinerer Anzahl zur Verfügung stehen. Das hat die Folge, dass sich vor der begrenzten Menge der Kabinen Schlangen von bedürftigen Damen bilden. Lange Wartezeiten bin ich also durchaus in solchen Situationen gewöhnt. Umso mehr verwunderte es mich, dass meine Frau schon nach kürzester Zeit zurückkehrte, zumal der Andrang sichtbar groß war. Gleich fragte ich, was denn los sei. Voller Entsetzen berichtete sie, dass sie unverrichteter Dinge zurückkäme. Die Klos hatten keine Türen und vor jeder offenen! Kabine stand eine Schlange von Chinesinnen, die die Vorgänge in der Kabine interessiert beobachteten. Teilweise fand zwischen den Damen in der Kabine und vor der Kabine eine angeregte Konversation statt.
Meiner Frau war alles vergangen. Trotz ihres quälenden Verlangens verkniff sie sich ihr Bedürfnis für längere Zeit.
Der Naturschützer
Ein Bekannter eines Bekannten besitzt ein schönes Haus am Chiemsee, das er nach Abschluss seines Berufslebens ausgiebig genießt. An warmen Sommermorgen sitzt er zusammen mit seiner Frau auf der Terrasse beim Frühstück, liest gemütlich seine Tageszeitung und erfreut sich am Ausblick auf den See und die dahinter liegende Alpenkette. Je nach Lust und Laune macht er sich auf zum Angeln oder zum Segeln mit der kleinen Jolle, die er sich von der Zuwendung seines früheren Arbeitgebers zu seinem 40-jährigen Dienstjubiläum angeschafft hat. Der Angel- und Bootssteg ragt allerdings nicht von seinem Hausgrundstück aus in den See, sondern liegt ca. hundert Meter von seinem Haus entfernt an einem Rundweg, von dem aus sich ein mit Holzbohlen belegter Weg durch hohes Schilf zum Steg hinschlängelt.
Dass der Bohlenweg häufig mit Entenkot beschmutzt war, störte ihn kaum. Das gehört zur Natur, der er sich sehr verbunden fühlt. Dass sich aber neben den Entenkot und direkt neben dem Weg permanent auch Haufen von Wanderern und Spaziergängern gesellten, störte ihn doch sehr. Nicht nur der Gestank war widerlich, auch natürlich der Anblick, der durch beschmierte Papierfetzen und Tempotaschentücher nicht gerade verschönert wurde.
Wie viele Schilder hatte er schon aufgestellt:
Urinieren und Exkrementieren verboten!
Eine Toilette befindet sich beim nächsten Restaurant!
Badesteg. Bitte sauber halten!
Hallo, hallo, das Schilf ist doch kein Klo!
und Ähnliches mehr.
Alles vergebens. Die notdürftigen Wanderer kümmerten sich einfach nicht um die Hinweise, genauso wenig wie um eine Seilabsperrung über dem Bohlenweg. Es war zum Verzweifeln, bis ihm eines Morgens, als er nachdenklich von seiner Terrasse aus über den Chiemsee zur Fraueninsel blickte, die zündende Idee kam. Noch bevor ihn seine Frau nach dem Grund seines hastigen Aufspringens fragen konnte, lief er zu seinem Schuppen und fertigte ein neues Schild an, das er sofort am Rande des Rundwegs aufstellte, wo der Bohlenweg abzweigt.
Seitdem hat er Ruhe. Niemand verschmutzt mehr seinen Seezugang - und das, obwohl es sich keinesfalls um ein Verbotsschild handelt.
Auf dem Schild befindet sich eine Schlange, die er künstlerisch mit ausgestreckter, gespaltener Zunge aufgemalt hat und darunter in großen Druckbuchstaben die Aufschrift:
SCHÜTZT DIE DEUTSCHEN REPTILIEN !
Übrigens, eine Schlange hat er auf seinem Seegrundstück noch nie gesehen.
Der nasenbeeinträchtigende Gang zum Ohrenarzt
Schon seit langen Jahren habe ich ein kleineres Problem mit meinen Ohren. Im Laufe der Zeit sammelt sich dort Ohrenschmalz direkt vor dem Trommelfell. Wenn der Pfropfen sich schließt, habe ich ein dumpfes Gefühl und höre nicht mehr gut. Mein Kölner Ohrenarzt erklärte, dass die Ursache in leicht unnormal gebogenen Gehörgängen zu sehen sei, grundsätzlich kein großes Problem. Die Ohren werden mit einem starken Wasserstrahl ausgespült. Dabei löst sich der Pfropfen und wird nach außen geschwemmt.
Als wir nach Bad Homburg zogen, war es wieder einmal so weit, natürlich, als ich es am wenigsten gebrauchen konnte, nämlich an einem Freitagnachmittag. Einen Ohrenarzt kannte ich noch nicht, ich musste also suchen. Ich fand einen im Telefonbuch und den steuerte ich kurz nach 16 Uhr von der Arbeit aus an. Seine Praxis zu finden war kein Problem, jedoch praktizierte er schon seit Längerem nicht mehr. So stand es jedenfalls an der Tür.
Was sollte ich nun machen. Das Wochenende stand an und ich wollte keinesfalls bis montags mit verschlossenen Ohren herumlaufen. Also ging ich zur nächsten Telefonzelle und suchte im zerschundenen Telefonbuch nach weiteren HNO-Ärzten. Der erste, den ich fand, wohnte eine viertel Stunde entfernt. Langsam ging die Uhr auf 5 zu, Beeilung war also angesagt. Schnellen, anstrengenden Schrittes lief ich dort hin. Um 5 nach 5 kam ich an. Die Praxis schloss um 5 und nahm keinen neuen Patienten mehr an, es sei denn, ich wäre ein Notfall oder hätte Schmerzen. Auf beides konnte ich mich aber nicht berufen. Schon ziemlich niedergeschlagen fiel mir ein Ärztehaus in der Louisenstraße ein. Vielleicht war ja dort ein Ohrenarzt, der seine Praxis bis 6 Uhr geöffnet hatte. Jetzt lief ich schon kreuz und quer durch Bad Homburg. Ich schlaffte immer mehr ab, zum einen vom schnellen Laufen, zum anderen, weil ich zusehends nervöser wurde. Es war schon fast dunkel und viertel vor 6, als ich endlich ankam. Siehe da, es gab einen Ohrenarzt und der hatte sogar bis 6 geöffnet. Ermattet nahm ich im Wartezimmer platz. In diesem Zustand störte mich kaum noch, dass es sich nicht um einen Arzt sondern eine Ärztin handelte. Nichts gegen Ärztinnen, aber bislang hatte ich damit nur schlechte Erfahrungen gemacht.
Nachdem ich der Ärztin mein Problem dargelegt hatte und auch darauf hinwies, dass ich das Problem schon seit Längerem kenne, genauso wie die Behandlung, musste ich erst einmal meine gesamte Krankheitsgeschichte darlegen, von der Kindheit an. Ob das wohl Sinn machte bei Ohrenpfropfen? Nach den Masern, Windpocken und dem Keuchhusten musste ich den Mund öffnen, damit sie sich meinen Rachen und die Mandeln ansehen konnte. Ob sie auf diesem Weg auch von innen in meine Ohren schauen konnte, weiß ich nicht so genau. Jedenfalls fand sie meine vernarbten Mandeln schrecklich, die mir seit Jahren schon keinerlei Schwierigkeiten mehr machten. Sie müssten am besten gleich nächste Woche entfernt werden. Bei mir kam immer mehr Freude auf. Ich konnte mich so gerade noch durchsetzen, das Mandelproblem doch auf später zu verschieben, da ich wegen meiner Ohren gekommen war. Nach Blicken in meine Nasenlöcher war es dann endlich so weit. Sie sah sich meine verstopften Ohren an.
Ob ich denn meine Ohren vielleicht etwas öfter waschen müsse? Die Frage war für sie natürlich mehr eine Feststellung. Sie machte mir Spaß. Jeden Morgen halte ich den Brausestrahl in meine Ohren und ihr fiel als Ursache der Verstopfung nichts Besseres ein, als Schmutz und Schmier. Zaghaft startete ich den Versuch, auf die mir sehr vernünftig erschienene Diagnose von ungewöhnlich gebogenen Gehörgängen meines Kölner Arztes hinzuweisen. „Papperlapapp“, meinte sie nur. So einen Unsinn hätte sie ja noch nie gehört.
Sie griff nun endlich zu ihrem Wasserstrahler und pustete mir damit so lange in die Ohren, bis aus beiden gehörige Pfropfen herausgespült kamen. Na endlich, dachte ich. Aber dann griff sie zu einer Art Wattestäbchen, mit dem sie nach ihrer Aussage den letzten Rest Ohrenschmalz entfernen müsse. Der Rest befand sich allerdings auf den Trommelfellen und darauf rieb sie mit ihren Wattestäbchen herum. Ich kann nur sagen, ich hörte die Englein singen. Es schmerzte, mir wurde schwindelig und übel. Nachdem die Tortur vorüber war und mir noch der Angstschweiß auf der Stirn stand, meinte sie, ob wir denn jetzt einen Termin für die Operation meiner Mandeln ausmachen könnten. Mit letzter Kraft schnellte ich aus dem Behandlungsstuhl und meinte im Vorüberrauschen nur noch, dass ich mich bald deshalb wieder melden würde. Es war mir sonnenklar, dass diese Ärztin mich nie mehr wieder sehen würde.
Draußen vor der Tür musste ich erst ein paar Sekunden stehen bleiben, um wieder zu mir zu kommen. Die frische Herbstluft tat mir gut. Ich muss ziemlich bleich ausgesehen haben, so wie mich einige Passanten mit mitleidigem Blick anschauten. Aber das machte mir nichts. Meine Sinne waren nach diesen Strapazen wie abgeschlafft. Ich wollte nur noch eins, auf schnellstem Wege nach Hause.
Die erfrischende Luft trieb mich zusehends schneller durch den dunklen Abend. Mein Weg führte über den Kurplatz in Richtung Kaiser-Fiedrich-Promenade, wo ich wohnte. In Gedanken war ich schon zu Hause, wo meine Frau sicher ein mich aufbauendes Abendessen zubereitete, und wo ich bei einem guten Glas Wein den ganzen Kummer vergessen konnte. Bei diesen erfreulichen Gedanken spürte ich, dass mein rechter Fuß vorne von etwas Warmem, Glitschigem umschlossen wurde. Bei der Idee, was das sein könnte, erschrak ich nicht schlecht. Leider lag ich nicht falsch. In einen so riesigen Haufen Scheiße hatte ich noch nie getreten, bernhardinergroß! Der Haufen war über meinem Schuh wieder zusammengeschwappt. Meine guten neuen Ballyschuhe. Was tun, so besuhlt? Ein Rasen zum Abstreifen der stinkenden Masse war nicht in der Nähe. Papier? Na ja, Papier gibt es überall irgendwo. Aber es ging nicht nur um ein paar schmierige Streifen, sondern die Scheiße hing fingerdick auf meinem Schuh. Ich musste eine durchgreifendere Lösung finden. Da fiel mir der große Brunnen im Kurpark gleich gegenüber dem Maritim Hotel ein. Das Gröbste müsste sich im Wasser abspülen lassen. Keine gute Idee für die Hygiene des Brunnens, aber das war mir in dieser Situation egal. Im Brunnenwasser schwenkte ich den betroffenen Schuh so lange hin und her, bis die dickste Masse auf den Brunnenwellen auf und ab hüpfte und sich nach und nach mehr und mehr verteilte. Ballyschuhe sind keine Wasserschuhe. Durch Leder und Nähte drang das kalte Brunnenwasser in meine Socken. Aber lieber nasse Socken, als Kacke am Schuh. Die letzten Überreste versuchte ich so gut wie möglich mit einem Tempotaschentuch abzuwischen. Das gelang mehr schlecht als recht, insbesondere, weil das Tuch schnell durchnässte und aufweichte und dann die Finger auf das Geschehen glitten. Das auch noch. Mit halbwegs gereinigtem aber durchnässtem Schuh schwappte ich nach Hause.
Meine Frau und meine Tochter saßen vor dem Fernseher vor irgendeiner Soap Opera. Geschafft ließ ich mich aufs Sofa fallen. Das Interesse der Beiden galt mehr der Soap Opera als einem vom Schicksal geschlagenen Heimkehrer. Es dauerte aber nur wenige Minuten, bis die Außenhaut meines rechten Schuhs auf der Fußbodenheizung an zu trocknen fing und sich damit erst leichte, dann stärkere Gerüche entwickelten. Zuerst rümpfte meine Tochter die Nase, dann sah meine Frau mich fragend an.
Nicht nur, dass ich das ganze Unglück alleine zu tragen hatte, der Spott und das Gelächter meiner beiden blieb nicht aus.
Meine schönen Ballyschuhe waren hin. Das war wirklich nicht mein Tag.
Tag der Veröffentlichung: 12.01.2009
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