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Es waren einmal mehrere Brüder.
Die litten unter einem tyrannischen
und obendrein sehr dummen Vater.
Gegen den verschworen sie sich,
und sie töteten ihn.

Um sicher zu gehen,
dass er niemals wieder auferstehe,
beschlossen sie, seinen Leichnam zu essen.
Und so feierten sie ein fröhliches Fest.

Doch sie hatten den Vater unterschätzt.

In den Mägen seiner nichtsahnenden Söhne
zeigte er deutlich mehr Lebens- und Widerstandskraft
als in seinen letzten irdischen Tagen.
Wo er sich nur mehr hingeschleppt hatte.
Von seiner deutschen Frau beherrscht
und ihren wahnsinigen Priestern.

Eine Art Reue,
die Empfindung, etwas gänzlich Unstatthaftes,
dem Weltgesetz Spottendes begangen zu haben,
bemächtigte sich der eben noch siegestrunkenen Söhne.
Und kam zum Vorschein als Übelkeit.

Alsbald fielen die ersten ab.
Übergaben sich und machten sich fort.
Legten sich wärmende Tücher um ihre Bäuche
und wollten nichts wissen von dieser Tat.

Einer der Mörder,
ein überaus schlauer und listiger,
obendrein glatzköpfiger Mensch,
welcher die Verschwörung gegen den Vater
ausgeheckt und die zögernden Brüder
mit seiner Tatkraft angestachelt hatte,
wurde von einer Lähmung des Hirns
und des Körpers befallen.

Es war, als weigere sich sein Geist,
das Entsetzliche,
welches unleugbar doch aus ihm entsprungen,
sich nun auch selbst zuzurechnen.

Ein anderer,
welcher die von dem Bruder ersonnene
und seinerzeit in zündender,
alle mitreißender Rede begründete Tat
dann im wesentlichen ausgeführt und somit
den eigentlichen Frevel
mit kalter Berechnung vollbracht hatte,
war ob seines Erfolges so eitel geworden,
dass er,
nach der Erkrankung und dem absehbaren Tod
des glatzköpfigen Bruders,
sich selbst ganz selbstverständlich
und allzu gewiß
für das künftige Haupt der Familie hielt.

Worüber er einen kleinen,
pockennarbigen Halbbruder ganz übersah.

Dieser, ursprünglich von seiner Mama,
die ihn zärtlich
Sosso rief,
für den Priesterberuf bestimmt,
hatte schon früh mit Banditen und Mördern paktiert,
zu seinem eigenen Vorteil.
Verbrechergemeinsinn verachtete er:
Dummheit sei das und Schwäche.

Als Sosso damals
von dem Mordplan am Vater erfahren,
hatte er sich zurückgehalten
und abgewartet.
Später nichts von der Leiche verzehrt.

Seinen georgischen Schnurrbart zwirbelnd
und scheinbar einfältig lächelnd,
wurde er von den Brüdern wenig geachtet.

Grob und ungeschliffen war seine Rede.
So galt er ihnen,
von denen viele studiert hatten,
einfach für dumm.
Und schließlich gehörte Sosso bloß halb zur Familie.

Deshalb übertrugen sie ihm
die allerunwichtigste Aufgabe:
Das war der Posten des Sekretärs.
Denn schreiben, das konnte er.
Hatte er's doch bei Mönchen gelernt

Da aber der Glatzköpfige
kaum mehr zu sprechen vermochte,
und der Eitle,
welcher übrigens Leo hieß,
- als ob er die Wahrheit des Sprichworts
Der Löwe springt einmal nur


aller Welt vorführen wollte -
in eine sonst unerklärliche Zagheit verfiel
(oder wirkte das Gift des Vaters bei ihm bloß verzögert?),
fragten bald alle bei Sosso an:
Was denn nun zu geschehen habe?

Irgendeiner mußte es ihnen doch sagen.
Und immerhin konnte er schreiben.

Zu diesen Unselbständigen gehörte auch Felix.

Der liebte so sehr die Ordnung,
dass er,
ein zunächst ganz farbloser Pole,
eine Behörde erfand,
deren Aufgabe darin bestand,
alle, die verdächtigt wurden
(und es war leicht, verdächtigt zu werden),
einzufangen, in Lager zu sperren,
und sie dort arbeiten zu lassen -
bis man sie erschoß.

Dennoch nahm
die Zahl der Verdächtigten zu
und nicht ab.

Unbekümmert darum, setzte Felix sein Werk fort.
Sonst hatte er keinen Ehrgeiz.
Er spielte gern den Herrn der Verhaftungen,
der Verhöre, Gefängnisse - weiter begehrte er nichts.

Also regierte Sosso ganz selbstverständlich,
als sei dies von jeher so geplant.
Der kahle Bruder war gestorben.
Sosso – wer sonst – hatte die Trauerfeier geleitet
und dabei, in einer gefühlvollen Rede,
dessen nun wächsern bleichen Kopf
zu einem Totem,
zum heiligen Objekte, erklärt.

Der jetzt Wächserne hatte kurz vor seinem Tod
in einer kurzen, rasch noch diktierten Mitteilung,
die der Sekretär jedoch unbemerkt
konnte verschwinden lassen,
die Brüder vor Sosso gewarnt.
Davon also erfuhren sie nichts.

Sossa aber beschloss sich an dem Kahlen
zu rächen für das Diktat.
Und ließ ihn
als ausgestopfte Mumie fortan
in einem Mausoleum begaffen.

Damit hat Sosso sich selbst zum Totem gemacht.
Nimmt er doch nun -
als sei das klar und dem Willen des Bruders gemäß -
die Rolle des Nachfolgers ein.

Und er läßt, auf großen Gemälden,
die überall öffentlich aufgehängt werden,
sich selbst und den jetzt Mumifizierten
stets nebeneinder darstellen
in augenfällig einträchtiger Zweisamkeit.

Den eitlen Leo schafft Felix auf einen Wink
Sossos dezent aus dem Land.
Ein paar Jahre später genügt ein weiterer Wink,
um einen Schädelspalter aufzutreiben,
der, mit hinterrücks erhobener Axt,
willfährig den Rest besorgt.

So ist Sosso nun ganz an die Stelle
des tyrannischen Vaters getreten.

Und auch den Kahlkopf ersetzt er,
dem seine uneingestandene Reue
die Hirnlähmung erst,
dann den Tod eingebracht hat.

Ganz wie der alte Tyrann
macht Sosso sich nunmehr zum Gott.

Ja, mehr noch als dieser,
welcher sich bloß als vom Höchsten
auserwählter Herrscher verehren ließ,
fordert Sosso,
der jeglichen Glauben
sonst streng bestraft,
von allen die Anerkennung als Gott.

Dies sei erforderlich,
um der Menschheit, deren Retter er sei,
den Weg zur Kultur
und einem menschenwürdigen Leben
zu ebnen.
Einen Weg, den er,
der kleine gerissene Dieb aus den Bergen,
ganz genau kenne.

Als Sosso starb nach vielen Jahren
(denn selbsternannte Götter sind sterblich),
begruben sie ihn an der Mauer seines Palasts.
Sein Reich dauerte noch eine Weile,
bis es zerfiel.
Die Menschen ehren wieder die alten Götter
oder das Geld.
Oder sie leben einfach.
Ohne von Sosso zu wisssen.


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Tag der Veröffentlichung: 05.06.2008

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