Cover

~Prolog~



Das konnte er schlichtweg nicht ernst meinen!
Er wusste, dass ich schon seit ich klein war derartige Geschichten geliebt hatte und Vampire auch jetzt noch meine lieblings Fantasiegestalten waren, da ich sie mir immer als ausgesprochen elegant, überdurchschnittlich gut aussehend, schöngeistig und kultiviert vorgestellt hatte.
Bei genauerem Nachdenken trafen alle diese Eigenschaften auch durchaus auf ihn zu, doch was mir Cam gerade weismachen wollte war deshalb nicht weniger unglaubwürdig.
Schon seit einer geraumen Weile saß ich nun regungslos neben ihm auf seinem Bett und starrte ihn mit geweiteten Augen an, während er nur verlegen grinste und gleichzeitig den Eindruck vermittelte, als hätte er genau diese Reaktion von mir erwartet.
Als das Schweigen allmählich unangenehm zu werden drohte begann er noch einmal zu sprechen:
„Ich wusste, dass du es nicht glauben würdest, - Ich an deiner Stelle hätte es wahrscheinlich auch nicht getan…“
„Ach komm schon…“ unterbrach ich ihn, plötzlich von meiner Paralyse befreit und aus irgendeinem Grund verärgert, „…Du willst mich doch jetzt nur auf den Arm nehmen!“.
Ich sprach diesen Gedanken im Brustton der Überzeugung aus.
Victor seufzte.
„Alley, ich weiß dass das total unrealistisch klingt, aber bitte überleg doch mal: wann habe ich dich jemals angelogen, wenn wir so ein ernstes Gespräch hatten?“
Ein schlagendes Argument.
Victor, den, wegen seiner Leidenschaft für Fotografie und der Angewohnheit im Grunde nirgendwo ohne Kamera hinzugehen, eigentlich alle nur Cam nannten, war nun schon seit mehr als sechs Jahren mein bester Freund.
Wir konnten uns alles erzählen, verstanden einander blind und er war tatsächlich ausnahmslos ehrlich zu mir gewesen, was weder immer leicht, noch schön gewesen sein konnte.
Ich vertraute ihm tatsächlich vollkommen.
Langsam bröckelte die schnell errichtete Mauer aus völligem Unglauben, die ich mit einer guten Portion Realitätstreue und Fantasielosigkeit zementiert hatte.
„Ich wollte es dir schon lange sagen, allerdings hatte ich Angst, dass du mich als total verrückten Vollidioten abstempeln würdest…“, er lächelte entschuldigend.
Ich setzte einen gespielt finsteren Blick auf und vergaß für einen Moment die schockierende Neuigkeit die er mir beizubringen versuchte.
„Du hättest doch wissen müssen, dass du mich nicht so schnell los wirst!“.
„Gut.“, gab er zurück, „Dann dürfte dieser kleine neue Aspekt meiner Persönlichkeit ja kein Problem für dich darstellen.“
Er beharrte wirklich sehr hartnäckig auf dieser haarsträubenden Behauptung.
Ich legte den Kopf in den Nacken, starrte zur weißen Zimmerdecke und blies langsam einen dünnen Strom Luft zwischen meinen Lippen hervor.
Dann wandte ich mich wieder ihm zu und sah in sein gespanntes Gesicht.
„Du meinst das tatsächlich ernst?!“, es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Cam nickte eindringlich.
„Aber ich warne dich, wenn du mich verarschst rede ich nie wieder ein Wort mit dir!“, wieder kam der freundschaftlich ironische Ton durch, wir hatten einfach eine besondere Beziehung und ich konnte ihm in Wahrheit nichts wirklich übel nehmen, was ihm durchaus bewusst war.
Er nickte erneut, diesmal mit einem leichten grinsen, dass um seine Mundwinkel spielte und um zu bestätigen, was er mir innerhalb der letzten halben Stunde zu erklären versucht hatte sagte er mit fester Stimme und einer unwahrscheinlichen Gewissheit:
„Alley, ich bin wirklich ein `Vampir`!“, wobei er das letzte Wort auf eine besondere Weise betonte, die zeigte, dass er nicht allzu viel von dieser Bezeichnung hielt.
Nun hatte er meine Mauer endgültig eingerissen und die Erkenntnis traf mich mit der Wucht einer Explosion.
Mein bester Freund war ein Vampir!

Ich brauchte einige Augenblicke um diesen Gedanken überhaupt zu fassen, um die Bedeutung der einzelnen Worte zu verstehen und die aufgenommene und letztlich als wahrhaftig zutreffend befundene Information zu verarbeiten.
Mein Gehirn lief auf Hochtouren und lies dadurch tausende Fragen entstehen.
Die erste Bemerkung zu der ich fähig war, war:
„ A…Aber du hast doch mit mir Twilight geguckt!“, die Reihenfolge meiner Äußerungen schrieb ich meiner geistigen Verwirrung zu.
Victor amüsierte dieser Gedanke jedoch.
„Ein wirklich schwachsinniger Film. Völlig Realitätsfremd.“
Ich schnaubte.
„Ich denke du bist nicht gerade der jenige, der sich über den Realitätsanspruch von irgendetwas aufregen sollte!“, ich liebte diesen Film.
„Was ist mit deinen Eltern?“ wechselte ich das Thema. „Ich meine…sind sie auch…“
„Vampire?“, vollendete er meinen Satz.
„Ja.“, sagte ich tonlos.
Bei diesem Wort durchfuhr mich ein leichtes Kribbeln.
„Natürlich.“, antwortete er ohne zu zögern.
Ich hatte Aveline und Razvan schon vor langer Zeit kennen gelernt und sie waren mir, im laufe meiner Freundschaft zu ihrem Sohn, auch sehr ans Herz gewachsen.
Wir hatten ein unkompliziertes und offenes Verhältnis und sie behandelten mich im Grunde wie ein Mitglied der Sanders-Familie.
„Ich hab’s all die Jahre nicht gemerkt.“, flüsterte ich fassungslos.
Cam legte mir behutsam eine Hand auf die Schulter. Unter dieser Berührung zuckte ich leicht zusammen, bereute es aber sofort, als er mit verstörtem Gesichtsausdruck seinen Arm zurück zog.
„Tut mir leid.“, murmelte ich.
Seine Miene wurde verständnisvoll.
„Naja, die Möglichkeit zu bemerken was wir sind hattest du auch nie. Wir halten es logischerweise streng verborgen. Du kannst dir ja sicherlich vorstellen wie die Leute auf solche Nachrichten reagieren.“
„Was halten dann deine Eltern davon, dass du mir euer Geheimnis verrätst?“, wollte ich wissen.
„Hm…“, er schien plötzlich ganz kleinlaut zu werden, ich sah ihn streng an.
„Genau genommen haben sie mir eigentlich erst nahe gelegt dich einzuweihen.“.
Seine tiefbraunen Augen schauten ein wenig bedauernd.
Ich ergriff seine rechte Hand um ihm zu zeigen, dass es für mich okay war und wieder einmal verstand er genau, was ich ihm damit sagen wollte.
Sein Gesicht hatte deutlich entspanntere Züge angenommen als ich weiter sprach.
„Wow…“ sagte ich trocken, „Also dein erstes Coming Out fand ich wesentlich weniger schockierend.“.
Wir sahen uns einen Moment in die Augen, dann mussten wir beide lachen.


~1~“May I introduce“



Ich löcherte Cam noch eine Weile mit Fragen, die meisten von ihnen, Dinge des Alltags betreffend , die er allesamt bereitwillig und mit einer Engelsgeduld beantwortete, bis uns von unten die sanfte Stimme seiner Mutter zum Abendessen reif.

Kurz darauf hatten wir uns alle um den großen, schönen Esstisch aus Kiefernholz platziert.
Misses Sanders hatte, wie immer, fürstlich aufgetischt und so reihten sich neben Salat, Brot und etlichen anderen Kleinigkeiten eine üppige Schüssel Chili und weitere mexikanische Köstlichkeiten auf dem Tisch aneinander.
„Das riecht wieder himmlisch Aveline.“, sagte ich und das keineswegs nur aus Höflichkeit.
Sie bedachte mich mit einem wohlwollenden, sehr warmen Blick und wandte sich dann an Cam, der direkt neben mir saß.
„Wann heiratest du sie endlich, Victor?“, fuhr sie ihn, gekünstelt streng, an.
Dieser starrte nur irritiert und verärgert zu ihr hinüber.
Nun meldete sich sein Vater zu Wort.
„Ach komm schon Schatz, lass es gut sein. Du musst deinen armen Sohn nicht immer so aufziehen.“, bat er sie mit einem schalkhaften Augenzwinkern.
Mir war das ganze Szenario schon bekannt und nur deshalb nicht peinlich.
Im Normalfall wäre ich bei solch einer Bemerkung wahrscheinlich rot angelaufen und hätte dezent versucht die Flucht zu ergreifen.
„Wann werdet ihr endlich akzeptieren, dass ich nun mal schwul bin?!“, für Cam war dieses Thema scheinbar immer noch ein wunder Punkt.
„Komm schon, du weißt doch, dass wir dich so lieben wie du bist. Ich will dich nur manchmal ein bisschen necken.“, das hübsche Gesicht seiner Mutter sah nun sogar ein wenig traurig aus.
Ich spürte, dass es an der Zeit war gekonnt das Gesprächsthema zu wechseln.
„Was habt ihr denn heute Abend schönes vor?“, fragte ich an Razvan und seine Frau gewandt.
„Ohja, ein sehr gekonnter Themawechsel und so einfallsreich, ich muss schon sagen“, verspottete ich mich in Gedanken selbst.
Mister Sanders jedoch schien ebenso dankbar über die Ablenkung und bemühte sich um eine schnelle Antwort.
„Aveline und ich wollen heute mit ein paar Freunden tanzen gehen.“.
Die Vorstellung, dass sie als Vampire, wie ich nun wusste, einer solch harmlosen und normalen Freizeitaktivität wie Tanzen nachgingen schien mir befremdlich.
„Und was habt ihr zwei Hübschen heute geplant?“
Da Cam seine Mutter noch immer finster taxierte überließ ich es bewusst ihm zu antworten.
„Party.“, gab er zurück, als er seinen Blick endlich von Avelines Gesicht gelöst hatte.
Sie war inzwischen zu ihrer gewöhnlichen, forschen und fröhlichen Art zurückgekehrt.
„Sehr ausführlich Schatz.“, spöttelte sie. „Und bei wem, wenn deiner alten Mutter eine solch private Frage vergönnt ist?“.
„Wie alt ist sie wohl wirklich?“, schoss es mir plötzlich durch den Kopf.
Victor spielte weiterhin die beleidigte Leberwurst und so versuchte ich Auskunft zu geben.
„Ähm…ein Freund von Victor, Adam Largareta hieß er glaube ich?!“
Ich erwartete eine Korrektur von Cam, stattdessen war es Razvan der die Unterhaltung fortführte.
„Adam!“, er schien nicht gerade glücklich über diese Information.
„Ach Dad…“, platzte Victor offensichtlich genervt heraus.
„Nicht schon wieder diese Diskussion. Er ist ein guter Kerl.“.
Ich verstand nur Bahnhof, seine Mutter hingegen sah besorgt aus.
„Aus jahrelanger Erfahrung weiß ich ja inzwischen, dass du eh alles das tust, was du dir einmal in deinen Kopf gesetzt hast und dass ich dir nichts mehr verbieten kann. Aber pass nachher gut auf dich auf!“.
„Und auf Alley!“, fügte sein Vater, immer noch missmutig dreinschauend hinzu.

Die restliche Zeit während des Essens verbrachten wir mit oberflächlichem, doch unterhaltsamem Geplänkel, was mir angesichts der vielen offenen Fragen, die noch immer in meinem Kopf sirrten, nicht gerade leicht fiel.

Nachdem wir beim Abräumen der Porzellanteller, der Gläser und des Bestecks geholfen hatten, zogen wir uns in Cams Zimmer zurück um uns allmählich Aufbruchsbereit zu machen.
Ich mochte sein Reich.
Obwohl drei der vier Wände weiß waren, wirkte der Raum weder kalt, noch steril. Im Gegenteil, er strahlte eine derartige Wärme und Kreativität aus, dass man sich einfach wohl fühlen musste.
Eine der weißen Wände wurde von einem Strahler, der aller zehn Sekunden die Farbe wechselte, beleuchtet, die andere wurde durch das große und erstaunlich saubere Fenster durchbrochen und die dritte, an der sein Schreibtisch stand, wurde von einer riesigen Pinnwand eingenommen, die über und über mit Fotos, Zeichnungen, kleinen Schriftstücken und anderen Souvenirs des täglichen Lebens bestückt war.
Ich hatte mich in das Farbenspiel der Lampe vertieft, als Cam, nach seinem Gang ins Bad, wieder den Raum betrat.
Dieser Umstand riss mich aus meiner Trance.
„Was haben deine Eltern gegen Adam?“, fragte ich neugierig.
Während er das T-Shirt, was er tagsüber getragen hatte achtlos auf das Bett warf grummelte er vor sich hin.
„Seine Familie ist…Naja, nicht gerade beliebt unter unseresgleichen. Sie…“, er machte eine Pause. „Sie sind eine Art Vampirjäger.“.
Noch immer klangen diese Worte für mich hohl und unbegreiflich. Ich betrachtete einen Moment seinen schönen Oberkörper, während ich über das Gesagte nachdachte.
„Seine Großeltern und auch die restlichen Verwandten haben viele von uns verraten und der Öffentlichkeit, und damit dem Tod, preisgegeben, seine Eltern haben allerdings mit dieser Tradition gebrochen und er ist wirklich nett und ist mit vielen `unserer Art` befreundet.“, vollendete er seine Ausführungen.
„Verstehe.“, sagte ich langsam, obwohl das nicht wirklich zutraf.
„Man kann euch also töten?!“, meine Frage kam mir sehr naiv vor.
„Natürlich!“, erwiderte Victor.
„Es ist allerdings nicht so leicht wie bei euch Menschen. Unsere Körper sind in gewisser Weise stärker und mit wesentlich mehr Selbstheilungskraft ausgestattet.“
„Euch Menschen“, hatte er gesagt…diese Formulierung bereitete mir ein wenig Schmerz.
Sie entbehrte zwar jeglicher Abwertung, doch klang sie in meinen Ohren zu sehr nach Distanz.
„Na los!“, er streckte mir auffordernd seine Hand entgegen.
„Du solltest dich fertig machen Kleine.“.
So nannte er mich selten, meistens nur wenn wir uns lange nicht gesehen hatten, dennoch erfreute es mich.
Ich ergriff seine Hand und ließ mich auf die Füße ziehen.
„Du kannst jetzt erstmal ins Bad.“.
Ich nickte kurz, schnappte meinen Rucksack und verschwand in das angrenzende Badezimmer.
Die Fußbodenheizung verlieh den Fliesen unter meinen Füßen eine kuschelige Wärme und das in Kombination mit dem umfangreichen Abendessen lies mich etwas schläfrig werden.
Ich gähnte und stellte mich vor den großen Spiegel.
Schnell wechselte ich mein Oberteil, - vom schlichten Top mit offener Karobluse darüber zu meinem angenehm flatternden, schwarzen Ausgehtop.
Dann breitete ich meine Schminkutensilien auf dem Waschbecken aus.
Ich war zwar kein Freund von zugekleisterten Tussis, doch mochte ich es meine Augen verhältnismäßig stark zu betonen, wenn eine Party oder ein Clubbesuch anstand.
Ansonsten nahm ich mit etwas Rouge, Wimperntusche vorlieb.
Nach etwa einer Viertelstunde war ich fertig und betrat erneut Cams Zimmer.
Er war noch immer nur halb bekleidet und hockte vor seinem Computer.
„Man ich fasse es nicht, erst scheuchst du mich und dann sitzt du nur rum um dein virtuelles Leben auszubauen.“
Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.
„Auf geht’s Victim Sanders!“, sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter.
„Ganz wie du wünschst Belly Adler!“.
Ich funkelte ihn an. „Ich bin nicht dick!“.
„Und ich kein Opfer!“, entgegnete er.
„ Ist ja gut.“, lenkte ich ein. Ich wusste, dass wir sonst nie hier wegkommen würden.
„Zieh dir was an Adonis, es wird Zeit!“.

Keine zwanzig Minuten danach hatten wir uns von Mister und Misses Sanders verabschiedet und saßen in der A-Klasse seines Vaters.
Victors Eltern hatten tatsächlich einiges an Geld, doch war es die Sorte des Vermögens, welches man sich hart erarbeitet hatte und auch zusammenhalten wollte.
Aveline und Razvan waren beide als Zahnmediziner tätig und führten seit ihrer Hochzeit vor gut 22 Jahren eine gemeinsame Praxis.
Cam lies den Motor an, legte eine CD ein und verlies die Ausfahrt des Grundstücks.
„Woher kennst du Adam überhaupt?“, wollte ich wissen, als wir gerade auf die Hauptstraße einbogen.
Er zuckte mit den Schultern und antwortete:
„Über P.J und Lea de Ladd. Unsere Eltern sind schon ewig befreundet. Sie sind auch…so wie wir“.
Auch er schien Probleme zu haben das Wort auszusprechen.
„Ach und keine Sorge, sie wissen, dass ich dir erzählen wollte…“.
Ein von links kommender Audi schnitt uns die Vorfahrt.
Victor stieg mit aller Kraft auf die Bremse und wir hatten Glück, dass niemand hinter uns war.
„So ein Arsch!“, fluchte er.
Ich stimmte ihm zu.
Von dem Schwarzen A6 sahen wir nur noch zwei kleine rote Pünktchen, - er war einfach davongebraust.
Ein plötzlicher Ausdruck der Erkenntnis erleuchtete Cams Gesicht, das sich kurz darauf jedoch wieder verdunkelte.
„Was ist?“, bohrte ich nach, als er wieder fahrt aufgenommen hatte.
„Ich kenne Das Auto. Gehört Patrick Cain Van Gillet.“,
„Lass mich raten, - ein weiterer Vampir?!“, unterbrach ich ihn, überrascht wie flüssig es mir nun von den Lippen ging.
„Jap.“, bestätigte Victor mit theatralisch missgünstiger Stimme.
„Total gut aussehend aber eben auch ein totaler Idiot. Seine Mum hat das ganze Familiengeld geerbt und er bekommt es in den Hintern geschoben. Kein sehr kommunikativer Junge, total abgehoben und man munkelt er habe inoffiziell etliche Frauengeschichten, obwohl er in der Öffentlichkeit so gut wie immer alleine unterwegs ist.“.
„Und ihn kennst du woher?“
„Ach ja, ich hatte für einen Moment vergessen, dass du erst seit ein paar Wochen aus deinem Rückständigen Kaff raus bist.“.
Ich verzog das Gesicht.
Ich war erst vor vierzehn Tagen aus der kleineren Nachbarstadt Wingham in das zwanzig Kilometer entfernte und nächst größere Dallenton gezogen und lebte nun in meiner ersten, ganz eigenen Wohnung am Stadtrand.
Victor liebte es mich damit aufzuziehen, Bemerkungen über die „Rückständigkeit“ und „Ländlichkeit“ meiner vorherigen Heimatstadt zu machen.
Manchmal bezeichnete er mich als „weltfremdes Bauerntrampel“, ich konterte dann mit einem liebevollen: „Klappe du arroganter Großstadtaffe!“.
Doch genau genommen war Dallenton nicht wirklich eine Großstadt und so war es eigentlich nicht verwunderlich, dass beinahe Jeder Jeden kannte, was Cam auch als Grund seiner Bekanntschaft mit Pat Von Gillet angab.
Bei dem Gedanken daran, wie verhältnismäßig klein diese Stadt doch war, drängte sich mir eine weitere Frage auf.
„In Bezug auf die Einwohnerzahl scheint hier ja eine ziemlich hohe Vampirdichte zu herrschen…“, die Worte klangen offenbar nicht nur für mich komisch, denn wieder zuckte Victors Mund in Richtung des für ihn so typischen, leicht ironischen Lächelns.
Ich fuhr jedoch unbeirrt fort, da ich heute schon derartig viel Unglaubliches erfahren hatte und mich diese rhetorische Seltsamkeit daher weniger zu beeindrucken vermochte, als sie es sonst wahrscheinlich getan hätte.
„Ist euer Prozentualer Anteil an der Bevölkerung generell derartig hoch oder habe ich einfach das Glück in die Freakstadt gezogen zu sein?“.
„Eher letzteres.“, sagte er, den Blick auf die Fahrbahn geheftet.
„Na toll!“.
Hätte er mir nicht wenige Stunden zuvor erklärt, dass die „modernen“ Vampire nahezu ausnahmslos davon Abstand genommen hatten sich menschlicher Lebensenergie zu bedienen, hätte ich sofort einen erneuten Umzug ans andere Ende der Welt veranlasst, inklusiver meiner Eltern Betty und Damien, die noch immer in Wingham wohnten.

Kurze Zeit später rollte der blaue Mercedes auf den Parkplatz vor einer, aus roten Ziegeln gebauten, Fabrikhalle mit hell erleuchteten großen Fenstern.
Der Innenraum war zu geräumigen Eigentumslofts ausgebaut, wie ein großes buntes Plastikschild im Eingangsbereich verkündete.
Ich schlug die Autotür hinter mir zu und stieg neben Cam die metallene Treppe empor.
„Er ist mit seiner Freundin zusammen vor drei Tagen hier eingezogen.“, informierte er mich noch einmal über Adam.
Im Obersten Stock angelangt sahen wir die Wohnungstür weit offen stehen.
Von drinnen kam das gedämpfte Murmeln einer größeren Menschenmenge, leise angenehme und unaufdringliche Musik und ab und zu ausgelassenes Gelächter.
Da uns niemand hineinbitten zu wollen schien betraten wir auf eigene Faust das Loft.
Als wir gerade dabei waren unsere Schuhe auszuziehen, löste ich ein hünenhafter junger Mann, Mitte zwanzig, aus der Menge und kam auf uns zu.
Er trug einen kurzen Haarschnitt, der sein kantiges maskulines Gesicht betonte.
Hätte er uns nicht derartig herzlich angestrahlt, (nun verstand ich warum ihn viele, zumindest laut Cam, auch einfach „Mr. Brightside“ nannten), hätte man ihn durchaus als bedrohlich empfinden können.
„Lasst sie ruhig an!“, seine Stimme war freundlich, genau wie seine dunkelgrünen Augen.
„Möchtet ihr ablegen?“.
Wie ein formvollendeter Gentleman half er zuerst mir aus meiner Jacke und nahm dann die Victors entgegen.
Darauf verschwand er für einen kurzen Moment mit beiden Kleidungsstücken in einem Raum zu unserer rechten und kehrte keine zwanzig Sekunden später ohne sie zurück.
Nun begrüßte er uns auf eine sehr warme und einladende Art.
„Ich bin Adam…“, er verpasste mir einen Handkuss.
„Freut mich“.
Ich sah ihn verdattert an, diese Geste war mir nicht sehr vertraut, doch nach ein paar Augenblicken hatte ich mich wieder soweit im Griff, dass ich ein „Alley“, herauspressen konnte.
Cam amüsierte sich neben mir, woraufhin ich ihm meinen berüchtigten Todesblick versetzte, was ihn jedoch nur mehr zu belustigen schien.
„Cam! Super, dass du gekommen bist.“, wandte sich Adam nun an ihn.
„Das hätte ich doch niemals verpassen wollen.“, erwiderte Victor und sie umarmten sich freundschaftlich.
„Kommt, ich stelle euch meine Freundin vor“.
Und er hieß uns mit einer Handbewegung ihm zu folgen.
Als ich ein paar Schritte ins Innere des monumental großen Raumes getan hatte, überkam mich eine tiefe Bewunderung.
In weniger als Drei Tagen (DREI!!!) hatten er und seine Freundin es geschafft soviel Ordnung und Wohnlichkeit in diese einschüchternd weiträumige Immobilie zu bringen, während ich auch nach mehr als Zwei Wochen kein System in mein Chaos aus Kisten, Säcken und Möbelstücken zu bringen vermocht hatte.
Adam überragte die meisten anderen Gäste um mehr als einen Kopf und bahnte sich und uns einen Weg durch die Menge. Schließlich blieb er neben einer zierlichen, großen Frau mit sehr dunklen Haaren stehen und berührte sie sanft am Arm, woraufhin sie sich umdrehte.
„Dar ich vorstellen?“, begann Adam.
„Das ist meine wunderschöne Freundin…“.
„Cadence!“, platzte es aus mir heraus.
Das hatte ich nicht erwartet. Mit ihr war ich die ersten Fünf Jahre zusammen zur Schule gegangen, bis sie und ihre Familie in einen anderen Landesteil gezogen waren.
Ich hatte sie schon damals vergöttert.
Noch immer war sie sehr hübsch mit ihrem schmalen, feinen Gesicht und den klugen dunklen Augen.
„Alley!?“, gab sie ungläubig, doch erfreut zurück, dann umarte sie mich überschwänglich. „So eine Überraschung!“, strahlte sie.
Unsere beiden männlichen Begleiter sahen latent verwirrt in die Runde.
„Wir waren die ersten Jahre zusammen in der Schule!“, wandte sich Cadence erklärend an Adam.
„Du hast dich echt klasse verändert, du siehst toll aus.“, ich wurde ein bisschen rosa.
„Ich muss dir unbedingt Cairo zeigen.“.
Cairo,- mein Gedächtnis lieferte mir einige Bilder zu diesem Namen.
Ein kleiner Junge mit dunkelbraunem Haar, der mich an meinen Zöpfen hinter sich her zog, als ich seine Schwester hatte besuchen wollen, ein etwas älteres Kind, das einer blonden und sehr spargeligen Miniaturausgabe meiner Selbst das Eis aus der Hand schlug und schließlich ein Elfjähriger, der sich über mein zehnjähriges, Zahnspangen tragendes Ich lustig machte.
Ohja, ich brannte förmlich darauf ihn wieder zu sehen.
Gedanklich ließ ich bereits meine Knöchel knacken.
Cadence ergriff meine Hand und zog mich hinter sich her. In einigem Abstand folgte mir Cam und Adam widmete sich wieder den übrigen Gästen.
In einer ruhigeren Ecke der Wohnung, in der ein paar ältliche Sofas standen auf denen einige Leute, alle um die Zwanzig, lümmelten kam unsere Mini-Polonaise zum stehen.
Ich ließ meinen Blick über die Gesichter der entspannt Dasitzenden gleiten, doch Cairo erkannte ich unter ihnen nicht.
Cadence musste lächeln.
„Du siehst ihn nicht?!“, stellte sie eher fest als mich zu fragen.
Ich zuckte die Schultern.
„Gut, ich gebe zu, es ist ein bisschen Zeit vergangen seit ihr euch das letzte mal gesehen habt…“,
„Neun Jahre“, bestätigte ich.
„Und er hat sich tatsächlich ein wenig verändert.“.
Dann deutete sie auf einen jungen Mann, der sich ganz in der Ecke der Sitzlandschaft platziert hatte.
Ich riss die Augen auf. „Etwas verändert“, war wohl die Untertreibung des Jahrhunderts.
Aus dem kleinen schlaksigen Jungen, der mit Elf Jahren begann zu einer extrem fettenden Haut zu neigen und früher mehr oder weniger immer so aussah, als wäre er gerade aus einem sehr gewalttätigem Schlammringkampf entkommen, war nun jemand geworden, der aus einer Calvin Klein Werbung hätte stammen können.
Seine Haare, die eben so dunkel und fein waren wie die seiner Schwester, (und Chucks, ihres anderen Bruders), waren mittellang und wuschelig, folgten jedoch einer kaum merklichen Ordnung, was ihm ein überaus gepflegtes Erscheinungsbild verlieh. Um sein markantes Kinn und den schmalen Mund wuchs ein leichter Bart der gleichen Färbung. Seine Nase war schmal, ebenso seine Augenbrauen, welche einen Schwung aufwiesen, der der Pinselführung eines meisterhaften Künstlers zu entstammen schien.
Seine Haut war glatt und hatte einen oliv farbenen Ton, was ebenfalls in den Genen der Fosters zu liegen schien.
Beherrscht wurde sein ganzes schönes Antlitz jedoch von seinen absolut bestechenden grüngrauen, offenen Augen. Sie strahlten mir Aufmerksam und wach entgegen, schienen mich jedoch nicht wieder zu erkennen.
Hinter mir manifestierte sich Victor, der sich endlich durch die Schar der Eingeladenen gekämpft hatte.
„Du erkennst sie auch nicht wieder?!?...Man ihr habt wohl alles verdrängt.“, Cadence wirkte belustigt.
„Cairo, das ist Alley…“, bei ihm schien es nicht zu klicken.
„Alley Adler.“, versuchte sie ihm auf die Sprünge zu helfen, doch es war meine Bemerkung, die ihm die Erinnerung zurückbrachte.
„Ich war dein Lieblingsopfer als wir ungefähr Zehn waren. Du hast einmal meinen lieblings Hut ins Klo geworfen“.
Mein Tonfall war sachlich, ich hatte es längst verwunden, da ich bereits Vier Jahre Später erkannt hatte, dass knallbunt gemusterte Anglerhüte mit Schleifchen modisch gesehen nicht gerade das Nonplusultra waren.
Ein Grinsen kräuselte seine wohlgeformten Lippen.
Dann erhob er sich. Ich streckte ihm die Hand entgegen, er ergriff sie und zog mich mit der gleichen Bewegung in eine schraubstockartige Umarmung.
„Hi Alley, ich hoffe doch du kannst mir irgendwann verzeihen.“, lachte er ,halb ernst, halb ironisch, in mein Ohr.
Noch bevor es unangebracht zu werden drohte entließ er mich aus seiner Umklammerung. „Schon längst geschehen.“, versicherte ich ihm. Irgendwie mochte ich ihn, - seine Art hatte etwas brüderliches.
„Und das ist übrigens Victor Sanders“, stellte Cadence ihn vor.
„Cam“, korrigierte er und reichte Cairo die Rechte Hand. Als ich in das Gesicht meines besten Freundes schaute, sah ich buchstäblich die Herzchen in seinen Augen auftauchen, wie bei einer amerikanischen Comicfigur.
Als Cairo nun auch seine dargebotene Hand erfasste und sie schüttelte, bohrte sich Victors Blick in seine Augen.
Ich wusste sofort was Sache war und konnte mir ein obszönes Grinsen nur schwer verkneifen.
Ich beschloss Cam die Gelegenheit zu geben, sich alleine mit Cairo zu befassen, auch wenn dieser mir zugegebenermaßen ein wenig Leid tat.
So wandte ich mich mit unschuldiger Miene wieder Cadence zu.
„Stellst du mir noch ein Paar Leute vor? Ich wohne ja erst seit Vierzehn Tagen hier und kenne noch nicht so Viele `Einheimische`“.
Ein wenig verdattert aber widerspruchslos antwortete sie mir.
„Klar, ähm…irgendwelche speziellen Personen?“.
Ich sah mich unter den Gästen um, entdeckte jedoch erst nach einer Weile zwei Menschen die mir ins Auge stachen.
Es waren ein etwa achtzehnjähriger Junge von ungefähr Cadences Größe und eine puppengesichtige junge Frau, die zwar fast Zwei Köpfe kleiner war, doch ungleich älter wirkte.
Trotz des auffälligen Größenunterschiedes erkannte man sofort, dass die beiden verwandt waren. Beide hatten blondes Haar, obwohl seines von einem deutlich helleren Ton war und beide hatten sympathisch wirkende Gesichter mit dunklen großen Augen.
Sie waren umringt von einigen weiteren Gästen und schienen wirklich beliebt zu seien.
„Die da vielleicht.“, machte ich Cairos Schwester auf das Paar aufmerksam.
„Ach, die `de Ladd` Geschwister. Gute Wahl!“, wieder schlenderte sie vor mir her.
„De Ladd“, irgendetwas klingelte in mir, bei der Erwähnung dieses Namens.
Als es mir nach wenigen Momenten des Nachdenkens wieder einfiel, war ich von mir selbst überrascht.
Normalerweise war mein Kurzzeitgedächtnis nicht gerade das leistungsstärkste.
Victor hatte ihre Namen erwähnt, als ich ihn nach Adam gefragt hatte. Sie waren ebenfalls Vampire, und sie wussten, dass er mir diese Tatsache anvertraut hatte.
Als wir bei dem Grüppchen angelangt waren, schob Cadence die Umstehenden sanft aber bestimmt aus ihrer Bahn und zog mich zu sich heran.
Als die beiden Geschwister mich sahen tauschten sie kaum merklich einen verheißungsvollen Blick aus.
„Hallo!“, es war nicht die Gastgeberin, die die Vorstellung in Gang brachte sondern der hübsche, leicht milchgesichtige Junge.
Soweit ich noch wusste, hatte Cam ihn als „P.J“ bezeichnet, doch noch bevor ich weiter darüber nachgrübeln konnte, ob ich mich richtig entsann gab er mir die Hand.
„Ich bin Peter Jacob de Ladd, aber die meisten nennen mich Jake oder einfach P.J.“.
Er hatte eine sehr offene Art, das spürte man sofort.
„Ich bin Alley.“, gab ich lächelnd zurück.
Seine gute Laune und sein fröhliches Wesen wirkten fast ansteckend.
„Und ich bin Lea.“, mischte sich nun auch seine Schwester ein.
Auch sie verfügte über eine einnehmende Weise, mit Menschen umzugehen.
„Wie ich sehe, schafft ihr das auch allein“, bemerkte Cadence, zwinkerte mir zu, drehte sich um und verschwand wieder in Richtung ihres Liebsten.
„Wovon ist Alley die Abkürzung?“, fragte P.J mit einem neugierigen Ausdruck auf seinem kindlichen Gesicht.
„Ehm…“, er hatte meinen wunden Punkt erwischt, - das Thema, über das ich nicht gern sprach.
„Adelaide.“, nuschelte ich in meinen imaginären Bart.
„Uuuuuh!“, machte er. „Der ist echt fies“.
Lea sah ihn tadelnd an.
„Was denn?“, er gab das Unschuldslamm.
„Ich weiß ja, dass niemand was für seinen Namen kann, aber hey, uns hat es schließlich auch nicht viel besser getroffen“.
Die dunkelblonde junge Frau zog eine Augenbraue in die Höhe und setzte ein „Das-kann-ich-nicht-bestreiten-Gesicht“ auf.
„Ach man gewöhnt sich an alles“, versuchte ich mich an einer positiven Sichtweise.
„Genau“, stimmte mir Jake grinsend zu.
Die Leute, die die beiden noch eben umringt hatten, hatten sich wieder in die restliche Menge integriert und so standen die Geschwister und ich etwas abseits.
„Cam hat dich heute eingeweiht hm?!“, wechselte er das Thema.
Ich nickte nur. Es war mir unangenehm schon wieder an dieses Thema erinnert zu werden, was ich noch nicht richtig verarbeiten konnte, - oder wollte.
„Wie fühlst du dich damit?“, fragte Lea, ihren Blick auf mich gerichtet.
„Keine Ahnung.“, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
„Es ist irgendwie als wäre ich in Watte gepackt, und das Ganze kämpfte sich nur langsam in mein Bewusstsein durch.“
Sie nickte verständnisvoll und berührte mich leicht am Arm.
„Das ist ganz normal. Mir ging es ähnlich.“, ich war verwirrt.
„Wie darf ich das verstehen?“.
Hinter mir quetschte sich ein Kerl vorbei, scheinbar um ins Badezimmer zu gelangen.
„Vielleicht sollten wir lieber ein anderes Mal darüber reden.“, sie warf mir einen verschwörerischen Blick zu.
„Ja, wie wäre es zum Beispiel, wenn wir uns morgen in der Stadt treffen?!“, schlug P.J vor.
„Es wird sicher ein sonniger Tag, ich würde gerne mal wieder ein Eis essen gehen. Am besten bringst du Victor gleich mit.“.
Mir fiel nicht ein was dagegen gesprochen hätte und so stimmte ich zu.

Als ich nach weiteren zwei Stunden gehen wollte, verabschiedete ich mich von meinen neuen Bekanntschaften und machte mich auf die Suche nach Cam.
Ich fand ihn schließlich in der selben Ecke, in der ich ihn vorhin zurückgelassen hatte, vertieft in ein Gespräch mit Cairo, - wie hätte es auch anders sein sollen.
Ich musste ihn förmlich hinter mir herschleifen um ihn von seinem Gesprächspartner zu entfernen.
Nachdem wir auch noch Adam und Cadence einen schönen Abend gewünscht hatten, machten wir uns endlich auf den Heimweg.


~2~ Tell me more, Tell me more!



Der nächste Morgen kam für mich wieder einmal viel zu früh.
Statt die Nacht wie ein normaler Mensch zum Schlafen zu nutzen, hatte sich mein Unterbewusstsein dafür entschieden, diese ganze Vampirsache noch einmal aufzurollen.
Die meiste Zeit hatte ich mich von einer Seite auf die andere gewälzt und hatte bald widerstrebend einsehen müssen, dass ich mich nicht mehr aus dem Dämmerzustand ins Traumland würde retten können. Nicht in dieser Nacht.
Dementsprechend wenig erfreut war ich daher auch über die hellgoldenen Sonnenstrahlen, die durch den Raum auf mich zu gekrochen waren und nun sengend in meine Augen stachen.
„Hrrrrr…“, ich gab ein dumpfes unzufriedenes Knurren von mir. In meinem Kopf spielte ich verschiedene Möglichkeiten durch.

Möglichkeit 1: Aufstehen, mich zum Fenster quälen, die Vorhänge zuziehen und mich sofort wieder ins Bett fallen lassen, das Treffen mit Victor, Lea und P.J verschlafen und versuchen das Telefon zu ignorieren, wenn Cam mit einer nicht zu überbietenden Beharrlichkeit, versuchte mich zu erreichen.
Eine Lösung die nur auf den ersten blick bequem wirkte und wahrscheinlich weit mehr Stress verursachte als mit lieb war.
Ausgeschlossen!
Möglichkeit 2: Aufstehen, mich zum Fenster quälen, die Vorhänge zuziehen, DAS TELEFON AUSSTÖPSELN und mich sofort wieder ins Bett fallen lassen, das Treffen mit Victor, Lea und P.J verschlafen und versuchen das Geräusch der Türklingel zu überhören, wenn Cam versuchte mich auf diese Weise zu wecken, da sein Plan A (das Telefon) versagt hatte.
Das würde ich ja doch nicht schaffen.
Möglichkeit 3: Aufstehen, mich zum Fenster quälen, die Vorhänge zuziehen, DAS TELEFON AUSSTÖPSELN, DEN DRAHT DER KLINGEL KAPPEN und mich sofort wieder ins Bett fallen lassen, das Treffen mit Victor, Lea und P.J verschlafen und versuchen…
Gut ich sah es ein, - es kam im Grunde nur Möglichkeit 4 in Frage:
Die Zähne zusammenbeißen, aufstehen, mich ins Bad quälen, Morgentoilette, anziehen, Frühstück, unkoordiniertes Zusammensuchen der wichtigsten Gegenstände, noch mal anziehen, losgehen…uff.

Schließlich seufzte ich noch ein letztes Mal innbrünstig, setzte mich auf und schwang dann meine Beine über den Rand der Matratze.
Sobald ich einen Fuß auf die Erde setzte, wusste ich, dass dieser Tag nicht dazu bestimmt war mir angenehm zu sein.
Ich war prompt mit dem Rechten Fuß in die, zwar leere aber noch immer mit einem klebrigen Film Fudge-Brownie Ben und Jerry’s überzogene, Eispackung getreten.
Gestern Abend hatte ich einfach eine Ablenkung gebraucht bevor ich mich wenigstens dem Versuch zu schlafen widmen konnte.
Ein althergebrachtes Rezept der Adler-Frauen (zumindest seit meiner Mutter) war:
Eine große Packung Eis, einige extra flauschige Kissen, ein schnulziger Film und nach Möglichkeit eine weitere aufgewühlte Mädchenseele. Da mir letztere nicht zur Verfügung stand, weil ich noch immer niemanden in Dallenton kannte, zumindest niemanden dem ich dieses peinliche Geheimnis bereits anvertraut hätte, hatte ich ein Einzeldate mit fünfhundert Millilitern Eiskrem und einem ziemlich, ZIEMLICH umwerfenden Mister Darcy gehabt.
Jane Austen half immer!
Mit einigen Schwierigkeiten zog ich meinen Fuß aus der Eispackung.
Kurz nach dem Aufstehen war ich immer ein bisschen verpeilt, was leicht mal zu Unfällen und Schlechter Laune führen konnte, was seinerseits wiederum der Grund war, dass mich Viele für morgenmuffelig hielten.
Ich protestierte immer vehement wenn ich damit konfrontiert wurde, schließlich war ich nicht automatisch nach dem Aufwachen schlecht gelaunt, sondern immer erst dann, wenn ich mich wieder über meine eigene Ungeschicklichkeit ärgern musste.
Und das war auch keineswegs ein Phänomen, das sich nur auf die frühen Morgenstunden beschränkte. Es zog sich stattdessen temporär völlig ungebunden hier und da immer wieder durch meinen Tagesablauf.
Den Weg ins Badezimmer, die Küche und sogar zu Victor überstand ich ohne weitere Blessuren davon zu tragen.
Als sich mein Finger gerade auf den Klingelknopf, neben dem kleinen Messingschild mir der Aufschrift „Mr. und Mrs. Doctor Razvan Sanders“, senkte, öffnete sich die große weiße Tür schon von alleine.
Ich erschrak so heftig, dass auch Aveline, die gerade geöffnet hatte leicht zusammen fuhr.
„Alley!“, stellte sie erstaunt fest, überwand die Überraschung jedoch schnell (schließlich war ich in den letzten fünf Jahren eigentlich Dauergast gewesen) und sie setzte ihr übliches einladendes Lächeln auf.
Während sie mich in eine mütterlich feste Umarmung zog teilte sie mir mit:
„Victor ist oben. Er schläft noch. Er hat gar nicht erwähnt, dass du heute Früh kommen wolltest.“
Als sie mich losließ und meine Lungen wieder die Gelegenheit bekamen sich auszudehnen konnte ich auch wieder sprechen.
„Guten Morgen! Naja in letzter Zeit ist er ja sowieso ein bisschen brummelig und wenig gesprächig.“… „Zumindest hier“, fügte ich halblaut hinzu.
Nun trat ein leicht besorgter Ausdruck auf Avelines sonst so strahlendes Gesicht.
„Ja, ich weiß. Ich muss zwar auch gleich los in die Praxis aber ich würde mich freuen, wenn du noch zwei Minuten erübrigen könntest bevor du Victor wecken gehst.“
„Natürlich.“, erwiderte ich und lies mich von ihr ins Haus ziehen.
Sie geleitete mich in das große, luftige Wohnzimmer und bedeutete mir mit einer Geste ihres Arms mich auf der makellos weißen Couch nieder zu lassen.
Kaum hatte mein Hinterteil die Sitzfläche berührt, da saß sie auch schon neben mir und begann schnell und leise zu reden.
„Alley, weißt du was in letzter Zeit mit ihm los ist? Ich meine, er war noch nie die Plaudertasche aber seit kurzem ist es extrem…na ja du hast es ja selbst mitbekommen. Wenn er noch mit uns spricht, dann sind es immer nur gereizte oder genervte Einsilbigkeiten.“, sie starrte mich eindringlich an.
Ich nickte betroffen.
„Das ist mir auch aufgefallen“.
„Und?“, sie hatte eine erwartungsvolle Miene aufgesetzt.
Nun schüttelte ich den Kopf. „Ich kann dir leider absolut nicht helfen. Wenn wir alleine sind ist er wieder völlig normal und unterbindet jeden Versuch ihn darauf anzusprechen. Er ignoriert meine Fragen in diese Richtung konsequent.“.
Ich sah, wie die Enttäuschung ihre Züge erfasste und fühlte mich schuldig, dass ich ihr nicht helfen konnte.
„Hast du denn wenigstens eine Vermutung?“, versuchte Aveline es noch einmal.
Ich zuckte bedeutungsvoll die Schultern.
„Vielleicht ist es diese ganze Coming-Out Sache.“.
Sie seufzte wissend.
„Ja, so was hatte ich auch im Verdacht. Dabei haben wir ihm doch bereits erklärt, dass es für uns kein Problem ist, dass er lieber knackige Männerpopos mag, was ich unter uns gesagt auch gut nachvollziehen kann.“, sie zwinkerte mir zu und die ganze Ernsthaftigkeit und Bedrückung war für einen Moment aus unserem Gespräch verschwunden, doch schon mit dem nächsten Lidschlag war sie wieder bei der Sache.
„Razvan und ich kommen wohl nicht drumrum selber mit ihm zu reden.“, und damit wischte sie das Thema vom Tisch und wandte sich einem Neuen zu, ganz wie ich befürchtet hatte.
„Hat mein Sohn…Es…dir denn erzählt?“, ich konnte das Kursiv des vierten Wortes förmlich hören.
„Ja.“, antwortete ich knapp und hoffte ihr somit auf nicht allzu unhöfliche Art und Weise klar zu machen, dass ich keine große Lust verspürte dieses Thema jetzt zu vertiefen.
Sie schien es nicht zu bemerken und ihre Lippen formten sich bereits um die ersten bohrenden Fragen, als ein schlaftrunkener und ziemlich zerzauster Cam mit tiefen Augenringen die Treppe hinunter geschlurft kam.
„Alley meine Sonne!“, auch seine Stimme klang noch nach frisch aufgestanden. Er hatte einfach ein perfektes Timing.
„Mutter.“, war die recht kühle Begrüßung für Aveline.
Sie warf mir einen bedeutungsschweren Blick zu, erhob sich dann elegant und ging mit klackenden Absätzen durch den Raum auf die Eingangstür zu.
„Ich muss jetzt wirklich los ihr Beiden. Ich wünsche euch einen schönen Tag!“, sie gab sich wirklich mühe ihre natürliche Freude zurück zu erlangen, doch bei Victors finsterem Ausdruck, konnte ich sehr gut verstehen, dass das Lächeln sich nur auf ihre Mundpartie beschränkte.
„Wiedersehen Aveline!“, ich versuchte tröstlich zu schauen.
Dann machte sie kehrt, ergriff die Klinke und war kurz darauf aus der Tür verschwunden.
Cam wartete noch bis das Geräusch der schlagenden Autotüren erklang und sich das tiefe Schnurren des Motors entfernt hatte.
Dann drehte er sich zu mir um und nahm mich in die Arme.
„Du bist früh dran.“, sagte er ein wenig vorwurfsvoll.
„Und du spät!“, tadelte ich ihn.
„Ihr schlaft also auch.“, stellte ich fest, noch ehe ich darüber nachdenken konnte, wie dämlich diese Erkenntnis klang.
„Allerdings.“, grinste er.
„Nur haben wir es streng genommen nicht nötig solange wir gesund sind, aber wer will sich schon die Gelegenheit des Träumens nehmen lassen?!“, er lächelte verschmitzt.
Ich verzog zustimmend mein Gesicht.
„Komm mit Hoch, ich muss mich fertig machen.“, forderte er mich auf.
„Für dich tue ich doch alles!“, antwortete ich gespielt kriecherisch.
„Setz dich am besten noch. Das wird eine Weile dauern während ich im Bad bin.“
„Ich bin nicht das erste mal Morgens hier.“, erinnerte ich ihn und nahm auf seinem Bett Platz.
Er ließ die Badezimmer Tür offen stehen, damit wir uns besser unterhalten konnten.
„Was hast du gestern Abend noch gemacht?“, fragte er über das Rauschen des Wasserhahns hinweg.
„Ich hatte Herrenbesuch!“
Er streckte verschmitzt lächelnd den Kopf ins Zimmer.
„Wer war es denn diesmal? Phoebus oder Edward Cullen“, stichelte er mit einem so sarkastischen Unterton, dass ihn selbst ein Gehörloser hätte wahrnehmen können.
Als ein Kissen auf ihn zugeflogen kam, flüchtete er sich zurück ins Nebenzimmer.
„Nun, in Anbetracht der Umstände…“, rief er, während er sich, den Geräuschen nach zu urteilen, rasierte, „würde ich den lächerlichen Blässling eher ausschließen, und Disneyfilme schaust du ja eigentlich nur, wenn du gut gelaunt bist“.
Er gab ein lautes „hmmmmm“ von sich als würde er angestrengt nachdenken.
„Ich glaube es war…Matthew McFayden als Mister Darcy in Stolz und Vorurteil!“.
Als er mein Grummeln vernahm, lachte er bestätigt.
„Pass lieber auf, dass du dir kein Muster in deinen mühsam gezogenen Flaum rasierst“, gab ich zurück.
Wieder lachte er nur.
„Was ist denn mit dir?...Hast du von dem Foster-jungen geträumt?“, brüllte ich nun gegen den dröhnenden Föhn an und versuchte dabei ironisch zu klingen.
Das Kreischen des Haartrockners erstarb und Cam trat mit einem anzüglichen Lächeln wieder in den Raum.
„Victor, pack deine Brüste ein!“, trällerte ich.
„Musst du denn immer so leicht bekleidet vor mir herumspringen?“.
„Ach, das stört dich!? Komm schon, so was Schönes hast du doch lange nicht mehr gesehen.“, neckte er mich.
„Nicht direkt, aber du hast leider zu recht, als dass ich dir widersprechen könnte.“, er sah mich verblüfft an.
„Ich brauche nen Kerl!“, stellte ich nach drei Sekunde des Überlegens fest. Cam nickte zustimmend.
Dann öffnete er die Tür seines Schranks und eine Flut von Kleidungsstücken ergoss sich auf den Boden vor ihm.
„Wow“, machte ich anerkennend. „Dein Ordnungssystem ist beeindruckend listig. Von außen alles sauber aber hinter der Fassade so was von chaotisch!“.
„Tja“, lachte er. „Es muss ja auch zu mir passen.“
Ich zog missbilligend die rechte Augenbraue in die Höhe.
„So kaputt ,wie du’s gerne wärst, bist du nicht!“
Er sah mich ein wenig verständnislos an.
„Hallo?!“, dann zeigte er mit dem Finger auf sich selbst: „Vampir!?!“.
Ich winkte ab und lenkte die Diskussion in eine andere Richtung, die mich eh wesentlich mehr interessierte.
„Wir sind gestern gar nicht mehr richtig zum reden gekommen. Wie war’s denn nun mit Cairo? Worüber habt ihr euch unterhalten?“.
Er zuckte mit den, immer noch nackten, Schultern.
„Dies und Das.“.
Ich warf ihm einen strengen Blick zu.
„Sei nicht so zugeknöpft, das erinnert mich so an das erste Jahr unserer Freundschaft…und das war tatsächlich wahnsinnig anstrengend!“
„Naja das Übliche, die Dinge über die man sich eben unterhält wenn man sich so das erste mal trifft. `Woher kommst du?, Wie hast du die Gastgeber kennen gelernt?, Was machst du in deiner Freizeit?`…bla, bla, Geplänkel, Geplänkel. Nichts von Belang.“
Victor zog, (für Außenstehende wahrscheinlich wahllos scheinend, jedoch lediglich schnell entschlossen und mit einer präzisen Bewegung), ein cyanblaues T-Shirt aus dem Stapel hervor.
Es war unergründlicher Weise kein bisschen geknittert und wirkte wie frisch vom Bügelbrett.
„Hat er ne Ahnung, dass du…“,
„…Dass ich auf ihn stehe?“, fiel er mir ins Wort.
„Naja wir sind ja hier nicht in einem billigen Porno, nach dem Motto `Klopf! Klopf!, Ich bin der Französischlehrer! Uuuuuh! Aaaaah!`“.
Diesmal hob ich die linke Braue.
„Gut. Ich fasse zusammen: Er weiß nicht, dass du schwul bist.“, Cam nickte nur leicht.
Inzwischen hatte er das Shirt übergestreift und betrachtete sich zufrieden lächelnd in dem mannshohen Spiegel neben seinem Schrank.
Nachdem er ein wenig mit sich geliebäugelt hatte, schaute er wieder mich an.
„Ich denke wir können!“

In der prallen Mittagssonne spazierten wir über den Marktplatz von Dallenton, der, im Verhältnis zu Stadt, von gigantischer Größe war.
Vier breite Schneisen führten zwischen dicht gedrängten Gebäuden aus je einer Himmelsrichtung auf die freie, gepflasterte Fläche zu.
Ansonsten war der Platz mit Altbauten umsäumt, die die verschiedensten Geschäfte und Restaurants beherbergten.
Zwar war es noch immer kein Konsumentenparadies, doch waren die Einkaufsmöglichkeiten hier noch immer unvergleichlich besser als jene in Wingham.
Ich hatte mich bei Victor eingehakt und so liefen wir langsam auf das Denkmal des „einäugigen Jims“ zu, er war so etwas wie der Lokalheilige der Stadt gewesen und hatte sich so im Kampf um das Standbild auf dem Markt gegen Bürgermeister Nevin und, sehr zu meinem Bedauern, auch den einzigen Filmstar, der jemals aus dieser Gegend gekommen war (Laddie den Superhund), durchgesetzt.
Die große Uhr am Gemeinderathaus zeigte Vier Minuten vor Zwölf an, - wir waren also pünktlich.
Ein gar nicht so häufig existierender Zustand, wenn man sich darauf einließ mit Cam unterwegs zu sein, denn er fand immer etwas, dass seiner Betrachtung würdiger war als eine Ankunft zur ausgemachten Zeit.
Manchmal hatte ich den Eindruck er hätte sich noch einen großen Teil seiner Kindlichkeit bewahrt und sah die Welt so auf eine ganz andere Weise.
Er bemerkte tausend wunderschöne Kleinigkeiten und war einfachen und alltäglichen Dingen gegenüber sensibler als Alle die ich je getroffen hatte.
Eine Eigenschaft um die ich ihn beneidete, denn diese unvoreingenommene Feinfühligkeit schlug sich auch deutlich in seinen Fotos und Bildern nieder.
Heute hatte er sich allerdings beherrscht und so mussten wir sogar ein paar kurze Minuten warten, bis P.J und Lea von Norden über den Platz geschlendert kamen.
Wieder strahlten sie eine so enorme Unbefangenheit aus, dass sich unwillkürlich ein Lächeln auf meinen Zügen ausbreitete, als sie direkt auf uns zu liefen.
Jake sah, mit seinen weichen Gesichtszügen und hellblonden Haaren, noch immer jungenhaft aus, was allerdings in Verbindung mit seinem vollkommen selbstsicheren Grinsen, das für sein geschätztes Alter eher untypisch war, jedoch keineswegs unvorteilhaft wirkte.
Neben ihm lief unverändert hübsch seine Schwester.
Ihre feinen, dunkelblonden Locken flatterten leicht im Wind.
Wie erwartet war ihre Begrüßung warm und herzlich, so als hätten wir uns schon vor Ewigkeiten kennen gelernt und nicht erst gestern Abend.
„Schön euch zu sehen.“, freute ich mich, als P.J mich auch aus seiner Umarmung gelassen hatte.
„The pleasure is all our’s.“, grinste er breit und machte eine formvollendete Verbeugung. „Gehen wir in Pams Cafe?“, erkundigte sich Cam.
„Allmählich hab ich nämlich ganzschön Hunger. Dieses Monster…“, er deutete auf mich, „hat mich ohne Frühstück aus dem Haus gejagt!“.
Empört kräuselte ich die Lippen, doch Lea warf mir einen Blick zu, der verriet, dass sie genau wusste wie sie seine Bemerkung zu verstehen hatte.
Jake hingegen lachte, und es kam mir vor als hätte ich etwas Wichtiges nicht mitbekommen.
„Gut, gehen wir.“, forderte Lea uns auf.

Pam war eine ältere Dame, die direkt am Marktplatz von Dallenton das äußerst beliebte Fünfziger-jahre-lokal betrieb.
Sie trug stets eine übertrieben toupierte und dadurch sehr beeindruckende blondierte Lockenpracht und war stark geschminkt.
Im Gegensatz zu ihren Angestellten trug sie keine rosa Arbeitsuniform.
Als wir eintraten schaute sie kurz von ihrer Tätigkeit auf, wandte sich aber bald wieder dem Gläser spülen zu, als sie offenbar festgestellt hatte, dass wir uns schon selbst einen Platz suchten.
Victor führte uns zu einer Sitzecke ganz hinten im Gastraum, direkt unter einem Lautsprecher. Nach wenigen Sekunden erkannte ich die Musik, - Heartbreak Hotel von Elvis.
Klar, was sollte man sonst in einem Restaurant dieser Art erwarten.
Schließlich hatten wir uns gesetzt und nun fiel mir auch auf wie brechend voll es hier war (zumindest für Kleinstadtverhältnisse). Bis auf zwei weitere Tische waren alle der etlichen Sitzgruppen belegt und im Gang herrschte ein Gewimmel von Kellnerinnen und Gästen, ab und zu sah man auch Pam selbst zu einem Tisch wuseln.
Ich fühlte mich als wäre ich direkt vom Dallenton des einundzwanzigsten Jahrhunderts in einen Grease Film gestolpert.
Das nächste Lied begann (Nat „King“ Coles Mona Lisa) und eine Bedienung kam mit müdem Ausdruck auf uns zu.
„Sie wünschen?“, fragte sie mit äußerst gelangweilter Stimme und in einer schrecklich schiefen Tonart.
Da ich noch nicht mal Gelegenheit gehabt hatte in die Karte zu sehen überließ ich es den anderen zuerst zu bestellen.
Die beiden de Ladds bestellten je eine Cola, dann war Victor an der Reihe.
„Also, ich hätte gern einen großen, fettfreien Schokolatte. Ohne Sahne, dafür mit Milchschaum. Das ganze bitte nicht so heiß. Außerdem einmal Pancakes mit Himbeersirup, zwei Karamellmuffins, zwei Scheiben Toast und einen Obstsalat“.
Missmutig kritzelte das Mädchen, Carry ihrem Namensschild nach, alles mit und starrte dann wieder mich an.
„Ähm…ich hätte gern einen Eistee“, orderte ich verschüchtert.
Sie nickte grimmig und verschwand.
„Man wie war die denn drauf?! Über so was könnte ich mich aufregen. Es heißt nicht umsonst SERVICEkraft“, beschwerte sich Lea.
„Ach wer weiß, vielleicht hatte sie `nen harten Tag“, versuchte ich sie zu verteidigen.
„Nimm sie lieber nicht in Schutz“, empfahl mir P.J feixend.
„Wenn sie erstmal jemanden gefressen hat gibt’s kein Halten mehr“.
So hatte ich sie nicht eingeschätzt.
Seine Schwester überging die Bemerkung einfach.
Ich wendete mich an Cam: „Mensch Häschen, du solltest ein bisschen auf dein Cholesterin achten.“…“und auf deine Linie“, ergänzte ich.
Er überlegte gespielt. „Warte mal…wessen Spitzname ist noch mal `Belly`“.
Wir lieferten uns ein finsteres Blickduell, das wir schließlich beide verloren, weil wir lachen mussten.
Dann war auch schon unsere überfreundliche Bedienung wieder da.
Ihr blick war unverändert lustlos. Sie donnerte uns die Getränke und Cams drei Teller auf die Tischplatte.
„Mit liebe hingeklatscht“, witzelte Jake und Lea sagte vernehmlich: „Das gibt keinen Cent Trinkgeld!“
Sie und die Kellnerin spießten sich für einen Sekundenbruchteil innig mit ihren Blicken auf.
„Wollt ihr nich` gleich bezahlen?!“.
Sie gebot es uns mehr als dass sie fragte.
Wider öffnete Lea den Mund, zweifellos um Carry zurechtzuweisen, doch bevor sie etwas sagen konnte ergriff ihr Bruder das Wort.
„Sicher!“,und strahlte die Kellnerin mit einem so umwerfenden Lächeln an, dass diese für einen Moment vergaß mürrisch dreinzuschauen.
„Sechzehn fünfzig“, murmelte sie leise.
„Momönt korz“, versuchte Cam sich mit einem Mund voll Waffeln zu artikulieren und begann in seinen Hosentaschen zu kramen.
„Lass gut sein!“, Jake reichte der Bedienung einen Zwanziger.
„Stimmt so“, Lea stierte ihn wütend an und schien kurz davor die Fassung zu verlieren.
Carry bedankte sich nicht, sondern nickte nur kaum merklich, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte Richtung Tresen.
„Wieso hast du…“, setzte Lea an, doch P.J fuhr ihr dazwischen.
„Ich wollte nur dass sie verschwindet okay?! Reg dich nicht immer über solche Kleinigkeiten auf, das ist nich gut fürs Herz.“, grinste er sie an.
Das schien seine Schwester ein wenig zu besänftigen, denn als sie sich nun mir zuwandte lächelte sie wieder (zugegebenermaßen ein bisschen verzerrt).
„Also gut. Was hast du für Fragen an uns? Stell sie ruhig, ganz egal welche“, sie berührte mich aufmunternd an der Hand und Cam und Jake nickten beide in stillem Einverständnis.
Ich ergriff mein Glas, nippte an meinem Getränk und nutzte diese winzige Pause um meine Gedanken zu sortieren.
Inzwischen lief Doris Day, so laut und zusätzlich durch das Gemurmel der übrigen Cafebesucher verstärkt, dass wir uns keine Gedanken machen mussten, jemand könne unser Gespräch mitbekommen.
Ich gab ein stimmloses Seufzen von mir, dann schossen all die Fragen aus mir heraus, die mir diese Nacht auf der Zunge gebrannt hatten.
Ich erfuhr, dass Vampire `unser` Essen nicht brauchten um zu existieren.
Wie man an Victors Beispiel allerdings schön sehen konnte, schmeckte es ihnen trotzdem. Außerdem war es weniger auffällig und schließlich für sie zur Gewohnheit geworden.
Das erklärte Jakes amüsierte Reaktion von vorhin.
Ich nahm diese befremdliche Tatsache einfach hin, doch sofort schoss mir ein weiterer Gedanke durch den Kopf und obwohl mir Cam bereits gesagt hatte, dass diese ganze Bluttrinker Sache erfunden sei, war meine Stimme nur noch ein sehr dünnes, erschrockenes Flüstern als ich weiter sprach.
„Wie…Wie genau funktioniert das denn dann mit eurer Ernährung?“
Sie sahen sich an, dann sprach Lea weiter, während sich Victor den zweiten Muffin gänzlich in den Mund schob.
„Also, genau genommen müssen wir unserem Organismus keine Stoffe von außen zuführen solange wir gesund sind“.
„Wir sind quasi ein Perpetuum Mobile“, fügte Cam hinzu als er geschluckt hatte.
Ich war verblüfft, obwohl ich schon etliche unbegreifliche Dinge über Wesen ihresgleichen erfahren hatte.
Es war P.J der fort fuhr.
„Nur wenn wir verletzt sind…und das so stark, dass unsere eigenen Selbstheilungskräfte nicht mehr reichen…“,
„Und das muss schon eine sehr starke Verletzung sein“, warf Victor ein,
„Nur dann, oder wenn man die Heilung beschleunigen will, dann bedienen…Sie…sich der Lebensenergie anderer Wesen.“, beendete er seine Ausführungen.
Während er gesprochen hatte war er nicht nur immer leiser geworden, bis ich ihn schließlich kaum noch verstehen konnte, er hatte außerdem die Personalpronomen verändert.
„Wer sind denn…`Sie`“, wollte ich wissen. „Und was heißt überhaupt `sich ihrer Lebensenergie bedienen’?“
Ich war verwirrt und musste mir eingestehen, dass ich ein wenig Angst vor ihrer Antwort hatte.
Victor schob seinen Obstsalat beiseite und ergriff meine Hand, - kein gutes Zeichen.
„Pass auf…“, hob er an.
„Es ist vielleicht erstmal wichtig, dass wir hier nie so was tun würden.“, er schaute mir eindringlich in die Augen bevor er weiter redete.
„Also…nehmen wir an Vampir XY, - nennen wir ihn Laurent…“, ein Grinsen huschte kurz über sein Gesicht, „…ist schwer verletzt worden. Er kann seine Wunden selber nicht mehr ordentlich verschließen. Dann sucht er sich ein anderes Lebewesen, vorzugsweise natürlich einen Menschen, weil deren Lebensenergie einfach größer ist als die von Tieren. Nun will er also ihre Energie für sich nutzen, und wie macht er das?!“, er beantwortete seine Frage selbst. „Er beißt sie! Ziemlich klischeemäßig oder?!“.
Ich war von seiner Erzählung zu gebannt um zu nicken und so fuhr er nach einer Pause einfach fort.
„Laurent saugt allerdings kein Blut. Das wäre zu umständlich. Er saugt direkt die Energie ein…schwer vorstellbar, ich weiß. Der Mensch stirbt, - logisch, er hat ja keine Kraft mehr zum Leben, und unser Vampir kann seine Energie nun nutzen. Er heilt sich und alles ist gut. Aber jetzt beginnt erst der eigentlich schwierigste Teil der ganzen Sache“.
Ich saß noch immer regungslos an seiner Seite, während er meine kalte Hand zwischen seinen gotischen hielt.
„Es gibt die Lebenskraft nicht ohne Preis, denn mit ihr zusammen hat Laurent…wie soll ich das sagen…die Persönlichkeit, die Seele, oder wie auch immer du es nennen willst, seines Opfers mit aufgenommen. Jetzt muss er damit klarkommen und aufpassen, dass sie die seine nicht übermannt. Dieser `Kampf` kann lange dauern. Gewinnt Laurent bleibt er er selbst, zumindest zum allergrößten Teil.“
P.J warf ein: „Es ist eine Theorie meines Vaters, dass man diese Seelen nie ganz verbannen oder in sich aufnehmen kann. Es bleibt immer ein kleiner Teil der Fremden Person in einem zurück. Je mehr Menschen man so also auslaugt, desto schwerer wird es. Charakterstarke Opfer sind demnach auch schwerer zu…`verdauen`.“.
Cam brachte die Ausführungen zum Ende.
„Es gibt noch eine weitere Möglichkeit. Ein anderer Vampir, - nennen wir ihn Stanislaus, saugt Menschen nicht primär ihrer Energie wegen zur Selbstheilung aus, sondern gerade wegen der Seele die er mit aufnimmt. Er ist machtgierig. Absorbiert er Lebenskraft obwohl er sie nicht tatsächlich braucht, verleiht ihm dies zusätzliche Stärke und Stanislaus ist virtuos. Er hatte schon eine Menge Opfer und so hat er im Allgemeinen wenig Probleme damit die fremden Persönlichkeiten zurückzudrängen. Einige Fähigkeiten seines unfreiwilligen Spenders findet er jedoch so begehrenswert dass er es trotzdem zulässt, dass sich ein Teil, ein Mikrosplitter des Gebissenen in sein Selbst integriert. Somit hat er die Fähigkeiten, jedoch muss dafür ein Stück seiner selbst gehen. Ist im Grunde recht verständlich. Wo ein Teilchen ist, kann kein anderes sein, - einfache Physik. Stanislaus ist ein so genannter Sammler.“.
Absurderweise klang das was er mir gerade erzählt hatte tatsächlich logisch, wenn man erstmal über die Irrealität des Ganzen hinweggekommen war.
Nichtsdestotrotz, - ich war geschockt.
„Gibt es viele von diesen…diesen Sammlern?“, ich klang fast ein bisschen hysterisch und zwang mich, mich zu beruhigen, da ich vermeiden wollte, dass noch jemand von ihnen auf die blöde Idee kam mich zu ohrfeigen.
Victor hatte mir jetzt beruhigend den Arm um die Schultern gelegt und streichelte gleichzeitig mit seinem Daumen über meinen Handrücken.
Unwillkürlich war ich mal wieder verwundert wie männlich er doch war und wie sehr er damit dem gängigen Vorurteil über Homosexuelle widersprach, doch als Jake mir antwortete war ich wieder voll beim Thema.
„Also in unserem Teil der Welt gibt es so gut wie Keine“.
„So gut wie“, hörte ich die die Alarmglocken meines Unterbewusstseins schreien.
Bevor ich nachfragen konnte mischte sich Lea wieder ein, - sie hatte die meiste zeit geschwiegen.
„Kein Grund zur Sorge! Es gibt zwar momentan einen Sammler, aber dem sind die `Skua` schon auf den Versen.“, sie sah meinen Fragenden Blick.
„Ach…die `Skua` sind so was wie Jäger. Wir nennen sie manchmal scherzhaft `gamekeeper`,weil wir weder das Verhalten der Sammler, noch das der Jäger akzeptabel finden. Im Grunde sind sie ja nicht viel besser als ihre Beute, denn Sie töten sie auch.“, sie sprach tonlos aber mit einem Glimmen von Abscheu in ihren Rehaugen.
„Und was ist mit anderen Teilen der Welt?“, zerpflückte ich Jakes Formulierung.
„Es gibt sie.“, antwortete Cam.
„Vor allem in Osteuropa, Afrika und einigen teilen Asiens, - hauptsächlich in der `alten Welt` also. Der allseits bekannte und beliebte Graf Dragulia, war auch einer von ihnen. Aber du brauchst keine Angst zu haben, denn heute haben sich die Sammler eher auf andere…abnorme Wesen…verlegt. Ist rentabeler, denn die haben die wirklich interessanten Eigenschaften.“.
Das brachte mich zu meiner nächsten Frage.
„Habt ihr auch welche?“.
Die drei schauten sich der Reihe nach an.
Wieder gab Cam mir die Information um die ich gebeten hatte.
„Hm…es braucht ein gewisses Maß an Erfahrung mit unserem…Zustand…um die eigene Begabung auszumachen. Wir sind ja noch jung. Aber alle von uns haben euch Menschen etwas voraus. Gewisse Fähigkeiten die sich ebenfalls mit zunehmendem alter ausbauen. Da bei uns der körperliche Verfall ausbleibt profitieren wir nur von der Zeit die vergeht. Jedenfalls was unsere Stärke und Geschicklichkeit angeht. Beispielsweise nehmen wir die Informationen unserer Sinne bewusster auf und verarbeiten sie präziser. Wir nehmen deswegen unzählig mehr Dinge wahr als Menschen“.
Lea klinkte sich wieder ein.
„Und neben unserer Selbstheilung, woher übrigens auch dieser ganze Unsterblichkeitsmythos herkommt, sind wir auch körperlich stärker und unvergleichlich schnell…Aber so gut das eventuell auch klingt…es hat ne menge schlechte Seiten“.
Nach ihnen musste ich nicht fragen, sie lagen auf der Hand.
Man musste dem Verfall geliebter Menschen zusehen, begann sich mit den Jahren zu langweilen, musste sein Leben lang die Geheimniskrämerei ertragen etc. pp . Etwas anderes hingegen war weniger offensichtlich.
„Wie lange seid ihr schon…was ihr seid?“.
P.J äußerte sich als Erster.
„Lea und ich etwa zwölf Jahre. Unser Vater Angus dagegen schon ewig. Ich glaube fast vierhundert Jahre.“, Lea nickte bestätigend und mir blieb der Atem weg.
Vierhundert Jahre!
Sie hatten bereits 1609 gelebt, sogar früher, da sie laut Leas ergänzender Aussage mit etwa Vierzig Jahren zu Vampiren wurden.
Nun war es an Victor mir zu berichten.
„Seit acht Jahren. Genauso mein Dad und Aveline ist ja noch ein Mensch.“, ich keuchte. „Was?“, stieß ich ein wenig zu laut hervor.
Zu meinem Glück schallte gerade eine besonders Laute Stelle von „Island in the Sun“ durch das Cafe.
„Pssst.“, zischte er.
Ich warf ihm einen entschuldigenden Blick zu.
„Warum hast du mir das nicht erzählt?...und warum zur Hölle ist sie keine von euch? Wie wird man überhaupt zu einem Va…“, in diesem Moment stand Carry wieder an unserem Tisch.
Ich war so in das Gespräch vertieft gewesen, dass ich sie nicht hatte kommen sehen.
Als sie fast an unserem Tisch angelangt war, hatte mir Victor einen unsanften Tritt vors Schienbein gegeben um mich zu unterbrechen.
Ich schleuderte ihm ein stummes „Au!“ entgegen, doch er grinste nur verlegen.
„Entweder ihr bestellt noch was oder ihr geht langsam. Da warten auch noch anderen Gäste.“. Scheinbar hatten wir alle während wir geredet hatten unsere Gläser und Teller geleert.
Jake bemerkte zu spät, dass Lea jetzt endgültig überkochte.
„Was soll denn das du Pute?! Das ist echt nicht okay wie du hier rum läufst und deine Gäste anpöbelst! Du wirst dafür bezahlt nett zu sein und das kann ja nicht so schwer sein. Wenn du mit deinem Job nicht klar kommst, dann kündige doch bitte einfach aber LASS DIE KUNDSCHAFT IN FRIEDEN!“.
Den letzten Teil hatte sie geschrieen und alle Augen in „Pams“ waren auf uns gerichtet.
Daran unser Gespräch hier fortzusetzen war nicht zu denken und so schnappten wir uns unsere Jacken und P.J sich seine wutschnaubende Schwester, drängelten uns an der unbeeindruckten Bedienung vorbei und aus dem Lokal.
Vor der Tür wurden Cam, Jake und ich erstmal von einem mittelschweren Lachanfall übermannt.
Die Gesichter waren einfach Gold wert gewesen.
Lea schien allerdings immer noch einen erhöhten Blutdruck zu haben.
„Und jetzt?“, fragte ich, als wir uns wieder halbwegs beruhigt hatten.
Victor formulierte seine Ideenlosigkeit in einem Schulterzucken.
Jake hingegen bot schnell eine Lösung an: „Wir könnten zu uns gehen. Unsere Eltern haben sicher nichts dagegen.“.

Ein leises „Wow!“, stahl sich aus meiner Kehle als P.J die Tür zu seinem Zimmer aufstieß.
Ein riesiger sonnendurchfluteter Raum erstreckte sich vor uns.
Zwar hatte ich schon nach dem Äußeren des Gebäudes auf ein ähnliches Interieur geschlossen, doch das Zimmer nun wahrhaftig vor mir zu sehen war etwas ganz anderes.
Die Wand an der Südseite des rechteckigen Raumes war komplett mit Festern durchzogen (und ich wäre jede Wette eingegangen, dass sie mit elektrischen Jalousien versehen waren und von einer Putzfrau geputzt wurden).
Die Wände waren in einem warmen, dunklen Grau gestrichen, das dem Zimmer etwas Gemütliches gab, darüber waren sie mit unzähligen Postern von Bands oder Extremsportlern in Aktion tapeziert.
Direkt neben der Tür standen ein Skateboard und ein Snowboard neben einem Surfbrett, alle in direkter Nachbarschaft zu einem multifunktional anmutenden Fitnessgerät.
Er schien echt ein Sportfreak zu sein, was umso überraschender wirkte, da seine Figur eher wenig muskulös war, wenn auch mit einem recht stattlichen Kreuz versehen.
Linksseitig von uns stand eine leicht mitgenommene Sitzgruppe, die dadurch aber einen überaus bequemen Eindruck machte.
Jake machte eine einladende Geste in ihre Richtung und wir folgten seinem Angebot.
Von hier aus konnte ich auch den Rest des Raumes sehen.
Ein Kingsizebett und zwei weitere Türen, hinter denen sich vermutlich ein Badezimmer und ein „seufz“ begehbarer Kleiderschrank verbargen.
Außerdem ein überdimensionierter Schreibtisch und einige Regale, voll gestopft mit Hifi-Geräten.
„Also?“, fragte Jake mit seinem üblichen Grinsen.
„Ich glaube deine letzte Frage war wie man zu einem Vampir wird.“, es schien ihm zu gefallen, dass er das Wort hier so frei aussprechen konnte, denn er sagte es lauter als nötig. Ich machte eine bestätigende Bewegung.
„Das ist komischerweise das Einzige, mit dem die Hollywood-fuzzis und Sci-fi-typen ziemlich genau ins Schwarze getroffen haben…nur, dass, wie du ja jetzt weißt, statt Blut Lebensenergie ausgetauscht wird.“, ich nickte wie selbstverständlich.
„Aber wie können Menschen Lebensenergie `trinken`?“.
Er sah zufrieden aus, so als hätte er gehofft, dass ich diese Frage stellen würde.
„Also, beim Trinken geht auch ein allerwinzigstes Stück des Vampirs auf den Menschen über, denn alle Vorgänge gehen immer in zwei Richtungen. Mit diesem Teilchen geht auch die Fähigkeit zur Aufnahme der Lebenskraft über, da das die elementarste Fertigkeit unserer Rasse ist. Das ist auch der Grund, warum sie die Menschen fast immer töten, nachdem sie mit ihnen fertig sind, sie machen es nur um ganz sicher zu gehen. Würde der Mensch nämlich nun wieder zu Kräften kommen, könnte er, wenn der Vampir ihn beißen ließe, diesem nun auch Energie abzapfen. Angeblich muss er mehr als die Hälfte der Kraft seines Gegenübers absorbieren und danach müssen sich beide wieder erholen. Das geht natürlich nur indem sie wiederum andere Wesen anzapfen. Es ist sehr kompliziert und verlangt etliche Opfer wie du siehst.“
Ich zuckte als ich realisierte, was das bedeuten würde:
„Habt ihr also auch…?“.
Lea meldete sich zu Wort.
„Es waren Tiere. Und schon das war schrecklich. Ich hab mich einfach so schmutzig gefühlt hinterher“.
„Es waren zwei Schweine.“, bestätigte ihr Bruder mit einem ironischen und erinnerungsseligen Gesichtsausdruck.
„Das Schlimmste ist der Hunger in den ersten Tagen. Ein oder zwei Tiere reichen aus, um Beide wieder soweit zu stabilisieren, dass sie sich mit etwas Ruhe selbst wieder auskurieren könnten, aber als `Frischling` wird man nach der `Verwandlung` von einem so unbändigen Hungergefühl geplagt…na ja vielleicht eher von einem Durstgefühl. Es kehrt auch immer wieder zurück, sobald der Körper gerne ein bisschen Hilfe zur Selbstheilung hätte. Ich bin damals fast wahnsinnig geworden, weil mein Vater nicht zulassen wollte, dass ich noch mehr Wesen das Leben aus sog und er tat gut daran, denn in meinem Zustand wäre es mir egal gewesen was oder…“, er schauderte, „wen ich zwischen die Zähne bekommen hätte.“
Victor sah Elend aus als er fertig war.
Nun war ich es, die ihn händchenhaltender Weise beruhigte, wenn auch mit einem flauen Gefühl im Magen.
„Also angenommen ihr werdet angefahren…muss sich der Notarzt Gedanken machen?“, führte ich meine Überlegungen aus.
Jake seufzte.
„Ja, leider! Aber Vater sagt, dass man es mit der Zeit in den Griff bekommt, das mit dem Durst. Bei uns hingegen wäre es noch überaus gefährlich, da wir noch so unerfahren sind.“.
Inzwischen war das eben noch goldene Sonnenlicht aus dem Zimmer gewichen.
Die Fahrt zum abgelegenen Haus der de Ladds hatte über zwei Stunden in Anspruch genommen, da wir die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen mussten.
Die Ziffern des Digitalen Weckers auf Jakes Nachttisch zeigten sechzehn Uhr achtunddreißig. „Hey, also wenn wir nachher noch tanzen gehen wollen, sollten wir langsam gehen“, schlug Cam vor.
„Wir gehen tanzen?“, fragte ich skeptisch.
„War nur so `ne Idee“, verteidigte er sich.
„Ach ich weiß nich…“, begann ich, doch es war zu spät.
Leas Augen hatten schon zu leuchten begonnen und nach ihrem Wutausbruch in „Pams Cafe“, wollte ich ihr lieber nicht in die Quere kommen.
„Nun komm schon Alley! Das `Pit` ist ein echt toller Club und die Musik ist auch akzeptabel. Los, sag ja!“
„Pit“, ja genau, das klang schon nach einer großartigen Location, dachte ich sarkastisch, doch endlich seufzte ich resignierend und nickte.
Alle anderen schien dieser Plan schwer zu erfreuen, nur ich hatte meine Bedenken.
„Was ist denn?“, erkundigte sich Cam.
„Ach weiß nicht genau. Ich glaub ich bekomm` da einen Pickel.“, ich zeigte mir der Hand auf meine Wange.
„Daaaaa! Sieht man schon was?“.
„Nicht das kleinste Bisschen.“, beruhigte er mich.
„Außerdem ist es da drin dunkel. Auch wenn da noch was kommen sollte würde man ihn nich sehen…und wozu gibt`s schließlich Make Up?!“, ermutigte er mich erneut. Lea unterstütze ihn:
„Genau. Außerdem müssen wir dir doch nen schnuckeligen Kerl finden.“…“uns!“, korrigierte sie.
„Aber da ist es doch dunkel.“, murrte ich.
„Wie sollen wir da sehen ob einer gut aussieht oder nicht?“.
„Ganz einfach!“, erwiderte sie.
„Die heißen Typen tanzen auch immer heiß“.
Ein Argument, dass ich nicht von der Hand weisen konnte, auch wenn meine Erfahrungen mit tanzenden Männern sich bisher in Grenzen hielten.
„Und die, die gar nicht tanzen?“, versuchte Jake offensichtlich einen Fehler an der Theorie zu finden.
„Von denen hält man sich besser fern, weil sie entweder Langweiler oder Spießer sind.“, strahlte ihm seine Schwester entgegen.
„Gut“, Cam stand auf und reichte mir die Hand.
„Dann gehen wir jetzt wirklich besser. Wir müssen ja noch nach hause und uns dann noch umziehen und so weiter“.
Ich ergriff seinen ausgestreckten Arm, machte jedoch keine Anstalten aufzustehen.
„Aber ich habe noch so viele Fragen!“, beschwerte ich mich.
„Die beantworten wir dir ein anderes Mal. Vielleicht ja sogar im Pit, da ist es wenigstens so laut, dass uns mit Sicherheit Niemand belauschen kann“, beschwichtigte mich Lea.
Ich machte trotzdem ein schmollendes Gesicht, als Victor mich unbarmherzig in die Höhe zog. „Los, du nasser Sack!“
Dann fuhr er zu den anderen sprechend fort.
„Um vierundzwanzig Uhr davor?!“, - sie bestätigten sein Angebot.
„Hätte ich mir ja denken können…“, dachte ich noch, als mich Cam hinter sich her schleifte. „…um Mitternacht. Wann sonst!“


~3~The relentless prince



Das „Pit“ war zentral gelegen.
Von Cams Zuhause hatten wir nur eine Viertelstunde gebraucht um zum Club zu gelangen.
Die beiden Geschwister waren überpünktlich aufgetaucht und hatten uns bereits erwartet, als wir um genau zwei Minuten vor Zwölf vor dem Eingang der „Grube“ ankamen.
Ohne Probleme gingen wir schließlich an dem glatzköpfigen Türsteher vorbei, der verblüffende Ähnlichkeit mit einem Schrank hatte.
Nur P.J packte er am Arm, als dieser uns einfach ins Innere der Tanzbar folgen wollte. Mürrisch zeigte er dem breitschultrigen Mann seinen Führerschein und schließlich gesellte er sich zu uns in die kleine Schlange, die sich vor der Garderobe gebildet hatte und fluchte.
„So ein Dreck! Ihr könnt euch ja nicht vorstellen, was das für eine Aussicht ist, bis in alle Ewigkeit nach dem Ausweis gefragt zu werden, wenn man irgendwas nicht jugendfreies machen will!“.
Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht, doch jetzt brachte es mich zum Lachen.
Hier drin war es sehr viel angenehmer als ich es mir vorgestellt hatte.
Hinter dem Eingangsbereich befand sich direkt die Lounge, die mit gemütlichen runden Sofas und einer Bar ausgestattet war.
Durch die offenen Türen war die Luft vergleichsweise gut und es war, wenn man sich durch das Tanzen erhitzt hatte, sicher angenehm kühl.
Außerdem war es ziemlich leise hier, was sich für eine Auszeit von den Floors ebenfalls anbot. Im Hintergrund spielte leise entspannte Musik.
Im Moment war es „I can’t stay“ von den Killers, - vielleicht würde dieser Abend doch nicht so schlecht werden wie ich befürchtet hatte.
Alles in Allem war dieser Teil des Clubs wie geschaffen für klärende Vampir-Mensch-Gespräche und das machte die Aussicht auf die kommenden Stunden noch ein wenig heller.
Ein freundlich lächelndes Mädchen um die neunzehn tauschte unsere Jacken gegen kleine viereckige Plastikchips mit eingravierten Nummern.
Ich hatte die 00E.
Toll!
Bezeichnend!
Ich stopfte die Marke ganz tief in meine Hosentasche, was mir einige Schwierigkeiten bereitete, - blöder Sqincut…von wegen „Körper betont“.
Diese Hose war das Korsett unter den Beinkleidern, Klaustrophobische Anfälle nicht ausgeschlossen, allerdings war sie auch die eine, die meine Oberschenkel und meinen Hintern so in Form presste, dass ich mich zufrieden im Spiegel betrachten konnte.
„Also…“, übernahm Victor das Kommando, „Falls wir uns verlieren sollten, oder einfach alle etwas anderes machen wollen, treffen wir uns um punkt zwei wieder hier!“.
Ich versuchte mir den Platz neben der Theke einzuprägen und flüsterte leise „um zwei“ vor mich hin.
„Dann können wir ja entscheiden ob wir noch bleiben wollen oder nicht“, wir nickten einvernehmlich.
„Na dann! Viel Spaß, Kinder!“, grinste Jake und schon hatte mich Lea an der Hand gepackt und zog mich durch eine Tür in einen weiteren Raum.
Hier war es extrem voll.
Es schien als hätten sich alle Tanzwütigen Dallentons in diesem einen Zimmer zusammen gepfercht.
Nachdem wir uns an einigen kopfnickenden Männern Anfang dreißig vorbei geschoben hatten, konnte ich den kompletten Floor überblicken, da wir auf einer art Podest standen.
Links von uns befand sich eine weitere Bar und etwas weiter hinten, noch immer westlicher Hand, eine weitere Tür.
Dann uns gegenüber wieder einige wenige Stufen und ein anderes Flaches Podest, auf dem sich breite weiße Sofas voller Menschen drängten.
In der Rechten hinteren Ecke des Raumes schon wieder eine Bar (wohnten in dieser Stadt nur Alkoholiker?!) und direkt rechts neben uns einige hohe Tische mit storchbeinigen Hockern.
Die Mitte des Floors wurde von einer metallenen Tanzfläche eingenommen, auf der sich etliche schwitzende Körper aneinander rieben.
Jetzt bemerkte ich auch, dass es hier drin gefühlte zwanzig Grad wärmer war als im Eingangsbereich und ich war dankbar, dass ich nach anfänglichem Zögern und nur auf das Zureden Jakes, auch noch meinen Cardigan an der Garderobe abgegeben hatte.
In direkter Nachbarschaft zu der zappelnden Masse befand sich ein breites DJ-Pult an dem sich zwei androgyne Jungs mit längeren Haaren die Seele aus dem Leib mixten.
All das hatte ich in wenigen Sekunden realisiert und nun schleifte mich meine neue Freundin direkt auf die Tanzfläche zu und blieb erst stehen als wir uns bis zu ihrer Mitte vorgedrängelt hatten.
Nun wandte Lea sich zu mir um und begann sich rhythmisch zu bewegen.
Sie hatte es echt drauf!
Ich fühlte mich ein wenig verloren und betrachtete neidvoll ihre eleganten Bewegungsabläufe. „Na los, Alley! Lass dich doch einfach drauf ein. Vor Zwei kommst du hier eh nicht weg“, schrie sie mir ins Ohr.
Ich seufzte laut, konnte ich mir doch sicher sein, dass die Mischung aus Dancehall, tanzbarem Pop und Electro, sowie einigen Alternative Tracks und Klassikern mich um unzählige Dezibel übertönte.
Nur die Erkenntnis, dass ich, wenn ich einfach nur dastand ohne mich zu bewegen wahrscheinlich mehr auffallen würde, verleitete mich zum Tanzen.
Also begann ich wenig begeistert meine Hüften, Füße und Arme zur Musik zu bewegen, was erstaunlich gut funktionierte.
Die beiden Zauberer am Plattentisch machten ihre Sache tatsächlich unglaublich gut.
Schon nach einigen Liedern war meine Lustlosigkeit völlig verflogen und ich tanzte wie ein Derwisch, - na gut, sicher wesentlich zurückhaltender aber mit ähnlicher Hingabe, bis uns nach „Girls just wanna have fun“ endgültig die Puste ausging, da wir (alle anwesenden Frauen) simultan auch noch den Refrain mitbrüllten.
Total verschwitzt eroberten wir uns zwei Plätze auf einer der weißen Couches.
„Und…Ist dir schon einer ins Auge gefallen?“, keuchte Lea zu mir hinüber.
Ich ließ den Blick prüfend über die versammelten Jungs gleiten.
„Nein, leider nicht. Aber ehrlich gesagt hatte ich soviel Spaß am Tanzen, dass ich gar nicht wirklich auf die männlichen Wesen geachtet habe“.
Sie schien erfreut darüber, dass ich doch großen Gefallen am „Pit“ gefunden hatte.
„Was hältst du denn von dem da?“, fragte sie und deutete mit ihrem langen weißen Zeigefinger auf einen blonden Jungen auf der Tanzfläche.
„Oh mein Gott, NEIN!“, lachte ich.
„Schau dir nur mal an wie der da rumspastet. Es sieht fast aus als hätte er keine Kontrolle über seine Gliedmaßen.“, ich musste kichern.
„Das ist aber nicht nett!“, tadelte sie.
„Aber wirklich widersprechen kann ich dir auch nicht“, auch sie musste glucksen, was gar nicht zu ihrer sehr filigranen, puppenhaften Erscheinung passen wollte.
„Dann such du doch einen besseren aus.“, forderte sie mich auf, als ich auch ihre nächsten drei Vorschläge empört abgeschmettert hatte.
Ja, ich war wählerisch, doch ich fand DAS wesentlich weniger schlimm als sich mit jedem Idioten einzulassen.
Da ging ich lieber das Risiko ein als alte Jungfer zu enden.
Prüfend wanderten meine Augen durch den Raum und glitten über Körper und Gesichter, analysierten Bewegungen und Reaktionen und ich versuchte mir einige Exemplare an meiner Seite Vorzustellen, jedoch ohne einen befriedigenden Kandidaten zu entdecken.
Schließlich endeten wir beide wieder allein auf dem Tanzparkett.
Ich war ganz in die Klänge von „Just Dance“ vertieft als ich plötzlich eine Hand auf meiner Taille spürte.
„Aaaaah! Du wirst angetanzt, bestimmt von irgend so einem Ekel!“, warnte mich mein Verstand und brachte mein Herz dazu vor Abscheu die nächsten zwei Schläge auszusetzen. Ich drehte mich langsam um und war unendlich erleichtert als ich realisierte, dass es Cam war, der mir so intim die Hand auflegte.
Er musste meinen Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn er schien sich königlich zu amüsieren.
Unbeeindruckt schwang ich die Hüften zu „Lady Gaga“.
Im weiteren Verlauf tauschte Victor noch mehrmals mit Jake und etwa ein Uhr dreißig verabschiedeten sich die Beiden vorerst um die Herrentoilette aufzusuchen.
In Anbetracht der Gästezahl und der fortgeschrittenen Stunde, sowie des Zulaufs an der Bar, würde das vermutlich einige Zeit in Anspruch nehmen.
Egal! Lea und ich hatten trotzdem unvermindert unseren Spaß und als schließlich auch noch das nächste Lied einsetzte und wir uns beide ansahen und synchron „Sean da Paul“ schrieen (natürlich ging in genau diesem Moment die Musik aus und ausnahmslos Alle starrten uns an, aber das war nun eigentlich auch egal) , war mein Urteil über Victors Idee endgültig ins positive gerückt worden.
Langsam wurden die Temperatur und die verbrauchte Luft zu einer unerträglichen Mischung, die uns zwang nach den Letzten Tönen von „Gimme the light“ den Floor zu verlassen.
Als wir in den Loungebereich traten, war es als schlüge mir jemand ein kaltes, frisches Brett vor den Kopf.
Das ungleich weniger heiße und drückende Raumklima war ein Segen und auch meine Trommelfelle waren sehr dankbar über das leise Geplänkel an Stelle der harten, lauten Beats. Erschöpft warfen wir uns auf das nächst beste runde Sofa und betrachteten mäßig interessiert die vorbeiströmenden und immer noch neu dazu kommenden Besucher.
Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Begleiterin ein recht gewagtes, sehr buntes Top trug.
Links von mir standen einige Mädchen, die sich leise tuschelnd unterhielten.
Eine große Dünne mit langem hellblondem Haar flüsterte ihren Freundinnen etwas zu, dass ich als „Was soll das denn? Halloween ist doch immer erst im Oktober!“ interpretierte.
Sie hatte so leise geredet, dass ich sie kaum verstanden hatte.
Lea allerdings, die noch weiter von ihnen entfernt saß, schien jedes Wort genau gehört zu haben.
„Ach?! Und warum hast du dich dann als Loser verkleidet?“.
Das Lästermaul war offenbar um eine Antwort verlegen und brachte nur ein „uuuuh.“, hervor, bevor sie sich, gefolgt von ihrer Gruppe verzog.
„Man!“, machte ich anerkennend.
„Der hast du’s echt gegeben!...War das so eine Vampir-Sache? Ich meine ich habe sie kaum verstanden“.
Sie zwinkerte mir nur schelmisch zu und plötzlich war ich noch froher mit ihr befreundet zu sein.
„Wie bist du eigentlich ein…einer von Ihnen geworden?“, fielen mir meine ganzen Fragen wieder ein.
Ihr sonst so wacher und ausgelassener Blick verschleierte sich ein wenig.
„Also…“, begann sie.
„…Ich und P.J können uns eigentlich nicht wirklich an unsere Verwandlung erinnern. Damals haben wir noch in Frankreich gelebt, bei unserer Mutter Sophia de Ladd. Verarmter Landadel, falls du vorhattest nach unserem Namen zu fragen. Wie dem auch sei. Ich war zwanzig und Jake neunzehn als unsere Mom irgendwann mal von einem Theaterbesuch mit Angus Heim kam. Von unserem richtigen Vater hat sie nie viel erzählt, da konnten wir versuchen was wir wollten.“, sie knetete ihre kleinen Hände in ihrem Schoß, bis ich eine von ihnen ergriff um dies zu unterbinden.
„Ich….ich bin nicht sicher was damals passiert ist. Jedenfalls wurde uns immer erzählt, ein Sammler hätte versucht Angus zu töten und da meine Mutter nichts von der ganzen Chose wusste blieb sie in seiner Nähe um ihm zu helfen, - Nicht gerade die beste Entscheidung. Er hat sie ausgesaugt!“, ihre Stimme bröckelte.
„Er konnte gerade noch aufhören. Nur ein wenig Länger und…“, sie ließ das Ende des Satzes offen.
„Angus machte sich Vorwürfe. Er litt darunter, dass er ihr das angetan hatte. Offenbar liebte er sie wirklich sehr. Er hielt sie solange mit winzigen Energie Dosen am Leben bis er wieder völlig bei Kräften war, ich glaube es war eine art künstliches Koma. In dieser Zeit waren Jake und ich alleine und hatten keine Ahnung was mit Sophia passiert war. Wir waren halb krank vor Sorge und irgendwann tauchte schließlich Angus auf. Ziemlich ausgemergelt aber scheinbar gesund. Er erzählte uns ALLES und auch, dass er unsere Mutter zu einer seiner Art machen müsse, damit sie weiter leben könne. Bis wir beide begriffen hatten, was das wirklich bedeutete war es auch schon passiert. Allerdings hatten weder sie noch er Erfahrung mit der Transformation oder ihren Konsequenzen. Mit dem schrecklichen, unbändigen Durst.“, jetzt Brach ihre Stimme endgültig.
„Du meinst sie haben EUCH…?“, fragte ich entsetzt.
Ich sicherte mich mit einem Blick schnell ab, dass wir noch immer keine unerwünschten Zuhörer hatten.
„Sie haben uns…geleert.“, sie sah verbittert aus und ich legte ihr meine noch freie Hand sanft auf den Rücken.
„Sie wussten es ja nicht besser. Es war nicht ihre Schuld.“, fügte sie eher an sich selbst hinzu. „Jake hat es ihnen schon völlig verziehen, aber ich…habe noch so meine Schwierigkeiten mich damit zu arrangieren.“, gestand sie.
Was sie wohl mit „damit“ meinte.
Ich traute mich jedoch nicht nachzufragen, da ich sah wie unangenehm ihr diese Erinnerungen waren und beschloss das ganze Themenfeld „nicht-menschlich“ für den heutigen Abend außer Acht zu lassen.
„Weißt du…“, wechselte ich den Gesprächsstoff,
„Ich gebe ja nicht gerne zu, dass ich unrecht hatte, aber der Abend ist einfach klasse! Ich hätte nie gedacht, dass man hier soviel Spaß haben kann“. M
ein Versuch schien zu fruchten, was aber wahrscheinlich weniger an meinem rhetorischen Talent, als an ihrem Willen lag ebenfalls über etwas leichterverdauliches zu sprechen.
„Na hör mal! Dallenton ist nicht so kleinstädtisch wie du vielleicht denkst…was mich ehrlich gesagt auch leicht verwundert, da Wingham ja NOCH viel kleiner ist“.
Gerade wollte ich als alte Lokalpatriotin meine ehemalige Heimatstadt verteidigen als mir der so fein säuberlich zu recht gelegte Satz im Halse stecken blieb.
Da stand Er, lässig an den Tresen gelehnt und in ein Gespräch mit einem bulligen Jungen verwickelt.
Seine Erscheinung war unaufdringlich und doch umwerfend.
Ich merkte, dass Lea mich von der Seite her anstarrte und nahm an, dass sie mich etwas gefragt hatte, doch war ich nicht in der Lage meine Augen von dem Fremden abzuwenden. Sie folgte meinem Blick und berührte mich am Arm.
Ich fuhr zusammen, da ich völlig in seinen Anblick versunken war und, wie ich mir verschämt eingestand, vergessen hatte, dass sie noch immer neben mir saß.
„Den!“, murmelte ich ihr zu.
Ein „Das-hatte-ich-berfürchtet-Ausdruck“ breitete sich auf ihrem schneeweißen Gesicht aus. „Schlag dir das ganz schnell aus dem Kopf!“, zischte sie mich an.
„Das ist Patrick Cain van Gillet…“.
Hach, „Patrick“, ich ließ mir den Namen auf der Zunge zergehen, während mein Blick unwillkürlich wieder von ihm angezogen wurde.
Patrick trug eine unauffällige dunkele Hose, ausgetretene schwarze Turnschuhe und ein ebenso schlichtes weißes Hemd. Die Ärmel hatte er bis zu seinen muskulösen Oberarmen hochgekrempelt, sodass ich seine sehnigen, schlanken Unterarme bewundern konnte.
„Alley!“, Leas Finger schnippten vor meinem Gesicht.
Verblüfft starrte ich sie an, ihrem sauren Ausdruck zu folge, hatte ich schon wieder etwas, das sie gesagt hatte nicht mitbekommen.
Ich war noch nie ein Mensch für das viel gepriesene Multitasking gewesen, obwohl ich eine Frau war, und Zuhören und Schmachten gleichzeitig ging schon mal gar nicht.
„Er ist TABU!“, grummelte sie.
Ich verstand nur noch Bahnhof.
„Was?“. In diesem Augenblick waren Victor und Jake wieder bei uns.
„Na, ihr Schnittchen! Alles klar?“.
P.J war wie üblich bester Laune.
„Nein!“, schnappte seine Schwester.
„Alley hat gerade unseren Freund Patrick für sich entdeckt“.
Ich verstand nicht was sie daran so störte und noch weniger konnte ich nachvollziehen, warum selbst Jake plötzlich ein ernstes Gesicht machte und sich auch Cams Züge kaum merklich verhärteten.
„Es ist bestimmt besser, wenn wir jetzt gehen.“, warf Jake ein.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie das Objekt meiner Begierde den Kopf in unsere Richtung drehte.
P.Js Kiefer spannte sich an, er schob das Kinn vor und Victor straffte die Schultern.
Patrick hingegen sah vollkommen gelassen aus.
Dadurch, dass er den beiden Jungs an meiner Seite seine Aufmerksamkeit widmete, hatte ich nun Gelegenheit sein Gesicht zu betrachten.
Sein Teint war glatt und rein, doch fast ein wenig fahl, seine Züge markant geschnitten und sehr gleichmäßig.
Das rabenschwarze Haar fiel ihm in Fransen ins Gesicht und seine Lippen waren blass und weder schmal noch voll.
Als ich schließlich seine Augen betrachtete, durchfuhr mich ein heftiger Schauer.
Unter einer reihe langer dunkeler Wimpern verbargen sich zwei so extrem blaue Augen, dass ich für einen Moment nicht glauben konnte, dass sie wirklich diese Farbe hatten.
Zudem war es kein gewöhnliches Blau, sondern ein Eisblau, wie es eigentlich Schlittenhunden vorbehalten war, jedoch mit einem milchigen Einschlag.
Seine Pupillen hoben sich darin ab wie zwei schwarze Löcher und sie hatten auch eine ganz ähnliche Anziehungskraft. Er sah aus wie gephotoshopt.
Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Sein außergewöhnliches Erscheinungsbild, ihre merkwürdige Reaktion.
Patrick musste einer von ihnen sein.
Innerlich stöhnte ich laut auf.
Musste ich mich wirklich in den einzigen Vampir der Stadt vergucken, den ich noch nicht kannte und der scheinbar auch bei meinen Freunden nicht sehr beliebt war?!
Das war mal wieder typisch für mich.
Ohjemine, jetzt hatte er auch noch beschlossen herüber zu kommen.
„Schöne Nacht, nicht wahr die Herren?“, sein Ton war kalt und arrogant aber seine Stimme hatte etwas überaus Melodisches und die Art wie er sprach hatte etwas Besonderes.
Cam ließ die Knöchel knacken und Jake übernahm die Antwort.
„Sicher! Was gibt’s…Pat?“, er hatte es fertig gebracht den Namen seins Gegenübers so auszuspeien, dass der missbilligend eine schmale Augenbraue hob.
„Ich wollte nur ein bisschen mit meinen alten Freunden plaudern“.
Während sie sich mit Sarkasmus überhäuften, konnte ich einfach nicht anders als Patrick weiterhin zu mustern.
Man konnte ihn eigentlich nicht als anziehend oder attraktiv bezeichnen.
Er war schlicht und ergreifend so unverschämt gut aussehend, dass er so etwas wie Ausstrahlung gar nicht nötig hatte.
Gegen ihn wirkte selbst Cairo wie ein durchschnittlicher, langweiliger Typ.
Lea neben mir war aufgestanden, packte meine Hand und zog mich mit den Worten
„Komm! Wir gehen jetzt!“, in eine stehende Position.
„Wie schade!“, schnarrte Pat.
„Aber ich bin sicher, dass wir uns noch öfter über den Weg laufen werden“.
„Oho, du drohst uns!“, antwortete Cam mit unverhohlener Ironie.
„Durchaus nicht. Ich mache euch Hoffnung.“, Patrick lächelte kalt.
„Nun denn…Bye!“, und damit stolzierte er auf direktem Wege zum angrenzenden Raum.
Nur blöd, dass wir ihm diesen versperrten und da er mich scheinbar als schwächstes Glied der Barriere erkannte ging er einfach durch mich hindurch.
Beziehungsweise rempelte er mich so grob an, dass ich umgefallen wäre, hätte mich Lea nicht immer noch festgehalten.
Ich brachte einen empörten, halberstickten Laut zustande, worauf er sich umwandte.
„Oh…“, er wirkte kein bisschen überrascht.
„Verzeih, du bist fast unsichtbar.“, in seiner Stimme schwang leiser Spott mit, nur eine Prise, dennoch unüberhörbar.
„Aber diese Faust ist für dich hoffentlich nicht unsichtbar!“, schrie Jakes Schwester nun fast. Patricks Lippen kräuselten sich abwertend, doch gleichzeitig belustigt.
Es war überdeutlich, dass er Leas Verhalten als ausgesprochen unelegant erachtete.
Dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort wieder herum und setzte seinen Gang fort.
Ich hingegen war noch immer wie versteinert.
Er hatte mich berührt! Er war tatsächlich real!
Es war mir fast peinlich, dass mich diese Erkenntnis so verblüffte und zugleich in ein Hochgefühl versetzte.
Später in dieser Nacht, als wir erneut auf dem Marktplatz standen, stellte ich erschreckt fest, dass etwas in mir entfacht worden war, - ein Fünkchen dass sich wie…Hoffnung anfühlte. Zwar war es noch so winzig und kaum bemerkbar, doch erfahrungsgemäß waren selbst diese mikroskopischen Biester kaum zu löschen.
„Jaja…“, hallte etwas in meinem Kopf wieder, dass Victor vor Jahren einmal zu mir gesagt hatte.
„…die Größte Schwäche des Menschen ist noch immer nicht seine zerbrechliche Konstitution, noch seine magere Durchsetzungskraft oder sein schwankender Wille. Es ist die absolute und völlige Unzerstörbarkeit der Hoffnung“.
Damals hatte ich ihn ausgelacht und gemeint er solle nicht immer so pseudophilosophisch daher reden, aber inzwischen wusste ich, dass es stimmte.
„Alley?!“, P.Js Stimme riss mich aus meinen Träumereien.
„Wir müssen in die andere Richtung“.
Ich nickte, noch immer ein wenig geistesabwesend.
„Es war ein schöner Abend. Sollten wir wiederholen!“, es klang ernsthaft, doch ich war trotzdem verwundert, da er und Cam schließlich fast die ganze Zeit allein verbracht hatten. Dennoch widersprach ich nicht: „Ja, finde ich auch.“, gab ich zurück und ich meinte es auch so.
Dann zog mich Jake kurz an seine Brust bis Lea mich ihm entriss und mich, nicht minder fest, umarmte.
„Das war echt super! Vor allem weil es dir ja letztendlich auch gefallen hat“, sie zwinkerte mir zu.
Dann zog sie meinen Kopf noch ein bisschen dichter zu sich und flüsterte mir eindringlich, doch so leise etwas zu, dass es mit Sicherheit selbst die beiden Vampire neben uns nicht hören konnten.
„Vergiss Pat!“.
Von Victor hatten sie offenbar schon Abschied genommen, als ich mental Austreten gewesen war, denn sie winkten nur noch einmal, bevor sie sich in Richtung ihres Zuhauses aufmachten.
Auch Cam und ich brachen gen Daheim auf.
Die ersten fünf Minuten gingen wir schweigend nebeneinander her, jedoch war es nicht jenes unangenehme Schweigen, das entstand wenn niemand mehr etwas Angemessenes zusagen wusste.
Wir genossen einfach die völlige Stille nach der dröhnenden Musik des „Pits“.
Es war eine Frage, die ich mir nicht länger verkneifen konnte, die die Ruhe durchbrach.
„Was habt ihr gegen Pat? Ich meine, es ist ja mehr als offensichtlich, dass ihr ihn nicht besonders gern habt“, das war wohl die Untertreibung des Jahrhunderts.
Die Luft hatte vor Feindseligkeit geprickelt als sie sich gegenübergestanden hatten.
Victor räusperte sich unbehaglich.
„Das ist dir also aufgefallen.“, stellte er fest.
Ich sah ihn mit erhöhter Braue an.
„Naja, es ist ja nicht so, dass wir nie versucht hätten uns mit ihm anzufreunden“, seine Augen wurden schmal.
„Obwohl er schon immer ein arroganter Kotzbrocken war“, fügte er hinzu.
„Er ist ein Vampir?!“, warf ich ein.
„Jap…schon enorm lange soweit ich weiß. Länger als Angus de Ladd sogar, glaube ich“.
Mir blieb die Luft weg.
Dieser Kerl sollte mehr als vierhundertundvierzig Jahre alt sein?!
Oil of Olaz wäre vor Neid erblasst.
„Seine Mutter, Estera, soll angeblich eine der Ersten unserer Gattung sein. Ich habe sie nie gesehen, aber sie ist auch angeblich unfassbar reich. Na und nun darfst du dreimal raten, wer das ganze Geld in den Allerwertesten geschoben bekommt“, Cam sah verächtlich aus. „Pat…“, auch er sprach seinen Namen genauso aus, wie „Abschaum“.
„…ist nicht nur vollkommen überheblich und narzisstisch, sondern auch verwöhnt. Gleichzeitig schafft er es aber irgendwie ein totaler Einzelgänger zu sein.
Ich glaube er erachtete einfach alle Wesen seiner Umgebung für unwürdig“.
Ich stierte auf die Fugen der Gehwegplatten, die unter unseren Füßen dahin zogen.
Das waren nicht gerade gute Neuigkeiten.
„Seltsamerweise gibt es Gerüchte, dass er etliche Frauengeschichten haben soll. Eintagsfliegen. Aber ich glaube niemand auf Gottes grüner Erde hat ihn jemals irgendwo in Begleitung auftauchen sehen, aber glaubwürdig wäre es ja. Wenn man ihm eins lassen muss, dann ist es, dass er umwerfend aussieht“, nun pustete das Gehörte kräftig auf mein Fünkchen ein, doch dieses weigerte sich noch immer hartnäckig zu erlöschen.
„Wir mögen ihn und seine Familie einfach nicht, weil sie sich für was Besseres halten und einem genau genommen auch gar keine Chance geben anders über sie zu denken.“, damit schien das Thema für ihn beendet zu sein, obwohl ich wusste, dass das nicht allein der Grund für ihr Verhalten sein konnte.
Dazu waren sie einfach zu angespannt gewesen und auch Leas Worte zeugten von einem größeren Problem.
Ich entschloss mich, es erstmal dabei bewenden zu lassen und meine Nachforschungen stattdessen auf einem anderen Gebiet weiter zu führen.
„Du, Cam…“, er sah mich an. „…Wie seid ihr denn nun zu Vampiren geworden?“.
„Also…“, er zögerte kurz bevor er fort fuhr.
„Bei uns ist es wesentlich weniger dramatisch gewesen als bei den Van Gillets zum Beispiel. Mein Vater hatte nämlich die freie Wahl…und ehrlich gesagt verstehe ich bis heute nicht wirklich warum er sich so entschieden hat, wie er es eben hat. Ich glaube der Vampir hat ihn einfach in einer seiner Midlifecrisis-Phasen erwischt, in denen ewige Jugend et cetera für ihn sehr verlockend klangen.“, er zuckte die Schultern.
„Für Kenneth…“,
„den anderen Vampir?“, unterbrach ich und er nickte,
„…war es wahrscheinlich ein amüsantes Experiment oder so. Fragen können wir ihn nicht mehr…wurde von `nem Sammler erwischt.“, sein sachlicher Ton lies mich ein bisschen erschaudern.
„Okay.“, sagte ich.
„Halten wir ihm zugute, dass er nicht wusste worauf er sich einließ und sich in einer…“, ich rang nach Worten.
„…psychologisch gesehen, nicht einfachen Situation befand. Aber was ist nach der `Verwandlung` passiert?“.
„Na was schon?! Er hat’s natürlich meiner Mutter erzählt. Ich meine Früher oder Später hätte sie’s eh bemerkt. Verständlicherweise ist sie dann total ausgerastet, hat ihre Sachen gepackt und Dad und mich für fast zwei Jahre verlassen“, sein Ausdruck ermattete.
Aveline hatte ihre Familie verlassen!
Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, sie war immer so warm und mütterlich.
Ich war mir sicher, dass sie Alles für ihren Mann und ihren Sohn geben würde.
„Wie auch immer…Sie ist ja zurückgekommen“, versuchte ich ihre Position zu stärken.
„In der tat.“, seufzte er.
„Das ist auch nicht das Problem“.
„Sondern?...“, half ich ihm auf die Sprünge, als er keine Anstalten machte weiter zu reden. „Sie will jetzt zu uns gehören“.
„Und?“, fragte ich verständnislos und erntete einen vernichtenden Blick von ihm.
„Du hast ja keine Ahnung, was das bedeutet. Nicht mal ich oder Dad oder P.J und Lea können sich das wirklich vorstellen. Die Ewigkeit, - ein unendlicher Zeitraum, das ist einfach nicht greifbar für Leute in unserem Alter“, ich starrte weiterhin in sein hübsches Gesicht ohne zu verstehen, worauf er eigentlich hinaus wollte.
„Ach Alley! Was passiert zum Beispiel wenn sie und mein Vater sich irgendwann nicht mehr verstehen? Wo geht sie dann hin, völlig alleine? Oder wenn sie irgendwann nichts mehr mit sich anzufangen weiß, oder…“.
„Cam!“, ich fiel ihm ins Wort.
„Warum gehst du immer vom schlimmsten Fall aus? Warum sollte nicht einfach alles gut laufen?!“
Er knurrte verächtlich.
„Du willst es also auch nicht verstehen!“.
„Das hat mit wollen nichts zutun! Ich komme einfach nicht dahinter. Tut mir leid. Als Mensch könnten ihr mindestens genauso viele schreckliche Dinge passieren“.
Er seufzte noch einmal abschließend, dass schwieg er erneut.
„Und warum bist du nun ein Vampir geworden?“.
„Och, mit meinem Organismus war so einiges nicht in Ordnung damals. Extreme Diabetis, Glasknochen, Insomnia...das ganze Paket halt. Mit meinem riskanten Lebensstil wäre ich bestimmt keine dreißig geworden“, ich riss die Augen auf aber er machte nur eine wegwerfende Geste.
„Das hat sich ja jetzt alles erledigt…na ja außer die Schlafstörungen.“, er grinste.
Ich hingegen war schockiert.
„Irgendwie bekomme ich den Eindruck, dass ich dich gar nicht wirklich kenne“, ich erschrak, als ich realisierte, wie bitter diese Worte geklungen hatten.
Abrupt blieb Victor stehen und starrte mich entsetzt an.
„Alley! Nur weil du dieses eine…Detail…meines Lebens nicht mitbekommen hast, kannst du das doch nicht sagen! Ich bin immer noch der Selbe…“, eine Pause entstand.
„…Mensch. So wie du mich kennst, kennt mich niemand! Du weißt alles von mir, zumindest jetzt, und ich war immer ehrlich dir gegenüber. Du bist meine beste Freundin…mehr als das… und der Gedanke daran, dass ich irgendwann ohne dein Genörgel und deine schwierige Persönlichkeit weiter leben muss macht mir zurzeit mehr Angst als alles andere!“.
Den Ausdruck auf seinem Gesicht konnte ich kaum ertragen.
Er sah gequält aus und in seinen dunkelbraunen Augen glitzerte es sogar, das hatte ich bei ihm in all den sechs Jahren noch nie gesehen.
„Ich…“, ich wusste nicht was ich sagen sollte und so stand ich einfach nur da.
„Alley!“, sagte er mit flehender Stimme.
Es wurde nur schlimmer, dennoch war ich wie paralysiert.
Auch mir standen nun die Tränen in den Augen.
Dann trat er mit verzweifeltem Gesicht einen Schritt zurück und plötzlich wurde mir klar, wenn ich jetzt nicht reagieren würde, würde es zu spät sein und nun gehorchte mein Körper wieder den Anordnungen meines Gehirns.
Als sich Cam bereits umwandte um zu gehen stürzte ich auf ihn zu, schlang meine Arme eisern um seine Brust und klammerte mich an ihm fest.
Ich konnte es einfach nicht mehr zurückhalten.
Ich musste weinen und während mein Körper von heftigen Schluchzern geschüttelt wurde und ich einen nassen Fleck auf seinem roten Shirt hinterließ, streichelte er sanft über mein Haar. „Du Idiot!“, krächzte ich in den Stoff seiner Jacke.
„Verzeih mir.“, flüsterte er meiner Frisur zu.
Als Antwort umarmte ich ihn noch ein bisschen fester, so sehr, dass meine Arme zu schmerzen begannen, doch das war nicht wichtig.
Wichtig war nur, dass er verstand, dass ich immer für ihn da sein würde.
Egal ob er ein Sonderling, Vampir oder…Mörder sein würde.
Wir hatten am Beginn unserer Freundschaft einmal über unsere Gefühle gesprochen und waren uns einig gewesen.
Uns verband etwas, das weit über Freundschaft hinaus ging, doch Liebe, zumindest die im klassischen romantischen Sinne, würde es nie sein.
Dennoch vermisste ich ihn bereits nach kurzer Zeit, dachte oft an ihn, vertraute ihm blind und wusste, dass er der wichtigste Mensch in meinem Leben war und solange ich existierte, er aller höchstens auf den zweiten Platz verdrängt werden würde.
Eine Weile standen wir noch einfach so da, dann nahm er mich bei der Hand und wir beendeten unseren Heimweg.
Heute Nacht blieb ich bei ihm.

Ich erwachte mit einem üblen Geschmack im Mund und, wie mir Victor freudestrahlend mitteilte „zerzaust wie eine Vogelscheuche“.
„Kein Wunder!“, murrte ich.
„Du hast mir ja auch die Ganze Nacht in den Haaren rumgewuschelt wie ein Bekloppter!“.
Er lachte und nach den Ereignissen unseres gestrigen Weges war es wie Balsam für mein Schuldgefühl.
Mister und Misses Sanders hatten wie üblich früh das Haus verlassen, um für ihre Patienten da zu sein und da wir erst spät ins Bett gekommen und noch später (zumindest ich) eingeschlafen waren, erwachten wir erst nach Mittag.
So saßen wir kurze Zeit später allein am Tisch in der gemütlichen Küche und ergötzten uns an „Hoopy Honeys“ und Obstsalat vom Vortag.
„Was hast du heute vor?“, suchte ich das Gespräch, nachdem er unter meinem strengen Blick die Zeitung beiseite gelegt hatte.
Er wusste, dass ich es hasste wenn sich meine Tischgesellen hinter der „Dallentoner Morgenpost“ verkrochen und genau aus diesem Grund tat er es leidenschaftlich gern. „Erstmal geht’s ab zu Myspace und dann werde ich mal sehen, was mir der Tag so bringt.“. „Oh, natürlich! Wieso frage ich eigentlich noch.“, erwiderte ich ironisch.
„Dein Paralleluniversum kollabiert ja, wenn du mal einen Tag nicht darauf aufpasst“.
Er grinste schnippisch.
„Mein `Universum` nicht….aber mein Postfach. Ich krieg pro Tag mindestens acht neue Kommentare zu meinen Bildern, - das ist ein super Schnitt! Scheinbar bin ich einfach zu gut aussehend“.
Ich schenkte ihm ein mildes Lächeln.
„Natürlich…blendend!“, und ich nahm mir vor ihm später auch einen Kommentar zu schreiben (was ich schließlich auch tat) : „Oh my god! My Eyes!!! He is too awesome!“.
„Nein, im Ernst.“, ergänzte er.
„Ich will mal sehen ob ich Cairo erreichen kann und ihn fragen ob er Lust hat was zu machen“.
Nun grinste ich und das sehr anzüglich.
„Wie süüüüß!“.
Er schaute mich nur gelangweilt an.
„Das war sogar wirklich so gemeint!...Frag ihn ob ihr kleine Mädchen ärgern gehen wollt. Da ist er bestimmt Feuer und Flamme“.
Er ging gar nicht darauf ein.
„Und was hat die Lady an diesem ausgesprochen schönen zwanzigsten März für Pläne?“.
„Ich werde heute…“, ich unterbrach mich.
„Hast du gesagt zwanzigster März?“.
„Jep. Zwanzigster dritter. So steht’s im Kalender.“, er wies auf die Wand hinter sich.
„Na wenn das so ist, gehe ich scheinbar in die Bibliothek. Ich muss noch was abgeben“.
Er lächelte wissend.
„Stolz und Vorurteil!“.
Ertappt!
„Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass ich ihn dir brennen kann?!“.
„Ungefähr eine Million Mal.“, gab ich zu.
„Aber ich hab dir mindestens schon genauso oft erklärt, dass diese abgegriffene Bibliotheksausgabe irgendwie Was hat“.
Cam verzog missbilligend den Mund.
„Ja, eine Menge Keime und Krankheitserreger gratis!“.
„Du bist sooo unromantisch!“, warf ich ihm vor.
Er hob unschuldig die Hände.
„Gut. Tu was du nicht lassen kannst“.
Ich nickte.
„Und du auch! Ich wünsche viel Spaß mit Cairo, - er ist ein klasse Typ“, dann erfassten meine Augen die dezente gläserne Küchenuhr.
„Oha, ich muss los, Häschen!“, ich nahm einen letzten Löffel Cornflakes.
„Sorry, dass ich dich mit dem Abwasch alleine lasse“, entschuldigte ich mich, „Ruf mich gefälligst an, heute Abend! Ich will wissen wie’s mit dem Foster-Jungen gelaufen ist“.
Dann drückte ich ihm schnell einen Kuss auf die Wange, rief ihm ein „Bis nachher!“, zu und spurtete in meine Wohnung, schnappte mir den Film und lief erneut los.

Öffentliche Bibliotheken…tze!
Horrende Preise, Öffnungszeiten wie auf dem Amt und Personal mit dem Lea ihre helle Freude gehabt hätte.
All das hatte sich auch diesmal nicht geändert, wie ich keine zwanzig Minütchen später feststellte.
Die Empfangsdame, die den Film zurücknahm war alles andere als höflich und zuvorkommend und knöpfte mir bei dieser Gelegenheit gleich die nächste monatliche Gebühr ab.
„Eins ist klar…“, grummelte ich, als ich mich abwandte, „Wäre es nicht so wunderbar kitschig in den zerlesenen Büchern und angegrabbelten Filmen zu stöbern, wäre ich sicher nicht hier!“.
Jeder brauchte ein bisschen Kitsch in seinem Leben.
Das war zumindest meine persönliche Wahrheit.
Da Cam ja heute ausgebucht war und ich keine Telefonnummern oder sonstiges von Lea oder P.J besaß, konnte ich mich auf einen einsamen, friedlichen Nachmittag einstellen und genau deswegen steuerte ich die riesigen Regale an um mir ein Buch oder einen Film als Zerstreuung zu besorgen.
Eine ziemlich altmodische Gewohnheit, doch altmodisch war gut, - altmodisch war kitschig. Ich hatte mich in die Buchrücken zahlreicher Romane und die Frage, warum mir Austen noch immer nicht zum Hals heraus hing, vertieft, als ich plötzlich gegen etwas großes Hartes stieß und so heftig zurück prallte, dass ich das Gleichgewicht verlor.
Dann packte mich jemand am Handgelenk und bewahrte mich so davor, rückwärts in ein Bücherregal zu fallen.
Die Dame vom Empfangstisch starrte mich strafend an und gab ein vernehmliches „Ssssscht!“ von sich.
Erst als ich zurückgefunkelt hatte und wieder halbwegs sicher auf den Beinen war, drehte ich mich um und identifizierte mein Verhängnis, das zugleich mein Retter gewesen war.
„Wow“, dachte ich schmunzelnd, „also DAS ist wirklich kitschig!“.
Vor mir stand, mich ungerührt und herablassend betrachtend, wie hätte es auch anders sein können, Patrick!
„Vorsicht.“, sagte er leise und melodisch, allerdings vollkommen tonlos.
Als Nachrichtensprecher hätte er eine glänzende Zukunft gehabt.
Wenn ich’s mir jedoch recht überlegte, war er wahrscheinlich zu schön für diesen Job.
Er würde die Zuschauer von den Neuigkeiten ablenken. Das erklärte auch die Zombies, die üblicherweise solche Shows moderierten.
„Besser spät als nie!“, murmelte ich und schaffte es authentisch ärgerlich zu klingen.
Seine Stimme wurde kalt.
„Die Bibliothek war schon mein Bereich bevor du überhaupt hierher gezogen bist Adelaide!“. Ach du meine Güte woher kannte er nur meinen richtigen Namen?! Wie peinlich!
Dennoch genoss ich es zu hören, wie er diese acht Buchstaben aussprach. Wenn er ihn sagte, kam mir mein ungeliebter Vorname gar nicht so schlimm vor.
„Konzentrier dich Alley!“, rief ich mich zur Ordnung. „Lass ihn damit nicht durchkommen!....Was würde Lea jetzt sagen?“.
„Ach?!...Hast du in deinem Bereich schon mal vor Schmerz geschrieen?!“, schoss es aus mir heraus.
Für einen Sekundenbruchteil wich die Kälte ehrlicher Verblüffung.
Mit meinen Zügen spielte sich wahrscheinlich das Gleiche ab.
Oha, hatte ich ihm das wirklich gerade an den Kopf geworfen?
Ja, es war genau das gewesen, was Lea zu ihm gesagt hätte. Sie wäre stolz auf mich, aber aus meinem Mund waren diese Worte einfach nur lächerlich.
Selbst wenn ich den Mut gehabt hätte, hätte auch nur der Hauch einer Chance, etwas gegen ihn auszurichten, gefehlt.
Und überhaupt…ich war doch kein Schlägertyp aus einem billigen Hollywoodfilm!
Ich merkte wie ich leicht rosa anlief, was die Situation nicht gerade verbesserte.
„Oookay?!“, sagte er langsam und, wie ich mit Genugtuung feststellte, einen Hauch verunsichert.
„Ähm…tut mir Leid.“, ich versuchte unschuldig dreinzuschauen.
Sein Gesicht wurde wieder eisig, nur in seinen Augen glaubte ich ein kleines erheitertes Feuer zu sehen, wenn das bei ihm überhaupt möglich war.
Vielleicht war es auch nur Wut.
„Darauf steht die Todesstrafe…“, okay…es war Wut!
„Ich meine…ich bin immerhin ein Prinz!“.
Stopp, stopp, stopp!
„Ein WAS?“.
„Prinz! Königssohn, Thronfolger…Prinz eben. Krone, langer Mantel…du weißt schon.“. Verdattert blickte ich zu ihm hinauf.
„Ja, ich bin mir dessen, was ein Prinz ist überaus bewusst….aber….PRINZ?! Der Prinz von was denn? …Vampiristan?“, im letzten Teil war ich ziemlich laut geworden und wieder ließ die Frau hinter dem Tresen ein „SSSSSCHT!!!“ hören.
Ich hoffte inständig, sie dachte, wir würden uns nur über den neuesten Hohlbein austauschen. Er konnte das Grinsen nicht mehr vermeiden und es war erschütternd, dass er noch unwiderstehlicher aussehen konnte als ohnehin schon.
Ich musste all meine Willenskraft aufbringen, um nicht drauflos zu sabbern.
Wie erniedrigend!
„Fast.“, sagte er dann.
„Eine kleine Provinz in Osteuropa!“.
Das Leben war ungerecht! Unwahrscheinlich schön, ewig jung, reich und jetzt auch noch ein Prinz.
n Gedanken drapierte ich ihn schon auf einen Schimmel und behängte ihn mit einem Schwert. „Echt?“, fragte ich unwillkürlich.
Sein Lächeln wurde wieder starr und herablassend.
„Ach herrje…du bist ja tatsächlich so leichtgläubig wie ich dachte“.
Für einen kurzen Moment hatte ich ein menschliches Feedback von ihm bekommen und ich hoffte, während ich meine nächsten Worte sprach, dass dieser Teil, an den der folgende Satz gerichtet war, wirklich in ihm existierte.
„Eure Hoheit hätten nicht zufällig Lust heute noch irgendwas mit mir zu machen? Wir scheinen ja die gleichen Filme zu mögen“, fügte ich mit einer Kopfbewegung zu den DVDs in seiner Hand hinzu. (Es waren Fightclub, Wanted, Donnie Darko und zu meiner Verblüffung auch Abbitte)
Seine hellblauen Augen sahen mich auf eine unergründliche Art und Weise an.
Sein Stimmbild war wieder sehr sarkastisch gefärbt als er antwortete.
„Also…ganz, ganz…GANZ tief in deinem Herzen bist du bestimmt ein reizender Mensch. Aber ich glaube…du bist irgendwie nicht ganz mein Niveau“.
Die mentale Kinnlade klappte mir herunter. Konnte er wirklich so eingebildet sein?
Doch immer noch von einem Mut beflügelt, den ich zum einen dem Vorbild von Jakes Schwester zuschrieb, zum anderen der ohnehin schon unrettbar peinlichen Situation, gab ich schlicht und ähnlich kalt wie er zurück: „Fahr zur Hölle!“.
Ich hatte es nicht wütend gesagt, einfach nur ruhig und bestimmt, was es umso eindrucksvoller machte.
Dennoch konnte es ihn nicht rühren und er war mit seiner Replik wieder einen Schritt voraus. „Wo wir uns sicher wieder sehen!“, und als mir einfiel „wie könnte ich sonst sicher sein, dass ich tatsächlich in der Hölle bin“, war er schon spurlos verschwunden.
Ärgerlich!


~4~ P-p-p-Pokerface



Um das peinliche, frustrierende Pat-Ereignis aus meinen Gedanken zu vertreiben, hatte ich mich entschlossen, auf Leas Empfehlung hin, mein erstes Pilates Training in Angriff zu nehmen. Ganze vierzig Minuten quälte ich mich, auf dem harten Laminatboden meines Wohn- und Schlafzimmers. Liegend, sitzend, kullernd, hockend und auch sonst in allen seltsamen Positionen, die längst verschollene Muskelgruppen aktivierten.
„Achten sie darauf das Becken immer schön gerade zu halten!“, gurrte die südländisch anmutende Trainerin vom Bildschirm zu mir hinunter.
„Ja, versuch ich ja!“, knurrte ich sie atemlos an. Was sie da verlangte grenzte jedoch an eine physische Unmöglichkeit.
Nach meinem sportlichen Intermezzo hievte ich mich wieder in einen wackeligen Stand hoch und schleppte mich ins Badezimmer. Ein wabbeliges Gefühl hatte von meinem Körper besitz ergriffen, aber ich war dennoch von einer tiefen Zufriedenheit beseelt. Nach einer warmen und überaus entspannenden Dusche schlenderte ich zu meinem Computer hinüber, ließ mich auf meinen gepolsterten Schreibtischstuhl sinken und schaltete den PC ein.
Es war Zeit mit Victor zu reden. Ich schrotete innerhalb der Ladezeit meines Instantmessengers eine halbe Tüte Gummibärchen zusammen, bis(s) ;) das Startsignal erklang. „A O!“, sprach ich simultan zu meinem Computergeräusch.
Obwohl es erst früher Abend war und hinter den, zugegeben dreckigen, Glasscheiben meiner Fenster, noch immer ein bisschen Sonnenlicht strahlte, dass es jedoch durch die dicke Schaubschicht nur sehr partiell ins Innere meine Wohnung schaffte, war Cam schon online. Obwohl…im Grunde war das alles andere als ungewöhnlich, da Victor im Grunde IMMER und ÜBERALL online war.
„Häschen!!! Bist du da?“, schrieb ich.
„Moment, bin grad in der Wanne. 15 Minuten?!“, kam seine schnelle Rückfrage.
Wie gesagt: IMMER und ÜBERALL, selbst in der Badewanne, er war doch ein Opfer!
Das ganze hatte jedoch auch praktische Züge, denn es gab quasi niemanden, den er nicht über Myspace kannte und Vitamin B hatte schon immer wunder gewirkt.
„Okay! Bye <3“

Noch bevor er zurück war, hatte ich auch noch den restlichen Teil der Gummitiere vertilgt und da die Tüte leer und mir allmählich langweilig war, wurden meine Gedanken aus Mangel an Alternativen wieder zu den Geschehnissen des Nachmittags gezogen.

Ich konnte es nicht vermeiden einen begehrlichen Laut auszustoßen, als ich daran dachte, wie sich seine glatten, perfekt geschwungenen Lippen zu diesem Lächeln verzogen hatten und sich wenig oberhalb seiner Mundwinkel, -komischerweise eines seiner Körperteile, dass meine Fantasie sehr anzuregen schien, je eine kleine Kuhle gebildet hatte.
Männer mit Grübchen, zumindest wenn sich diese an sichtbaren Stellen befanden, übten einfach eine ganz besondere Anziehung auf mich aus. Vielleicht war es aber auch einfach die Tatsache, dass diese winzigen Kerben zu Abwechselung mal eine Gefühlsregung bei ihm erkennen ließen.
Sein Mund jedoch, war während dieses „Aussetzers“ nichts im vergleich zu seinen Augen gewesen und sie waren, so erinnerte ich mich lebhaft, der eigentliche Grund dafür gewesen, dass ich für den Bruchteil einer Sekunde alles andere um mich und ihn herum vergessen hatte.
Seine von einem dichten, schwarzen Wimpernkranz umsäumten Huskyaugen hatten mich nahezu durchbohrt, jedoch nicht auf jene oberflächliche kalte art, die sie üblicherweise spiegelten. Im Gegenteil. Sie hatten sich glühend in meine Netzhäute geschmolzen.
Mein Herz übersprang die nächsten paar Schläge, doch nur einen Moment später musste ich daran denken, was er danach zu mir gesagt hatte und daran, wie das Feuer so plötzlich wieder aus seinen Augen gewichen war.

Die schlechte Laune kehrte zurück und ich schwelgte weiterhin in trübsinnigen Gedanken, bis mich ein Brummen, aus den Selben, in die Wirklichkeit zurückholte.
Ich schaute kurz auf das Display meines Mobiltelefons und als ich das Bild eines überbreit grinsenden Victors, der beide Daumen nach oben gereckt hatte, sah, drückte ich auf die kleine Taste mir dem grünen Hörer.
Eigentlich hasste ich telefonieren, doch für ihn war ich immer gern bereit eine Ausnahme zu machen, fast in allen Dingen.
„Hallo, meine Kleine!“, begrüßte er mich.
Cams Stimme klang ruhig und ausgeglichen, meine hingegen ein wenig matt als ich schlicht und einfach: „Hey!“, erwiderte.
„Alles klar bei dir?“, fragte er misstrauisch. Er kannte meine Telefonstimme einfach zu gut. Verdammt! Lüg glaubwürdig!
„Klar.“, beteuerte ich.
Er klang nicht überzeugt. „Wirklich?“.
„Ja, wenn ich’s doch sage!“, versicherte ich ihm erneut, diesmal jedoch ziemlich patzig.
Es war zwar nicht die Replik gewesen, die ich ihm hatte geben wollen, doch erfüllte sie den gleichen Zweck, da er durch den trotzigen Tonfall offensichtlich die Lust daran verloren hatte, mit mir zu diskutieren.
„Braver Cam“, lobte ich ihn in Gedanken. „Gute Alley“, bestätigte ich auch mich selbst. Manchmal tat das einfach gut.
„Wie war denn nun dein Tag mit Cairo?“, ermunterte ich ihn etwas zu erzählen. „Ich will alles wissen!“.
„Naja, wir…“, er druckste ein wenig herum, wie er es häufiger zutun pflegte.
„Wo wart ihr denn?“, hakte ich nach.
„Ähm…“, er zögerte einen kurzen Moment.
„Ach du meine Güte“, begann ich aufgebracht. „Ihr habt doch wohl nichts unanständiges angestellt?, fragte ich mit gespielter Empörung.
„Wir waren im Zoo!“, gab er brüskiert zurück.
„…Oh…“, ich war ehrlich verwundert. „Wie hast du ihn denn dazu überredet?“.
„Tja, dein Rat mit dem `kleine Mädchen ärgern` hat funktioniert!“.
Ich stutzte. „Im Ernst?!“.
Ein Lachen erklang aus der Hörmuschel. „Natürlich nicht! Du bist so naiv.“, freute er sich. Ich grollte verstimmt. Das hatte ich mir doch heute schon einmal anhören dürfen.
„Ich hab ihm gesagt, dass ich Fotos machen wollte. Eigentlich musste ich ihn gar nicht wirklich überreden. Er war gleich Feuer und Flamme für die ganze Sache.“, er wartete auf eine Bemerkung von mir, da keine folgte sprach er weiter.
„Am Wochenende sind wir verabredet. Ich hab ihm versprochen Fotos von ihm zu machen…er will ein neues Profilbild“, ich konnte sein Grinsen förmlich hören.
„Na fein, noch so ein Internetsuchti.“. Ich war zickig, wie ich überrascht feststellte. Das kam wirklich selten vor.
Dieser verderbte Van Gillet! Warum um Alles in der Welt, sehnte ich mich aber danach diesen ungehobelten Klotz, der schließlich Quell meines Verdrusses war, so schnell wie möglich wieder zu sehen?!
Als ich diese gedankliche Ausführung beendet hatte, war Cam mit seinen Erzählungen bereits weiter fortgeschritten und ich hatte die Hälfte verpasst.
„Glaubst du denn er ist auch `betroffen`?“, wollte ich, noch immer etwas gereizt, wissen. „Betroffen“ hatte sich als unser Ausdruck für schwul etabliert.
„Nun, ich bin mir nicht sehr sicher, aber die Chancen stehen gar nicht so schlecht. Zumindest scheint er recht offen zu sein und meine kleinen Annäherungsversuche…“, ich konnte mir vage vorstellen, was er darunter verstand. „Zufälliges“ über die Schulter streichen, unauffälliges heranrutschen, scheinbar unwillkürliche Berührungen ihrer Hände etc. pp. . Victor war sehr geschickt in diesen Dingen.
„…haben ihn auch nicht gestört. Zumindest nicht offensichtlich. Also ich würde sagen zu sechzig Prozent ist er ein Betroffener!“.
Er hatte es vergnügt ausgesprochen. Ich schnaufte theatralisch.
„Mein Gott, alle laufen über. Und dann auch noch alle Guten! Als gäbe es nicht sowieso schon einen Frauenüberschuss! Was ist nur aus der guten alten Mann-Frau-Beziehung geworden?!“, beschwerte ich mich und schüttelte dabei den Kopf.
Als mir jedoch bewusst wurde, wie lächerlich das für vorbei fliegende Vögel aussehen musste, hörte ich sofort damit auf.
In der Telefonleitung blieb es still. Von Zeit zu zeit spielte Victor ganz gerne mal die beleidigte Leberwurst und meine jahrelange Erfahrung hatte mich gelehrt, dass das einzig Sinnvolle in diesem Fall leider mitspielen hieß, auch wenn es mir nicht gefiel. Denn das bedeutete: Sich entschuldigen!
„Och komm schon Spatz! Du weißt genau, dass es nicht so gemeint war.“, forderte ich ihn leicht belustigt, doch zugleich adäquat kleinlaut auf.
„Keh!“.
Ich kicherte über diesen Laut. Kurz darauf seufzte er vernehmlich.
„Manchmal bist du eine ganzschöne Pute!“, dann lachte er kurz und wohlwollend auf.
„Was war denn eigentlich bei dir heute los?...Wieder… Herrenbesuch?“.
„Nein.“, erwiderte ich etwas wehmütig. „Mister Darcy wohnt wieder in der Stadtbibliothek.“. Ich haderte einen kurzen Augenblick mit mir, bevor ich ihm von dem „Zwischenfall“ erzählte. „Aber ich habe Pat getroffen.“.
Victor schien wenig begeistert.
„Aha…und?“, war alles was er von sich gab.
„Naja, sagen wir es mal so…er war sehr…umwerfend.“.
Er schien genervt. „Oh man, Alley! Ich hab dir doch gesagt wie er ist!“.
Trotz erwachte in mir. „Ach, was weißt du schon? Wir kennen ihn doch gar nicht richtig. Wer kann schon sagen, warum er sich so gibt?!“.
„Schon mal was vom Attraktivitätsbonus gehört?“, sprach er mitten in meinen Satz hinein.
Ich war zu perplex um mich darüber aufzuregen. „Ehm…“.
„Das ist ein psychologisches Phänomen. Bei Leuten die wir als attraktiv empfinden, sind wir geneigt ihnen charakterliche Makel zu verzeihen.“.
Diesmal unterbrach ich ihn. „Ehrlich gesagt habe ich keine große Lust mit dir noch weiter über Patrick zu reden, bei diesem Thema werden wir eh auf keinen gemeinsamen Nenner kommen.“.
„Einverstanden“, antwortete er resignierend.
Ich beschloss mich einem erfreulicheren Thema zuzuwenden. „Machen wir morgen was?...Wie wär’s zum Beispiel mit shoppen? Oder von mir aus auch ins Kino gehen“.
„Nun.“, er klang zerknirscht. „Ich muss morgen mal wieder zum Zivildienst.“.
WAS? „Du machst Witze!...Du warst doch ewig nicht mehr da, ich dachte die Sache wäre gegessen“.
„Naja, ich war die letzten zwei Monate krankgeschrieben. Aber ab und zu sollte ich mich da schon blicken lassen, sonst kicken sie mich. Es ist nur für diese Woche. Tut mir leid.“, entschuldigte er sich.
„Diese Woche! Was soll ich denn die drei Tage noch machen?“, fragte ich der Verzweiflung nahe.
Es brauchte eine Weile bis er antwortete…

Mit prüfendem Blick stand ich vor dem mannshohen Spiegel und zupfte an dem eleganten, leicht fallenden Oberteil, das ich ausgesucht hatte.
Irgendwie stellte mich die Art, wie der fließende Stoff meine, soweit sie vorhanden waren, Kurven umspielte, so zufrieden, dass sich ein breites Lächeln auf mein Gesicht stahl.
Als ich die Augen von meiner Reflektion abgewandt hatte, drehte ich mich herum und ging beschwingt wieder auf meine Kabine zu.
Das Ding war schon so gut wie gekauft, und es war nicht das erste an diesem Tag. Sehr befriedigend!
Euphorisch riss ich die Tür der Umkleide auf, schaute noch einmal über meine Schulter, zurück in den Spiegel, der auf dem Gang hing und gab mir selbst einen überzeugten Klaps auf den Po. In meiner Lieblingshose machte sogar meine selbst erklärte Problemzone eine gute Figur.
Nach einem weiteren Schritt ins Innere der nicht sehr großen Ankleide, - ich hatte mir beim umziehen zweimal den Ellenbogen gestoßen, drehte ich mein Haupt zurück in die richtige Richtung und blieb wie angewurzelt stehen.
Unvermittelt entfuhr mir ein leises Keuchen.
Das konnte nicht wahr sein!
Keine handbreit vor mir stand ein halbbekleideter Mann, dessen unheimlich blaue Augen unter den Haaren, die ihm in Stirn und Gesicht gefallen waren, hervor strahlten.
Seine Haut war glatt und ebenmäßig, fast so als hätte er nicht einmal Poren.
Er war groß. Ich musste meinen Kopf in den Nacken legen um ihm ins Gesicht zu sehen und um festzustellen, dass der übliche kühle Glanz aus seinem Blick gewichen war und ehrlicher Verblüffung Platz gemacht hatte.
Ich spürte wie mir das Blut in die Wangen schoss.
„Ehm…t…tut mir Leid!“, stammelte ich Patrick an.
Er sagte nichts, was mein Antlitz noch mehr zum glühen brachte.
Ich hätte mir am liebsten auf der Stelle ein Erdloch gegraben und dennoch hielt mich meine scheinbar chronische Unfähigkeit, aufzuhören ihn zu betrachten, davon ab einfach auf dem Absatz kehrt zu machen und aus der kleinen Kabine zu stürmen.
Hätten mich seine milchig eisfarbenen Augen nicht derart in ihren Bann geschlagen, so hätte sicher schnell ein anderer Teil seines Gesichtes oder sein barer Oberkörper diese Aufgabe übernommen.
Noch immer war der winzige Raum von einer unheilvollen Stille erfüllt und noch immer hatte ich mich keinen Millimeter von ihm wegbewegt. Ich spürte die Wärme die er abstrahlte überdeutlich. Warum waren eigentlich alle Kerle derartige Heizkraftwerke?
Schließlich war mir das unangenehme schweigen unerträglich.
„I…Ich hab mich wohl…“, eine seiner formvollendeten brauen schwang sich hinauf zu seiner Stirn, was mich völlig aus dem Konzept brachte.
„h….h…hab mich in der Kabine geirrt.“.
Ach du lieber Gott, jetzt stotterte ich auch noch. Ich musste die Verführung in Person sein. Konnte er nicht auch endlich was sagen?! Ich hielt es nun nicht mehr aus und bewegte mich unsicher einige Zentimeter zurück.
Er hatte seine Position nicht geändert, nur um seinen Mund meinte ich einen unheilvoll milden Zug zu erkennen.
„Ja…dann…geh ich mal wieder“, brachte ich gerade noch hervor, ehe ich noch einen Schritt rückwärts machte, erleichtert feststellte, dass meine Hände die Tür fanden und ich sie, meine Augen noch immer von seinem Blick gefangen, hinter mir aufstieß.
Als ich hinaus stürzte meinte ich noch zu sehen, wie er still in sich hinein lachte, doch dann schwang das Türblatt auch schon wieder herum und versperrte mir die Sicht. Endlich!

Eine Kabine weiter sah ich in dem winzigen schmalen Spiegel zu meiner Bestürzung, dass ich tatsächlich so hochrot war wie ich befürchtet hatte.
Mein Herz schlug mir wie wild gegen die Rippen und ich spürte das Adrenalin durch meine Adern rauschen.
Ich atmete einige male sehr tief ein und aus, doch nichtsdestotrotz darauf bedacht nicht so laut zu sein, dass man es in der benachbarten Umkleide hätte vernehmen können. Andererseits war er ein Vampir und nahm mit Sicherheit sowieso viel mehr war als ich mir vorstellen konnte. Dennoch, - ich konnte ja wenigstens zeigen, dass ich es versuchte.

Als ich mich wieder beruhigt und umgezogen hatte und der Kassiererin meine Geldkarte reichte musste ich unvermittelt lächeln, als ich die Situation in meinem Kopf revue passieren ließ.
Das war so einmalig blamabel, dass es im Grunde gar nicht schlimmer kommen konnte. Beruhigend…oder?!
Wie Pat so dagestanden hatte, unwillig auch nur einen Laut von sich zu geben, erinnerte er mich an „Midnight Marc“, aus dem Film „Radio Rock Revolution“. Jener nächtliche Moderator eines Piratensenders, der während seiner Sendung, und auch sonst, nie ein Wort sagte, sondern sich immer nur eine Zigarette neben dem Mikrofon anzündete. Laut seiner Kollegen machte ihn das zu dem Mann mit der größten Anziehung auf das weibliche Geschlecht.
Ich schnaubte verächtlich.
Nein, - bei Patrick war es schlichte Arroganz. Und doch…war es nicht trotzdem reizend gewesen? Peinlich berührt stellte ich fest, dass die Verkäuferin meinen Laut wohl mit ihr in Verbindung gebracht hatte und mir mit einer ungnädigen Miene die EC-Karte und die Tüte mit meiner Beute reichte.
Froh, all diese unglücklichen Situationen hinter mir lassen zu können, floh ich aus dem Geschäft.

Nach ein Paar Metern Boulevard, die ich im Laufschritt zurück gelegt hatte, mäßigte ich mein Tempo und Erleichterung überkam mich.
Diese hielt jedoch nur solange an, bis mich der freundliche, fast strahlende Tag und die aufsteigende Wärme auf die Idee brachten, mir ein Eis zu kaufen.
In Dallenton gab es insgesamt zwei Eisdielen in der Innenstadt und zwei weitere in den äußeren Wohnbezirken.
Die, die sich auf dem Marktplatz befand, - Danilos, hatte neben dem Café einen kleinen extra Stand für die Laufkundschaft eingerichtet, vor dem sich eine beachtliche Schlange gebildet hatte.
Das Eis schien also gut zu sein.
Ich steuerte direkt auf die wartenden Menschen zu und reihte mich ein.
Bereits nach wenigen Sekunden war ich wieder in meinen Gedanken versunken.
Warum war ich ausgerechnet in seine Kabine gegangen? Es gab zahlreiche Weitere, mit denen ich Meine hätte verwechseln können und etliche Menschen, die sich an Seiner statt in der Umkleide hätten befinden können. Warum also ausgerechnet Pat? So klein war diese Stadt nun auch wieder nicht.
„Signiorina?“
Oder war es vielleicht sogar Schicksal?...Oh nein! Ich klang ja bereits wie meine Mutter. Dieser Kerl machte mich noch zu einem abergläubischen Dummchen.
„Signiorina?!“, vernahm ich eine raue auffordernde und zugleich fragende Stimme.
Perplex starrte ich ihren Besitzer an.
Es war der Mann hinter der Theke, südländisch, ansehnlich, etwa Ende Zwanzig.
Verwirrt sah ich in seine warmen braunen Augen.
Ein Schild an seinem Torso verriet, dass es Danilo selbst war, der seine Kundschaft bediente und mich noch einmal mit einem klischeehaften, doch ebenso authentischen italienischen Dialekt ansprach.
„Eh, Bella, welche Eis darf es sein?“.
Zum Glück nahm ich immer das Gleiche und nur dieser Umstand befähigte mich dazu zu sagen: „Melone und Kirsch, bitte.“, und mich davor zu retten, mir auch noch den Unbill, der nach mir Stehenden zuzuziehen, die ebenfalls darauf warteten bedient zu werden.
„Ah, sie mögen es fruchtig!“, stellte er fest, wobei er das S sehr scharf aussprach, was ein bisschen nach Antonio Banderas in der Synchronisation des Katers aus „Shrek“ klang.
In Windeseile hatte er beide Kugeln in einer spitzen Waffel portioniert und reichte sie mir strahlend, seine braunen Augen unablässig auf mein Gesicht gerichtet.
Dieses offenkundige Interesse ließ mich erneut ein bisschen erröten, was jedoch kein vergleich zu meiner Gesichtsfarbe während des vorigen Fauxpas’ gewesen war.
„Eins dreißig, Signiorina.“, bat er, noch immer lächelnd.
Ich bemerkte, dass ich meine Geldbörse noch nicht herausgeholt hatte und begann in meinen Tüten danach zu kramen.
Hinter mir stöhnte jemand genervt auf.
Als ich zwei von drei Tüten ohne Ergebnis durchforstet hatte, brach mir der Schweiß aus. Hoffnungsvoll versenkte ich meine tastenden Finger in den letzten Beutel, doch auch hier….Nichts!
„Nein! Nein! Bitte Nein!“, dachte ich aufgewühlt.
Bei meiner Flucht aus dem letzten Store musste ich sie an der Kasse vergessen haben.
„Was ist denn nun?!“, brummelte ein korpulenter Herr hinter mir.
Die Bewohner dieser Stadt, schienen sich allesamt nicht gerade durch übermäßige Freundlichkeit oder außerordentlich gute Manieren auszuzeichnen.
Leas zynische Stimme erklang in meinem Kopf. „Ja genau, Sie haben es nötig schnell ihr Eis zu bekommen!“, doch diese Bemerkung kam für mich gar nicht in Frage. Danke für deine gute Erziehung Mom!
Der Eisverkäufer warf dem Mann in der Schlange einen grimmigen Blick zu. „Oh…Verzeihung!“, sagte ich, noch immer in meinen Tüten kramend.
„Ich fürchte, ich habe mein Portemonnaie gerade verloren.“, der Dicke nach mir lachte abschätzig.
Wieder sah ihn der Italiener über die Theke hinweg böse an. Dann rief er mit rollendem R: „Roberto!“
Ohje, was kam jetzt? Sein breitschultriger Bruder, der mich mit sich nehmen würde, um mich an der nächsten Polizeistation abzuliefern?!
„Oh, bitte, Sir.“, flehte ich.
„Ich schwöre, ich hatte es gerade noch. Sehen sie! Ich habe soeben etwas bei ‚Mallone’ gekauft.“. Ich hielt ihm den Kassenzettel aus dem Kleidungsgeschäft vor die Nase.
Hinter ihm öffnete sich die Tür des kleinen Eisstands und tatsächlich kam ein gedrungener Südländer, vermutlich Roberto hinein.
Die Beiden wechselten ein paar Worte in schnellem Italienisch, dann verschwand Danilo aus dem Laden.
Er wollte mich also persönlich der Staatsgewalt übergeben.
Patrick war eindeutig ein Unglücksbringer! Ein schlechtes Omen, ein apokalyptischer Reiter! Der Eismann kam um den containerartigen Verkaufsstand herum geschlendert, hielt auf mich zu und zog mich dezent am Ellenbogen hinter die Hütte.
„Bitte…“, begann ich erneut, doch er schüttelte nur den Kopf, sodass sein dunkles Haar um ihn herum wirbelte.
Zu meinem Erstaunen grinste er immer noch.
Nun aus der Nähe betrachtet schien er mir um einiges Jünger. Vierundzwanzig, vielleicht fünfundzwanzig, doch gewiss nicht älter.
„Signiora, das iste doch überhaupt keine Problem!“, beteuerte er.
In dankbarer Überraschung musterte ich sein Gesicht. Besonders auffallend war das kräftige Kinn mit einer kleinen Kerbe in der Mitte.
Er drückte mir die Eistüte in die Hand und berührte meine dabei mehr als nötig.
Was war heute nur los?!
„Wenn sie male mit mir essen gehen!“.
Ungläubig starrte ich ihn an. Ich brauchte einige Augenblicke bis ich meine Sprache wieder gefunden hatte.
„Ehm…Das ist sehr schmeichelhaft, aber ich…ich glaube nicht, dass…“, er unterbrach meine Ausrede energisch.
„Oh nein…sagen sie nichte ihre Freund würde es nichte gut finden!“
„Nein, ich habe gar keinen…“, platzte es wahrheitsgemäß aus mir heraus, noch bevor ich bemerkt hatte, dass dies wohl die einzig vernünftige und FUNKTIONIERENDE Ausrede gewesen wäre.
Ich biss mir auf die Zunge, doch auf Danilos Zügen hatte sich schon Siegesgewissheit ausgebreitet.
„Also, abgemachte?!“.
Innerlich seufzte ich. „Also…Schön!“, entgegnete ich wenig begeistert. „Kennen Sie das Pit?“.
Wenn ich ihn schon treffen musste, dann wenigstens nicht an einem Ort, den ich noch nicht kannte und möglichst an einem, bei dem meine Freunde in der Nähe warten konnten.
„Du!“, verbesserte er. „Iche bin Angelo Danilo!“, und wies auf sein Namensschildchen. „Unde ja, ich kenne das Pit! Und wann darf ich sie dort treffen, Bella?!“,
„Alley!“, war ich es diesmal, die ihn korrigierte.
„Ich denke….am Freitagabend. Gegen dreiundzwanzig Uhr werden wir…“,er schaute misstrauisch.
„Werde Ich dort sein.“, verbesserte ich mich schnell.
„Wunderbare!“, strahlte er. „Nun, Signiorina Alley, danne bise Freitag.“.
Er verpasste mir noch einen Handkuss, bei dem er mir tief in die Augen sah.
Er musste wohl die gleiche Schule besucht haben wie Adam, höhnte ich insgeheim und war froh, als er seinen griff lockerte und ich ihm meine Hand entziehen konnte.
„Bye“, stieß ich hervor und trat den Rückzug an.

Mein Eis floss bereits schwerkraftgemäß in Richtung Boden und lief in dünnen Rinnsalen über meine Linke.
Leise fluchend verfrachtete ich es in den nächsten Mülleimer, sobald ich außer Sicht des Eisstandes war. Toll! Jetzt klebte ich auch noch. Was für ein Tag!

Der Weg in mein kleines Appartement erwies sich schließlich als erfreulich unbeschwerlich , - als kleine Atempause nach meiner heutigen Pechsträhne, und als ich die Tür hinter mir hatte ins Schloss fallen hören, ließ ich mich erschöpft auf mein übergroßes, bequemes und deshalb von mir heiß geliebtes Bett fallen.
Mein nicht nur einkaufens-, sondern auch pilatesgeschundener Körper weigerte sich, auch nur die noch so kleinste Bewegung auszuführen.
Ich war erschreckend untrainiert und kam nicht umhin festzustellen, dass Sport tatsächlich Mord gleichkam. Wenn schon nicht physisch, so doch wenigstens was das Ego anging.
Alles in allem fühlte ich mich recht unfrisch und fand so schließlich doch, ächzend und fluchend, den Weg zum Waschbecken, drehte den Hahn auf und schaufelte mir mit beiden Händen Wasser ins Gesicht. Es war kühl aber nicht unangenehm, irgendwie war es eine sehr natürliche Temperatur und als ich fertig war und mir sämtliche Überreste des Tages von meinem Antlitz gewaschen hatte, fühlte ich mich bereits um einiges besser.
Meine braunen Haare band ich zu einem losen Zopf zusammen und befestigte die letzten widerspenstigen Strähnen mit Haarnadeln, so dass sie mir nicht ständig im Blickfeld herum baumelten.
Letztlich tauschte ich meine Röhre und das taillierte Oberteil gegen Shorts und ein weites, gemütliches Top, wie ich es häufig zuhause und zum schlafen trug.
Dann folgte der obligatorische Gang zum Kühlschrank. Nach kurzem Zögern schnappte ich mir einen Milchreis, einen Apfel und den Schundroman, den ich mir vor kurzem geliehen hatte.
Es war mein erster Ausflug in dieses, von mir bis dato immer als nichtig oder sogar verwerflich abgetahene, Genre und er war erstaunlich positiv.
Die angenehme und vielfältige Schreibweise und die hinreißende, manchmal kitschige manchmal spannende Geschichte, straften meine bisherige Meinung, Seite für Seite, Lügen. Das Beste jedoch waren, für mich ohnehin das Wichtigste, die Charaktere. Vielschichtig, mit authentischen und interessanten Makeln und ihrem ganz eigenen Charme durchlebten sie, meist humorvoll, auch die ein oder andere recht delikate Situation.
Gerade war ich wieder an einer dieser Stellen angelangt. Eine Angestellte frönte unerkannt lustvollen Entgleisungen mit ihrem Dienstherren, im England der Kolonialzeit.
Ich war so vertieft in meine Lektüre, dass ich zusammenschreckte, als ich es klingeln hörte. Ich fühlte mich sinnloser Weise ertappt und klappte, peinlich berührt und möglichst unauffällig, das Buch zu.
So ein Schwachsinn! Das war schließlich meine Wohnung und ich war allein.
Dennoch leuchteten meine Wangen, als ich verdattert zur Tür schritt.
Ich ließ mir bewusst eine Menge Zeit und fächelte mir mit den Händen Luft zu. Erfolglos.
Als ich, ohne durch den Spion zu sehen, die Klinke hinunter drückte, war ich noch immer puterrot und als ich meinen unverhofften Besuch identifiziert hatte, wandelte sich der verblassende Ton noch einmal in ein schönes kräftiges Lila.
Wie konnte die Raumtemperatur, innerhalb von zwei Sekunden, einen Sprung von gefühlten vierzig Grad hinlegen?!
„Hallo!“, brachte ich hervor. „Dich hätte ich ja nicht erwartet!“.
Das entsprach vollends der Wahrheit und trug wahrscheinlich deshalb zu einer Entspannung um drei Nuancen auf der Farbskala bei.
Pat sagte nichts.
Wie ungewöhnlich!
„M…möchtest du vielleicht rein kommen?“, wenigstens meine gute Erziehung hatte ich nicht vergessen.
Er schüttelte den Kopf, ein wenig unbeholfen wie ich fand, was ihn plötzlich fast sympathisch machte. Ein Zug den man ihm bisher, mit Recht, völlig absprechen konnte.
„Ich wollte nur was vorbei bringen…“, seine Stimme war gewohnt sicher und fest.
Er streckte mir etwas kleines Ledernes entgegen und musterte mich auffordernd.
Erst jetzt schien er meine Aufmachung zu bemerken. War da tatsächlich wieder der herrlich herzliche Funke zwischen diesem eisigen Blau aufgeflammt, als für einen winzigen Augenblick ein Lächeln über seine Züge gehuscht war?
„Du siehst so…“
Ertappt? Zerstört? Fertig? Rot? Uneben? …
“…ursprünglich aus.“, beendete er grinsend seinen Satz.
Er hat gerade nicht wirklich URSPRÜNGLICH gesagt, oder?!
Ich sah ihn an, zuerst perplex, dann grimmig, und wollte ihm gerade mein Portemonnaie aus seinem Griff entreißen, als er es blitzschnell zurück zog.
„Oh, bitte! Wollen wir jetzt dieses Kinderspiel spielen?“, brummelte ich.
„Nein.“, antwortete er ruhig und ernst. „Aber eine Sache würde ich doch gerne von dir wissen.“, er streckte den Arm mit der Geldbörse wieder aus und sah mich fragen an.
Erneut versuchte ich sie zu ergattern, doch wieder reagierte er pfeilschnell und entkam meiner Attacke mit Leichtigkeit. Zudem schaffte er es auch bei diesen Bewegungen irgendwie seine unwahrscheinliche Eleganz zu bewahren.
Dann nickte ich hilflos, während ich gleichzeitig mit den Schultern zuckte.
Aufregung stieg in mir hoch. Sollte er sich tatsächlich für Etwas interessieren, dass mit mir zutun hatte? Sosehr, dass er mir selbst meine Brieftasche hinterher trug?
Bedeutungsvoll senkte er den Kopf, sodass seine Lippen nun direkt an meinem linken Ohr waren. Schauer überfluteten meinen Rücken, als ich im nächsten Moment seinen Atem in meinen Haaren und an der Beuge meines Halses spürte.
„Was…“, er klang verschwörerisch, und mir stockte der Atem.
Ohne fort zu fahren verharrte er einige Sekunden regungslos in dieser Position und ich spürte lediglich sanfte, warme Luftströme, die in regelmäßigen ruhigen abständen auf meine kalte Haut trafen. Sein Geruch benebelte mich beinahe. Nicht, dass er Unmengen eau de toilette aufgelegt hätte, sondern von ihm selbst schien der wundervolle Duft auszugehen.
Es war eine Mischung aus einer leicht herben, einer fast holzigen und einer würzigen Note. Das Ganze dennoch auf eine Art leicht und natürlich und mit einem guten Schuss Ferromone garniert, sodass meinen Gehirnzellen gar keine Chance bleib, diesen Reiz auszublenden.
Egal, was er sagen würde, schon alleine wegen dieses Augenblickes hatte es sich nahezu gelohnt, mein verdammtes Portemonnaie zu vergessen.
Ohje…verlor ich gerade mein Herz oder meinen Verstand?!
Was hätte ich beispielsweise ohne Geldkarte und Führerschein angestellt? Warum war ich überhaupt einfach nachhause gegangen und nicht noch einmal zurück ins Geschäft um dort nach meinem verlorenen Gut zu fragen?
Er beendete meine rasenden Gedanken, indem er weiter sprach.
Mein Kopf war wieder wie leer gefegt.
„ist…“, ich fühlte mich wie eine Bogensehne vor dem Schuss.
„…die Quadratwurzel aus Pi?“.
In meinem Kopf erklang eine der typischen Fernsehmelodien, die eingespielt wurden, wenn jemand in einer Quizshow eine falsche Antwort gegeben hatte.
Dieser Kerl verarschte mich von Vorn bis Hinten und fand sich dabei scheinbar witzig.
Ich trat einen Schritt zurück, atmete tief durch und überlegte mir meine nächsten Worte.
„Es ist mir völlig egal Wer oder Was du bist Patrick, NICHTS von allem was du sein könntest gibt dir das Recht so verdammt arrogant und herablassend zu sein! Gerade du hast das nötig. Von dem was ich gehört hab, kannst du vielleicht deine Freunde auf- , aber nicht auf sie zählen. Das wundert mich ehrlich gesagt gar nicht, ich würde es auch nicht lange mit dir aushalten!... Was soll diese ganze Fassade?!“, er wirkte überrascht.
„War das eine rhetorische Frage?“.
Der Zorn verlieh meiner Zunge Flügel.
„Nein, es wirkt nur so, weil dir keine Antwort einfällt!“.
Wer war nur diese selbstsichere Person, die da gerade losgewettert hatte?!
Als er tatsächlich still blieb, schnappte ich mir nur meine Geldbörse, - diesmal machte er keine Anstalten zurück zu zucken, funkelte ihn noch einmal wutentbrannt an und schlug dann die Tür, so laut, dass ich mir etwas wie ein bockiger Teenie vorkam, hinter mir zu.

Drinnen ließ ich mich in einem Anflug von Erkenntnis wieder in die Kissen sinken, seufzte ungläubig und doch ein bisschen Stolz, schloss die Augen und stellte mir vor, dass meine Worte etwas in ihm ausgelöst hatten.
Ich spürte wie der kleine Funke in meinem inneren ein wenig, doch unheilvoll anschwoll. Das würde Enttäuschung bedeuten und Enttäuschung bedeutete Schmerz.


~5~ In Cupid’s Chokehold



Hallo hallo,
hier mein persönliches Lieblingskapitel muss ich zugeben…also bis jetzt. Langsam fuchse ich mich rein, auch wenn meine Charaktere auf mysteriöse Art und Weise ein Eigenleben entwickelt haben (jaja, ich glaub die meisten Autoren wissen wovon ich rede…grad bei so vielen Personen).Im vergleich zu Scippu hält es sich bei mir aber noch in Grenzen muss ich sagen :]
So hier ein öffentliches Geständnis! Mir fehlt der Masterplan! Es immer Glückssache was im nächsten Kapitel passiert (bis jetzt bin ich bei: „Ein riesiger Meteor schlug ein und alle waren tot.“) …wer also, Vorschläge hat…immer her damit ^^
Auch Kritik ist sehr gern gesehen…(was Groß- und Kleinschreibung angeht, ebenso die Kommata…ja ich weiß da ist ne Menge Bedarf)
So…bevor ich wieder den Faden verliere…weiter mit den Zwei Turteltauben…viel Spaß beim Lesen!



Freitagabend. Neunzehn Uhr.
Wieder einmal öffnete ich die Tür meines Appartements und dankbarerweise erwartete mich diesmal keine Unangenehme Überraschung auf der anderen Seite.
Als ich die Klinke hinuntergedrückt und das Türblatt aufgezogen hatte, gewahrte ich auf dem Gang niemanden, abgesehen von der dahinsiechenden Zimmerpflanze meines Nachbarn, die ich aus Mitleid und Langeweile, irgendwann mal Chester getauft hatte. Ich trat mit einem letzten Blick zurück, seufzend auf den Flur, zog zu und schloss hinter mir sorgfältig ab. Eine meiner Neurosen.
Widerwillig seufzte ich. Gleich würde ich den Eisverkäufer treffen müssen, der Einzige Lichtblick war, dass sich Lea, P.J und Cam ebenfalls für diesen Abend im Pit angekündigt hatten. Allerdings erst zu fortgeschrittener Stunde.
„Yo, Chestah! Was geht’n?!“, sprach ich den Ficus im Vorbeigehen an.
In diesem Punkt zeigte sich meine leichte Beeinflussbarkeit.
Ich hatte gestern Abend noch „Harry Potter und ein Stein“ gesehen und anscheinend hatte „Fresh D“ meine Schwäche erkannt, die Gelegenheit genutzt und von mir Besitz ergriffen. Chester antwortete wie gewohnt nicht, - eingebildeter Schnösel, und so war ich gezwungen meinen Marsch ohne Verzögerung fortzusetzen.

Neunzehn Uhr dreißig.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und in Anbetracht Dessen, was mich gleich erwartete doch viel zu schnell, hatten sich die Öffentlichen Verkehrsmittel schließlich entschlossen ihren Dienst zutun und Fahrgäste zu befördern und so saß ich in der hintersten Ecke eines leicht angeranzten Busses.
Der Fahrer hatte es nun scheinbar eilig, - besser spät als nie, und das Prähistorische Gefährt raste mit geschätzten Siebzig durch die Außenbezirke. Vielleicht fühlte sich die Geschwindigkeit allerdings auch nur an wie Mach fünfzehn, weil man durch die wahrscheinlich nicht vorhandenen Stoßdämpfer jeden Huckel als vulkanähnliche Eruption wahrnahm und die Karosserie auf eine Weise ächzte, die normalerweise bei mir Panik erzeugt hätte.
Zweimal übersah der waghalsige Wagenlenker Leute, die an der Haltestelle warteten, doch All das kümmerte mich gerade wenig.
Ich war wieder in meiner Schmiede für meistens nichtfunktionierende, wahnwitzige Pläne zur Umgehung des Übels verschwunden und arbeitete schwer.
Mal sehen, wie waren die Ausgangsmaterialien: Ein unangenehm interessierter italienischer Eisverkäufer, eine Schuld meinerseits (die eigentlich Pat gehörte *argh*), ein dunkeler Nachtclub, in dem ich mich immerhin halbwegs auskannte, ab dreiundzwanzig Uhr eine Horde Freunde in der Nähe. Gut.
Produkt 1: Artig in den Club gehen, Angelo treffen, den Mund halten und freundlich Lächeln, es ertragen bis um elf und mich dann retten lassen.
Kommt nicht in die Tüte! Drei Stunden ALLEINE mit diesem möchtegern Casanova verbringen. Wer weiß auf was für Ideen der noch kommt.
Ich bearbeitete das glühende Material mit dem mentalen Hammer, fügte einige Teile hinzu, schlug andere heraus.
Produkt 2: Aus dem Bus aussteigen, schreiend nachhause laufen, mich unterm Bett verkriechen und hoffen, dass er seine Mafia Kontakte bereits auf jemand anderen angesetzt hatte.
Hoppla! Da hatte ich wohl etwas zuviel drauf gehauen…
Produkt 3: Artig in den Club gehen, Angelo treffen, ihn eine halbe Stunde ertragen, dann „das Näschen pudern“ gehen und durch ein Toilettenfenster verschwinden.
Die Toiletten im Pit haben keine Fenster! *grummel*
Es schien aussichtslos. Ein letzter Versuch.
Finale Frucht meiner geistigen Schwerstarbeit: Improvisieren!

Zwanzig Uhr.
Das schrottige Gefährt hielt quietschend an der Haltestelle „Marktplatz“. Langsam erhob ich mich aus den muffigen, orange-grauen Polstern und ließ den Achtzigerjahrecharme des Busses hinter mir zurück. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen sprang ich die Stufen hinunter.
Unter den sohlen meiner Sneakers spürte ich den vertrauten Steinboden des Platzes und hörte wie sich die Türen zischend hinter mir schlossen.
Seltsamerweise war ich die einzige Person gewesen, die gerade das Fahrzeug verlassen hatte, für das Gros der Kleinstädtischen Dallentoner war zwanzig Uhr fünf an einem Freitag offensichtlich längst Schlafenszeit. Dabei war es zwar überdurchschnittlich Dunkel, kein einziger Stern war zu sehen, doch war es warm.
Ich hatte die richtige Entscheidung getroffen als ich, als gestandene Frostbeule, mir nur einen Cardigan übergezogen und so das Haus verlassen hatte.
Ich machte mich auf in Richtung des Clubs.
Es war ja ohnehin unausweichlich und da ich nun sowieso schon hier war…
Nach wenigen Metern die ich zurück gelegt hatte fiel mir etwas auf.
Der Himmel drückte auf die Dächer der Architektur und die Luft war voller Spannung. Es roch bereits nach Regen. Das war es also, was die Bewohner vom Ausgehen abhielt.
Mich hingegen erheiterte diese Tatsache ein wenig, ich liebte Gewitter, vor allem den warmen Sommerregen und die leichte Brise, die die Schwüle durchbrach.
Ich sog die Nachtluft tief ein und beschleunigte meine Schritte.
Je schneller ich es hinter mich brachte, desto besser und vielleicht würde es ja gar nicht so schrecklich werden wie ich dachte.
Dennoch ließ mich das flaue Gefühl in meiner Magengegend auch dann nicht los, als ich bereits meine spärliche Überbekleidung and der Garderobe abgegeben hatte und meinen Blick suchend durch den Loungebereich wandern lies.
Die Beleuchtung war wie üblich schummerig gedämmt, doch ich war mir sicher, dass ich meine Verabredung auch so auf den ersten Blick erkennen würde.
Es gab nicht viele südländische Jungs hier, ich stellte es mir auch schwierig vor im konservativen kleinen Dallenton als Zugereister Fuß zu fassen, wenn man sich nicht gerade damit zufrieden gab eines der üblichen Klischees zu bedienen, also Eisverkäufer, Pizzabäcker oder Rennfahrer zu sein.
Ziellos steuerte ich durch die vereinzelten Anwesenden.
Um diese Zeit war es üblicherweise noch leer, in Richtung des Floors allerdings verdichteten sich die Menschen und so beschloss ich meine Suche dort fortzusetzen.
Was war das überhaupt für eine Situation?! War es nicht normalerweise der Mann, der nach der Frau suchen sollte? Trafen sich die Gestalten in den kitschigen Filmen und Büchern, die ich sosehr liebte, nicht einfach so? Schicksalhaft, wenn man an so etwas glaubte?!

Ich konnte gerade noch stehen bleiben bevor ich gegen einen stattlichen Körper gestoßen wäre. Meine Grübeleien und Tagträume würden mich noch einmal umbringen. Vor mir stöhnte es unwillig.
„Du!“
Okay, was auch immer ich bisher über die Welt gedacht hatte, jetzt wusste ich, dass es so etwas wie eine höhere Macht gab…und sie hasste mich eindeutig.
Ich wäre am liebsten in das nächst beste Loch gesprungen, in Ermangelung eines solchen, versuchte ich schlicht mich an ihm vorbei zu schieben. Er schien allerdings die gleiche Idee zu haben und machte, als ich nach rechts trat ein schritt nach links.
Scheinbar aus unserem Fehler schlau geworden versuchten wir beide zur anderen Seite auszuweichen.
Ich brauchte keinen Spiegel um zu wissen, dass ich mittlerweile wieder ein schönes Rubensrot angenommen hatte.
Plötzlich packten mich zwei gotische Hände sanft aber genauso fest an den Schultern und schoben mich herum. Als sich jeder von uns um hundertachtzig grad weiter bewegt hatte, ließ Patrick mich so schnell los, als hätte er sich verbrannt und drehte sich um, ohne mich noch eines weiteren Wortes oder Blickes zu würdigen.
Für einen Moment hatte ich vergessen, weshalb ich überhaupt hier war und stand regungslos mitten im Durchgang der beiden Räume, dann fiel es mir siedendheiß wieder ein.

Mitten auf der Tanzfläche bewegte sich, exzentrisch seine Gliedmaßen schwingend, Angelo Danilo.
Die Umstehenden hielten respektvollen Abstand zu seinen schleudernden Armen und so hatte sich ein richtiger kleiner Kreis um ihn gebildet.
Wer hatte ihm bloß diesen Namen verpasst?! Er sah zwar nicht übel aus aber mit einem Engel hatten weder seine Bewegungen, noch seine Erscheinung viel zutun.
Derwisch Danilo hätte besser gepasst, selbst Rotor oder unkontrollierbares, gefährliches Objekt mit einem peripheren, kreisförmigen Einzugsbereich, hätten zwar sicher weniger schön geklungen aber eine wesentlich bessere Beschreibung der Person abgegeben.
Wieder entfaltete sich ein innerer Konflikt in mir.
Sollte ich mich der Peinlichkeit hingeben, zu ihm gehen, allen zeigen, dass ich zu diesem freidrehenden Italiener gehörte oder sollte ich warten bis er vielleicht in Zwei stunden seine kleine „Tanzeinlage“ beendet hatte und mich solange irgendwo verstecken um nicht (schon wieder) Pat in die Arme zu laufen.
Nach nicht mal drei Sekunden wurde mir diese Wahl abgenommen.
Mein Date hatte mich entdeckt und winkte wie verrückt zu mir hinauf. Aus der Tatsache, dass sich sein Mund mehrmals weit öffnete und schloss und dabei jedes Mal eine reihe zu weißer, gerader Zähne entblößte, reimte ich mir zusammen, dass er mir, trotz der wie immer unglaublich lauten Musik, etwas zu zubrüllen versuchte.
Entweder war er tatsächlich brumm die Dot oder einfach ziemlich von seinen (stimmlichen) Fähigkeiten überzeugt.
Um die ganze Misere nicht noch zu verpeinlichen stieg ich einfach langsam die fünf Stufen herunter und hielt auf Angelo zu, dankbar dafür, dass er aufgehört hatte zu „tanzen“.
Sobald ich in seinem Radius war schnappten sich zwei drahtige Arme meine Rechte und kurz darauf verpassten ihr zwei raue schmale Lippen einen feuchten Kuss, bevor ich in eine Schraubstockumarmung gezogen wurde.
Ich hasste Handküsse! Mit dem Schicksal würde ich später noch ein Hühnchen zu rupfen haben.
„Bella, du strahlste wie eine Stern!“, schrie er mir ins Ohr, gerade in dem Augenblick, als eine Pause in dem Lied die Stelle einleitete, an der die Zuhörer üblicherweise viermal im Takt klatschten.
Okay…kein Hühnchen…einen Truthahn!
Ich sagte nichts und versuchte lediglich freundlich zu lächeln, was aber nur dank der nichtigen Beleuchtung nicht als Grimasse zu erkennen war.
Seine großen gebräunten Hände, - wo nahm seine Haut bloß in dieser Stadt die UV-Strahlung her um derartig viel Melanin zu produzieren? Alle Dallentoner sahen aus wie Weißkäse – waren noch immer unnachgiebig um meine eigene erheblich Zartere geschlossen. Neben Ihm musste ich aussehen wie das Schneewittchen der Neuzeit.
Als ich realisierte, was er vorhatte sank mir das Herz noch einige Zentimeter Richtung Hose. Tanzen! Proportional zur Ausgelassenheit seiner Bewegungen wuchs in mir der Wunsch nach Flucht.
Es gäbe einen ganzen Vogel Strauß zu rupfen, das Schicksal solle mir bloß mal nachhause kommen! Innerlich legte ich mir schon mal eine gepfefferte Gardinenpredigt zurecht.
Gute Vierzig Minuten lang versuchte möglichst unbeteiligt auszusehen, wes neben diesem Akrobaten jedoch ein aussichtsloses Unterfangen war, zumal er mir während jedes Liedes ein bisschen mehr auf die Pelle rückte.
Ein guter Zeitpunkt eine spontane Klaustrophobie zu entwickeln.
Ich versuchte mich abzulenken, an etwas anderes zu denken, als an den schwitzigen Kerl, der mir gerade eine seiner Monsterpranken auf die Taille legte.
Das einzige Thema, das mich intensiv genug zu beschäftigen vermochte war allerdings auch nicht gerade angenehm, es machte mich sogar wütend.
Patrick hätte total genervt reagiert, als er mir begegnet war und das nach der ganzen Sache von Gestern. Andererseits…ich müsste ihn doch nun besser kennen.
Was hatte ich denn erwartet? Dass er auf mich zu rannte, sich an mich klammerte und dann „the glory of love“ für mich sang?
„I’ll be the hero that you’re dreaming of“?! Wohl kaum!
Ich hob den Blick, als die ausladenden Bewegungen, die ich die ganze Zeit in meinem Augenwinkel wahrgenommen hatte, verschwunden waren.
„Du tanzte, wie eine Swan!“, diesmal war mein anderes Ohr das Opfer.
Wunderbar, wenigsten war ich dann gleichmäßig taub.
Wie ein Schwan? Konnten Schwäne tanzen? Oder hatte er vielleicht Schwein gesagt?
Ohne Frage oder Anmerkung schob Angelo mich vor ihm her in Richtung Eingang, sein Arm war noch immer unangenehm eng um meine Taille gelegt.
Er roch nach Moschus.
Ich entschuldigte mich demütig bei Allen, die ich unfreiwillig anrempeln musste, da mich meine Begleitung unaufhörlich wie ein Schutzschild durch die Masse bugsierte.
Der Club hatte sich bereits deutlich gefüllt.
Ich musste schon wesentlich länger hier sein, als es den Anschein gehabt hatte, denn die große Uhr über der Garderobe zeigte bereits halb Zwölf. Schließlich wurde ich die letzten Meter zu einem der runden Sofas geschoben und niedergedrückt.
Echte Womanizer diese Italiener, zumindest das Exemplar, mit dem ich glücklicherweise unterwegs war.
Er rutschte so dicht an meine Seite, dass kaum ein Blatt Papier zwischen uns gepasst hätte. Ich versuchte einige Zentimeter zwischen ihn und mich zu bringen, doch sein rechter Arm hatte andere Pläne.
„Du biste so shön mein Kätzchen!“
Ich hatte lange nicht gegen so starken Brechreiz kämpfen müssen.
Angelo sah mir tief in die Augen…beunruhigend tief! Dann beugte er sich zu mir. Ich wich zurück, soweit es mir möglich war.
In diesem Moment klingelte mein Handy….die Fügung hatte wohl endlich Mitleid oder die eigene Schmerzgrenze entdeckt.
Der Eisverkäufer verharrte in seiner Position, ließ mich jedoch einige wenige Zentimeterchen abrücken um nach meinem Mobiltelefon zu tasten.
Hastig zog ich es aus der Tasche und drückte auf den grünen Hörer ohne nach der Nummer zu sehen, aus Angst das Klingeln könnte aufhören bevor ich die Chance hatte abzunehmen und somit meiner Verabredung zu entkommen.
„Hey, Alley“, erklang die Stimme vom anderen Ende.
„Victor“, stieß ich erleichtert hervor.
„Du, wir werden es nicht pünktlich schaffen Kleine. Wir können frühestens um Eins da sein. Ich hoffe du hältst solange durch“.
Ich schaltete blitzschnell. „Was? Meinem Bruder geht es nicht gut?“, Cam schwieg einen Moment.
„Ähm, du hast keinen Bruder, Alley!“
„Er hatte einen Motorradunfall?...Oh mein Gott!“
Nun schien auch er zu begreifen.
„Ist der Italiener so schlimm?“
„Ein Hubschraubermassaker?!“, ich hoffte, dass er den Wink verstand.
Offenbar, denn er lachte.
Ich hoffte nur, dass Angelos Ohren von seinem eigenen Gebrüll schon so schlecht waren, dass er es nicht gehört hatte.
„Ich muss sofort nachhause kommen? Ja! Ist doch ganz klar!“, fuhr ich nickend fort.
„Alles klar, also kommen wir nicht mehr ins Pit“, gab Cam zurück.
„Ich bin sofort da!“, schloss ich.
„Ruf mich nachher an!“, war das letzte was er sagte, bevor ich auf den roten Knopf drückte und die Verbindung beendete.
Schockiert starrte ich Angelo an. Er schien mein Gespräch gar nicht bemerkt zu haben.
„Was iste, meine kleine Blume?“, anscheinend legte ich eine überzeugende schauspielerische Leistung hin.
„Ich muss ganz dingend gehen! Es tut mir so leid, aber mein Bruder hatte einen Unfall und…“, er stand auf, was mich unerwartet stark irritierte.
„Biste du dir sicher meine kleine Gänseblümshen?“
… Gänseblümchen?! Jetzt erst recht!
Ich nickte überzeugt.
„Ja! Danke für Alles, es ähm…war ein netter Abend“, fügte ich halbherzig hinzu und wandte mich unhöflicherweise zum gehen ohne auf einen Abschied seinerseits zu warten, denn ich konnte mir lebhaft vorstellen wie das in seiner Welt so ablief.
„Ich begleite dich sur Türe, Bella!“
Mitten in der Vorwärtsbewegung stoppte ich. Es wäre auch zu einfach gewesen.
Meine Gesichtszüge hatten gerade eine Entgleisung hingelegt, die dem Drama in Enschede in nichts nachgestanden hätte, als ich mich jedoch wieder zu ihm umwandte hatte ich eine freundlich bis dankbare Maske aufgesetzt.
Gott, ich war so gut! Gute Alley!
„Ich hole dir deine Jacke, warum gehste du nisht shonmale zum Eingang, eh?!“
Ich gab ihm meine Garderobenmarke, wobei ich penibel darauf achtete seine schweißnasse Hand nicht zu berühren, und kam seinem Vorschlag nach.

Es schien weniger kühl als Gedacht und so stellte ich mich außerhalb des Clubs vor den Ausgang. Die Spannung war noch immer nicht aus der Atmosphäre gewichen und auch der Himmel war noch genauso bewölkt wie vor einigen Stunden. Das Unwetter musste unmittelbar bevorstehen.
Als Angelo im Rahmen der Breiten Tür des Pits auftauchte, realisierte ich zu meiner Bestürzung, dass er nicht nur meinen Cardigan, sondern auch seine Marken Sportjacke geholt hatte.
Das konnte nicht Gutes bedeuten, im Grunde genommen konnte es schließlich nur heißen, dass er vor hatte mich, zumindest ein Stück, zu begleiten.
„Hier, Häschene“, er reichte mir meine Strickjacke.
Ich nahm sie mit einer noch nie da gewesenen Mischung aus Lächeln und Zähneknirschen entgegen, was aber allem Anschein nach gut in die von mir ersponnene Situation passte. „Danke. Es ist aber nicht nötig das du mich begleitest“, sagte ich mit einer Geste in Richtung seines Sweaters.
„Oh, sicher doch. Angelo möchte es aber.“
Na fein, redeten wir bereits in der dritten Person von uns?
„Wir….Ich“, korrigierte ich mich, „komme auch alleine klar. Mach dir keine Sorgen, wirklich! Das ist lieb aber nicht nötig.“
Er seufzte.
„Keine Widerrede! Es ist auch nur noch bise zum Marktplatz, dann gehe ich nachhause“, lächelte er ein unmissverständliches Lächeln.
Er würde sich nur durch das Eingreifen höherer Mächte von seinem Vorhaben abbringen lassen. Dann bot mir der Eismann seinen Arm an. Resigniert hakte ich mich unter und ertrug seine „Bellas“ und „Gänsheblümshens“ noch die letzten dreihundert Meter.
Noch zehn weitere und ich wäre wimmernd davon gelaufen.
Schließlich blieben wie mitten auf dem Markt stehen.
Wir waren so langsam gelaufen, dass er doch inzwischen mitbekommen haben musste, dass es keinen verunfallten Bruder in meinem Leben gab.
Er konnte wirklich nicht der Hellste sein.
„Ja,…ich werde dann jetzt mal gehen. Noch mal Danke“, wieder versuchte ich einen schnellen taktlosen Abgang.
Ich war bereits in der Drehbewegung als sich eine feuchte Pranke um mein rechtes Handgelenk schloss.
Wie konnte er immer noch Schweiß produzieren? Er musste schon völlig dehydriert sein. Dann passierte alles auf die Art, die ich unbedingt hatte vermeiden wollen.
Er zog mich an seine breite und durchnässte Brust, klammerte seine gebräunten und recht behaarten Arme um mich, sodass ich mich keinen Millimeter mehr bewegen konnte und sah zu mir hinunter. Dann bewegte sich sein großes Gesicht unaufhörlich zu mir hinab.
„Was soll denn das Angelo“, meine Stimme klang ein bisschen schriller als üblich.
„Das wolltest du doch den ganzen Abend, Bella! Ich habe die Shwingungen gespürt.“
Ja, es hatte sicherlich Schwingungen meinerseits gegeben…doch hatte waren die eher einer verabscheuenden Natur.
Ich drehte meinen Kopf zur Seite.
„Ach, schau mal! Schon so spät“, doch das hielt ihn nicht davon ab seine Lippen kontinuierlich meinen anzunähren.
Ich versuchte ihn ein stück weg zuschieben.
Erfolglos.
Ich war zwischen seinen Armen und seinem Torso wie ein Blatt, dass man in ein Buch gelegt hatte um es so vorzubereiten, dass man es in ein Album kleben konnte.
„Ich meine es ernst, Angelo“, jetzt klang ich eindeutig hysterisch.
Er allerdings schien mich gar nicht mehr wahrzunehmen. Er hatte sein Ziel anvisiert und bewegte sich noch immer stetig darauf zu.
„Angelo!“, ich hämmerte gegen seine Brust.
Keine Reaktion.
Sein Mund war lediglich noch um Haaresbreite von meinem entfernt.
Ich spürte seinen heißen Atem im Gesicht und nahm deutlich seinen herben Geruch war.
Um sich erneut weg zudrehen war es nun zu spät.
Er würde mir ein Kuss verpassen, ob ich es wollte oder nicht.
Dann galoppierte ein zweiter Gedanke durch meinen Kopf.
Hoffentlich würde er sich überhaupt mit einem Kuss zufrieden geben.
Mein Herz raste und ich erschauderte, jedoch nicht auf eine wohlige Weise, so wie es in dieser Situation mit einem anderen Menschen gewesen wäre. Eine der großen Hände des Italieners griff in meinen Nacken, der Andere Arm presste mich noch immer gegen seinen Körper. Dann überbrückte er die letzten Nanometer.
Ich spürte einen einzelnen Tropfen meine Wange hinunter laufen.

„Lass sie los, Danilo“, die Stimme war hart und autoritär, so klar und eisig wie ich es nur bei einem einzigen Menschen je gehört hatte.
Als der Eisverkäufer überrascht sein Haupt wendete durchfuhr mich eine Woge der Dankbarkeit. Vor Erleichterung hätte ich geschrieen, sofern es meine Stimme zugelassen hätte.
„Ich habe gesagt, du sollst sie loslassen!“
Die Worte kamen klirrend, gefroren in der Luft, wehten kalt zu uns hinüber und zerschellten an Angelos Statur, bis sie in Myriaden kleiner Splitter und Scherben auf dem dunklen Stein des Trottoirs landeten.
Der Eisverkäufer ließ sich nichts anmerken, doch lockerte er seinen Griff ein wenig und nahm die Hand aus meinem Nacken.
„Vershwinde Gillet, das gehte dich nichts an“, bellte der Italiener.
In einer Sekunde der Verzweiflung und Hysterie dachte ich Patrick würde sich tatsächlich umdrehen und einfach gehen. Das hätte zu meinem bisherigen Bild von ihm gepasst, doch das Gegenteil war der Fall.
Er machte sogar einige Schritte auf und zu.
„Leg es nichte drauf an Gillet“, ich merkte wie sich Danilos Muskeln merklich spannten.
Pat hingegen wirkte genauso entspannt wie zuvor.
„Okay, du bist offenbar nicht der Klügste, kleiner Italiener, deswegen sage ich es jetzt sogar noch ein drittes und letztes Mal ganz langsam und deutlich für dich. LASS SIE LOS!“
In Angelos Augen blitzte für einen Moment Unsicherheit auf, er fasste sich jedoch schnell wieder.
„Nun gut“, antwortete er, entließ mich endlich aus seinem eisernen Griff und fuhr fort.
„Aber dafür habe ich mit dire was su klären!“
Ich stolperte ein paar Meter rückwärts, froh wieder atmen zu können.
„Soll das ein Witz sein?“, Patrick lächelte süffisant. „Du kannst doch vor lauter Muskeln nicht mal `ne Faust machen!“
In diesem Moment schlug die Rathausuhr Mitternacht, ein leichter Luftzug kam auf und in der Ferne war ein erstes leises Grummeln zu hören.
Angelo ließ indess unheilvoll seine Knöchel knacken.
Pat schlenderte einfach sehr langsam in seine Richtung.
Ein dunkelhäutiger Arm holte zum Schlag aus, der erste grelle Blitz tauchte die Szenerie für Sekundenbruchteile in ein fahles weißes Licht, eine Faust stieß zu und traf…Nichts.
Lautlos streckte sich ein zweiter Arm, so schnell, dass die Bewegung nicht deutlich zu erkennen war. Das unschöne Geräusch einer geballten Hand auf einem Kieferknochen ertönte kurz, der dumpfe Schlag des Getroffenen auf den Bodenplatten ging im erneuten und diesmal wesentlich lauteren Donnern unter.
Angelo lag auf der Erde und griff nach seinem Gesicht.
„Reicht dir das, Eismann?“, er hatte sehr ruhig gefragt, doch zugleich mit einer Schärfe die jede Klinge in den Schatten gestellt hätte.
Pat wartete die Antwort nicht ab, sondern entfernte sich von dem Besiegten, legte eine Hand auf meinen Rücken und schob mich sanft aber bestimmt neben sich her.
Wenn ER es tat war es ganz und gar nicht unangenehm.
„Ich hasse es wenn sie das tun“, grollte er. Sein Tonfall ging über vor Missbilligung und Abscheu.
Die nächsten Minuten schwiegen wir.
„Danke!“ Es war das einzige was mir in diesem Moment einfiel und zudem etwas ehrliches, was ich ihm in diesem Zusammenhang sowieso unbedingt hatte sagen wollen.
Patrick antwortete nicht. Ich sah zu ihm hinüber.
Da er mich sowieso an einen mir unbekannten Ort manövrierte war es egal ob ich auf den Weg achtete oder nicht.
Der nun recht starke Wind spielte in seinem Kohlschwarzen Haar. Seine blauen Augen strahlten missmutig, doch waren sie wenigstens nicht emotionslos wie sonst.
Dann landete der erste Regentropfen der Nacht auf einem seiner hohen Wangenknochen und hinterließ eine glitzernde Spur auf seiner feinen Haut als er gen Boden lief.
Keine zwei Lidschläge später schüttete es bereits wie aus Kübeln. Unwillig schnaubend beschleunigte Patrick seine, - unsere, Schritte und zog mich nun mehr hinter sich her, als dass er mich schob.
Das Wasser war nicht kalt noch warm und ich genoss die Frische auf meinem Gesicht, den Haaren und meinem restlichen Körper.
Währenddessen musste ich langsamer geworden sein, denn kurz darauf vernahm ich erneut seine fordernde Stimme.
„Komm schon, ich bring dich nachhause“, ich öffnete meinen Mund um zu protestieren, ,,und jetzt sag nicht es wäre nicht nötig!“
Es war ganz klar, dass er jegliche Einwände meinerseits unbeachtet gelassen hätte.
Links neben mir sah ich die alte Kirche vorbeiziehen.
„Ähm…“, ich traute mich nicht direkt etwas zu sagen.
„Was ist?“
„Ich wohne aber in der anderen Richtung“, sagte ich kleinlaut.
Der Niederschlag wurde noch ein wenig heftiger, wir rannten jetzt fast. Ihn schien es kein bisschen anzustrengen.
„Das weiß ich doch, Dummchen“, die Klangfarbe seiner Worte war erstaunlich warm, zumindest für seine Verhältnisse. „Mein Auto steht allerdings da vorne“, sein freier Arm wies vage in die Düsternis.
Wäre es nicht so dunkel wie in einem Affenrektum gewesen, hätte ich den grau schimmernden Lexus mit Sicherheit gesehen, denn nach keinen weiteren zehn Schritten standen wir vor dem City-Geländewagen.
Ich schaute ihn nur mit hochgezogener Braue an.
„Der Wagen meiner Mutter“, erklärte er knapp und fast etwas zu hastig, so als wäre er peinlich berührt. Dann ließ er den Schlüssel klicken, die Lichter des Wagens leuchteten kurz auf, es blitzte, er zog die Tür auf und schob mich in das Fahrzeug.
Er schlug die Beifahrertür wieder zu, ging um die Motorhaube herum und saß einen Augenblick später neben mir auf dem Fahrersitz.
Synchron betropften wir das helle Leder des Innenraums.
Patrick sah unzufrieden aus.
„Komplett durchnässt. Ist übrigens deine Schuld“, er runzelte finster die Stirn.
Was?!
„Du spinnst wohl“, platzte es aus mir heraus. „Genau genommen war das alles dein Verdienst! Das wäre dein Date gewesen!“
Er blinzelte. „Ich glaube ich will es gar nicht näher erklärt bekommen, hab ich recht?!“
Wütend starrte ich ihn an. „Als würde dich das Kümmern! Du denkst doch eh immer nur an dich!“
Unvermittelt lächelte er und dieser Anblick war entwaffnend.
„Das ist aber nicht die Art mit seinem Ritter in strahlender Rüstung umzugehen“, I’ll be the man who will fight for your honor, schoss es mir durch den Kopf.
Wie war es in dem Lied doch gleich weiter gegangen?
I’ll be the hero that you’re dreaming of. Richtig.
„Ich glaube du hast ein Aggressionsbewältigungsproblem meine Liebste“, er grinste noch immer.
Liebste?!
„Oh nein! Ich habe kein Aggressionsbewältigungsproblem, ich habe ein Aggressionsproblem und das komischerweise erst seit ich dich kenne!“
Er lachte während er sich anschnallte.
Es war tatsächlich das allererste mal, dass ich ihn richtig lachen sah und hörte. Es war auf eine Weise schockierend und schrecklich schön zugleich.
Zugegeben, er hatte Recht.
„Danke!“ Pat ließ den Motor an und schaltete die Heizung ein.
Als er ausparkte erklangen die ersten Töne eines getragenen, ruhigen Liedes. Als der Sänger mit melodischer Stimme die ersten Worte sang erkannte ich das Stück und konnte mir ein breites Lächeln nicht verkneifen.
The Glory of love.
Er drückte einen Knopf und mit einem „grrrrrrrrrrk“, wechselte die CD.
„Wie gesagt, das Auto meiner Mutter“, wiederholte er.
Klar! Und was hatte er dann auf der Hinfahrt gehört?!
Ich sagte jedoch nichts.
Nun spielte eine mir unbekannte Band ein paar schöne Songs mit dramatischem Inhalt.
„Wir fahren aber vorher noch mal kurz zu mir“, ergänzte er während er beschleunigte. Fragend sah ich zu ihm hinüber.
„Nein, nicht was du denkst!“
„Ach so ein Quatsch…ich hätte doch nie so was….ich denke nicht…“, ich spürte wie mir die Wärme in die Wangen schoss und entschloss einfach nichts mehr zu sagen.
Patrick feixte vor sich hin.
„Ich hab heute Mittag entdeckt, dass offensichtlich was aus deiner Geldbörse gefallen ist. Dein Führerschein liegt also noch auf meinem Schreibtisch.“
Oh nein!
Entsetzt blickte ich noch immer zum Fahrersitz.
„Süßes Foto“, es klang belustigt und als er meinen Ausdruck gewahrte lachte er erneut.
Es wäre herrlich gewesen, wenn der Grund dieses spontanen Ausdrucks des Amüsements nicht ich gewesen wäre.
Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und drehte mich wieder nach vorn.
„Hey, mach mal bitte das Handschuhfach auf.“
Ich war verdattert.
„Mach’s einfach!“
Zögerlich tasteten meine Finger nach dem kleinen Griff und zogen dran. Als die Klappe aufging kam ich mir veralbert vor.
„Es ist leer“, erwiderte ich barsch.
„Kann nicht sein! Schau mal richtig hin!“
Was zum Teufel sollte ich denn darin finden?
Ich ließ meine Hand in dem Fach umherwandern. Dann erfühlte ich einen Flachen kleinen Gegenstand. Ich zog ihn hervor.
Es war Patricks Führerschein.
Auf dem Bild sah er aus wie zwölf. Nicht zu fassen!
„Siehst du?! Die Dinger sind dafür gemacht einen zu blamieren.“
Ein Lächeln stahl sich auf meine Züge, dann legte ich ihn zurück und schloss das Handschuhfach.
Entspannt lehnte ich mich in dem bequemen Sitz zurück.
Ein neues Lied fing an, sofort drehte Pat um einiges lauter und als der Gesang begann setzte er tatsächlich mit ein. Wie nicht anders zu erwarten konnte er auch noch singen.
Eine niederschmetternde Einsicht.
Er konnte alles und sicher auch alles haben.
„Sag mal“, unterbrach ich ihn und er regelte die Lautstärke sofort herunter.
„Wieso warst du überhaupt gerade auf dem Marktplatz?“
Seine milchigen Augen blitzten kurz zu mir hinüber, dann wandte er sich wieder der Straße zu. „Wenn ich jetzt sagen würde es war Zufall, würdest du’s glauben?“
Meine Mundwinkel wurden erneut wie von selbst in die Höhe gezogen.
„Nein“, ich schüttelte den Kopf “Nicht wirklich!“
„Nicht wirklich? Aber du würdest es vorgeben um mir peinliche und lange Erklärungen zu ersparen?“
„Hm…Ich glaube nicht.“
Er nickte kaum merklich. „Naja, also für sich genommen war es wirklich Zufall. Ich war ohnehin auf dem Weg zum Auto. Im Club war nichts los.“
Ich war enttäuscht und dafür Ohrfeigte ich mich innerlich, allerdings war ich sicher, dass es nach außen hin nicht zu erraten war.
„Aber“, er machte eine kurze Pause.
„Immerhin hätte ich dich auch einfach deinem…Schicksal…überlassen können“, beendete er seinen Satz langsam.
Er hatte schon wieder Recht und so wie ich mein „Schicksal“ jetzt kennen gelernt hatte, hätte der Abend einen unschönen Ausgang genommen.
Unsere anthrazitfarbene Edelkarosse bog schwungvoll nach rechts ab. Wir schwiegen. Er fuhr nach links.
„Hey…wie ist das eigentlich“, sprach ich nach ein paar weiteren verstrichenen Momenten „bei dir mit dieser…Vampirgeschichte?“
Er machte eine Vollbremsung. Ich wurde in den Gurt geschleudert und erst nach guten zehn Metern, die das Auto auf der regennassen Straße weiter geschlittert war, kam der Wagen zum stehen und ich konnte mich wieder zurücklehnen.
Mit vor Schreck aufgerissenen Augen starrte ich in Seine. „Ich dachte du hättest es gewusst! Ich dachte deswegen hättest du mich so, so…so verabscheut“.
Seine huskyartigen Scheinwerfer waren auf meinen Mund geheftet.
„Nein, ich habe dich einfach verabscheut, weil ich dich nicht gemocht habe.“, grinste er plötzlich.
Meine Mine wurde streng, ich schürzte die Lippen.
„Aber ich wusste natürlich, dass du es wusstest. Ich hatte einfach nur Lust auf ein bisschen Dramatik.“
Ich seufzte.
Er legte den ersten Gang ein und fuhr an.
„Also für meinen Geschmack hatte ich heute mehr als genug davon. Aber danke! Sehr aufschlussreich. Dürfte ich jetzt auch noch erfahren weshalb du mich nicht mochtest?“, ich überlegte kurz „…Oder magst?“
Pats Lächeln verschwand.
„’Hab dich einfach für so ne Großstadt Tussi gehalten.“, er zuckte die Schultern als er erneut abbog.
Die Gegend hatte sich bereits verändert.
Wir waren in einem Vorstadtviertel angelangt, das ähnlich aussah wie jenes, in dem die De Ladds ihren Wohnsitz hatten, jedoch noch eine ganze Ecke feiner und abgeschiedener.
Auf wundersame Art und weise spürte ich, dass wir unser Ziel bald erreicht haben mussten. „Großstadt Tussi?!“, wiederholte ich.
Er sah betroffen aus.
„Naja und dann die Leute mit denen du zusammen bist.“, er wirkte beinahe zerknirscht, als ich ihm einen feindseligen Blick zu warf.
Der Lexus fuhr nun eine lange Einfahrt hinauf.
„Würdest du mir vielleicht erklären was es mit dieser, dieser…Blutsaugerfehde auf sich hat? Wenn ich Victor danach frage bekomme ich immer nur schwammige Ausflüchte zu hören.“
Das Vehikel hielt. Offenbar waren wir angekommen, jedoch im Niemandsland wie es schien. Die Scheibenwischer rasten noch immer, denn der Regen war nicht schwächer geworden. Ein Wunder, dass Patrick überhaupt so schnell hatte fahren können, denn ich sah rein gar nichts. „Das werde ich“, er sah mir direkt in die Augen, als er es versprach
„Aber nicht heute Alley!“
Ich blähte die Backen, zog einen Schmollmund und verschränkte die Arme vor der Brust.
Er lächelte, so mild, dass man es kaum sehen konnte. Lediglich seine Mundwinkel verzogen sich ein wenig und die Andeutung seiner Grübchen war für aufmerksame Betrachter feststellbar.
„Du hast mein Wort, das können nicht Viele von sich behaupten“, versuchte er es.
„Ich hoffe nur, das zählt auch was“, brummelte ich.
Er ging nicht auf meinen Kommentar ein, sondern ließ seine Hand zum Türgriff wandern. „Lass uns reingehen. Die Heizung ist aus, es könnte sehr bald sehr ungemütlich werden.“
Ich sagte nichts, griff nur Ebenfalls zur Tür.

Vom Haus der Van Gillets hatte ich dank der Witterung so gut wie nichts gesehen, doch das Interieur sprach Bände.
Der Eingangsbereich, - Nein, Eingangshalle hätte es eher getroffen, war mit einem hellen Steinboden ausgelegt.
Ich konnte den Werkstoff nicht genau identifizieren, es war kein Marmor, jedenfalls sah er teuer aus.
Die Wände, die sich in so weiter Entfernung befanden, dass unsere patschenden Schritte ein Echo hervorriefen, waren mit einer Stofftapete von einem etwas dunkleren Sandton, der immer wieder von filigranen floralen Ornamenten durchzogen war, bespannt und bis auf etwas einen Meter zwanzig mit einem sehr düsteren Holz verkleidet.
Patrick schob mich durch die Halle.
Rechts von uns fiel mir eine antik wirkende Garderobe auf, ebenfalls aus dem Holz, dass die Wände schmückte, und daneben ein überdimensionierter Spiegel mit einem barocken Goldrand.
Ich hätte Großmutter Jeane darauf verwettet, dass er nicht bloß mit Metallicfarbe bestrichen war.
Ich wagte einen Blick zur Decke. Sie lag in Schwindel erregender Höhe über uns.
Altes Gebälk durchsetzt mit etlichen großzügigen Dachfenstern auf denen nun der Regen prasselte. Tagsüber musste es hier strahlend hell sein.
Mein Begleiter hatte mich nun fast ganz durch den Raum geführt. Vor uns lag eine breite Treppe, deren Ausmaße sich an den Rest des Hauses anpassten, sie vielleicht sogar übertrafen. Nach einem aufmunternden Stups von Pat setzte ich ehrfürchtig einen Fuß auf die erste, mit Teppich belegte Stufe.
„Protzig was“, feixte er.
Ich bemerkte, dass ich auf eine unfeine Art drein gesehen hatte und klappte meinen Mund zu. „Es ist…“
„Ja, verschwenderisch, großkotzig, angeberisch…“, fiel er mir ins Wort.
„Nein. …Also schon, aber ich finde es einfach umwerfend“, schwärmte ich.
Er tat meine Wertung mit einer Handbewegung ab.
„Irgendwie erschlägt es einen zwar nicht mehr, wenn man jeden Tag daran vorbeigeht, aber dafür erdrückt es einen.“
Ich konnte sogar nachvollziehen was er meinte.
Inzwischen waren wir am Ende der Treppe angelangt.
Von hier sah der Eingangsbereich noch beeindruckender aus.
Patrick wies mit dem Arm nach Rechts.
„Wenn ich bitten darf?“
Ich machte einen ironischen kleinen Hofknicks und ging einen Langen und ebenfalls Ockergetünchten Flur entlang. Hier waren die Wände schlichter. Es gab keine Holzvertäfelung, dafür aber unzählige schwarz gerahmte Bilder.
„Eure Ahnengalerie“, vermutete ich.
„Sag doch einfach Familienfotos“, schlug er unbeschwert vor.
Wir liefen geradewegs auf eine Tür am Ende des Ganges zu. Sie war schwarz, ebenso wie jene an denen wir bereits vorbeigegangen waren, allerdings war auf dieser Speziellen ein weiterer Rahmen angebracht. In ihm befand sich ein alt anmutendes Stück Pergament.
Darauf eine feine aber krakelige Handschrift.
„Er isst nichts als Tauben, Liebste, und die brüten ihm heißes Blut, und heißes Blut erzeugt heiße Gedanken, und heiße Gedanken erzeugen heiße Werke, und heiße Werke sind die Liebe.“ Wieder klappte meine Kinnlade herunter.
„Das ist doch nicht...?“
„Ja, doch…ist es. Das einzige Stück, dass ich mitnehmen würde, wenn ich irgendwann mal ausziehen sollte.“
Er wirkte ernst, ich immer noch ungläubig.
Welcher vernünftige Mensch hängte sich ein Original von Shakespeare einfach so an seine Zimmertür? Ich wollte lieber gar nicht erst darüber nachdenken, wie viel ein derartiges Stück wohl wert war.
Patrick schob mich ein wenig zur Seite, legte seine schmale Hand auf den Türgriff und drehte. Ein Klicken, dann schwangen die Scharniere geräuschlos herum, mein Gastgeber führte mich durch die Zarge und schloss das Türblatt hinter sich.
Vor mir lag ein unerwartet kleiner Raum.
Nicht klein im eigentlichen Sinne sondern klein im Vergleich zum restlichen Haus, zumindest soweit ich das schon beurteilen konnte.
Die Wände waren passenderweise gold Tapeziert, auch hier mit feinen Ornamenten durchsetzt. Die Decke war in einem dunklen Grau gestrichen, direkt darunter spannten sich zahlreiche leicht gelbliche Papierbällchen.
Ich hörte das Klacken eines Lichtschalters und die Beleuchtung wechselte. Das helle moderne Oberlicht erlosch und die kleinen Bällchen erglühten. Ein warmes Licht flutete den Raum und wurde von den schimmernden Wänden auf eine behagliche Art reflektiert.
Das Zimmer wirkte unwahrscheinlich einladend.
Links von der Tür, in der Mitte der Wand, befand sich ein großes, sehr flauschig anmutendes Bett, ordentlich gemacht. Die gegenüberliegende Seite des Raumes war von zwei riesigen Fenstern durchzogen.
Ebenfalls dort: ein geräumiger Schreibtisch ein schmales prall gefülltes Bücherregal, ein längs gestellter Kleiderschrank, der einen Ankleidebereich abteilte und etliche Zeichnungen und Skizzen.
Ich durchquerte das Zimmer und betrachtete die, an die Wand gehefteten, Bilder. Die Darstellungen waren beeindruckend. Größtenteils zeigten sie Menschen oder Teile des Menschlichen Körpers. Meisterlich schraffierte Hände, ausdrucksvolle Gesichter und dynamische Posen. Unter den Skizzen fanden sich nur wenige die etwas anderes zeigten und diese unterschieden sich auch sehr vom Rest der Arbeiten.
Ich streckte meine Rechte aus, verspürte den Drang die Werke zu berühren, zog sie schließlich aber doch zurück, aus Angst etwas zu verwischen oder auf eine andere Art zu zerstören. Dann drehte ich mich um.
„Sind die von dir?“
Er nickte.
„Das hätte ich nie vermutet! Sie sind so voller…“, ich wollte nicht weiter sprechen, da ich befürchtete er könne den Rest des Satzes falsch verstehen.
Pat zerstreute meine Bedenken indem er meinen Gedanken beendete.
„…so voller Gefühl?! Das will ich doch hoffen.“
Sein Gesichtsausdruck bei diesen Worten faszinierte mich.
Er wirkte abwesend, seine eisblauen Augen auf einen imaginären Punkt gerichtet und den schönen Mund zu einem leichten schiefen Lächeln verzogen.
Dann kehrte er in die Wirklichkeit zurück.
„Ähm, dein Führerschein liegt da“, er zeigte auf den Schreibtisch.
„Ich werde mir schnell was trockenes Anziehen und dann können wir wieder.“
Ich hatte allerdings gar nicht mehr eilig.


~6~ Of Void [Interludium]


Hey, ihr großartigen Menschen, die es vollbracht haben sich hierhin zu verlaufen!
Für die, die meine Geschichte noch nicht kennen: Ja! Sie sind wirklich alle ein bisschen komisch!
Für die, die meine Geschichte bis zum letzten Kapitel bereits gelesen haben: Nicht wundern! Ist vielleicht alles etwas anders als sonst, aber ich versuche jetzt mal die Figuren und wie sie zueinander stehen ein bisschen deutlicher zu zeichnen. Mal sehen ob es klappt :D
Verzeiht die Kürze, es ist tatsächlich nur ein Zwischenspiel, - ein Brückenkapitel.



Patrick hatte darauf bestanden, mich mit einem riesigen schwarzen Schirm von der, mir aufgehaltenen, Autotür bis zum Dachvorsprung des Hauses, indem sich meine Wohnung befand, zu begleiten und da standen wir nun und schüchterten uns an.
„Nun…“, druckste ich herum und trat unwohl von einem Bein aufs Andere und selbst seine übliche gefasst-arrogante und selbstzufriedene Art war wie weggeblasen. Unerklärlich.
„Also ich…“, begann er nachdem er mich eine Ewigkeit einfach nur angesehen hatte und das auf eine so hinreißende Art, dass ich all meine Selbstbeherrschung hatte aufbringen müssen um ihm nicht einfach um den Hals zu fallen und mich an ihn zu schmiegen.
„Ich werd dann besser mal wieder.“
Mein Hals war furchtbar trocken. Pure Ironie bei mehr als einhundert Prozent Luftfeuchtigkeit, dachte der noch Wache Teil meines Gehirns.
Ich wollte jetzt eigentlich unter keinen Umständen alleine in mein Appartement zurück kehren. Ich würde sowieso nicht schlafen können sondern die ganze Zeit über den Abend nachdenken.
Als er jedoch ein heiseres „Du brauchst Schlaf, Alley.“, von sich gab, konnte ich nur ergeben nicken.
Noch immer prasselten unzählige Tropfen um uns herum zu Boden und veranstalteten einen beachtlichen Lärm, doch vor allem verdeutlichten sie die nun entstandene Stille zwischen uns, betonten sie auf eine ungebührliche Art und Weise und so merkte ich wie sich eine Wand aus Schweigen zwischen mir und Pat manifestierte.
Wieder strahlten seine trübblauen Scheinwerfer auf mein Gesicht.
Der Intensität seines Blickes nicht gewachsen, schlug ich die Augen nieder und betrachtete stattdessen die Fugen des Bodens mit einem unziemlichen Interesse.
„Also dann“, vernahm ich seine aufmunternde und gleichzeitig unschlüssige Stimme.
Ich wagte es schließlich wieder aufzusehen. Er musste bemerkt haben, wie ich unter seinem Blick eingeknickt war und schaute jetzt rücksichtsvoll zu einem Imaginären Punkt oberhalb meiner linken Schulter.
Nun da er es nicht mehr tat, verlangte es mich absurderweise danach, dass er mich wieder betrachtete.
„Ich wünsche dir eine wunderbare Nacht. Ehm…träum etwas Schönes!“
Er sah immer noch bewusst an meinem Gesicht vorbei, doch als meine Hand in meine Tasche fuhr um nach dem Schlüssel zu suchen, huschten seine milchigen Augen für den winzigsten Bruchteil eines Bruchteils einer Sekunde über mein Antlitz.
Endlich hatte ich das mager bestückte Bund gefunden und es klimpernd aus seinem Versteck gezogen.
Die finale Geste. Nun war es an der Zeit wirklich Abschied zu nehmen und ich betete inständig, zum Schicksal oder wem auch immer, dass die Verabschiedung nicht für eine große Dauer war und noch vielmehr, dass ich mich nicht unwissentlich gerade auch dauerhaft von der wunderbaren Facette von Patrick verabschiedete, die ich heute hatte kennen lernen dürfen.
„Gute Nacht“, hauchte ich
„Und nochmals Danke! Wenn ich mich irgendwie revanchieren kann…“, er legte mir einen schlanken, vornehm blassen Finger auf die Lippen.
„Shhhhhh.“
Entgeistert versteinerte ich.
Mein Herz übersprang einige Schläge und versuchte sie dann in Rekordzeit nachzuholen.
Nun blickten Pats Augen auch wieder in Meine. Mehr noch. Sie bohrten sich förmlich in mich hinein, schienen unvermittelt in den Kern meiner selbst zu treffen.
Mir stockte der Atem.
In seinem Blick konnte ich nichts lesen, doch diesmal nicht, weil er emotionslos gewesen wäre. Im Gegenteil, es lag einfach zuviel darin um etwas gesondert erkennen zu können.
Er ließ seinen schmalen Zeigefinger über meinen Mund streichen, während seine Linke Hand sich auf meine Hüfte legte.
Ich atmete gepresst, jedoch möglichst unauffällig aus.
Er war näher gekommen. Sehr nah. Erschreckend nah.
Wieder einmal spürte ich die Hitze, die sein Körper ausstrahlte und roch seinen reizenden unbeschreiblichen Duft.
Ein neuerlicher Donnerschlag zerriss die Ruhe und plötzlich zog er seine Hände zurück und entfernte sich einen Schritt von mir.
„Bis dann, kleine Alley“, wehten seine Worte zu mir hinüber, dann drehte er sich um, öffnete der Regenschirm, trat unter dem Dach hervor und verschmolz nach wenigen Metern untrennbar mit der dunklen Nacht.
Ich stand noch immer etwas atemlos im gelblichen Licht der Glühbirne, die von zahlreichen Insekten attackiert wurde.
Gedankenverloren steckte ich den nächst besten Schlüssel ins Schloss und versuchte ihn zu drehen, es klappte nicht.
Doch bereits beim zweiten Versuch hatte ich erfolg. Das kleine Objekt in meiner Hand drehte sich, es klackte und die Tür sprang auf.

„Du hast mich gestern nicht mehr angerufen!“, ertönte Cam vorwurfsvoll an meinem Ohr.
„Ähm…ja“, meine Stimme war noch kratzig vom Schlaf „tut mir Leid…Komm doch vorbei, dann erzähl ich dir alles!“.
Dieser Vorschlag schien auf so etwas wie milde Begeisterung zu stoßen.
„Aber dann bringe ich P.J und Lea auch mit!“
„Natürlich, ich freue mich wenn ihr alle kommt. Ist auch schon wieder eine Weile her, dass wir alle zusammen saßen.“, erwiderte ich leichthin.
„Dann sehen wir uns gleich.“, er legte auf.
Seufzend legte auch ich das Telefon beiseite und wandte mich, noch immer im Schlafzeug auf meinem Bett sitzend, um.
Der Tag war hell, doch nicht sonnig, und so war meine Einzimmerwohnung von einem farblosen Zwielicht erfüllt. Überall lagen Kleidungsstücke auf dem hellen Laminatboden und auf dem kleinen Esstisch stand noch benutztes Geschirr der vergangenen Nächte. An die Wand zu meiner Linken waren noch immer ein langer Spiegel und einige Bilder gelehnt, die ich noch nicht hatte anbringen können.
Ich hatte noch eine Menge Arbeit vor mir, bevor ich die Drei würde willkommenheißen können.
So quälte ich mich ein weiteres Mal unter meiner Decke hervor, erledigte die Morgentoilette, zog mich an und schaltete meine Stereoanlage ein.
Zu den Klängen von „right round“ fischte ich tanzenderweise ein Kleidungsstück nach dem anderen aus dem Wohnraum heraus, sammelte sie in meinen Armen und stopfte sie in den Wäschekorb im Bad.
Dann räumte ich mit noch immer schwingendem Gesäß die Teller in die Spülmaschine und machte zu guter Letzt sogar mein Bett.
Mein Timing schien ausnahmsweise mal perfekt.
Gerade als ich die letzten Kissen aufgeschüttelt hatte klingelte es Sturm.
Als ich entnervt lächelnd die Eingangstür geöffnet hatte, sah ich, dass sich Victor grinsend gegen den Klingelknopf gelehnt hatte. Lea verpasste ihm gerade einen Klaps auf den Hinterkopf und Jake stand nur daneben und feixte über beide Ohren.
„Victor“, begrüßte ich ihn trocken, „Was für eine außerordentliche Freude. Ich hatte dich schon vermisst.“
Sein ohnehin schon strahlender Gesichtsausdruck hellte sich noch einige Nuancen auf.
„Höre ich da etwa einen Hauch Sarkasmus heraus, Kleine?“, er stieß sich von der Wand ab und umarmte mich ohne meine Antwort abzuwarten, wobei er alle Luft aus meinen Lungen presste.
Dann schob er mich zur Seite und ging an mir vorbei in mein kleines Appartement.
„Oh, komm doch rein Victor!“, säuselte ich ihm nach, er drehte sich nicht mal um, hob nur die Hand.
Lea legte mir Kopfschüttelnd ihre feingliedrigen Finger auf die Schulter. „Er ist einfach unverbesserlich. Der braucht mal Wen, Der ihm richtig zeigt wo’s lang geht“, sie küsste mich auf die Wange.
„Gut erkannt!“, antwortete ich halb seufzend und bat sie mit einer ausladenden Geste ebenfalls hinein.
Schließlich schloss mich auch Jake in die Arme.
„Sie regt sich schon wieder viel zu sehr auf…typisch nicht wahr?! Manchmal glaube ich, dass Sie gerne die Jenige wäre, die Cam mal `Zeigt wo es lang geht`“, er blinzelte mir verschwörerisch zu, schob mich zurück in meinen Flur und schloss umsichtig das Türblatt hinter sich.
„Mach dir keine Umstände, ich finde schon einen Platz für meine Oberbekleidung“, wimmelte er mich schnell ab, als ich ihm die Jacke abnehmen wollte.
Als wir beide in mein Wohn-Schlaf-und-Esszimmer traten hatte sich Lea in vornehmer Zurückhaltung auf meinem Schreibtischstuhl postiert, wohingegen Victor sich über die volle Länge meines Bettes ausgebreitet hatte.
P.J und ich zogen uns die zwei Stühle vom Esstisch heran.
„Du bist echt unverschämt“, raunte Lea dem genüsslich fläzenden Cam zu und verdrehte die Augen.
„Ach, lass gut sein“, beschwichtigte ich sie.
„So war er schon immer.“
„Allerdings…Lea Schätzchen, warum legst du dich nicht zu mir?“, fügte er mit einem anzüglichen Grinsen hinzu.
Sie warf enerviert die Arme gen Himmel und wandte sich von ihm ab.
„Nun erzähl doch mal von deiner Verabredung!“, forderte sie mich auf.
„Ja, deswegen sind wir ja hier. So wie ich Danilo kenne kann es nicht besonders toll gewesen sein!“, pflichtete ihr Bruder ihr bei.
Bei der Erinnerung an den idiotischen Italiener konnte ich mir ein unangenehmes Schaudern nicht verkneifen.
„Herr Gott, er war…wie ein überdimensionierter, schweißsprühender Brummkreisel.“, eine bessere Zusammenfassung fiel mir einfach nicht ein.
„Klingt charmant“, kommentierte mein bester Freund.
„Charmant, Entsetzlich, der Unterschied ist ja jetzt nicht so gravierend.“, mein Ton barst nahezu vor Ironie.
Ich revidierte die Geschehnisse des gestrigen Abends bis zum Verlassen des Clubs, manchmal unterbrochen von mitfühlenden Einwürfen Leas, zynischen Ergänzungen Victors oder amüsierten Beiträgen von Jake.
„Naja, und dann hat er darauf bestanden mich noch zum Marktplatz zu bringen. Und als hätte alles an Peinlichkeiten und unangenehmen Situationen mit Angelo nicht schon gereicht, musste er auch noch aufdringlich werden.“, erinnerte ich mich angeekelt.
Cams Miene wurde plötzlich ernst. „Aufdringlich?!“
„Nun… er hat versucht mich zu küssen und das nicht auf die harmlos aufdringliche Art und Weise…“, erzählte ich langsam.
Victors braune Augen schimmerten in einer Mischung aus Abscheu und kaum verhohlener Wut.
„Ich wusste doch, dass er ein absolutes Arschloch ist“, ereiferte sich Lea.
Cam, der inzwischen aufgestanden war nickte zustimmend.
P.J schien der Einzige zu sein, der noch immer entspannt und fröhlich war.
„Arschloch?...Ihr und eure Fachtermini.“
„Nein, ich glaube Rektum wäre der Fachausdruck gewesen“, wandte ich ein.
„Aber `Er ist ein absolutes Rektum` klingt doch ziemlich beschränkt“, gab er zu bedenken.
„Wie wäre es mit Mastdarmausgang?“, er sah mich zweifelnd an.
„Ende des braunen Tunnels?“, kam ein neuerlicher Vorschlag seinerseits.
„Das ist alles zu lang“, erwiderte ich.
Die zwei Anderen betrachteten uns ungläubig.
„Könnt ihr denn gar nichts ernst nehmen?“, beschwerte sich Lea, doch konnte ich ein schwerlich unterdrücktes Lächeln in ihrem Gesicht erkennen.
„Wie dem auch sei, wie hast du reagiert?“, lenkte uns Victor zum eigentlichen Thema zurück.
„Ähm…“, ich zögerte. Wie würden sie wohl auf Patricks Rettungsaktion reagieren?
Dann traf ich eine Entscheidung.
„Als ich angefangen hab mit meinen Fäusten auf ihn einzuschlagen, hat er verstanden, dass das nicht so ganz in meinem Sinne war.“
Ich hatte anscheinend nicht vollkommen überzeugt, denn Lea wirkte misstrauisch. „Und das nachdem er dich so bedrängt hatte?“
Mist!
„Ja…komisch nicht war? Ich hab es auch nicht ganz geschnallt. Aber versteh einer diese Südländer…“ Ich lächelte verlegen.
Glücklicherweise gab sie ihre Nachforschungen auf und wechselte abrupt das Thema.
„Also um ganz ehrlich zu sein müssen wir dir auch was sagen…“, hob sie an.
Dann drehte sie sich um und schlug nach Cam, der hinter ihr gestanden und an ihren Haaren gezupft hatte. Er wich gerade noch ihrer kleinen Hand aus.
„Ich will, dass du lässt!“
Ihr unmissverständliches Fauchen hätte vermutlich jeden anderen Menschen auf diesem Planeten eingeschüchtert. Victor aber schien es egal zu sein.
„Doch wie schon der große Philosoph Mick Jagger sagte:`You can’t allways get what you want`“, lachte er und zog erneut an einer goldblonden Strähne, bevor er sich zurück auf die Matratze fallen ließ.
Lea schnaubte erzürnt, ein Geräusch, das so gar nicht zu ihrer zierlichen puppenhaften Erscheinung passen wollte.
„Wir wollten sagen, dass wir nicht mehr lange bleiben werden, Alley.“, erklärte Jake.
„Wieso? Habt ihr noch was vor?“, fragte ich irritiert.
„Was mein Bruder zu sagen versuchte“, ergänzte Lea, „ist, dass wir nicht mehr länger in Dallenton wohnen können. Unser, nun ja, anderer Alterungsprozess zwingt uns dazu regelmäßig umzuziehen, da es den Leuten, so dumm sie auch sind, irgendwann auffällt, dass wir uns nicht verändern.“
Ich starrte verständnislos in ihr glattes, weißes Gesicht. Umziehen?
„Wir werden in zwei Monaten weiter in den Süden gehen. Angus hat da eine Farm für unsere Familie gefunden.“, bemerkte Jake.
„Ihr könnt doch nicht einfach…“, begann ich, aber die überwältigende Logik der Tatsachen ließ nichts anderes als Verständnis zu.
„Wie weit ist das von hier?“, meine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt.
P.J zuckte mit den Schultern. „Vielleicht drei Stunden Autofahrt.“
„Drei“, wiederholte ich tonlos.
„Das ist nicht aus der Welt“, versuchte Cam mich aufzumuntern.
Ich machte eine geistesabwesende Ja-Bewegung mit dem Kopf.
„Wir haben uns überlegt, dass wir Vier vorher noch mal was zusammen machen sollten.“, sagte Lea.
„Als eine Art Abschied“
„Gute Idee“, musste ich wehmütig eingestehen.
„Habt ihr denn schon etwas Spezielles im Sinn?“
Jake lieferte die Antwort.
„Eine Bekannte meines Vaters hat ein kleines Ferienhäuschen in Grimountcove. Das könnten wir zu einem guten Preis bekommen und ich denke ein Paar Tage außerhalb von diesem Nest…“
„In einem anderen Nest“, redete Victor dazwischen.
„…könnten uns sicher nicht schaden.“
„Okay“, war alles was ich sagen konnte.
Der Gedanke an den Fortgang der Geschwister erschütterte mich noch immer unerwartet heftig.
In Ihren Augen konnte ich lesen, dass das nicht das freudige Einverständnis war, das sie sich erhofft hatten und so gab ich mir rasch Mühe mehr Begeisterung vorzuschützen.
„Dann ist es also beschlossen“, bestätigte Cam nach einer Weile.
„Familienurlaub in den Flatlands.“
„Ohja, beim Gedanken daran, einen Urlaub mit dir zusammen im gleichen Haus zu verbringen, muss ich vor Freude geradezu jubilieren“, verkündetet Lea nüchtern.
Meine Mundwinkel wanderten unwillkürlich in die Höhe.
„Was würde ich nur ohne dein liebliches Temperament tun“, stichelte Victor.
Dann ging mir etwas ganz pragmatisches durch den Kopf. Ich hatte meine letzten Ersparnisse in den Umzug gesteckt. Wie sollte ich unsere „Abschlussfahrt“ bezahlen?
„Ich brauche `nen Job!“, schoss es aus mir heraus.
„Dachte ich mir fast“, sagte Cam mit einem gönnerhaften Lächeln „deswegen habe ich mich bereits umgehört. Pam hat anscheinend diese unmögliche Servicekraft gefeuert. Du wärst ein unschätzbarer Gewinn für ihr Lokal.“, er grinste honigsüß.
„Ich und kellnern?! Du kennst meine Unfallneigung!“, wandte ich ein.
„Ach, du wirst das schon meistern“, ermutigte mich Jake.
„Außerdem ist die Bezahlung nicht übel“, klinkte sich seine Schwester ein.
Offenbar hatten sie die ganze Sache bereits beschlossen und holten meine Zustimmung nur pro forma ein. Wenn nötig, würden sie sie wahrscheinlich auch gewaltsam erzwingen, darauf wollte ich es nicht ankommen lassen.
„Nun gut“, stimmte ich zurückhaltend zu.
„Dann auf zu Pam’s!“, jubelte Lea“Du solltest keine Zeit verlieren.“


„Diese schwächlichen Fesseln!“, Pam fand tatsächlich auch nach gut fünfzehn Minuten eingehender Betrachtung noch Dinge an mir, die sie leidenschaftlich kritisieren konnte.
Angefangen hatte alles bei meinen angeblich zerbrechlichen Händen und mit meinen, für ihre Verhältnisse, unzumutbar schwachen Ärmchen hatte es längst nicht aufgehört.
Soviel, wie die betagte Dame an mir auszusetzen hatte, war es unmöglich, dass sie mich einstellen würde. Warum also begutachtete sie mich immer noch wie eine Kuh auf dem Viehmarkt? Mir ging ein Kindergedicht durch den Kopf. „Hast nen Taler, gehst auf den Markt, kaufst dir ne Kuh…“.
Meine Gedanken schweiften ab von der Szenerie, zurück in fünfzehn Jahre entfernte Gefilde, in denen ich lachend mit meiner Mutter auf der Treppe vor unserem Haus gesessen und sie mir solche Reime und Gedichte gezeigt hatte.
Als die Chefin des Lokals entschlossen in die Hände klatschte kehrte ich ins Jetzt zurück.
„Nun gut“, krächzte sie mit einer Stimme, die Rückschlüsse auf die Anzahl täglich gerauchter Zigarettenschachteln zuließ. “Du bist dabei Mädchen, morgen um punkt Acht bist du hier vor dem Laden. Dann bekommst du deine Uniform und wirst im hinteren Bereich die Tische bedienen.“
Ich bedankte und verabschiedete mich und kehrte zu meinen, vor dem Café wartenden, Freunden zurück.

Ich steckte bis zu den Ellenbogen in einer trübbraunen, lauwarmen Suppe, die zu größten Teil aus Wasser, Kaffeesatz und Krümeln bestand.
Meine hellrosa Arbeitsuniform und die berüschte weiße Schürze waren bereits mit einigen unschönen Flecken verziert.
Zwischen meinen Fingern rieben Kleinstpartikel dessen, was einmal ein Hamburger oder ein Sandwich gewesen war, aneinander und an meiner Haut und ich konnte mich nicht entsinnen, je ein vergleichbar ekelhaftes Gefühl verspürt zu haben…nun ja außer vielleicht bei meinem Treffen mit dem Eisverkäufer.
Welche Art Mensch bestellte denn an einem Sonntagmorgen auch Hamburger und Sandwichs?!
Meine Gedanken entglitten mir und lieferten die beantwortenden Bilder, jedoch allesamt völlig absurd.
Die Stimme der unvorteilhaft gealterten Lokalbetreiberin erlöste mich aus den Fängen der homogenen Brühe.
„ALLEY!“
Pam sprach, beziehungsweise schrie, meinen Namen auf eine sehr sonderbare Weise aus, es klang eher wie ein „Älliiiie“.
Im laufe der Jahre hatte ich bereits einige Variationen meines Namens ertragen dürfen (von Querverweisen auf australische Städte oder parallel stehende Bäume war bereits alles, was an Unkreativität nicht zu überbieten war, dabei gewesen), doch DAS war selbst für mich neu.
Nichtsdestotrotz war ich erleichtert meine Arme aus dem Spülbecken ziehen und aus der Küche hinter den Tresen wechseln zu können.
Das runzelige Gesicht meiner Chefin auf Zeit, war wie üblich von einer enormen, nach Rauch und Haarspray riechenden, Wolke blonden, schlecht gefärbten Haares umgeben.
„Sie sollte Roswitha heißen“, schoss es mir überflüssigerweise durch den Kopf.
„Amanda, hat grad angerufen. Sie kommt nich. Das heißt, dass du heute die Tische dreiundzwanzig bis dreißig übernehmen musst, Mädchen.“, simultan deutete sie mit einem gelblichen Finger auf den hintersten Lokalbereich, in dem auch Cam, die de Ladds und ich uns neulich niedergelassen hatten.
Der Gedanke diese, mir völlig unbekannte Aufgabe, zu übernehmen säte zwar ein tiefes Unwohlsein in meiner Magengegend, doch die Überlegung zum Spülwasser zurückzukehren hätte meine Magengegend dazu gebracht sich auf den Kopf zu stellen.
Es war eine Wahl zwischen dem Jauchebad und dem Sprung ins berüchtigte eiskalte Wasser.
Ich zuckte kurz die Schultern und nahm dann den kleinen Block samt pinkem Puschelstift entgegen, wechselte die Schürze, stiefelte auf die entlegenste Sitzgruppe zu, die mit zwei Personen besetzt war und wappnete mich innerlich gegen alle Eventualitäten.
Alle, außer dieser einen.
„Hallo, sie…“, das „wünschen, bitte?“ blieb irgendwo unterhalb meines Mundes und oberhalb meines Kehlkopfes stecken.
An seine Stelle trat ein trockenes Husten.
„Oh, ist alles okay?“, fragte ein besorgt dreinblickendes, zierliches Mädchen.
Ich rang einige Augenblicke mit der Überraschung um meine Fassung, gewann schließlich den Kampf mit einem schweren Schlucken, nickte, wurde rot und sah auf den kleinen Notizblock in meiner Hand, als gäbe es nichts Wichtigeres.
„Ähm…sie hätten gerne?“, versuchte ich es erneut.
Die kleine Person begann albern zu kichern, so sehr, dass ihre haselnussbraunen Locken wild auf und ab hüpften und ihre Schultern zuckten.
Meine linke Braue trat ihre übliche Höhenwanderung an und die Röte wich aus meinem Antlitz.
„Ein Mineralwasser, und einen keinen Salat“, versuchte sie sich, noch immer lachend, zu artikulieren.
„Ich bin gerade auf Diät“, erklärte sie ihrem dunkelhaarigen, blauäugigen Begleiter, der einen Arm um sie gelegt hatte und sie dennoch von oben herab anstarrte.
Die Geringschätzung Pats kalter Augen schien ihr entweder zu entgehen oder völlig gleichgültig zu sein.
„Und du…“, ich zögerte bevor ich seinen Namen aussprach “…Patrick?“.
„Einen…“
„Ihr kennt euch?“, unterbrach ihn das Mädchen ungeniert.
Mir entging nicht, wie sich seine Hand in mühsamer Beherrschung kurz zusammen ballte, bevor er sich mit einem unheimlichen Lächeln an seine Verabredung wandte.
„Ja. Aber sie ist…“, er wirkte nicht als würde er überlegen, sondern als würde er einfach sehr bewusst pausieren um dem Folgenden mehr Gewicht zu verleihen.
Die kleine Brünette sah ihn erwartungsvoll an, ich musste es ihr gleich tun, doch eine Spur gespannter.
Innerlich fühlte es sich an als würde ich fallen. Von seinen nächsten Worten hinge es ab, ob ich auf den Grund aufschlagen oder einen Fallschirm öffnen können würde.
„…Sie ist …Niemand“.

KRACK
Jeder einzelne Knochen explodierte beim Aufprall und jeder Splitter zerschnitt auf seiner Flugbahn Muskeln, Sehnen und Fleisch. Die Luft wurde mir aus den Lungen getrieben und mein Herz zog sich in der verzweifelten Anstrengung, genügend Blut in die versagenden Organe zu befördern hart zusammen, verkrampfte und kam zu stehen. Die Gedanken erlahmten, der Blick trübte sich und in den Ohren rauschte es wie ein startender Jet. Meine Haut brannte wie abgeschürft, die Zunge schien riesig und schwer in meinen Rachen zu rutschen und langsam kamen die feuernden Neuronen zum erliegen.
Der Schmerz wurde von der dunstigen Mattigkeit der Leere abgelöst.

All das hatte sich in Fragmenten von Sekunden ereignet.
Ich kritzelte pflichtschuldig doch abwesend seine Bestellung unter die Ihre, drehte mich um und schlurfte starr zurück zum Tresen.
Hinter mir hörte ich das Mädchen wieder kichern, doch ich nahm es kaum war.

Während der nächsten drei Wochen scheffelte ich fleißig Überstunden, auch wenn Patrick regelmäßig mit immer anderen, doch immer ähnlich dümmlichen, Anhängseln im Pam’s auftauchte.
Die ersten Paar Male war ich jedes Mal wie betäubt an den immergleichen Tisch herangetreten und hatte jedes Mal den Aufschlag ertragen, bevor das nebulöse Nichts zurückgekehrt war.
Dann hatte sich der matte Schleier verdichtet und ich vor dem harten Sturz bewahrt, doch machte er mich gleichzeitig stumpf gegenüber allem anderen meiner Umwelt.
Victor Lea und Jake versuchten während dieser Wochen ergebnislos den Grund meines Zustands herauszufinden oder mich aufzuheitern.
Ich blieb betrübt, verschlossen und stumm vor mich hin leidend.
Dann nach dem sechsten Mal hatte es den Anschein, als würde es langsam leichter werden.
Ich ignorierte Patrick und bediente lediglich seine Eintagsfliegen, was ihn allerdings weder übermäßig zu stören, noch seinen Begleiterinnen irgendwie aufzufallen schien.
Bald darauf kehrte Amanda zurück in das Lokal, da sie sich von ihrer Krankheit erholt hatte und so wurde ich schließlich in die Küche zurück beordert.
Inzwischen kam mir das Abspülen viel weniger schlimm vor und als ich sogar Gummihandschuhe bekam freute ich mich fast dem Servieren und Bedienen entkommen zu sein.
Nach einer weiteren Woche hatte ich es geschafft Patrick fast völlig aus meinem Leben zu verbannen und alle ihn betreffenden Erinnerungen angemessen weit zu verdängen, sodass sich meine Stimmung wieder aufhellte und mein Gemütszustand langsam aber sicher in Richtung „normal“ strebte.
Der Gedanke daran, dass unser Urlaub in Grimountcove nun kurz bevorstand, trug ebenfalls dazu bei mich nach all den trübseligen Tagen fast euphorisch werden zu lassen.
Ich zählte die Tage.
Noch:
4
3
2
1


Abreisetag!


~7~ That girl possessed

Ein herzliches „Hallo“ an euch kuschelige Menschen.
Nach einem langen und auslaugenden Urlaub bin ich zurück an der Tastatur und voller frischer Ideen (die ich aber definitiv NICHT aus dem Urlaub mitgebracht habe, wie ich betonen möchte ^^).
Das Problem an der Sache ist, dass sie sich ausdehnen und vermehren, sobald sie in die Geschichte integriert werden sollen, weshalb sie grade den Rahmen des Kapitels zu sprengen drohen, weil ich versuche in jedes Kapi ein bisschen Alley und Pat und natürlich auch die Anderen rein zubringen. Außerdem muss ich in dem hier eine Menge einleiten, was noch passiert…
Damit es nicht zuuuu lang wird gibt es auch ungewöhnlich viele Szenenwechsel. Das hört im Nächsten wieder auf,- keine Angst!
Viel Spaß mit den Bekloppten ;)




Ein Wald.
Eine Wiese.
Eine Schafherde.
Ein Wald.
Eine Hütte.
Ein Wald.
Eine Wiese.
Schafe.
Noch mehr Schafe.
Mehr Wiesen.
Wieeeeeeeeeesen…
Vor gerade mal dreißig Minuten hatten wir die breite, gut ausgebaute Straße, der wir seit etlichen Stunden des Einnickens, Geplappers und Pausierens gefolgt waren, verlassen und dennoch schienen wir bereits in einem schnöden Paralleluniversum zu hängen.
Ich wandte meinen Blick von der vorbeiziehenden Landschaft jenseits des Fensters ab und starrte die Kopfstütze des Fahrersitzes an, den Jake gerade (im wahrsten Sinne des Wortes) besaß.
Diese eintönige Weite, die mit größter Sicherheit auch unserem eigentlichen Reiseziel zu eigen sein würde, war genau das, was ich jetzt brauchte um…
Rumms.
Das Schlagloch über das P.J mit dem Geländewagen seiner Eltern gerade hinweg gebrettert war und das daraus resultierende Beben, als das Vehikel nach dem Freiflug wieder auf den Asphalt aufsetzte (so fühlte es sich zumindest an), zertrennte meinen Gedankenfluss und hielt mich so glücklicherweise davon ab, die drei Buchstaben zu denken, die ich zu vergessen suchte.
„Wer, um Himmelswillen, hat diesen Verrückten ans Steuer gelassen?“, stöhnte ein leicht grünlich schimmernder Victor neben mir.
Mit einem eindeutigen Ausdruck des Amusements auf dem Gesicht, drehte sich Lea herum und lugte an der Lehne des Beifahrersitzes vorbei.
„Oh, das war ich! Geht es dir etwa nicht gut Cammylein?“
Er schien alle Geisteskraft zu benutzen um seinen Mageninhalt bei sich zu behalten, denn es dauerte ungewöhnlich lange bevor er zu einer Antwort fähig war.
„Vergiss nicht, meine Kleine, dass DU diejenige bist, der ich im Fall der Fälle mein opulentes Frühstück in den Goldlocken verdeckten Nacken speie.“
Bei der Vorstellung zupfte auch mein Magen an einigen Nervenverbindungen und erinnerte mein Gehirn an etwas.
„Wenn er DAS tut schließe ich mich an“, gab ich nüchtern zu.
Lea seufzte.
„Ihr habt etwas gegen meinen Fahrstil?“, klinkte sich nun auch ihr Bruder ein.
„Nein!“
„Ja!“
Victor und Leas Stimmen überlagerten sich, als sie gleichzeitig eine Antwort gaben.
Jake grinste nur und zwinkerte mir im Rückspiegel zu.
„Also schön. P.J, fährst du bitte mal irgendwo ran? Dann können wir wechseln und ich kann mal den Lokus aufsuchen“, bat seine Schwester.
„Lokus? Du meinst wohl `den Stall`!“
„Von Jemandem, der gerade aussieht wie das Kind von Shrek und dem Grinch muss ich mir so was nicht sagen lassen, denke ich!“, und mit diesen Worten wandte sie sich wieder nach vorn und hielt nach einem geeigneten Rastplatz Ausschau.

Keine zweihundert Meter weiter öffnete sich der neuerlich aufgetauchte Wald einen Spalt zu einem Pfad, auf dem der Chevrolet gerade genug Platz fand.
Das Auto war kaum zu Stillstand gekommen, als Cam auch schon den Wagenschlag aufriss, hinaus sprang und durch das Unterholz außer Sicht stürmte, wie eine Kuh, die zum Trog will.
Lea lächelte zufrieden, P.J grinste verlegen und zuckte Schuldbewusst die Schultern, bevor auch er aus dem Gefährt stieg.
Seine Schwester folgte ihm und schließlich verließ auch ich den Wagen.
Ich hob meine Arme, drückte den Rücken durch und streckte mich ausgiebig, natürlich nicht ohne den obligatorischen Laut der Zufriedenheit von mir zu geben und dann lief ich ebenfalls tiefer in den Wald. Teils um die Müdigkeit, die mich während der Fahrt befallen hatte abzuschütteln und ebenfalls, weil ich ein ruhiges Plätzchen finden wollte um mich zu erleichtern.
Wir hatten in einem Nadelwald gehalten. Dicht an dicht drängten sich die Baumriesen und ließen kaum Licht bis zum Erdboden vordringen.
Lediglich eine trübe gebrochene Helligkeit aus zerstreuten Sonnenstrahlen Zeichnete meine Umgebung seltsam Kontrastreich.
Das Braun des weichen Bodens war satt, das grün der Flechten fast ein Vollton und die vereinzelten Fliegenpilze glommen wie kleine Kohlen in der Asche.
Die Luft war typisch für einen Wald, strömte frisch und würzig in meine Lunge und ebenso war die Geräuschkulisse die, eines normalen gesunden Waldgebietes.
Vögel, Wind, ab und zu ein knackender Ast oder ein Rascheln wenn sich die Legitimen Bewohner durch ihr Habitat bewegten.
Eigentlich war es ein schöner Ort, mit einem gewissen Zauber, doch ein unbestimmtes Gefühl der Unruhe hinderte mich daran, diesem lokalen Charme zu erliegen.
Ich blieb stehen.
Weder das Auto, noch der Weg oder einer der Anderen war mehr zu sehen.
Ich neigte zu übereilten, sinnlosen Anflügen von Panik. Jetzt ging es darum die Nerven zu behalten.
Aus welcher Richtung war ich überhaupt gekommen?
Hatte der Zweig gerade nicht viel lauter geknackt als alle vorherigen?
Mein Nacken begann zu prickeln.
Langsam und mit angehaltenem Atem drehte ich mich um meine eigene Achse.
Nichts. Nicht mal ein Reh.
Wahrscheinlich hatte sich mein fadenscheiniges Nervenkostüm nur mal wieder wichtig gemacht.
„Pfuuuuuu“, ich stieß einen tiefen Luftstrom aus und machte dann entschlossen kehrt.
Meine Blase hatte sich scheinbar entschieden nicht mehr gereizt zu sein, bis sie es als absolut gefahrlos erachtete sich zu entleeren und so stiefelte ich zurück.
Ich musste mich zwingen nicht mit jedem Schritt schneller zu werden, denn das Unwohlsein war noch immer präsent.
Als ich den ersten Fuß zurück auf den fein geschotterten Pfad setzte überkam mich Erleichterung, die sich noch einmal steigerte als ich den silbernen Chevi Captiva samt meiner drei Begleiter gewahrte.
Lea schien sich über den immer noch fahlen Cam lustig zu machen und ihr Bruder lehnte gelassen gegen den Kotflügel und schaute dem Spektakel mit einem fröhlichen Lächeln zu ohne sich einzumischen.
Das typische Bild.
Krachend brach hinter mir ein Schemen aus dem Wald.
Das Geschöpf bewegte sich so schnell, dass es verschwamm.
Neue Nahrung für meine Ängste. Meine Freunde waren urplötzlich zerstoben und nur der Geländewagen stand verlassen auf der Straße.
Nun konnte ich die heranflutende Panik nicht mehr zurück halten. Die Welle traf mich mit ganzer Kraft und riss meinen Verstand in die Tiefe, während die Urinstinkte an die Oberfläche trieben und sich Bahn brachen.
Die Kontrolle war in dem Meer meiner Phobien untergegangen und so bewegten sich meine Beine ohne mein Zutun.
Ich rannte auf den Wagen zu, riss die Fahrertür auf und schwang mich auf den Sitz.
Das Etwas aus dem Unterholz steuerte jetzt mit rasender Geschwindigkeit die Frontscheibe des Chevrolets an.
Ich musste hier weg.
Wuchtig trat ich auf die Kupplung und legte den Rückwärtsgang ein. Dann griff ich nach dem Schlüssel um den Motor anzulassen.
Er steckte nicht.
Mit geweiteten Augen betrachtete ich den, auf mich zu donnernden, Schatten.
Ein grünes Leuchten.
Bruchteile von Sekunden.
Dann rauschte mir gesplittertes Glas um die Ohren, schnitt durch mein Gesicht und zerfetzte die Haut auf meinen schützend erhobenen Händen.

„Krrrrrrrrr“
Das Geräusch des geschundenen Getriebes riss mich aus meinem Traum.
„Oh mein Gott, bist du noch nie ein Schaltungsauto gefahren, du Irrer?! Du musst Kuppeln!“, brüskierte sich eine recht zerknautscht aussehende Lea von der Rückbank.
„Beruhig dich Hermine Granger, ich bin nur abgerutscht“, erklärte Victor.
Die Lichtverhältnisse hatten sich so geändert, dass mir klar wurde, dass wir schon wieder eine ganze Weile unterwegs sein mussten und ich offenbar den größten Teil davon verschlafen hatte.
Der Wagen erklomm soeben einen Hügel auf gerader Straße, umgeben von grün bewachsenen Feldern.
„Wie weit ist es noch?“
„Das ist der letzte Hügel, Dornröschen“, teilte mir Cam mit.
In diesem Moment erreichten wir die Bergkuppe und das Land gab den Blick auf eine, vielleicht drei oder vier Kilometer entfernte, Anhäufung von Häuschen frei.
„Ladys and Gentlemen: Grimountcove“, kommentierte Jake den Anblick.

Grimount war ein bezauberndes Städtchen wie aus einem Bilderbuch ausgeschnitten.
Es verlief nur eine größere Straße durch den Ort, es gab zwei Cafés, kaum mehr Restaurants, vier Ampeln und gefühlte zehn Läden, von denen achtzig Prozent auf den Anspruch touristischer Mitbringwütiger ausgelegt waren, sowie drei vermeintliche „Sehenswürdigkeiten“.
Unter anderen Umständen, ein Ort, der ein unbestritten großes Talent besaß, Menschen meiner Generation langsam, durch kontinuierliche Ödniss zu zermürben.
Unter gegenwärtigen Umständen, ein Ort, der Ruhe und Frieden versprach. Ungestörtheit, Entspannung und ein enormes Maß an Zeit zum Lesen, Nichtstun und Nachdenken.
Urgh. Nachdenken.

Soeben hielt der Captiva vor einem Viertel der hiesigen Verkehrslichtzeichen, dessen Nutzen ich anzweifelte. Zum einen befand sich hinter der Ampel weder eine Kreuzung, noch eine Stelle an der Fußgänger hätten passieren wollen und zum anderen ließ die schmale holprige Straße ohnehin keine Geschwindigkeiten über Schritttempo zu.
All das hinderte sie allerdings nicht daran, ihrem Dienst mit einer ausgedehnten Rotphase gerecht zu werden.
Stöhnend wandte ich den Kopf nach rechts, um aus dem Seitenfenster zu sehen.
Nach der langen Fahrt sehnte sich mein Körper nach einem Positionswechsel und tat mir dies überdeutlich und schmerzhaft kund.
Neben dem Wagen entdeckte ich ein mit Backwaren bestücktes Schaufenster, bei dessen Anblick mir das Wasser im Mund zusammen lief.
Auch kulinarisch waren die letzten Stunden nicht unbedingt befriedigend gewesen.
Eine riesige, mehrstöckige Torte mit dunkel glänzender Glasur und filigranen Zuckerblüten (und zumindest in meiner Fantasie mit einer Schokoladen-Erdbeer-Füllung) versehen, faszinierte mich sosehr, dass der Wunsch in meinem Unterbewusstsein, -oder meinem Abdomen, entflammte, mir den Namen des Geschäftes zu merken um dieses Meisterstück der Patisserie, legal oder nicht, zu probieren.
Ein Schild über dem Eingang, das durch seine Größe, seine Schlichtheit wett machte, ermöglichte dieses Unterfangen potentiell.
„ P A T`S Bakery“
Meine Augen verengten sich. Meine innere Stimme lachte kurz und höhnisch auf.
Man sollte nie den Sinn des Lebens für Ironie unterschätzen….NIE!
Oder die ominöse „höhere Macht“ hatte sich wieder an meine Existenz erinnert und hatte die Methode der Folter gewechselt.
Statt mit italienischen Dämonen, quälte sie mich nun mit meinen ganz Eigenen.
„Nun wenigstens kannst du ihn dir leicht merken“, versprach mein Bewusstsein auf eine nüchterne Art und weise.
Nach einem kleinen Weilchen, indem die Ampel endlich auf Grün geschaltet hatte, fügte sie nicht minder trocken hinzu:
„Und wenigstens sind wir nicht in Irland, von wegen Nationalheiliger und so. Die Menschen hier haben am Siebten Dritten wenigstens etwas Besseres zutun, als sich unter dem Vorwand des missionierenden heiligen Patricks zu besaufen.“
Meine innere Stimme genoss eindeutig zuviel freiheitlichen Zugang zu speziellen Internetenzyklopädien.
Wen interessierte schon das Datum dieses verfluchten Tages?!
Nach anfänglicher Euphorie über die Zielgerade unseres Weges, war es nun wieder still geworden im Inneren des Chevrolets.
Selbst für Vampire schien so eine Reise belastend zu sein.
Eine seltsame Vorstellung.
Ich fuhr just mit drei übermenschlichen Wesen, die nebenbei bemerkt meine einzigen drei Freunde waren, in den Urlaub.
In ein abgelegenes Dorf.
…in dem mich Niemand kannte.
…Niemand vermissen würde.
Meine Eltern wussten nicht, dass ich verreist war.
Wie ich bedauernd feststellte, hatte ich den Kontakt zu ihnen seit meinem Umzug sträflich vernachlässigt.
Meine Mutter hatte mehrere Male versucht mich anzurufen, doch immer dann, wenn ich nicht zuhause war und die Mühe gemacht zurück zu rufen, hatte ich mir nicht.
Ich beschloss mein Versäumnis nachzuholen, sobald ich wieder in Dallenton wäre.
Nein.
Von Victor, Lea und P.J, der als Einziger noch immer ein Lächeln auf den Lippen hatte, drohte mir nicht mehr Gefahr, als von meiner leiblichen Familie.
Lea schnaufte.
„Was? Schon wieder eine Ampel?! Ich wette es gibt hier nichtmal genügend Einwohner um die Alle zu benutzen.“
„Kannst du denn nur meckern?“, auch Cam wirkte entnervt.
„Wie hieß diese Redensart doch gleich?...achja! Mach’n Kopp zu!“
„Quatsch mir doch keine Bommel ans Knie!“, forderte Victor zwar in wütendem Ton, doch mit einem seligen Leuchten in den Augen, dass nur ich wahrnehmen konnte, da er sich wieder der Straße zugewandt hatte.
Wieder betrachtete ich die Stadt.
Wir hatten an einem Platz gehalten. In einiger Entfernung standen kleine Tische und Stühle, von gelb-weißen Sonnenschirmchen beschattet und erweckten den Eindruck im Geschäft für modelleisenbahnidyllische Stadtgestaltung ausgewählt worden zu sein.
Das Café schien gut besucht, denn fast alle Stühle waren mit überdurchschnittlich ordentlich aussehenden Leuten besetzt.
Ein Pärchen steuerte gerade auf einen der wenigen freien Tische zu.
Er rückte ihr den Stuhl zurecht.
Sie verpasste ihm als Dank einen liebvollen Blick.
Er fragte sie etwas.
Sie nickte, mit der gleichen schmachtenden Zuneigung im Gesicht.
Er schloss den Sonnenschirm.
Für einen Moment sah ich deutlich den, auf das Tuch gedruckten, Namen des Etablissements.
Auch wenn es unwahrscheinlich schien, war ich sicher mich nicht verlesen zu haben.
„Old Patrick’s“
Auch wenn DIESER Patrick vermutlich alt, und mit kaum Haaren und einem teigigen Gesicht ausgestattet war, so war es der Patrick, zu dem meine Gedanken flogen, als hätten sie nur auf diesen Anreiz gewartet um aus dem von mir geschaffenen Käfig hervor zu brechen, ganz und gar nicht.
Warum schon wieder dieser Name?
Zufall?
Wieder brummte der Motor, als Victor anfuhr.
Mir war völlig entgangen, dass er und Lea ihr Wortgefecht nicht etwa beendet hatten, sondern es, im Gegenteil, jetzt noch leidenschaftlicher austrugen.
„Kein Wunder, dass du so beschissen fährst. Wenn mir deine fettigen Haare so ins Gesicht fallen würden, würde ich mich erstens ekeln, und zweitens hätte ich nur noch zwanzig Prozent meiner aktuellen Sehfähigkeit“, erklärte Jakes Schwester.
„Die kann allerdings auch so nicht übermäßig gut sein, denn sonst hättest du bemerkt, dass erstens: meine Haare kein bisschen fettig sind, und zweitens: deine Frisur aussieht, als hättest du dich für eine halbe Stunde in die Obhut eines hyperaktiven Kindergartenkinds mit einer Zick-Zack-Schere begeben“, legte Cam seinen Standpunkt mit sachlicher Stimmlage dar.
„Wo wir grad über Frisuren reden…noch so eine Bemerkung und ich zeige dir mal richtig wo der Frosch die Locken hat. Haben wir uns verstanden?!“, knurrte sie.
P.Js Lachanfall, der gerade krampfartige Ausmaße anzunehmen drohte, unterstrich die eigenwillige Komik der Situation.
„Zum nächsten Geburtstag, - es wird dein elfter, nichtwahr – schenke ich dir einfach einen Profilierungswimpel. Dann kannst du dir diese Kraftausdrücke und unflätigen Sprüche nämlich ersparen und deine ganze infantile Kreativität weiterhin in dein Hairstyling investieren. Wie wäre das?!“, bot Victor an, während er simultan auf die Bremse stieg.
Ampel Nummer drei.
Vorsorglich suchte ich die Umgebung nach einem Schild ab, dass meine ungute Ahnung bestätigte, doch die anwesenden kundeten nur von „ Barbier Kurtis“ und „Maggie’s Bookstore“.
Beruhigend.
„Oh, schau mal. Ein Frisör. Soll ich dich hier rauslassen?“
Cams Frage galt logischerweise seiner Gesprächspartnerin.
„Würdest du dich endlich wieder an dein y-Chromosom erinnern und aufhören von Haaren zu quatschen?“, wollte Lea wissen.
Jake lachte noch immer. Er presste seine linke Hand gegen die Rippen, während er sich mit der Rechten die tränenden Augen wischte.
Diesen Jungen zu begreifen, war wohl auch nur Wenigen vergönnt.
„Sieh doch, was du angerichtet hast! Du hast deinen Bruder zum weinen gebracht“
Cam fuhr wieder an.
In zweihundert Metern Entfernung kündigte ein grüner Schein eine weitere Ampel an.
Wer zur Hölle hatte diese Dinger bloß geschaltet?
„Pass auf, dass ich das Gleiche nicht auch mit dir mache Gay-Romeo“
Ich hatte noch nie jemanden Witze über Victors sexuelle Orientierung reißen hören, doch Lea schien die einzige Person zu sein, bei der das ein erlaubtes und nicht geschmacklos wirkendes Verhalten war.
Cams Gesicht wurde ernst, dann seufzte er.
„Also ich sag das ja jetzt wirklich nicht gern, aber manchmal habt ihr Frauen halt doch recht. Entweder sind die guten Kerle bereits vergeben oder sie sind schlicht vom falschen Ufer“,
wieder seufzte er lang gezogen.
Der Geländewagen hielt sanft vor der vierten Ampel, weshalb er Gelegenheit fand sich herum zu drehen.
„Vielleicht sollte ich meinen Horizont etwas erweitern“, er schaute in Leas dunkelbraune Augen und zog zweimal kurz hintereinander beide Augenbrauen in einer verheißungsvollen Geste nach oben.
„Ich muss ja nicht gleich in die Vollen gehen und mich einer richtigen Frau zuwenden“, schloss er.
„Patrick’s Souvenirshop“ entführte meine Aufmerksamkeit, weshalb ich Leas Antwort verpasste.
Entweder die Leute in diesen Gefilden waren mit einer unsäglichen Einfallslosigkeit geschlagen oder dieser eine Mann, mit diesem einen Namen, hatte tatsächlich die komplette lokale Wirtschaft unter seinen Fittichen.
Warum nur?
Ein letztes mal, bevor wir Grimountcove wieder verließen, setzten sich die vier Räder des Chevis in Bewegung.

Ich hatte vorher noch nicht einmal Fotos von unserem Ferienhaus gesehen, dennoch war ich mir sicher, dass es exakt so aussah, wie auf den mir unbekannten Bildern.
Das typische Klischee eines Reisekataloges.
Klein, urig, Reet gedeckt und trotzdem komfortabel anmutend. Die Lage ruhig, doch „Stadt“nah, eine sympathisch bäuerliche Gartengestaltung und viel Platz.
Kurz bevor der Captiva auf dem Knirschenden Schotter gehalten hatte, hatte Lea ihre Taktik geändert und so verlief die philologische Schlacht nun einen Hauch subtiler.
Jake hielt sich die vom Gelächter schmerzenden Wangen und so schien ich mal wieder die einzig ernstzunehmende Person unserer Runde zu sein.
All das führte dazu, dass ich zwanzig Minuten später alleine die Betten in den Schlafzimmern der oberen Etage bezog, da, eine Laken schwingende, Lea Victor quer durch das Häuschen jagte und Jake sich japsent auf dem Boden kullerte.
So war es bereits kurz vor sechs, als wir endlich alle üblichen Vorbereitungen im Haus getroffen hatten und uns der Erkundung von Grimount zuwenden konnten.

Das Gras unter meinen bloßen Füßen war kurz und weich und mit unzähligen Kleeblättern durchzogen.
Beim Gehen strichen die Halme langsam zwischen meinen Zehen hindurch und ich genoss dieses ursprüngliche Gefühl. Wieder etwas, dass mich in meine Kindertage zurück versetzte.
„Kommst du, Alley?“, wehte Leas Stimme aus einiger Entfernung zu mir hinüber.
Während meines erinnerungsseligen Gedankenexkurses war ich immer weiter zurückgefallen, sodass das Dreiergrüppchen meiner Freunde schon fast das Ufer des kleinen Sees erreicht hatte, der nur zehn Gehminuten von unserem Ferienhaus entfernt, glitzernd im Licht der rötlich untergehenden Sonne da lag.
Ich hingegen war noch mehrere zehn Meter vom Gewässer entfernt.
„Ja“, gab ich mit einem Kopfnicken zu verstehen.
Dies schien Lea als Antwort zu genügen, denn sie drehte sich mit flatternden Haaren um und überwand die wenigen Meter, die sie nun von den Jungs trennten.
Ich trottete weiter und versank wie üblich in tiefe Grübelei.
Gerade als ich mich gedanklich dem verbotenen Thema nähern wollte (weil Das ja auch ganz offensichtlich der Wunsch meiner verdammten patverseuchten Umwelt war) brüllte mir Cam etwas zu, dass ich ohne Probleme als „Willst du nicht auch Baden?“ verstand, da uns keine zwölf Meter mehr trennten.
„Sie ist doch nicht taub!“, zischte Lea.
„Jetzt vielleicht schon“, grinste Jake.
Ich war stehen geblieben um dramatisch ausholend abzuwinken.
„Och lasst mal Jungs…“
P.J und Victor schenkten sich ein verschwörerisches lächeln.
„…Ich…“
Sie drehten sich frontal zu mir.
„…hab…“
Leas Augen verengten sich argwöhnisch.
„…gerade…“
Dann riss sie die Augen auf.
„…keine…“
Jake und Cam sprinteten wie auf ein unmerkliches Signal hin völlig synchron los.
„…Lust…“
Noch bevor ich das Vorhaben der Beiden realisieren oder Leas geschrienem „LAUF, ALLEY!“, folge leisten konnte, hatten sie mich erreicht und packten mich.
Ich hätte auch nicht den Hauch einer Chance gehabt, hätte mich die Perplexität nicht, wie so oft, unfähig zur Gegenwehr gemacht.
Hilflos hing ich zwischen meinen Freunden und sah das Wasser immer näher kommen.
„Leute das ist unfair!“, war Leas etwas schwächlicher Verteidigungsversuch.
Anscheinend war sie der sich anbahnenden Situation gegenüber nicht abgeneigt, setzte sie sich doch sonst JEDES mal durch.
Der See flog mir entgegen (oder ich ihm?), das Ufer verschwand plötzlich. Ich krallte mich in zwei Schultern und begann zu schreien wie am Spieß.
Jede Sekunde erwartete ich mein zusammentreffen mit dem guten alten H2O.
Doch weder Victor noch P.J ließen mich los und so schwebte ich wenige Zentimeter über der leicht Windgekräuselten Wasseroberfläche.
Dann sah ich wie zwei feixende Gesichter über meinem auftauchten.
„Noch ist es nicht zu spät“, gab Cam zu bedenken.
„Noch kannst du dein Schicksal positiv beeinflussen“, stimmte Jake zu.
„Gott, wer seid ihr? Die Geister der vergangenen Weihnacht?!“
Durch meine vorlaute Bemerkung büßte ich einige Millimeter ein.
Mein bester Freund schüttelte leicht den Kopf.
„Alley, Allley, Alley…“
Er sah seinen Komplizen an.
„Geben wir ihr noch eine letzte Chance?“
Gerade als P.J als Antwort zu einem Nicken ansetzte ertönte Leas, wie üblich aufgebrachte, Sopranstimme.
„Jetzt lasst sie schon…“
„…runter? Ganz wie ihr befehlt!“, fügte sich Victor scheinbar zahm, zwinkerte ihrem Bruder zu und ließ mich zeitgleich mit Jake los, nur um Lea kurz darauf ebenfalls meiner Bestimmung zuzuführen.

Ein sattes „PLUNSCH“ war das Letzte, was ich vor meiner Kollision mit dem Gewässerspiegel hörte.
Ein etwas helleres „PLÜNSCH“ war das Erste, was ich hörte, als ich prustend wieder an die Oberfläche brach, kurz danach gefolgt von einem „Dämliche Tubse!....und du Peter Jakob de Ladd pass bloß auf, dass du nicht ein Paar Rasierklingen in deinem Abendessen findest!“
„Ich dachte Alley kocht heute“, bemerkte P.J lächelnd.
„Ach und du glaubst das würde was ändern?“, brummelte ich, während ich mir eine lange, sattgrüne Alge aus dem Haar zupfte.
„Sie ist eindeutig zuviel mit der Hardcore-Hexe hier zusammen!“
Victor deutete auf Jakes Schwester, die auf die Böschung zudonnerte.
„Langsam färben ihr gewalttätiges Verhalten und ihre aggressive Denkweise auf meine kleine Alley ab!“
„Wenn dem so wäre“, schrie es hinter mir, „Wärst du JETZT bereits eine HOMOgene Hackfleischmasse und nicht erst in zwölf Sekunden!“
„Oh, schau mal, diese impressionistischen Wolken.“
„Cam, was redest du da?“, wollte ich, mit bereits abgekühltem Gemüt, wissen.
„Ich finde es sieht herrlich aus. Geradezu pittoresk“, pflichtete ihm P.J bei.
Lea hatte nun das Ufer erreicht und warf mir einen verdatterten Blick zu. Selbst sie schien nicht so wütend zu sein, wie es ihr Gebaren hatte vermuten lassen.
„Cam, Lieber, würdest du das eher als Saharablau oder Indigobeige bezeichnen?“, holte ihr Bruder die Meinung seines Freundes zur Farbe von Was auch immer ein.
„Sind sie jetzt völlig verdummt? Was ist los?“
Ich zuckte als Antwort ratlos mit den Schultern.
„Brunft?!“
„MÄNNER!“, wiederholte Lea ihr Mantra mit dem üblichen herablassenden Abscheu, drehte sich dann, immer noch triefend, herum und stiefelte zurück in Richtung Haus.
Ich folgte ihr in respektvollem Abstand.

Widererwarten hatten alle Beteiligten das Abendessen ohne lebensgefährliche Zwischenfälle überstanden.
Lea hatte sich gerade ein letztes mal erhoben um uns mit ihrem selbst gezauberten Nachtisch endgültig den Rest zu geben.
„Ich wette morgen landen wir im Ofen ihres Pfefferkuchenhauses“, stöhnte Victor.
„Und wenn schon“, gab ich zurück, halb unter dem Tisch versunken und den Reisverschluss meiner Jeans bereits geöffnet um dem ausgezeichneten Mahl, den Platz zu bieten, den es nun etwas oberhalb meiner Hüften einforderte. „Das wäre es wert!“
„Wieso? Was gibt es denn zum Dessert?“, erkundigte sich Jake etwas träge.
„Schokoladencreme mit Himbeeren…oder so“, antwortete ich, sicher nicht ohne ein Leuchten in den Augen.
„Nein, Nein, Nein“, verbesserte mich Cam, „Du sprichst das falsch aus. Das heißt Hümbeeren! Ü!“
„Wenn dann Hymbeeren. Ein Ypsilon hat wenigstens noch Stil“, protestierte ich erlahmend.
„Wie dümmlich sieht denn Hymbeeren geschrieben aus!? Stell dir mal vor Jemand verliest sich! Stell dir mal vor er liest….Hymenbeeren oder so!“
„Boah Victor du kannst manchmal so eklig sein!“
„Dann kann ich doch bestimmt deinen Nachtisch haben“…“Wäre wahrscheinlich eh besser für dich“, fügte er nach einem Prüfenden Blick unterhalb der Tischkante hinzu.
„Ich hasse dich!“, sagte ich süßlich.
„Ich dich auch“, gab er zurück.

„Uuuuh, Ich werde nie wieder etwas essen“, waren meine letzten Worte, bevor ich mich ungebremst und bedenkenlos auf die weiche Matratze fallen ließ und das Bettgestell kurzzeitig zum ächzen brachte.
„Danke, dass du heute doch das Kochen übernommen hast. Es war wunderbar!“
Lea lächelte mir über die Schulter gewandt zu während sie, schon in ein zartes, flatterndes rosé Nachthemd gehüllt, das sie nun endgültig zu einer Porzellanfigur machte, ihren CD-Player einschaltete.
Ihre Antwort wurde von einer Zarten leicht melancholischen Melodie untermalt.
„Danke“
Sie lächelte.
„…aber die Jungs können wirklich von Glück reden, dass sie nicht Bestandteil des Hauptgerichtes waren.“
Auch ich lächelte.
„…hier!“, sie deutete mit ihrer kleinen Hand auf die Lautsprecher.
„…das ist alles wozu sie gut sind! Musik!“
Ich konnte mir ein Seufzen nicht verkneifen und das „Wenn es nur so einfach wäre“, erkannte die Gunst der Stunde und folgte dem Laut ungefragt in die Freiheit.
„Waaaas?“, Leas Augen blitzten sofort auf als sie sich, nun hellhörig geworden, neben mich auf das Bett setzte.
Das eine Bein wie zum Schneidersitz angewinkelt, das Andere leicht angestellt und mit den Armen umschlungen, wirkte sie so kindlich wie ich sie noch nie erlebt hatte.
Die Neugier in ihrem Gesicht tat ihr Übriges um sie scheinbar Zehn Jahre zu verjüngen.
„Gibt es da etwa was, was du mir erzählen möchtest?!“, setzte sie eher voraus als zu fragen.
„Naja…“, wand ich mich in dem Versuch diesem Gesprächsstoff noch auszuweichen.
Die Störung durch P.J, der plötzlich mit der Tür in den Raum fiel kam mir daher wie gerufen.
„Hi Ladies“, grinste er, nachdem er durch seinen eigenen Schwung überwältigt, gestrauchelt war und sich wenig elegant, doch effektiv gerettet hatte.
„Jake!“, tadelte seine Schwester.
„…Mach dich dünne! Wir reden gerade!“
Blöderweise schien nun auch seine Neugier geweckt.
„Ach?!“
Interessiert kam er näher.
Das fehlte noch. Zwei interessierte Zuhörer.
„Ähm…Mädchengespräche“, versuchte ich es.
„Genau“, pflichtete mir meine Zimmergenossin bei.
„Das ist nichts für kleine Jungs wie dich. Aber du könntest ja Cam vorbei schicken.“
„Ich bin nicht klein“, widersprach P.J.
Dann zog er einen Schmollmund und nahm seinem Protest damit auf seltsame Weise die Glaubwürdigkeit.
„Ich will es auch hören!“
Lea atmete hörbar aus.
„Jake, das willst du nicht. Unser Gespräch ist nur eine Mischung aus Insiderinfos über Menstruation und Schuhe kau….“
Bei den Details war unser ungebetener Besuch sofort aufgesprungen und hatte versucht möglichst unauffällig und gleichzeitig fluchtartig den Raum zu verlassen.
„Sie sind doch sooo leicht zu durchschauen“, freute sich Lea.
Wieder sah sie auffordernd zu mir.
„Und?!“
Ich beschloss, dass es einfach nicht zu vermeiden war ihr die Wahrheit zu sagen und früher oder später müsste ich sowieso mit Irgendjemandem darüber reden, sonst würde es meine geistige Gesundheit noch zersetzen wie Cola den Zahnschmelz. Außerdem war sie genauer betrachtet meine einzige Freundin. Zumindest die einzige, die für eine solche Unterhaltung in Frage kam. Der Zeitpunkt war ebenfalls adäquat. Wir waren allein, entspannt und vollgefressen. Der leicht deliriumähnliche Zustand in dem wir uns befanden war ideal für offene Gespräche. Warum also nicht?!
Irgendein Teil von mir mahnte mich dennoch aus unerfindlichen Gründen vorsichtig an die ganze Sache heranzugehen und nicht gleich alles zu erzählen.
So beschloss ich zuerst mich aus meiner defensiven Position zu befreien, indem ich eine Frage stellte.
„Sag mal…wie ist das als Vampir? Kann man sich immer noch…na du weißt schon…verlieben und so?“
Sie wirkte ein wenig überrascht. Gut so.
„Naja… wenn man unsere Eltern und so betrachtet…also wir können Liebe empfinden. Freundschaft geht ja schließlich auch, genau wie das ganze andere Zeug. Also…schon. Sicher.“, sie nickte zur Bekräftigung ihrer Aussage.
„Warst du denn schon mal verliebt? Also so richtig?“, forschte ich weiter.
„Hm…so richtig? Sowas passiert ja nicht oft. Verknallt war ich häufiger aber richtig verliebt?...“, sie starrte auf einen imaginären Punkt und machte den Moment zu einer Flashbackszene aus einem Mittelklassefilm.
„Ein einziges mal. Und „war“…na ja…ich glaube man kommt über so was nie wirklich hinweg“
Toll! Aufbauend!
Ich versetzte meiner inneren Stimme einen Schlag.
Jetzt ging es ganz offensichtlich nicht mehr um MICH und MEINE Gefühle.
„Wer war er?“
Es dauerte einige Sekunden bevor sich meine Frage den Weg in ihr nebulöses Bewusstsein gekämpft hatte.
„Oh er war…er war großartig“, sie pausierte als müsse sie eine lange verdrängte Erinnerung zurück ans Licht holen.
„Er war stark und sehr schön und gefährlich charmant. Er wusste immer genau was ich hören wollte und wann er mich in den Arm nehmen musste…“, erzählte sie mit einem träumerisch verklärten Gesichtsausdruck, der so gar nicht zu ihren sonst so wachsamen Zügen passte.
Ihre Worte erinnerten mich an Etwas. Jemanden.
Stark.
Schön.
Charmant.
GEFÄHRLICH charmant.
Ich tastete mich weiter vor.
„Woher kanntest du ihn?“
„Ich kenne ihn noch aus der Zeit in der wir noch nicht in Dallenton gewohnt haben. Vor fast dreizehn Jahren, also als wir gerade…anders…geworden waren, lebten wir in Marbleise. An einem dieser typischen trüben Herbstmorgen habe ich einen langen Spatziergang gemacht. Ich musste über diese ganze Vampirgeschichte nachdenken. Darüber was sich jetzt für mich ändern würde, wie meine Zukunft nun aussehen würde.“
Ihre sanfte Stimme zeichnete klare Bilder in meinem Kopf und ich sah ihre zierliche, in ein flatterndes weißes Gewandt gekleidete, Gestalt mit wehendem Goldhaar wie in einer Austenverfilmung, an einem bunt belaubten Wald vorbei eilen. Die kleinen Arme fröstelnd um ihren schlanken Körper geschlungen und das Gesicht melancholisch nachdenklich unter einer sorgenvoll gerunzelten Stirn.
Ihre weiteren Ausführungen ließen die Lea in meinem Kopf noch etliche Schritte weiter laufen, bis sie schließlich abrupt innehielt, da sie mit ihrer neu erlangten Sinnesschärfe ein Geräusch wahrgenommen hatte, das nicht natürlicherweise in ihre Umgebung passte.
Langsam drehte sie sich um neunzig Grad und marschierte dann entschlossen waldwärts.
Mit unfassbarem Geschick und atemberaubender Geschwindigkeit zischte sie durch das Unterholz.
„…und plötzlich hab ich seine Stimme hinter mir gehört.“, berichtete sie.
Mir entging nicht dass ihre Arme und Beine von einer leichten Gänsehaut überzogen waren.
„Was hat er gesagt?“, fragte ich mit nun kaum noch verhohlener Neugier.
„…Du hast gewonnen.“
„Was?“
„Das hat er gesagt“, bestätigte sie.
„Was soll das denn für ein Anmachspruch sein?“
In meinem Kopf düdelte die Melodie von Saybias I surrender, während ein schattiger Schönling meiner Gedanken-Lea diese drei Worte zuflüsterte.
„Ich wusste damals auch nicht was er meinte“, gab sie zu.
„Aber wie er es gesagt hat…er hat mir das Gefühl gegeben das ich tatsächlich Etwas gewonnen hätte. Es fühlte sich sehr persönlich an…ich weiß nicht wie ich es erklären soll…“
Ich nickte jedoch bereits, da ich mir eine Vorstellung davon machte, was es in mir ausgelöst hätte diesen Satz, gesprochen von einer klaren schmelzenden Stimme, zu hören.
„Was ist dann passiert?“, wollte ich begierig wissen.
„Ich habe mich natürlich umgedreht…“
„Was hast du gesehen?“, platzte ich dazwischen, die Bettdecke mittlerweile fest umklammert.
„Das…wunderschönste, geheimnisvollste und grünste Augenpaar überhaupt“
Wow…diese Story war sogar noch viel kitschiger als meine heiß geliebten Romane und die Realität machte das ganze noch viel spannender.
„Und dann?“, ich hatte den Stoff so fest mit der Faust umschlossen, dass meine Knöchel weiß hervor traten.
„Standen wir einfach da“, sagte sie an einen unbestimmten Adressaten gewandt.
„Er war keine Hand breit entfernt und starrte mich einfach an. Ich kann nicht sagen wie lange es wirklich dauerte aber mir kam es wie eine Ewigkeit vor….Dann flüsterte er mir zu ich solle mir nicht so viele Gedanken machen und es würde für mich alles nur besser werden und dann…“
„Ja?“, ich konnte ihre Antwort kaum abwarten.
„dann verschwand er wieder im Wald“
Mir fiel die Kinnlade herunter.
Etwas, das ich noch für Enttäuschung hielt, nagte an mir.
„Das kann es doch nicht gewesen sein!“, protestierte ich.
„Natürlich war es das nicht.“, entgegnete Lea.
„Am nächsten Tag ging ich wieder in den Wald…“
„Das hätte ich auch getan“, unterstützte ich sie.
„Erst dachte ich er wäre nicht da aber natürlich war er es doch. Er war jedes einzelne Mal dort. Eigentlich war er immer bei mir…“
Ich schaltete langsam.
„Er war also auch einer von euch“, stellte ich fest.
Ihr Gesicht veränderte sich. Das neblige in ihrem Blick blieb, doch das positiv träumerische wandelte sich zu etwas düsterem.
„Ja“
Ich war unschlüssig ob ich weiter graben sollte, wurde jedoch von meiner Neugier getrieben.
„Warum hat es mit euch nicht gehalten?“
Sie sah mich an, plötzlich wieder mit der gewohnten Klarheit.
„Sagen wir…wir hatten unterschiedliche Wertvorstellungen“
Ich spürte, dass das Thema für sie damit beendet war.
„Und jetzt erzähl schon wer es bei dir ist!“, forderte sie.
„Ach…niemand“
Ich wollte ihr partout nicht sagen um wen sich meine Gedanken täglich wanden.
„Das kaufe ich dir nicht ab!“
Was nun?
In mir ratterte es.
„Sag schon!“
Was sollte ich bloß sagen?
„Okay dann eben auf die harte Tour!“, blitzschnell schossen ihre Hände zu meinem Bauch und starteten somit eine gnadenlose Kitzelattacke.
Ich wand mich quietschend und lachend.
Nach einem so opulenten Essen war dieses Gekabbel jedoch eine regelrechte Tortur.
„Bitte hör auf“, flehte ich jappsend zwischen meinem Gelächter.
„Erst wenn du mir sagst wer es ist!“
Sie war unerbittlich.
Schließlich klickte es in meinem Kopf, allerdings wohl eher in Form eines Kurzschlusses, denn als ich die Antwort aus meinem Mund kommen hörte war ich selbst erschrocken.
„Es ist P.J!!!“
Sofort stoppte sie ihren Übergriff.
„Ist das dein Ernst?“
„Ja!“, antwortete ein Teil von mir (den ich später ein Stücke reißen würde) ohne Zögern.
„Nun…“, sie wartete einen Moment in dem sie sich fing.
„ehrlich gesagt hatte ich schon die ganze Zeit so ein Gefühl…“
Meine Augen mussten gerade die Größe von Untertassen erreicht haben.
„Warum bist du so überrascht?“
„ähm…ich dachte nicht, dass es so deutlich wäre“
Jetzt war ich bereits zu weit auf dem Pfad der Lüge gewandert um umzukehren und außerdem ersparte er mir wenigstens den der Wahrheit.
„Oh, keine Angst…er checkt eh nichts“, versuchte sie mich zu beruhigen.
„Ja…zum Glück“, antwortete ich mechanisch.
„Soll ich dir ein bisschen helfen mit ihm?“, bot sie sich an.
„Um Gottes Willen, Nein!“, lehnte ich mit heftiger Gestik ab.
„Stell dich nicht so an! Ich werde ganz subtil vorgehen!“
„Nein, Lea, wirklich nicht!“
Sie sah mich enttäuscht an.
„Na gut. Dann eben nicht.“
Aber etwas in ihrer Stimme sagte mir, dass sie es nicht dabei bewenden lassen würde.
„Was findest du eigentlich so toll an ihm?“, bohrte sie nach.
„Ich bin müde, ich werde jetzt schlafen!“, das Gespräch hatte sich in eine völlig unverhoffte und nicht gerade angenehme Richtung entwickelt. Also entschied ich, dass es das Beste wäre es an dieser Stelle schnellstmöglich zu beenden, was sich jedoch als nicht so einfach erwies.
Nach weiteren zwanzig Minuten hatte ich es endlich geschafft sie abzuwimmeln und glitt in einen unruhigen Schlaf, begleitet von Träumen in denen ich in einem weißen flatternden Gewandt durch einen Herbstwald lief, bis ich eine Stimme vernahm, mich umdrehte und in eine unendlich tiefes, geheimnisvolles, strahlend blaues Augenpaar blickte.

Das Brummen meines Handys, das auf dem Nachttisch vibrierte weckte mich am nächsten Morgen.
Durch die beiden Fenster des kleinen Zimmers fiel helles Sonnenlicht herein und es ließ sich ein überaus blauer Himmel hinter den Glasscheiben ausmachen.
Verschlafen tastete ich nach meinem Mobiltelefon und drückte auf einen kleinen Knopf, rechts oben im Bedienfeld.
„Hallo?“
Nichts.
Dann Knackte die Leitung und die Verbindung wurde beendet.
Ich stöhnte, warf den Hörer zurück auf das Tischchen und drehte mich auf die andere Seite.
Sonst war das Bett leer.
Lea war offensichtlich bereits auf den Beinen und dem Plätschern zu meiner Linken nach zu urteilen gerade unter der Dusche.
Wenn ich mich richtig an die Pläne von gestern Abend erinnerte stand mir ein Aktionsreicher Tag bevor.
Wir wollten uns die namensgebende Höhle von Grimountcove ansehen, danach irgendwo etwas zu Mittag essen und schließlich die „Stadt“ unsicher machen bis wir den Abend gemütlich mit ein Paar Filmen ausklingen lassen würden.
Eine gute Vorstellung. Ein guter Start.

Als ich nach der Morgentoilette an der Seite meiner Zimmergenossin schließlich auf die Terrasse in den Sonnenschein hinaus trat wurde der Tag noch ein wenig besser.
Vor uns lag ein komplett gedeckter Frühstückstisch inklusive frischer Brötchen, heißem Kaffee und ein Paar Blümchen in einem Glas.
„Das ist eine kleine Entschuldigung wegen der Seegeschichte gestern“, begrüßte uns Cam der gerade hinter uns nach draußen getreten war.
„Und ein Dankeschön für das einmalige Abendessen“, ergänzte Jake, der ihm gefolgt war.
Lea und ich tauschten einen verblüfften Blick, setzten uns dann aber und begannen gemeinsam mit den beiden Herren zu essen.
„Wir haben sogar extra die Brötchen geholt“, berichtete P.J stolz.
„Ihr hättet das sehen sollen“, begann Victor, sachlich wie üblich.
„Vor dem Bäcker war eine Traube von fünfzehnjährigen Mädchen um ihn geschart.“
„Er ist halt ein Schmucker“, sagte Lea unbeeindruckt.
„Nicht wahr, Alley?!“
Oh nein!
Ich verschluckte mich prompt an einem Stück Nutellabrötchen und begann zu husten, was Lea ihrerseits wieder (fehl!) interpretierte.
„Aber ich sehe doch wirklich nicht aus wie fünfzehn!“, maulte Jake.
„Nein natürlich nicht!“, pflichtete ihm Cam bei.
„Die meisten Menschen würden dich wahrscheinlich auf dreizehn schätzen!“
„Ich zeige lieber die nächsten fünfhundert Jahre meinen Ausweis als dauernd im Internet zweideutige Angebote von Ü50 Männern zu bekommen…“
„Jungs!“, schaltete ich mich ein.
„Kein Streit! Der Tag fing so schön an. Ich habe lange geschlafen und hatte eine Menge Morgen AA“
Ich spürte, wie sich unmittelbar sechs verständnislose Augen auf mich richteten.
„Was denn? Habt ihr etwa nie Helden in Strumpfhosen gesehen?!“, verteidigte ich mich.
Ihrem entsetzten Starren nach zu urteilen hatten sie es nicht.
„Mensch ich freue mich auf die Höhlentour“, wechselte Lea unvermittelt das Thema.
„P.J, du gehst mit Alley und ich mit Cam.“
Ich verdrehte kaum merklich die Augen.
„Pass gut auf sie auf Jake! Sonst verlüft sie sich noch, und wer weiß was sie dort schreckliches findet“, fügte meine übereifrige Tischnachbarin hinzu.
Soso.
Subtil wie?!
Victor wandte sich an mich.
„Glaub mir, Sie wäre das Schrecklichste dort drin!“
„Kannst du es wirklich verantworten, dass Schulklassen vom Anblick deines in der Höhle liegenden Leichnams traumatisiert werden?“, zischte sie.
„Uh, jetzt verstehe ich was du meinst.“, gab Jake Cam zu verstehen.
Bevor ich mich an der weiteren Unterhaltung beteiligen konnte läutete mein Telefon erneut.
„Ja?“, fragte ich den Anrufer.
„Spreche ich mit Miss Adler?“, fragte eine Stimme, die einen unweigerlich an ein zerfurchtes altes Gesicht denken ließ.
„Ja das tun sie. Was gibt es denn?“
„Hausverwaltung Wade hier. Ich habe schlechte Neuigkeiten“
Das war ja so klar. Einfach mal ein Tag an dem nur gutes passierte war wohl zuviel verlangt.
„Was ist denn passiert?“
„Miss Adler in ihrer Wohnung ist ein Wasserrohr explodiert…“
„Es ist WAS? Welches Wasser?....Ich hoffe doch stark dass es die weniger schlimme Art von Wasserrohr war!“, teilte ich aufgebracht mit.
Die anderen hatten ihre Tischkonversation beendet und versuchten aus meinen Antworten die andere Hälfte des Gespräches zu erschließen.
„Nun es ist nicht die Abwasserleitung gewesen falls sie das meinten.“, antwortete mein Gesprächspartner etwas verdattert.
„Na Gott sei Dank!“
„Allerdings wäre es dennoch wichtig, dass sie herkommen und sich das Ganze selbst mal ansehen und von ihren Sachen retten, was noch zu retten ist.“
Das klang ganz und gar nicht gut.
„Ist es denn so schlimm?“, erkundigte ich mich, obwohl ich bei meinem Glück die Antwort bereits kannte.
„Naja es ist…ein wenig haarig.“
„Alles klar. Ich kann frühestens heute Nachmittag zurück sein.“
Ich resignierte.
Ein wenig Ruhe und Entspannung war mir wohl einfach nicht vergönnt.
„Gut. Melden sie sich dann am besten bei ihrem Hausmeister. Er wird ihnen alles zeigen und ihnen das mit der Versicherung erklären.“
Ich seufzte.
„Na schön. Ich danke ihnen. Aufwiederhören.“
„Tschüss“
Ich drückte den roten Hörer.

„Und du bist ganz sicher, dass wir nicht mitfahren sollen?“, erkundigte sich Lea noch einmal, als wir bereits auf dem Bahnsteig von Grimount standen.
„Nein, wirklich. Das ist okay Leute, da kann Niemand was dafür. Genießt die restlichen Tage hier“, gab ich zurück.
„Nun gut. Aber du rufst uns an sobald es Probleme gibt, klar?!“, ermahnte mich Cam, bevor ich in den Zug stand, der sich bereits seit einigen Minuten im Bahnhof befand.
„Ja doch.“
Jake reichte mir meine Tasche.
„Wir machen ein Paar Bilder für dich“, lächelte er tröstend.
„Ich danke euch! Ihr seid einfach großartig.“
Dan winkte ich ihnen noch einmal zu, nahm mein Gepäckstück und schob mich durch die schmalen Gänge des Wagons bis ich einen Platz gefunden hatte, der mir zusagte.
In Fahrtrichtung am Fenster mit genügend Beinfreiheit und Platz um sich auszubreiten, den ich auch ohne schlechtes Gewissen nutzen konnte, da die Bahn sowieso kaum gefüllt war.
Und dafür hatte ich mir also tagtäglich diesen Idioten bei Pam’s ansehen dürfen?!
Die Liebe zu meinem Leben schien sehr einseitig zu sein.
Zum dritten mal an diesem Tag erklang das charakteristische Summen meines Nokias.
Unbekannter Teilnehmer.
Dennoch nahm ich, völlig entgegen meiner Gewohnheit ab.
„Hallo?“
Wieder nichts.
Knack.
Die Verbindung wurde beendet.
Sehr schön! Jetzt hatte ich auch noch einen kranken Stalker!
Ich stöhnte leise, ergriff dann meinen MP3Player und die Monstertüte Gummibärchen, die ich für die fahrt erworben hatte, schaltete mein Telefon ab und richtete mich so auf die sechs Stunden Fahrt ein.
Kaum hatten sich die ersten Töne von Control in Schwingungen manifestiert, setzte sich das Gefährt in Bewegung und kaum hatten wir den nächsten Bahnhof erreicht war ich auch schon ins Reich der Träume geglitten.




Hey there,
okay, dieses Kapitel kam auch nicht gerade express, aber immerhin schneller als das Letzte ;)
Ist halt gerade viel los bei mir.
Ja hier also die Acht mit einer Meeeeeenge Alley und Pat Zeugs drin.
Ich vermisse meine Nebencharaktere richtig. Naja....die Neun, die Neun :]
Viel Spaß...ich freue mich auf eure Eindrücke!



Als das Ortsschild einer unbedeutenden Provinzstadt an meinem Fenster vorbeizog erwachte ich.
Meine Glieder waren steif von der ausgesprochen ungesunden Position in der ich eingenickt war. Ich konnte nichts dagegen tun, auf Reisen schaltete mein Körper automatisch auf Standby.
Ich hatte fast die volle Strecke mit geschlossenen Lidern verbracht. Nun waren es bloß noch wenige Minuten bis zum Dallentoner Hauptbahnhof.
Noch etwas unkoordiniert sammelte ich die verstreuten Gummibärchen vom Sitz neben mir.
Im Schlaf musste ich eine regelrechte Orgie mit der Tüte gefeiert haben, denn ich entdeckte weitere Gummitiere auf den Plätzen vor mir, im Gang und sogar im Gepäcknetz über mir hingen ein paar einsame Bärchen.
Peinlich.
Mit meiner fleischlichen Hülle würde ich später ein Wörtchen zu reden haben.
Gerade hatte ich alle meine Hinterlassenschaften beseitigt, da verlangsamte sich der Zug auch schon.
Sechzehn Uhr, verkündete ein Lautsprecher.
„Nächster Halt: Dallenton“
Erleichtert griff ich meine Tasche, sprang auf und postierte mich vor der Tür.
Eine dumme Angewohnheit. Ich hatte immer Angst nicht rechtzeitig aus dem Zug zu kommen.
Dann endlich kamen die Räder quietschend zu stehen.
Die Tür des Wagens öffnete sich und ich sprang hinaus auf den Bahnsteig.
Auf seltsame Art und weise war ich erleichtert wieder hier zu sein und nicht nur weil das bedeutete, dass ich die strapaziöse Zugfahrt überstanden hatte.
Fast entspannt lief ich durch die Unterführung, durchquerte die Bahnhofshalle und erreichte schließlich den Vorplatz.
Etwas, das ich aus dem Augenwinkel wahrnahm ließ mich innehalten.
Im Schlagschatten des Bahnhofsgebäudes erkannte ich einen schwachen schemenhaften, aber charakteristischen Umriss.
Pat.
Entschieden schritt ich weiter aus als ich meinen Weg fortsetzte. Sollte er doch zur Hölle fahren.
Ich bog um eine Ecke und befand mich nun auf einer schmalen Straße, die direkt zu mir nach Hause führte.
Es dauerte allerdings keine dreißig Meter bis ich schnelle Schritte hinter mir hörte.
Entnervt blieb ich stehen und wandte mich um.
„Na endlich!“, brummelte Patrick.
„Was willst du?“, keifte ich, drehte ihm jedoch bereits wieder den Rücken zu und lief erneut los.
„Bleib sofort stehen, Alley!“, befahl eine eisige Stimme, die mich jedoch nicht mehr zu schocken vermochte.
Nicht zum ersten Mal bemerkte ich trocken, dass ein Mann der so aufsehenerregend gut aussah, wie dieses Exemplar keinen anständigen Charakter haben konnte, da er ohne Zweifel seit frühesten Kindertagen verzogen worden war.
Ich ignorierte ihn.
Dann stand er plötzlich in meinem Weg.
„Okay…Alley, warte mal…“, er raufte sich sein nachtschwarzes Haar, was mich fast verrückt machte.
Unter seinem geöffneten Karohemd trug er ein enges Shirt. Der Stoff schmiegte sich dicht an seine Silhouette, sodass sich acht kleine Bauchmuskelhügel unter dem Gewebe abzeichneten. Er sah einfach immer noch verboten gut aus.
Dieser Umstand machte es mir nicht gerade leicht meinen Blick abzuwenden und mich an ihm vorbei zu schieben.
Den restlichen Weg lief ich beinahe, aus Angst er würde mir folgen.
Völlig sinnlos wenn man bedachte, dass er ohnehin ungleich schneller sein konnte als ich in meinen kühnsten Vorstellungen. Doch glücklicherweise hatte er die Verfolgung aufgegeben.
Was wollte er nur schon wieder von mir? Um Verzeihung bitten um sein Gewissen zu erleichtern?
Unmöglich! Er besaß gar nicht so etwas wie ein Gewissen.
Neben meinen Überlegungen kramte ich in meiner Tasche nach dem Haustürschlüssel.
„Ich wollte mich bloß entschuldigen!“
Ich fuhr so heftig zusammen, dass ich meine Tasche fallen ließ.
Wie aus dem Nichts aufgetaucht lehnte Pat im Türsturz.
„Lass mich vorbei!“, forderte ich.
„Erst wenn du mir zugehört hast“, erwiderte er.
Ich reagierte nicht, versuchte nur nicht in seine Augen zu sehen.
„Es tut mir Leid!...Das im Café hätte ich nicht machen sollen.“
Noch immer sagte ich nichts.
Er wollte sich tatsächlich entschuldigen! Warum?
„Ich hab zweimal versucht dich anzurufen aber…“
Er war also der unbekannte Teilnehmer.
Warum hatte er aber jedes Mal aufgelegt wenn ich abgenommen hatte?
Dann erklangen Schritte im Hausflur.
Nun sah ich ihn doch an und sofort sogen seine Huskyaugen meinen Blick an. Sie waren ernst, jedoch nicht kalt.
Immer noch war ich stumm.
Nach weiteren kurzen Momenten in denen sich die Schritte der Haustür genähert hatten, runzelte er die Stirn und ging ohne Abschied einfach an mir vorbei.
Hatte ich es zu weit getrieben?
Hätte ich ihm verzeihen sollen?
„Ah, da sind sie ja Miss Adler, tut mir sehr Leid, dass wir sie aus ihren Ferien holen mussten.“, meinte Wade, der Hausmeister und ergriff meine Tasche.
„Kommen sie, das trage ich. Wir sollten uns ihre Wohnung mal ansehen.“
Meine Gedanken galten einem völlig anderen Thema, dennoch folgte ich ihm.

Als er die Tür zu meiner Behausung aufstieß war ich jedoch schlagartig wieder bei der Sache.
Das neu verlegte Laminat war aufgequollen und wellte sich gen Himmel, die Sockelleisten folgten diesem Schema.
Der helle Sandton der Wände wurde gute zehn Zentimeter über dem Boden von einem matschigen Braun abgelöst und in der Ecke, in der das Rohr offensichtlich gebrochen war, hatte die Raufasertapete auf der Gesamten Höhe eine schmutzige Farbe sngenommen.
Natürlich hatte der Wasserlauf direkt über meinem brandneuen Bett seine Sollbruchstelle eingerichtet, weshalb die Matratze ein wenig einladendes „Pwscht“ von sich gab, als ich sie probeweise drückte.
Alles in allem war mein neues Heim ein völliges Trümmerfeld.
Entsetzt starrte ich Wade an.
Sein Interesse schien jedoch auf etwas anderem zu liegen.
Ich folgte seinem Blick und landete auf meinem Nachttisch, genauer gesagt auf einem ziemlich durchweichten Exemplar von „stürmische Leidenschaft“.
„Ahhhh Schundroman!“, schrie mein Hirn.
Dicht gefolgt von: „Ahhhh Bibliotheksbuch!“
Mein Gegenüber grinste anzüglich, was in seinem Alter und dieser Situation eine wirklich pathetische Geste war. Entschieden riss ich das Buch an mich.
„Das bezeichnen sie in der Firma als ‚ein wenig haarig’?!“, fuhr ich ihn an.
„Das ist die Katastrophe schlechthin! Was mache ich denn jetzt?!“, ich war hart an der Grenze zur Hysterie als der Hausmeister unbeeindruckt ruhig antwortete.
„Jetzt, Miss Adler, bekommen sie ein Paar Kartons und wir retten was zu retten ist. Naja und dann werden wir die Wohnung auf Kosten der Versicherung sanieren.“
„Sanieren? Und wie lange soll das dauern?“
Er zuckte die Schultern.
„Da sie die Wohnung brauchen, werden wir versuchen es express durchzuziehen. Daher würde ich vielleicht Zwei Wochen veranschlagen.“
Mir fiel die Kinnlade herunter.
„Zwei Wochen!“
Er nickte.
„Und wo soll ich in der Zeit hin?“ Meine Stimme war ob der Aufregung nun fast ein Quietschen.
„Sie haben doch bestimmt irgendwelche Bekannten oder Verwandten hier!“, schlug Wade vor.
„Sind alle im Urlaub“, antwortete ich knapp.
Er sah mich mit einer Mischung aus Mitleid und Unglaube an.
„Das sind sie wirklich!“, fauchte ich.
„Aber sicher, Miss.“
Ich versuchte ihn mit Blicken zu erstechen.
„Nun, überlegen sie doch noch ein bisschen. Ich werde mal die Kartons besorgen.“
Zufrieden stellte ich fest, dass er recht hastig davon ging.
Ich seufzte und wandte die Augen zur Decke.
„Warum hasst du mich so?!“, fragte ich die Welt im Allgemeinen.
Eine Antwort bekam ich nicht, doch dafür klingelte mein Handy.
Wieder eine mir unbekannte Nummer.
Der hatte vielleicht Nerven!
„Lass mich gefälligst in ruhe du Psychopath“, fuhr ich den vermeidlichen Patrick an.
„Auch schön deine Stimme zu hören!“, vernahm ich eine belustigte Frau.
„Cadence?“
„Die einzig Wahre“, bestätigte sie.
„Wen hattest du denn erwartet?“
Schon wieder jemand der die falschen Fragen stellte.
„Ach…ähm, nur den blöden Eisverkäufer“, log ich überraschend glaubwürdig.
„Oh, wenn du willst kann ich Adam mal bei ihm vorbei schicken“, bot sie an.
Mir brach der Schweiß aus.
Angelo war zwar zu weit gegangen aber einmal dafür vermöbelt zu werden hielt ich für ausreichend.
„Das ist lieb, aber nicht nötig glaube ich.“
Zeit das Thema zu wechseln.
„Woher hast du überhaupt meine Nummer?“, wollte ich wissen.
„Cam hat gerade angerufen und von deinem kleinen Wasserrohrproblem erzählt und da dachten wir uns, du brauchst für eine Weile vielleicht eine Bleibe.“
In mir stieg ein leichtes Glücksgefühl auf. Anscheinend hatte ich die richtigen Freunde ausgewählt.
„Das ist super süß von euch, aber ich will euch nicht belasten. Ich gehe in eine Pension.“, lehnte ich ab.
„Was? Pension? Mach doch keinen Quatsch!“, widersprach sie vehement.
„Du kommst zu uns! In Zwei Stunden kommen wir um dich zu holen.“, beschloss Cadence.
„Ich…“, begann ich, wurde jedoch von einem mahnenden „Na na na“ unterbrochen und endete spontan mit „…danke euch. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie sehr ihr mir gerade das Leben erleichtert habt.“
Sie lachte wohlklingend.
„Danken kannst du uns später. Wir sehen uns um Sieben, Süße.“
Und um mir keine Gelegenheit zu lassen mich doch anders zu entscheiden legte sie auf.

Überpünktlich hatte es bei mir geklingelt und Cadence war auf mich zugestürmt, hatte mich in den Arm genommen und mir zugeflüstert ich solle mir keine Sorgen machen.
Hinter ihr war Adam über die Schwelle getreten, hatte mich ebenfalls gedrückt, während seine bessere Hälfte noch immer den Arm um meine Schultern geschlungen hatte und sich meiner Kisten angenommen.
Kaum eine Dreiviertelstunde danach war ich von meiner treusorgenden Freundin durch eine Tür in ihrem Loft bugsiert und unter der Versprechung eines baldigen Abendessens allein gelassen worden.
Nun stand ich in einem hohen Raum mit moderner Einrichtung, die von einem ausladenden Doppelbett mit grauer Tagesdecke dominiert wurde.
Meine Vier Kisten waren bereits links von mir in einer Ecke aufgestapelt.
Dann entschloss ich mich das Geheimnis der Tür gegenüber dem Schrank zu erforschen, was mich kurz darauf in ein umwerfendes Bad führte.
War schon der Rest des Appartements ausnehmend geschmackvoll, so war das der Sanitärhimmel. Der gut zwanzig Quadratmeter große Raum (der das Nebenzimmer somit an Fläche übertraf) schien von einem Ausbund an Stilsicherheit geplant und umgesetzt worden zu sein.
Ich starrte direkt auf eine monströse Ansammlung kleiner Fenster, die sich zu einem Riesigen zusammenschlossen.
In Kombination mit den roten Backsteinwänden bewahrte dies den Fabrikcharme der Immobilie.
Im Gegensatz zu dieser unpersönlichen und akkuraten Umrahmung stand die Einrichtung, die zwar ebenfalls geradlinig war, doch in Kombination mit den liebevoll arrangierten Details unglaublich gemütlich wirkte.
Das Highlight dieses Zimmers allerdings war die überdimensionierte Badewanne, die zu drei Seiten freistehend war.
Rings im Raum waren Teelichter in kleinen Glaswindlichtern verteilt und neben dem Waschbecken trohnte eine zart lila Orchidee über den zusammengerollten Handtüchern im Regal unter ihr.
Ich kam mir vor wie im Spabereich eines Luxushotels.
Ich konnte mich schon kaum daran erinnern, wann ich mir das letzte mal ein richtig ausgiebiges Bad gegönnt hatte. Das und die Tatsache, dass ich so schnell wieder auch keine Gelegenheit dazu haben würde ließen mich der Anziehung der Wanne erliegen.
Noch während ich mir einredete ich würde nur ins heiße Wasser sinken um die Nackenschmerzen, die ich mir als Souvenir von der Zugfahrt mitgebracht hatte, zu lindern, schloss ich auch schon genüsslich meine Augen und ergab mich der süßlichen Umarmung des fluffigen Schaumbades.
Ich spürte deutlich wie alle meine Poren vor Zufriedenheit seufzten und jede Zelle begeistert jubilierte.
Meine Muskeln verloren deutlich an Spannung und meine Steifheit verschwand von Minute zu Minute mehr.
Allmählich wurden auch alle Gedanken an geplatzte Rohre und Wohnungen in eine schillernde Seifenblase aus nebliger Entspannung eingeschlossen und stiegen auf.
Obwohl sie noch dicht über meinem Kopf zu schweben schienen waren sie doch ungreifbar weit entfernt, weshalb ich meiner Fantasiewelt einen neuerlichen Besuch abstattete.

Ich streifte gemächlich durch einen Park, gewärmt von den letzten Strahlen der Herbstsonne, die sich mit aller verbliebenen Kraft gegen den Einbruch eines langen Winters wehrte und deshalb umso verzweifelter schien.
Ein leichter Wind zerzauste meine Haare und trug Brocken entfernter Gespräche und Fetzen von Melodien zu mir.
Es roch nach gemähtem Gras und Erde.
Ein ruhiges, malerisches Szenario, das mich entfernt an Grimount erinnerte.
Unvermittelt wandte ich mich zurück.
„Verschwinde! Das ist MEIN Tagtraum!“, fuhr ich den hinter mir drein trottenden jungen Mann mit der Prozellanhaut an.
Er reagierte nicht.
Ich lief weiter. Schneller als zuvor.
Unverschämter Typ.
Jetzt wollte er sich auch noch meine Fantasie unter den Nagel reißen.
Nicht mit mir!
Angestrengt bemühte ich meine angegrauten Zellen und stand im nächsten Moment an einer einsamen Steilküste am Meer.
Die salzige Seeluft befreite meine Atemwege und der melancholische Gesang der Möwen Passte zur untergehenden Sonne.
Hinter mir kollerte ein Stein.
„Oh nein“ stöhnte ich.
Wieder fand ich mich an einem anderen Ort wieder.
Eine stille, schmale Gasse mit Kopfsteinpflaster an einem Sommerabend.
Über meinen Köpfen reihten sich etliche Papierlampions, so wie ich es in Zeitschriften über Asiatische Länder gesehen hatte.
Auch nach langer Zeit in der schier endlosen Straße war ich noch immer allein.
Erleichtert lief ich langsamer.
Meine Vorstellung gehörte wieder mir.
Noch oberhalb der Laternen brannten unzählige Sterne Löcher in den schwarzen Teppich des Nachthimmels und bannten meinen Blick.
Umso überraschter war ich, als mein Rücken urplötzlich hart gegen eine der Steinmauern schlug, was mir die Luft aus den Lungen presste.
Er kam mir zwar sonderbar und irreal vor, dennoch bestand kein Zweifel an seiner Identität.
Seine Augen strahlten unverändert. Sie waren kalt wie eh und je, seine Lippen hingegen waren es nicht.

Ich schreckte auf und musste husten, weil ich eine gehörige Portion des üppigen Seifenschaums inhaliert hatte.
Nachdem ich den Erstickungsanfall überwunden hatte war mir die Lust auf das Bad gehörig vergangen und so kletterte ich auf die Schieferfliesen und trocknete mich ab.
Der kleine Gedankenexkurs hatte ein seltsam hohles Gefühl in mir hinterlassen.
Eine Mischung aus Erregung, peinlicher Rührung, Leere und einer beunruhigenden Unsicherheit. Außerdem gab es da einen Teil in mir der wünschte, das eben erlebte Szenario wäre die reale Wahrheit und nicht irgendeine verschrobene aus einer Parallelwelt und ein Teil dieses Teils versuchte mir beharrlich weis zu machen, dass ich das sogar haben könnte.
Ich fühlte mich plötzlich so unwohl, dass ich den Drang verspürte mir sofort wieder etwas anzuziehen und mich zu Adam und Cadence an den Tisch zu setzen und über das Wetter zu reden.
Es war ein vertrautes sündiges Gefühl aus Kindertagen, als hätte man gerade Mutters Lippenstift benutzt, ihn versehentlich abgebrochen und zurückgestellt, in dem tiefen Wissen, dass das Vergehen spätestens am nächsten Morgen auffliegen würde.
Eine in diesem Moment völlig widersinnige Emotion, die ich allerdings nicht abzuschütteln vermochte.
Also gab ich meinem Verlangen nach und fand mich bald an einem langen Tisch aus polierter Eiche wieder.
„Und ich soll dir wirklich nicht helfen?“, vergewisserte ich mich mittlerweile zum fünften Mal.
Cadence verleierte die Augen.
„Nein, Alley, ich schaffe das schon.“
In dieser Sekunde betrat Adam die Kochzeile, legte seiner Freundin eine Hand auf die Hüfte und gab ihr einen Kuss.
„Oh, pass bloß auf“, wandte er sich mir zu, „Wenn du sie im Haushalt nicht machen lässt kann sie ein wahrer Drache werden“.
Dieser Spruch brachte ihm einen Klaps mit dem hölzernen Kochlöffel ein.
„Setz dich und sei dekorativ!“, grinste sie.
Er kam dem Befehl ohne Umschweife und, wie ich fand, sehr effektiv nach und platzierte sich mir gegenüber.
„Ich habe übrigens gerade noch mal mit Victor telefoniert.“
Ich blickte erwartungsvoll in seine so liebenswerten dunkelgrünen Augen.
„Da sie kommenden Dienstag wieder zurück sein werden ist zu erwarten, dass die deine Anwesenheit ab Mittwoch für sich beanspruchen werden. Das heißt, wenn meine Süße hier es zu lässt, wirst du in Vier Tagen in die Vorstadt umziehen.“
Ich nickte.
„Okay, das ist mir ganz lieb. Ich will niemandem zur Last fallen.“
Bei diesen Worten fiel mein Blick durch den hallenartigen Raum zu einem der Sofas, das ausgeklappt und mit Bettzeug versehen war.
Erst jetzt dämmerte mir wessen Bett und Badezimmer das eben gewesen waren.
„Ooooooh nein“, begann ich.
„Das kommt so was von überhaupt nicht in Frage, dass ihr zwei auf dem Sofa schlaft, während ich mich in eurem Bett breit mache!“
Adam gestikulierte wild, wohl um mir klarzumachen, dass diese Diskussion zwecklos wäre.
Cadence, die gerade eine Schüssel auf den Tisch stellte, seufzte.
„Eine derartige Auseinandersetzung hatten wir doch heute schon mal. Dein Widerstand ist völlig zwecklos. Adam und ich schlafen überall gut, nicht wahr, Schatz?“
Als sie sich umdrehte, tat er als hätte er sich seit er platz genommen hatte nicht gerührt.
„Natürlich!“
„Nein, diesmal lasse ich mich wirklich nicht umstimmen. Ich werde kein Auge zutun, wenn ich euer Schlafzimmer benutzen muss“, beharrte ich auf meinem Standpunkt.
„Alley, das ist doch…“
„Zwecklos Schwesterherz. Wenn sie will, kann sie genauso stur sein wie du. Ich spreche da aus Erfahrung“, unterbrach eine neue Stimme ihren Redefluss.
„’Tschuldigung. Hab mich selbst rein gelassen“, meinte Cairo, als Adam aufsprang und ihn begrüßte.
Etwas widerwillig ließ sich auch meine Gastgeberin einen Schmatzer auf die Wange drücken und während sie sich wieder an das Auftragen des Abendbrots machte. spürte ich die von der Nacht kalte Lederjacke ihres Bruders unter der Umarmung.
„Esst ihr oft gemeinsam?“, wollte ich wissen.
„Zu oft“, brummelte Cadence als sie die letzte Platte zwischen den Tellern postierte.
Cairo setzte sich.
„Gefühlte zweitausend mal im Monat. Tatsächlich sind es aber nur zwei bis drei, bei denen jedes Viertel Jahr auch Chuck mal vorbei schaut“, erklärte er.
Chuck war ihr älterer Bruder.
Wie er heute aussah konnte ich mir lebhaft vorstellen.
„Was macht er denn so?“, brachte ich das Geplänkel ins Rollen und konnte mich bald an mehr oder weniger belangloser Konversation erfreuen.

Gedankenverloren sah ich Adam und Cadence beim Abwasch zu.
Sie waren der Prototyp einer glücklichen Beziehung und ganz nebenbei die Gewinner in der Genlotterie.
Wenn man sie beobachtete, ihren liebevollen Umgang miteinander, wie sie sich ansahen und immer wieder flüchtig und unauffällig Zärtlichkeiten austauschten, konnte man voraussehen, wie es in den nächsten Jahren für Beide weitergehen würde.
Sie waren keines dieser aufdringlichen Pärchen, die ihr Glück vor allen Unbeteiligten ausbreiten und zur Schau stellen mussten und genau aus diesem Grund wünschte man ihnen auch ihre wahrscheinliche Zukunft.
Wenn Adam und Cadence nicht heiraten und bildhübsche Kinderchen bekommen würden, wäre es die reinste Verschwendung.
„Wie war dein Urlaub?“, erkundigte sich Cairo neben mir und holte mich ins Jetzt zurück.
„Ähm….’kurz’ würde ich sagen. Wir waren gerade einen Tag da, als sich irgendein dümmliches Wasserrohr in meiner Wohnung entschlossen hat zu platzen, weshalb ich ja jetzt auch wieder hier bin.“
Er sah mich mitfühlend an.
„Hm…erinnert mich an `sone Schnulze die neulich im Fernsehen lief“, informierte er mich.
Schnulze…
„Warte Cairo, jetzt muss ich dich einfach fragen!“
Ich senkte die Stimme.
„Bist du schwul?“
Er musste Lachen, hielt es jedoch gerade in einer Lautstärke, in der es von den Spülgeräuschen übertönt wurde.
„Oh Gott, nein!...Früher stand ich immer auf dich“, gab er zu.
„Auf mich?...Oh man hattest du ne komische Art das zu zeigen! Muss ich immer noch um meinen Lieblingshut fürchten oder…“
„Nein, ich bin da drüber weg“, versicherte er.
„Gut“, tat ich es ab.
„Warum hast du dann diese Schnulze gesehen?“
Er zuckte die Schultern.
„Hab durchgeschaltet und bin eben drauf hängen geblieben bis zur nächsten Werbung.“
„Ahja“, machte ich spöttisch.
Er ignorierte es.
„Und was hat das jetzt mit meinem Rohrbruch zutun?“, erkundigte ich mich.
„Ach in dem Film kam so was halt auch vor. Die Protagonistin war mit ihrem Neuen gerade im Urlaub und ihr Ex wollte sie anscheinend wieder bei sich haben. Da hat er ihr Heizungsrohr gekappt und ‚Voir la’ ist sie natürlich völlig realistisch prompt vom anderen Ende der Welt zurück in die Heimat geflogen um den Schaden zu Begutachten“, endete Cairo.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Auch mein Wasserrohrbruch war nicht zufällig und kein schlechtes Karma oder Schicksal.
Mein Wasserrohrbruch hatte einen Namen und sehr, sehr blaue Augen.

Rastlos drehte ich mich von einer Seite auf die Andere.
Dass ich keine Ruhe fand, lag allerdings nicht daran, dass ich meinen Willen, und somit das Sofa, bekommen hatte.
Die Ursachen dieses Problems lagen in einer mysteriösen Verbindung aus Neugier und Wut begründet.
Patrick musste einfach komplett durchgedreht sein.
„Und du ebenfalls, wenn du glaubst er hätte das getan um dich zurück zu holen!“, flüsterte mir eine kleine gehässige Stimme aus dem Unterbewusstsein zu.
„Das tue ich gar nicht“, zischte ich mir selbst entgegen. „Ich erwäge allenfalls die Möglichkeit, dass er eventuell irgendwie etwas damit zutun haben könnte.“
Ob ich mich in diesem Augenblick nun selbst belog oder nicht, machte keinen Unterschied.
Ich musste schnellstmöglich mit ihm reden und sei es nur um dem vorwitzigen hoffnungsvollem Teil meiner Selbst Einhalt zu gebieten, bevor er auch den Rest meiner Vernunft hinwegfegen und auf eine völlig falsche und mitunter schmerzliche Fährte lenken würde.
Seufzend setzte ich mich auf und tastete nach meinem Telefon, das ich auf einer der Armlehnen der Rindsledercouch platziert hatte.
Ich durchforstete meine Rufprotokolle, bis mir einfiel, dass „Unbekannte Teilnehmer“ nicht rückrufbar waren, legte das Handy dann resigniert auf seinen Platz zurück und steckte entschlossen die Füße unter der Decke hervor.
Verzweifelte Situationen erforderten ja bekanntlicher Weise adäquate Maßnamen und meine jetzige Situation rechtfertigte, zumindest in meiner verschrobenen Gedankenwelt, das Folgende.
Ich schlich in das Gästebad des Lofts, band meine Haare und kleidete mich an.
Dann schlüpfte ich in meine heiß geliebten Hi-tops, schnappte mir Adams Schlüsselbund und verließ auf leisen Sohlen die Wohnung.
Als ich nach einigen Stufen durch die Haustür trat schlug mir ein eisiger Wind entgegen.
Ich vergrub mich noch tiefer in meinem schlabberigen grauen Sweater und zog die Kapuze auf, bevor ich vollends in die empfindlich kalte Schwärze hinaus stapfte.
Während ich lief befiel mich eine sonderbare melancholische Freude.
Die Nachtluft verkündete erbarmungslos, das Ende des Sommers.
Man spürte den Jahreszeitenwechsel in jeder Brise, hörte ihn in jedem Rascheln der Bäume und sah ihn unweigerlich, sobald man zum Himmel und den dräuenden Quellwolken hinauf sah.
Fröstelnd steuerte ich die Richtung an, in der ich die Stadtmitte vermutete.
Mein ohnehin miserabeler Orientierungssinn wurde durch den Mangel an Tageslicht in seiner Nutzlosigkeit noch bestärkt und so lief ich aufs gerate Wohl durch einige Straßenzüge und durchstreifte etliche schmale Gassen, bis ich unter einer flackernden Laterne Halt machte.
Ich war ziellos in die Dunkelheit aufgebrochen, in der festen Überzeugung, Patrick anzutreffen.
Etliche alte Vampirfilme hatten das Bild des streunenden Huskyäugigen Jungens vor meinem geistigen Auge geweckt und dieser Halluzination hatte ich mich hingegeben.
Ich hatte eine regelrechte Gewissheit verspürt, als ich mein Bett verlassen hatte, doch nun, nachts alleine auf einer kalten Straße in einem mir fremden alten Industriegebiet, begann ich an meinem ach so grandiosen Plan zu zweifeln.
Hier und da hörte ich ein Tippeln oder ein Huschen, doch vor Ratten fürchtete ich mich nicht.
Viel mehr beunruhigte mich die Tatsache, dass ich mir nicht einmal die Mühe gemacht hatte mir den Weg hierher zu merken.
Allmählich setzte mein Verstand wohl wirklich hin und wieder aus, wobei ich ihm ein Talent für schlechtes Timing bescheinigen konnte.
Immerhin war ich noch nicht, wie üblich, in Panik verfallen, sondern war einfach nur ernüchtert von meiner eigenen Dummheit.
Zumindest bis irgendwo in der Schwärze hinter mir scheppernd eine Mülltonne auf dem Asphalt aufschlug.
Unwillkürlich machte ich einen Satz nach vorne, konnte allerdings den Impuls bekämpfen los zu rennen. Stehen bleiben schien mir jedoch auch keine gute Idee zu sein und so setzte ich wieder langsam einen Fuß vor den anderen, während ich zu singen begann.
Ein weiteres Relikt aus alten Zeiten. Dieses Fabrikgelände war gewissermaßen mein dunkeler Keller, aus dem ich vor ziemlich genau zwölf Jahren etwas für meine Mutter hatte holen sollen. Was es war, hatte ich vergessen. Bereits damals, denn das Einzige woran ich denken konnte als ich einem modrigen Geruch entgegen lief, war meine Angst gewesen. Angst vor dem, was in der Finsternis auf mich lauerte. Von Zeit zu Zeit, war meine blühende Fantasie mein größter Feind.
Nachdem ich die gesamte Palette vom Glöckner von Notre Dame bis hin zu den Electric Six durchgegangen war und mir die Einfälle für weitere vokalmusikalische Höhepunkte ausgegangen waren, schien ich noch immer keinen Meter weiter gekommen zu sein.
„Hier sieht verdammt noch mal alles gleich aus!“, beschwerte ich mich bei der nächsten Biegung.
Ermattet ließ ich mich auf den Rinnstein sinken, zog die Knie an und Verschränkte meine Arme vor der Brust.
Ich hatte mich wieder Mal wunderbar in eine ausweglose Lage manövriert, denn mein Mobiltelefon, lag noch immer da, wo ich es positioniert hatte.
Auf der Lehne des Sofas, das ich vor einer gefühlten Ewigkeit verlassen hatte.
Entnervt ließ ich den Kopf auf die Beine sinken und schnaubte verächtlich.
Manchmal war ich eindeutig zu viel „typisch Alley“ und zu wenig „Denkender Mensch“.
Wieder pfiff der Wind messerscharf an mir vorbei und ließ mich an den drei Lagen sehr realer Kleidung, die ich am Leib trug zweifeln.
Die Müdigkeit die zusätzlich in mir aufgestiegen war machte das Szenario beinahe unerträglich.
Krampfhaft unterdrückte ich ein Schluchzen. In Tränen auszubrechen würde mir ja doch nicht helfen.
Mit dem unkontrollierten Zittern gelang mir das weniger gut.
„Was tust du denn hier?“
Erschrocken blickte ich auf, in ein Augenpaar, dass noch wesentlich kälter war als der Nachtwind.
„I…Ich habe d…d…dich gar nicht k…kommen hören“, klapperte ich.
„Kein Wunder“, sagte Pat, während er mich kritisch beäugte. „Bei deinem Geschlotter.“
Doch ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich ihn auch unter weniger widrigen Umständen nicht hätte hören können, wenn er es nicht beabsichtigt hätte.
„Sag schon, was machst du hier?“, drängte er mich.
Fiel diesem Kerl denn nicht auf, dass mir eiskalt war?
Anstatt mich mit Fragen zu quälen hätte er mir etwas zum anziehen anbieten sollen.
„Oder mich in den Arm nehmen.“
Wieder dieser Bruchteil meiner irrationalen Seite.
Da ich nicht wusste, wie lange mein Blut noch warm genug sein würde um durch meine Adern zu fließen, entschloss ich mich ihm ausnahmsweise gleich die Wahrheit zu verraten.
„Ich h…h…hab dich ge…s…sucht.“
Er wirkte nicht überrascht, was mich wiederum nicht verwunderte.
„Warum wolltest du von mir gefunden werden?“, korrigierte er.
Also wusste er doch wieder auf unergründliche Art und Weise bescheid.
„R…Reden“, presste ich zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Dennoch schlugen meine Kiefer aufeinander.
„Komm!“
Er streckte mir eine elegante Hand entgegen.
Die Temperatur hatte meinen Stolz schon vor einer Weile gefressen. Etwa zu dem Zeitpunkt, als ich begonnen hatte die schreckliche lange Baumwollunterwäsche zu schätzen, die ich vorsorglich angezogen hatte. Natürlich ein Geschenk meiner Eltern.
Ohne weiteres Zögern griff ich zu und spürte die Wärme seiner Handfläche an meiner Eigenen.
Als sich seine starken schlanken Finger um mein klammes Händchen schlossen, durchfuhr mich ein erotischer Stromschlag.
Auch das noch!
Er hatte mich noch nicht einmal besonders intim berührt und mein Körper spielte fröhlich verrückt.
Ich gab mir alle Mühe mir nichts anmerken zu lassen.
„W…w…wo g…gehen wir h..hin?“, erkundigte ich mich.
„Das kommt ganz drauf an…“, sein Gesicht war unergründlich.
Als er mich auf die Beine gestellt hatte ließ er mich los und ich war für einen Moment versucht tief durchzuatmen, was ich mir angesichts seiner möglichen Reaktion jedoch verkniff.
NOCH eingebildeter musste er ja nicht werden.
„…wo bist du denn hergekommen?“
Er sah mich fragend an, dann öffnete er seine marineblaue, exquisit passende Jacke, streifte sie über seine breiten Schultern und hielt sie mir mit ausgestrecktem Arm entgegen.
„Da!“
Ich schaute ihm solange dankbar in die eisigen Augen, wie ich es vermochte, sah dann auf seine Hand und ergriff begierig das Kleidungsstück, das ein wenig Wärme versprach.
Während ich in die Ärmel schlüpfte und schließlich den Reißverschluss zuzog spürte ich seinen erwartungsvollen Blick.
„Ähm…von A…Adam und…“, ich wollte mich gerade korrigieren und die Namen in eine Adresse verwandeln, als er mir klarmachte wie unnötig das in einer Kleinstadt wie dieser war.
„Adam Largareta und Cadence Foster?“
Ich nickte.
„D…du kennst sie also“, stellte ich, inzwischen wesentlich weniger zitternd, fest.
Nun nickte er.
Ein „Woher?“, ersparte ich mir in Erwartung weiterer kryptischer Andeutungen.
Eine weile trottete ich schweigend neben ihm her und genoss einfach den Geruch meiner Leihjacke und, wann immer es mir unauffällig gelang, seine rabenschwarzen Haare im noch immer scharfen Wind und seine unverschämt eleganten Bewegungen zu beobachten.
Dann begann ich fieberhaft zu überlegen wie ich auf die am wenigsten peinliche Weise das Gespräch in Gang bringen könnte, doch zu meiner erneuten Überraschung begann er die Konversation.
„Wie lange wirst du noch bei den beiden bleiben müssen?“
Er wusste also von dem Rohrbruch!
Mein verkümmerter detektivischer Spürsinn witterte eine Chance sich zu profilieren, allerdings war meine Direktheit mal wieder schneller und einfach…nun…direkter.
„Woher weißt du von dem Rohrbruch?“
Ich war schließlich wieder in der Lage ohne das störende „Klack Klack“ meiner Zähne zu sprechen, hätte mir aber am liebsten sofort auf die Zunge gebissen und sie verschluckt.
Seppuku für Dummheit.
Wenn er nicht ehrlich sein wollte, hatte ich ihm jetzt die Vorlage geliefert.
Er schenkte mir einen skeptischen Blick.
„Wir leben in einer Kleinstadt. Genauso gut könntest du den Busfahrer fragen woher er weiß, wie er den Gang einlegt. Ich erfülle nur meine Bürgerpflicht.“
Die Antwort darauf verkniff ich mir, doch wieder schien er in mir zu lesen wie in einem offenen Buch.
„Du glaubst doch nicht, ich hätte etwas damit zutun?!“
Wow.
Bei „glaubwürdigem Entsetzen“ und „Unschuld vom Lande“, schien er in seinen Schauspielkursen aufgepasst zu haben.
Ich zuckte mit den Schultern und versuchte mein Gesicht so nichts sagend wie möglich zu lassen.
Pat blieb abrupt stehen.
„Oh mein Gott, das glaubst du tatsächlich!“, stellte überzeugend erschüttert fest.
„Nein ich…“, gerade als ich mich verteidigen wollte fuhr er mir über den Mund.
„Bemüh dich nicht, Alley. Ich weiß zwar nicht, wie in drei Teufels Namen du auf diesen absurden Gedanken gekommen bist, aber ich weiß trotzdem, dass du ihn hegst.“
Der Hohn in seinen Worten war unüberhörbar.
„Pff…komm mal wieder runter von deinem Ross, vor dem sogar Wolkenkratzer vor Neid erblassen würden. Wie limitiert ist deine Denkweise eigentlich?! Es gibt noch ein Paar mehr Menschen auf der Welt, - selbst in Dallenton, als DICH!“, keifte ich.
Mein schauspielerisches Talent schien sich heute für die Milliarden Male entschuldigen zu wollen, in denen es so kläglich versagt hatte, und sich deshalb besonders große Mühe zu geben.
„Oh, wirklich ziemlich authentisch!“, lobte Patrick.
Warum um Alles in der Welt hatte er mich schon wieder durchschaut?
Ich plusterte mich auf um eine Salve subtiler Beleidigungen abzufeuern, doch erneut kam mir seine Lichtgeschwindigkeitszunge zuvor.
Ärgerlich.
„Also gut…“, er setzte sich wieder in Bewegung. „…ungeachtet der Lächerlichkeit dieses Gespräches werde ich dir jetzt darlegen was ich denke. Ich denke, dass du denkst, dass ich denke, dass du wütend auf mich bist, weil ich mit diesen Mädchen bei dir aufgekreuzt bin und dass ich das in meiner unbestrittenen Genialität natürlich wahrgenommen habe und mich dafür bei dir unbedingt entschuldigen wollte, was sich allerdings als nicht möglich herausstellte, da du Gott weiß wo unterwegs warst, und jedoch ob meiner Verzweifelung mein Genius erneut erwachte und mir befahl einen Rohrbruch zu inszenieren um dich zurück in die Heimat und somit gleichsam in meinen Einzugsbereich zu locken, was seinerseits eine Entschuldigung meinerseits ermöglichte. Hab ich recht?“
Eine Grille zirpte.
Ich hatte den Kopf ein wenig schräg gelegt und den Mund etwas geöffnet, während ich dahin schlurfte.
„Ehrlich gesagt…“, begann ich während sich ein triumphaler Ausdruck auf seinem Gesicht ausbreitete.
„….habe ich kein Wort verstanden!“
Er hob missbilligend eine Braue.
„Du glaubst ich habe den Rohrbruch verursacht, damit du zurück kommst und ich mit dir reden kann, oder?!...Oh man Frauen sind so…dramatisch“, schnaubte er.
Als ich die Stirn in wütende Falten legte fielen mir tausend Dinge ein, die ich hätte sagen können, nur keine passende Antwort.
„Angenommen es wäre so…“, versuchte ich mich schließlich auf der hypothetischen Schiene.
„…hätte ich recht?“
Noch tiefer reinreiten konnte ich mich ja sowieso nicht mehr.
Seine linke Augenbraue schwebte noch immer in der Höhe.
Ich wappnete mich bereits gegen eine sarkastische, spöttische Antwort.
„Das wäre nun wirklich nicht mein Stil“, war jedoch vorerst alles was er dazu von sich gab.
„Eine Wohnung anzünden…ja, Ein Familienmitglied entführen auch, aber ein Rohrbruch? Viel zu Profan und schmutzig“, er grinste und traf mich damit wesentlich mehr, da er somit den Überraschungseffekt klar auf seiner Seite hatte.
Ich zwang mich zu einem verwirrten Lächeln.
„Nein, ernsthaft, Alley. Ich habe damit nichts zutun.“
Ich schwieg, während der nächsten zwanzig Schritte.
Er ebenso.
Das Knirschen seiner ausgetretenen ledernen Turnschuhe und meiner ebenfalls geliebt aussehenden Sneakers auf dem schmutzigen Boden, waren das einzige Geräusch, das uns begleitete.
Wie hatte ich auch wirklich annehmen können er hätte sich in jeglicher Hinsicht zu einer derartigen Aktion herablassen können?!
„Aber ich sollte der Ehrlichkeit halber vielleicht hinzufügen, dass ich nicht ganz unglücklich über die Möglichkeit bin mit dir zu reden“, sagte er leise und rau.
Mein Herz sank ohne Vorwarnung mindestens zwei Etagen nach unten.
„Frag jetzt nichts Dummes!“, warnte ich mich gerade als ich mich „Wirklich?“, sagen hörte.
Super!
Ganz toll Hirn, du Drecksding! Wenn wir Zuhause sind verpasse ich dir eins mit dem Wattestäbchen!
Wieder sagten wir eine Weile nichts.
„Wie hast du mich gefunden?“, versuchte ich mal wieder mehr als plump das Thema zu wechseln.
„Ich bin oft nachts unterwegs“, entgegnete er, als würde das meine Frage beantworten, ergänzte dann aber: „Die Mülltonne war wirklich auffällig genug… obwohl ich dich natürlich schon vorher bemerkt hatte.“
„Ich dachte du wärst die Mülltonne gewesen“, entgegnete ich.
„Also hör mal“, gab er mit gespielter Beleidigung zurück.
„Warum bist du nachts unterwegs?“
Er überlegte kurz.
„Weil ich es kann!“
„Das ist doch kein Grund!“
„Wenn du nur wüsstest…“
Er verschränkte beim Gehen die Arme hinter dem Kopf und sah zum Himmel.
Die dichte Wolkendecke war einen winzigen Spalt breit aufgerissen und offenbarte einen Blick in eine andere, unendliche, besternte Dimension.
„…wenn du die Nacht wahrnehmen könntest wie wir, würdest du mich vielleicht eher verstehen“, erklärte er mit einem winzigen träumerischen Unterton, der ihn so menschlich machte, wie ich ihn noch nie erlebt hatte.
„Erzähl mir davon“, bat ich flüsternd.
„Es ist nichts, was ich in Worte kleiden könnte. Es ist zu intensiv und zu schwer zu fassen, zu beeindruckend und zu flüchtig, zu schön und zu schrecklich….uns ja, ich weiß selbst wie kitschig das gerade klang.“
Ich seufzte.
Trotzdem er nur noch ein dunkles Baumwollshirt trug hatte er keine Gänsehaut und zeigte auch sonst keine Anzeichen des Frierens.
Eine männliche Eigenschaft die ich wirklich zu schätzen wusste, war der schier unendliche Vorrat an Körperwärme, den sie großzügig an ihre Umgebung verteilten.
Als mein Blick an seinem Hals hinunter streifte und schließlich an seinem Schlüsselbein hängen blieb, über das sich seine zarte, weiße Haut spannte, erwachte in mir ein übermächtiges Bedürfnis mich an seine breite Brust zu schmiegen.
„Komm schon! Erinnere dich, was dieser Kerl getan hat!“, versuchte ich mit Trick siebzehn das letzte bisschen verbliebener Würde zu wahren.
„Warum bist du mit diesem Mädchen zu Pam’s gegangen? Ich meine…nachdem was man sich erzählt, hast du das sonst nie getan.“
Ich hoffte inständig gerade nicht wie das verletzte Reh auszusehen, das meine emotionale Bildwerdung verkörperte.
Etwas verschwand aus Patricks Gesicht als er antwortete.
„Wo wir gerade so ehrlich sind…“, er räusperte sich bevor er fort fuhr.
„Ich kenne dich kaum. Logisch. Und trotz dieser Tatsache, plus der, dass du eigentlich ganz und gar nicht mein Typ bist…“
„Weil ich auch was im Kopf habe?“, diesen Kommentar hatte ich zurück halten wollen.
„Pf…höchstens AM Kopf. Nein, weil ich gewöhnlich eher auf den Modeltyp stehe…“
Ich prustete verächtlich, sah ihn dann aber entschuldigend an, als mir die Seltenheit der Situation wieder bewusst wurde.
„Jedenfalls…Trotz dieser Tatsachen fühlte ich mich zu dir hingezogen.“
Mir blieb die Luft weg.
Er besaß tatsächlich die Frechheit mich damit aufzuziehen?!
„Das hat mich verunsichert und deswegen…na ja…Kurzschlussreaktion nennt man so was Heute glaube ich. Ich wollte mich gewissermaßen auf den richtigen Pfad zurück bringen, und um mir zu beweisen, dass es so war, musste ich das ganze in deiner Nähe…“
„Hör schon auf“, grummelte ich.
„Verarschen lassen kann ich mich auch von Victor ganz gut.“
Hätte ich in diesem Moment nicht gekränkt den Asphalt taxiert, hätte ich für einen winzigen Augenblick echte Bestürzung im eisigen Blau erkennen können und hätte ebenso bemerkt, wie er zuerst seinen Mund öffnete um mir zu widersprechen, bevor er ihn eine Sekunde später wieder schloss ohne etwas gesagt zu haben.
Erst als er die Achseln zuckte, hatte ich meine Augen von der Morast verklebten Straße losgerissen und in seine Richtung gesehen.
Die Stille, die sich nun über uns ausbreitete war von unangenehmerer Natur und hartnäckiger als ihre beiden Vorgängerinnen.
Eine gute halbe Stunde durchwanderten wir Straßenzüge, die sich noch immer glichen wie die Gänge eines Labyrinths.
War ich wirklich so weit gegangen?
Gerade als ich begann auch an Patricks Orientierungssinn zu zweifeln, veränderte sich die Umgebung.
Die Wege wurden breiter und es leuchtete nicht mehr nur jede zweite Laterne.
Bald erkannte ich die Ersten alten Fabrikgebäude, die ebenfalls umgebaut worden waren und nun riesige Eigentumswohnungen beherbergten.
Weit konnte es nicht mehr sein.
An der nächsten Kreuzung stoppten wir.
„Ich werde jetzt einen anderen Weg nehmen. Adam wohnt gleich dort.“, er deutete zur anderen Straßenseite, auf der ich das Gebäude mit der modernen Metalltreppe vor der Eingangstür erkannte.
„Das kannst selbst DU nicht verfehlen“, lächelte er.
„Da wär ich mir nicht so sicher“, gab ich zu.
Ein leises kehliges Lachen entfuhr ihm und jagte mir Schauer über den Rücken.
„Das schaffst du schon. Irgendwann musst du ja auch mal selbstständig werden.“
Ich machte eine zustimmende Geste.
„Also gut. Jetzt noch mal. Es tut mir wirklich Leid, was ich da durchgezogen habe, ich…“
„Ach Schwamm drüber! War nicht so schlimm.“
Dieses eine mal log ich überzeugend.
„Sehr gut. Dann ist mein Gewissen jetzt beruhigt“
„Tzz du und Gewissen“, stichelte ich.
„Nun denn. Gute Nacht, Adelaide.“
Er ergriff mich mit seiner Rechten an der Schulter, überbrückte die Distanz so schnell, dass mir keine Zeit für eine Reaktion blieb und drückte mir einen warmen Hauch von einem Kuss auf die Wange, der, so sanft er auch gewesen sein mochte, meine Welt in ihren Grundfesten erschütterte.
Als mein Herz wieder zu schlagen begann, war er bereits mit der Nacht verschmolzen und hatte mich alleine, bebend auf dem Gehsteig zurück gelassen.


~9~ Emeralds and gallows of heartache

Halli hallo,
da ich jetzt mitten im Studium der Anglistik/Italianistik und der Arbeit bei einer einschlägigen, mit „M“ beginnenden Drogeriekette, stecke, geht der kreative Prozess der ganzen Sache hier eher schleppend voran. Dafür bitte ich um Verzeihung ^^*
Ansonsten wird es jetzt vielleicht Zeit euch zu verraten, dass das Endstadium der Geschichte angebrochen ist und ich (inklusive Diesem) noch maximal Vier Kapitel in Planung habe.
Des Weiteren endlich mal die Erklärung zu den mitunter ominösen Titeln der Besagten.
Jede Überschrift ist ein Teil aus einem Song, der maßgeblich an der Entstehung des Kapitels beteiligt war. „Midnight Serenade“ hat sozusagen ihren eigenen Soundtrack, der Teil des Abgesangs werden wird.
Übrigens…Entschuldigt, dass ich soviel Handlung in ein SO kurzes Kapitel gepackt habe xD
So genug des Geredes…Hier ist die Neun:



Weitaus früher an jenem Abend, der in so vielen Hinsichten den Anfang vom Ende einläuten sollte waren, wie ich nun erfuhr, nicht minder erschütternde Dinge geschehen.

P.J hatte sich offenbar nicht beherrschen können und gegen Leas, und diesmal sogar Victors, Rat insgesamt vier Stücke einer Erdbeer-Buttercreme-Torte und jeweils zwei Stückchen Schokoladen- und Zitronenkuchen in der Grimountschen Bäckerei verputzt. Des Weiteren waren drei Packungen Oreos, zwei Cheeseburger, ein Hot Dog, fünf Brötchen und eine unbekannte, aber mit Sicherheit große, Menge Pommes Rot-Weiß innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden, in dem schwarzen Loch unterhalb seines Brustkorbs verschwunden.
Laut seiner eigenen Aussage musste man, der Korrektheit halber, dieser beeindruckenden Rechnung noch ein Glas saure Gurken, zwei Schälchen Cornflakes und mehrere Gläser Cola hinzufügen.
„Eine verdammt lange Liste, für jemanden, der eigentlich nicht essen müsste um bei Kräften zu bleiben“, bemerkte ich.
„Ich bin eben ein Genießer“, erklärte er mit einem verlegenen Grinsen, dass seiner Schwester ein spöttisches Schnauben entlockte.
„Jemanden, der mit zwei Bissen dieses Kuchenstück hinunter würgt würde ich wohl kaum als Gourmet bezeichnen!“
Jake zuckte die Schultern.
„Ich bin halt ein Expressgenießer…“

Die Tatsache, dass er aufgrund seines kulinarischen Exzesses die letzten 4 Urlaubstage mit einer Gastritis im Bett verbracht hatte, schien ihn nicht von der Idiotie seines Unterfangens zu überzeugen, da er ihre Küche bereits (erfolglos) nach weiteren essbaren Dingen durchforstete, bevor er sich schließlich verabschiedete.
„Angus hat mich gebeten im bei irgendwas zu helfen, dass ich bereits verdrängt habe“, seufzte er, während er die Tür hinter sich schloss.
Nun war ich mit Lea allein.
Kaum war das Türblatt ins Schloss gefallen drehte sie sich mit verheißungsvoller Miene zu mir.
„Oh mein Gott, Alley, ich muss dir UNBEDINGT was erzählen!“, platzte es aus ihr heraus.
So ernsthaft aufgeregt hatte ich sie in Abwesenheit von Pat noch nie erlebt.
„Was ist denn los?“
„Du wirst nicht glauben was passiert ist…“, begann sie.
„Versuchs mal“, forderte ich meine Freundin ungeduldig auf.
Sie hob bei einem tiefen Atemzug die Hände und ließ sie mit der ausströmenden Luft wieder sinken, als müsse sie sich erst einmal selbst beruhigen.
Merkwürdig.
„Also, wie du ja weißt, war mein großartiger Bruder ziemlich außer Gefecht gesetzt…“
Ich nickte bestätigend.
„…demzufolge blieb mir nur noch Victors Gesellschaft.“
Der Unterton in ihrer Stimme machte mich bereits hellhörig und so nickte ich erneut um sie zum Weitersprechen zu ermuntern.
„Mhm…am Abend nach Jakes Fressorgie hatte ich wieder gekocht. Irgendein Hühnchenkram und den Nachtisch hatte ich schon mit P.J zusammen am Vormittag gemacht…“
Ich starrte erwartungsvoll in ihre braunen Kulleraugen.
„Ähm…Tiramisu“
Langsam ging mir ihr abgehackter Erzählstil auf die Nerven.
„Naja…mein Bruder hat es fast im Alleingang zubereitet und anscheinend…hat er es mit dem Amaretto ein bisschen übertrieben gehabt und …nun…“
„Nun?“
„Also zu dem Hühnchen hat halt einfach Rotwein gepasst…es war irgendwie ein Muss.“
Sie sah mich an als wüsste ich den Rest der Geschichte bereits, doch ich nickte nur eifrig.
„Wir waren ziemlich duselig…“
„Okay!“
„Eigentlich SEHR duselig…“
„Ja!“
„Und wir waren allein…“
„Weiter!“
„Und es war dunkel…“
„Okay!“
„Und wir hatten Kerzen an…“
„Ja!“
„Und…man wenn ich betrunken bin werd ich nun mal rollig…“
„Leeeeeeeeeeeeeea! Das tötet Leute!“
Sie schenkte mir einen trockenen Blick.
„Bist du jetzt fertig?“
„Sorry. Konnte nicht widerstehen…wie oft hat man schon mal so `ne Situation?“
Dann sickerte die Bedeutung ihrer Worte in Bewusstsein.
„NEIN!...DAS habt ihr nicht wirklich getan?!“
Sie machte in reuiger Verlegenheit eine Ja-Geste.
Meine Augen mussten Tellergroß sein.
„WAS?!...Oh man…Wie konnte er...Ich dachte...Wir alle dachten…“, die Sprache schien mich verlassen zu haben.
„Ja…Wir alle dachten!“, gab sie zu.
„Und…wow…“
„Glaub mir, du kannst nicht überraschter sein als ich“, versicherte sie.
„Wie…wie war es denn?“, fragte ich, als ich mich daran erinnerte, was man seine Freundin in solchen Situationen fragte.
Sie zuckte die Schultern.
„Oh nein. Klingt nicht begeistert. Ich hoffe du hast ihm danach nicht auf die Schulter geklopft! Ich habe gehört das sei der Todesstoß für das männliche Ego. Schulterklopfer nach dem…Akt…sind nicht beliebt!“
Sie sah mich verständnislos an.
„Ehm…vergiss es einfach“, lächelte ich.
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Also an sich war es überraschender weise…nicht schlecht. Aber es fehlte halt einfach das Gefühl.“
Daran gab es nichts falsch zu verstehen.
„Wie war das dann die restlichen zwei Tage?“, wollte ich wissen.
„Unangenehm!“
Ich konnte mich wirklich gut in ihre Situation versetzen.
„Meistens hab ich versucht ihm aus dem Weg zu gehen. Wenn es mal nicht geklappt hat entstand immer diese peinliche Stille…SCHRECKLICH sage ich dir!“
In einem Anflug von Mitgefühl ergriff ich ihre Hand.
„Also habt ihr nicht noch mal darüber gesprochen“, stellte ich fest.
„Meinst du Victor geht’s genauso?“
Sie sah entsetzt aus.
„Über die Möglichkeit, dass es anders sein könnte habe ich noch gar nicht nachgedacht! Aber du hast recht. Ich meine immerhin…entspreche ich nicht mal seinem üblichen Schema.“
Übliches Schema…das hatte ich doch neulich schon mal gehört.
„Oah ich weiß gar nicht wie das jetzt weiter gehen soll.“
Ich tätschelte ihren Arm.
„Ganz ruhig. Ich rede erstmal mit ihm. Das wird sich schon alles finden…auch wenn ich’s immer noch nicht fassen kann…“
„Du bist ein Engel…“, nuschelte sie, als sie mich umarmte.
Während einer weiteren halben Stunde besprachen wir prekäre Details, bis wir uns schließlich gemeinsam auf den Weg in die Innenstadt machten.
Ich musste das verdammte Bibliotheksbuch am nächsten Tag zurück bringen und zweifelte stark daran, dass die gestrenge bis neurotische Bibliothekarin das durchweichte Exemplar entgegen nehmen würde.

In östlicher Richtung schloss sich die Einkaufsstraße Dallentons an den Marktplatz an
Wenn man sich aus der Wohngegend der De Ladds auf den Stadtkern zu bewegte, gab es zwei Möglichkeiten.
Die erste führte direkt auf den Marktplatz, die Zweite zum oberen Teil der besagten Straße.
Da sich der Buchladen nicht in direkter Nähe zum Markt befand, entschieden wir uns für Letztere.
„Oswalds“ war direkt nach der Stadtbibliothek und Pam’s einer der Orte hier, die ich am liebsten mochte.
Der Geruch neuer Bücher hatte schließlich auch einen nicht abzusprechenden Charme.

Sobald die gläserne Eingangstür hinter und ins Schloss gefallen war, befanden wir uns wieder in einer völlig anderen, ruhigen Welt.
Dies war sicherlich ein Platz an dem man, wenn man genau hinhörte, das leise Zischen der verrinnenden Sekunden hätte hören können, denn es war keine Ehrfürchtige Stille, in der man sich nicht traute etwas zu hören, wie in der Bücherei. Die hier herrschende Ruhe war von gemütlicherer Natur.
„Was willst du eigentlich hier?“, fragte Lea, nicht das erste Mal an diesem Tag.
„Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich das durchweichte Buch ersetzen muss!“
„Ja, aber du hast mir immer noch nicht verraten, was für ein Druckerzeugnis das sein soll“, bemerkte sie.
„Der Schundroman!“, zischte ich.
Sie kicherte.
„Es ist dir peinlich?“
Mittlerweile waren wir im hinteren Bereich des Geschäftes angelangt, der von Belletristik und „seichterer Literatur“ besetzt war.
„Nein es ist mir überhaupt nicht peinlich, dass ich gerne schnulzige Groschenromane lese wie ‚STÜRMISCHE LEIDENSCHAFT’, ich stehe zu mir selbst!“, konterte ich wesentlich lauter als nötig.
„Interessant!“
Ich erstarrte.
Das hatte nicht nach Leas glockenheller Stimme geklungen und als ich bemerkte, dass ihr das Lächeln geradezu aus dem Gesicht fror, bedurfte es weder des subtil sinnesraubenden Geruchs, der sich allmählich bis zu mir ausbreitete, noch eines Blickes hinter mich.
„Was willst du denn hier Van Gillet?“, knallte ihm meine Begleitung eiskalt an den schönen Kopf.
Da ich immer noch unbeweglich das Regal anstarrte, konnte ich nicht sehen was sein Gesicht verhieß, allerdings erwies sich das ebenfalls bald als unnötig.
„Hi, Adelaide. Ich würde gern kurz alleine mit dir reden…“
Er ignorierte Lea einfach. Das hatte sich noch niemand getraut!
Sie begann Gift und Galle zu spucken, doch ich hörte nur seine ruhige Stimme.
„…bei den Sachbüchern!“
Ich sagte nichts.
„Alley, du willst doch wohl nicht mit diesem …diesem“ sie suchte offenbar nach Worten, „…Diesem Windhund mitgehen?!“
Ich konnte die tödlichen Blicke die sie aussandte förmlich durch den Raum surren hören.
Dann entschied ich mich innerhalb einer Nanosekunde, in der Pat leicht und so kurz meine Hand berührte, das es jedem Anderen wahrscheinlich zufällig erschienen wäre.
„Könntest du einen Moment hier warten Lea?“, fragte ich, jedoch ohne ihre Antwort oder ihre Entsetzten Züge zu beachten und trottete hinter Patrick her, der sich bereits auf den Weg in die obere Etage gemacht hatte.
„Wenn ich das Jake erzähle hast du keine Chance mehr bei ihm“, brummelte sie mir nach und ich hoffte lediglich (entgegen aller Wahrscheinlichkeit), dass Patrick es nicht gehörte hatte.
Ich hatte gerade meinen Fuß auf die letzte Stufe gesetzt, als er mich auch schon in die Abteilung „Natur und Garten“ zog.
„Hey, was ist denn los?“, löcherte er mich sofort.
„Warum hast du keinen von meinen Anrufen beantwortet? Ich dachte es wäre alles wieder okay zwischen uns.“
Ich musste schwer schlucken um nicht zynisch aufzulachen.
„Das ist es doch auch“, beteuerte ich stattdessen.
Er schaute mich forschend an.
„Schön, warum hast du mich dann nicht zurück gerufen?“
„Ich hasse telefonieren!“, etwas Besseres fiel mir nicht ein.
„Etwas Besseres fällt dir nicht ein?“
Na toll, jetzt hatten Er und meine innere Stimme sich auch noch verbündet!
„Nein“, antwortete ich kleinlaut.
„Na gut, dann ist es scheinbar noch nicht wieder gut. Dann sag mir was ich machen soll!“
Damit brachte er mich wieder völlig aus der Fassung.
Die letzten Tage hatte ich damit verbracht mich von seiner verbalen, wie physischen Zärtlichkeit an diesem Abend zu erholen, mich zu überzeugen mir keine neuen Hoffnungen zu machen und mir einzureden, dass es wirklich völlig sinnlos und kindisch war, wenn jemand wie ICH für jemanden wie IHN Gefühle entwickelte und das auch noch obwohl ich ihn kaum kannte.
Alles was ich hoffte erfolgreich verdrängt zu haben stieg wieder in mir auf und richtete in meinem Gefühlssektor ein riesiges Chaos an, das nur zu einer möglichen Aussage führte.
Der Wahrheit.
„Ich weiß es nicht! Und warum interessiert es dich überhaupt so? Ich habe dein Gewissen doch schon beruhigt, auch wenn es gelogen war, was willst du denn noch? Dieses Hin und Her ist anstrengend und führt zu nichts!“
Zum ersten Mal war nicht Ich diejenige, die um eine Antwort verlegen war.
„Mein Hirn wollte es leider nicht bei ‚hingezogen fühlen’ belassen, Patrick. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie ätzend es sich anfühlt, wenn man sich in einen Kerl verliebt, obwohl man genau weiß, dass man nicht der Richtige für ihn ist und, dass das wirklich nur negativ für dich ausgehen kann. Man tut es trotzdem, weil man nämlich hofft, dass man sich irrt.“
Sobald ich angefangen hatte zu reden hatte ich nicht mehr aufhören können.
Die Worte waren gemeinsam mit den Emotionen explodiert und jetzt spürte ich, wie mir Tränen in die Augen stiegen: vor Wut, Enttäuschung, Blamage und Verletzung.
„A-Alley…“, stotterte er perplex.
Ich winkte ab, drehte mich um und stürmte nach unten.
Lea war nicht mehr hier und so steuerte ich direkt auf die Tür zu und hastete hinaus in die Fußgängerzone.
Ich wollte losrennen, doch der Weg war verstopft von Menschen, die mit der Gelassenheit Derer, Die nichts zutun hatten, einfach herum standen und sich unterhielten und so war ich gezwungen einem Rentner, der beim Laufen starke Ähnlichkeit mit einer Taube aufwies zu folgen, was mir mehr als genug Zeit zum nachdenken lassen würde.
Ich hasste es in der Öffentlichkeit die Beherrschung zu verlieren und er hatte mich von Anfang an jedes Mal dazu getrieben wenn wir uns getroffen hatten.
Jeden anderen Menschen hätte ich dafür verdammt. Wenigstens ein Bisschen.
Er hatte mich nicht mal angesehen damals im Pit und mir auch sonst keinen Anlass gegeben mir Hoffnungen zu machen.
Es war so unvernünftig, - nein, dumm von mir gewesen mir jemals auch nur die kleinste Chance auszurechnen.
Was mich allerdings am meisten erschütterte war, dass ich es tatsächlich nie gewollt hatte und dennoch unfähig war mich selbst daran zu hindern.
Hoffnung war einfach eine Bestie die für mich nicht zu bändigen war.
Ich wischte mir die Augen.
„Alles in Ordnung, Mädchen?“, Mischte sich ein älterer Herr in meine Gedanken ein, seines Zeichens unbeteiligter Passant.
Ich nickte erschrocken und schob mich unsanft am nächsten Cluster Müßiggänger vorbei.
Verdammter Sonnentag!
Warum zur Hölle hatte ich ihm das eigentlich gerade alles erzählt?
Ich hatte einfach so unangemessen reagiert.
Warum wollte er unbedingt mit mir befreundet sein und warum war er so engagiert und weshalb war ich so unfähig das anzunehmen?
Ich hatte mich fast bis auf den Marktplatz durchgekämpft als mir pathetischer weise eine Gruppe TOURISTEN(!) den Weg versperrte.
Touristen in Dallenton!
Das einzig besondere an diesem Ort war die beunruhigend hohe Dichte an mitunter gefährlichen supernatürlichen Wesen, was wohl kaum die Vierzig Mann starke Reisegruppe angelockt hatte.
Diese ganze Stadt spielte einfach verrückt!
Ich konnte nicht einmal nach Hause um mich ordentlich auszuheulen und dann Besuch von Mister Darcy zu empfangen.
Alles was mir blieb um allein zu sein war die Öffentlichkeit.

Bis es dunkel wurde war ich durch die Stadt gestreift, dann war ich zu Lea und Jake gefahren, hatte beim Abendessen nur das nötigste gesagt und mit P.Js Schwester kein einziges Wort gewechselt.
Danach hatte ich mich entschuldigt und war in das kleine Gästezimmer verschwunden, das ich momentan bewohnte.
Dort hielt ich mich in den folgenden Tagen fast ausschließlich auf, unter dem Vorwand es ginge mir nicht besonders gut.
In dieser Zeit haderte ich mit mir selbst, verfluchte die verletzliche Seite an mir und kaute peu a peu jede Situation mit „Ihm, dessen Namen ich weder nannte noch dachte“ durch.
An Tag drei klopfte es schließlich zaghaft an meiner Tür.
„Ja?“
„Alley, ich bin’s. Darf ich reinkommen?“
Lea.
„Natürlich“, antwortete ich.
Sie trat ein.
„Wie geht’s dir?“
Ich zuckte die Schultern.
„Gut. Ben und Jerry sind gekommen um mich zu trösten.“
Ich nickte in Richtung eines Türmchens aus Eiskremschachteln auf dem Nachttisch.
Sie lächelte schüchtern.
„Setz dich doch“, forderte ich sie auf um die seltsame Stille zu brechen.
Sie nahm an meinem Fußende platz.
Wieder Schweigen.
Ich begann Däumchen zu drehen.
„Es tut mir Leid, dass ich nicht mit dir geredet hab“, begann sie zerknirscht.
„Ach wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen!“
Sie hatte mich in der tat gekränkt.
Erneut schwiegen wir eine Weile.
„Ich möchte mich wirklich entschuldigen, Alley. Ich dachte nur, du hättest inzwischen mitbekommen, dass wir Patrick nicht als… geeigneten Umgang… erachten.“
Mir klappte die Kinnlade hinunter.
„Wollt ihr mir Vorschreiben mit wem ich mich Unterhalten darf und wem nicht, oder noch besser: wen ich zu mögen habe? Ihr wolltet mir ja noch nicht mal den Grund für eure lächerliche Abneigung erklären!“
Mein fadenscheiniges Nervenkostüm hatte in letzter Zeit fast Löcher bekommen.
Entgegen ihrer Natur schien sie nicht aufgebracht oder wütend, sondern einfach traurig zu sein.
„Wir machen uns doch nur Sorgen…“
„Dann verratet mir doch endlich was diese verdammte Fehde soll!“
Sie seufzte.
„Also schön!“
Etwas wie leise Erleichterung befiel mich.
Geheimnisse machten das Leben nur schwerer. Wenn ich wüsste, was das Problem war, würde ich aufzeigen können, dass es gar nicht so schlimm sei und könnte endlich mit jemandem über meine Gefühle reden.
Dass die Gefühle von jemand Anderem dabei ebenfalls eine Rolle spielen könnten, kam mir noch nicht in den Sinn.
Nach dem sich Lea in eine bequemere Position gebracht hatte begann sie.
„Du weißt noch was ich dir in Grimount erzählt habe oder?“
Ich wusste sofort, was sie meinte und die Erleichterung wich einer unguten Vorahnung.
„Der Junge mit den grünen Augen hieß Abel. Damals bin ich dann wie gesagt fast jeden Tag im Wald gewesen und irgendwann haben wir uns auch an anderen Orten getroffen. Fast ein Jahr lang ging das so.“
Sie pausierte.
„Erzähl weiter“, bat ich schließlich.
„Wir teilten die gleichen Ansichten über das Leben, Kunst und so…nur bezüglich dieser Vampirgeschichte hatten wir völlig kontroverse Standpunkte.“
Ich blickte sie fragend an.
„Er sprach immer von den Vorteilen und davon, wie viel besser ‚Wir’ als die Menschen wären. Wie überlegen und zu Höherem berufen. Er sah sich immer als Einen ‚der alten Schule’. Und er fand es legitim sich der Energie Anderer zu bedienen. Bei seiner sonst so kultivierten und eleganten Art schien es schon absonderlich, dass er dem Gesetz des Stärkeren folgte.“
Ich hatte mich wieder in der Bettdecke verkrallt.
„Er war so überzeugt davon. Irgendwann hat er mir dann erzählt, dass er ein Sammler war. Das zeigt ja eigentlich schon seine Moralvorstellungen. Er hat nicht mal vor den Leuten ‚seiner Art’ halt gemacht.“
Sie starrte verächtlich ins Leere.
„Irgendwann später habe ich dann auch noch raus gefunden, dass er versucht hat Angus umzubringen, womit er indirekt daran schuld war, das P.J und Ich…“
Lea zeichnete mit ihrem Finger das Muster auf der Tagesdecke nach.
„Was hast du dann getan?“, wollte ich wissen.
„Nun, als ich mich beruhigt hatte habe ich ihm gesagt, dass ich ihm verzeihe…“
„WAS?“, platzte ich dazwischen.
„…Aber nur mit ihm zusammen sein könnte, wenn er mit dem Gesammel aufhören würde.“
„Und er sagte…?“
„Er sagte ‚Nein’.“
Ich konnte ihr einfach nicht länger böse sein. Ganz gleich inwieweit ihre Geschichte mit meiner Situation zutun haben mochte.
„An diesem Punkt vor zwölf Jahren haben sich unsere Wege dann getrennt und bis heute habe ich nichts mehr von ihm gehört“, schloss sie leise.
Ich nahm ihre Hand.
„Jedenfalls war…und ist er vielleicht noch…Kenneth Abel Van Gillet meine große Liebe.“

„Nicht so schlimm, wie?!“
Unglücklicherweise hatte das kleine Miststück von innerer Stimme wieder einmal recht.
Mit dieser Geschichte waren all meine Pläne mal eben flockig zum Fenster rausgeflogen.
Mist!
Es klopfte und Victor streckte den Kopf durch den Spalt zwischen Türblatt und Zarge.
„Darf ich stören?“
„Hast du eh schon!“, erwiderte ich.
„Oh, ich muss gehen“, ereiferte sich Lea.
„Ich habe noch… Wurst im Auto!“
Damit sprang sie auf und schob sich auf den Flur, wobei sie darauf achtete Cam nicht zu berühren als sie sich an ihm vorbei zwängte.
Er sah ihr für einen Moment bedächtig nach, dann wandte er sich an mich.
„Wow, hier drin riecht’s als würdest du eine Pinguinkolonie im Schrank verstecken.“
Er ging zum Fenster und zog die Vorhänge bei Seite.
Es schien ein trüber und sehr windiger Tag zu sein.
„Jake und ich wollen Drachen fliegen gehen“, berichtete er.
Ich nickte nur abwesend und er kippte die Scheibe an.
„Sag mal, hat dir Lea eigentlich irgendwas aus Grimount erzählt?“, wechselte er so abrupt das Thema, dass er meine Aufmerksamkeit gewann.
Nun nahm er am Fußende meines Bettes platz, wo eben noch meine aufgewühlte Freundin gesessen hatte.
Flüchtig strich er mit der Hand über das Laken bevor er mich erwartungsvoll anstarrte.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Schon…“
„Was?“
„Ehm…na ja also du kamst auch drin vor“, gab ich vorsichtig zu.
Er seufzte.
„Warum hast du dich plötzlich doch umentschieden?“
Diese Frage musste ich einfach stellen.
„Nun so eine richtige Frau hat auch ihre Vorzüge.“
Ich starrte ihn verständnislos an.
„Das ist alles?“
Er wurde leicht rosa um die Wangen, etwas was ich ganze Zweimal bei ihm gesehen hatte.
„Oh man“, machte ich.
„Hat sie irgendwas zu mir gesagt?“, bohrte er nach.
Ich brachte es einfach nicht fertig ihm die ganze Wahrheit zu erzählen.
„Nur, dass es überraschend gut war.“
Er konnte ein dünnlippiges Lächeln nicht zur Gänze verbergen.
Ich seufzte.
„Hör mal, Cam, versprich dir bitte nicht zuviel von dieser ganzen Sache. Steiger dich nicht so schnell hinein.“
Er schien mir gar nicht mehr zu zuhören.
„Hallo?“
Ich wedelte mit der Hand vor seinen Augen.
„Victor?“
Er sah leicht konfus aus als er meine Anwesenheit wieder zu Kenntnis nahm.
„Was?“
„Ach, schon gut“, schwenkte ich um.
„…Lea hat mir gerade von Abel erzählt“, begann ich.
Unklug.
Eine Falte entstand zwischen Cams schmalen Brauen.
„Verstehst du jetzt, dass du dich von Van Gillet fernhalten solltest?!“
Die Wut meldete sich zurück.
„Meines Wissens nach war es nicht Patrick, der an all dem Schuld war! Außerdem…du warst doch überhaupt nicht dabei! Was gibt dir das Recht dich da einzumischen?“, schäumte ich.
Er sah mich mit einem Blick voller Ernst und Besorgnis lange an.
„Kannst du mit Bestimmtheit sagen, dass ‚Patrick’ in dieser Hinsicht anders denkt? Er hat damals nicht versucht seinen Bruder zurück zu halten. Inwiefern ist er also ein besserer Mensch?...Was aber wirklich zählt ist: warum verteidigst du ihn so vehement?“
In seinen Bernsteinaugen war zu lesen, dass er die Antwort bereits sehr genau kannte.
Ich konnte nichts erwidern.
„Das ist dumm, Alley. Und gefährlich und kindisch noch dazu!“, fluchte er.
„DUMM?!“, schrie ich nun.
Es war mir egal ob Mr. Und Mrs. De Ladd mich hörten, oder Lea oder Jake, oder sonst irgendwer in diesem gottverdammten Nest.
„Weißt du was dumm ist, Victor? Es ist dumm alles aufzugeben woran man vorher festgehalten hat, nur weil man sich in jemanden verliebt hat bei dem man eh nicht die geringste Chance hat!“
Ich schnappte meine Jacke von dem dunklen Holzstuhl, der in einer Ecke des gelben Zimmers stand und stürmte den Flur entlang, die Treppe hinunter und durch das Wohnzimmer nach Draußen.
Ich schlug einen schmalen Pfad zwischen einigen Gärten hindurch ein.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Das, was ich gerade meinem besten Freund an den Kopf geworfen hatte um ihn zu verletzen, auch haargenau auf mich zutraf.
Weitere dreihundert Meter später musste ich mir zudem auch noch eingestehen, dass er Recht hatte.
Ich konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, dass Pat eine weiße Weste hatte.
Im Gegenteil. Eigentlich war ich sogar davon überzeugt, dass sie bereits einige Flecken zierten.
Andererseits kannte ich keine näheren Umstände, was mir ein Urteil nicht gestattete.
Gab es aber überhaupt Gründe die es rechtfertigten ein Leben zu beenden?
Und wenn nicht, könnte ich dennoch damit umgehen?
Während ich die tiefen meiner Seele erforschte schlurfte ich weiter zwischen Hecken hindurch, die kein Ende nehmen wollten.

Was ich nicht wusste war, dass ich zu diesem Zeitpunkt bei weitem nicht die einzige Person war, die versuchte einige Dinge mit sich zu vereinbaren und sich über Etliches klar zu werden.
Während der Staub unter meinen Sohlen knirschte und der Sturm an meiner Jogginghose zerrte, stellte sich Jemand, auch bekannt als Ursache all meiner momentanen Probleme, ebenfalls essentielle Fragen, kam zu einem Schluss und verließ das Haus.

Lea zog auf dem Balkon die mitternachtsschwarze Vliesdecke etwas enger um ihre Schultern.
Zum Schutz vor dem bitteren Herbstwind, der auch mich frösteln ließ, hatte sie sich dicht an die Balustrade gekauert.
Die frische Luft tat gut und außerdem war dies einer der wenigen ungestörten Orte in diesem Haus.
Sie hatte lange nicht mehr an Abel gedacht. Sehr lange.
Doch nun, da sie mir gerade ihre Geschichte hatte erzählen müssen, rannen ihr einige Erinnerungen bitter durch den Hals.
Wehmütig stellte sie fest, dass die Meisten von ihnen nur noch eine Ahnung waren, wie Das was sie empfunden hatte, als sie ihre schmalen Finger in seinem dichten braunen Haar vergrub, oder mit Einem über seine schön gezeichneten roten Lippen fuhr.
Eine Sache war jedoch deutlich wie eh und je.
Das Gefühl wie sie alles um Ihn herum vergessen hatte während sie sich in seinen Smaragdaugen verlor.
Er war zweifellos ein unerträglicher Narzissus gewesen und problematischer Weise hatte seine Umwelt gar keine andere Wahl als ihn in diesem Standpunkt zu unterstützen.
Und noch etwas schnitt plötzlich erstaunlich intensiv in ihre Gedanken.
Seine Stimme in all ihrer Klarheit und vibrierenden Tiefe.
„Schön…So schön.“
Entsetzt sprang sie auf, wobei die Decke zu Boden glitt.
Lea war noch immer allein.
Der nächste Windstoß nahm die Illusion mit sich, doch brachte er etwas viel schrecklicheres.
Einen leicht herben Duft, der alle Erinnerungen in überwältigender Schärfe zurück kehren ließ.


~10~ You had me at Hello

Die Zehn…ein Jubiläum sozusagen.
Höchste Zeit Jake mal etwas mehr Gewicht einzuräumen, denn eigentlich mag ich ihn total gern. Er hatte nur bisher leider nicht viel zur Handlung beizutragen.
Also, P.J, mein persönliches Geschenk an dich! ;)
Diesmal war das Schreiben irgendwie schwer. Ich hatte ständig das Gefühl viel zu kitschig zu werden (bin ich ja irgendwie auch xD)
Schätze das gehört wohl dazu.
Wie dem auch sei, ich wünsche viel Vergnügen!



Ich musste schon eine Ewigkeit unterwegs gewesen sein, als die Hecken jäh verschwanden und uralte Kastanien an ihre Stelle traten.
Unweigerlich musste ich mir den schlechten Witz vorstellen, den Victor über mich in einer von Bäumen gesäumten Straße, gerissen hätte.
Schmerzhaft.
Nur leicht.
Dennoch.
Ich musste mir dringend abgewöhnen immer davon zu laufen.
Andererseits war eben DAS für mich oft der einzige Weg um nicht zu zeigen, wie emotional ich gerade wurde und wie Selbiges zum unabdingbaren Kontrollverlust führte.
Vor fremden Leuten weinen wurde für mich in seiner Schrecklichkeit nur von der Vorstellung übertroffen, es vor Leuten zu tun die ich gut kannte.
Ein empfindlich kalter Windstoß zerzauste mein Haar und als ich es wie üblich beiläufig aus dem Gesicht schüttelte sah ich auf einem Feldweg, der links von mir auf die Allee zu führte eine Gestalt entlang wandern.
Ich kniff die Augen ein wenig zusammen und schirmte sie mit einer Hand gegen den grässlichen Sturm ab.
Die Person war eindeutig männlich.
Sie bewegte sich elegant, war allerdings brauner als es Menschen zu sein pflegten.
Nur eine einzige hellblonde Strähne und ein breites Grinsen verrieten mir, dass es ein Schlamm verkrusteter P.J war, der sich mir näherte.
„Was tust du denn hier“, brüllte ich zu ihm hinüber.
Die verbliebene Distanz überwand er so urplötzlich, dass ich prompt rückwärts über eine herausstehende Wurzel stolperte.
Er packte meinen Arm, verhalf mir zu neuem Gleichgewicht und lächelte noch etwas mehr.
Der Kontrast zwischen dem Morast und seinen blendend weißen Zähnen war beinahe erschreckend, in jedem Falle aber beneidenswert.
„Drachenfliegen!“
Richtig…Cam hatte das erwähnt.
„Mir war nicht bewusst, dass man dabei soviel Bodenkontakt hat“, bemerkte ich.
„Und wo ist überhaupt dieses möchtegern Sportgerät?“
„Nun…“, er sah einen Moment auf seine Füße hinab.
Meine rechte Braue schnellte nach oben.
„Hab wohl die Windstärke unterschätzt“, lachte er verlegen.
Ich nickte, nun ebenfalls lächelnd, da ich mir lebhafte Szenarien mit Jake und etwa eins Komma fünf Quadratmeter Hightech Stoff und ultraleicht Gestänge ausmalte.
Eine Schnur spielte in meiner Fantasie eine nicht unwesentliche Rolle.
„Und was hat dich hierher verschlagen“, wollte er wissen.
Ich seufzte.
Streit mit Victor.
Er sah mich besorgt an.
„Was ist denn passiert? Das ihr euch ernsthaft streitet sieht euch gar nicht ähnlich!“
Ich machte abwesend eine bestätigende Geste.
„Ging es wieder um den Van Gillet Jungen?“
Ich sah ihn entsetzt an, er hingegen schien völlig ruhig.
„Ich verstehe“, sagte er.
„Das ist leider ein bisschen ein wunder Punkt für uns schätze ich.“
Ich taxierte das orange Laub unter meinen Sneakers.
„Du magst ihn, oder?“
Seine Stimme war so sanft und irgendwie schien eine warme, beruhigende Aura von ihm auszugehen.
Wieder nickte ich.
„Sogar mehr als mir lieb ist“, hörte ich mich hauchen, erstaunt über meine Offenheit ihm gegenüber.
„Haben sie dir wenigstens erklärt was unser Problem ist?“
„Ja.“
Meine Stimme war kratzig, was höchstwahrscheinlich an dem dicken Kloß lag, der sich über meinem Kehlkopf breit gemacht hatte.
Verdammt.
Wieder begann sich die Illusion, alles im Griff zu haben, zu verabschieden, doch seltsamerweise war mir diesmal nicht zum Weglaufen zumute.
„Stört es dich dass ich matschig bin“, fragte er unvermittelt.
Perplex schüttelte ich den Kopf und schon hatte er mich in eine schlammige Umarmung gezogen.
Tatsächlich störte es mich gerade kein bisschen, dass er sowohl meine Kleidung, als auch mein Gesicht und die linke Hälfte meines Haupthaars mit feuchter Erde beschmutzte.
Erstens war ich sowieso nicht gerade gestylt unterwegs, mit meiner gemütlichen Joggingkluft und zweitens tat es einfach gerade viel zu gut sich fallen zu lassen.
„Hör zu, Kleines…“, sprach er leise über meinem Kopf.
„Ich bin auch nicht gerade begeistert von dem, was damals passiert ist. Logisch. Allerdings bin ich der Meinung, dass man nicht zwangsläufig von dem, was sein Bruder getan hat, auf ihn schließen sollte. Auch wenn er damals nicht offensichtlich versucht hat Abel aufzuhalten…wir kennen nicht alle Umstände, von daher sollten wir vorsichtig sein mit unserem Urteil.“
So ernst hatte ich ihn noch nie erlebt, doch ich war froh darüber ihn in diesem Moment so zu sehen.
Und das was er sagte ließ eine tiefe Bewunderung in mir aufkeimen.
„Und, Alley,…“
Er schob mich ein Stückchen weg und hob meinen Kopf, sodass er mir in die Augen sehen konnte.
„…du kannst nicht planen in wen du dich verliebst. Ich meine, sieh dir nur Lea an. Schon alleine deshalb dürften sie dir keinen Vorwurf machen.“
Ich konnte ihn nur mit aller Dankbarkeit ansehen, die ich zu empfinden vermochte, denn noch immer war ich nicht in der Lage zu sprechen.
Daraufhin zog er mich noch mal an sich, bis ich schließlich ein sehr schwaches „Ich danke dir“ heraus brachte.
Ich fühlte wie seine Brust erzitterte als er dumpf gluckste: „Keine Ursache, Dummerchen.“
Dann ließ er mich los.
„So…“, begann Jake.
„…warst du gerade auf dem Weg zu einem bestimmten Ziel oder willst du wieder mit mir zurück gehen?“
Ich lachte befreit als ich bemerkte, dass er mir erneut aus der Klemme half, denn da ich wieder einmal nicht wusste wo ich mich eigentlich befand, ging ich wohl zu recht davon aus, dass ich mich aufs Neue verlaufen hatte.
Zufrieden ergriff ich seinen dargebotenen Arm und so schlugen wir eingehakt die andere Richtung ein.

Die Kastanien wurden bald wieder durch Buchenhecken abgelöst und je länger ich plaudernd mit Jake umherstreifte, desto weniger verfahren schien mir meine Situation.
Als wir beinahe wieder am Haus der Van Gillets angelangt waren verlangsamte er kaum merklich seine Schritte.
Fragend schaute ich in das ruhige dunkle Augenpaar.
„Da will Jemand Etwas mit dir klären, schätze ich“, raunte er mir zu ohne stehen zu bleiben.
Verwirrt runzelte ich die Stirn.
„Wer?“
Doch als ich die Frage ausgesprochen hatte kam ich mir ziemlich dämlich vor und sofort breitete sich ein vertrautes flaues Gefühl in meiner Magengegend aus.
„Ganz ruhig“, antwortete P.J.
„Du musst nichts tun, was du nicht willst. Du hast die Wahl. Entweder nehme ich dich jetzt mit rein oder ich werde alleine verschwinden. Egal was ist, wir sind in deiner Nähe. Ich schätze deswegen hat er auch diesen Ort als Gesprächsschauplatz gewählt.“
Noch immer war die ratlose Falte zwischen meinen Brauen nicht verschwunden.
„…Er will, dass du dich sicher fühlst. Du musst nicht befürchten nicht mehr nach hause zu finden wenn er einfach geht, oder so.“
„Woher weißt du das?“
„Das tue ich natürlich nicht. Ich vermute nur. Und so hätte ich es an seiner Stelle gemacht.“
Er zwinkerte mir zu.
„…also?“
Ich machte einen tiefen Atemzug.
Genug Zeit um zu überlegen.
Was wollte er? Viel wichtiger…was wollte ich?
Eigentlich war das doch nur eine weitere Gelegenheit mich bis aufs Mark zu blamieren, verletzt zu werden und…
„Immerhin hat er sich die Mühe gemacht“, warf Jake einen Satz in meine Gedanken, der seinen Standpunkt deutlich machte und mir die Wahl erleichterte.
„Du hast recht… mal wieder.“
Noch ein langer Atemzug, dann war ich bereit seinen Arm aus meiner Umklammerung frei zu geben und ihm leicht zu zu nicken.
Keine Zehn Sekunden später war ich allein.
Mein Herzschlag stieg gerade auf das Level eines zwanzigjährigen Kaffeejunkies auf Meth, was kein sehr gutes Gefühl vermittelte.
Gerade als mir auffiel, dass ich noch immer Morast verschmiert war und meine nun wirklich mehr als legere Kleidung wieder einmal den Strudel der Minderwertigkeitskomplexe und Selbstzweifel neu in gang brachte, räusperte sich hinter mir das, was vor zwei Sekunden noch Nichts gewesen war, sich allerdings soeben in den schrecklichsten Romeo aller Zeiten verwandelt hatte.
Gut.
Was auch immer. Diese Schlacht hatte ich doch ohnehin längst verloren. Das bisschen Schlamm tat nun auch nichts mehr zu Sache.
Entschlossen drehte ich mich langsam um hundertachtzig Grad, doch als mich seine Anwesenheit mit voller Wucht traf, während seine eisigen Augen, die geradewegs mit der Unendlichkeit verbunden waren, mich erfassten, wurde mir schlagartig klar, dass ich noch nicht bereit war mit ihm zu sprechen.
Ihn anzusehen.
In seiner Nähe zu sein.
Noch immer brannte in mir dieses schier unbändige Verlangen mich ihm an den Hals zu werfen.
Seine rabenschwarzen Haare fingen einen der wenigen Sonnenstrahlen dieses Tages ein und entfachten das alte Feuer neu, dass zweifellos alle Bande brechen würde, wenn ich dieses letzte Mal die Kontrolle verlöre.
Es war Zeit die neuerlich geschürte Glut zu nutzen um all Das endlich zu beenden und hinter mir die Brücken nieder zu brennen.
Ein für Alle mal.

Verwirrt hatte Lea vor einiger Zeit den Balkon verlassen und fragte sich nun bei einer dampfenden Tasse Pfefferminztee, ob ihre sonst so zuverlässigen Sinne sie dieses Mal nicht getäuscht hatten.
Es musste einfach so sein.
Alles andere war zu unwahrscheinlich es auch nur in Erwägung zu ziehen.
Andererseits: war es so unwahrscheinlich es als völlig unmöglich abzutun?
Seufzend wickelte sie eine ihrer goldenen Locken um den Zeigefinger und nahm einen Schluck.
Für einen Moment konzentrierte sie sich darauf, wie das heiße Getränk ihre Speiseröhre hinab floss, dann stellte sie den Becher auf den Tisch, ließ die Strähne von ihrem Finger gleiten und erhob sich.
Sie musste einfach ganz sicher gehen.

Mein bester Freund saß zur gleichen Zeit auf einer steinernen Bank, der Angus mit Jakes Hilfe vor wenigen Tagen einen kalkweißen Anstrich verpasst hatte.
Einen Fuß hatte er zu sich auf die Sitzfläche gezogen, das andere Bein hatte er bis auf den gepflegten Rasen ausgestreckt.
Nun kam P.J auf ihn zu.
„Du hast ganzschön was verpasst, man!“
Schwungvoll warf er sich neben Cam auf das Sitzmöbel und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Hinterkopf.
„Ich hab gewartet, Amigo!“
Victor schenkte ihm einen ernsten Seitenblick.
„Ich bin gerade nicht in der Stimmung für Sowas.“
Jakob nickte.
„In Ordnung…Was ist los? Geht es um den Stress mit Alley oder...“, er pausierte gewichtig „…oder um meine Schwester?“
Verblüfft sah Cam ihn an.
„Oh komm schon! Denkst du echt ich würde gar nichts mitkriegen? Auch wenn ich vielleicht nicht der Hellste bin, so bin ich doch immer noch Herr meiner Vier Sinne“, maulte P.J vorwurfsvoll.
Victor kniff die Augen leicht zusammen.
„VIER Sinne?!...So siehst du aus!“
„Fühlen, Sehen, Hören, Riechen“, zählte Jake in völliger Überzeugung auf.
„Ach deswegen hast du die Gurken und die Schokoladentorte zusammen mit der Cola runter geschlungen. Na Gott sei dank, wir dachten schon du seiest vielleicht schwanger“, grummelte Cam.
„In so einer Debatte habe ich einfach die fundiertere Position, mein Freund“, bemerkte Leas Bruder.
„Erzähl schon! Was ist passiert?“
„Frag doch deine Vier Sinne! Ich habe wirklich keine Lust darüber zu reden“, knurrte Victor, nun augenscheinlich wütend.
„Alles klar, dann verziehe ich mich. Nur erstmal soviel: Alley tut es Leid! Und was Lea betrifft…“, er stand auf.
„…Seien wir ehrlich. Deine Chancen stehen nicht wirklich gut, dennoch solltest du wenigstens noch einen Versuch starten. Meine Schwester ist mit Sicherheit einer dieser Menschen, die man zu ihrem Glück zwingen sollte. Es ist Zeit. Ich wünsche es dir, weißt du?! Und ich wünsche es ihr.“
Damit wandte er sich ab und verschwand ins Haus.

Wie in Slowmotion sah ich Patrick seinen Mund öffnen.
Jetzt war für mich die finale Gelegenheit, einen weiteren Versuch zu unternehmen, ihn von mir und somit mich vom Unheil fern zu halten.
„Hör zu…“, begann ich meine, mit wesentlich dünnerer Stimme als mir lieb war vorgebrachte, Erklärung.
Ich bot alle Kraft auf um ihm in die Augen sehen zu können.
„…Das, was ich da im Buchladen erzählt habe war völliger Quatsch!“
Ich versuchte alles um überzeugend zu wirken, doch wenn man sich einem Antlitz gegenübersah, dass keinerlei Resonanz gab, gestaltete sich diese Intention als äußerst schwierig.
„Du hattest mich nur ein bisschen verletzt damals. Ich war verwirrt, es war allgemein ne schwierige Phase, aber ich bin jetzt drüber weg. Ich habe erkannt, dass ich völlig falsch lag und in Wirklichkeit…“
Er machte einen Schritt auf mich zu, was mich so verunsicherte, dass ich nicht weiter sprach.
Alle Alarmglöckchen in mir begannen zu schrillen und ich wusste, dass es soviel besser für mich enden würde, wenn ich jetzt einen Schritt rückwärts ginge.
Was hielt mich ab?
Trotz? Faszination?
Mein Körper schien zu wissen was er sollte, jedoch nicht was er wollte.
Wahrscheinlich war es diesem Konflikt zu schulden, dass ich reglos auf der Stelle verharrte.
Noch ein halber Meter. In Ordnung. Gerade so.
Er sah mir direkt ins Gesicht.
Misstrauisch und mitleidig. Ein Teil meiner Selbst bestand darauf, das „mitleidig“ in ein „leidend“ umzuinterpretieren.
„Alley,…Wie könnte ich dich denn verletzt haben, wenn du wirklich nichts für mich empfindest?“
Gute Frage. Verdammt!
Noch vierzig Zentimeter. Er brachte mich beinahe wieder aus dem Konzept.
„M…Meinen Stolz verletzt…“, presste ich hervor.
Die aktuelle Herzfrequenz glich einem zwanzigjährigen Kaffeejunkie auf Meth, in einem Kinderkarussell.
„Herr Gott, komm schon! Du kannst nicht uns beide gleichzeitig belügen, Alley“, begehrte er auf.
War er nur wütend oder hatte ich sogar einen bittenden Unterton vernommen?
Quatsch!
Als er mich an den Oberarmen griff, fest aber nicht schmerzhaft, fuhr ich zusammen.
Zwanzigjähriger Kaffeejunkie auf Meth, in einem Kinderkarussell, mit einem echten Alligator als Beifahrer im winzigen Plastikauto.
Verzweiflung keimte in mir auf. Meine zugegebenermaßen miserable Fassade wankte bedrohlich.
Fassade.
Das war alles was mich noch von der völligen Selbstaufgabe…von Ihm, trennte.
Seine hellen Augen durchbohrten mich.
Höchste Zeit die verdammten guten Vorsätze über Bord zu werfen.
„Lass mich los!“, meine Stimme brach beinahe.
Sein Griff wurde nicht lockerer.
„Bitte!“
Wieder war ich an einem Punkt, an dem ich nicht sein wollte.
Nach ein paar weiteren endlosen Sekunden löste er seine Finger von mir.
Atemlos trat ich einen Schritt zurück, nur um ihn einen Augenblick lang entsetzt an zu sehen.
Dann machte ich kehrt.
„Warte!“
Ich hatte begonnen zu zittern.
Ich wusste, dass ich es keinen Moment länger ertragen würde hier zu bleiben.
„Hör mir wenigstens zu“, befahl er, während er mich am Handgelenk packte.
Der Alligator biss dem Kaffeejunkie ins Bein.
Ich verharrte in der Bewegung.
„Versprich mir, dass du nicht wegläufst, wenn ich dich jetzt loslasse!“
Ich reagierte nicht.
Trotzdem gab er kurz darauf meinen Arm wieder frei.
„Mir ist sehr wohl klar, dass das alles anders gelaufen ist, als es normalerweise sollte. Irgendwie ist es so viel…dramatischer.“
Ich konnte ihn kaum verstehen unter dem Rauschen meines Blutes, das in meinen Ohren dröhnte.
„Du hast ziemlichen Mist gebaut…“, bemerkte er.
In einer anderen Situation hätte ich ihm jetzt ordentlich den Kopf gestutzt, in Dieser tat ich noch immer rein gar nichts.
„…aber der wirkliche Volltrottel in dieser ganzen Geschichte bin ich!“
Hatte ich gerade richtig gehört?
„Ich…verhalte mich so sinnlos! Ich empfinde völlig widersinnige Dinge!“
Mein Herzschlag setzte aus.
Alligator: 1
Kaffeejunkie: 0
Er rieb sich mit Daumen, Mittel- und Zeigefinger die Stirn und schloss die Lider für einen Moment.
„Ich weiß so wenig über dich und bin trotzdem fasziniert, was bisher noch nie der Fall war. Bei irgendwem. Ich weiß genau, dass du nicht meinem Typ entsprichst und begehre dich trotzdem. Du bedienst sämtliche Klischees über Frauen und passt doch in keine meiner Schubladen. Ich kann dich nicht einschätzen…“
Er öffnete die Augen wieder.
„Ich finde dich pathetisch und kann dich trotzdem nicht vergessen, Alley! Sag mir, was das ist?!“
Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen schossen und das Verlangen sich abzuwenden und zu verschwinden, gegen die Gier nach Jedem seiner Worte kämpfte.
„Warum hat es sich jedes Mal falsch angefühlt dich zu ignorieren?“
Er trat auf das bebende Häufchen Elend zu, zu dem ich geworden war.
„Warum war es für mich so schrecklich von dir ignoriert zu werden?“
Er war immer leiser geworden. Nun flüsterte er.
Der einzige Grund, weshalb ich ihn noch immer hören konnte war, dass wir keine Armeslänge mehr Abstand hatten.
„Ich bin nicht romantisch, Alley. Für mich ist das Herz ein Muskel und Jeder der etwas anderes behauptet eher ein potentieller Idiot, aber wenn ich mit einem verfluchten Strauß Rosen niederknien und um Verzeihung bitten soll, werde ich sofort Einen besorgen.“
Ich spürte seine Hand unter meinem Kinn und wie er leicht nach oben drückte, sodass ich ihn betrachten musste.
Entsetzt nahm ich das Flehen in seinem Ausdruck wahr, das seinen Worten Ehrlichkeit verlieh und mich schier überwältigte.
„Sag mir einfach was ich tun muss!“
Die erste Träne, die meine Wange hinab lief wurde von einem unterdrückten Schluchzen begleitet.
Ich schüttelte meinen Kopf frei und sah zu Boden.
„Bitte!“
Meine weichen Beine schienen mich nicht länger tragen zu wollen, doch er ergriff noch einmal meine Arme.
„Alley…“
Ich konnte nicht mehr an mich halten.
Zu viele, zu lange aufgestaute Emotionen erlangten das Kommando über mich.
Es war nicht zu ändern, ich begann zu weinen.
Die Verlockung mich an ihn zu Klammern war ungebrochen und endlich gab ich ihr nach.
Doch mein Körper blieb wo er war.
Ich fragte mich, ob er nun völlig außer Kontrolle geraten war, bis ich bemerkte, dass es Pat war, der mich zurück hielt.
Ich verstand die Welt nicht mehr.
Als ich hinauf blickte schüttelte er leicht den Kopf.
„Nein!“
„Warum tust du das“, quietschte leise und erstickt.
„Du musst mir zuerst vergeben! Das ist einfach unerlässlich, verstehst du? Sonst kann das nie was werden…“
Seine Stimme war außergewöhnlich rau.
Das war wirklich alles?
„Du bist tatsächlich der Idiot in dieser Geschichte“, flüsterte ich so gut ich es zwischen den Schluchzern vermochte.
„Das habe ich längst getan!“

Unerbittlich schoss der eisige Luftzug an Lea vorbei, die sich soeben an eine mannshohe Mauer gelehnt hatte.
Die zahlreichen kleinen Spaltfrüchte der Ahornbäume trafen sie wie winzige Geschosse, doch das war nicht wichtig.
Das Einzige woran sie in diesem Augenblick zu denken vermochte hatte in der Tat wenig mit dem heutigen Wetter zutun.
Auf dem Weg zu diesem abgeschiedenen Platz, der sich weit außerhalb der Wohngebiete Dallentons befand, hatte sie sich mit einem eilends eingepackten Brieföffner dornröschenlike ,und in der Tat etwas melodramatisch, in den Finger gestochen und immer wieder beiläufig Zäune, Wände oder Zweige berührt.
Gewiss wäre Er auch in der Lage marginale Gerüche wahrzunehmen, doch sie hatte ganz sicher gehen wollen.
Der Plan wies jedoch eine entschiedene Schwachstelle auf.
Was war wenn Er Sie überhaupt nicht sehen wollte?
Und wahrscheinlich hatte sie sich sowieso nur vertan und sich wie eine arme Irre an die Hoffnung geklammert, dass die Täuschung nur eine Täuschung gewesen war.
Selbst wenn Er, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, hierher gekommen war, - hatte Er sich geändert? …Positiv?
Lea klappte den Kragen ihrer Jacke nach Oben, zog den Reißverschluss bis unter das Kinn und steckte ihre kleinen Hände in die Taschen.
Sie gestand sich noch weitere fünf Minuten der Illusion zu, doch danach würde sie der Realität ins Auge sehen müssen.
Simultan sprang Cam wütend auf und stapfte davon.

Hätte ich ihm nicht schon längst vergeben gehabt, so hätte mich nichts davon abbringen können es in eben dieser Sekunde zutun, in der der Blick seiner sonst so eisigen Augen plötzlich unfassbar weich wurde.
Ich konnte nicht sagen, ob es nun an dem, sich nur langsam lüftendem, Tränenschleier vor meiner Sicht lag, oder ob ihm dies plötzlich ein völlig anderes Aussehen verlieh.
Eine komplett andere Schönheit, nicht minder reizend als die fast makellose Perfektion zuvor. Im Gegenteil.
Und als der, sonst viel zu schnelle Schall, meine Worte nach einer irrationalen Ewigkeit an sein Ohr getragen hatte hielt er mich endlich…endlich…nicht mehr zurück, sondern zog mich stattdessen an sich, in unsere allererste Umarmung.
Dieser Moment machte mich Zeuge eines neuen Phänomens.
Wie konnte eine so einfache Bewegung so unbändige Begeisterungsstürme und komplexe Fluten von Emotionen auslösen?
Menschen waren seltsam.
Menschen…
Wie verhielt sich das dann bei…anders gearteten Wesen?
Ich empfand unter Anderem seine wunderbare Wärme, nahm den duft seiner Haut war, merkte wie er mich bei sich hielt, stark und gleichzeitig so sanft, dass ich einfach nicht anders konnte als mich geborgen zu fühlen. Es war alles so neu und unwirklich, dass sich unwillkürlich das Fallgefühl einstellte, als hätte ich beim Treppen gehen eine Stufe vergessen.
Unter all diesen großartigen Dingen konnte ich jedoch Eines nicht übersehen.
Ein winziges Körnchen Angst, das immer größer zu werden schien je länger ich es betrachtete, was es schließlich auf ärgerliche Weise fast unmögliche machte die Situation gebührend zu genießen.
Ich versuchte es solange heraus zu zögern wie ich konnte, bis ich sprach.
Als meine Stimme die tiefe friedliche Stille zerriss fürchtete ich aufzuwachen, ihn zu verscheuchen, alles einstürzen zu lassen…was auch immer.
Doch nichts von alle dem geschah als ich „Das ist doch nicht wieder nur eine Phase, oder? Du verschwindest doch nicht plötzlich wieder um mit irgendwelchen Mädchen ins Cafe zu gehen?!“ in seinen Hemdskragen wisperte, weil ich es nicht wagte ihm ins Gesicht zu sehen.
„Alley, ich habe keine Wort verstanden“, gab er mit samtiger Stimme zu und strich mir über das Haar.
Ich wiederholte mein Anliegen, immer noch an seine Oberbekleidung gewandt, aus Furcht davor, dass der Blick seiner Huskyaugen, mich – wie so oft – aus dem Konzept bringen würde und dafür war mir das was ich sagte, so dumm es auch klingen mochte, einfach zu wichtig.
Über meinem Kopf klang es ein bisschen verwirrt und fast etwas wehmütig als er sagte: „ So ganz verziehen hast du mir wohl doch noch nicht, hm?!“
Ich erschrak, als ich feststellte, dass es tatsächlich schien als hätte er recht und betete, dass er mich deshalb nicht einfach wieder los ließ.
Er tat es nicht.
„Ich kann dich ja verstehen“, gestand er dann bedauernd.
„Ich könnte mir an deiner Stelle wahrscheinlich auch nicht vertrauen.“
Bestürzung überkam mich.
Konnte ich das wirklich nicht?
Erschrocken hob ich mein Kinn und sah ihn nun doch an.
Noch immer war keine Härte in seine Züge zurück gekehrt.
„Ich…ich bin sicher, dass ich das kann“, stammelte ich und spürte, wie mir die Röte in den Wangen brannte.
„Ich…“
Doch bevor ich mich weiter blamieren konnte hatte er mir seinen Zeigefinger auf den Mund gelegt und strich mir sacht über die Lippen.
Ich musste feuerrot sein.
Die Art wie er mich anschaute half nicht gerade das zu ändern.
Es lang soviel Bewunderung und Zärtlichkeit in seinen Augen, dass ich mich fragen musste, woran er wohl gerade dachte.
Das ich Gegenstand dieser Gedanken sein könnte kam mir nicht in den Sinn.
Die plötzliche Wärme an beiden Seiten meines Halses machte mir klar, dass er seine Hände Gerade zu meinem Kiefer hinaufwandern ließ.
Als die Spitzen seiner Finger gerade mein Ohr berührten hielt er inne und strich mit dem Daumen seiner Rechten über meine Wange.
Mein Herz flatterte.
Sehr langsam beugte er sich zu mir, Millimeter weise näherte sich sein Gesicht meinem.
Mein Herz raste.
Ich konnte bereits seinen heißen, unregelmäßigen Atem auf meiner Haut spüren.
Konnte es sein, dass er genauso aufgeregt war wie ich?
Mein Herz setzte aus als sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten.
Erwartungsvoll schloss ich die Augen.
Nichts.
Irritiert und ein bisschen gekränkt schlug ich sie wieder auf.
Patrick war zurückgezuckt und sah angespannt und ein wenig gequält in eine nicht mir entsprechende Richtung.
Fassungslos taxierte ich ihn.
Mit einiger Mühe riss er den Blick von diesem Unbestimmten Punkt los und wandte sich wieder mir zu.
„Es tut mir…so…leid…“
Entsetzen befiel mich ob des schmerz- und unheilvollen Tons von dem er gebrauch machte.
Er bemerkte meinen schockierten Ausdruck.
„…nein keine Angst. Es ist nur...“, er pausierte. „Ich muss jetzt wirklich gehen. Es ist verdammt dringend.“
Er wirkte ehrlich zerknirscht.
Ich verstand nur Bahnhof.
Pat verzog das Gesicht.
„Werte das jetzt bitte nicht als verschwinden“, bat er.
„Das hat absolut nichts mit dir zutun und ich verspreche dir, dass ich heute Abend zu dir komme.“
Ebenso gut hätte er mir mit der Faust ins Gesicht schlagen und erklären können es wäre nichts persönliches, doch ich nickte nur verdattert.
Ein letztes Mal streichelte er mein Gesicht und huschte davon.

„Lea?“, rief ich, als ich wieder das Haus der De Ladds betreten hatte.
Keine Antwort.
„Victor?“
Erneut…nichts.
Wohin waren sie alle plötzlich verschwunden?
Ich musste dringend jemandem erzählen, was gerade passiert war, sonst würde man in einigen Minuten vermutlich nur noch ein Häufchen qualmender Alley-asche auf dem Boden vorfinden.
„Was gibt’s denn, Schöne?“, wollte P.J wissen, der gerade breit grinsend die Stufen hinunter kam.
Noch bevor sich die Informationen aus meinem Mund kämpfen konnten hatte ich ihn bereits angesprungen, mich an ihn geklammert und ungefähr zweitausend Worte des Dankes auf ihn losgelassen.
Kichernd schob er mich ein stück weg und bugsierte mich die Treppe hinauf in sein Zimmer und auf eine der zerknautschten braunen Ledercouches.
„Ich nehme an es lief gut?“
„Es war einfach umwerfend“, sprudelte ich los und erzählte alles woran ich mich erinnerte.
Jake schien sich wirklich für mich zu freuen.
„…und dann wurde es allerdings ein bisschen komisch“, kam ich zum Ende.
„Er musste Irgendwas bemerkt haben, dass ihn beunruhigt hat. So kam es mir zumindest vor, weil er plötzlich ganz abgelenkt war und meine er müsse wirklich dringend weg, würde mich aber abends auf jeden Fall besuchen….war echt seltsam.“
P.J s Lächeln entglitt ihm plötzlich.
„Was ist los?“, fragte ich. Es war mir nicht entgangen.
Ohne ein Wort stand er auf, durchquerte den Raum und riss eines der riesigen Fenster auf.
Dann begann er in tiefen Zügen die hereinströmende Luft einzusaugen.
Ich fand seinen Anblick ein wenig lächerlich.
„Was zum Teufel tust du da?“
„Ich fürchte dein Freund hatte einen Grund abzuhauen…einen der uns Alle interessieren könnte“, gab er kryptisch zurück.
„Hä?“
Er reagierte nicht, schnüffelte nur weiter.
In meinem Hirn ratterte es.
Etwas, dass sie Alle anging?
Dann kam, begleitet vom leisen „Pling“ einer fertigen Mikrowelle, die Erkenntnis.
In diesem Augenblick der Erleuchtung schien auch Jake etwas zu wittern, denn er beendete sein seltsam anmutendes Gebaren augenblicklich, schloss das Fenster und kam zu mir zurück.
„Abel!“, stieß ich hervor.
„Ist er …hier?“
Er sah mich an.
„Ich bin nicht sicher…aber ich hab ein komisches Gefühl.“
Er nahm seine Lederjacke, die frappierende Ähnlichkeit mit seinem Sofa aufwies von dem Surfboard über das er sie geworfen hatte und stürmte zur Tür.
„Ich werde jetzt erstmal versuchen Lea zu finden. Wenn Cam hier auftaucht, sag ihm bitte, dass er mir unbedingt helfen soll.“
Und schon war auch er verschwunden.
Ächzend erhob ich mich aus der tiefen Kuhle, die die Polster bereitwillig um meinen Körper geformt hatten, als sich das Türblatt noch einmal öffnete, Jake den Kopf hinein steckte und mir zu grinste: „Übrigens…Glückwunsch!“.
Dann ein zwinkern und eine neuerlich geschlossene Tür.
Nun musste ich auch lächeln.
Ziellos schlenderte ich durch sein Zimmer und besah einige Fotos, die er gerahmt und über der Sitzecke aufgehängt hatte.
Einige Familienbilder die noch nicht alt sein konnten hingen neben anderen, die ihn mit irgendwelchen mir unbekannten muskulösen Typen zeigten.
Den Redbull und Rockstar Aufdrucken auf ihren Helmen oder Shorts nach zu urteilen einige seiner geliebten Extremsportler.
Ein Bild faszinierte mich besonders.
Es musste schon ein wenig älter sein, denn die Qualität ließ ein bisschen zu Wünschen übrig und die Aufnahme war schwarzweiß.
Sie zeigte zwei hell gelockte Kinder die sich an den Händchen hielten und in die Kamera grinsten.
Eindeutig Lea und er. Wahnsinnig süß.
Auf dem Weg zur Tür kam ich an einem Bodentiefen Spiegel vorbei, der mir vor Augen führte, dass ich immer noch voller Schlamm war.
Über den Malstrom der Ereignisse war mir diese unwesentliche Kleinigkeit völlig entfallen.
Das Pat das nicht gestört hatte ließ mein Gemüt einen kleinen erfreuten Hüpfer vollführen und so tänzelte ich beschwingt ins Bad und unter die Dusche.
Es war seltsam, dass mich die Dramatik, dessen, was draußen vor sich ging momentan völlig kalt ließ und ich fühlte mich ein bisschen egoistisch, aber ich konnte nicht anders als mich an meiner eigenen Freude zu ergötzen.
Das gelang mir solange, bis ich mich zum Gebrüll des Föhns fragte ob ich heute Abend wirklich Besuch bekommen würde.
Es wäre auch zu schön gewesen die alten Zweifel mal für länger als einige Stunden ausschalten zu können.
Ich seufzte, schaltete das Gerät ab und zog mir ein paar saubere Sachen an, verstaute die verdreckte Joggingkleidung im Wäschekorb und schaltete den Fernseher ein, erstaunt, wie zuhause ich mich hier inzwischen fühlte.
Der lokale Nachrichtensender brabbelte im Hintergrund, während ich das Bett machte und meine Habseligkeiten zusammen räumte.
Ich räumte sonst eher sehr sporadisch auf.
Heute schien es eine unwillkürliche Handlung zu sein um mich von der Ungewissheit abzulenken.
Ich war gerade halb unter das Bett gekrochen um nach einem Paar verirrter Baumwollsocken zu fischen, als ich die Worte „Verwüstung im Dallentoner Vorstadtviertel Boon“ vernahm.
In dem überstürzten Versuch mich aufzurichten um alle Details des Berichts in mich aufzunehmen stieß ich mir unsanft den Kopf und fluchte bevor ich mich hervorgekämpft hatte und auf die Mattscheibe starren konnte.
Da ich mich noch nicht wirklich auskannte, konnte ich der Bezeichnung „Boon“ keine Gegend zuordnen, doch die gezeigten Bilder ließen mich mit schrecken feststellen, dass es sich um einen der Mittelklasse Bezirke in meiner Nachbarschaft handelte.
Ein Paar eingedellte Autos, zerstörte Scheiben, eine zerlegte Telefonzelle und einige defekte Leitungen.
Was war hier los?
Konnte das alles mit dem ominösen Van Gillet Bruder zusammenhängen?
Grübelnd drückte ich eine kleine Taste auf der Fernbedienung und schaltete zu einem Musiksender.
In dem Moment als die ersten Takte von Phoenix erklangen und ich mich auf eine Tanzeinlage vorbereitete ertönte Leas vertraute aufgebrachte Stimme.
Sie schien sogar mehr als aufgebracht.
„WAS FÄLLT DIR EIN? DAS GEHT DICH ÜBERHAUPT NICHTS AN, VICTOR!“
Cam antwortete anscheinend etwas, das ich nicht verstand, denn sie schnaubte wütend.
„DAS IST GANZ ALLEIN MEIN BIER. SCHER DICH ZUM TEUFEL!“
Dann knallte eine Tür und es war wieder still.
Ich schaltete auf mute und trat auf den Flur. Niemand war zusehen.
Ich ging hinunter, wo ich gerade noch Victor abpasste, der dabei war sich auf den Heimweg zu machen.
„Cam, Cam, Cam!“, rief ich aufgebracht und packte ihn am Arm.
Er sah sich überrascht um. Als er mich entdeckte meinte ich fast leise Enttäuschung in seinen Bersteinaugen zu sehen, ließ mich aber davon nicht beirren.
„Es tut mir Leid, dass ich vorhin abgehauen bin und dich angeschrieen hab. Das war wirklich dumm.“
Er machte eine wegwerfende Geste und kniff mir kurz in die Wange.
„Was ist passiert?“, wollte ich wissen.
„Ist Abel aufgetaucht?“
Verblüfft sah er mich an.
„Nein…zum Glück. Sonst hätte ich ihn wahrscheinlich Stücke gerissen“, knurrte Victor.
Ich schauderte ein wenig. Die Feindseligkeit die gerade von meinem besten Freund ausging war enorm.
„Warum ist Lea dann so wütend?“
Er zuckte die Schultern.
„Weiber halt!“
Dadurch fing er sich einen tadelnden Blick von mir ein.
Dann fiel mir wieder etwas ein.
„Jake sucht Lea. Er hat mich gebeten dir zu sagen, dass du ihm helfen sollst.“
Cam nickte.
„Ich werd ihn schon finden.“
Er griff nach der Klinke, drehte sich aber noch einmal um bevor er ging.
„Alley, ich will wirklich dass du glücklich bist. Wenn das nun mal den schnöseligen Obersnob einschließt, dann sei es so, aber bitte, bitte sei vorsichtig und häng nicht gleich dein ganzes Herz an ihn!“
Ich versprach es ihm, wusste jedoch, dass ich log, da es dafür ein bisschen spät war, aber er machte sich sorgen um mich und ich wollte ihn nicht noch mehr beunruhigen.
Dann machte ich mich auf um Lea zu befragen.

„Komm schon rein!“, gab sie mir als antwort auf mein andauerndes Klopfen zu verstehen.
Sie wirkte wenig begeistert, da ich ihr kaum eine andere Wahl gelassen hatte.
Mit „Poch Poch Poch ‚Lea!’ Poch Poch Poch ‚Lea!’ Poch Poch Poch ‚Lea!’ “ war man fast immer auf der sicheren Seite, was den Zugang zu verschlossenen Räumen betraf.
Um sie nicht noch mehr zu nerven kam ich gleich zur Sache.
„Ich habe gerade Cam getroffen und eure kleine…Unterhaltung…mitbekommen. Was ist denn passiert?“
„Nichts!“, fauchte sie.
Entschieden setzte ich mich auf ihre blassgrüne Tagesdecke.
„Ich werde nicht gehen ehe du mir die Wahrheit gesagt hast!“, teilte ich ihr mit.
Sie stöhnte.
„Also schön!“
Begeistert darüber, dass es so leicht gewesen war sie zum reden zu bringen, erhob ich mich von ihrem Bett und platzierte mich in den schneeweißen Sessel ihr gegenüber.
„Ich hatte das Gefühl Abel wäre hier. Ich bin fast sicher. Deswegen bin ich auch an einen Ort gegangen, der ein bisschen abgeschieden war, weil ich gehofft habe, er würde dorthin kommen. Ich glaube er war bereits ganz in der Nähe, als Cam dann plötzlich auf den Plan getreten ist und den großen Beschützer spielen musste.“, schloss sie abfällig.
Ich nickte verständnisvoll.
„Ich kann nachvollziehen dass dich das nicht gerade glücklich macht, aber er war nur besorgt“, versuchte ich es.
Sie schüttelte heftig den Kopf.
„Nein, Alley. Er weiß dass ich wirklich sehr gut auf mich selber aufpassen kann. Er war einfach nur eifersüchtig. Er versteht einfach nicht, dass er keine Chance hat.“
„Naja nachdem ihr in Grimount euer Tächtelmächtel hattet, kann ich seine Verwirrung auch irgendwie verstehen“, gab ich zu bedenken.
Sie sah mich entsetzt an.
„Tächtelmächtel???“
Ich schenkte ihr einen bedeutungsvollen Blick.
„Was denkst du denn was wir getan haben?“
„Ich dachte ihr hattet Sex“, antwortete ich wahrheitsgetreu.
Sie starrte mich brüskiert an.
„Oh mein Gott, Nein! Wir haben rumgeknutscht aber Das war’s auch schon!“
„WAS?“, entfuhr es mir ungläubig.
„Und deswegen hast du so einen Aufstand gemacht!? Ich dachte es wäre sonst was vorgefallen!“
„Ich würde doch niemals…so betrunken kann ich gar nicht sein!“, schäumte sie.
„Ist ja schon gut, war wohl ein klassischer Fall von Missverständnis“, versuchte ich sie zu beruhigen.
„Jaha und was für Eins!“, bestätigte Lea.
Plötzlich prusteten wir beide los und als wir wieder halbwegs gleichmäßig atmen konnten, hatte sich beinahe jeder Rest von Anspannung verflüchtigt.
„Glaubst du denn, dass du noch mal Gelegenheit bekommst Abel zu sehen?“, erkundigte ich mich schließlich.
Sie zog betrübt die schmalen Schultern hoch.
„Sofern ich mich nicht schon in der Vermutung irre, dass er sich hier in der Nähe herum treibt hoffe ich das stark. Selbst wenn er immer noch der Alte ist wäre es schön ihn ein letztes Mal zu Gesicht zu bekommen und einige Dinge zu sagen, die ich damals versäumt habe ihm mitzuteilen.“
Wir starrten ein wenig vor uns hin bis sie mich forschend ansah.
„Was ist überhaupt mit dir los? Du wirkst so aufgewühlt!“
Ich lächelte ertappt, seufzte und erstattete meiner begierig lauschenden Freundin Bericht, deren Standpunkt sich während meiner Erklärungen und Beteuerungen von Missfallen zu Skepsis und schließlich zu vorsichtigem Wohlwollen wandelte.

Es überraschte mich wie schnell es nun dunkel wurde.
In meiner Erinnerung hatten wir noch keine drei Wochen zuvor einige lange laue und lauschige Abende im Freien verbracht ohne von der plötzlich hereinbrechenden Düsternis überrascht zu werden.
Jetzt war es, zumindest laut der scheinbar erst seit einigen Stunden enervierend tickenden Uhr in meinem Zimmer, kurz vor fünf und auf der anderen Seite der Wand so schwarz, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte.
Nervös wuselte ich von einer Ecke in die andere und versuchte mir vorzugaukeln ich sei beschäftigt, um nicht vollends in Panik auszubrechen.
Abends.
Pah.
Gab es überhaupt so etwas wie eine klare Definition von „Abend“?
Und wenn ja stimmten seine nichtmenschliche und meine humane überein?
Ich ergriff das Buch, das auf meinem Nachttisch lag. Es war nicht aus der Bibliothek.
Die Empfangsdame, die es eh irgendwie auf mich abgesehen zu haben schien, seit ich mich, für ihren Geschmack, etwas zu lautstark mit Mr. Universe unterhalten hatte, hatte mir, als ich nun auch das ersetzte und das durchweichte wellige Exemplar von „Stürmische Leidenschaft“ zurückgebracht hatte, Ausleihverbot erteilt.
Der Wälzer den ich nun in meinen Fingern drehte, - Die gesammelten Märchen der Grimm Brüder – war ein Geschenk von Cam gewesen.
Wahllos schlug ich das Cover auf und Blätterte eher mäßig gefesselt durch die Kapitel.
Mir fielen nur die allgemein bekannten Titel ins Auge.
Schneewittchen.
Rapunzel.
Der Froschkönig.
Aschenputtel.
Dornröschen.
In jeder von ihnen kam ein verdammter Prinz vor!
Würde es auch ein Alley-Märchen geben? Eines mit einem Prinzen? Eines das nicht „vor langer langer Zeit“ spielte, sondern heute ABEND seinen glorreichen Anfang finden würde?
Und was am wichtigsten war: Wie würde es enden?
Und so lebten sie glücklich bis an Ende ihrer, - also um genau zu seien MEINER, Tage?
Was war mit einem „They lived happily ever after?“…EVER.
Ich dachte schon wieder viel zu weit.
Seufzend warf ich einen Blick zur Uhr.
Halb sechs.
Grimmig klappte ich das Buch zu und verschwand aus meinem Zimmer.


~11~ Too little too late?

Hallo, hallo!
Es hat wieder eine Weile gedauert. Genau wie beim letzten Kapitel ging es bis ungefähr zur Hälfte rasend schnell, allerdings folgte dann eine lange Phase des Nichtstuns.
Hier nun also das vorletzte Kapitel (ohne den Epilog natürlich), mit etwas, das schon lägst überfällig war ;)




Aus einem mir noch unbekannten Grund öffnete ich die Augen.
Zwischen Mitternacht und halb eins hatte ich den Mut gemeinsam mit dem Glauben an sein kommen verloren und mich auf mein Gästebett fallen lassen um in Ruhe Trübsal zu blasen, dabei musste ich irgendwann eingeschlafen sein.
Ich war zu träge um auf die Uhr zu sehen und viel zu lustlos um aufzustehen.
Wozu auch? Schließlich musste es noch mitten in der Nacht sein.
Ich brummte verdrießlich und wälzte mich auf die andere Seite um weiter zu schlafen.
Aus welchem Grund war ich überhaupt erwacht?
Damit war es besiegelt: Ich würde kein Auge mehr zutun.
Stattdessen drehte ich mich grübelnd hin und her und seufzte ab und zu bis mich der langsam erstarkende Schein des Zwielichts erlöste und mir einen Grund gab mich aus dem Schlafgemach zu quälen und zu duschen.
Doch auch das heiße Wasser vermochte es nicht die Bilder des gestrigen Tages aus meinen Gedanken zu waschen, was ich allerdings auch kaum erwartet hatte.
Immer wieder sah ich, wie sich sein Gesicht näherte und spürte förmlich wie sich seine Hände an meines legten.
So blieb es die nächsten Stunden.
Beim Haare föhnen, als ich Mascara auftrug, während ich eine Schüssel „Fruit Loops“ der Farbe nach verspeiste und auch als ich mich wieder in mein Zimmer verkroch und mir zum unzähligsten mal Darcy’s Versuch ansah das Herz von Elizabeth zu gewinnen.
„Rarrrrrr“
Aufgebracht schaltete ich etwa in der Mitte des Films ab.
Ich fühlte mich erstaunlicherweise nicht traurig.
Ich war einfach nur wütend. Auf Ihn und am meisten auf mich selbst.
Die etwas blechern klingende Melodie meines derzeitigen Lieblingsliedes signalisierte einen Anrufer.
Um halb acht konnte das auch nur eines bedeuten.
Ich nahm ab und am anderen Ende der Leitung meldete sich wie erwartet meine Hausverwaltung.
„Guten Morgen, Miss Adler. Wir wollten ihnen mitteilen, dass wir ihre Wohnung inzwischen in einen Zustand gebracht haben, der es ihnen ermöglichen sollte wieder einzuziehen. Es müssen zwar noch einige Schönheitsreparaturen durchgeführt werden, aber das sollte auch möglich sein, wenn sie die Immobilie wieder nutzen.“
Ich nickte.
Dann wurde mir bewusst, dass der Herr mit dem ich telefonierte das unmöglich mitbekommen haben konnte und murmelte: „Gut“.
„Wenn es ihnen passt, würden wir sie bitten, sich heute mit ihrem Hausmeister zu treffen um die Übergabeprotokolle zu unterzeichnen et cetera.“
„Ja, das passt“, antwortete ich. „Wann?“
„Sobald es ihnen möglich ist.“
Ich sah auf die Uhr.
„In einer Stunde könnte ich dort sein.“
Schließlich hatte ich eh nichts zutun.
„Wunderbar“ erwiderte er ohne Begeisterung. „Ich werde Mr. Wade bescheid geben. Guten Tag.“
Tut Tut Tut.
Was für ein herrliches erstes Gespräch für einen Mittwoch.
Nüchtern schnappte ich meine Tasche, kramte die wichtigsten Utensilien zusammen, natürlich nicht ohne weiterhin pausenlos diese verdammte eine Szene Revue passieren zu lassen.

„Das macht zwei fünfzig, Süße“, teilte mir der bierbäuchige Busfahrer mit einem anzüglichen Grinsen mit, das ich ihm am liebsten mit der Faust aus dem Gesicht gewischt hätte.
Stattdessen wühlte ich in meinem Portemonnaie nach den Münzen, leckte mir auffällig mit der Zunge über die Lippen und streckte sie ihm entgegen.
„Hier, Süßer!“
Er wurde rot, schmiss mir förmlich das Ticket entgegen und starrte durch die Windschutzscheibe.
Ich verdrehte genervt die Augen und durchschritt den Gang.
In den letzten Monaten hatte ich eindeutig gewichtig an Selbstvertrauen zugelegt.
Ich warf gerade meine Tasche auf ein Sitzpaar, als mir ein Junger Mann auffiel, der sich ganz hinten auf dem mittleren Platz räkelte.
Die Arme hatte er lässig auf den Lehnen der anderen Sitze ausgebreitet und jetzt wo ich ihn einmal gesehen hatte, konnte ich mir nicht erklären, warum ich ihn nicht sofort bemerkt hatte.
Er hatte eine recht fahle Haut, jedoch rosige Wangen und einige seiner hellbraunen Haare hingen wie ein glänzender Vorhang vor seinem Gesicht.
Seine strahlend grünen Augen bissen sich auf so unerträgliche Weise mit seinem Brombeerfarbenen Mantel, dass man zum Einen nicht umhin kam ihn anzustarren und zum Zweiten nicht umhin kam, ihn dafür zu bewundern, dass er in den Sachen widersinniger weise nicht wie ein kompletter Vollidiot, sondern vielmehr wie ein neues Sternchen am Modehimmel aussah.
Als mir klar wurde wie lange ich schon in seine Richtung schaute drehte ich mich hastig um und setzte mich.
Die nächsten sechs Haltestellen lang gab ich vor, furchtbar mit meinem Handy beschäftigt zu sein, dann glaubte ich, dass es langsam unauthentisch wurde und stecke das alte Nokia zurück in meine Jacke.
Glücklicherweise hatte ich bloß noch zwei Stationen vor mir.
Möglichst unauffällig zog ich mein Zeug bereits dichter zu mir heran um ja rechtzeitig aussteigen zu können, unglücklicherweise hatte ich vorhin meine Geldbörse nicht richtig in den Beutel zurückgestopft, sodass sie nun mit dem charakteristischen Klatschen von Leder auf einer Fläche auf dem Boden aufschlug.
Dieses verdammte Ding machte immer nur Ärger, es wurde Zeit sie zu ersetzen, am besten durch einen Brustbeutel.
Mürrisch lehnte ich mich zur Seite um sie aufzuheben, als – wie hätte es auch anders sein können- das Gefährt eine scharfe Linkskurve viel zu schnell durchsteuerte und ich vom Sitz gerissen wurde.
Ich landete rücklings auf meiner Brieftasche und starrte nun in ein kantiges Gesicht aus dem mir zwei reihen weißer Zähne entgegen blitzten.
Verdammt!
Ohne Anstrengung hob mich der Junge Mann in der Augenkrebs erregenden Kleiderkombination an und stellte mich auf die Beine.
„Alles in Ordnung?“
Seine Stimme war tief und klingend.
Ich nickte und versuchte ihn nicht anzusehen.
Er bückte sich und reichte mir mein Portemonnaie.
„Hübsches Bild“.
Ich sah, dass es aufgeklappt war und uns nun das das grinsende Abbild von mir als sechzehnjähriges Mädchen ansah.
Ich war kurz davor, mich einfach wieder auf den Boden zu legen und Tarnfarbe anzunehmen.
Chamäleons waren mir schon immer sympathisch gewesen.
Als das Verzögerungsmoment einsetzte schaffte ich es gerade noch nach einer Haltestange zu greifen, der Fremde schüttelte lächelnd den Kopf.
„Man sieht sich!“
Und kaum hatten die Türen gezischt war er ausgestiegen.
Ich hoffte dass ich dadurch wenigstens für den heutigen Tag mit peinlichen Aktionen durch war.
„North Shore“, verkündete die Frauenstimme aus dem Lautsprecher und ich trat vorsichtig jede einzelne Stufe des Busses hinab.
Warum gab es eigentlich keine Ansagen von Männern? War das Durchsagenwesen die letzte große Frauendomäne neben dem Hygieneartikelgewerbe?
Ein kurzer Blick auf die Armbanduhr, die ich sonst nie trug, machte mir klar, dass ich bereits drei Minuten zu spät war und so joggte ich die letzten zweihundert Meter bis zu meinem Wohnhaus.
Als ich endlich schnaufend im zweiten Stock ankam, stand Wade bereits ungeduldig mit einem Fuß Wippend vor der Tür.
„Na endlich“, murmelte er.
„Ja ist auch schön Sie wieder zu sehen“, gab ich so sarkastisch zurück wie es bei meiner Atemlosigkeit möglich war.
Er drehte sich ohne ein Wort um und schloss auf.
Noch verdeckte sein breiter Rücken die Sicht, doch kurz darauf trat er zur Seite.
Mein Appartement lag so da, wie ich es am Tag meiner ersten Besichtigung vorgefunden hatte, abgesehen davon, dass hier und da ein Paar Fußleisten fehlten und einige Steckdosenabdeckungen noch nicht wieder angebracht waren.
Erleichtert seufzte ich und schlug meinem Hausmeister auf die Schulter.
„Gute Arbeit!“
Diese männliche Geste schien ihn zu verwirren und er sagte nichts.
Glücklich inspizierte ich noch die Küche und das Badezimmer, dann erledigte ich den Papierkram, schob Wade hinaus und schloss die Tür.
Ich war wieder in meinem ganz eigenen Zuhause.
Obwohl ich mich sowohl bei den de Ladds als auch bei Adam und Cadence auf eine weise heimisch gefühlt hatte, war die Gewissheit, wieder eine Immobilie bewohnen zu können, die auf meinen Namen eingetragen war, unerwartet erleichternd.
Ich nahm mir Zeit den flirrenden Staub zu bewundern, der in den Lichtkegeln der Fenster tanzte und genoss den schwachen Geruch nach frischer Farbe, bevor ich mit fast so etwas wie guter Laune zur Tür hüpfte.
Nun würde ich den positiven Aspekt des Wasserrohrbruchs vollends auskosten.
Die Versicherung hatte Wort gehalten und den (nicht gerade geringen) Ausgleichsbetrag bereits vor zwei Tagen auf mein Konto überwiesen, weshalb ich den heutigen Tag nutzen würde um ein paar Möbel zu erwerben.
Während ich gedanklich bereits meine neu gekauften Stücke an ihren Platz in der Wohnung rückte, drückte ich die Klinke herunter, zog das Türblatt auf und stürmte schwungvoll durch die Zarge.
Zumindest genau so lange bis ich mit voller wucht gegen etwas Warmes und festes prallte.
Ich taumelte ein paar Schritte zurück und rieb mir die schmerzende Stirnpartie.
„Mir gefällt diese Angewohnheit zwar eigentlich ganz gut, aber für dich könnte es auf Dauer gesundheitsschädlich werden.“
Als keine roten Blitze mehr vor meinen Augen zuckten hob ich die Lider und sah das Einzige was es vermochte mir jetzt meine Laune zu verderben.
Zornig starrte ich Patrick an.
„Was ist denn los?“
Er mimte also offenbar das Unschuldslamm.
„Och nichts, ich hatte einen sehr geruhsamen Abend…Und jetzt geh mir aus dem weg!“
Ich schloss ab und schob ihn beiseite, was nur funktionierte, da er keinerlei Widerstand leistete.
Ich stürmte den Flur entlang, er hinterher.
„Willst du mir damit irgendetwas sagen?“
Wie blöd konnte man sich eigentlich anstellen?
„Denk mal scharf nach“, schnarrte ich als ich die Stufen hinunter raste. Die letzten Zwei ließ ich völlig aus.
„Gut, ich gebe zu, dass es wirklich spät war aber…“
„SPÄT?!“ unterbrach ich ihn mit einer gefährlichen Mischung aus Wut und Sarkasmus.
„Warte…wenn du späten Abend sagst meinst du also…“
Ich schaute auffällig auf meine Uhr.
„Elf Uhr zwanzig?“
„Momomo….“
Er überholte mich und lief jetzt rückwärts vor mir her.
„Moment!…Was?“
„Gut, da du offensichtlich wirklich etwas unterbelichtet bist werde ich es dir jetzt mal erklären“, fauchte ich.
„Du bist gestern ohne Erklärung einfach abgehauen und das in einer Situation…in der der man das auf keinen Fall tun sollte, wenn man den anderen nicht verunsichern oder verletzen will. Das wäre ja an sich noch nicht so schlimm gewesen, denn noch verunsicherter hätte ich, zumindest was es dich angeht, eh nicht werden können und verletzt…na ja das hatten wir ja alles schon.
Dann allerdings hast du mir VERSPROCHEN am Abend zu mir zu kommen, was ja auch nicht passiert ist. Herr Gott, ich hatte mir sogar die Beine rasiert. Bei den Temperaturen! Hast du überhaupt ne Ahnung wie kalt das is?!
Und dann der Gipfel von alledem. Du kreuzt hier einfach auf und denkst du könntest so tun als ob nichts passiert wäre. So läuft das aber nicht du…du…du triefende Kotstulle!“
Pat blieb abrupt stehen. Nur durch einen schnellen Richtungswechsel konnte ich einen neuerlichen Zusammenstoß verhindern.
Als ich an ihm vorbei war lief ich unbeirrt wieder in Richtung Haltestelle.
Keine zehn Sekunden später hörte ich die Schritte dieses Idioten wieder dicht hinter mir.
„Aber ich war doch da! Es war zwar vielleicht schon eher Nacht, aber ich war da!“
Seine Lügen wurden immer lächerlicher.
„Es tut mir Leid! Das hab ich doch auch schon auf dem Zettel erklärt den ich auf deinen Nachttisch gelegt hab.“
„Ja klar“, erwiderte ich verächtlich.
Mein ständiger Begleiter genannt „leiser Zweifel“ flüsterte mir allerdings gerade etwas zu, das ich nicht völlig ignorieren konnte.
„Du bist aufgewacht. Einfach so. Das passiert sonst nie!“
„Fahr doch einfach hin wenn du mir nicht glaubst!... Oder ich fahre dich!“
„Nein, danke. Wer sagt mir denn, dass du den Zettel nicht nachträglich dort platziert hast?!“
Er schnaubte.
„Du und dein Kreuzverhör. Zu Zeiten der Inquisition wäre dir eine glänzende Karriere beschieden gewesen!
Frag doch deine Freunde. Selbst ich kann mich nicht unbeschwert in ein Haus voller Vampire Schleichen ohne dass es einer von Ihnen mitbekäme!“
Ein gutes Argument. Doch noch war ich nicht bereit ihm zu vertrauen.
„Komm schon. Im Grunde hast du doch nichts zu verlieren. Wenn ich dich anlüge würdest du das schnell herausfinden, Alley. Lass es mich wieder gut machen“, bat er.
Ich hielt inne.
Das hatte mir noch niemand gesagt.
„Gib mir ’ne Chance!“
Patrick trottete um mich herum und setzte einen Hundeblick auf als er gewiss war, dass ich ihn anschaute.
Ich brummelte.
„Ich mache alles was du willst. Ich fahre dich überall hin. Was auch immer…“
Ich seufzte.
„Gut, das war ein Ja.“, grinste er und zerrte mich am Arm hinter sich her, ohne dass ich etwas sagen konnte.

„Lea?“
Mein liebeskranker bester Freund klopfte leise.
„Komm schon, rede mit mir!“
Keine Antwort.
„Es tut mir leid…wir wollten nur dein bestes!“
Ein verächtliches Schnauben auf der anderen Seite.
„Du weißt doch selber, wie das ausgegangen wäre. Wer die Leidtragende gewesen wäre“, versuchte er sie zu überzeugen.
Plötzlich riss Lea die Tür auf und drängte sich, ohne Victor weiter zu beachten, an ihm vorbei.
„Willst du mich jetzt für den Rest der Ewigkeit ignorieren?“
Keine Reaktion.
Mutlos ließ Cam die Schultern sinken.
„Sie kriegt sich schon wieder ein. Wüsste ich es nicht besser würde ich behaupten sie is einfach ein bisschen prämenstruell“, warf ihm Jake im vorbeigehen zu.
„Fang lieber an dich auf den Umzug vorzubereiten, Mann! Zwei Wochen sind nich grad ’ne lange Zeit um seinen ganzen Krempel in Kisten zu packen.“
Victor nickte und schlurfte die Treppe hinunter.
Auf der letzten Stufe änderte sich sein trübseliger Gesichtsausdruck zu grimmiger Entschlossenheit.
Das konnte nichts Gutes bedeuten.
Tragisch einseitig Verliebte hatten selten gute Einfälle.

Grinsend drückte ich das Gaspedal bis zum Boden durch.
Die Tachonadel schnellte auf zweihundertfünfzig und stieg dann nur noch mühevoll um Zehn weitere Einheiten.
Wilde Freude durchströmte mich.
Patrick schien etwas völlig anderes zu empfinden.
„Reichen nicht hundertvierzig? Nicht das ich an deinen Fähigkeiten zweifeln will aber…“
„Ssssscht“, befahl ich.
„Alles was ich will“, rief ich ihm ins Gedächtnis.
„Und im Moment will ich deinen Wagen so schnell fahren wie es geht und zwar OHNE mir dein Gejammer anhören zu müssen!“
Er schwieg.
Eine perfide Situation.
Ich hätte nie gedacht ihm gegenüber jemals eine so starke Position zu bekleiden.
Wer das hatte, was der andere wollte (Vergebung in diesem Falle), besaß die „Macht“. Ein schlichtes und zugleich erstaunliches Prinzip.
Im Moment gefiel es mir, ich würde ihn also noch eine Weile zappeln lassen.
Bei zweihundertachtzig war auch das letzte Bisschen Wut verschwunden.
Ich sah ein, dass nicht mehr aus dem Lexus herauszuholen war, ließ ihn ausrollen und zog auf die Außenspur.

Bereits fünfzehn Minuten, direkt nachdem er das Haus verlassen hatte, war Cam etwas gefolgt, von dem er nicht sicher war ob es wirklich existierte oder ob es eine Einbildung war.
Viel weniger als ein Duft, nicht einmal ein Aroma begleitete den herbstlichen Windhauch.
Es war als hätte jemand Parfum versprüht, schon vor etlichen Stunden. Es war nichts Greifbares zurückgeblieben, aber beim ersten Atemzug schmeckte die Luft doch ein wenig anders als sonst.
Für einen kurzen Moment hielt er inne, als die Fährte eine winzige Nuance an Substanz gewann.
Tat er nicht gerade genau das falsche?
War es nicht egoistisch Lea das zu geben was sie wollte, nur damit sie ihm nicht mehr böse war?
Würde es sich nicht in genau die falsche Richtung entwickeln?
Victor entschied sich dagegen.
Es würde sie ein für alle mal heilen und dann könnte sich endlich alles zum Guten wenden.

Die Couches und Esstische und auch die Küchenabteilung hatten wir bereits hinter uns gelassen.
Nun wuselte ich begeistert zwischen den ausgestellten Schreibtischen hindurch und sah mir hin und wieder eines der Preisschilder etwas genauer an.
Mein neu gewonnener Anhang wich mir zwar keinen Moment von der Seite, beobachtete mein treiben jedoch eher distanziert bis kritisch.
Gesagt hatte er bis jetzt kein Wort, was ich ihm zwar nahe gelegt hatte, mir aber allmählich doch irgendwie unangenehm wurde.
„Wie findest du den?“, fragte ich als wir vor einem monströsen Exemplar aus Fichtenholz standen.
Er zog die Schultern hoch.
„Keine Ahnung. N’ bisschen groß vielleicht…Verzeihst du mir?“
Ich zog meine Augenbrauen zusammen und machte mich kommentarlos auf den Weg in die Bettenabteilung.
Mein Schatten folgte mir.
Was würde er wohl tun wenn ich ein Bett ausprobierte?
Die Röte kroch mir ins Gesicht und ich achtete darauf, dass Pat es nicht mitbekam.
Ich beäugte einige Modelle, jedoch ohne wirklich näheres Interesse zu zeigen, bis ich bemerkte, dass mein Begleiter zurück gefallen war.
Ich drehte mich um und sah ihn fragend an.
Mit einem gewinnenden Lächeln schlenderte er auf mich zu.
Er musste wissen wie eindrucksvoll er wirkte.
Kurz bevor er mich erreicht hatte machte er einen Diener und wies gleichzeitig mit seinen Armen auf einen etwas abgelegenen Ausstellungsraum mit einem Potthässlichen Rosa Anstrich und einer Menge brauner Kissen.
Über Geschmack ließ sich ja bekanntlich nicht Streiten, aber der Angestellte, der dieses Ungetüm fabriziert hatte verdiente eigentlich schlimmeres als nur gefeuert zu werden.
Nervös begann ich an meinen Haaren zu zupfen, als ich seiner Einladung folgte.
Das war’s also mit der Alphatierposition.
Schade.
In der Mitte des „Zimmers“ hielt ich inne bis Patrick mir einen leichten Schubs versetzte und mich in die Ecke verfrachtete.
Mein Atem ging schneller.
Was hatte er vor?
Ich stand mit dem Rücken zur grässlichen Wand und er hatte seine wunderbaren Arme links und rechts von meinem Kopf abgestützt.
Sein Blick hielt meinen gefangen.
„Alley…“, begann er und ich schmolz bereits dahin.
Verdammt.
„Ja?“, hauchte ich.
„Du, meine Liebe, bist ein Opfer!“, beschwerte sich die nicht so leicht zu beeinflussende Hälfte von mir, die Leider gleichzeitig die schwächere war.
„Verzeihst du mir?“, fragte er noch einmal, so samtig, dass ich mich kaum auf die Bedeutung seiner Worte konzentrieren konnte.
„Ich…Ich…“, stammelte ich.
„SAG NEIN!“, schrie mich der immer noch beleidigte und misstrauische Teil in mir so heftig an, dass ich tatsächlich ein Kopfschütteln zustande brachte.
Eine Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen.
„Ich weiß dass du schon nicht mehr wütend warst, als du mein armes Auto über die Straße gejagt hast. Gib es zu bevor ich dich zu deinem…unserem Glück zwingen muss!“
Er lächelte verwegen.
Mir lief ein heißer Schauer durch Mark und Bein.
„Unser Glück“
Ich musste schwer schlucken.
„Also?“, fragte er erwartungsvoll.
„Du musst wissen, dass ich eigentlich keine Zeit für so was habe. Ich war bis jetzt schon nachsichtig mit dir.“
Meine Kehle war zu trocken um mir dabei zu diensten seien zu können etwas zu antworten, deshalb nickte ich einfach.

Endlich musste er ganz in der Nähe sein.
Überall roch es nach dem Gegenstand seiner Suche.
„Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag, Victor Sanders. Ich fürchte wir hatten noch nicht die Gelegenheit uns vorzustellen.“
Die melodische Stimme erklang nicht aus einer Richtung, sodass es unmöglich war ihre Quelle zu orten. Viel mehr schien sie sich um ihn zu wickeln und ihm direkt durch jede Faser zu strömen.
Suchend drehte sich Cam um seine eigene Achse.
Er erkannte den Platz, an dem sie Lea gestern aufgelesen und förmlich mit sich geschleift hatten.
„Ich weiß nur zu gut wer du bist: ein verdammter Bastard!“, knurrte Victor.
Ein tadelndes Geräusch erklang, diesmal eindeutig hinter ihm.
Er fuhr herum und sah seinen Gesprächspartner leichtfüßig über die Mauer schreiten.
„Sehr höflich bist du nicht.“, stellte der Junge Mann fest.
Cam zuckte die Schultern.
„Kein wunder, ich mag dich ja auch nicht.“
„Sehr bedauerlich“, erwiderte sein Gegenüber mit einem Lächeln.
„Lassen wir das..“, schlug mein Freund vor.
„Ich weiß nicht genau warum du hier bist, aber das ist vielleicht auch besser so. Fakt ist das: Lea verzehrt sich, aus welchen Gründen auch immer, danach dich zu sehen. Ich hoffe ja, dass sie dir einfach gerne ein paar knallen würde, aber das wird sich zeigen. Jedenfalls schlage ich dir jetzt folgendes vor, Abel: Du wirst sie genau hier treffen. Heute. In meiner Gegenwart!“
Abel lachte zynisch, während er sich einige glänzende braune Strähnen aus dem Gesicht wischte.
„Und warum, mein Freund, sollte ich das wollen?“
„Du kannst mir nichts vor machen. Jeder der das nicht wollte wäre ein Vollidiot“, entgegnete Victor.
In den grünen Augen blitzte eine Erkenntnis.
„So ist das also…“, er sang die Worte beinahe.
„…du hast also eine Schwäche für meine kleine Lea Maria.“
Sein Grinsen wurde anmaßend.
„Nun, wer kann es dir verübeln. Dennoch denke ich, dass sie …etwas angemessenere Gesellschaft gewohnt ist.“
„Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass du damit dich selbst meinst?!...“, Cam pausierte.
„Was soll’s…sei einfach noch da wenn wir kommen!“, damit drehte er sich um und spurtete los.
„Auf bald, mein junger Freund!“, hallte es in seinem Kopf wieder.
Unheimlich.

Patricks Hände umfassten mein Gesicht, so wie ich es bereits kannte.
Das hielt meinen Körper allerdings nicht davon ab trotzdem verrückt zu spielen.
Der Schweiß, das Schwindelgefühl, die Röte und die Schmetterlinge in meinem Bauch, Alles war wieder da.
Doch ich achtete kaum darauf, denn dieses Mal gab es keine endlos lange und Nerven zerfetzende Annäherung.
Er zog mich schlicht zu sich heran und ENDLICH gab er mir das, worauf ich so lange gewartet hatte.
Einen, erst zärtlichen, dann innigeren, aber in jedem Falle märchenhaften Kuss.


~12~ Close up Camera two

Nun ist es soweit. Das letzte aller letzten Kapitel. Bis hierhin hat es einfach unglaublich Spaß gemacht, nicht zuletzt durch DICH, lieber Leser!
Ans Ende werde ich noch einen kleinen FAQ Teil anhängen, nur für interessierte Menschen.
Ich bemühe mich den EPILOG so schnell folgen zu lassen wie möglich und wünsche nun ein letztes Mal: Viel Spaß beim lesen!




Ich gab ein leises atemloses Keuchen von mir, als sich seine warmen und geradezu unmännlich weichen Lippen von meinen lösten.
Patrick öffnete die eben noch geschlossenen Augen und schenkte mir einen glühenden Blick, der das leichte Zittern meiner Gliedmaßen nur noch schlimmer machte.
Das brennende Interesse in seinen Augen war so neu für mich, dass es mir beinahe unangenehm war und so räusperte ich mich.
Er hob die Brauen und legte den Kopf schief.
„Ja…ich denke ich habe für heute genug von Möbeln“, wisperte ich.
Er nickte.
„Was hältst du davon, wenn ich dir helfe deine Sachen von den De Ladds zurück in deine Wohnung zu bringen? …Vorausgesetzt sie lassen mich überhaupt in die Nähe ihres Hauses“
Jetzt nickte ich.
Pat schien gerade die winzigen Zuckungen meiner Muskeln zu bemerken, denn er grinste über das ganze Gesicht und versuchte mir zu erklären, dass er diese Wirkung immer auf Frauen ausübe, bis ich ihm einen Klaps gegen den Kopf verpasste, er mir einen Arm um die Taille legte und wir uns auf den Weg in Richtung Ausgang machten.


„Jetzt lass mich endlich los, Cam. Du bist doch total verrückt geworden!“
Noch immer schrie Lea Zeter und Mordio.
Victor hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, als meine Freundin am Arm hinter sich her zu schleifen, da sie seinen Ausführungen natürlich keinen Glauben hatte schenken wollen und sich weigerte ihn zu begleiten.
Sie leistete rege Gegenwehr und er gestand sich ein, dass er absurder Weise ein kleines bisschen erleichtert war, als der Platz mit dem Mäuerchen endlich in Sichtweite kam.
„Victor Sanders, ich schwöre dir ich werde deine…“
„Hallo, Liebste“, tönte es sanft in ihrem Kopf und sie verstummte augenblicklich.
Als Cam bemerkte, das ihr Zerren erstarb drehte er die Augen gen Himmel und lies sie los.
Regungslos verharrte Lea mit einem Gesichtsausdruck, der nichts preisgab.
„Bitte komm doch näher…“, säuselte die Stimme und erzeugte den Drang ihren Worten umgehend Folge zu leisten.
Wie von unsichtbaren Fänden gezogen setzte sie sich in Bewegung.
Nur am Rande registrierte sie, dass Victor ihr in einigem Abstand folgte. Er schien angespannt und wachsam. Weshalb konnte Lea sich nicht vorstellen.
Alles was für sie zählte war diese vertraute süße Stimme in Ihrem Inneren, die sie völlig erfüllte.
Etwa auf der Mitte des Platzes stoppten ihre Schritte.
Mit einer Bewegung die selbst für Cams Augen kaum auszumachen war, erschien Abel.
Er stand so unmittelbar vor Lea, dass sein Geruch sie fast erschlug.
Zufrieden lächelnd musterte er sie von den blonden Locken, bis zu den Hausschuhen, die sie immer noch trug.
Victors Hände waren zu Fäusten geballt.
„Du hast mir gefehlt“, teilte er ihr mit.
Nun war es auch Lea möglich, festzustellen, dass die Worte eindeutig seinem Mund entsprangen. Klar denken hingegen, war noch immer nicht zu schaffen.
„Du hast ein Loch in mir hinterlassen.“
Hinter ihr lachte jemand höhnisch auf.
„Es war unglaublich schmerzlich dich nicht bei mir zu haben.“
In seinen Smaragdaugen blitzte es ernsthaft.
Gebannt starrte Lea in sein Gesicht.
Abel schien nicht weniger fasziniert. Er griff ein goldenes Löckchen, das die Abendsonne reflektierte.
„Ich bin hier um dich zu bitten mich zu erlösen und mit mir zu kommen“, flüsterte er ihrem Haar zu.
Cam knurrte leise, sah jedoch regungslos mit an, wie er sich ihrem Gesicht näherte und sie dann verlangend küsste.

Leise Enttäuschung beschlich mich, als Patrick endlich den Wagen auf die Straße zum Haus der de Ladds lenkte. Irgendwie hatte ich wohl gehofft, dass diese Fahrt – nun vielleicht nicht nie enden – zu mindest aber viel länger dauern würde.
Schließlich waren es nur wir zwei und das, wo es mir nach Alledem vergönnt war ganz ungezwungen mit ihm reden zu können, ihn ansehen und vor allem berühren zu dürfen.
Obwohl ich mich zwang mit Letzterem, so schwer es mir auch fallen mochte, sparsam umzugehen, war es schon erstaunlich wie angenehm es war, einfach zwanglos mit ihm zusammen zu sein, ohne jede Spur der anfänglichen Spannungen zwischen uns.
Meine Bedenken, ich würde ihn durch mein wasserfallartiges Geplapper zu Tode langweilen, zerstreute er während des Fahrens immer wieder mit gut getimeten und ehrlich interessiert wirkenden Zwischenfragen und nachdem wir wieder auf die etwas gemächlicheren Straßen abgebogen waren, hatte er mir zweimal einen Blick zugeworfen, der mein ohnehin flatterhaftes Herz einmal mehr aus dem Takt brachte.
Das schwarze Gefährt stoppte.
Mit zielsicheren flinken Fingern löste er seinen Gurt und war blitzschnell um die Motorhaube herumgelaufen um mir die Tür zu öffnen.
Ich kicherte verlegen.
„Weißt du, diese Gentleman-Sache ist wirklich süß, aber auch irgendwie ungewohnt.“
Er wirkte irritiert, scheinbar hatten seine zahlreichen Romanzen nie Beschwerde wegen zuvorkommender Behandlung eingelegt – Wenn ihnen diese überhaupt je zuteil geworden war.
„Nicht gut?“
„Nein…es ist nur…vielleicht könnten wir das erstmal aufs GELEGENTLICHE Türaufhalten und Taschentragen beschränken“, schlug ich vor.
Er hob die Schultern und ließ sie nach einem „Na schön“ wieder sinken.
Kaum dass ich geblinzelt hatte war der Wagenschlag wieder geschlossen und er saß angeschnallt auf dem Fahrersitz.
„Nach dir meine emazipierte kleine Schneeflocke.“
Belustigt den Kopf schüttelnd stieg ich aus, versuchte als Erste an der Klingel der De Ladds zu sein und verlor natürlich.
Als ich den Weg von der Auffahrt hinauf gestürmt war drückte Pat bereits demonstrativ grinsend auf das kleine Messingknöpfchen neben der Zarge.
Auch von draußen war das schrillen der Glocke deutlich zu hören, doch es tat sich nichts.
Ich drückte noch einmal.
„Traust du mir etwa nicht zu richtig klingeln zu können?“, fragte er mit prickelnder Ironie.
„Dir, Mister, traue ich inzwischen ALLES zu. Deswegen tue ich das.“
Er zog einen Schmollmund während es noch immer still blieb.
„Meine untrüglichen Vampirinstinkte sagen mir, dass Niemand zuhause ist.“
Mit erstaunter Anerkennung, die ich schon so oft geheuchelt hatte, blickte ich ihm ins Gesicht bis er ohne Vorwarnung in meine Rippen piekste und damit die stumme Herausforderung zu einer Kabbelei aussprach, die ich mit Sicherheit bereuen würde aber auch nicht ablehnen konnte.
Gerade als ich glaubte ersticken zu müssen weil ich vor Lachen keine Luft mehr bekam stoppte er ruckartig seine Kitzelattacke und hob konzentriert und todernst den Kopf.
Unmittelbar danach hatte sich ein besorgter Ausdruck auf seinen Zügen ausgebreitet.

Als er die Beiden vor sich stehen sah, Abels Hand in Leas Nacken, die andere auf ihrer Taille ruhend, vertieft in einen innbrünstigen Kuss, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass das Treffen auf keinen Fall so ablaufen würde, wie er gehofft hatte.
Erst jetzt wurde sich Cam der vollen Idiotie und vor allem Gefahr dieses Unterfangens bewusst.
Wenn Sie sich nun wirklich gerade entschieden hatte ihren früheren Geliebten zu begleiten?
Und was würde geschehen wenn er versuchte sie aufzuhalten? Wie weit würde der unberechenbare Fremde gehen und auf welcher Seite würde seine Freundin dann stehen?
Kalte Angst krampfte ihm den Magen zusammen.
Unwillkürlich wünschte er sich P.J wäre bei ihm.
Irgendein masochistischer Teil seiner Selbst bemerkte plötzlich wie perfekt die Beiden optisch harmonierten.
Endlich löste sich das Pärchen. Seine Anspannung blieb.
Abel lächelte Sie selbstgefällig an.
„Ich wusste doch, dass du…“
Er wurde von Leas schallender Ohrfeige unterbrochen.
„Du unglaubliches Riesenarschloch. Was denkst du eigentlich wer ich bin? Glaubst du wirklich du könntest nach all den Jahren einfach wieder hier aufkreuzen, du Pavian? Als hätte ich nichts Besseres zutun! Natürlich war ich damals unglaublich verletzt aber ich bin drüber weg. Ich gehöre nicht zu den Mädchen, die ewig darauf warten, dass ihr großer unantastbarer Held – der du nebenbei bemerkt nicht bist und nie warst - irgendwann doch noch ein Bisschen Aufmerksamkeit für sie erübrigen kann. Zumal du dich nicht die Spur geändert hast! Wie um alles in der Welt kamst du auf die hirnverbrannte Idee ich würde dir noch mal eine Chance einräumen?!?“
„Gib’s ihm Schwester!“, feuerte ich sie an.
Soeben waren Patrick und ich auf der Bildfläche erschienen.
Trotz seines Protestes hatte ich darauf bestanden ihn zu begleiten und mich durchgesetzt.
Zwei grüne Augen zuckten zu mir hinüber.
„Du…Du bist doch der Bus Heini!“, stieß ich empört hervor.
Ein schiefes Grinsen eroberte sein markantes Gesicht.
„Oder ging es am Ende gar nicht um mich…“, sprach Lea einen Gedanken aus der mir einen Schauer durch Mark und Bein jagte.
„Schön dich zu sehen, Kleiner Bruder“, schnarrte der junge Mann.
„Sieh an….Ken besucht seine Barbie“, erwiderte Pat.
„…Willst du uns nicht einfach Allen den Ärger ersparen und gleich zurück in das zweifellos exzentrische und nach zuviel billigem Aftershave riechende Loch verschwinden, aus dem du dich unerklärlicherweise mal heraus begeben hast?“
Ein amüsiertes Glitzern in Abels Augen, verhieß, dass der Spaß für ihn gerade erst begann.
„Sie hat Recht!“, ertönte eine Stimme, die niemand anders zu hören schien, da sie direkt in meinem Kopf erklang.
Verwirrt schaute ich mich um.
„Es geht nur um dich, meine Kleine!“
Erschrocken riss ich die Augen auf.
„Was hat er dir gesagt?“, zischte Pat.
„D...d…dass es nur um mich ginge.“
„Vergiss Das!“, knurrte er bedrohlich, während er sich vor mir Aufbaute.
Blitzschnell stand nun auch Lea hinter mir und Victor schützte meine Seite.
„Was willst du denn von mir?“
Meine Stimme klang schrill.
„Ist nichts persönliches, Schätzchen. Aber ich habe noch eine Rechnung mit einigen Anwesenden zu begleichen.“
Wütend funkelte Cam ihn an.
„Du wirst sie nicht anrühren!“
Süffisant lächelte Abel.
„Das wird auch gar nicht nötig sein.“
Und viel zu schnell für meine Augen stürzte er sich auf meinen besten Freund.
Damit hatten meine Beschützer offenbar genauso wenig gerechnet wie ich und die Überraschung verschaffte Abel den entscheidenden Sekundenbruchteil, den er brauchte um die Zähne in Viktors Schulter zu schlagen.
Ein gemurmelter Fluch erreichte mein Ohr erst, als die beiden Anderen sich bereits in den Kampf gestürzt hatten.
Das blanke Entsetzen ergriff von mir Besitz als ich erkannte und begriff.
Es war nicht wie ich gedacht hatte. Nicht alle drei drangen auf den ungeliebten Besuch ein. Stattdessen hatten sich zwei Paare gebildet, die auf der Lichtung umher stoben.
Ein biblischer Kampf zwischen den beiden Brüdern war entbrannt. Sie fochten mit einer derartigen Kraft und einem Hass gegeneinander, dass nicht die geringste Unsicherheit an ihren Absichten aufkommen konnte. Es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass einer von Beiden diesen Platz nicht mehr verlassen würde.
Bei dieser Erkenntnis drehte sich mir der Magen um.
Das verzweifelte Ringen der anderen Beiden war jedoch nicht weniger schlimm. Im Gegenteil.
Lea wehrte Cam ab, der immer wieder versuchte in meine Richtung zu gelangen.
Sein hübsches, friedliches Gesicht war verzerrt von blutrünstiger Gier.
Jetzt brach Abels ganzer perverser Plan über mich herein.
Er hatte nicht vorgehabt mich jemals selbst anzugreifen. Das wollte er grausamer weise meinem besten Freund überlasen, indem er Ihn schwer verletzte und somit seine niedersten Instinkte weckte.
Überleben.
Das war alles was für Cam noch zählte.
Er wollte sich Lebensenergie beschaffen, völlig egal zu welchem Preis.
Immer wieder versuchte er auch Lea zu beißen. Die Frau, die er so sehr vergötterte.
Und sie musste immer härter schlagen und treten um ihn fern zu halten, während Tränen über ihre Wangen rannen.
Ich wollte mir gar nicht vorstellen wie diese Schlacht ausgehen würde.
Meine Beine knickten ein unter der Last meiner Angst und Ohnmacht. Zitternd kniete ich im Gras und war unfähig den Blick von der Szenerie abzuwenden.
Noch hielten sich die Kräfte beider Paarungen anscheinend im Gleichgewicht. Niemand wirkte schwer verletzt, außer Cam, der es allerdings nicht zu registrieren schien, doch das würde sich bald ändern.
Ich war nicht fähig dazu auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, doch was würde das auch nützen?
Ich war nur ein Mensch. Machtlos. Trotz all unserer Geräte und Wissenschaft waren wir…
Da war sie. Die ersehnte Idee, die mir eine Winzigkeit Hoffnung schenkte.
Ich zog mein Mobiltelefon aus der Tasche meiner Jacke und drückte zwei Knöpfe.
„Leas Platz an der Mauer. JETZT.“
Dann warf ich das Handy ins Getümmel der viel sagenden Geräusche.
Seine zusätzliche Kraft würde alles entscheiden.
Eine gefühlte Ewigkeit lang tobten die erbitterten Kämpfe weiter und langsam verschob sich die anfängliche Balance in eine entsetzliche Richtung.
Lea konnte den Attacken nur noch mit knapper Not entrinnen und Patrick hatte Mühe seine Deckung aufrecht zu erhalten, denn die Angriffe seine Bruders wurden immer wilder.
Etwas schoss an mir vorbei und auf Cam zu, der Wenig später hart gegen den Steinwall prallte.
P.J war endlich gekommen und unterstützte seine Schwester.
Kein Gefühl der Erleichterung breitete sich in mir aus, denn im Endeffekt war es ein weiterer Freund, der in tödlicher Gefahr schwebte.
Es musste doch noch etwas geben, was ich tun konnte. Ich musste einen Weg finden Abel abzulenken um Pat wenigstens einen Sekundenbruchteil einzuräumen, in dem er Ihn treffen konnte, aber ich hatte zuviel Angst um mich zu bewegen.

Fieberhaft dachte er nach, während er den kaum noch zu entrinnenden Angriffen seines Gegners um haaresbreite entwischte. Wenn er ihn nicht bald unschädlich machte, würde er es tun. Solange er sich entsinnen konnte war Abels einzige Schwäche schon immer eine Übergroße Selbstliebe gewesen, was ihn leicht reizbar machte.
Im Laufe der unzähligen Jahrhunderte, hatte Er sich allerdings eine glänzende Selbstbeherrschung angeeignet.
Dennoch. DAS war die einzige Möglichkeit ihm nahe zu kommen.
„Weißt du, Ken, eigentlich hatte ich dich immer für Klüger gehalten. Ich hätte niemals angenommen, du würdest dich wegen so niederer Gelüste wie persönlicher Rache in Schwierigkeiten bringen.“
Ein Tritt verfehlt ihn knapp.
„Pah“, Abel lachte spöttisch. „Also Schwierigkeiten kann man das ja nicht gerade nennen!“
Patrick durfte sich nicht ablenken lassen.
„Weißt du, genau diese Eitelkeit ist es auch, weshalb mich Mutter immer mehr geliebt hat als Dich!“
In den Smaragdaugen blitzte es für einen winzigen Moment auf bis er sich wieder unter Kontrolle hatte.
„Und deshalb hat dich auch Lea verlassen!“
Er duckte sich unter einem Arm hinweg.
„Das hat sie Nicht. Ich habe sie verlassen“, zischte sein Bruder und Pat merkte, wie seine Selbstbeherrschung langsam Risse bekam.
Eine Klauenhand strich so nah an seinem Gesicht vorbei, dass sie die feinen Härchen auf seiner Wange streifte.
„Denkst du das würde dir irgendjemand abkaufen, der dich länger als zwei Minuten kennt? Niemand mag dich. Du kannst dich doch selbst nicht leiden. Deswegen versuchst du auch so sehr dich zu verändern, indem du wildfremde Persönlichkeiten in dich aufsaugst.“
„Lächerlich“
„Versuch es nicht, Ken. Wem willst du was vor machen? Diese Arroganz, die Distanziertheit. Das sind doch alles bloß Tricks, damit niemand merkt wie aufgewühlt und verletzt Es in dir Aussieht…“
Eine Faust donnerte hart gegen seine Schulter und ließ ihn taumeln.
„Aber der einzige den du wirklich belügst, das bist du selbst!“

Es krachte, als sich Abel mit seinem Ganzen Körper auf seinen Bruder warf und beide mit unglaublicher Wucht gegen eine Eiche prallten.
Ein leiser Schrei entrang sich meiner Kehle.
Mein Herz schlug hart und schmerzhaft gegen meine Rippen und meine Atemzüge waren kurz und flach.
Keine zwei Sekunden später waren die Brüder wieder auf den Beinen.
Patrick sprach die ganze Zeit während Er von Abel vor sich her getrieben wurde, der völlig in die Offensive gegangen war.
Dann begriff ich was er damit bezweckte.
Immer näher kam der tödliche Tanz meinem Sitzplatz bis plötzlich ein hoher Schmerzensschrei die unheimliche Stille des Gefechts zerriss.
Eindeutig Leas Stimme.

JETZT!
Mit Aller Kraft, die er besaß hechtete Patrick nach vorn und grub seine Nägel tief in das Fleisch seines Gegenübers. Der Schwung seiner Bewegung riss Abel zu Boden.
Instinktiv zuckte sein Mund zur Halsbeuge seines Opponenten, doch von ihm wollte er nicht trinken.
Niemals wollte er auch nur einen Tropfen seiner zusammengeklaubten Lebensenergie in seinem Körper wissen, dennoch biss er Sekundenbruchteile später durch kühle Haut, Sehnen wie Stahlseile und Muskeln, die auch Marmor hätten sein können.
Dann zog er und riss ein Großes Stück Gewebe heraus.
Purpurne, fast schwarze Flüssigkeit rann in Strömen aus der Wunde.
Mit einem Wutschrei, den man zweifellos bis nach Dallenton hören konnte, schleuderte Abel Patrick in meine Richtung, und sprang auf.
Mit Schrecken sah ich, wie er sich erneut auf Victor stürzte und mit Ihm im Unterholz landete.
Es folgte das schrecklichste Geräusch, dass ich jemals hören sollte.
Eine Mischung aus ersticktem Gurgeln, verbalisierter Todesangst und Schreien die von Schmerzen erzählten, die unvorstellbar waren.
Dann breitete sich Grabesstille über der Lichtung aus.
Zugleich stürmte Lea, Jake und Patrick los, was das Letzte war, das ich mitbekam, bevor mich eine einladende friedliche Dunkelheit umfing.

Jemand hielt meinen Kopf als ich erwachte. Noch immer befand ich mich am Platz des Grauens und prompt kehrte die Panik zurück, doch niemand bewegte sich.
Es war Lea, die mir über die Haare strich, während sie stumm weinte.
„Es ist in Ordnung, Alley“, flüsterte sie mit zitternder Stimme.
„Es ist vorbei.“
Langsam richtete ich mich auf.
Der Schwindel war noch immer nicht verschwunden.
„Was ist passiert?“, fragte ich und zuckte beim Klang meiner eigenen Reibeisenstimme zusammen.
Sie wurde von einem Schauer erfasst und während sie mir Alles erklärte rannen noch mehr Tränen über ihr Gesicht.
Als sie geendet hatte brach ich zusammen und überließ mich dem Schmerz.

Die Nacht war so klar wie ich es lange nicht erlebt hatte, doch aus diesem Grund hatte sich auch eine unbarmherzige Kälte über die Stadt gesenkt.
Der Atem der Sechs Anwesenden kondensierte sobald er Mund und Nase verlassen hatte und bildete kleine weiße Wölkchen.
Ich zitterte in meinem Knielangen Kleid und der Strumpfhose, doch ich besaß keine schwarze Hose und so nahm ich das Frösteln in Kauf.
Auch Patrick, Lea, Jake und Mr. und Mrs. Sanders waren schwarz gekleidet.
Niemand sagte ein Wort und so begleiteten uns nur die Schluchzer von Aveline, Lea und meiner Wenigkeit als wir über die Wiese hinter dem Haus der de Ladds stapften.
Am Waldrand angelangt versammelten wir uns in einem Halbkreis.
Am linken Ende stand Patrick, der seinen Arm um mich gelegt hatte, am Rechten Misses Sanders, die ein kleines Edelstahlgefäß in ihren Händen hielt.
Dann begann sie leise eines von Victors Lieblingsliedern zu singen.
Nach ein Paar Takten stimmte der Rest unserer kleinen Versammlung in „Missing“ mit ein.
Als die letzten Töne verklungen waren öffnete sie das Behältnis und der eisige Wind trug den Inhalt mit sich fort.
„Ich liebe dich“, flüsterte ich, als ich beobachtete wie die Asche zerstob.
Dann schmiegte ich mich an Pat und Vergrub mein Gesicht in seinen Armen.


Hochverehrte Leserschaft,
hiermit endet die Geschichte von Alley Adler noch nicht ganz.
Wenn ihr Lust habt dann seid gespannt auf den bald folgenden EPILOG.
Und für ganz begeisterte kommt hier noch ein kleiner Teil mit Hintergrundinfos.

FAQ !

Haben die Charaktere (vor allem Pat ;)) Vorlagen in der Realität und wenn ja, wo wohnen sie???

*krkr* Also sagen wir es mal so…Pat heißt nicht ohne Grund Pat, allerdings ist der Realexistierende weder ein Vampir, noch so überaus zynisch und leider noch ein bisschen weniger gut aussehend.
Victor existiert tatsächlich in der Form meines besten Freundes, ist aber weniger gut gebaut und würde sich niemals auf Lea einlassen.
Was auch an der Tatsache liegen mag, dass Lea nur in einigen Eigenschaften existiert, nicht aber als Ganzes.
Jake ist zu meinem Leidwesen komplett erfunden, ebenso wie die restlichen Charaktere (Cairo, Cadence und Adam…).

Bist du Alley sehr ähnlich?

Hm…man kann schon sagen, dass sie einige Autobiografische Züge in die Geschichte bringt, andere wiederum sind völlig untypisch für mich.
Im Großen und Ganzen aber, ist sie glaube ich einfach ein typisches Mädchen und reagiert daher oft so, wie die meisten von uns es (hoffentlich) an ihrer Stelle tun würden.
Das war mir auch wichtig, dass es leicht fällt, sich mit ihr zu identifizieren, was wahrscheinlich auch die Ursache dafür ist, dass ich sie optisch im Grunde kein einziges mal beschreibe, obwohl das eher nebensächlich wäre.

War die Geschichte von Anfang bis Ende geplant, bevor du angefangen hast zu schreiben?

*lacht erneut*
Angeblich entstehen auf diese Weise ja die besten Geschichten. Erscheint auch durchaus logisch. Zu meiner Schande muss ich aber gestehen, dass ich eigentlich fast die ganze Zeit auf doofen Dunst geschrieben habe (was man an ein Paar Logikschnitzern auch deutlich nachvollziehen kann). Ich habe zwar versucht, es alles so realistisch zu halten, wie es eben geht, wenn man es mit Vampiren zutun hat (was ja ehrlich gesagt im Nachhinein keine Große Rolle für die Story spielt), aber manche Stellen kommen mir schon etwas an den Haaren herbei gezogen vor.

Welche Figur magst du am liebsten oder würdest du gerne sein?

Schwere Frage.
Ich kann mich nicht entscheiden ob ich nun P.J oder Abel lieber mag.
Jake ist klasse. Er verbreitet immer gute Laune, ist aber in den richtigen Momenten für einen da.
Abel hingegen ist einfach die personifizierte Coolness.
Er ist quasi die kalte Hälfte von Pat.
Wer hat nicht einen geheimen Fable für den Bad-Guy?
Und am liebsten sein würde ich…ganz klar…Cadence!
Warum? Ebenfalls klar. Adam :]


Wie bist du auf die Namen der Figuren gekommen?

Ähm… Adelaide ist der Name einer Streetwearfirma von *kratzt sich am kopf* …nein Moment. Es war so: Sie hieß nicht wirklich Adelaide. Ich hatte mich nur verlesen und da ich von der Australischen Stadt schon mal gehört hatte, hat mein Gehirn wahrscheinlich eben das draus gemacht.
Als ich mit der Geschichte begonnen habe, habe ich dann den Song „Adelleda“ gehört und musste immer an dieses verfluchte Etikett denken.
Als Name schien es mir ganz passend. Wer mit so einer Bezeichnung gestraft ist hat automatisch Sympathiepunkte und nicht zu vergessen ist, dass man ihn wunderbar (zweideutig) abkürzen kann.
Im Allgemeinen wollte ich nicht, dass die Namen zu amerikanisch klingen, aber auch nicht deutsch. Des Weiteren mussten die eingefleischten Vampire eher altertümliche Namen bekommen. Ist ja klar. Daher bildet Victor mit dem Nachnamen „Sanders“ auch die Ausnahme, denn seine Familie ist ja noch recht frisch untot.
P.J Ladd ist ein Skater (ob er allerdings Peter Jakob heißt ist fraglich), ebenso Cairo Foster.
Alle anderen Bezeichnungen sind hart ergrübelt.
Außer natürlich Patrick.
Und da sein zweiter Vorname nun mal Cain ist musste sein Bruder logischerweise Kenneth Abel heißen.
Ihre Mutter heißt übrigens Esthera Lilith ;P


Wo, zur Hölle, ist Dallenton?

Was weiß denn ich?
Ich wollte bewusst keine geografischen Bezüge schaffen, aus folgendem Grund:
Amerikanische Namen klingen cooler. Problem: Ich kenne mich mit der dort ansässigen Kultur und ländlichen Gegebenheit nicht so gut aus als dass ich einen authentischen Schauplatz kreieren könnte. Daher ist Dallenton eine Mischung aus meiner geliebten Heimatstadt, einer benachbarten Größeren und einer ordentlichen Portion Einbildung.


Was wirst du als Nächstes schreiben?

Ich weiß es nicht.
Vielleicht werde ich mich meinem alten Mammutprojekt wieder zuwenden (eine Komplett erfundene WELT), aber vielleicht werde ich mich auch etwas völlig Anderem widmen.
Es gibt außerdem die Überlegung eine Art Sequel zu machen, wenn Interesse besteht(lasst es mich wissen). In dem würde es dann um einen Nebencharakter aus MS gehen. Z.B die Geschichte von P.J und Leas Eltern o.ä.
Für Vorschläge bin ich sehr offen.

Abschließende Worte, Querverweise und/oder Dank?

Diese Geschichte ist im Besonderen einer Person zu schulden.
Scippu.
Was sie alles beigetragen hat kann ich hier gar nicht formulieren. Nur soviel: DANKE!
Ansonsten natürlich der Soundtrack und Elizabeth Hoyt und Suzan Elizabeth Philips, sowie ziemlich alle Filme und Serien die ich während der Entstehung gesehen habe.
Nicht zu vergessen die Kommentatorenschaft. Ebenfalls: DANKE!
Und kitschiger Weise ist natürlich auch mein Liebster in gewisser Art beteiligt, denn man kann nicht über etwas schreiben, von dem man keine Ahnung hat ;]




~Epilog~ You be the Anchor


Meine allerliebste Leserschaft: Danke für Eure Treue und euer Interesse.
Es ist Zeit für das endgültige Ende dieser Geschichte.
Die Idee für eine Neue ist bereits in Arbeit. Diesmal fabelwesenfrei.
Ich hoffe ihr genießt den Epilog und vielleicht bis bald :]



Es hatte wahrscheinlich nie einen schöneren Tag in Dallenton gegeben.
Die frühe Abendsonne tauchte alles in ein unendlich weiches, goldenes Licht und ein zarter Windhauch ließ die weißen Bänder, Windlichter und Lampions, die wir noch am Mittag in die Büsche gehängt hatten, sanft hin und her schwanken.
Es war der erste wirklich warme Tag des Jahres, weshalb sich auch die paar Vögel, die sich nicht von der mittelgroßen Gesellschaft hatten abschrecken lassen, dazu hinreißen ließen vorfreudig zu zwitschern.
In mühevoller Kleinarbeit hatte ich mit Lea, Cadence und Annie, der Freundin ihres älteren Bruders Chuck Foster, den bis dahin schon märchenhaften duftenden Garten des kleinen Landhauses ihrer Großeltern in einen ungleich romantischeren Schauplatz verwandelt. Natürlich hatte ich es gern getan, denn es war die Art Kitsch, die ich liebte, obgleich ich nicht mehr so sehr danach hungerte wie noch letzten Frühling.
Ich nickte zufrieden, als ich meinen Blick ein letztes mal über die in Reih und Glied aufgestellten Stühle, die sparsam, doch effektvoll verteilten Dekorelemente und die feinsäuberlich mit Hussen versehenen Stehtische im vorderen Bereich des Gartens hatte schweifen lassen.
Dann sah ich auf die Uhr und gab der bereitstehenden Band, die sich aus Freunden des Paares zusammen setzte ein unauffälliges Zeichen.
Als ich wieder durch die Tür verschwand hörte ich zu meiner Erleichterung, wie eine plätschernde Melodie von Streichern, Gitarren und weiteren Instrumenten die wunderbar klare Luft erfüllten und sich die Gästeschar allmählich platzierte.
Im Haus erwartete mich Lea.
In einer viel sagenden Geste tat ich, als würde ich mir den Schweiß von der Stirn wischen.
„Ist sie bereit?“, fragte ich mit banger Stimme.
Das war das Einzige was jetzt noch schief gehen konnte.
„Das ist sie“, lächelte mir das blond umrahmte Puppengesicht zu.
Ich nickte.
Langsam fiel der ganze Stress von mir ab und ich konnte nun beginnen die Feierlichkeit zu genießen.
„Dann los!“

Als sich die Verandatür wieder öffnete war das Lied fließender geworden, eleganter, festlicher.
Ich hatte darum gebeten, nicht die Erste sein zu müssen und so trat ich als Dritte, nach Annie und Lea hinaus und schritt die Gasse zwischen den Sitzreihen entlang. Alle starrten mich an und ich krallte mich an das kleine Bouquet aus Blumen, deren Namen ich größtenteils nicht kannte. Diese erwartende Aufmerksamkeit rief ein Unwohlsein in mir hervor, das wohl am ehesten mit Lampenfieber zu vergleichen war.
Ich war heilfroh, dass mein Kleid nicht lang und weiß war, sondern bis zum Knie reichte und aus schwarzem Chiffon bestand.
Wie sollte das erst werden wenn ich einmal selbst die Braut sein würde?
Ich konzentrierte mich auf mein Ziel.
Die beiden anderen Brautjungfern standen bereits zur linken Seite des Standesbeamten. Annie in einem bodenlangen dunkelblauen Kleid, das ihre kurvige Gestalt fabelhaft in Szene setzte und neben Ihr Lea, anmutig wie eh und je, in einer flatterigen, kurzen blassrosa Robe, die sie noch etwas zerbrechlicher aussehen ließ als sonst.
Rechts des Redners Stand Adam, leicht nervös, in einem perfekt sitzenden, Anzug.
Ich zwinkerte ihm zu.
Und neben Ihm allesamt mit dunklen Hosen und Cardigans, weißen Hemden und schmalen schwarzen Krawatten, artig aufgereiht wie Schuljungs, die männlichen Äquivalente meiner zwei Freundinnen.
Am dichtesten beim Bräutigam Cairo und Chuck.
Dann folgte P.J, der ein schwarz gerahmtes Bild Victors in den Händen hielt.
Etwas mehr als ein halbes Jahr war vergangen und der Anblick machte mich zwar immer noch traurig, doch nicht mehr auf jene zerfressende, giftige Art.
Ich verdrängte die Wehmut. Heute war ein freudiger Tag, sicherlich auch für Cam in irgendeiner Weise.
Mein Blick erreichte den letzten der Jungs und plötzlich war es mir völlig gleichgültig, dass mich alle Anderen ansahen, denn das wunderbarste eisblaue Augenpaar der Welt starrte zu mir hinüber, als wäre Es allein meinetwegen hier.
Mit Schmetterlingen im Bauch erreichte ich endlich meine Position neben den Anderen.
Ein weiteres Mal änderte sich die Musik. Sie wurde süßlicher und zugleich dezenter.
Das war das Zeichen für die Übrigen Anwesenden sich zu erheben.
Schließlich stolperte ein etwas unbeholfener aber zugleich strahlender Brautvater über die Schwelle und reichte seiner Tochter den Arm.
Cadence schwebte neben ihm her mit einem Ausdruck, der schieres, unbändiges Glück verriet.
Ihr Kleid war schlicht und passte zu ihr wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.
Es war nicht reinweiß, sodass es wunderbar mit dem Olivton ihrer Haut und den dunklen Haaren harmonierte, die als lockere Hochsteckfrisur ihren Kopf zierten. Sie trug keinen Schleier, nur zwei unauffällige weiße Spangen, von denen man nicht sagen konnte, ob sie lediglich dekorativ oder wirklich haltender Bestandteil der Haarpracht waren.
Zwei breite Träger bildeten sowohl vorne als auch hinten einen V-Ausschnitt, der an der Innenseite mit filigraner Spitze gesäumt war.
Unterhalb der Brust floss es, ganz im Empire-Stil, hinreißend an ihrer großen, schlanken Gestalt hinunter und offenbarte nur bei einigen wenigen Schritten, dass sie Barfuss über die Wiese ging.
In Adams Gesicht zeigte sich blanke, abgöttische Liebe sobald er sie aus dem Haus hatte gehen sehen.
Am Ende des Ganges blieben die Braut und ihr Geleit stehen.
Nun Begann der Standesbeamte zu sprechen.
„Wer übergibt diese Braut in die Ehe?“
Nach einem Schluchzen und einigen Sekunden des um Fassung Ringens, brachte es Mister Foster zustande „Ihre Mutter und Ich“, hervor zu pressen, gab seiner Tochter einen Kuss auf die Wange, klopfte dem Bräutigam wohlwollend und zugleich mahnend auf die Schulter und übergab ihm schließlich wörtlich Cadences Hand.
Nachdem er Platz genommen hatte wandte sich das Paar einander zu und die Zeremonie nahm ihren Lauf, in dem sich fast Jeder einmal verstohlen die Augenwinkel wischte oder, wie ich, ganz öffentlich ab und zu in ein Taschentuch schniefte.

„Das war einsame Spitze“, schwärmte ich, den Mund noch halb mit einem Stück Grillgeflügel gefüllt.
„Das Licht, die Stimmung, die Zeremonie…und vor allem Cadence!“
Patrick machte gedankenverloren eine zustimmende Geste, dann sah er mich an.
„Wenn du mir die Bemerkung gestattest…du hast der Braut irgendwie die Schau gestohlen.“
Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen.
„Also für mich zumindest“, lächelte er.
„Was hast du angestellt?“, wollte ich wissen.
„Gar nichts“, beteuerte er seine Unschuld.
„Paaat?!“
Ich zog das A in die Länge.
„Ach na schön…Ich würde gern mit der Brautjungfer schlafen!“
Mein schauspielerisches Talent reichte wohl nicht für eine glaubwürdig entsetzte Miene.
Ich versuchte es trotzdem.
„Wieder mal typisch Mann. Geht nur auf die Hochzeit um sich ein Betthäschen auszusuchen.“
Er zuckte die Schultern.
„Du kennst mich. Hormongesteuert und pubertär wie eh und je.“
Ich machte ein wissendes Gesicht.
„Nun verehrte Brautjungfer, da ich wie erwähnt nur deinetwegen hier bin…“
Er schenkte mir ein anzügliches Grinsen.
Mit zwei schnellen Seitenblicken sicherte ich unnötiger Weise ab, dass uns niemand belauschte, dann beugte ich mich zu ihm um eine schlagfertige Schweinerei in sein Ohr zu flüstern.
„PETER JAKOB, ICH WERDE DICH…“
Lea rannte, ein riesiges Kuchenmesser schwingend, hinter dem selig grinsenden Jake hinterher.
Wenigstens hatten sie genug Anstand sich auf menschliche Geschwindigkeit zu beschränken.
Als sie an mir vorbei wirbelte packte ich mutig ihren Arm.
„Was ist denn los? Meinst du das kommt bei den Verwandten so gut an?“
Doch in der Tat schien es niemanden der Gäste zu stören.
„ER HAT DIE TORTE SCHON ANGEFRESSEN!“
Patrick brach in schallendes Gelächter aus, was ihm einen bösen Blick einbrachte, ich schaffte es mich auf ein leichtes Lächeln zu beschränken.
„Na wenn das so ist…Schnapp ihn dir!“
Nachdem Lea wieder in einer wallenden rosa Wolke verschwunden war wandte ich mich wieder meinem wunderbaren Begleiter zu.
„Wo waren wir?“
Er ging nicht darauf ein. „Weißt du was mein Lieblingsteil an der Hochzeit war?“
„Das Ende?“, mutmaßte ich.
„Hältst du mich wirklich für so unromantisch?“
Ich zog es vor nicht zu antworten, hätte ihm damit aber sicherlich unrecht getan, hätte ich es ernst gemeint.
Über einen Mangel an Romantik konnte ich mich erstaunlicherweise seit er in mein Leben getreten war nicht beschweren.
Nachdem er kurz die beleidigte Leberwurst gespielt hatte fuhr er fort.
„Nein…mein Lieblingsteil war tatsächlich…“
Ich hörte ihm nicht mehr zu.
Die fünf flammend roten Streifen, die unter dem weißen Hemdkragen hervorlugten hatten mich in ihren Bann geschlagen.
Wie sie mir berichtet hatten, hatte sich Patrick an jenem schicksalhaften Nachmittag auf seinen Bruder gestürzt, der sich gerade an Cam zu schaffen gemacht hatte.
Er war zu spät gewesen um meinen Freund zu retten, doch gerade rechtzeitig um zu verhindern, dass Abel sich in einen nicht zu schlagenden Gegner verwandelte.
Alle drei, Lea, Jake und Er, hatten sich völlig verausgaben müssen um der Existenz dieses Dämons ein Ende zu setzen.
Sie Alle hatten in gewisser Weise noch heute mit den Wunden dieser Schlacht zu kämpfen.
P.J hörte von Zeit zu Zeit Schreie, die nicht da waren, Pat hatte Schwierigkeiten gehabt die Verletzungen an Seinem Hals in den Griff zu kriegen, da sein Kainsmal immer wieder entzündlich geworden war und Lea wurde innerlich beinahe zerrissen von Schuldgefühlen.
Sie hatte sich die Schuld an Cams Tod gegeben und noch dazu hatte sie Abel bekämpfen müssen, den sie einmal so innig geliebt hatte.
Ich erschauerte.
Aber all Das hatte sich gebessert.
Jake hatte sein Lachen und seine natürliche Fröhlichkeit zurück gewonnen, Lea fand gerade ihr seelisches Gleichgewicht wieder und an Pat waren nur die Narben zurück geblieben, die ich nun liebevoll mit meinen Fingern berührte.
An diesem einen Tag hatte er mir bewiesen was für ein überaus wundervolles Geschöpf er nicht nur äußerlich war und damit meine Hoffnung bestätigt.
„Alley?“
An seinem Lächeln erkannte ich, dass es seltsam ausgesehen haben musste, als ich aus meinen Tagträumereien in die Wirklichkeit zurück fand.
Gott, wie sehr ich dieses Lächeln liebte.
Dann wanderte mein Blick von seinem wundervollen Mund hinauf zu seinen Augen.
Keine Spur von Kälte mehr. Nicht ein Hauch Misstrauen, nur dieser Ausdruck, der mir die unbezweifelbare Sicherheit gab, dass er immer bei mir sein würde.
Solange ich lebte und vielleicht auch darüber hinaus.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /