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Mein bester Freund Denny


Mein Kopf brummt schrecklich, als ich am frühen Morgen verkatert aufwache. Trotz der schrecklichen Kopfschmerzen weiss ich sofort, dass ich heute heiraten werde. An den Junggesellenabschied gestern Abend erinnere ich mich nur noch lückenhaft. Ich weiss noch, wie die Jungs und ich getrunken haben, viel getrunken haben. Dann haben sich alle nach und nach verabschiedet, bis nur noch mein bester Freund Denny und ich übrig gewesen sind. Von da an fehlen meine Erinnerungen. Als ich versuche, die Bilder danach in mein Gedächtnis zu rufen, werden die Kopfschmerzen unerträglich. Bevor ich heirate, muss ich unbedingt noch ein Aspirin nehmen. Am besten nehme ich bereits jetzt eins. Doch als ich aus dem Bett steigen will, stelle ich fest, dass ich gar nicht bei mir zu Hause bin, sondern bei Denny. Verwirrt drehe ich mich auf die andere Seite und blicke direkt in sein Gesicht. Seine Augen sind geschlossen und er atmet tief und regelmässig. Ich beschliesse zu warten, bis er aufwacht, um ihn zu fragen, ob er sich noch daran erinnert, was gestern Abend passiert ist.
Die leuchtenden Zeiger meiner Armbanduhr verraten mir, dass ich in genau acht Stunden heiraten werde. Denny schläft noch immer neben mir. Ich beschliesse, ihn zu wecken. Nachdem ich ihn wach geschüttelt habe, schlägt er die Augen auf und blickt mich an. „Guten Morgen Jack!“ Ein warmes Lächeln gleitet über sein Gesicht, doch als sich unsere Blicke kreuzen, erstirbt jenes sofort. „Was ist gestern Nacht passiert?“ Meine Zunge ist noch ein wenig schwer und meine Stimme hört sich rau an. Fassungslos blickt Denny mich an. „Du weisst nicht mehr, was gestern Abend passiert ist? Gar nichts mehr?“ Ich fahre mit meinen Fingern durch mein Haar. „Ich weiss nur noch, wie alle gegangen sind. Mehr nicht.“ Er wird totenbleich. Entrüstet starrt er mich an. „Ist das dein Ernst? Du weisst danach gar nichts mehr?“ Ich nicke. „Danach fehlen mir alle Erinnerungen. Sagst du mir jetzt bitte, was noch passiert ist?“ Denny räuspiert sich. Dann starrt er etwas verlegen auf seine Hände. „Naja, wir haben ein Taxi genommen und sind hier hin gefahren...“ Ich warte darauf, dass er weiterspricht, doch er schweigt. „Wie ging es weiter, Denny? Du bist mein bester Freund! Ich kenne dich gut genug um zu wissen, dass du mir nicht alles erzählt hast.“ Er starrt weiterhin auf seine Hände und schweigt. Nach einiger Zeit meint er langsam: „Naja, danach... Also wir... Du und ich... Ähm...“ Er holt tief Luft. „Wir haben miteinander geschlafen.“
Was? Ich starre ihn nur an, verwirrt darüber, was er gesagt hat. Meint er das ernst? Ist es kein Witz? Oh mein Gott... Ich habe mit meinem besten Freund geschlafen und das einen Tag vor meiner Hochzeit! Ich liege einfach nur da, zur Salzsäule erstarrt, unfähig mich zu rühren. Denny beisst sich auf die Lippen und starrt seine Hände an. „Du verarschst mich, oder?“ Er schüttelt den Kopf und schweigt weiter. „Verdammt! In weniger als acht Stunden heirate ich Kathie!“ Ich schliesse meine Augen und atme tief durch. „Ich weiss...“ Dennys Stimme klingt kleinlaut und traurig. Ruckartig setze ich mich auf. „Denny, das was letzte Nacht zwischen uns passiert ist, bleibt unter uns. Es war ein Fehler. Ich war besoffen und habe keine Ahnung mehr, wie es dazu kam.“ Niemand darf davon erfahren, sonst ist mein Ruf im Eimer. Hätte ich bloss auf diesen dämlichen Junggesellenabschied verzichtet! „Ich fand es... schön.“ Bitte? Was hat er gerade gesagt? Das ist nicht sein Ernst, oder? Jetzt verarscht er mich aber eindeutig! „Was letzt Nacht war, bleibt unter uns, ok?“ Er zuckt bloss mit den Schultern. „Weiss nicht...“ „Versprich es mir, Denny!“ Widerwillig nickt er. „Na gut.“

Nicht einmal mehr zwei Stunden bis zur Hochzeit. Das Aspirin hat seine Wirkung getan und ich habe überhaupt keine Kopfschmerzen mehr. Gerade ziehe ich meine schöne Hose an, als es klingelt. Ich öffne die Tür und blicke in Dennys Gesicht. „Was willst du denn hier?“ Meine Stimme hört sich genervt an. Wobei das wohl vom Stress kommt, denn immer wieder schweifen meine Gedanken zur bevorstehenden Hochzeit. „Kann ich reinkommen?“ Ich nicke. Er tritt ein und schliesst die Tür hinter sich. „Was willst du?“, wiederhole ich meine Frage. Auch diesmal klinge ich nicht viel freundlicher. Denny scheint nach den richtigen Worten zu suchen und sagt nach einiger Zeit mit leiser Stimme: „Ich weiss selbst nicht genau, was ich will... Aber ich kann dir sagen, was ich nicht will.“ Wieder schweigt er einen kurzen Moment. Dann fährt er fort: „Ich will nicht, dass die Sache von letzter Nacht einmalig bleibt... Gestern war der schönste Tag in meinem ganzen Leben. Ich liebe dich, Jack!“ Er streckt seine Hand nach meiner Wange aus, doch ich weiche vor ihm zurück. Geschockt starre ich ihn an.
Bisher habe ich den Gedanken verdrängen können, unterdrücken, von mir wegschieben. Aber jetzt wird meine schlimmste Befürchtung wahr. Mein bester Freund steht auf mich! „Verdammt, Denny. In zwei Stunden bin ich mit Kathie verheiratet. Und ich will und werde die Hochzeit nicht absagen. Ich liebe Kathie! Warum kommst du ausgerechnet jetzt damit an?“ Er weicht meinem Blick aus und starrt auf seine Hände. Meine Worte scheinen ihn ziemlich getroffen zu haben. „Glaubst du, es war einfach für mich, dir das zu sagen?“ Seine Stimme ist nur ein Flüstern, wird nun aber immer lauter. „Glaubst du, ich habe dir das alles aus Spass verschwiegen? Weisst du eigentlich, wie viel Mut ich gebraucht habe, um dir zu sagen, dass ich dich liebe?“ Die letzten Worte brüllt er mir beinahe ins Gesicht. Ich stehe da, stumm und starr wie eine Statue. Er hat recht. Ich sollte nicht so verachtend sein. Für ihn ist die ganze Sache echt schwer. Aber die Worte kommen wie von selbst aus meinem Munde. Zu spät bemerke ich, dass ich sie lieber nicht gesagt hätte. „Mir wäre es lieber, ich hätte von der ganzen Sache nichts erfahren.“ Er funkelt mich an. Hass in seinen Augen. Keine Traurigkeit mehr, keine Wut mehr, nur noch purer Hass. „Von meinem ,besten Freund' habe ich etwas mehr Verständnis erwartet! Du bist ein Arsch, Jack!“ Sein Blick spiegelt seine Gefühle, zeigt mir das, was er nicht gesagt hat. All die Abscheu vor mir. Den puren Hass, der so deutlich durch seine Worte gedrungen ist. Er starrt wieder auf seine Hände. „Ich werde es allen sagen...“ Er presst den Satz zwischen seinen Zähnen hervor. Obwohl seine Stimme leise ist, verstehe ich jedes einzelne Wort und jedes bohrt sich wie ein Messer in mein Herz. Wenn er das tut, verliere ich nicht nur ihn, sondern auch Kathie. „Das tust du nicht! Du erzählst keinem davon!“ Nun schreie ich auch. Denny öffnet die Tür. Als er schon draussen ist, dreht er sich nochmals um. „Das werden wir ja sehen.“ Noch während seine Worte in mein Bewusstsein dringen, knallt hinter ihm die Tür ins Schloss.

Im kleinen Büro auf dem Standesamt ist es heiss und stickig. Kathie sitzt neben mir und lauscht dem Beamten, welcher irgendetwas vorliest. Hinter Kathie sitzt ihre engere Familie, hinter mir die meine. Und Denny. Er hat sich auf den äussersten Stuhl gesetzt und starrt finster auf den Boden. Ich schiele immer wieder zu ihm hinüber. Einmal kreuzen sich unsere Blicke und ich sehe, wie schrecklich tief ich ihn verletzt habe und wie traurig er ist. Der Hass vom Nachmittag ist verschwunden. Nur einen Wimpernschlag später, blickt er wieder auf die Fliesen vor ihm. Immer wenn ich ihn anblicke, bin ich gefasst darauf, dass er aufsteht und allen erzählt, was letzte Nacht zwischen uns gelaufen ist. Doch nichts dergleichen geschieht. Alles klappt so wie geplant. Erst unterschreibt Kathie den Ehevertrag, dann ich, ohne dass Denny auch nur ein Wort sagt. Wir alle sind froh, als wir das kleine Zimmer endlich verlassen können und marschieren schnell heraus. Allen voran Denny.
Beim Hochzeitsfest steht Denny etwas abseits an einen dicken, alten Baum gelehnt und beobachtet das ganze Geschehen. Ich blicke immer wieder zu ihm hinüber und kann mich auf kaum etwas Anderes als ihn konzentrieren. Nach einer Weile sehe ich wieder zur alten Eiche hinüber, doch Denny ist verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Noch in der selben Woche ist er umgezogen. Oft versuch ich, mich an die letzte Nacht vor meiner Hochzeit zu erinnern, doch es lassen sich einfach keine Bilder davon heraufbeschwören. Die Erinnerungen an das Geschehene aus jener Nacht sind verschwunden, genauso wie Denny. Diesen habe ich seit meiner Hochzeit nie wieder gesehen.

Begegnung im Bus


Seit über einem Monat sehe ich ihn jeden Tag im Bus. Er sitzt einige Reihen vor mir mit seiner Clique, welche im Hip-Hop-Style gekleidet ist. Er trägt meistens eine einfache Jeans und ein Trägershirt, welches seine muskulösen Oberarme perfekt zum Ausdruck bringt. Die Einfachheit seiner Kleidung gefällt mir viel besser, als die bunten Mützen und Hosen seiner Kumpels. Er hat braune, ziemlich kurze Haare und meerblaue Augen. Oft kreuzen sich unsere Blicke nur für eine Sekunde, dann widmet er sich wieder seinen Kumpels und ich starre aus dem Fenster. Trotzdem spüre ich das Band zwischen uns, die Verbindung. Bei der Hinfahrt steigt er zwei Stationen vor mir ein, bei der Rückfahrt zwei Stationen vor mir aus. Jedes Mal wenn er vorbeigeht, rieche ich seinen Duft, sein Aftershave. Ich habe bereits vier oder fünf Drogerien danach abgeklappert, aber finden kann ich es nirgends. Manchmal streift mich im Hinausgehen sein Blick und ich erahne ein Lächeln auf seinen Lippen.
Auch heute steigt er wieder zwei Stationen nach mir ein. Er trägt diesmal ein schwarzes Trägershirt und eine verwaschene Jeans. Ich erwarte vier oder fünf Hip-Hop-Jungs hinter ihm, doch niemand steigt ein. Diesmal ist er ohne seine Clique unterwegs. Ich ahne meine Chance, doch er kommt mir zuvor und setzt sich direkt neben mich. „Ich bin Ray“, stellt er sich mir vor und lächelt. Ich kann noch immer nicht glauben, dass mein Traum, den ich seit einem Monat jede Nacht träume, endlich wahr wird. „Hi Ray. Ich heisse Mark.“ Noch immer lächelt er und ich lächle zurück. Wir beide schweigen. „Du bist öfters in diesem Bus, oder, Mark?“ Ich kann nur nicken, so fasziniert bin ich davon, wie er meinen Namen ausspricht. „Bist mir sofort aufgefallen.“ Nun grinst er. Ich bin völlig baff von seiner Offenheit. Dann fasse ich mich jedoch und beschliesse, nun ebenfalls in die Offensive zu gehen. „Du mir auch. Ich finde dich echt süss!“ Ich spüre, wie mir eine leichte Röte ins Gesicht steigt und blicke auf meine Hände. „Ich dich auch.“ Die Worte kommen unerwartet. Normalerweise hätte Ray empört aufstehen und sich einen anderen Sitzplatz suchen müssen. Alle haben das bisher so gemacht. Ich blicke ihn ein wenig verwirrt an. Kann es sein? Ist Ray ebenfalls schwul? Ein Glücksgefühl, wie ich es selten zuvor gespürt habe, durchflutet meinen Körper. „Lass uns bei der nächsten Station aussteigen. Ich kenne dort ein gutes Café.“ Ich nicke, immer noch völlig perplex von seinem Charme und seinen Worten.
Wir steigen aus und Ray führt mich durch einige enge, dunkle Gassen. Plötzlich springen fünf Jungs mit bunten Caps aus einer Seitengasse hervor. Ich erkenne in ihnen sofort Rays Clique. Verwirrt blicke ich sie an. „Gut gemacht Ray! Das ist die Schwuchtel, die dich im Bus dauernd so anstarrt.“ Der Junge, der eben gesprochen hat, gibt Ray nun Highfive. „Machen wir ihn fertig!“, ruft ein anderer. Ich begreife noch immer nicht, was hier gespielt wird und blicke verwirrt zu Ray. Er schaut mir entschuldigend in die Augen und wendet sich dann ab. Mir dämmert langsam, was los ist. Dann trifft mich der erste Faustschlag.

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Texte: Alle Rechte liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 05.11.2011

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Widmung:
für alle, die anders sind

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