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EINBAHN



Das Auto stand schief, von der Straße abgekommen, geneigt, den Abhang hinunter, bis zur Mitte um einen Baum gewickelt. Die Stille wurde unterbrochen vom Winseln eines Hundes, der neben dem Auto saß und vom leisen Tropfen des Wassers, des Kühlwassers. Das tropfte auf das weiche Erdreich und verursachte ein sattes, schmatzendes Platschen. Es war ein schmächtiger Baum, noch jung, einer, dem man nicht zutrauen würde, dass er dem gewaltigen Aufprall von Metall und Schwungkraft standhielte, doch er tat es. Er zitterte leise, in sich, und die dünnen, langfingrigen Wurzeln krallten sich fest in die aufgewühlte Erde.

Die Tür neben dem Beifahrersitz war aufgesprungen, hielt sich lose in der Verankerung und gab den Blick frei auf die heraushängende Hand. Seltsam hing sie da, weiß und nutzlos, halb bedeckt von eingetrocknetem Blut, schwärzlichem, verkrustetem Blut. Der Mann lag hinter dem Lenkrad, halb heruntergerutscht vom Sitz, seitwärts eingedreht, die Füße waren unter Gas- und Bremspedal gerutscht, nicht mehr kräftig und dirigierend, irgendwie verbogen.
Die Augen des Mannes starrten auf ein Bild, eine Fotografie, befestigt in einer Halterung vorne an der Windschutzscheibe. Der Tod hatte sie verbunden, Blick und Fotografie – so lange, bis jemand die Lider des Mannes schließen, die Verbindung trennen würde.

Das Foto zeigte lächelnde Gesichter, die Gesichter seiner Familie, auf einem Radausflug, sie lachten und sprachen miteinander – fast konnte man es hören. Das Lachen der beiden Mädchen, die vornweg fuhren und sich darin übten, die Räder in Schlangenlinien zu fahren und dabei nicht zu Sturz zu kommen. Seine Frau und die ältere Tochter bildeten die Nachhut, scherzhafte Ermahnungen und Ratschläge wurden an die Mädchen nach
vorne geschickt, wohl wissend, sie würden nicht befolgt – würden eher Übermut und Fröhlichkeit Nahrung geben.

Das Foto zeigte auch sein Gesicht, zufrieden lächelnd und zaghaft stolz. Er fuhr ein wenig abseits, wie um sie alle im Blick zu haben, alle, die zu ihm gehörten. Neben ihm der Hund, eifrig mit ihm Schritt haltend und immer ein Auge auf das gerichtet, was seinem Herrn wichtig war.
Das Foto war wohl das letzte, was er sah – es hatte sein Gesicht ruhig gemacht, friedlich - hatte Angst und Schmerz weggewischt, nichts davon war geblieben.

Er war ein guter Mann gewesen, ein guter Vater.
Einer, der mehr lächelte, als dass er sprach und einer, für den die Geborgenheit daheim das wichtigste war.

Solange er nicht trank. Er war ein Säufer.
Einer von den stillen, den ruhigen, wurde nie ausfällig, nie gewalttätig. Wenn es über ihn kam, dann zog er sich zurück, in die Garage des Hauses, das er so liebte. Er wurde ungreifbar und unsichtbar. Die Stille, die er verbreitete, wenn er trank, war unerträglich laut zu hören, sie dröhnte in den Ohren der Mädchen, trieb sie aus dem Haus, zu anderen Menschen.

Sie machte die Frau verzweifelt, anfangs ging sie zur Garage, trommelte an die Tür und rief seinen Namen, später schrie sie nach ihm, um lauter zu sein als diese alles verschluckende Stille, noch später saß sie nur da und wartete. Wie der Hund, der nie von der Garagentür wich.

Wartete auf den Moment, an dem er nach Tagen wieder auftauchte, schwankend von Alkohol und drückendem Schuldbewusstsein, dass er wieder einmal „soweit“ gewesen war. Es gab nicht viel Worte, nur ein im Raum stehendes „Es wird das letzte Mal sein“, sie nahmen den ruhigen und friedlichen Alltag wieder auf und die Mädchen begannen sich wieder zu Hause zu fühlen.

Er sprach nicht darüber, was ihn ihm vorging, in dieser Zeit, in der er einfach wegging und ein Leben lebte, zu dem nur er allein Zutritt hatte.
Die Frau hatte aufgegeben, danach zu fragen, sie ertrug es um der Zeit willen, in der er bei ihr und den Kindern war und lebte doch in ständiger Angst vor dem nächsten Mal.

Wusste nicht, dass auch er in Angst lebte. In Angst vor diesem nächsten Mal, dem er sich wehrlos ausgeliefert sah, und in größerer Angst vor dem Augenblick, da er einmal herauskommen würde und keiner mehr da wäre – niemand, zu dem er zurückkehren könnte aus diesem Alptraum.

An diesem Tag war seine Angst Wirklichkeit geworden. Er öffnete die Garagentür und das hereinbrechende Licht traf ihn wie dünne, scharfe Messerklingen, die sich in seine Augen bohrten, in den Kopf, ins Gehirn. Sein Herz krampfte sich zusammen, wurde zu einem harten Klumpen in der Brust, der Schmerz erfasste seinen ganzen Körper.
Er wusste sofort, dass er allein war.

Ein einziger Gedanke beherrschte ihn - ich muss sie suchen, sie zurückholen, ich brauche sie doch, ich liebe sie doch. Er drehte sich um, steif und vorsichtig, langsam.
Er hatte das Gefühl, bei jeder schnellen Bewegung würden seine Glieder sich von seinem Körper trennen, einfach abbrechen.

Er sah nicht den Hund, der unbeweglich in der Tür stand und wartete, dass er wie immer herauskam und ins Haus ging.
Er stieg ins Auto und fuhr los, mit starren Augen, die er nur geradeaus richten konnte, weit aufgerissen, den Kopf weit vorgestreckt, als ob er so besser sehen könnte, was er suchte.
Er meinte, er müsse nur schnell genug fahren und die Augen offen halten, dann würde er sie finden, seine Familie.
Er sah nicht den Hund, der dem Auto folgte, voll Angst und Verwirrung ihm nachrannte, mühsam die Geschwindigkeit haltend und ohne zu bellen.

Der Blick des Mannes blieb auf dem Foto hängen, er wollte rufen und schneller fahren, er hatte sie gefunden – es würde alles gut werden – alles – sie waren noch da!------------------------------

Das Auto stand schief, von der Straße abgekommen, geneigt, den Abhang hinunter, bis zur Mitte um einen Baum gewickelt.
Die Stille wurde unterbrochen vom Winseln eines Hundes, der neben dem Auto saß und vom leisen Tropfen des Wassers, des Kühlwassers. Das tropfte auf das weiche Erdreich und verursachte ein sattes, schmatzendes Platschen. Es war ein schmächtiger Baum, noch jung, einer, dem man nicht zutrauen würde, dass er dem gewaltigen Aufprall von Metall und Schwungkraft standhielte, doch er tat es.

Er zitterte leise, in sich, und die dünnen, langfingrigen Wurzeln krallten sich fest in die aufgewühlte Erde.

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Tag der Veröffentlichung: 17.05.2011

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