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Ein Sonnenstrahl tanzte durchs Zimmer, während ich starb.


Kleine Staubflöckchen schwebten mal auf- mal abwärts. Mein Blickfeld, ein wenig eingeschränkt duch den versteiften Hals, umfasste nur das halbe Zimmer.
„Sterben kann lange dauern, haben Sie Geduld“ hatte der Pfarrer gestern Abend zu mir gesagt.
Nur dummerweise war Geduld noch nie meine Stärke gewesen. Mein Füße waren schon seit Stunden wie Eisklumpen und ich fühlte mich bereits ein wenig losgelöst von meinen Sorgen und entspannt, wie schon seit langem nicht mehr. Die Schwester hatte Lily vor ein paar Stunden ans Telefon bekommen und mir hinterher gesagt, dass sie auf dem Weg hierher sei.

Der tanzende Sonnenstrahl fesselte meinen Blick und ich bekam am Rande meiner mittanzenden Gedanken noch mit, wie ich so langsam wegdämmerte.

Ich fühlte eine starke, vertraute Hand, die meine vorsichtig umfangen hielt. Wärme strahlte diese Hand aus, und die Schwielen an der Handinnenfläche gaben mir ein Gefühl von Sommergartenerde.
„Da bist du ja“
Lilys sanfte Stimme war ein zartes Zerren an meinen Gedanken, die schon wieder auf dem Weg aus meinem Gefängnis heraus, fort in unseren Sommergarten waren.
„Lily“ sagte ich, aber irgendwie hörte ich keinen Ton und versuchte es nochmal, diesmal mit ein wenig mehr Nachdruck. Na bitte, das hörte sich zwar an, wie ein Stück Holz, das man über ein Reibeisen rubbelt, aber immerhin kam ein Ton heraus. Ein kratzendes, krächzendes, schabendes „Lily“. Ich öffnete meine Augen.
Lily lächelte nicht. Sie sah mich einfach nur an, hielt meine linke Hand und streichelte mit ihrem Daumen über meinen Handrücken.
Nach einer Weile holte sie ein altes, verblichenes Seidenband aus ihrer Jackentasche und schlang es um unsere Handgelenke. Ich starrte dieses Band an.
„Du hast es noch!“ krächzte ich erstaunt.
Sie nickte und grinste schief.
Mühsam griff ich mit der rechten Hand nach der Schere, die sie mir reichte und klammerte mich förmlich am Metall fest, denn meine Gedanken wollten nun immer drängender auf Wanderschaft gehen.
Ich sah sie noch einmal an, dann schob ich angestrengt, aber vorsichtig eine der beiden Klingen zwischen das Band und unsere Hände.
"Ich entbinde dich von unserem Gelöbnis. Ich gebe dich frei, mein Herzensmensch." und schnitt währenddessen das blaue Band durch.
Lily drückte meine Hand noch ein paar Sekunden lang, ich hatte fast schon den Eindruck, sie wolle mich nie mehr loslassen, doch dann strich sie mir liebevoll über die Wange, stand auf und ging.
Ich bemerkte eine Träne auf meinem Handrücken und der tanzende Sonnenstrahl ließ sie wie einen Regenbogen glitzern. Meine Gedanken gesellten sich dazu und ich wirbelte davon.

Ein Sonnenstrahl tanzte durchs Zimmer während ich starb.

Impressum

Texte: Copyright für Umschlag & Text: F.-M.Belitz, 2008
Tag der Veröffentlichung: 02.12.2009

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