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Die kleine Frau saß mal wieder wach. Ihre Augen huschten hin und her und sie zappelte mit den Füßen
War sie doch heute Morgen in aller Frühe aufgestanden und noch vor der Dämmerung zur Arbeit gehetzt, hatte sich ihr Lächeln ins Gesicht geschraubt und beim Duft warmer Brötchen den Kratzfuß vor Jedermann gemacht.
Zog die Schrauben des Lächelns bei Bedarf ein wenig fester, auf das sie ja nicht verrutschten. Eine Stunde nach Feierabend, morgens um zehn nach Zehn, schlich sie nach Hause und von dort aus weiter zur Universität. Sie kaufte sich auf dem Weg ein Stück Himbeertorte, von ihren letzten Euro. Das schlechte Gewissen ließ den Kuchen wie Pappe schmecken.

Sie wohnte jetzt mit Mann und Kind in einer so genannten "besseren Gegend". Der Mann verlangte von ihr, für ihr Studium vollständig alleine aufzukommen, er wäre nicht bereit, dieses zu tragen - sagte er, dessen Studium abgesichert und mit Ruhe und Konzentration beendet worden war.


Das Geld, welches sie jeden Monat auf ihrem Konto hatte, ging für ihre, des Kindes und des Mannes Nahrung dahin, für´s Studium blieb nichts übrig - weder Zeit noch Geld.


***




Die kleine Frau hatte oft in letzter Zeit angefangen zu laufen, einfach los, nach nirgendwo.
Irgendwann, manchmal nach Sekunden, manchmal erst nach Stunden, fiehl ihr ihr Kind ein, dann zögerte sie, drehte um und kehrte in die Wohnung zurück. Schraubte sich auf der Treppe das Lächeln ins leere Gesicht und ließ die Anderen Erklärungen für ihre Abwesenheit finden.
Sie hörte denen zu, die ein Echo brauchten, sie hielt jene, die zu fallen drohten und half denen wieder auf, die am Boden lagen. Und versuchte sich nebenbei an Haushalt und Kindererziehung, mit festgeschraubtem Lächeln und ehrlich bemüht um ihre Lieben.
Bis sie wieder allein des Nachts da saß, das festgeschraubte Lächeln sich in die hinterste Ecke der schönen großen Wohnung verkroch, die Verzweiflung an ihren Füßen zerrte und die kleine Frau aus der Wohnung zu locken versuchte. Einfach nur fort. Fort von allem. Und vor allem, fort von diesem Lächeln, welches sich immer öfter wie von selbst an ihr festschraubte, ihr des Tags die Verzweiflung überdeckte und sie des Nachts nicht schlafen ließ.

Und des Morgens war dann das Lächeln wieder da.
Und niemand wird je etwas merken, weil alle heilfroh sind, nichts merken zu müssen, sich selber nicht noch mehr aufhalsen wollen und den bequemen Weg des "Warum hast du nichts gesagt?" nehmen. Hauptsache, sie müssen nicht hinsehen, nicht bemerken, was um sie herum geschieht. Sie haben doch alle selber so viele Sorgen.
Und die kleine Frau? Naja, die ist doch so voller Verständnis und Mitgefühl, sie wird das schon verstehen. Dass sie sich selber immer mehr aufgeben und für andere zurückstecken muss und immer wieder in die Wohnung zurückkehren wird, um anderen ein zu Hause zu geben.


Dafür ist sie doch da, oder?

Impressum

Texte: Copyright für Umschlag & Text: F.-M.Belitz, 2006
Tag der Veröffentlichung: 01.12.2009

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