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Copyright © 2021 Florian Tietgen

Covergestaltung: Jacqueline Spieweg

Lektorat: Satzklang

 

Alle Rechte liegen beim Autor.

 

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Klangfarben der Liebe

Klangfarben der Liebe

Florian Tietgen

 

 

 

Es war hell in der Galerie Dornen an diesem Sommertag 1965. Kein einziges Bild hing an den weiß getünchten Wänden. Nur hinter dem Tresen, der auf dünnen Beinen in der Ecke gegenüber dem Eingang stand, war tapeziert. Gelbe Kreise zierten den Wandbelag, die immer kleiner und dunkler wurden und so an einen Tunnel erinnerten.

Im Raum verteilt, standen auf jeweils drei dünnen Beinen drei Stehtische, an die in Packpapier geschlagene Bilder gelehnt waren.

Ein Mann von etwa 30 Jahren auf einer hölzernen Leiter schraubte eine schmale Leiste an die Wand.

»Herr Dornen?«, fragte ich. Doch erst, als ich mich räusperte, schaute er auf, stieg die Leiter herab und legte den Schraubenzieher auf einen kleinen Tisch. In ihm konnte ich den Mann erkennen, der mich vor einigen Tagen im Bohème angesprochen hatte.

»Wrobel«, stellte er sich vor. »Die Dornen im Namen der Galerie stehen nur für das Wesen der Kunst, die einen hier erwartet.« Der Mann wischte die Hand an seinem farb- und staubverschmierten Kittel ab und lächelte. Auf seiner linken Wange haftete ein Holzspan, den er mit dem Handrücken zu entfernen versuchte. Eine Geste, die mir schon im Bohème vertraut vorgekommen war, auch, wenn ich nicht wusste, weshalb. Genauso, wie das Muttermal unter dem linken Nasenflügel und die dunkelbraunen Augen des Mannes.

»Schön, dass Sie es geschafft haben«, begrüßte er mich, und reichte mir die Hand. Der weiche Rhythmus seines Dialekts, das leicht gerollte »R« waren mir schon beim ersten Treffen aufgefallen. Der Mann schien nicht nur in meinem Alter zu sein, sondern stammte offenbar aus meiner Heimat. Ein am Elbufer gestrandeter Bayer.

»Sie hatten gesagt, sie bräuchten musikalische Begleitung?«

Er nickte lächelnd. »Für meine Vernissage morgen Abend, ja.«

Das war mein Beruf. Meistens stand ich in einem Tonstudio, spielte für verschiedene Sänger die Instrumentierung ihrer Lieder ein, mal jazzig, oft aber auch einfach nur stur vom Blatt. Es reichte, um von der Hand in den Mund zu leben, wenn ich zusätzlich ab und zu abends in Galerien oder Bars ein wenig musizierte, damit die Gäste sich wohl fühlten und verweilten, noch etwas tranken und sich ein Dessert oder ein Kunstwerk gönnten. Meine Begabung reichte nicht, um in einem der großen Rundfunk- oder Sinfonieorchester zu spielen, aber meine Liebe zur Musik war zu groß, um etwas Anderes zu machen. Dafür nahm ich sogar die Gefahr in Kauf, wieder von jemandem verraten zu werden.

»Was genau stellen Sie sich vor?«, fragte ich.

Noch immer hatte er schräg über dem Muttermal den Holzspan im Gesicht, versuchte aber nicht mehr, ihn loszuwerden, sondern sah mich ruhig an. »Ich habe noch keine Vorstellung«, antwortete er. »Sie haben freie Hand in der Auswahl der Stücke. Was Sie und Ihr Kollege im Bohème gespielt haben, hat mir gefallen.«

Es fiel mir schwer, seinem Blick standzuhalten. Ich redete mir ein, er nähme gedanklich Maß, um mich auf Leinwand zu bannen, dabei wusste ich gar nicht, ob er Galerist oder Maler oder beides war. Stärker als sein Blick, verunsicherte mich der Wunsch, ihn zu berühren und von ihm berührt zu werden, wie von einem guten alten Freund.

Irgendwo hatte ich dieses Muttermal schon gesehen. Aber warum löste es diese traurige Sehnsucht in mir aus, als hätte ich etwas gefunden, das ich gar nicht vermisst zu haben glaubte?

»In Ordnung. Ich bringe also eine Geige und meinen Kollegen mit dem Kontrabass mit«, antwortete ich. Für den Moment bedauerte ich, die Vernissage nicht allein begleiten zu können, aber einsame Geigenklänge waren zu traurig, um die Gäste zum Bleiben zu bewegen. Mein Blick fiel erneut auf den Holzspan. Ich könnte mich hilfsbereit zeigen, ihn aus seinem Gesicht wischen oder pusten. Da wir uns aus dem Bohème kannten, bestand eine gute Chance, nicht von ihm verprügelt oder zur Polizei geschleppt zu werden. Die Bar Bohème war der Ort, an dem Männer wie ich Männer wie mich trafen, sich unterhielten, zaghaft flirteten, immer in der Hoffnung, nicht an jemanden von der Sitte zu geraten. Man stellte sich nicht vor, tauschte Namen oft nicht mal aus, wenn man in dunklen Hinterzimmern verbotenerweise Körperflüssigkeiten tauschte. Zu groß war die Angst vor dem Zuchthaus, in das wir für unsere Liebe geraten konnten. Seit November 1960 war es uns nicht einmal erlaubt, zu tanzen.

»Das ist schön«, sagte er und wischte wieder die Hände am Kittel ab.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Florian Tietgen
Cover: Jacqueline Spieweg
Lektorat: Satzklang
Satz: Satzklang
Tag der Veröffentlichung: 20.01.2021
ISBN: 978-3-7487-7222-4

Alle Rechte vorbehalten

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