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Die Vier

Andere Männer wären hier vielleicht mit Blumen aufgeschlagen. Ich halte nur die Tageszeitung in den Händen. Mehr braucht es nicht. Hoffe ich zumindest.

Inzwischen sitze ich seit sechs Stunden hier. Eigentlich hätte ich nochmal nach Hause fahren können, schließlich werde ich hier mindestens weitere 90 Minuten lang wie bestellt und nicht abgeholt rumsitzen. Wobei - ich bin wohl eher nicht bestellt und nicht abgeholt. Dass Nora heute den Flug zurück nach Stuttgart nehmen würde ist die Aussage ihrer Nachbarin und da aus Glasgow nur zwei Flieger am Tag in Stuttgart ankommen, müsste ich ihr in knappen zwei Stunden gegenüberstehen.

Ich habe mir auf dem Weg hier her eine Rede überlegt, die sie davon überzeugen sollt, mich zurück zu nehmen; aber nach einem Tag zu teurem Kaffee, unzähliger Menschen, die sich mit großem ‚Hallo‘ begrüßten und 23 Jahren Selbstzweifel, bin ich jetzt an dem Punkt, an dem ich keine Rede, keine großen Worte oder Gesten, keinen Plan mehr habe. Noch nie habe ich zu der Sorte Mann gehört, die sich aus jeder Situation hinaus navigieren können, die immer einen passenden Spruch auf den Lippen haben oder deren krummes Lächeln reicht um ihnen den Arsch zu retten. Meine Schwester ist mit so einem Typen zusammen; Jonas würde nach begangenem Mord nur Lächeln müssen und würde für nichts mehr belangt werden.

Nope, so einer bin ich nicht.

Jetzt sitze ich also hier: Ohne zurechtgelegte Worte, ohne frischen Atem und ohne den blassesten Schimmer ob Nora mich überhaupt hier haben will.

Was kann jetzt also noch schief gehen?

 

Nora und ich sind seit zwei Jahren beste Freunde, eigentlich hätte von Anfang an was zwischen uns laufen müssen; JEDER weiß dass wir ineinander verliebt sind, auch Nora und ich – und doch ist alles nicht so gelaufen wie wir es wollten. Eva, besagte Schwester die sich den Lächel-Typen geangelt hat, liegt mir quasi seit dem ersten Treffen von Nora und mir in den Ohren, dass es ja bitte nicht schwer sein kann aus unserer Freundschaft eine Beziehung zu drehen. Doch! Kann es…

Nur darüber habe ich mir die letzten drei Tage den Kopf zerbrochen; kein Witz, ich wünschte ich hätte die vergangenen 72 Stunden an irgendetwas anderes denken können. Doch nein, all‘ meine Gedanken kreisten um Noras und meine Geschichte, ich habe es nun auf die großen vier eingegrenzt: die vier Probleme die Nora und ich zwischen uns stehen haben, die vier Dinge, die uns davon abhalten endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Wenn man sich überlegt wie viele falsch verstandene Konversationen, wie viele fehlinterpretierte Situationen wir in den letzten 700 Tagen wohl schon miteinander erlebt haben, dann sind vier Probleme nicht mehr viel. Aber wenn man dann vor der Lösung dieser vier steht, wirken sie wie unüberwindbare Gebirgsketten – um einen einzigen Berg kann man locker drum rum laufen. Bei `ner Gebirgskette muss man drüber, komme was wolle, wenn man auf der anderen Seite ankommen will.

Alter, ich klinge schon wie so `n Selbsthilfebuch…

Die Vier: 1

Problem Nr. 1: Ich war/bin ihre Bezugsperson

 

Es sitzen schon alle Teilnehmer auf den Sofas verteilt, eigentlich hat das Treffen schon begonnen, aber da wir alle jeden Tag, nicht nur zu den Sitzungen, hier sind, unser Gruppenraum sowas wie unsere Zweit-Wohnung geworden ist, sind die offiziellen Sitzungstermine nur noch Protokoll. Tom, unser Leiter, läuft gerade mit frischem Kaffee zu uns an den Sofatisch, da kommt Nora zur Tür reingestolpert.

 

Wobei, nein, Nora stolperte nicht, sie ist nie tollpatschig, es war eher die Art wie ich sie wahrgenommen habe: In der einen Sekunde schmissen Tom und ich uns böse Kommentare vor den Latz, in der nächsten stand eine Frau mitten im Raum die so….. hm… also Nora ist selbstsicher, manchmal grenzt es schon an Überheblichkeit, sie weiß ganz genau wie sie sich verkaufen muss damit ihr alle aus der Hand fressen und sich dabei freiwillig um ihren kleinen Finger wickeln.

 

Noch bevor Tom sie begrüßen kann fragt sie breit lächelnd in die Runde „Selbstverwaltende Selbsthilfegruppe von Herrn Bröck?“  Keiner reagiert. So nennt uns niemand; auch wenn es ja stimmt, trotzdem, so nennt uns niemand. Nur Tom ist geistesgegenwärtig ein „Ja“ zu antworten, da kommt diese Frau auch schon auf ihn zu, schüttelt seine Hand, dreht sich dann uns allen zu: „ich hoffe, ich finde hier in der Gruppe das, was mir kein noch so gutes Sofagespräch mit meinem Therapeuten bieten konnte und ich hoffe auch, ihr nehmt mich in eure Runde auf.“

Diese Frau ist attraktiv, keine

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 16.11.2016
ISBN: 978-3-7396-8357-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Nico, der anscheinend die Kraft hat Totes zum Leben zu erwecken… Diese Geschichte, mit allem, gehört nun dir. Ich übergebe sie dir; auf dass sie bei dir in den richtigen und besten Händen sei.

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