Cover

Prolog

 -Carlo-

 

„Eva, lauf schneller, sonst habe ich ja automatisch gewonnen!“
Ich schlage erneut auf den Ball und jage sie durch die Halle. Sie hastet ihm nach, aber man sieht schon von weitem, dass sie diesen Ball nicht mehr bekommen wird.

„Eva, beweg dich, na los!“ Ich weiß, sie hatte heute keinen guten Tag, aber meiner war auch nicht besonders gut. Nora hat mir eröffnet, dass sie es mit ihrer Familie aufnehmen will. Wir spielen uns hier beide den Frust von der Seele.

„Wann geht dein Flug morgen Früh?“, ruft sie mir außer Atem hinterher.

„8 Uhr. Meinst du, du kommst auch ein paar Tage ohne mich aus?“

„Keine Angst, ich werde mich mit Sebastian trösten.“

Zornig blicke ich sie an: „Das wirst du nicht Eva; hast du gehört? Ärgere mich nicht ständig mit dieser Sebastian-Sache!“

„Jaja, ich liebe dich auch!“, winkt sie ab und genau in diesem Moment bleibe ich kurz stehen um ihr streng hinterher zu schauen und registriere zu spät mit welcher Wucht sie den Ball trifft. Er zischt mir am Ohr vorbei und ich drehe mich lachend zu Eva um.

„Na, besser?“

„Natürlich!“, strahlt sie mich an. Unausgesprochen beenden wir das Spiel und laufen zu den Duschen.

„Ich werde dich unglaublich vermissen, während du in Schottland bist.“

„Es sind nur ein paar Tage, allerhöchstens 3 Wochen.“

„3 Wochen sind lang, mein Lieber, da kann ein Mädchen auf viele dumme Gedanken kommen!“ Ihr Lachen ist ansteckend, ich laufe auf sie zu um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken.

„Wenn du die richtigen Dummheiten anstellen würdest, wäre ich echt stolz auf dich!“

Sie winkt wieder nur ab und verschwindet in der Umkleide.

 

1

 

-Eva-

 

Mit einem Seufzer der Erleichterung lasse ich mich auf meinen Bürostuhl fallen; ich hatte es doch tatsächlich geschafft mein Büro zu erreichen ohne meinen Kaffee zu verschütten, die Grafikmappe fallen zu lassen oder den Inhalt meiner Handtasche, die mir inzwischen so weit von der Schulter gerutscht war, dass sie nun halb offen auf meiner Hüfte hängt, über den Flur zu verteilen. Bevor ich überhaupt Zeit habe mich und meine Habseligkeiten zu sortieren steckt schon mein Boss den Kopf zur Tür rein: „Eva, na endlich, die Besprechung ist in 5 Minuten. Haben Sie auch alle Unterlagen?“ Ich nicke ihm zu und als er mir mit erhobener Augenbraue einen abwertenden Blick zuwirft füge ich noch schnell an: „Sicher, es ist alles vorbereitet. Ich bin gleich bei Ihnen.“ 

Noch einmal tief durchatmen sage ich mir mein Mantra immer wieder vor und verstaue meine Handtasche in der Schreibtischschublade. Mit einem Seufzer stehe ich auf und streiche mir den schwarzen Rock glatt. Ein kurzer Blick in den Spiegel stellt sicher, dass mein Lidstrich und die Wimperntusche noch da sind, wo sie hingehören, dann raffe ich meine Unterlagen zusammen und laufe meinem Chef ins Besprechungszimmer hinterher.

Als ich an meinem Platz am Konferenztisch ankomme, fällt mein Blick auf die PowerPointPräsentation an der Wand:

In Fremdes eintauchen!

Der Slogan unseres neuen Projektes. Letztes Jahr hieß es noch:

Austausch mit fremden Kulturen! 

Der wirklich vielsagende Slogan der letzten Kampagne, aber Hauptsache ein Ausrufezeichen,

denke ich sarkastisch und ich bin immer wieder entsetzt, wie wenig Eltern über das alltägliche Leben ihrer Sprösslinge wissen oder besser gesagt, wissen wollen. Wenn ich da an meine Eltern denke…

Die Firma, für die ich arbeite, organisiert Reisen für Jugendliche in die ganze Welt. Überteuerte Reisen wohlgemerkt. Reisen, die sich damit anpreisen lassen, dass die Jugendliche in ferne Welten und Kulturen eintauchen können – im Normalfall haben die Teilnehmer aber schon nach zwei Tagen keine Lust mehr auf Kultur und erfreuen sich lieber in Bars und Clubs am regen Austausch mit den Einheimischen. Diese Clubs wiederum gehören selbstverständlich zu den Hotels die unsere Firma besitzt. Leise lache ich.

„Eva, wo sind Sie denn mit Ihren Gedanken?“  Verwirrt blicke ich auf und sehe direkt in die wütenden Augen von Herrn Arnold, meinem Chef.

„Verzeihung, wie bitte?“, stammele ich in die Runde und bemerke wie ich rot anlaufe:

Typisch

Es ist sowohl typisch für mich, dass ich das eine Mal, wenn ich nicht bei der Sache bin, auffliege, als auch die Tatsache typisch für mich ist, schnell zu erröten. Man kann so souverän sein wie man will, Uni Abschlüsse gesammelt haben und sogar auf Extremsportarten stehen - man wirkt automatisch wie eine kleine Grundschülerin, wenn man bei jeder Unannehmlichkeit sofort errötet.  

„Haben Sie alle Materialien für die Asien Tour beisammen?“

Ihm ist deutlich anzumerken, dass auch er heute keinen guten Tag hat. Ich straffe meine Schultern und blicke in die Runde. Alle Abteilungsleiter sitzen hier am Tisch und warten ungeduldig auf meine Antwort. „Ja, habe ich. Alle Reisepläne wurden von den zuständigen Mitarbeitern in Hongkong überarbeitet, die Bestätigungen der Unterkünfte wurden uns vom Reisebüro zugesandt, die Reservierung der Flüge liegt vor. Es fehlt nur noch…“  

„Was, Eva, was fehlt?“  Noch bevor ich meinen Satz beenden kann, fällt mir mein Chef schon donnernd ins Wort.

So langsam werde ich sauer

Gut, ich bin in letzter Minute im Büro erschienen; aber nicht zu spät!

Ich bin vorbereitet und habe alle Aufgaben erledigt; kein Grund also seine schlechte Laune an mir auszulassen. Ich bin zwar seine Assistentin, aber in meiner Stellenbeschreibung stand nichts von einem persönlichem Schoßhündchen, dass seine Laune schon von weitem wittert und entsprechend reagiert. Ich sehe in seine wütend funkelnden, braunen Augen und hebe nun selbst eine Augenbraue, um ihm anzuzeigen, dass er zu weit geht.

So nicht mein Freund!

Er scheint meinen Gesichtsausdruck richtig zu deuten, denn er blickt mich kurz verwirrt und dann ein wenig versöhnlicher an:

„Eva, brauchen Sie bei irgendetwas noch Hilfe aus einer anderen Abteilung?“

„Nein danke“, sage ich und lasse erneut meinen Blick in der Runde schweifen. Keiner dieser Abteilungsleiter könnte mir weiterhelfen. Ich bezweifle, dass auch nur einer von ihnen jemals auf einer unseren Reisen dabei war oder auch nur im Entferntesten etwas mit der Praxis unserer Arbeit verbindet. Gleich neben mir, um die Tischecke, sitzt Sebastian. Aufmunternd zwinkert er mir mit seinen tiefblauen Augen verschmitzt zu, ich lächle ihn an und wende mich wieder an Herrn Arnold:

„Es gibt Probleme bei der Promo-Artikel Gestaltung. Die Werbewerkstatt, mit der wir bisher zusammengearbeitet haben, wurde im Zuge einer Firmenumstrukturierung aufgelöst und der Standort verlagert. Im nächsten Quartal kann die Zusammenarbeit hier vor Ort wieder aufgenommen werden, bis dahin bleibt uns nur entweder einen neuen Partner zu finden oder auswärts in Auftrag zu geben.“

„Das überlasse ich Ihnen Eva, tun Sie, was Sie für angemessen halten. Ich erwarte Ihre Ausarbeitung Montagabend auf meinem Tisch.“

„In Ordnung“ nicke ich ab und sehe ihm fest in die Augen. Er weiß was er an mir hat - er schiebt mir jede Arbeit auf die er keine Lust, oder wie er es sagt, für die er keine Zeit hat, zu und ich nicke immer alles brav ab. Ich arbeite gerne und bin mehr als froh, dass er mir so einen großen Spielraum bei meiner Arbeit lässt und Verantwortung überträgt.

Ich kann schließlich mehr als Kaffeekochen lächle ich in mich hinein.

Das Gespräch dreht sich von da an um neue Baupläne für eine großangelegte Club-Bar-Anlage bei einem unserer Hotels in Ägypten. Mein Interesse an diesem Thema hält sich, sagen wir mal, in Grenzen und plötzlich spüre ich eine Hand auf meinem linken Schenkel. Ungewollt fange ich an zu lächeln und drehe mich langsam zu Sebastian um. Er arbeitet in der Finanzabteilung unserer Firma und schaut mir aufmunternd in die Augen:

 „Na, siehst du, du hast den Herrn immer noch im Griff wie keine Andere.“

„Ich weiß nicht, von was du redest“, erwidere ich schelmisch grinsend, lege meine Hand in seine und verschränke unsere Finger ineinander. Langsam fängt er an kleine Kreise mit seinem Daumen in meiner Handinnenfläche zu zeichnen, während er sich wieder der Besprechung zuwendet. Ich nehme noch ein paar Gesprächsfetzen der Besprechung wahr, in denen es um Baupläne und Wasserzuleitungen geht, dann trifte ich ohne schlechtes Gewissen ab. Sebastian und ich haben uns an meinem ersten Arbeitstag kennengelernt und er hat mich quasi sofort auf ein Date eingeladen. Eine kurze Zeit  gingen wir aus, amüsierten uns und stellten dann fest, dass wir einfach nicht zusammenpassten. Seine Vorstellung von einer Beziehung und meine Vorstellung von meiner Unabhängigkeit waren dann doch so unterschiedlich, dass wir beschlossen haben, nichts zu erzwingen, was nicht vorhanden ist. Wobei, das stimmt auch nicht ganz. In einer Sache passen wir perfekt zusammen: Man nennt solche Beziehungen, wie wir sie führen, wohl Freundschaft mit gewissen Vorzügen, was nichts anderes bedeutet, als dass ich mir eine Beziehung mit Sebastian nicht vorstellen kann, aber mit ihm den besten Sex meines Lebens habe. Er war auch der Grund, warum ich heute Morgen in letzter Sekunde hier eintraf. Als ich heute Früh bei ihm aufbrechen wollte, um vor der Arbeit noch kurz bei mir daheim vorbeizuschauen und Unterlagen und frische Kleidung holen wollte, schaffte es Sebastian mich an der Haustüre abzupassen und meinen Zeitplan um gute 30 Minuten in Verzug zu bringen. Bei dem Gedanken an letzte Nacht seufze ich ganz leise und drücke seine Hand etwas fester. Er blickt mich verwundert an, bemerkt dann aber meinen Blick, der wohl nichts verheimlicht, denn er rutscht augenblicklich näher an mich heran und flüstert mir leise zu:

„Mittagspause, dein Büro oder meins?“

„Meins“ hauche ich zurück und ziehe seine Hand auf meinem Schenkel weiter hoch. Er hebt eine Augenbraue und lächelt dann spitzbübisch. Zärtlich, aber sehr bestimmt, gräbt er seine Finger in meinen Schenkel und brummt: „Kann es kaum erwarten!“, mit seiner tiefen Sexstimme, die mich sofort zusammenzucken lässt und bei mir ein Ziehen im Bauch hinterlässt. Ich ziehe seine Hand noch weiter aufwärts bis zu meinem Schenkelansatz und blicke ihn dann erwartungsvoll an. Er versteht und fährt mit seinem Zeigefinger langsam an meinem Schenkelansatz immer weiter nach unten und ich merke erfreut, wie das Ziehen in meinem Bauch zu einem Zittern unter seinen Fingern wird. Er vernimmt mein Zittern und hält inne, dann streicht er sich fahrig mit seiner linken Hand durch die hellbraune Haare und ich kann nicht anders, als mir zu wünschen, ihm jetzt selbst durch die Haare zu fahren und ihn an seinem Nacken packend zu meinem Gesicht zu führen. Er schüttelt fast unmerklich den Kopf und ich lasse seine Hand los. Wir haben uns vor Langem dazu entschlossen niemandem in der Firma von uns zu erzählen und hier mitten in der Besprechung in flagranti beim Flirten erwischt zu werden wäre wohl keine gute Taktik, um die Affäre weiterhin geheim zu halten.

Nach der Besprechung sitze ich wieder an meinem Schreibtisch und durchforste Google nach Treffern für eine gute Werbewerkstatt in der Nähe. Unsere Medien und PR Abteilung hat schon alle Produkte entworfen und Skizzen vorbereitet; jetzt fehlt es also nur noch an der Produktion. Nach kurzem Überlegen rufe ich direkt bei den Werkstätten an um die Preise und Bedingungen zu erfahren. Die ersten drei denen ich anrufe verweigern entweder meinen Liefertermin, der zugegeben auch schon in 10 Tagen ist, oder sind nicht ausgestattet all unsere Produkte herzustellen. Vom Bleistift bis hin zum Busfensterscheibendruck ist  alles dabei.  Bei der Vierten habe ich mehr Glück:

„Ja, Jonas hier!“, dröhnt es aus meinem Headset und ich bin unschlüssig, was mich mehr irritiert: der Umstand, dass ich das Gefühl habe eher bei einem Bekannten auf dem Handy anzurufen oder die lautstarke Musik, die im Hintergrund läuft.

„Hallo?“ Ich spreche zaghaft, in der Hoffnung, nicht gleich wieder angebrüllt zu werden, aber genau das Gegenteil tritt ein. Der Typ am anderen Ende denkt wohl, dass ich ihn nicht verstanden habe und brüllt nur noch lauter: „Jonas hier, was kann ich für dich tun?“

„Die Musik leiser drehen“ schreie ich nun zurück und hoffe, dass man mich nicht über den ganzen Flur hat brüllen hören.

„Oh, ja, warte kurz“ höre ich es noch nuscheln, dann wird die Musik noch lauter, bis sie auf einen Schlag abbricht. Mein Ohr dröhnt als wäre ich spontan im Club, an eine Box gelehnt, eingeschlafen.

„Gott sei Dank“ stöhne ich auf.

„Sorry Lady, ich bin den Lärm schon gewöhnt“ lacht es aus der Leitung und ich sammle mich wieder:

„Guten Tag, hier spricht Eva Weigner von der Reisagentur TW-24. Ich würde gerne ein paar Informationen zu Ihren Konditionen einholen.“

„Klar, was willst du denn wissen Süße?“  

Verblüfft ziehe ich den Atem ein. Hat der Typ am anderen Ende der Leitung keine Manieren?

„Ähm, alle Bestellungen die wir bei Ihnen aufgeben würden, müssten aber im Laufe der nächsten 10 Tage erledigt werden“ stottere ich immer noch verwirrt in den Hörer.

„Nun, das ist ja recht kurzfristig, aber zu einer netten Frau  kann ich ja nicht nein sagen. Aber für Bestellungen und Finanzen ist Stephan zuständig. Ich reiche dich weiter.“

„Ja dann….danke, Jonas.“

„Tschau meine Hübsche, lass es dir heute voll gut gehen!“, raunt es aus dem Telefon und ich höre ihn leise lachen. Ok, jetzt bin ich komplett verwirrt. Ich bin ja wirklich nicht prüde, aber bei geschäftlichen Gesprächen bin ich es nicht gewöhnt, dass so offen geflirtet wird. Erleichtert stelle ich fest, dass dieser Stephan im Gegensatz zu Jonas sehr wohl weiß, wie ein Gespräch zwischen Geschäftspartnern zu verlaufen hat, kläre daraufhin alle Details mit ihm und verabrede mich mit ihm und seinem Team zu einer Besprechung am Montag. Erleichtert, eine Werbewerkstatt gefunden zu haben, lege ich auf und schaue auf die Uhr: 11.30! Ich fange an wie ein kleines Schulmädchen zu grinsen und kann mich nur noch schwer auf meine Arbeit konzentrieren. Kurz vor 12 klopft es an meiner Tür und ich muss mich beherrschen nicht vor Freude aufzuquietschen, da kommt Sebastian zur Tür rein, schließt sie hinter sich ab und als er sich wieder zu mir umdreht, stehe ich schon direkt vor ihm und greife ihm mit einem tiefen Seufzer in die Haare um ihm am Nacken gepackt zu meinem Gesicht zu ziehen.

2

 

Als ich abends erschöpft nach Hause komme, registriere ich schon aus dem Augenwinkel, dass mein Anrufbeantworter blinkt. Ich könnte Wetten darauf abschließen, die mein Leben betreffen, dass das ein Anruf meiner Mutter ist. Sie weigert sich strikt auf Handys anzurufen. Nicht, dass sie nicht selbst eins hätte, aber wie sagt sie immer so schön: Persönliches bespricht man zu Hause und nicht zwischen Tür und Angel. Bevor ich mich aber um dieses Problem kümmere, trabe ich zu meiner Balkontür, um meinen Kater Van Gogh reinzulassen, der auch schon vor der Türe auf mich wartet und mir mit einem strafenden Blick zu verstehen gibt, dass er schon längst mit mir oder viel eher mit seinem Essen gerechnet hat. Als von Van Gogh nur noch Schmatzgeräusche zu vernehmen sind greife ich zum Telefon: besser gleich als später. Nach nur einem Freizeichen ist meine Mutter auch schon dran:

„Eva, na endlich, warum rufst du nicht früher an?“

„Ich bin gerade eben zur Tür rein. Ich habe noch Jacke und Schuhe an, also schneller ging es wirklich nicht!“

Tadelnd höre ich meine Mutter die Zunge schnalzen und bin mir nicht sicher welchem meiner Vergehen der Tadel nun gilt: Dem späten Anruf, meinen Schuhen auf dem Teppich oder meiner ganzen Person an sich.

„Was gibt’s Mama?“ versuche ich das Gespräch voranzutreiben.

„Hast du deinen Anrufbeantworter nicht abgehört, Eva?“

„Nein Mama. Ich sagte doch, ich habe dich sofort angerufen als ich daheim war.“

„Ach so, na dann sage ich es eben nochmal“ – Die Tatsache, dass sie mir die ganze Geschichte so oder so nochmal erzählt hätte ist zwar mir klar, aber es wäre sinnlos meine Mutter darauf aufmerksam zu machen. Das Gespräch würde sich doch nur in die Länge ziehen. Völlig umsonst in die Länge ziehen!

„Jetzt sag schon“ bestätige ich meine Mutter in ihrem Vorhaben und ziehe mir nebenbei Schuhe und Mantel aus.

„Bei uns an der Schule hat es noch freie Stellen für ein Referendariat, auch in deinen Fächern!“

Genervt verdrehe ich die Augen und versuche mich zu beherrschen. Am liebsten würde ich das Gespräch sofort beenden.

„Und inwiefern betrifft mich das?“

„Eva, na hör mal! Du machst nun schon über ein Jahr Pause oder wie du es nennst. Es wird Zeit sich wieder einem vernünftigen Job mit Sicherheiten zu zuwenden. Es kann ja nicht ewig so mit dir weitergehen. Denk doch nur was eine Verbeamtung bedeutet. Und du arbeitest doch so gerne mit Kindern.“

So wie sie über den Lehrerberuf redet ist klar, was sie von Beruf ist. Ein sarkastisches „Ach ja?“ entfährt mir und ich beschließe aufzulegen. Diese Diskussion haben wir schon so oft und so laut geführt, dass ich mir sicher bin, dass ihre und meine Nachbarn schon Protokolle darüber anfertigen könnten. Ach Quatsch, ganze Bücher könnten sie füllen. Seit ich die Uni abgeschlossen habe und dann nicht wie erwartet mein Referendariat begonnen, sondern mich um eine Stelle bei TW-24 beworben habe, ist es für meine Mutter, als würde sich die Erde plötzlich nicht mehr um die Nord-Süd-Achse, sondern um den Äquator drehen.

„Mum, ich lege jetzt auf. Gute Nacht.“

„Nicht so schnell, Fräulein!“, schallt es mir entgegen. Jetzt ist sie wohl richtig sauer. Ein Fräulein war ich immer nur dann, wenn ich auch Hausarrest oder Fernsehverbot hatte.

„Was denn?“

Unglaublich, denke ich, wann werde ich endlich alt genug sein um meiner Mutter Einhalt gebieten zu können?

„Hast du mit deinem Bruder gesprochen?“

„Ja Mama, ich habe heute sogar mit Carlo geskypt. Es geht ihm super. Glaub mir, es geht ihm gut. Wenn nicht, würde ich es dir sofort sagen.“

Das ist keine Lüge, und das weiß sie auch. Egal wie sehr wir uns manchmal gegenseitig nerven: wenn es um unsere Familie geht, ist mit keinem von uns drei zu spaßen.

„Danke mein Schatz.“ 

„Jaja, ich hab‘ dich auch lieb.“ Ich winke mit der einen Hand ab und mit der anderen werfe ich mein Telefon in die Station. Die Nachricht auf dem AB lösche ich ungehört.

 

Als ich am Montag um kurz vor 12 Uhr vor der Werbewerkstatt stehe, bin ich kurz überrascht, dass nicht die ganze Straße mit lauter Musik beschallt wird, da ich das nach dem Telefonat irgendwie erwartet habe. Stattdessen erscheinen der Hof und die große Werkstatt, die ich durch eine riesige Schiebetüre betrete, wie ausgestorben. Die Werkstatt, oder besser das Lager, ist so groß, dass ich mir sicher bin, dass dieses Haus vor langer Zeit mal ein Bauernhaus mit großer Scheune war. Neugierig blicke ich mich in der Halle um und bin fasziniert von dem geordneten Chaos, welches mich hier willkommen heißt. In jeder Ecke fahren Utensilien herum. Überall stehen Drucker, Pressen, Schneidemaschinen und Rollen mit Folien. Die letzte Werbewerkstatt, in der ich war, hatte vielleicht auch solch ein Durcheinander in ihrem Lager, aber in ihrem Empfangsbereich war alles sauber: ein kleiner Raum mit einem Besprechungstisch, Kaffeemaschine usw. In einer Ecke der Halle, sehe ich eine Kaffeemaschine stehen und davor einen kleinen Holztisch.

Na, dann ist die Halle eben auch Besprechungszimmer

Unwillkürlich lache ich leise auf.

„Sie scheinen ja in bester Stimmung zu sein, Frau Weigner.“

 Als ich die Stimme hinter mir vernehme fahre ich wie auf frischer Tat ertappt um meine eigene Achse herum und starre die Männer vor mir verlegen an.

Scheiße, ich merke wie ich rot werde. Na danke aber auch.

Der Blonde der drei kommt auf mich zu und streckt mir die Hand entgegen: „Ich bin Stephan, schön, dass Sie da sind.“

„Eva“, sage ich und blicke erst ihn und dann seine zwei Kollegen an. „Nennt mich bitte Eva. Ihr habt eine wirklich große Werkstatt!“, fahre ich fort und wedle einmal mit meinem Arm kurz durch die Luft um anzuzeigen von welcher Werkstatt ich rede.

Als gebe es mehrere

Ich merke, wie ich, ob dieser dummen Handbewegung, wieder rot werde und beschließe ab jetzt nur noch professionelle Sätze von mir zu geben. Ich drücke meine Schultern durch, recke das Kinn und blicke Stephan wieder fest in die Augen.

„Ich freue mich wirklich, dass das so spontan bei euch geklappt hat. Danke nochmal.“

„Kein Ding“ winkt er ab und deutet mir an auf einem der Stühle an dem Tisch Platz zu nehmen.

„Wir haben die Probeexemplare angefertigt und wenn alles nach deinen Wünschen ist, dann beginnen wir nachher mit der Herstellung.“ Stephan spricht mit fester und angenehmer Stimme. Und in diesem Moment fällt mir auf, dass die beiden anderen Männer bisher geschwiegen haben und ich keine Ahnung habe, ob einer und wenn ja welcher der beiden, Jonas ist. Ich schaue mir die beiden genauer an: Der Rechte hat braune, schulterlange Haare, die er zu einem Zopf zusammengebunden hat und ein rundes, freundliches Gesicht. Seine Augen leuchten blau und  selbst auf die Entfernung kann ich sehen, dass sich seine muskulösen Arme durch sein T-Shirt abzeichnen. Er ist sicher um die 1,80m und hat die Figur eines Mannes, der es gewöhnt ist täglich körperlich anstrengende Arbeit zu verrichten. Der Linke ist nicht mit ihm zu vergleichen. Er ist größer, ich schätze um die 1,90m, dunkelbraune Haare und einen Dreitagebart. Seine Augen sind braun, seine Schultern breit und seine Statur entspricht der eines Mannes, der zwar viel Zeit im Fitness-Studio verbringt, aber sehr wohl auch weiß, wann genug ist. Als ich ihn so betrachte, bemerke ich, wie auch er mich von oben bis unten scannt und als sich unsere Blicke treffen lächle ich ihn leicht an um mir keine Blöße zu geben. Er aber erwidert mein Lächeln nicht gleich, schaut mich verwirrt an und fängt dann an über das ganze Gesicht, wie ein Kind, dem man erzählt hat, das heute spontan Weihnachten sei, zu strahlen. Seine Reaktion überrascht mich und ich bemerke, wie ich  anfange wie ein kleines Mädchen zu grinsen. Und als ich das kleine Grübchen auf seiner rechten Backe sehe, ist mein einziger Gedanke nur noch:

Bitte lieber Gott, mach, dass das Jonas ist

Dieses Lächeln spüre ich bis in meinen Bauch und in mir zieht sich alles zusammen.

Wie hübsch darf ein Mann eigentlich sein?

Da schießt auch schon wieder die Röte in mein Gesicht.

„Jungs, ich verzieh mich dann mal und mach mich wieder an die Arbeit. Tschüss Eva“

Der Langhaarige verabschiedet sich mit einem Nicken von uns und schlendert auf eine Tür im hinteren Teil der Halle zu; sie scheint ins Haupthaus zu führen.

„Bis dann Alex“ höre ich Stephan dem Langhaarigen hinterherrufen und mein Grinsen wird unangebrachterweise noch breiter.

„Dann bist du wohl Jonas, oder?“ frage ich den Dritten. Seine Augen faszinieren mich. Unter den unverschämt langen Wimpern strahlen sie so viel Wärme aus – und doch: Es liegt ein harter Zug in seinem Blick.

Ganz nach dem Motto: Außen hart und Innen weich denke ich spöttisch.

Und wir Frauen fallen ja alle naselang auf solche Männer rein.

„Ja“ antwortet er mir. Ich warte ab, ob noch ein Satz folgt, doch er vergräbt nur die Hände in seinen Hosentaschen und schaut mich an.

„Gut, Eva, dann fangen wir mal an.“ Mit diesen Worten beendet Stephan das nicht vorhandene Gespräch von Jonas und mir und ich wende mich ihm, seiner Ausführung und den Probeexemplaren zu. Wann immer ich aber den Blick hebe und in Jonas‘ Richtung schiele, sehe ich, wie er mich weiterhin fixiert, aber die ganze Besprechung über kein Wort sagt. Als Stephan die Ausführung fast beendet hat, klingelt sein Handy und nach einem kurzen Blick auf das Display sagt er mit einem genervten Seufzer zu mir:

„Tut mir Leid Eva, aber dieses Gespräch muss ich annehmen. Jonas kann dir aber die restlichen Artikel zeigen. Du solltest dir noch den genauen Gelbton für die Banner aussuchen.“

Mit dieser Info lässt er uns stehen und verschwindet ebenfalls durch die Türe. Ich blicke Jonas an und warte auf eine Reaktion von ihm. Er betrachtet mich immer noch und nach ein paar Sekunden, die mir wie Stunden vorkommen, legt er endlich den Kopf schräg, zwinkert mich an und sagt:

„Na dann komm. Nicht, dass wir nachher noch den falschen Gelbton verwenden“ Er streckt mir die Hand entgegen und zu meiner eigenen Verblüffung nehme ich sie sofort und lasse mich von ihm quer durchs Lager ziehen. Während er mich durch die Halle schleppt schaue ich wie gebannt auf seine und meine Hand.

Oh mein Gott, hat er große Hände und bin amüsiert von der Tatsache, dass meine Hand vollkommen in seiner verschwindet. Wie war das doch gleich mit Männern die große Hände haben? Oder waren es die Nasen? Ich beiße mir auf meine Unterlippe um nicht lauthals aufzulachen und schüttle den Kopf um diesen lächerlichen Witz zu vertreiben.

Noch einmal tief durchatmen denke ich, und noch während ich versuche mein Schulmädchengehabe wieder in ein professionelles Auftreten zu verwandeln, höre ich einen lauten Schlag und stolpere vorwärts direkt auf Jonas.

„Umpf“ entfährt es mir als ich gegen in krache und noch bevor ich fähig bin etwas anzufügen, spüre ich den Schmerz in meinen rechten Zehen.

„Alles Ok?“ Ich blick auf und sehe in die fragenden Augen von Jonas. Ja, schokobraun, denke ich, definitiv schokobraune Augen. Erst jetzt bemerke ich, dass er mich aufgefangen hat und mit seinem linken Arm meine Taille umschließt, während er mit seiner rechten Hand weiterhin meine Hand hält. Ich fühle die Stelle seiner Berührung heiß brennen und meine Nervenenden scheinen sich gegen mich verschworen zu haben, denn alles, was ich noch denken und fühlen kann sind Jonas‘ Hände auf meinem Körper. Da er mich weiterhin nur stumm und fragend ansieht drücke ich mich mit einem

„Jaja, nichts passiert“ wieder von ihm ab und belaste beide Füße. Der Schmerz in meinem Fuß lässt nach, ich bin wohl einfach nur an einem Bein eines Arbeitstisches hängen geblieben. Meine Hand liegt immer noch auf seiner Brust und ich spüre seine Wärme, genauso wie das Heben und Senken seines Brustkörpers an ihr. Bevor ich auch nur die Chance habe darüber nachzudenken was ich nun tun soll, hat sich mein Körper schon längst dafür entschieden ihn mit dem Zeigefinger einmal sanft zu streicheln. Dann holt mein Kopf meinen Körper wieder ein und ich entschuldige mich achselzuckend:

„Sorry, ich habe einfach die falschen Schuhe für eure Werkstatt an“ und zeige auf meine schwarzen Pumps. Er blickt an mir herunter und lässt mich in diesem Moment los. Grinsend schaut er wieder an mir herauf:

„Alles gut, oder willst du dich kurz hinsetzten und ich hole dir was zum Kühlen?“

„Nein danke, das ist schon in Ordnung. Ich bin ja nicht aus Zucker“, antworte ich und sehe wie er kurz seine Augenbrauen hochzieht, etwas sagen will, wahrscheinlich liegt ihm ein dummer Spruch auf den Lippen, jedoch dann nichts erwidert. Stattdessen dreht er sich um und marschiert weiter. Ohne mir seine Hand zu reichen. Fast bin ich beleidigt, rufe mich dann aber selbst zu Ordnung. Seine Hand sollte mir eigentlich egal sein; aber noch während ich hinter ihm laufe kann ich das Gefühl nicht ganz abschütteln, dass sich meine Handinnenfläche leer und kalt anfühlt. Als wir in der gegenüberliegenden Ecke der Halle ankommen, sehe ich, dass es hier auf ein paar Stufen in einen Keller geht und scherzend tippe ich Jonas auf die Schulter:

„Na, na, so stürmisch? Wir kennen uns noch nicht lange und schon ziehst du mich schlecht beleuchtete Stufen in einen Keller hinunter. Was soll ich dazu nur sagen?“ Erwartungsvoll blicke ich ihn an. Wenn das mal keine Steilvorlage war…. doch anstatt darauf einzugehen hält er inne und blickt mich überrascht an:

 „Ich will dir doch nur die Folien zeigen, Eva.“

Kurz fühle ich mich wie vor den Kopf geschlagen.

„Sorry, so war das doch gar nicht gemeint. Du warst am Telefon nur so….“

„Ja?“ 

„Vergiss es, ist ja nicht wichtig.“

„Wie du meinst“ erwidert er nur schulterzuckend und lässt mich vor sich in den Keller eintreten. Die Folie ist schnell ausgesucht und die gesamte Zeit über fühle ich mich, als würde mich in einem Baumarkt ein Verkäufer beraten. An und für sich ist das ja nicht verkehrt, aber ich habe dann doch etwas anderes von dem Mann erwartet, der so unverschämt süß mit mir am Telefon geflirtet hat. Als wir wieder draußen auf dem Hof stehen, will ich mich gerade von ihm verabschieden, da fällt er mir ins Wort:

„Eva, sag‘ mal, heute Abend, also Alex hat heute Geburtstag, und ich dachte vielleicht magst du ja kommen?“ Er blickt mich erwartungsvoll an und lächelt dabei sein Grübchenlächeln.

 Herrje ist diese Lächeln süß

„Wie viele Leute sind denn eingeladen?“ frage ich, da ich mir noch nicht sicher bin, ob ich auf den Geburtstag von jemandem gehen will, mit dem ich noch nie einen persönlichen Satz gewechselt habe.

„Oh keine Ahnung genau, aber wenn es so abläuft wie immer, dann werden wohl so um die 50 Leute da sein.“ Das ist eine Menge. Ich nicke. Doch, bei 50 Menschen konnte man unbemerkt in der Meute verschwinden und wenn es hart auf hart kommt sogar ganz abhauen, ohne dass es jemand bemerkt.

„Alles klar, ich komme.“

„Super, dann bis um 9 heute Abend“ er streckt mir die Hand zur Verabschiedung hin, doch noch bevor ich sie ergreifen kann, überlegt er es sich auch schon anders, kommt einen Schritt näher und umarmt mich. In seinen Armen eingeschlossen spüre ich seinen Atem in meinem Nacken.

„Ich freue mich darauf“ raunt er mir noch zu, dann lässt er mich auch schon wieder los und läuft mit großen Schritten zurück in die Halle.

Sein warmer Atem brennt mir hinter meinem Ohrläppchen denke ich und werde erneut rot. Diesmal aber, wie ich finde, angebracht aus Scham, denn ich stehe nun alleine auf dem Hof mit einem flatternden Nervenkostüm und es schießen mir unwillkürlich all‘ die Fragen wie:

Was hat er damit gemeint?

Findet er mich etwa interessant?

Warum war er vorhin so distanziert?

durch den Kopf und ich muss mich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit zur Ordnung rufen. Was auch immer das gerade war, entweder er erzählt es mir heute Abend oder es war nichts weiter als meine blühende Fantasie. Mit dem festen Vorhaben meine Selbstbeherrschung zurück zu erlangen gehe ich zu meinem Auto und fahre in die Firma. Die ganze Fahrt über spüre ich noch seinen Atem heiß auf mir.

3

 

Von: Carlo.weigner@mail.de

An:   eva-weigner@tw24.com

Betreff: Update

  1. November 15:42

                                 

Hei Eva, na, wie geht es meiner großen Schwester?

Ich wollte mich nur mal kurz bei dir melden, um dir ein kleines Update aus unserem Leben hier zukommen zu lassen: Nach langem Hin und Her sind wir gestern dann doch Richtung Glencoe aufgebrochen. Wir haben beschlossen uns Zeit zu lassen. Naja, eher hat sie beschlossen, dass wir uns bei dieser Tour Zeit lassen. Ich glaube Nora braucht einfach noch eine Weile, bis sie bereit ist, ihre Großeltern zu besuchen. Na, wie auch immer, nun sind wir auf dem Weg und ich werde alles in meiner Macht tun, dass wir auch ja ankommen. Anbei habe ich dir noch ein paar Bilder vom Loch Ness angefügt, damit du auch was von der tollen Landschaft hier hast.

Falls dich jemand fragt wann ich zurückkomme: Wenn ich ehrlich bin weiß ich es leider immer noch nicht, aber Nora und ich beeilen uns so gut wir können.

Ich vermisse dich und, ich kann es kaum glauben, dass ich das schreibe, ich vermisse auch Mum.

Umarm sie mal für mich.

Carlo

 

Mit Entsetzten lese ich die Mail von meinem Bruder. Sie sind also doch unterwegs zu Noras Großeltern. Hektisch schreibe ich zurück, als könnte meine Tippgeschwindigkeit meine Gefühle zu ihm transportieren und ihn die mail schneller erreichen.

 

 

 

Von: eva-weigner@tw24.com

An:   Carlo.weigner@mail.de

Betreff: Bitte

  1. November 16:00

 

Carlo,

passt auf euch auf.

Komm sobald du kannst.

Ich liebe dich

Eva

 

 

Als die Mail abgeschickt ist, klicke ich auf die Bilder, die Carlo angefügt hat. Sie zeigen ihn und Nora, seine beste Freundin, in Inverness und am Loch Ness. Er hat auch ein paar Bilder angefügt, in denen man die beiden in einem Pup mit riesen Nessie–Mützen auf dem Kopf sitzen sieht, auch ein paar von einer Bootsfahrt auf Loch Ness, die beiden an der Schleuse in Fort August. Zwei Menschen, lachend, herumblödeln, wie zwei verliebte Teenager. Bei dem Gedanken zieht sich mein Magen zusammen und mein Rachen wird ganz rau. Ich räuspere mich mehrmals und als das keine Linderung bringt, greife ich nach meiner Kaffeetasse um die aufkommenden Tränen mit einem Schluck kaltem, viel zu süßem, Kaffee zu ersticken.

Im weiteren Verlauf des Tages versuche ich mit allen Mitteln meine Gedanken von Jonas und Carlo abzulenken. In meiner Rastlosigkeit beginne ich sogar meinen Locher zu säubern und alle Tacker in meinem Büro, ich bin selbst überrascht, als ich herausfinde, dass ich sage und schreibe fünf Tacker aus meinen Schreibtischschubladen hervorzaubern kann, auffülle. Diese Rastlosigkeit ist mir nicht neu, ich habe sie zu meiner Studienzeit immer dann verspürt, wenn die Prüfungsphase anstand und ich leider nicht lernen konnte, da ich Zuhause noch so wichtige Dinge zu erledigen hatte wie unter anderem alle Bücher einzeln abzustauben oder alle meine Schuhe zu putzen - dreckig oder nicht. Aber die heutige Unfähigkeit mich mit etwas Sinnvollem zu befassen rührt wohl daher, dass ich in Gedanken immer noch bei Carlo und seiner Reise zu Noras Familie bin. Zumindest versuche ich mir das einzureden. In Wirklichkeit weiß ich, dass meine Nervosität im Augenblick nur einen einzigen Grund hat: Jonas. Jonas und die Einladung zu diesem Geburtstag. Jonas und seine Arme um meinen Körper. Jonas und sein heißer Atem. Jonas und seine schokobraunen Augen. Und sein Grübchen. Und seine Brust unter meinen Fingern. Und sein Lächeln. Entsetzt von mir selbst schüttle ich den Kopf und atme stark aus. Ich muss ihn dringend aus meinem Kopf bekommen. Und das bitte möglichst schnell, bevor ich noch anfange jede Pflanze, die in einem der Büros oder auf dem Flur steht, zu düngen.

Die Fenster sollten auch mal wieder geputzt werden! schießt es mir in den Kopf und ich bin genervt von mir selbst. Wenn ich diesen Gedanken nicht bald einen Riegel vorschiebe, dann habe ich meine und Jonas‘ Hochzeit inklusive Rede schon fertig geplant wenn ich auf dieser Party eintreffe. Und ich rede hier von der goldenen Hochzeit! Resigniert schaue ich auf

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 25.07.2016
ISBN: 978-3-7396-6580-1

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für.D, der mehr Halt gibt, als er je wagen wird zu glauben

Nächste Seite
Seite 1 /