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TAKE

 

 

Es darf doch einfach nicht wahr sein!

Es ist Samstag. Samstag um 22.30 Uhr. Natürlich keine Uhrzeit um die Gehwege hochzuklappen und ins Bett zu gehen. Für die Allgemeinheit. Für mich schon. Und eigentlich habe ich auch nichts dagegen wenn meine Nachbarn am Wochenende feiern; daher marschiere ich auch nicht zu ihm hinüber und mache einen mega Zirkus – aber ist es denn zu viel verlangt, wenn es mal einen Samstag gibt, an dem mein Nachbar wo anders feiert? Wenn er und all‘ seine Kumpels mal in einer anderen Wohnung Radau und Rabatz schlagen?

Ich glaube der einzige Grund warum ich die Füße stillhalten kann ist die Tatsache, dass wenn ich ihm die Meinung geigen würde, er höchst wahrscheinlich fragen würde, warum ich jeden Samstag früh ins Bett gehe. Und die Antwort will ich nicht geben. Da schlafe ich doch lieber mit Ohropax. In meinem Wohnzimmer auf dem Sofa. Mein Schlafzimmer liegt direkt neben seinem Wohnzimmer.

Jeden Samstag pünktlich um halb elf geht es los. Und so ganz kapiere ich ihr Trinkspiel auch nicht. Quasi im Sekundentakt klingelt eine nervige Klingel und einer nach dem anderen grölt los. Welches Trinkspiel geht so zack auf zack? Ok, mein Repertoire an Trinkspielen ist auch sehr begrenzt: Strippoker. Aber mal ehrlich; braucht Mann mehr?

Der große Lichtblick: Um halb zwölf ist der Schrecken normalerweise auch schon wieder vorbei, die Truppe macht sich auf den Weg in die Stadt um irgendwelche Clubs unsicher zu machen.

Heute sind es mindestens 7 Männer die nebenan vorglühen. 7 schwule Männer. So wie ich meinen Nachbarn kenne. Naja, eigentlich kenne ich ihn gar nicht. Nur so halb. Unter der Woche lässt er sich nicht viel blicken; ich habe ihn immer nur am Wochenende gesehen. Er geht samstags einkaufen, im Gegensatz zu mir aber nicht vormittags, im Sommer versammelt er sich und seine Herde dann auch mal gerne auf dem Balkon und wenn ich sonntags aus dem Haus gehe kam es schon öfter vor, dass er erst nach Hause kam. Und dann gibt es die `lazy Sundays´ wenn wir beide uns die Sonne auf den Bauch scheinen lassen; unsere Balkone liegen direkt nebeneinander. Aber zwischen „wie war dein Tag“ und „Hast du … in der Zeitung gelesen“ haben wir nicht viel gesprochen. Ich meide jede persönliche Frage, weiß aber selbst nicht genau warum. Ok ich weiß warum. Er ist genau der Typ Mann in den ich mich sofort rettungslos verlieben würde. Ich mag seine Gegenwart, er hat etwas so lebendiges. Genau das scheint aber auch die Krux an der Sache zu sein. Ein Mann der nie stillstehen kann, dessen Leben so lebendig ist, der nie zu Hause ist, der seine `engen´ Freunde nicht an 5 Händen zusammenzählen kann, der ist einfach eine Nummer zu groß für mich. Ich selbst bin eher still, wobei, nein still weniger, eher ruhig. Ich bin gerne mit mir und meinen Gedanken allein. Manchmal so gerne, dass ich nicht bemerke wenn ich Menschen um mich herum, zum Beispiel auf Partys, so lange alleine stehen lasse bis ich diese Ruhe so stark ausstrahle dass sie mich wortwörtlich umgibt. Er - das komplette Gegenstück. Ein Gegenstück in bunt, laut und beliebt. Und seit vier Wochen haben sie wohl ihr neues Lieblingstrinkspiel gefunden. Matthäus ist mit Abstand der Lauteste von allen; sein „Jetzt“ oder „Bä-bähm“ schallt ständig bis zu mir hinüber. Und das passt auch zu ihm. Laut, aufdringlich, laut und lauter. Er gehört zu der Sorte schwuler Mann der wie ein Autounfall wirkt. Dieses „nicht-weg-schauen-können“ - und er legt es darauf an! Anders kann es nicht sein. Die Hosen so eng, die T-Shirts weit ausgeschnitten und die Farben erst… Dabei muss ich ihm zugestehen, dass er nicht wie ein explodierter Süßigwarenladen herum läuft. Und die paar wenigen Sätze die wir je gewechselt haben waren Beweis genug dass er nicht affektiert und überdreht spricht; er ist einfach nur so… präsent. Einer dieser Menschen - wenn er mal den Raum betritt wirkt es als wären alle anderen Menschen nur Komparsen, der Raum seine Bühne und all‘ meine Aufmerksamkeit richtet sich sofort nur auf ihn. Stefan, mein Ex, war auch schrill, laut und aufgedreht. Alle meine Ex-Freunde und sogar meine One-Night-Stands hatten das gemein. Wahrscheinlich bin ich unfähig mich in einen ruhigen Typen zu verlieben, ach was, ihn überhaupt anziehend zu finden. Das Problem ist nur, dass das mit den Gegensätzen, die sich scheinbar anziehen, auch nicht wahr ist. Am Anfang sorgen diese Gegensätze vielleicht für Feuer und Leidenschaft aber im alltäglichen Leben reicht es einfach nicht. Zumindest bei mir nicht.

Gott sei Dank

Die Truppe zieht ab. Es ist vorbei. Ich habe meine Ruhe. Endlich schlafen.

 

 

 

 

5.00Uhr

Mein Wecker macht mir unmissverständlich klar, dass es Zeit ist Kaffee zu kochen. Ich hasse aufstehen. Aber ich bin gerne morgens wach. Widersprüchlich? Für mich nichts. Als ich wieder aus dem Bad komme, will ich gerade in die Küche als ich im Treppenhaus Poltern höre. Aha, Matthäus kommt heim.

Aber das Poltern hört nicht auf. Jemand tigert den Gang auf und ab und da es nur zwei Wohnungen auf diesem Stockwerk gibt… leise öffne ich die Wohnungstür und spähe in den Flur. Der Versuch unerkannt zu bleiben scheitert sofort, denn Matthäus lehnt an der Wand gegenüber und lächelt mich breit an.

„Zum Glück bist du wach!“

„Wie bitte?“

„Zum Glück bist du wach. Darf ich rein kommen? Habe meinen Schlüssel verloren oder vergessen. Und meine Schwester kommt erst so in einer Stunde, die hat den Zweitschlüssel und da du sonntags ja immer so früh aufstehst und ich wirklich dringend aufs Klos muss… aber ich habe mich nicht getraut um 5 Uhr bei dir zu klingeln.“

In meinem schlafvernebelten Hirn kommt nur genau eine Info an.

„Du weißt, dass ich sonntags früh raus muss und nimmst trotzdem nie, nie aber wirklich nie Rücksicht auf mich?“

„Ähm..“ Das Lächeln fällt von seinem Gesicht, die Augen huschen unsicher über meins. Er versucht wohl auszuloten ob ich sauer bin. Das bemerkt er nicht? Dann will ich mal deutlicher werden: „Ich dachte bisher, dass du nur unaufmerksam, naiv oder einfach zu jung bist um zu wissen dass du unhöflich bist; aber anscheinend bist du nicht unhöflich. Du bist einfach nur…“ Welches Wort beschreibt es wohl am Besten? Es muss sitzen, muss ihm klar machen dass ich sauer bin, aber ich will keinen Nachbarschaftsstreit vom Zaun brechen. Doch sein Gesichtsausdruck muss stundenlanges Wachlegen wettmachen.

„Ja?“ Sein fast schon freches Grinsen ist zurück auf seinem Gesicht. Seine Augen wandern an mir auf und ab als wolle er mich einschüchtern.

„…frech. Wie ein Lausbub‘.“

Jeah; Treffer. Lachen fällt. Es bestätigt den ersten Eindruck den ich mir schon vor Monaten von ihm gemacht habe. Ist es nicht immer so? Man will spontan aber nicht flatterhaft, jung aber nicht kindisch, moralisch aber nicht streng erscheinen. Er ist älter als ich, mindestens 3 Jahre. Kein Wunder also, dass er nicht als unverantwortlicher Jungspund rüberkommen will.

„Lausbub‘?“ „Ja, du weißt schon: Jung, frech, kennt die Konsequenzen seines Handelns nicht. Ein Lausbub‘ eben.“

Es ist als würde er einen Umhang tragen und ihn einfach von den Schultern gleiten lassen damit der auf den Boden fällt. Etwas fällt von ihm ab. Wie ein Mantel. Das Lächeln kehrt zurück auf seine Lippen, aber es ist nicht echt. Kann es nicht sein. Es ist so anders - so als wäre es die erwachsene Version von seinem normalen Lächeln. Seine ganze Haltung verschiebt sich. Seine Schultern sind nicht mehr so ganz durchgedrückt, seine Beine strecken sich eher... „Kann ich jetzt kurz bei dir ins Bad?“ Seine Frage reißt mich aus meiner Beobachtung. „Ja sicher, du kannst auch bei mir warten. Ich muss nur bald los.“

„Wo musst du denn hin?“

„Arbeiten.“ Er schiebt sich an mir vorbei und allein sein Duft bewirkt diesen `Raum-Bühnen-Effekt´. Egal wie oft ich schon Kosmetikartikel einkaufen war, Parfüme probiert habe, ich habe nie das eine gefunden, das er verwendet. Vielleicht lade ich mich auch einfach mal in sein Bad ein und gehe stöbern.

„Wo lang?“ Himmel, wenn er mich nochmal aus den Gedanken reißen muss dann sollte ich dringend „Ich gehe einfach hier lang, ok?“ Bahhhh… Ich nicke nur und schaue ihm hinterher. Er ist schon n‘ Hübscher. Er hat zwar diese Macklemore Frisur, aber ich bin ziemlich sicher dass er anziehen kann, was er will, die Frisur zerstört, Augenringe des Todes, solang er nur diese Augen behalten würde… Stechend braune Augen. Pur braun. Keine Farbsprenkel. Einfach nur braun, tief. „Stehst du immer noch hier?“

Boah. Ich geb’s auf. „Willst du `nen Kaffee?“

„Klar, danke. Aber musst du nicht bald los?“

„Doch, aber wie gesagt: Du darfst gerne hier auf deine Schwester warten.“

Über den Rand seiner Tasse fixiert er mich und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl selbst im Rampenlicht zu stehen. Als würde er mir die Bühne geben auf der ich mich präsentieren soll. Ich leide unter Lampenfieber.

„Wo musst du eigentlich hin?“

„Weg.“

Dieser Blick. Mir wird unangenehm warm. Definitiv Lampenfieber. „Also arbeiten.“

„Ok. Was arbeitest du?“

„Schreibtisch-Job. Personalverwaltung.“

„Sonntags?“ Erwischt.

„Nein, ich spiele Orgel.“ Schnell genuschelt in der Hoffnung dass er mich einfach überhört.

„Wo?“ Nicht die Antwort die ich erwartet habe.

„Dom.“

„Du bist der Orgelspieler im Dom?“

„Organist. Eine der Aushilfen.“

„Hast du mir ein Hemd?“ Ich denke ein ganzes Leben würde nicht ausreichen um diesen Mann zu verstehen.

„Ja. Willst du etwa mit?“ „Sicher.“ Ich bin verwirrt. Er will mit in den Frühgottesdienst?

Also suche ich ihm ein Hemd raus, eine schwarze Hose trägt er eh schon. „Matthäus, bist du eigentlich noch nüchtern?“

„Ja sicher.“ Wieder dieses neue Lächeln. „Was?“, frage ich nun ebenfalls, durch ihn angesteckt, lächelnd. „Matthäus? Du nennst mich Matthäus?“

„Ähm. Ja?“

„Ok. Von mir aus.“ Bevor ich ihn fragen kann wie er das meint, nimmt er mir das Hemd ab und verschwindet im Bad. Ich sammle meine Unterlagen zusammen und frage mich die ganze Zeit – auf dem Weg zur Kirche, während des Gottesdienstes und auf meinem Weg nach Hause, Matthäus hat den zweiten Gottesdienst nicht abgewartet und ist ohne mich nach dem ersten gegangen – wann der Mann den ich kennengelernt habe mit dem Mann den ich meine seit Monaten zu kennen zusammen passt.

 

 

 

 

 

TAKE ME

 

Es ist Samstag. Ich räume gerade meine Einkäufe ein als es an der Tür klopft. Ich habe in den letzten Tagen gelernt dieses Klopfen zu lieben.

„Komm einfach rein.“

„Wirklich keine Lust heute mit rüber zu kommen?“ Diese Frage stellt er mir schon seit Sonntag. Lächelnd kommt er in meine Küche und schnappt sich eine Tasse. Wir haben uns irgendwie jeden Tag kurz gesehen. Sei es früh am Morgen kurz auf einen Kaffee oder abends auf ein Bier. Verlässlich einmal am Tag klopft es an meiner Tür. Und genauso verlässlich versucht er mich zu seiner Trinkrunde heute Abend einladen.

„Jetzt komm schon, Dominik. Wer weiß, vielleicht ist ja einer ganz nach deinem Geschmack dabei.“

Da braucht er kein vielleicht. Da kann er sich sicher sein. Ich habe nämlich die letzten Tage festgestellt dass ER genau wie befürchtet nach meinem Geschmack ist. Auch wenn ich keine Ahnung habe warum. Ohne auf meine Antwort zu warten lässt er sich einen Kaffee einlaufen.

„Du musst ja nicht mit uns weg gehen, aber beim Vorglühen dabei sein. Ok?“

Es ist fast schon ein Welpenblick den er mir da zu wirft. Mit dem Rücken lehne ich mich gegen den Kühlschrank, kreuze die Arme vor der Brust und schaue ihn möglichst streng an. „Wenn du mir versprichst mich nicht zu verkuppeln, dann ja, dann komme ich nachher zu euch rüber.“

„Na also, geht doch!“ Sein breites Grinsen scheint den ganzen Raum zu erhellen. Er ist unglaublich attraktiv wenn er so lächelt. Scheinbar freut er sich wirklich über meine Zusage, denn er hibbelt wie ein Kind auf der Stelle: „Brauchst du kurz `ne Minute für deinen Sieges-Tanz?“

„Sieges-Tanz? Quatsch. Ich freue mich nur wirklich.“ Die Tasse wird abgestellt, meine Pose kopiert.

„So leicht ist es also dich glücklich zu machen?“

Sein Blick wird stechender, genauer, er nimmt mich ins Visier und lässt mich keinen Zentimeter weichen. „Falls du es noch nicht bemerkt hast: Du machst mich glücklich.“

Keine Ahnung was ich darauf antworten soll.

„Nick, bitte…“ Matthäus Stimme ist ein leises Flüstern geworden. Er ist aufgerückt, steht nun ganz dicht vor mir, lässt mich nicht aus den Augen, sucht in meinem Blick nach Antworten auf Fragen die er nicht stellt. Und dann sind seine Lippen auf meinen. Ganz vorsichtig nur. Ich ziehe ihn an mich, in meine Arme, er seufzt auf, greift in meinen Nacken und drückt sich enger an mich. Ich will ihn, Oh Gott wie ich ihn will. Aber ich war schon so oft genau an diesem Punkt und Mal für Mal ist es gescheitert, hat es mir das Herz gebrochen.

„Nick?“ Nur ein Flüstern auf seinen Lippen. Sein Blick ist verunsichert. Das will ich so nicht stehen lassen, ziehe seinen Kopf am Nacken wieder näher, vergrabe meine Nase an seinem Hals wie er an meinem. Er riecht so gut. Eigentlich sollte ich ihn zurückweisen. Eigentlich weiß ich es ja besser. Eigentlich kann das ganze hier nur mit Tränen enden. Aber ganz `un-eigentlich´ habe ich ihn in den letzten Tagen immer besser kennengelernt und mich tatsächlich in ihn verliebt. Vielleicht kann es ja dieses Mal klappen. Vielleicht lassen wir uns von unseren unterschiedlichen Lebensentwürfen nicht trennen. Vielleicht können wir das schaffen, also vorausgesetzt er will es auch schaffen…

„Matthäus, bitte mach es nicht kompliziert. Sag mir einfach nur nach was du suchst. Etwas Festes, etwas nur für eine Nacht, eine Freundschaft mit Vorzügen?“

„Was?“

„Ich will keinen Heiratsantrag von dir, aber wenn du willst, dass es hier irgendwie weiter geht, egal in welche Richtung, dann musst du mir sagen auf was ich mich einstellen soll.“

Das ist das Mindeste. Er ist derjenige von uns der in den Tag hinein lebt. Ich der kühle Kopf. Für ihn wäre ich bereit nochmal ins kalte Wasser zu springen, wenn er mir auch einen kleinen Schritt entgegen kommen kann.

„Ich bin mir nicht sicher. Nick, ich mag dich, ich mag dich wirklich, aber wir kennen uns doch noch gar nicht so lange und noch lange nicht gut genug um hier große Zukunftspläne zu entwerfen. Aber ich bin gerne bei dir und will sehen wo das hinführt. Ich wollte schon lange nicht mehr sehen wo etwas hinführen kann. Mit dir schon. Reicht das?“ Als ich nicht antworte beginnt er kleine Küsse auf meinem Hals zu verteilen und mit jeder Berührung seiner Lippen lässt er meine Zweifel kleiner werden. Er will hier sein. Er ist jeden Tag wiedergekommen. Es ist ihm bewusst dass er sich mit mir einen ruhigen und zugeknöpften Typen geangelt hat. Und dann zeigt er mir mehr als deutlich, dass er hier sein will. Genau hier. Seine Hände sprechen eine Sprache die sein geöffneter Mund an meiner Brust übersetzt. Näher. Ich will näher. So nah wie nur möglich.

 

Als ich abends vor Matthäus‘ Tür stehe bin ich unfassbar nervös. Das hier ist schon im Normalfall nicht meine Kragenweite, aber nachdem was heute Morgen passiert ist habe ich keine Ahnung wie ich mich gleich verhalten soll. Sind wir jetzt ein Paar? Wie wird er mich vorstellen? Er ist gerade erst von der Arbeit nach Hause gekommen, gleich trudeln auch seine Kumpels ein. Jetzt stehe ich wirklich bei meinem beinahe-Freund vor der Tür, war noch nie in seiner Wohnung, kenne seine Kumpels nicht und will eigentlich nur noch zurück in mein Bett. Mit ihm. Da weiter machen wo wir vor neun Stunden aufgehört haben. Japp, das wäre der perfekte Abend.

„Hei, klingelst du noch oder ist Johannes noch nicht daheim?“

Johannes?

„Ähm sicher, wartet kurz.“ Inzwischen stehe ich also mit den Trink-Kumpanen vor Johannes‘ Türe und als ich in die leuchtenden Augen des Gastgebers schaue, der uns die Türe öffnet, frage ich mich wirklich wie ich es geschafft habe mir einzubilden er würde Matthäus heißen. So viele Dinge über die wir noch nicht gesprochen haben, aber im nächsten Augenblick ist es mir auch gleich wieder egal.

„Hei Leute, darf ich euch gleich Dominik vorstellen?“

Damit zieht er mich in seine Arme und winkt die Truppe an uns vorbei in seine Wohnung.

„Dominik, dein Nachbar? Na dann.“ Das Grinsen auf den Gesichtern seiner Freunde ist breit und wissend.

„Hast du von mir gesprochen?“ Meinem leicht anklagenden Blick weicht er nicht aus, lacht nur und meint: „Sicher.“

Damit werde ich in sein Wohnzimmer geschoben und aufs Sofa verfrachtet. Innerhalb von wenigen Minuten steht der Tequila auf dem Tisch, sind alle vorgestellt und der Fernseher an. RTL. Huh?

Ich fühle mich einfach nur überfahren. Viel zu viele Menschen. Viel zu laut. Viel zu viele unlustige Schwulen-Witze die durch die Gegend fliegen. Nur weil wir schwul sind werden die schlechten Witze auch nicht witziger oder besser. Hilflos suche ich nach Matthäus der zum Glück mein Unbehagen erkennt und sich zu mir setzt.

„Überfahren?“ Liebevoll zieht er mich an sich und blickt mich aufmunternd an. Zum Geier, ich bin doch kein kleiner Junge mehr der sich jetzt hilfesuchend an der Brust seines Freundes versteckt. Entweder ich kneife jetzt komplett und flüchte, oder ich versuche verkrampft mich mit seinen Freunden zu unterhalten oder…

Matthäus keucht überrascht auf als ich mich ihm quasi an den Hals schmeiße, ihn und seine Aufmerksamkeit für mich beanspruchend und die anderen einfach ausblendend. Deren Kommentare und Pfiffe versuche ich an mir abprallen zu lassen. Hätte ich Matthäus diese Woche nicht näher und besser kennengelernt dann hätte mich das alles hier vertrieben. Alles hier erinnert mich an Stefan. Genau der gleiche Party-Boy und er hat mir das Herz gebrochen. Mich betrogen, nach Strich und Faden vorgeführt. Irgendwann war ich so etwas wie der heimliche Witz auf jeder Party. Der Freund, der zu Hause treudoof auf seinen Partner wartet während der das Leben in vollen Zügen lebt. Ich habe mir geschworen nie wieder auf diesen Typ Mann reinzufallen. Aber Matthäus ist anders. Er muss es sein. Blöderweise habe ich mich nämlich wirklich in ihn verliebt.

„Jungs, hört auf uns neidisch zu machen. Es geht los.“

Zart drückt Matthäus mich von sich und dreht uns zum TV um.

Immer noch läuft RTl.

„Dominik, kennst du Take me out?“, werde ich gefragt und muss verneinen und was dann folgt ist das wohl bescheuertste Trinkspiel aller Zeiten.

In dieser Sendung tritt ein Mann auf, der sich in 3 Runden insgesamt 30 Frauen vorstellt. Sobald diese irgendetwas an ihm entdecken das ihn für sie `un-datebar´ macht `buzzern´ diese sich aus dem Spiel, die Lampe an ihrem Pult geht aus. Die, die am Schluss übrig bleibt, bekommt das Champagner-Date mit dem Typen. Soweit noch in Ordnung, aber zwischen den Runden werden die Frauen gefragt warum sie `gebuzzert´ haben. Ohne jeden Respekt wird da über die Männer hergezogen; ein verwaschenes Leintuch ist der Hinweis auf einen Voll-Loser der nie Sex hat, unordentlich, arm und dumm ist. Fassungslos verfolge ich den ersten Mann ohne an dem Spiel teilzunehmen. Wann immer einer der hier anwesenden Männer etwas an dem TV-Typen sehen, dass ihnen nicht passt buzzern diese und `müssen´ trinken. Gerne auch mehrmals pro Typ. Ich bin fassungslos. Das ist quasi wie die Partys auf die mich Stefan geschleppt hat. Nur eben mit einem Wildfremden als Witzfigur. 50 Minuten später ist der Wahnsinn vorbei. Die Jungs ziehen los. Mit Matthäus habe ich gefühlt noch zwei Sätze gewechselt. Jeder seiner Kommentare war unglaublich zynisch. Die ganze Meute war in diesem Spiel aufgegangen, hat sich selbst immer weiter hoch gepusht. Technisch gesehen waren wir zum ersten Mal als Paar mit anderen zusammen und dabei hat er 50% der Zeit damit verbracht über andere Männer und deren Dating-Qualität zu werten.

Mit einem seltsamen Gefühl verabschiede ich die Jungs, Matthäus bemerkt, dass ich leicht neben mir stehe, will sogar nicht mit gehen wenn ich ihn da haben will; ich schiebe alles auf meine Müdigkeit, küsse ihn und packe mich nachdem sie weg sind in mein Bett. 

TAKE ME OUT

 

Als ich vom Gottesdienst zurück komme ist Matthäus Wohnungstüre offen. Ich bin mir nicht sicher ob ich das kommende Gespräch führen will. Was will er hören? Was will ich sagen? Der gestrige Abend läuft seit 12 Stunden Dauerschleife in meinem Kopf. Ich will dass das mit uns klappt. Mache ich mir meine eigenen Probleme nur selbst? Endlich mal Zeit mir den Stock aus dem Arsch zu ziehen und… „Magst du nicht reinkommen?“

„Warum war ich mir so sicher dass du Matthäus heißt?“ Ihm ins Wohnzimmer folgend versuche ich mich zu sortieren; nur sinnvolle Fragen zu stellen.

„Das war letzten Sommer. Glaube ich. Ich hatte damals was mit Markus. Johannes, der von gestern Abend, war mit seinem neuen Typen Lukas da. Irgendwer meinte dann, dass wir ja die vier Evangelien schon beinahe beieinander haben und da Jo und ich den gleichen Namen haben… Die haben mich nur einen Nachmittag so genannt.“ Er lässt sich auf sein Sofa fallen und blickt zu mir auf. „Nick, bitte. Ich habe dir gestern gesagt was ich will, aber mir ist jetzt aufgegangen, dass ich nicht weiß was DU willst. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass wir beide uns eine Chance geben wollen. Ist das so?“

Bitte ja!

Ich platziere mich vor ihm auf den Boden, lasse meine Finger über seine Außenschenkel streichen und beginne ihm alles zu erzählen. Naja, nicht alles, aber alles von Stefan. Wie ich blind und blöd alles geglaubt habe was er mir erzählt hat und wie ich mich davor schützen will den gleichen Fehler wieder zu begehen. Wie ich mich in ihn verliebt habe. Seine Finger finden den Weg in meine Haare und ich könnte Schnurren vor Wohlwollen.

„Das heißt ich bin dir zu flatterhaft, zu überdreht?“

„Nein, ja, irgendwie beides, verstehst du?“

„Unsere Gegensätze machen es zwar interessant und spannend zwischen uns, aber wenn es hart auf hart kommt haben wir keine Basis?“

„Mhm.“

„Dominik, ich hatte noch nicht mal eine Beziehung die gegen Ende so ernst war wie dieses Gespräch hier gerade und wir sind noch nicht einmal zusammen. Das ist alles so ernst, so endgültig. Ich fühle mich als würdest du von mir verlangen dir jetzt zu erklären wie wir in 30 Jahren mal einen Ehestreit gedenken zu lösen.“

Da er nicht aufhört mich zu kraulen habe ich die Hoffnung, dass er die Flinte noch nicht ins Korn werfen möchte.

„Ich kann aus meiner Haut halt auch nicht raus.“

„Nein, aber aus den Klamotten…“ flüstert es leise an meinem Ohr.

Das hat er gerade nicht wirklich gesagt. Wie kann er denn jetzt an Sex denken? „Dein Ernst?“ Aber ein Blick hoch zu ihm beantwortet das; es hätte mir eigentlich auch gleich klar sein können. Sex in diesem Moment ist das Letzte an das ich denke, demnach das Erste für ihn.  Er steht einfach auf und läuft ins Schlafzimmer. „Matt, wirklich, reden. Wir sollten reden“ meine ich als ich hinter ihm her trabe.

„Ok, dann komm her und rede.“

Er hat sich inzwischen die Kleider ausgezogen und liegt nun breit grinsend vor mir.

Oh Gott

Sofort übernimmt ein anderer Körperteil von mir das Denken und Handeln. Er hat eine Wirkung auf mich, die eigentlich verboten gehört. Ich weiß, dass ich Butter in seinen Händen bin, kann es aber nicht ändern. Und bei dem Anblick, der sich mir hier bietet, wäre ich wahnsinnig, wenn ich es ändern wollen würde.

„Matt!“, ich höre, dass meine Stimme belegt klingt.

„Wir reden, nachher, ok?“, fragt er scheinheilig süß und dreht sich auf den Bauch. Oh verdammt!

„Nick, deine Gedanken laufen gerade nur im Kreis. Entspann dich und dann reden wir.“ Noch während er spricht zieht er seine Knie an und streckt seinen Arsch in die Höhe, direkt in meine Richtung.

„Matthäus!“, mein Anstand gebietet es mir ihn einmal zu warnen, aber er beherrscht das Spiel gut; viel zu gut. Besser als jeder andere, den ich kenne.

„Nick?“, fragt er mit dieser Unschuldsstimme und wackelt doch wirklich mit seinem süßen Arsch.

 „Hast du eigentlich auch nur im Geringsten eine Ahnung, was du mir hier gerade antust?“ Er weiß, dass er sexy ist, aber ich bezweifle, dass er weiß, wie sehr.

 „Du hast keine Ahnung!“ presse ich zwischen meinen Zähnen hindurch, denn der Schmerz in meiner Hose wird immer größer.

Dieser Arsch

Ich packe zu und lasse mir sein Fleisch immer wieder durch die Finger gleiten. Sein Po ist perfekt. Seine Haut unter meinen Fingern wird immer wärmer, er zittert und ich packe stärker zu.

Oh Gott, Ich bin schon so hart…

Ich fasse nach vorn, fühle ihn pulsieren, anschwellen und zucken.

Von dem Moment an habe ich eh schon verloren. Keinen klaren Gedanken kann ich mehr fassen. Ich spüre nur noch ihn; dass er mich will! Nur mich! Die Erregung, das Zucken, der Mann  - das alles gehört mir. Ich schiebe meine Finger in ihn und warte auf seine Reaktion. Die folgt sofort: Er errötet, nicht nur im Gesicht, biegt sein Kreuz durch, seine Beine zittern… Ich krame im Nachttisch nach einem Kondom. Während ich es überstreife habe ich Zeit ihn weiter zu beobachten. Seine Haut ist so sanft, so weiß, so glatt, so rein.

Dann packe ich seine Hüften. Wenn er denkt, dass ich nach diesem Lockruf noch zärtlich zur Sache gehe, dann muss er wahnsinnig sein. Anhebend positioniere ich ihn. Er ist so klein. Er muss den Kopf in den Nacken legen, um mir in die Augen zu sehen, um mich zu küssen.

Mit einem harten Stoß dringe ich in ihn ein. Fuck. Er will mich. Mich!

 

Als ich aufwache liege ich allein im Bett.

Im Wohnzimmer steht er breit grinsend, winkt mich auf den Sessel und stellt ein Glas Bourbon vor mir ab.

Dann ertönt laut `what is love´ und Matt tanzt durch sein Wohnzimmer, lässt mich nicht aus den Augen.

„Was genau wird das wenn‘s fertig ist?“

Er dreht die Musik ab, stellt sich vor mich: „Mein Name ist Johannes Steinhilber, 32 Jahre alt, und von besonderen Menschen lasse ich mich Matthäus nennen.“

Abwartend schaut er mich an, nickt dem Glas zu und zieht die Augenbrauen hoch. Endlich begreife ich. Mit einer Handbewegung zeige ich ihm an, dass er in die zweite Runde gehen soll. „Ich habe nichts auszusetzten. Die Liedauswahl war interessant, sein Tanzen ausbaufähig aber passioniert, sein Lächeln ist der Oberhammer. Ich will mehr sehen.“

Er klappt seinen Laptop auf und startet eine Bildershow. Zu jedem Bild erklärt er sich: „Ich lebe allein, da ich Jahre in WGs verbracht habe, aber mir das ständige Rein und Raus der vielen Menschen auf den Zeiger gegangen ist. Ich koche liebend gerne, gehe 2-3x die Woche ins Fitness-Studio, im Sommer auch ganz gerne Joggen. Meine Schwester und ich stehen uns recht nahe, leider wohnt sie 700km weit weg, daher telefonieren wir mindestens jeden zweiten Tag. Ich habe einen sehr großen Freundeskreis, mit dem ich mich einmal die Woche treffe, denn sie sind das Gegengewicht zu meinem Job, der oft sehr viel von mir fordert und ich brauche die Abwechslung. Ich mag zwar Tiere will aber keine Haustiere. Vielleicht mal `nen Fisch, wenn ich mich nicht drum kümmern muss.“

Ich lasse mich tiefer in den Sessel sinken, beachte das Glas vor meiner Nase gar nicht. Matt zieht sich ein Sakko über und kommt auf mich zu: „Nun dann, Nick. Du hast nicht gebuzzert. Was gefällt dir an unserem Teilnehmer?“

„Nun, das mit den Haustieren müssten wir nochmal besprechen, aber bisher gefällt mir der Kandidat sehr gut. Ich hoffe nur, dass diese Beziehung zu seiner Schwester nicht zu eng ist. Wenn, dann will ich ja ihn daten, und nicht seine Schwester.“

„Dann gehen wir in die dritte und finale Runde. Und denk daran: Drückst du aus bist du raus.“

Er setzt sich mir gegenüber nieder und nimmt meine Hände in die Hand.

„Ich leite die Seelsorge der Kinder-Onkologie und ich nehme meinen Job mit nach Hause, ich bin unfähig ihn dort zu lassen. Mein Umgang damit macht nicht immer Sinn, aber ich gehe damit um. Montags bin ich mal verzweifelt, dienstags mal traurig usw und samstags, da bin ich Zyniker.“

Ich greife nach dem Glas, er spannt sich an, aber ich drücke es ihm nur in die Hand.

„Du bist also ein ernster flatterhafter Typ?“

„Ja, um den Job zu bekommen habe ich studiert. Ev. Theologie auf Pfarramt.“

„Nicht dein Ernst!“

„Doch. Ich habe Latinum, Greacum UND Hebraicum, Baby.“

Heiß pressen sich seine Lippen auf meine.

„Ich bin, also ich bin…. Gut du weißt dass ich eher der vorausplanende Typ bin. Aber unterm Strich bin ich wohl eine kleine Dramaqueen. Ich brauche `ne Menge Zuwendung, Rückversicherung.“

„Mehr so der Kuschel-Typ?“ Seine Stimme kippt beinahe vor unterdrücktem Lachen.

„So in etwa…“ Leicht beschämt vergrabe ich mich an seiner Brust, doch er drückt mich wieder ein Stück von sich.

„Ok.“ Damit lehnt er sich an mir vorbei und kippt den Alk in die Topfpflanze neben dem Sofa.

„Kein `Bäh-bäähm´?“

„Nein.“

„Nein.“ Ich muss es nochmal wiederholen. Nur um sicher zu sein.

„Nein, denn nur der ernsthafte Unterhemden-Bügler wäre auf Dauer vielleicht ein wenig einseitig. Aber gepaart mit der Dramaqueen…“ Langsam zieht er mich an sich, küsst mich verlangend und ich fühle mich endlich `frage-los´. „Du bist ebenso ein Widerspruch in sich“ lasse ich ihn noch wissen bevor ich mich an ihn gedrückt zu Boden gleiten lassen. Meine Gegensätze-Theorie und –Angst lasse ich los; wer so komplex ist wie Matt, der es mir seit mittlerweile 10 Monaten unmöglich macht einen gleichbleibenden Eindruck von ihm zu bekommen, der kann nicht in so eine Theorie hineingeschustert werden.

„Matt, du hast nicht gebuzzert. Ich auch nicht.“

„Nick, sei still.“ Um das zu unterstreichen küsst er mir die Lippen wund während er sich auf mich schiebt. Aber ich kann einfach nicht den Mund halten.

„Du hast deine Buzzer-Chance vertan.“

„Du auch. Vor allem du. Du musst heute Abend für alles bezahlen.“

„Wie?“

„You´re gonna take me out.“ Dabei singt er diese schreckliche take me out-Melodie.

„Champagner-Date?“

„Mir vollkommen egal. Bin da nicht so kompliziert. Reicht ja wenn sich einer von uns den Kopf darüber zerbricht.“

Es passt. Also zwischen uns. Gott sei Dank. Es passt. Vielleicht überlege ich mal meine Aversion über diese Gegensätze-Theorie abzulegen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.04.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Sis Veronika, die mir den Bookrix Account einfach mal erstellt hat mit der Aussage: "Das wirst du mögen" :-)

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