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Prolog


Das Glas zersplittert in tausende von Teilchen. Die Menschen um mich herum schreien. Die Splitter zerschneiden meine Haut. Schemenhafte Umrisse tanzen vor meinen Augen und ich taumle. Dann herrscht Dunkelheit.

 

Ich wache in einem Zimmer mit glatter weißer Decke wieder auf. Krankenhauszimmer. War ja klar. Der gleichbleibende Druck an meinen Handgelenken und Fußknöcheln sagt mir, dass ich an den Händen und Füßen gefesselt im Bett liege, wie eine Verrückte in einem Film. Da ich weiß es würde nichts bringen an diesen Dingern rumzuzerren vergesse ich das gleich wieder. Ich lasse meinen Blick im Zimmer umherschweifen und stelle ich fest, dass ich alleine im Raum bin. Es ist weiß und steril gehalten, die große Fensterfront links von mir wird von gelblichen Vorhängen verdeckt, die das Sonnenlicht abfangen. Ich frage mich ob ich einfach alleine im Zimmer bin oder ob es wirklich nur für eine Person gedacht ist. Ich sehe mich weiter um und bleibe an einem wunderschönen Bild das einen See, der Bäumen von umringt ist zeigt, hängen. Herrlich. Mein Blick gleitet zu der gläsernen Zimmertür. Meine Eltern stehen draußen. Sie scheinen aufgelöst. Neben ihnen stehen uniformierte. Polizei. Und eine Frau die gelassen auf die Beamten einredet.

 

Ein Monat ist seitdem vergangen. Ich sitze hinten in unserem Auto, mein Vater fährt und meine Mutter sitz auf dem Beifahrersitz, ruhig und ihre Finger knetend. Im Radio läuft ein neuerer Song von einer englischen Band die gerade durchstartet. Mein Vater blickt in den Innenspiegel und lächelt mich an. Ich lausche dem Lied, es ist gut, ganz verstehe ich es zwar nicht aber die Stimme des Liedsängers gefällt mir. Wir fahren schon seit drei Stunden und bisher hat keiner auch nur einen Ton gesprochen. Es ist fast Mittag.

 

Wir fahren noch etwa eine Stunde und dann sehe ich mein neues Zuhause, die Schule für Freaks. Eigentlich heißt sie ja „Pa pagesë Shkolle“, was aus Gott weiß welcher Sprache übersetzt „Freie Schule“ heißt, aber ich finde meinen Namen besser. Wir werden zwar vermutlich noch eine halbe Stunde Fahrt benötigen, aber das große Anwesen in dem Tal, auf das wir zusteuern, sehen wir schon jetzt klar und deutlich. Das Gebäude sieht aus wie ein neumodischeres großes Internat, was es ja auch irgendwie ist, nur die Modernität überrascht mich etwas, ich dachte eher es wäre ein altes Schloss oder so was.

 

Wir kommen endlich an der großen Mauer, die das Anwesen abschirmt, an und müssen vor dem großen gusseisernen Tor stehen bleiben. Als ein Wachmann zu uns herüber läuft atmete ich noch einmal tief durch und verabschiede mich schon mal von meinem vorherigen Leben, meine Eltern hingegen bestaunen die Außenfassade der Gebäude und die Grünflächen soweit sie durch das Tor sehen können. Der Mann steht nun vor der Fahrertür und mein Vater lässt das Fenster herunter. „Guten Tag Sir, Madam. Kann ich bitte den Grund ihrer Anreise erfahren?“ Meine Mutter antwortete dem Beamten: „Guten Tag. Meine Tochter soll hier zur Schule gehen.“ Mein Vater wird gebeten seinen Ausweis vorzulegen. Er zeigt ihn und der Mann nimmt ihn an, prüft ihn und gibt ihn danach wieder zurück. Der Mann nickt, geht vom Wagen weg, sieht zur anderen Seite des Tores und nickte erneut. Das Tor geht quietschend auf und wir fahren mit Schrittgeschwindigkeit hinein. Wir stellen das Auto auf einem kleinen Parkplatz zwischen einem roten und einem schwarzen Auto ab. Auf dem Weg zum Eingang sagen wir kein Wort. Wir gehen einen Schotterweg entlang zu einer dreistufigen Treppe, oben angekommen öffnet sich die große hölzerne Tür. Ihre Scharniere sind verschlungen wie Ranken. „Eigentlich schön“, denke ich, denn ich habe etwas für Ranken, Verschnörkelungen und mystischem GlimBims übrig, solange es im Rahmen bleibt. Im nächsten Moment kann ich mein Staunen nicht mehr unterdrücken, ich bleibe mitten in der großen Empfangshalle stehen, blickte mit gestrecktem Hals hoch zur Decke und lasse die Schönheit und Anmut, alles was dieser Raum zu bieten hat in mich eindringen. Ich muss lächeln. Schnell merke ich dass ich meine Gleichgültigkeit vergessen hatte und setze diese sofort wieder wie eine unsichtbare Maske auf. Normalerweise wäre ich jetzt offen fasziniert, aber die Situation in die sie mich hier gebracht haben ist so bescheiden, dass ich meinen Eltern den Triumpf heute nicht gönnen werde. Der Mann, der uns den Weg zum Rektorenzimmer zeigt, ist nicht mehr uniformiert, nein, er trägt einen Anzug der überraschender Weiße normal und hübsch aussieht. Er schenkt mir ein Lächeln und fängt an etwas über das Gebäude zu erzählen. „Na toll, er hat es gemerkt. Jetzt bloß nicht mehr nachgeben“, denke ich und tue so als würde es mich nicht interessieren was er erzählt. Doch eigentlich höre ich ihm ganz genau zu. Er spricht von dem ersten Menschen der eine besondere Fähigkeit an den Tag legte, über die Errichtung des Anwesens, über die Verfolgung und Tötung dieser ungewöhnlichen Menschen zu denen ich von nun an auch zählen soll. Von da an hörte ich nicht mehr zu, mir fliegen nur die unzähligen Arten der grausamen und ungerechten Morde an diesen Menschen durch den Kopf. Ich stelle mir vor wie es sein musste als eine Hexe verbrannt oder mithilfe von Wasser getötet zu werden. Gänsehaut überfällt mich. Der Mann bleibt in einem Korridor an dem links und rechts Stühle lehnen stehen, deutet darauf und entschuldigt sich. Automatisch setzte ich mich auf einen Stuhl vor der Wand, meine Eltern nehmen links von mir Platz und werden vom Sonnenlicht, der durch das Fenster hinter ihnen, fällt schemenhaft auf der anderen Seite des Flures abgebildet. Ich denke noch einige Zeit über das Erzählte nach und bekomme beiläufig mit wie meine Eltern sich über das was sie zu Gesicht bekommen haben unterhalten. Es gefällt ihnen und sie freuen sich für mich das ich hier sicher bin und trotz ungewöhnlichen Fächern auch normale haben werde. Doch ich bin nicht so positiv gestimmt, ja es stimmt, hier ist es schön und ich bin unter Gleichgesinnten, oder wie man das nennt, aber was ist mit den Kehrseiten? Dieses Ganze Szenario kann nicht nur positiv und gut sein, das ist unmöglich. Was ist, wenn das nur das äußerliche Erscheinungsbild ist? Ich komme nicht mehr dazu mir noch mehr fruchtlose Gedanken zu machen, denn die Tür öffnet sich und die Rektorin kommt zu uns. Wie es sich gehört stehen wir auf und es beginnt eine altmodische höfliche Vorstellungs-und Begrüsungsrunde. Zuerst reichen sich meine Mutter und die Rektorin die Hand, ganz nach dem Motto „Ladys First“. Danach kommt mein Vater dran und ein kleines Geplauder über die lange und ab und zu verwirrende Autofahrt folgt. Ichschweige und betrachte derweil meine neue Rektorin genau. Es ist nicht das erste Mal, dass ich sie sehe, damals im Krankenhaus kam sie und stellte sich vor. Sie erklärte meine Situation und bot an mich an ihrer Schule aufzunehmen. Ohne großes Bedenken offenbarte sie ihre „Gabe“ als ich Sie dazu aufforderte. Wie damals ist sie auch jetzt elegant gekleidet. Heute trägt sie ein bodenlanges schwarzes Kleid mit einem hüftlangen Schlitz am rechten Bein, dazu eine komplizierte Hochsteckfrisur. Die Kette mit einem recht großen Anhänger der ein Kreuz darstellt um das sich eine Schlange windet fällt mir besonders ins Auge. Eins muss man ihr lassen, sie hat Still, weiß wie man sich präsentiert und hübsch ist sie sowieso. Mit einem Lächeln reicht sie mir die Hand: „Schön das du gekommen bist. Ich bin sicher dir wird es hier gefallen.“ Ich erwidere ihr Lächeln und nicke. Mehr nicht. Nachdem das Geplänkel beendet ist geht sie voran und wir folgen ihr wie kleine Küken die ihrer Mutter hinterher watscheln. Sogar der Angestellte folgt. Meine Mutter wirft mir angesichts meines Verhaltens einen verärgerten Blick zu aber ich zucke nur mit den Achseln. Anders als der Mann vorhin, erzählt sie nichts geschichtliches, sie erklärt mir welcher Raum für welches Fach ist, sobald wir an einem Klassenzimmer vorbeikommen. Zu meinem Bedauern sehen die Türen und Flure alle gleich aus. Als wir uns wieder in der großen Empfangshalle befinden bleibt sie stehen und zeigt auf die steinerne Treppe gegenüber der Eingangstür. „Diese Treppe führt zu den meisten Klassenzimmern und zu den Gemeinschaftsräumen. Im ersten Stock befinden sich nur Klassenzimmer. Der Zweite und Dritte sind Schlaf-und Gemeinschaftsräume“, erklärt sie. „Und der vierte Stock“, frage ich unverblümt. Ich sehe aus den Augenwinkeln wie meine Eltern sich schämen, aber es ist mir egal. Ich wäre froh wieder mit ihnen nach Hause zu dürfen. Nun fängt die adrett gekleidete Dame an zu lachen und schaut zu meinen Eltern: „Sie haben ein intelligentes und aufmerksames Kind.“ Meine Eltern lachen verlegen zurück und bejahen diese Aussage. „Vielen Dank auch“ signalisiere ich mit meinem Augenrollen. „Du möchtest bestimmt dein Zimmer sehen. Ich dachte mir du würdest es begrüßen nicht mitten in die Meute geworfen zu werden. Deshalb hast du dein eigenes kleines Reich“. Und schon wieder laufen wir wie eine Entenfamilie hintereinander. Als wir eine kleine Treppe hochsteigen denke ich mir: „Wenigstens habe ich meine Ruhe und muss nicht mit anhören wie sie sich über mich das Maul zerreißen.“ „Keine Sorge. Du wirst erstmal das Gesprächsthema Nummer 1 sein, da gebe ich dir Recht, aber ich bin mir ziemlich sicher dass du auch sehr schnell Freunde und Anschluss finden wirst“, sagt Rektorin Inner beiläufig. Perplex blinzle ich mit den Augen und verlangsame meinen Schritt, bis ich mir wieder ins Gedächtnis gerufen habe was ihre besondere Fähigkeit ist, Gedanken lesen. Und diese Fähigkeit hat sie offenbar erneut bei mir angewendet. Fantastisch. Erneut blieben wir vor einer Tür stehen, ganz hinten am Flur. Der Angestellte macht die Tür auf und wir treten ein. Nun stehen meine Mum, mein Dad, die Rektorin und der Typ im Anzug in dem Raum, der das Wohnzimmer zu sein scheint. Es ist ein großes Zimmer, das von einer Fensterfront, die links neben der Tür ist, erhellt wird. Automatisch gehe ich zu den drei großen Fenstern, öffne das Mittlere und beuge mich hinaus. Ich blicke hinaus auf eine große grüne Wiese in der vereinzelt Bäume stehen. Ich kippe das Fenster und begebe mich wieder zu den Wartenden im Raum. Keiner sagt auch nur ein Wort, was mich etwas überrascht, da es eigentlich ein recht seltsamer Tick von mir ist. Aber mir soll es recht sein. Ich lasse meine Augen in dem Zimmer umherschweifen und stelle fest, dass es mir ganz gut gefällt. Vor der Wand von der auch die Tür etwas versteckt wird, befindet sich ein weißer Fernsehschrank auf dem ein Fernseher und alles was dazugehörte steht. Über dem High-Tech Gerät ist ein gläsernes Regal befestigt, perfekt für meine Rosen. Mit enttäuschender Miene muss ich feststellen dass ich es mir sehr wohl vorstellen kann hier zu leben. Gegenüber den Geräten ist eine kleine Couch und an der letzten Wand steht ein Schreibtisch der genügend Platz für Fotos, meinem Laptop und Schreibkram bieten wird. Neben dem Schreibtisch befindet sich eine Tür, in deren Richtung die Rektorin auffordernd nickt sobald ich sie ansehe. Ich gelange in einen kleinen Flur, die Farbe ist wie im Wohnzimmer weiß. Am anderen Ende und auf beiden Seiten befinden sich Türen. Ich beschließe die Räume wie bei einer Besichtigungsrunde zu begutachten und mache zuerst die Tür zu meiner Rechten auf. Ein Badezimmer mit einem schönen Waschbecken, das unter einem Spiegel montiert ist; einer Toilette; einer Dusche und einer Wand mit kleinen Spiegeln gegenüber dem Waschbecken. Alles weiß gehalten. Ich laufe zu der Tür am Ende des kleinen Ganges. Mit einem Verdacht öffne ich die Tür und siehe da ich hatte Recht, das Schlafzimmer. Das Zimmer bietet Platz für das Bett, zwei Nachttischchen und einen Kleiderschrank. Und all das ist schon aufgebaut und bereit. Ich mache die Tür zu und bleibe anschließend bei der letzten Tür in der Runde stehen. Mir fällt nicht ein was das sein könnte, denn das Badezimmer und das Schlafzimmer habe ich ja schon gesehen. Ein wenig gespannt öffne ich auch diese Tür und finde einen relativ kleinen leeren Raum vor, allerdings wird er genug Stauraum für meine Bücher und das Putzzeug bieten. Diese vier Zimmer scheinen wie speziell für mich gemacht, einfach perfekt. Als ich zu den anderen zurückkomme, kann ich meine positive Stimmung nicht mehr verbergen. Frau Inner unterbricht ihr Gespräch mit meinen Eltern und widmet sich ganz mir: „Wie ich deinem Gesichtsausdruck entnehmen kann gefällt es dir hier. Natürlich kannst du die Wände streichen und die Räume so gestalten wie sie dir gefallen. Normalerweise würde ich dich bitten dem Hausmeister Bescheid zu geben, wenn du einen Nagel in die Wand schlagen möchtest, aber ich glaube dir muss ich das nicht sagen, das schafft du auch ohne Hilfe.“ Natürlich… „Heute wirst du den ganzen Tag für dich haben. Morgen ist Sonntag, das heißt es findet nur ein freiwilliger Gottesdienst statt. Am Montag beginnt wieder die Schule. Komm aber bitte als erstes nach dem Frühstück zu mir, denn ich möchte dich den Lehrern vorstellen.“ Damit verabschiedet sie sich und wir bleiben in meinem neuen Zimmer. Von da an herrscht Stille. Da mir die Situation unbehaglich ist begeben wir uns zum Auto und tragen meine Sachen ins Wohnzimmer. Da uns schon damals im Krankenhaus gesagt wurde, ich solle mein ganzes Hab und Gut mitnehmen haben wir auch alles was mir gehört dabei. Nachdem die letzte Kiste im Wohnzimmer verstaut wurde laufen wir ohne uns anzusehen zurück zum Wagen und ich verabschiedete mich von meinen Eltern. „Ich werde euch jede Woche eine E-Mail schreiben“, verspreche ich während meine Eltern mich zerquetschen mit ihren Umarmungen. Deprimierend, denn sie liefern den endgültigen Beweis dafür, dass ich nicht mit nach Hause fahren würde.

 

Kapitel 1

Ich gehe zurück in mein Zimmer und das sogar ohne mich zu verlaufen. „Tja, einen Weg kann ich mir wenigstens merken. Aber wo ist nochmal das Zimmer von Rektorin Inner?“, denke ich mit dem gemischten Gefühl der Zufriedenheit und leichte Verzweiflung.

 

Angekommen stehe ich umringt von den etlichen Kisten, die wir in meinem neuen Heim einfach irgendwie gestapelt abgestellt haben. Wie soll ich nun am besten anfangen das Chaos zu beseitigen? Aus meinem Grübeln werde ich von einem Klopfen herausgerissen. Ich bahne mir einen Weg durch das Kartonlabyrinth und öffne die Tür, allerdings ist eine schwere Vase mit den wunderschönen stacheligen Rosen in Griffbereitschaft. Klar, ich würde den hinter der Tür nicht gefächtsunfähig machen oder gar lebensgefährlich verletzen, aber es würde reichen um die Tür zu zuhauen und mir meinen Fluchtplan zu überlegen. Aber wie sich herausstellt war diese Überlegung unnütz, denn der Mann von vorhin war mit einem Mann, der einen Werkzeugkasten hält, zurückgekommen. „Guten Tag, ich dachte mir Sie bräuchten vielleicht Hilfe beim Aufbauen und Zurechtfinden“, begründet er seine Rückkehr und deutete auf den Mann hinter ihm. „Das ist der Hausmeister Herr Stifterling.“ Als dieser seinen Namen hört lächelt er mir zu und winkt. Ganz untypisch, aber mir gefällt es. Endlich einer der mal nicht diese stocksteifen Höflichkeitsfloskeln anwendet und bei dem ich nicht das Gefühl habe irgendwo vor Gericht zu stehen. Ich trete zur Seite und lasse sie herein. Als die beiden meine vielen Kisten erblicken wirken die beiden perplex. Fragend sehe ich die beiden an. „Die meisten Kids nehmen nur das mit in die Schule, was sie für zwei Monate brauchen. Danach bekommen sie etwas von ihrer Familie“, erklärt mir der Hausmeister. „Rektorin Inner war wohl der Meinung, dass es besser wäre, wenn ich nicht immer nach Hause gehen würde.“ Der Angestellte reicht mir ein paar Papiere und erklärt was auf den Blättern abgebildet ist: Stundenplan, Grundriss des Anwesens, Liste meiner Lehrer mit Unterrichtsfach und auch noch eine Karte zum Zurechtfinden Innerhalb des Gebäudekomplexes. Danach verabschiedet er sich mit den Worten: „Falls Sie Hilfe brauchen, fragen Sie. Ich befinde mich immer im Schulgebäude. Und herzlich willkommen.“ Er schließt die Tür und Herr Stifterling und ich sind alleine. „Also wie er schon sagte: Auch ich bin da, falls du was brauchst.“ Ha, einer der mich nicht mit Sie anredet, aber der Freude weicht sofort das Gefühl auch er sei ein Gedankenleser. Anscheinend muss ich einen komischen Gesichtsausdruck gemacht haben, denn er begegnet mir mit einem Lächeln: „Entschulde, dass ich dich duze. Nur jedes Mal wenn man zu dir „Sie“ sagte zuckt dein Mundwinkel.“ Ich lächle. „Danke für Ihre Hilfe, aber ich würde gerne alleine dieses Chaos beseitigen. Könnte ich ein paar Regale irgendwo besorgen gehen? Ich möchte den kleinen Raum nutzen um meine Bücher aufzustellen.“ Ich gehe zu dem kleinen Raum und öffne die Tür um zu zeigen was ich meine. „Klar. Aber ich glaube besorgen gehen musst du keine. Ich müsste noch ein Paar dahaben.“ Er scheint gemerkt zu haben wie wichtig mir meine Bücher sind also machen wir uns sofort daran Regale aufzutreiben. Zu meiner Erleichterung begegnen wir niemandem auf dem Weg in den Keller. Wir müssen zurück zur Eingangshalle und von da aus eine der Treppen, die ich bis dahin nicht bemerkt hatte, hinuntersteigen. Diese Treppen machen den Eindruck eine Erweiterung der Treppe, die in die verschiedenen Stockwerke führt, zu sein. Unten angekommen laufen wir nach links. Wir gehen ganz hinter in den Raum. Ich biege um ein Regal, dass vollgestellt ist mit Vasen und sonstigen Staubfängern. Herr Stifterling klatscht sich in die Hände und sagt voller Freude: „Ha, ich wusste doch, dass ich noch ein paar Regale dahabe. Allerdings sind sie groß und aus Metall.“ Gespannt dreht er sich zu mir um und ich sehe mir die Regale genauer an. Etwas erstaunt fragte ich: „Die darf ich benutzen?“ „Klar, die stehen hier nur rum. Ich denke sechs Regale dürften in die kleine Kammer reinpassen, danach ist dann noch etwas Platz an einer Wand. Natürlich nur wenn du möchtest.“ Meine Augen weiten sich. Ich bin wirklich froh und muss grinsen. Ich hatte mit einem oder höchstens Drei kleinen Regalen gerechnet, aber das ich gleich sechs haben sollte, die auch noch so hoch sind wie die Wand, nein jetzt konnte ich einfach nicht mehr. „Ja! Ja bitte. Das wäre wundervoll! Vielen, vielen, vielen Dank!“ Er lächelt, schnappt sich ein Tuch von einem kleinen Tücher Stapel und macht sich daran ein Regal von dem Staub und den Spinnenweben zu befreien. Ich schnappe mir voller Vorfreude ebenfalls ein Tuch und gemeinsam stauben wir eins nacheinander ab, tragen sie hoch in das noch leere Zimmer. Herr Stifterling fragt mich welche Bücher ich so lesen würde. Ich erzähle ihm von meiner Sammlung und so erfuhr ich, dass auch er ein Bücherwurm ist. Als alle Sechs Regale in der Kammer sind, stellt sich heraus, dass er Recht hatte, ein kleines Stück an der Wand bleibt frei. Da das eher ungewöhnlich ist frage ich ihn woher er wusste, dass die Regale so perfekt hineinpassen. „Die Regale waren schon einmal drin.“ Das erklärt es natürlich. Etwas erschöpft setze ich mich auf den Boden und er überlegt. „Was ist?“ „Ich glaube ich habe etwas wo du das Putzzeug rein tun kannst.“ „Vielen Dank, aber sie haben mir schon sehr geholfen.“ „Unsinn, das ist meine Aufgabe und ich habe es gern gemacht. Komm mal mit.“ Also stehe ich wieder auf und folge ihm. Wir gehen aus dem Gebäude heraus, in welches ich zu vor mit meinen Eltern hineingegangen war, und laufen zu einem kleinen Häuschen. Es ist ungefähr so groß wie eines diese Gartenhäuschen aus Holz. „Dort bewahre ich Holz auf, wie eine Werkstadt.“, erklärt er. Drinnen durchwühlt er die Regale. Ich bleibe vor der roten Tür stehen und spähe hinein. Es sind viele Regale an den Wänden verankert, viele Boxen stehen am Boden, fein säuberlich aufgeräumt. Holz und Werkzeug überall im Raum. Er entscheidet sich dann einfach eine hölzerne Box, inder er Holzstäbe lagert, auszuleeren und mir zu reichen. Sie ist aus schönem dunkelbraunem Holz gefertigt, mit glatten Kanten. „Nimm, ich bin mir sicher die passt perfekt in deine Bibliothek.“ Ohne Wiederwort aber mit einem dankbaren Lächeln nehme ich die Box an und Herr Stifterling bringt mich zurück zu meiner Baustelle. „Farbe habe ich auch noch da. Also einfach fragen. Ich bin dann mal auf meiner Baustelle in der Turnhalle.“, verabschiedet er sich von mir und ich bedanke mich. Nun befinde ich mich wieder alleine auf meiner Baustelle. So nennen wir beide diese Situation. Ich fange an einfach Eine Kiste nach der Anderen aufzumachen und den Inhalt an seinen neuen Platz zu stellen. Da es mir nur mit Musik Spaß macht, schalte ich meinen Laptop ein und lasse die Musik abspielen. Die gelehrten Kartons lege ich sorgfältig zusammen und staple sie unter den Regalen in der Kammer. Als ich den letzten Karton gefaltet und aufgeräumt habe stelle ich fest dass es dunkel ist. Zum Glück ist das Mittlere mit einem Fliegengitter geschützt, denke ich mit einem kleinen Schmunzeln.

 

Da ich noch den Stundenplan, meine Lehrer lernen will und über das die Lage der Räume Bescheid wissen will, diese gab mir der Angestellte, setzte ich mich auf die Couch, schalte die kleine Stehlampe ein, die ich von Zuhause mitgebracht habe und studiere zuerst die Liste mit meinen Lehrern:

 

Fr. Schmidt: Mathe; Physik                             Fr. Meyer: Deutsch
Fr. Groß: Kampftraining; Tanzen                          Fr. Andora: Tanzen; Benimm
Fr. Smith: Englisch                                             Fr. Klopfer: Geschichte
Herr Baumgärtner: Biologie; Chemie                     Herr Brenner: Erdkunde
Herr Freitag: Computertechnologie                      Herr Boxer: Werken
Hauptfeldwebel Herr Lais

 

Mir fallen fast die Augen zu. Da ich merke, dass es keinen Sinn mehr macht mir die Namen einbläuen zu wollen, schließe ich das Fenster und packe in meine Tasche den Zettel mit den Lehrern, meinen Stundenplan und die Pläne ein. Danach schalte ich meinen PC und die Lichter im Wohnzimmer aus, wasche mich und gehe in meinen Raum voller Bücher. Entschließe mich aber dann doch keins anzufangen und gehe ins Bett. Ich bin anscheinend so erschöpft das ich sofort einschlafe nachdem ich den Wecker auf 8:00 Uhr gestellt und mich hingelegt habe.

 

Als der Wecker klingelt stehe ich auf und mache mich verschlafen fertig für die Kirche. Ich ziehe eine weiße Bluse und eine schwarze Hose an, dazu die hochhackigen Schuhe mit drei Zentimeterabsätzen. Meine Haare flechte ich zu einem seitlichen Zopf. Aus einer kleinen Schmuckschachtel hohle ich mein Kreuz heraus und lege es mir an. Es ist das erste Mal seit vier Jahren, dass ich es trage und in die Kirche gehe. Erst jetzt wird mir wieder bewusst wie lange der Tot von Liam und der ganze Mist her ist. Meine Finger gleiten an meinem Hals entlang und berühren das Kreuz. Es kommt mir so vor als würde es meine Finger verbrennen und mir die Luft zum Atmen nehmen, dennoch, ich sollte es tragen. Der erste Eindruck zählt. Sonst kommt noch ein Gerücht in Gange und mir reichen die, die es schon gibt. Es gibt sicher welche. Die Tasche um die Schulter, schließe ich mein Reich ab, begebe mich in die Cafeteria. Dank des Plans finde ich sie ziemlich schnell. Vor der Tür der Cafeteria bleibe ich stehen, atme nochmal tief durch und mache mich schon mal auf die Blicke und das Getuschel gefasst. Doch als ich die Tür öffne und eintrete ist kein Mensch zu sehen. Um nicht das Risiko einzugehen doch noch jemandem zu begegnen schnappe ich mir nur einen Apfel und verschwinde sofort wieder. Auf dem Weg zur Kapelle fällt mir etwas ein das Herr Stifterling sagte: „Morgens essen alle Schüler und Schülerinnen in den Gemeinschaftsräumen, dort ist eine kleine Küchenzeile.“ „Deshalb war da keiner“, schlussfolgere ich und beiße in meinen Apfel. Die Kapelle, oder Kirche – was weiß ich - befindet sich außerhalb des Hauptgebäudes. Deshalb gehe ich hinaus auf die Grünfläche und laufe einen Schotterweg entlang der genau vor dem Gotteshaus endet. Auch auf diesem Weg kommt mir keiner Entgegen und so kann ich die Gegend betrachten und die Ruhe genießen. Am Ende des Weges angekommen zögere ich und bleibe stehen. „Sollte ich wirklich in den Gottesdienst? Ich weiß ja nicht mal welcher Konfession sie angehören. Und wäre es nicht allzu heuchlerisch in meiner Situation?“ Gedankenversunken merke ich nicht wie mich jemand beim Namen nennt, erst als die Person vor mir steht bemerke ich, dass ich nicht mehr alleine bin. „Hallo, ich bin Peri.“ Verlegen nehme ich seine Hand und stelle mich vor: „Mina. Also mein Name ist Mina. Entschuldigung.“, sage ich für einen Moment etwas überfordert. „Macht nichts. Neu zu sein ist immer schwer.“ „Ja. Halt Momentmal, hast du mich gerade mit meinem Namen angeredet?“, fällt mir eine Sekunde später auf. „Ja, das hab ich.“ „Dann weißt du wer ich bin.“ Diese Tatsache verschluckt die Fröhlichkeit wie ein schwarzes Loch. Peri muss es bemerkt haben, denn er lacht: „Klar weiß ich es. Alle von uns wissen es. Das ist unser Job, wäre ja bescheuert wenn wir nicht wissen würden wer zur Schule gehört.“ Ich schaue ihn mit meinem überforderten Blick an und er erklärt: „Ich bin einer von den Beschützern.“ Jetzt begreife ich es und könnte sofort vor Scham im Boden versinken. Während ich mir das wünsche fragt mich Peri: „Du möchtest in den Gottesdienst?“ „Ich hatte es vor, aber ich glaube nicht dass es eine gute Idee ist. Ich weiß ja nicht mal welcher Konfession hier alle angehören.“ „Keine Angst, es ist nicht wirklich ein Gottesdienst. Wir kommen her, um zu danken dass wir in Sicherheit sind oder um mit Gott zu reden. Es ist ganz egal welcher Konfession oder Religion du angehörst.“ „Oh, gut zu wissen. Aber ich sollte trotzdem nicht mit hinein.“ „Warum nicht? Es ist zwar freiwillig, aber ich sehe dein Kreuz. Also was hält dich davon ab?“ Ich stocke für einen Moment bevor ich sage: „Es ist eine lange Geschichte. Ich weiß nicht mal ob es richtig ist es zu tragen.“ Nun nehme ich die Kette doch ab und halte sie in der Hand. Ich blicke drauf und all das Leid ist wieder da. Mit einem traurigen Lächeln blicke ich den Soldaten an der immer noch dastehet als hätte er alle Zeit der Welt. „Das macht nichts. Du kannst trotzdem rein gehen. Wenn du hier stehen bleibst findest du sicher nicht heraus ob du‘s noch tragen solltest.“ Er nimmt meinen Arm und zieht mich in das Gebäude. Zum Glück habe ich nicht protestiert, denn das Gebäude ist voller Menschen. In dem großen rechteckigen Raum mit neutral weiß gestrichenen Wänden sitzen vereinzelt Betende auf den dunklen Holzbänken. Peri schiebt mich weiter und so setzen wir uns ganz hinten und etwas abseits auf eine freie Bank. Peri sitzt so dass ich keine Chance habe zu gehen, ich bin von ihm und einer Mauer eingekesselt. Nach einem kurzen aufmunternden Lächeln schließt er die Augen und faltet die Hände - Er beginnt zu Beten. Ich beobachte das Geschehen und als er fertig ist mache ich mich bereit zu gehen, doch Peri rührt sich nicht. Er schenkt mir nur wieder ein Lächeln. Das Gotteshaus leert sich allmählich, doch wir bleiben sitzen bis auch der letzte gegangen ist. Erstaunlicher Weise hat uns keiner beim Vorbeigehen bemerkt oder unsere Anwesenheit stört einfach niemanden. Die letzte Person ist die Rektorin und als sich hinter ihr die Tür schließt bewegen sich Peris Muskeln und er steht auf. Unentschlossen warte ich ab was er vorhat und sehe wie er nach vorne geht. Automatisch folge ich ihm und wir bleiben vorne bei einer Front stehen auf der Kerzen leuchten. Peri nimmt eine neue und zündet sie an einer brennenden an, dreht sich mit ihr in seiner Hand um und sieht der Flamme beim Tanzen zu während er zu mir spricht: „Wenn du möchtest kannst du eine Kerze anzünden. Egal für was. Du kannst ihn bitten auf jemandem aufzupassen, einen Gruß an einen geliebten Menschen schicken oder jemanden um Verzeihung bitten.“ Unentschlossen kaue ich auf meiner Unterlippe und Peri verharrt. Ich spüre das Kreuz in meiner Hosentasche und entschließe mich eine Kerze zu nehmen. Peri hält mir seine hin, doch ich schüttle den Kopf. Unsicher und interessiert beobachtet er was ich tue. Ich habe die Kerze fest in meiner Hand und sehe sie ein paar Sekunden an, dann nehme ich den Docht zwischen zwei meiner Fingernägel und mache ihn ab. Nun ist die Kerze ohne vorausstehenden Docht. Wieder sehe ich sie ein paar Sekunden an und stelle sie dann auf einen freien Platz, Peri stellt seine brennende Kerze neben die meine und wir gehen. Als wir draußen sind hält er mich sanft aber bestimmt am Arm fest und fragt: „Wieso hast du den Docht abgemacht?“ „Die Kerzen bleiben bis sie runtergebrannt sind, stimmt‘s?“ „Ja.“, antwortet er perplex. „So bleibt meine Kerze da. Immerhin weiß ich noch nicht ob ich noch glaube.“ Verwirrt sieht er mich an doch ich drehe mich um und gehe.

 

Ich begebe mich auf schnellstem Weg zurück in mein Zimmer. Als ich die Hälfte der Strecke geschafft habe höre ich eine Gruppe von Schülern und verspüre sofort den heftigen Impuls mich verstecken zu wollen. Da anscheinend von allen Richtungen her Leute kommen stelle ich mich ins Treppenhaus. Als immer mehr Menschen auftauchen schaue ich auf mein Handy: 12 Uhr. „Wieso sind jetzt alle hier? Das Mittagessen ist erst um 14 Uhr“, frage ich mich und hole langsam und leise den Stundenplan raus. Aber es steht nichts bei Sonntag um 12 Uhr. Kurzerhand beschließe ich hier zu warten bis die Luft rein ist. Nach etwa fünfzehn Minuten ist es endlich so weit. Ich gehe schnellen Schrittes zu meiner Zimmertür und lasse das Schloss hinter mir in die Tür fallen. Da es mir heute an Aufregung nicht mehr fehlt bleibe ich in meinen zugeteilten Räumen, checkte meine E-Mails und fertige Schablonen für die Muster, welche ich an die Wände mahlen möchte, an. Um viertel vor Zwei klopft es an meine Tür und ich mache auf. Der Beamte ist wieder da. „Entschuldigen Sie die Störung.“ „Bitte Siezen Sie mich nicht.“, schieße ich hervor. Entgegen meiner Erwartung stimmt er trocken zu: „Wie du wünscht. Ich wollte dir nur die Schuluniform geben.“ „Danke“. Nachdem ich sie ihm abgenommen habe fragt er: „Das Mittagessen ist in wenigen Minuten fertig. Möchtest du, dass ich dich begleite?“ „Nein, danke. Ich bleibe lieber hier. Ich bin nicht wirklich hungrig. Aber ich wünsche Ihnen einen Guten Appetit.“ „Wie du meinst… Dann einen schönen Tag noch.“ Ich nicke und bedanke mich noch mal. Dann geht er und ich schließe die Tür. Eine viertel Stunde später klopft es erneut gegen meine Tür und allmählich bin ich etwas genervt. Ich öffne sie wieder und da steht Peri mit einem Servierbrett auf dem sich zwei Tellern mit jeweils einer Semmel und einer Portion Lasagne, zwei Schälchen Salat, Obst und etwas zu trinken befinden. „Der Beamte sagte du möchtest nicht zum Essen kommen. Deshalb dachten wir beide uns, ich bring dir was.“ Begründet er sein Kommen. Ich rolle die Augen und lasse ihn eintreten. Er lässt den Blick für ein paar Sekunden durch den Raum schweifen: „Du bist ja ziemlich fix.“ Damit meint er wohl das Auspacken von den Kartons. Wir gehen zum Sofa und er stellt das Servierbrett auf den kleinen gläsernen Couchtisch. „Warum tust du das?“, frage ich ihn kühl als er mir eine Flasche Orangensaft reicht. „Nun ja, ich dachte du hast vielleicht Hunger.“ „Das meine ich nicht. Du bist schon die ganze Zeit so nett zu mir. Warum? Und jetzt sag bitte nicht, dass es deine Aufgabe ist, denn das ist sie nicht.“ „Stimmt, das ist es nicht. Aber du bist neu und ich kann verstehen dass du ihnen erst so spät wie möglich begegnen möchtest. Außerdem finde ich dich nett.“ „Nett? Wir kennen uns doch kaum.“ „Du warst höflich gegenüber Herrn Stifterling und dem Beamten. Das sind nicht Viele.“ „Aha.“ Das war es mit der Konversation. Während wir essen erzählt mir Peri wie er hier gelandet ist. Ich finde es höchst erstaunlich, dass er einem kleinen Mädchen, das in seiner Nachbarschaft wohnte, half, als sich herausstellte dass sie eine Gabe hatte. Er machte sich mit ihr auf den Weg und suchte die Schule. Wie er herausbekommen hat das es diese Schule gibt will er mir allerdings nicht sagen. Schlussendlich blieb er hier und lernte wie man sich und andere verteidigen kann. Es fängt an zu regnen und als wir fertig gegessen haben, wünscht er mir einen schönen Abend und geht wieder. Ich finde es immer noch seltsam dass er so nett ist aber finde mich damit ab.

 

Ich blicke aus dem Fenster und sehe wie vereinzelte Schüler ins Trockene flüchten und wie die Regentropfen langsam am Fenster hinuntergleiten und auf meinem Fensterbrett landen. Ich stelle meine Blumen raus. Das frische Wasser tut ihnen bestimmt gut. Auch ich brauche etwas Erholung. Deshalb ziehe ich mir ein Top und eine Jogginghose an, binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz, ziehe eine Sportjacke über und feste Turnschuhe an. Die Tür verschließe ich und stecke den Schlüssel in eine Jackeninnentasche. Da ich der Überzeugung bin, dass keiner draußen sein wird mache ich mir auch keine Gedanken und klettere aus dem Fenster hoch auf das Dach. Von dort aus kann ich das komplette Anwesen sehen und ich spüre wie sich meine Haare zu Stränchen zusammensetzen und der Regen sich an den Spitzen sammelt. Ich klettere hinunter auf den Boden und laufe im Regen herum. Der Regen wird stärker und ich laufe mit einem Lächeln auf den Lippen ziellos umher. Endlich spüre ich wie etwas Last von mir genommen wird, als würde der Regen sie wegwaschen. Da ich dieses Gefühl genieße klettere ich auf einen großen Baum und schaue mir die regenscheue Welt an. Nach etwa 30 Minuten wird es allmählich kalt und ich gehe wieder zurück zu meinem angelehnten Fenster. Ich klettere wieder hoch, doch es ist zu viel Wasser auf dem Brett und ich bekomme keinen richtigen Halt. Als ich versuche mich hochzuziehen rutsche ich ab und hänge nur noch an der Dachrinne von nebenan. Ich versuche es erneut, nur diesmal mit klettern und schaffe es das Fenster aufzuschieben und rein zu klettern. Drin angekommen hole ich die Blumen wieder rein und schließe das Fenster. Danach hänge ich meine Klamotten über die Heizung und nehme eine warme Dusche. Mittlerweile ist es 16 Uhr. Da ich Morgen Unterricht habe richte ich meinen Rucksack und schaue mir ein paar alte Fotoalben an die ich in einer kleinen schwarzen Kiste bei den Büchern aufbewahre.


Als mein Wecker um 7:00 Uhr klingelt, stehe ich auf und ziehe meine Schuluniform an. Gestern hab ich sie mir nicht mehr angesehen, aber jetzt stelle ich fest, dass sie den Blick durchaus wert gewesen wäre. Sie besteht aus einem weißen Hemd, einem roten Jackett, einem schwarzen Pulli, einem rot-schwarzen Rock und schwarzen Schuhen. Alles vier mal. Die Schuhe sind flach oder hochhakig. Ich entscheide mich heute für das Jackett und die flachen Schuhe, denn damit lässt sich definitiv besser rennen und klettern. Um halb acht mache ich mich dann auf den Weg zu Rektorin Inner. Da die Schule um acht Uhr beginnt war noch niemand in den Fluren unterwegs. Dank der Karte finde ich das Büro und ich klopfe an die Tür. Frau Inner sagt mit einer gut gelaunten, freundlichen Stimme: „Herein.“ Ich folge der Aufforderung und schließe die Tür hinter mir. Ein Raum voller Lehrer!

 

Die Rektorin kommt zu mir und frohlockt: „Guten Morgen Mina. Ich möchte dir erst einmal das Kollegium vorstellen.“ Und so beginnt eine Vorstellrunde. Als diese endlich beendet war bleibt allerdings ein groß gebauter, kräftiger Mann an die 50 in weißem Hemd, schwarzer Hose und rotem Anstecker übrig. Er kommt zu mir und ein kleines Lächeln spielt um seine Mundwinkel. „Ich bin Herr Lais, Anführer der Beschützer.“ „Hallo. Ich bin Mina.“ Er wendet sich von mir ab „Rektorin, ich muss wieder zurück.“ „Ist gut Herr Lais.“ Das war ein knappes Vorstellen, aber mir ist’s Recht. „Mina, ich möchte dich bitten mir ein paar Antworten zu geben, denn in deiner Akte fehlen ein paar Daten.“ Wie bei einem unsichtbaren Zeichen verlassen die Lehrer den Raum. Nur Herr Baumgärtner bleibt an der Tür stehen. „Was war nach dem Tot von diesem Liam? Wir haben erst wieder Informationen über dich die die Zeit einen Monat vor dem Vorfall behandeln.“ „Scheiße“, denke ich. „Was soll ich da jetzt sagen?“ „Wir möchten dir nichts Böses“, spricht Herr Baumgärtner, mein Biologie- und Chemielehrer. „Ich war in den drei Jahren nicht in der Schule“, sage ich kurz. „Wo warst du dann?“, werde ich von der Rektorin gefragt. „Ich, ich war in einer Einrichtung“, stammele ich. Unbehagen breitet sich in mir aus und ich möchte fliehen. Da ich den beiden Autoritätspersonen nicht in die Augen sehen kann schweift mein Blick im Zimmer umher. Bis ich ein Zeichen erblicke, dass mir den Atem stocken lässt. „Ich dachte das Zeichen der Schule sei eine Schlange die ein Kreuz umwickelt.“ „Das stimmt auch. Das Zeichen da auf dem Tisch ist das Zeichen der „Wissensärzte“. Ein Buch führ das Wissen, die Spritze für die Medizin...“ „und die Schlange, welche von der Spritze aufgespießt wird, für die Freaks.“, beende ich laut den Satz. Die beiden schauen mich etwas geschockt an und ich komme nicht mehr drum rum: „Ich war in der Zeit wo sie keine Unterlagen über mich haben bei den Ärzten. Sie kamen wie Sie, Rektorin, nach einem Vorfall. Dem Tot von meinem Besten Freund Liam.“ „Unfassbar“, entfällt es Herrn Baumgärtner. „Wenn das so ist. Dürfen wir dich fragen was dort geschehen ist?“, fragt die Rektorin mit Vorsicht und Bedacht. „Versuche und „Medizin““, antwortete ich kurzerhand, lege mein Jackett nun mit meinem Rucksack auf den Boden, denn es ist klar, hier komme ich nicht mehr so schnell raus. „Die „Wissensärzte“ sind unsere Feinde.“, beendet Frau Inner die Stille. „Ich weiß, das hat gestern der Beamte gesagt und auch das Leute wie sie, äh ich meine wir, von ihnen getötet und gefoltert wurden.“, sage ich und setze mich auf einen Stuhl in meiner Nähe. „Es ist ungewöhnlich dass es jemand raus schaft. Deshalb bin ich umso mehr erfreut dich gefunden zu haben“, erklärt die Rektorin leise. „Du sagtest sie haben Versuche mit dir gemacht. Was meinst du damit?“ Ich sage nichts, sondern stehe auf, knöpfe mein Hemd auf und ziehe es aus, mein darunter liegendes T-Shirt schiebe ich auf der Rückenseite nach oben und drehe mich zu den beiden Erwachsenen. „Unfassbar“, sagen diesmal beide. Nachdem ein paar Fotos gemacht wurden ziehe ich mich wieder an. „Darf ich jetzt bitte gehen?“, frage ich fast monoton. „Ja, natürlich“, sagen beide erneut gleichzeitig. „Du bist ja in meiner Klasse, das heißt ich gehe mit dir zum Unterricht“, beendet Herr Baumgärtner. Ich warte draußen während sich die beiden unterhalten. Es ist schon 8:10 Uhr als Herr Baumgärtner raus kommt und wir zum Klassenzimmer gehen, dass sich im ersten Stock im linken Korridor befindet. Als er die Tür aufmacht und eintritt wird es mucksmäuschenstill und als ich eintrete folgen mir alle Augen bis ich mich auf meinen Platz in der zweiten Reihe setze. Herr Baumgärtner fängt unverzüglich mit dem Unterricht an: eine Biologiestunde. Die Stunde vergeht ohne dass Zettel rumgegeben oder ich angesprochen werde. Sobald die Klingel zum Stundenschluss läutet verschwinde ich zwei Räume weiter zum Mathematikunterricht bei Frau Schmidt. Da von der Lehrerin bis jetzt jede Spur fehlt und ich keine Lust habe auf meinem Platz zu bleiben gehe ich hinaus und ich setze mich auf den Treppenansatz. Dabei treffe ich auf Peri. Er setzt sich neben mich und sieht mich mit nicht definierbarer Miene an. „Alles ok?“ „Ja.“ „Was tust du hier? Ist nicht Unterricht?“ Ich wollte schon antworten, aber ich hatte keine Ahnung was ich hier eigentlich wollte. Also sage ich ihm das auch: „Ich habe keine Ahnung. Einfach einen Moment Ruhe haben, denke ich.“ Peri lacht, zieht mich hoch und führt mich den Gang entlang. Er merkt dass ich da nicht hin will wo er mich hinführt, nämlich in das Klassenzimmer und zieht mich mit bestimmtem Druck. Kurz vor der Tür angekommen zieht er die Hand ruckartig zurück. Er hat einen Stromschlag bekommen, doch nur ich weiß woher. Ich entschuldige mich und will gerade zur großen Treppe rennen, als Frau Schmidt mich ruft: „Mina! Kommst du? Der Unterricht hat angefangen.“ Also gehe ich zurück und trete der hochgewachsenen, schlanken und blonden Lehrerin entgegen. Sie legt mir die Hand auf die Schulter und spricht zu Peri: „Peri, bitte geh zu Rektorin Inner. Sie möchte dich sehen.“ Peri scheint den Wink zu verstehen und geht sofort die Treppe hinunter. Auch in Mathe ist es das Selbe. Ich sitze in der zweiten Reihe und jeder schaut mich an. Ich bekomme wie in Biologie nichts mit. Doch als diese Stunde vorbei ist kann ich mich nicht einfach so verdrücken. Denn davor stellt sich Frau Schmidt in meinen Weg und beugt sich vertraulich zu mir runter: „Mina, bitte bleib doch noch etwas da. Ich habe gehört was dir weiderfahren ist. Deshalb bin ich auch so spät gekommen. Ich möchte das du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst, egal was ist.“ Ich nickte nur und werde dann entlassen.

Impressum

Texte: Black Rose
Lektorat: crimson.rose
Tag der Veröffentlichung: 25.02.2015

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