Darkroom Killer
(SM-Thriller)
Alle Rechte vorbehalten.
© 2017 Luca Delago
1
Sein Herz pochte, als die Hand seine nackte Schulter berührte.
Er konnte sich nicht bewegen, denn seine Handgelenke waren über dem Kopf mit eisernen Schellen an der Decke fixiert, während seine Füße an den Boden gekettet waren. Die enge Ledermaske raubte ihm die Sicht und gönnte ihm nur wenig Luft zum Atmen. Ein ballförmiger Knebel in seinem Mund degradierte ihn zu einer stummen Puppe.
Die Hand strich seinen entblößten Rücken entlang, als wollte sie ihn auskundschaften. Er wusste, dass das nur die Ruhe vor dem Sturm war. Ein Hurrikan an Schmerzen, der ihn erwartete. Die freudige Erregung auf den ersten Peitschenschlag ließ das Blut in seine Lenden fließen, und ein erotisches Kribbeln verbreitete sich bis in die letzte Zehenspitze.
Er wartete – der strengen Hand hilflos ausgeliefert. Jeden Moment würde das Folterinstrument die Luft mit einem hellen Zischen zerschneiden, um beinahe gleichzeitig auf seinem Rücken zu explodieren, gefolgt von fast unerträglichen Schmerzen. Doch genau das brauchte er, um sich lebendig zu fühlen. Um die unbändige Kraft der Erregung zu spüren.
Nichts passierte. Wann würde das Spektakel beginnen? Seine Atmung wurde hektischer, aber er wusste, dass er nur wenig Luft durch die beiden Nasenlöcher der Maske bekam. Er musste sich zusammenreißen.
In diesem Moment wurde die Totenstille von der Peitsche zerrissen. Doch die Schmerzen, die sich auf seinem Rücken impulsartig ausbreiteten, waren mit nichts zu vergleichen, was er je zuvor erlebt hatte. Als würde eine riesige Raubtierpranke seine Haut zerfleischen.
Sein verzweifelter Schrei wurde von Knebel und Maske verschluckt, während sein Atem schockartig aussetzte. Krampfartig stemmte sich sein Körper gegen die unnachgiebigen Fesseln.
Dann traf ein weiterer Peitschenschlag sein brennendes Kreuz. Die Schmerzwelle entwickelte sich zu einem regelrechten Tsunami und raubte ihm fast die Sinne. Panik stieg in ihm auf. Er dachte an sein Safeword, aber mit dem Knebel im Mund war das aussichtslos. Die unfassbaren Qualen trieben wirre Gedanken durch seinen Kopf, wie Herbstlaub in einem schweren Sturm.
Abermals explodierte die Peitsche mit der Gewalt einer Atombombe auf seinem Rücken. In schneller Abfolge trafen ihn jetzt die Schläge. Immer und immer wieder. Er spürte, wie Blut an seinem Körper hinunterrann; zuerst langsam, dann einem Wasserfall gleich. Er nahm die Hautfetzen wahr, die von der Kralle mit sich gerissen wurden.
Plötzlich stoppten die Schläge. Stattdessen fühlte er etwas anderes auf seinem Rücken. Etwas, das die Haut lichterloh brennen ließ und die schlimmsten Schmerzen verursachte, die sich ein Mensch nur vorstellen konnte. Seine Sinne begannen zu schwinden. Die entsetzlichen Qualen raubten ihm den Atem, seine Energie und den Verstand.
Inmitten dieser Folterhölle schlug die Peitsche erneut auf seinen Rücken ein und riss ihm die letzten verbliebenen Hautfetzen vom Leib.
Dann verblassten die Geräusche, die Schmerzen verstarben, und eine schwere, schwarze Glocke senkte sich über ihn, um ihn in eine dunkle Tiefe hinabzuziehen.
2
Schwarz. Undurchdringliches Schwarz. Durchzogen von einem sommerregengleichen Schwall feinster Bläschen, die sich langsam zu Boden senkten. Garniert mit einer weißen Schaumkrone, in der sich ein vierblättriges Kleeblatt abzeichnete.
Jack Williams starrte auf sein frisch gezapftes Glas Guinness. Tiefschwarz. Es war bereits sein fünftes Pint, das er in dem gemütlichen Irish Pub an diesem Freitagabend bestellt hatte, begleitet von dem üblichen Small Talk mit Shane, dem irischstämmigen Barkeeper. Das Pub befand sich nur drei Straßen von seiner Wohnung im New Yorker Stadtteil Brooklyn entfernt und hatte sich in den letzten Monaten zu seinem Stammlokal entwickelt. Der Schankraum war klein, mit nur wenigen Tischen, aber einer umso längeren Bar, hinter der unzählige Whiskyflaschen ein stilgerechtes Ambiente erzeugten. Es roch nach einer Mischung aus Bier, Schweiß und altem Zigarettenrauch. Aus den Lautsprechern ertönte gerade das Intro des U2-Klassikers ‚Where the streets have no name‘.
Jack Williams war Detective im New York Police Department (NYPD), in der Abteilung für Gewaltverbrechen. Ein Job, der beständig an ihm zehrte und seine Seele Tag für Tag ein Stück weiter verdunkelte. Er lebte allein; seine Arbeit vertrug sich mit keiner normalen Partnerschaft. Außerdem hatte Jack andere Bedürfnisse, als die Geborgenheit einer treu sorgenden Ehefrau zu genießen. Er liebte es, Schmerz zu empfinden. Seelisch, genau wie körperlich. Auf der anderen Seite war er ein begnadeter Polizist mit einem messerscharfen Verstand und einer Intuition, die im Police Department seinesgleichen suchte.
Er war 36 Jahre alt, groß und muskulös. Seine dunklen, leicht gewellten, kurzen Haare, die leuchtend blauen Augen, die markante, spitze Nase sowie ein kantiges Kinn trieben viele Frauen in die Kurzatmigkeit. Es verging kaum ein Abend, an dem sich nicht eine einsame New Yorkerin mit eindeutigen Absichten an ihn heranmachte. Doch seine Ansprüche waren speziell.
Er nahm einen kräftigen Schluck Guinness. Die schwarze Flüssigkeit rann seine Kehle hinab und belohnte ihn mit ihrer herben Kühle. Als er das Glas gerade auf der Theke abgestellt hatte, betrat eine schlanke, sportliche Frau, Anfang 30, mit langen, brünetten Haaren die Bar: Ashley Baker, Jacks Partnerin beim NYPD. Ihr Gesicht hatte einen leicht südamerikanischen Einschlag mit schön geformten, haselnussbraunen Augen und einem dunklen Teint. Dezent geschminkt strahlte sie eine natürliche Schönheit aus. Der elegante, dunkelblaue Hosenanzug verstärkte diesen Eindruck noch.
»Trink dein Bier aus, Jack«, rief sie ihm zu, während sie an die Theke trat. »Wir haben einen neuen Fall.«
»Ich glaube kaum, dass mich unsere Chefin nach dem fünften Pint an einem Tatort sehen möchte.«
»Das wäre ja nicht das erste Mal. Los! Beweg deinen Hintern! Captain Harper hat mir explizit aufgetragen, dass ich dich mitbringen soll - selbst wenn du mit einer Alkoholvergiftung unter dem Tisch liegst.«
Ashley hatte eine spitze Zunge und übernahm gerne das Kommando. Obwohl ihr Jack ein paar Dienstjahre voraushatte, wirkte er häufig wie ihr Juniorpartner.
»Was ist denn so Wichtiges passiert?« Er wurde langsam neugierig.
»Eine Leiche in einem SM-Club. Daher will dich der Captain unbedingt auf diesem Fall sehen.« Sie lächelte süffisant. »Weil du dich in der Szene so gut auskennst.«
Sein Herz begann zu pochen. Das hörte sich interessant an.
»Wir werden am Tatort erwartet«, fuhr sie fort. »Komm jetzt!«
3
Der Club ‚Temple of Dark Desire‘ lag in der 111ten Straße in Manhattan in einem mehrstöckigen Backsteingebäude, das eher an ein Wohnhaus erinnerte. Lediglich ein unscheinbares Leuchtschild mit einer schwarzen Fleure de Lille wies auf das Etablissement hin. Mehr war nicht nötig, denn der SM-Club war in der Szene bestens bekannt. Auch Jack hatte schon so manchen spannenden Abend dort verbracht.
Die Polizisten betraten den Haupteingang, der von einem bordeauxfarbenen Vordach vor Regen geschützt wurde. Ein Empfangsbereich aus weißem Marmor führte zu den Fahrstühlen. Der Club selbst lag in den beiden obersten Stockwerken des Gebäudes.
Als sich die Fahrstuhltür am Zielort öffnete, traute Ashley ihren Augen nicht. Es kam ihr vor, als hätte sie eine Zeitreise unternommen. Vor ihnen lag eine Art mittelalterlicher Gewölbekeller, mit rostigen Gittertüren, lodernden Fackeln an den Wänden und schweren Ketten, die an einigen Stellen aus den Felswänden heraushingen.
»Was zum Teufel ...? Wo sind wir hier?«
»Alles nur Deko«, antwortete Jack, der inzwischen wieder stocknüchtern war. »Die Fetisch-Innenarchitekten haben sich richtig ausgelebt.«
»Echt abgefahren!«
Ein uniformierter Polizist erwartete sie. »Detectives? Kommen Sie bitte mit. Ich bringe Sie zu der Leiche. Die Spurensicherung ist schon vor Ort.«
Er führte sie durch einen Gewölbegang, dann über eine schmiedeeiserne Wendeltreppe zwei Stockwerke tiefer.
»Wie groß ist das denn hier?«, wunderte sich Ashley.
»Der Club füllt das gesamte Gebäude aus.« Jack zeigte nach unten. »Er ist so angelegt, dass sich Gesellschaftsräume und Tanzfläche in den obersten Geschossen befinden, und in den unteren Etagen die Spielzimmer, die sogenannten Darkrooms. Da alles im Stil alter Gewölbekeller gestaltet ist, bekommt man den Eindruck, immer tiefer in die Erde zu gelangen.«
Ashley zuckte mit den Schultern. »Na, du scheinst dich hier ja bestens auszukennen.«
Jack grinste nur. Es war ihm ziemlich egal, was die Leute von seiner Neigung dachten.
Sie erreichten den Tatort durch einen weiteren Gewölbegang, vorbei an vergitterten Zellen und schweren Holztüren. Ganz am Ende des Ganges drängten sich mehrere Polizisten vor einem Darkroom. Sie reichten den beiden Detectives Handschuhe sowie Mund- und Haarschutz.
Jacks Herz pochte. Das letzte Mal, als er ein SM-Spielzimmer betreten hatte, wurde er danach von einer strengen Mistress gefügig gemacht. Kurzzeitig flammten die Erinnerungen an die Session vor seinem inneren Auge auf.
Doch dann ergriff die Tatortszenerie die vollständige Kontrolle über seine Aufmerksamkeit. Ashley stand mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen neben ihm. Auch die Leute von der Spurensicherung hatten sichtlich mit dem Anblick der Leiche kämpfen.
Ein entsetzliches Bild zeichnete sich vor ihnen ab, inmitten eines mittelalterlichen Folterkellers, von unruhigem Fackelschein und den Tatortscheinwerfern grausig in Szene gesetzt: Ein nackter Mann hing schlaff an einer rostigen Kette von der Decke. Der Kopf, verborgen hinter einer Ledermaske, war leblos nach vorne gefallen. Sein Rücken lag regelrecht in Fetzen: Hautlappen klappten herab, dazwischen frisches und verkrustetes Blut, an einigen Stellen kamen sogar Knochen zum Vorschein. Unter der Leiche hatte sich eine rote Lache gebildet. Blut, das von seinem Oberkörper in Sturzbächen die Beine hinunter geronnen war, hatte sich dort gesammelt. Ein weißes, kristallförmiges Pulver haftete an seinen Wunden.
»Heilige Scheiße!«, rief Ashley. »Der wurde wirklich furchtbar gefoltert.« Sie schüttelte sich. »Sind das Spuren einer Peitsche?«
Jack war nicht minder schockiert. Das ging definitiv weit über jedes SM-Spiel hinaus.
»Nein«, antwortete er. Danach sieht es nicht aus.« Er kratzte sich am Kopf. »Es sei denn ...«
»Es sei denn, was?«, hakte Ashley ungeduldig nach.
»Es sei denn, die Peitsche wurde frisiert. Zum Beispiel, indem man Rasierklingen an die Enden gebunden hätte oder etwas ähnlich Scharfes. Das würde diese krallenartigen Verletzungsmuster erklären.«
Ashley erschauderte bei dem Gedanken an die unsäglichen Schmerzen, die das Opfer hatte ertragen müssen.
»Und was ist das für ein Pulver?«
Jack trat einen Schritt näher an die Leiche heran, um die Substanz besser erkennen zu können. »Ich vermute, dass es sich um Salz oder ein ätzendes Bleichmittel handelt. Auf jeden Fall sollte es dazu dienen, die Schmerzen des Opfers zu verstärken. Der Mörder hat das Zeug großflächig über die Wunden verteilt.«
Ashley schnaufte. »Welch ein Mensch tut so etwas?«
»Ganz sicher niemand aus der SM-Szene. Ein ungeschriebenes Gesetz verbietet bleibende Schäden.«
»Dieser Folterknecht kannte den Kodex jedenfalls nicht.« Ashley wandte sich an einen älteren Mitarbeiter der Spurensicherung namens Jepson. »Nehmen Sie dem Opfer jetzt bitte die Maske ab.«
Der Tatortermittler nickte und machte sich sofort an dem Lederriemen auf der Rückseite des Kopfes zu schaffen. Wenig später zog er die Maske ab. Zum Vorschein kam ein Mann mit dunkelblonden Haaren und einer dicken Knollennase. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, als hätte der Tod seine letzten Empfindungen in seiner Miene einzementiert. Sein Mund war mit einem ballförmigen Knebel verstopft.
»Kennst du den?«, fragte Ashley.
Jack schüttelte den Kopf. »Nie gesehen. Aber die New Yorker SM-Szene ist groß.«
»Hmm, sieht aus, als hätte er ziemlich gelitten.«
»Das wundert mich nicht, wenn ich mir seinen Rücken anschaue. Vermutlich ist er an Herzversagen gestorben. Wir werden mehr wissen, sobald der Rechtsmediziner mit ihm fertig ist.«
Ashley drehte sich um. »Lassen wir die Spurensicherung ihre Arbeit beenden. Wir nehmen uns jetzt den Besitzer des Clubs vor.«
Sie stapfte voraus, zurück in die oberen Etagen des Gebäudes. Jack folgte ihr.
Es stellte sich heraus, dass der Club freitagabends für private SM-Partys vermietet wurde. Die Chefin eines stadtbekannten Dominastudios, La Baronesse de Château Noir, hatte die Veranstaltung organisiert. Die Detectives fanden sie im VIP-Bereich auf einem goldenen, thronähnlichen, mit weinrotem Plüsch bezogenen Sessel. Sie trug ein enges, rotes Kleid, das in ein schwarzes Korsett mit Lederschnüren überging und ihre runden Brüste mit einem gewaltigen Dekolleté zur Schau stellte. Ihre High Heels waren mit Killer Spikes gespickt. Die Domina war schätzungsweise Anfang 30, hatte dunkelbraune Haare und ein hübsches Gesicht mit ausdrucksvollen, grünen Augen. Sie sah sichtlich schockiert aus.
»Baronesse?« Jack gab ihr einen leichten Handkuss, was Ashley mit einem schrägen Blick quittierte. »Sie haben die Party ausgerichtet?«
»Ja, das stimmt.«
»Kennen Sie den Toten?«, fragte Ashley ungeduldig.
»Nein. Wir hatten heute fast fünfhundert Besucher hier. Nicht jeder ist mir bekannt.«
»War das eine öffentliche Veranstaltung?«, erkundigte sich Jack.
»Nein. Auf meine Partys kommen nur geladene Gäste und solche mit einer Empfehlung.«
»Es gibt also eine Gästeliste?«
»Natürlich!«
»Die brauchen wir«, sagte Ashley mit strengem Ton.
»Mein, äh, Assistent wird sie Ihnen gleich übergeben.«
»Danke. Haben Sie Kameraüberwachung?«
»Schätzchen, das ist ein SM-Club, keine Bank.«
»Ich werde mit Detective Baker angeredet, ist das klar?« Ashleys Stimme zerschnitt regelrecht die Atmosphäre.
Für einen Moment hielten beide Frauen einen starren Blickkontakt. Ein visuelles Machtduell. Dann gab die Baronesse auf und sah zu Boden.
»Also«, fuhr Ashley leicht triumphierend fort. »Haben Sie Kameraüberwachung, oder nicht?« Das war eine unnötige Frage, die eher erzieherischer Natur war.
»Nein.«
»Wer kann uns dabei helfen, den Toten zu identifizieren?«
»Wenn Sie mir ein Foto des Opfers schicken, dann kann ich eine Rundmail schreiben. Irgendjemand muss ihn mitgebracht oder empfohlen haben.«
»Ja, das ist eine gute Idee. Machen Sie das bitte!«
»Sie haben den Club nur gemietet?«, fragte Jack. »Wem gehört der Laden?«
»Lady Noctura.«
Jack pfiff durch die Zähne, während Ashley die beiden fragend und leicht genervt anblickte.
»Klären Sie mich auf? Wer ist das?«
Jack kam der Baronesse zuvor. »Lady Noctura ist so etwas wie die Patronin der New Yorker SM-Szene. Ihr gehören mehrere Clubs. Sie trägt auch den Beinamen Göttin der Nacht.«
Ashley zog die Augenbrauen hoch. »Das klingt ja wirklich hochtrabend.« Sie drehte sich zum Ausgang. »Ich denke, wir sind hier erst mal fertig. Bitte halten Sie sich für weitere Fragen zur Verfügung.«
Wenig später, etwa gegen 23:30 Uhr, verließen die Detectives den ‚Temple of Dark Desire‘.
4
Nachdem Ashley in ihren feuerroten Chevrolet Camaro gestiegen war und mit quietschenden Reifen den Tatort hinter sich gelassen hatte, überlegte Jack, was er mit dem angebrochenen Abend noch anfangen wollte. Er hatte das Angebot seiner Partnerin, ihn nach Hause zu fahren, dankend abgelehnt, denn er war zu aufgewühlt, um jetzt in seiner spartanisch eingerichteten Wohnung zu versauern. Auch hatte er keine Lust mehr auf das Irish Pub. Stattdessen musste er Dampf ablassen.
Er trat auf die Straße, saugte die laue Oktoberluft ein und genoss für einen Moment den pulsierenden Straßenlärm der nahe gelegenen 3rd Avenue. Dann griff er zu seinem Smartphone, um Abigail anzurufen.
Eine halbe Stunde später stand er vor der Tür ihres schäbigen Apartments in der South Bronx. Im Hausflur stank es nach einer Mischung aus billigem Putzmittel und Müll. Der Lärm dümmlicher Gameshows dröhnte aus unzähligen Fernsehern durch dünne Wohnungstüren.
Abigail war alles andere als eine attraktive Frau. Sie war Mitte 40 und wirkte verlebt. Ihre schwarzen Haare fielen ungepflegt auf die Schultern, unter ihren Augen hatten sich ausgeprägte Tränensäcke gebildet, und die kantigen, verhärteten Gesichtszüge zeugten von einem schweren Leben. Sie hatte eine weibliche, etwas dickliche Figur mit riesigen Brüsten, die aber bereits eine Etage zu tief hingen.
Jack kannte die Frau seit einigen Jahren. Ihre Beziehung war rein sexueller Natur. Beide nutzten sich gegenseitig aus: Sie profitierte davon, einen Mann ins Bett zu bekommen, der sich beliebig von ihr herumkommandieren ließ. Und er fand in ihr eine günstige Gelegenheitsdomina, die ihn erniedrigte, quälte und folterte – genau das, was er brauchte.
Abigail trug kniehohe Stiefel mit hohen Absätzen und einen kurzen Jeansrock, darüber eine schwarze Bluse, die von ihren Brüsten getragen wurde und luftig auf ihre Hüften fiel, um den Bauch zu kaschieren. Sie hatte die Hände vorwurfsvoll in die Seiten gestemmt.
»Du warst lange nicht hier!« Ihre heisere Stimme klang streng.
»Tut mir leid, Lady Abigail. Ich hatte viel ...«
»Spar dir deine Ausflüchte, du jämmerlicher Versager! Zieh dich aus, damit ich sehe, ob es sich lohnt, dich heute hierzubehalten.«
Jack wollte die Wohnungstür hinter sich schließen, doch Abigail fuhr ihn an: »Nimm deine dreckigen Finger von der Klinke! Oder habe ich dir etwa erlaubt, die Tür zuzumachen?«
»Nein, Lady Abigail. Das haben Sie nicht.«
Sie nickte ungeduldig.
Jack beeilte sich, seine Kleidung abzustreifen. Dienstwaffe und Handschellen legte er auf den wachsenden Kleiderhaufen.
Schließlich stand er splitternackt vor der Herrin, sodass sie in Ruhe seine Männlichkeit in Augenschein nehmen konnte. Jack war gut bestückt: Er besaß einen großen, fleischigen Penis und dicke Hoden.
»Leg deine Handschellen an!«
Er griff wortlos auf den Kleiderberg und fesselte seine Handgelenke mit einem klickenden Geräusch hinter dem Rücken.
Jetzt ging Abigail um ihn herum, um die Tür zu schließen. Dabei bemerkte Jack, dass sie eine dünne, schwarze, etwa 70 Zentimeter lange Rute in der Hand hielt.
Plötzlich hörte er ein helles Zischen. Fast gleichzeitig traf die Spitze des Schlaginstruments seinen Penis. Ein heftiger, stechender Schmerz überflutete seinen Unterleib, und Jack stieß einen überraschten Schrei aus.
»Halt die Klappe!«, fuhr sie ihn an.
Dann schlug sie erneut zu, sodass sich Jack zusammenreißen musste, um nicht abermals zu schreien. Die Schmerzen auf seinem Geschlechtsteil waren überwältigend. Es folgte eine kurze Abfolge von schnellen, heftigen Schlägen. Ein gequältes Stöhnen entfuhr Jacks Kehle. Seine Beine wurden weich. Er fiel vor ihr auf die Knie und blickte zu ihr auf.
Abigail sah wild entschlossen aus. Ihre Augen hatten etwas Satanistisches; ein Blick den Jack nur allzu gut kannte. Er bedeutete, dass er erst die Vorspeise ihres Foltergerichtes kostete.
Abigail griff jetzt nach seinem inzwischen harten Penis und zog ihn hinter sich her. Dabei krallte sie ihre langen Fingernägel in das empfindliche Fleisch. Jack jaulte auf und robbte ihr auf Knien nach, so schnell er konnte.
Ihr Ziel war das Schlafzimmer. Vor dem Bett zog sie ihn unsanft an den Hoden nach oben und warf ihn mit einem Stoß auf die Tagesdecke. Dann fixierte sie seine Fußgelenke an den hinteren Bettpfosten, sodass er auf dem Rücken breitbeinig vor ihr lag.
»So gefällst du mir. Wehrlos ausgeliefert! Ein erbärmlicher Wichser bist du.« Sie spuckte ihm ins Gesicht und schlug kräftig mit der geballten Faust in seine Eier.
Jack krümmte sich vor Schmerz zusammen, soweit es seine Fesselungen zuließen. Sein Unterleib brannte höllisch.
»Jetzt zeig mir mal, dass du es wert bist, dass ich mich mit dir abgebe.«
Sie schob ihren Rock hoch und setzte sich breitbeinig auf sein Gesicht, sodass er ihre Vagina direkt vor der Nase hatte. Mit ihrer Körperfülle drückte sie ihm die Luft ab; er konnte kaum noch atmen und hechelte entsprechend.
»Leck mich!«, befahl sie streng. »Und wehe, du gibst dir keine Mühe!« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, griff sie nach seinen Hoden und presste sie unnachgiebig zusammen, woraufhin unerträgliche Schmerzen seinen Unterleib durchfluteten.
Sofort erforschte er ihre voluminöse Spalte mit der Zunge. Sie war feucht und schmeckte würzig. Abigail stöhnte auf, als er über ihre Klitoris glitt, diese schnell umkreiste und immer wieder darüberfuhr. Zwischendurch japste er nach Luft.
»So gefällst du mir«, seufzte sie. »Das ist genau die richtige Position für dich, du Loser!«
Sie ergriff seinen harten Schwanz und massierte ihn. Nebenher schlug sie mehrfach kräftig mit der flachen Hand auf seine Hoden, was ihn nur noch geiler machte.
Jack leckte schneller und intensiver, woraufhin sie lustvoll schnurrte. Dabei rief sie: »Leg dich ins Zeug, du nutzloser Sklave!«
Schließlich explodierte ihre Lust in einem heftigen Orgasmus.
Nachdem sie sich schnaufend erholt hatte, riss sie sich ihre Bluse vom Leib. Sie rückte tiefer, um sich auf Jacks stahlharten Penis zu setzen, der mit einem schmatzenden Geräusch von ihrer Vagina verschluckt wurde. Er ächzte unter ihrem Gewicht. Zudem schmerzten seine Handgelenke, die noch immer hinter seinem Rücken von den harten Handschellen zerdrückt wurden.
Abigail kannte jedoch kein Mitleid. Sie begann ihn zu reiten und setzte dabei ihr gesamtes Körpergewicht ein.
»Wenn du zu früh kommst, dann schneide ich dir den Schwanz ab, verstanden?« Als sie sprach, verpasste sie ihm eine Ohrfeige.
Jack war so erregt, dass er ihre Worte kaum wahrnahm und auch die Schmerzen nicht mehr bemerkte. Er spürte seinen Penis tief in ihrem Inneren, während sie sich rhythmisch auf und ab bewegte. Ihre riesigen Brüste, die über seinem Kopf baumelten, machten ihn noch wilder.
Abigail schrie bei jedem Stoß laut auf. Sein Schwanz bereitete ihr eine unbändige Lust. Sie liebte es, den Detective zu quälen, zu erniedrigen und gleichzeitig hemmungslos zu reiten.
Sie kam erneut mit einem gewaltigen Orgasmus. Kurz darauf stieg sie von ihm hinunter, obwohl er noch in höchster Erregung zitterte.
Sie löste die Fußfesseln und schloss seine Handschellen auf.
»Jetzt will ich sehen, wie du es dir selbst machst!«, befahl sie. »Aber nicht in meinem Bett!«
Sie ergriff wieder seinen Schwanz und zog ihn in den braun gefliesten Flur. Danach zwang sie ihn auf die Knie.
»Na los! Wird’s bald?«
Jack begann damit, seinen erregten Penis zu reiben, schneller und schneller. Abigail hatte währenddessen die schwarze Rute in die Hand genommen, um in unregelmäßigen Abständen auf seinen nackten Hintern zu schlagen. Die brennenden Schmerzen feuerten seine Lust weiter an. Kurz darauf kam er mit mehreren Spermafontainen.
Sie grinste triumphierend und warf ihm Taschentücher zu. »Wisch deinen Rotz augenblicklich weg!«
Jack befolgte ihren Befehl. Danach zog er sich wieder an, küsste zum Abschied Abigails Stiefelspitzen und verließ die Wohnung ohne weitere Worte. Sie hasste es, wenn er nach dem Sex redete. »Mein Vibrator spricht ja auch nicht mit mir«, hatte sich bei einem ihrer ersten Treffen wütend gesagt. »Du bist für mich nur ein Spielzeug. Sobald ich befriedigt bin, hast du dich schnell und lautlos zu verpissen. Ist das klar?«
Also sah er zu, dass er sich rasch entfernte – mit einem Lächeln auf den Lippen.
5
Als Jack am nächsten Vormittag im Police Department eintraf, saß Ashley bereits hinter ihrem Schreibtisch und klimperte auf der Tastatur ihres Computers. Er ließ den Blick durch das Großraumbüro schweifen. Obwohl die Uhr erst 7:12 Uhr morgens anzeigte, herrschte hektische Betriebsamkeit. Telefone klingelten, ein Faxgerät schnurrte unaufhörlich und Stimmenfetzen schwirrten durch die Luft.
Jack fühlte sich abgeschlagen. Er hatte kaum geschlafen; zu sehr hatten ihn die Ereignisse des vergangenen Abends aufgekratzt. Eine Mischung aus Erregung über die bevorstehenden Ermittlungen im SM-Umfeld und dem Schock über das unfassbare Verbrechen hatte ihn wachgehalten. Und natürlich das kurze aber intensive Spiel mit Abigail.
»Schön, dass du dich auch mal blicken lässt.« Ashley sah von ihrem Monitor auf und zwinkerte. »Harte Nacht gehabt?«
»Ich konnte nicht schlafen.«
»Ging mir genauso. Ich bin seit halb sechs hier und habe sogar schon Einiges herausgefunden.«
Jack hatte sich längst an ihren Arbeitseifer gewöhnt; daher wunderte er sich nicht.
»Was hast du entdeckt?«
»Dass es sich bereits um den zweiten Mord in der SM-Szene handelt.«
Jack staunte. »Ich habe nichts davon gehört. Bist du sicher?«
»Eine junge Frau ist vergangenen Freitag bei einer privaten SM-Party in New Jersey mit einer Plastiktüte über dem Kopf gestorben. Da wir für den Fall nicht zuständig sind, haben wir das nicht mitbekommen.«
»Hört sich mehr nach einem Unfall an. Bei Atemreduktionsspielen passieren naturgemäß die meisten Pannen. Gerade Anfänger können das Spiel nur schwer kontrollieren.«
Ashley sah ihn verständnislos an. »Wer macht denn so was? Was ist erregend daran, eine Plastiktüte über das Gesicht gezogen zu bekommen?«
»Es geht um Macht. Sich bedingungslos in die Hände eines anderen Menschen zu begeben. Vollständig ausgeliefert zu sein. Der dominante Part hat die Macht über Schmerzen, Erregung und sogar über das Leben des Subs. Dabei kann ein geiler Anfänger leicht über das Ziel hinausschießen.«
Die Polizistin schüttelte den Kopf. »Wie auch immer. Ich glaube nicht an einen Unfall. Es gibt da einige Parallelen zu unserem Peitschenmord. Das Opfer wurde in einer identischen Position in einem Darkroom aufgefunden. Niemand hat etwas gesehen, vom Täter keine Spur. Wenn es ein sexuelles Missgeschick gewesen wäre, dann hätte doch der dominante Part, wie du ihn nennst, einen Krankenwagen gerufen.«
»Vermutlich hast du recht.« Schweißtropfen bildeten sich auf Jacks Oberlippe. »Aber das bedeutet, dass sich ein gefährlicher Mörder im Schatten der SM-Szene verbirgt und nach Belieben seine sadistischen Triebe befriedigen kann.«
»Genau das befürchte ich.« Ashley legte die Stirn in Falten. »Das Umfeld ist für jeden Killer ideal, wenn sich die Opfer sogar freiwillig fesseln lassen.«
»Wir müssen den Täter schnell finden, sonst schlägt er bald wieder zu.«
»Das denke ich auch.«
»Wissen wir schon, wer das Peitschenopfer war?«
»Nein. Ich habe seine Fingerabdrücke bereits gecheckt. Keine Übereinstimmung. Der Gesichtsabgleich hat ebenfalls kein Ergebnis erzielt.«
»Also ein unbescholtener Bürger.«
»Sieht so aus.« Ashley nicke. »Dafür kenne ich aber die Identität des mutmaßlich ersten Opfers. Es handelt sich um eine gewisse Jennifer Portland, wohnhaft in Brooklyn. Sie wurde einen Tag nach ihrem Tod als vermisst gemeldet. Von ihrem Verlobten. Captain Harper hat sich bereits mit der Dienststelle in Jersey geeinigt, dass wir den Fall mit übernehmen.«
»Worauf warten wir dann noch? Wir knöpfen uns den Verlobten vor.«
»Ich habe nur auf dich gewartet.« Ashley grinste. »Aber vorher machen wir einen kurzen Abstecher in die Rechtsmedizin. Dr. Vosley hat die Obduktion der Leiche des Peitschenopfers schon abgeschlossen.«
»Hat hier heute Nacht überhaupt jemand geschlafen?«
6
Der Weg von Lower Manhattan, dem Sitz des Police Departments, bis zum rechtsmedizinischen Institut in Midtown war nicht weit, aber der morgendliche Berufsverkehr bremste den Tatendrang der Detectives aus. Sie brauchten über eine Stunde für ein paar Meilen.
Dr. Michael Vosley erwartete sie bereits in der Autopsie. Er war ein erfahrener Rechtsmediziner, Ende 50, mit grau melierten Haaren, einem ebenfalls angegrauten Vollbart und einer schmalen Brille, hinter der kluge, manchmal auch streng wirkende, braune Augen die beiden Polizisten anblickten.
Der Leichenbeschauer führte sie in den kühlen Autopsieraum, in dem das Peitschenopfer auf einer Edelstahlliege aufgebahrt lag, auf dem Bauch die frischen Narben des obligatorischen Y-Schnittes. Die Leichenstarre war bereits vollständig eingetreten, und das weiße Gesicht des Toten wirkte gespenstisch, sogar etwas bedrohlich.
Jack blickte sich um. Der große Raum war mit künstlichem Licht hell beleuchtet, die übrigen Obduktionsliegen standen leer. Offenbar hatte Dr. Vosley nur die Leiche des SM-Opfers zu untersuchen, was erklärte, dass er schon fertig war. Am hinteren Ende des Saales reihten sich die Kühlfächer für die bereits obduzierten Todesopfer auf. Es roch intensiv nach medizinischem Desinfektionsmittel. Jack bildete sich sogar ein, auch einen Hauch Verwesungsgeruch wahrnehmen zu können.
»Was hast du herausgefunden, Michael?«, fragte Ashley neugierig.
Dr. Vosley drehte die Leiche vorsichtig auf die Seite. »Er ist an Herzversagen gestorben, ursächlich durch extremste Hautverletzungen am Rücken. Die Schmerzen müssen unerträglich gewesen sein.«
Ashley blickte auf die Hautfetzen, die unter seinem Körper hervortraten. »Kein Wunder, so wie er aussieht. Was ist das für ein Pulver, das auf den Wunden haftet?«
»Ihr habt Glück, die Laborergebnisse sind bereits eingetroffen. Es handelt sich um Natriumhypochlorit, auch Aktivchlor genannt. Das ist eine extrem ätzende Substanz, die zum Beispiel als Inhaltsstoff für Rohrreiniger verwendet wird.«
Jack schluckte. »Wie wirkt die Chemikalie auf offenen Hautstellen?«
»Sie brennt stärker als die Hölle!«
Die Detectives tauschten betroffene Blicke aus. Sie mussten die Worte des Rechtsmediziners erst mal verdauen.
»Das bedeutet, dass der Mörder sein Opfer maximal leiden lassen wollte«, sagte Ashley.
»Ja, es sieht ganz danach aus.«
»Kannst du uns etwas über die Mordwaffe verraten?«, fragte Jack.
»Nein, derartige Verletzungen habe ich noch nie gesehen. Es scheint fast, als hätte ihn ein Raubtier angefallen.«
»Könnte eine Peitsche, an deren Enden Rasierklingen angebracht
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 07.07.2017
ISBN: 978-3-7438-2167-5
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