Ich öffnete die Kerkertüren. Langsam schritt ich durch die Gänge der Kerker. Rechts und links von mir die Türen hinter denen sich in verschiedenen Verließen die seltsamsten Wesen verbargen. An jeder Tür stand ein Name. Dieses mal würde ich drei ganz besondere 'Gäste' besuchen. Ich ging weiter. Mein Ziel war die Zelle ganz am Ende des Ganges. Seit etwa fünf Jahren waren meine drei besonderen 'Gäste' schon dort. Aus den Verließen rechts und links von mir konnte man einige Geräusche vernehmen, Geräusche die man in der Menschenwelt wahrscheinlich nicht vernehmen konnte. Teilweise entsprungen sie den Mäulern von Wesen, die man zuletzt vor einigen Jahrhunderten in der Wildnis hören konnte. Wie zum Beispiel die Tür die ich gerade passierte. In großen, roten Buchstaben prangte der Name 'Minotaurus' daran. Zu hören waren einige Kuh ähnliche Klänge.
Diese Wesen kannten Menschen höchstens aus irgendwelchen Sagen über Götter und ähnliches. „Wahrscheinlich auch das einzigste woher sie mich kennen.“, murmelte ich leise und beschleunigte meine Schritte. Endlich war ich an der letzten Tür angekommen. Sie war aus hellem Holz und auf ihr stand das Wort 'Grazien'. Ich griff nach dem Schlüssel, der mir um den Hals hing und stecke ihn in das Schlüsselloch. Währenddessen murmelte ich einen uralten Zauberspruch. Die Tür glitzerte metallisch und man hörte das leise Klacken des Türschlosses.
Ich öffnete die Tür und erschrak. Der Raum, den die Tür so lange verborgen gehalten hatte, war leer.
Ich winkte freundlich in eine Kamera der vielen Kameras und verschwand ins Gebäude. „Wundervollen Abend Miss Gazia“, sagte der Butler zu mir. Mich wunderte es nicht, dass er mich erkannte. Das taten die Meisten. Und besonders in einem so exklusiven Lokal wie diesem hier. Hier gingen die Stars ein und aus, deshalb hatte ich auch dieses Restaurant zum Treffen mit meinen Schwestern gewählt. Die Presse sollte ja nicht unbedingt wissen mit wem ich mich hier traf. Ich gab dem Butler meinen Mantel. „Sie werden bereits erwartet“, sagte er und führte mich zu einem Tisch in der hintersten Ecke des Restaurants. Ich hatte extra diesen Tisch ausgewählt, weil er etwas abseits stand.
„Hi Schwesterchen.“, grüßte Euphrosyne mich. Sie lächelte. „Hallo.“, erwiederte ich. Meine andere Schwester Thalia war gerade mit ihrem Handy beschäftigt. Sie sah erst auf als der Butler meinen Stuhl zurecht rückte und ich mich setzte. Sie schaltete das Handy aus und packte es in ihre kleine, rote Schlangenlederclutch. Der Butler entfernte sich. Unter dem Tisch zog ich meine Highheels aus und streckte meine Zehen. Welch eine Wohltat.
„Also was gibt’s?“, fragte ich und sah die anderen erwartungsvoll an. Diese wechselten einen kurzen Blick und Thalia begann: „Hier geht das Gerücht herum, dass Aphrodite gemerkt hat, dass wir weg sind.“ Euphrosyne lachte: „Das ging ja schnell. Wie lange sind wir schon hier? Etwa fünf Jahre, oder?“ Thalia holte einen Lippenstift und einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche und zog seelenruhig ihre Lippen nach. „Sie hätte uns ruhig noch etwas Zeit geben können. Meine Karriere läuft gerade auf Hochtouren!“ , sagte ich entschlossen. Der Butler kam an den Tisch und goss jedem ein Glas Wein ein. Dann nahm er unsere Bestellungen auf und zog sich wieder zurück. Ich nippte an meinem Wein und dachte über die Situation nach. Wenn das Gerücht wirklich stimmte, und Aphrodite wirklich wusste, dass wir weg waren und nicht in ihrem Verließ, dann waren wir in Gefahr. „Woher habt ihr das?“,fragte ich meine Schwestern. „Von Thalia!“ „Und ich hab's von Darius!“ Darius. Ich seufzte. Darius hatte uns auch bei unsere Flucht aus Aphrodites Verließ geholfen. Er war Verließwächter und Zeitwächter von Aphrodite. Es war nicht leicht für ihn gewesen Aphrodites Schlüssel und Sanduhr zu klauen und uns damit in die Menschenwelt zu bekommen. Wenn Aphrodite wissen würde, dass er uns befreit hatte, würde er in noch größeren Schwierigkeiten stecken als wir jetzt. „Ihr wisst was das für uns bedeutet, oder?“, fragte ich die anderen. „Leider ja“, entgegnete Euphrosyne.
Seit wir aus Kosmal entkommen waren, haben wir uns in der Menschenwelt ein schönes Leben ausgebaut. Ich war eine gefeierte Schauspielerin, Euphrosyne arbeitete nachts als Barmixerin in einem angesagten Club und Thalia hatten einen reichen Mann geheiratet, welcher aber schon früh verstarb. Ob sie etwas damit zu tun hatte, wusste noch nicht einmal ich. Trotz meiner Berühmtheit, wusste kein Mensch wer wir wirklich waren. Für sie waren wir nur irgendwelche Menschen. In Kosmal jedoch waren wir die Grazien. Drei Göttinnen der Schönheit, des Glanzes, des Vergnügens und der Blüte. Das war auch der Grund warum Aphrodite uns einsperren ließ. Wir hatten ihr den Thron von Almaz streitig gemacht. In Kosmal lebten viele Götter. Aber nicht nur. Dort gab es alle möglichen Wesen. Teilweise uralt, teilweise sehr gefährlich. Nur wo sollten wir hin? In der Menschenwelt konnten wir nicht bleiben. Wenn Aphrodite erst einmal versuchen würde uns zurückzuholen, wären die Menschen hier nicht mehr sicher. Aber auch nach Kosmal zurückzukehren war sehr gefährlich. In Almaz würde man uns ja schließlich auch nicht gerade Willkommen heißen. Und bei den anderen Königreichen wusste man ja auch nicht genau was dort los war. Immerhin waren wir die letzten fünf Jahre nicht dort gewesen. Thalia hatte zwar noch Kontakt zu einigen Kosmalern, allerdings erzählten die auch nicht alles.
„Wo sollen wir hin?“, unterbrach Thalia das unangenehme Schweigen. „Wer könnte uns denn helfen?“, fragte ich zurück. „Die Phoenixe hassen Almaz. Und Königin Safa würde uns sicher auch helfen.“, sagte Euphrosyne und warf ihr langes, blondes Haar zurück. „Die Wenigsten kennen den von Weg von Fiocco nach Ignas Island.“, warf ich ein. „Was willst du denn in Fiocco?“, fragte Euphrosyne mich. „Ihr Plan ist einfach. Sie will in Kosmal eintreten. Landen will sie in Fiocco. Weil Königin Safa uns beherbergen könnte. Von ihr könnten wir dann eine Reisebegleitung bekommen, die uns nach Ignas Island bringt. Weil uns dort genug Kraft und Beistand der Phoenixe helfen könnte, eine Revolution in Almaz hervorzurufen. Immerhin kann der Thron von Almaz nur einer wunderschönen Göttin gehören, und diese Beschreibung trifft nicht nur auf Aphrodite zu.“, erklärte Thalia. „Okay dann schnell weg bevor der Butler wiederkommt.“ Ich sah zum Eingang des Restaurants, wo der Butler gerade einen Gast hineinließ. Ich schluckte. Der Gast war kein normaler Gast, er war ein Schattenmann. „Guckt unauffällig zum Eingang.“ sagte ich. „Scheiße! Aphrodite ist schneller als wir. Sie schickt ihre Schattenmänner um uns zu holen.“, sagte Thalia und holte ein Stück Kreide aus ihrer Handtasche. Sie malte einen Drudenfuß auf den Tisch und zeichnete einige Runen hinein. Der Schattenmann hatte uns inzwischen bemerkt. Er hatte kein Gesicht. Die Menschen bemerkten so etwas nicht. Er kam langsam auf uns zu. „Los gibt mir eure Hände!“, befahl Thalia und wir nahmen uns bei den Händen und murmelten einen Zauberspruch mit dem man wieder nach Kosmal kommen konnte. Ich fühlte schon eine kalte Hand auf meiner linken Schulter als ich von den Füßen gerissen wurde.
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2013
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