Vereinzelt hörte man Rolläden klappern und entfernt Motorengeräusche, die sich entfernten. Die Sonne ging gerade unter. Dann wurde es still. Fred lehnte sich lässig an eine Hauswand und zündete sich mit seinem Benzinfeuerzeug die geliebte Zigarre an. Genüßlich zog er daran und grinste beherzt, als er den Rauch aus seinem Mund pustete. Man hätte meinen können, jeden Moment würde der Regisseur um die Ecke gelaufen kommen, und begeistert den Daumen nach oben strecken. Und viele Statisten, die alles atemlos zu beobachten schienen, klatschten frenetisch Beifall. Aber da war niemand. Keiner, der Fred's seltsames Gebahren irgendwie wahrgenommen hätte. Eine fiebrige Spannung lag in der Luft. Es war gespenstisch.
Eine Katze kam plötzlich aus einem Hausflur angeschlichen und schmeichelte sich knurrend um Fred's lederne Stiefel. So als ob sie die Szenerie als Aufforderung ansah, einem einsamen Selbstdarsteller ein wenig Gesellschaft zu leisten. Aber dem war nicht danach: "Verzieh dich dummes Vieh" zischte er genervt und mit einer Hand abfällig gestikulierend. Die Katze verstand. Schnell tippelte sie an der Hauswand entlang wieder dahin zurück, woher sie gekommen war. Fred war ein 35jähriger Mann. Um die 1,90 Meter groß, breitschultrig, chronisch unrasiert und von sich und dem was er tat überzeugt.
Was er aber zu wissen glaubte war, daß man sich wehren musste um nicht unter zu gehen. Er war überzeugt, daß es fatal ist Unsicherheit und Schwäche zum falschen Zeitpunkt zu zeigen. Das war auch der Grund, warum er zu dieser abendlichen Stunde in einer gottverlassenen Ecke der Stadt scheinbar ohne ersichtlichen Grund grinsend und rauchend auf etwas wartete. Die Zigarre war inzwischen zur Hälfte geraucht, als er sie plötzlich aus dem Mund nahm und hinter sich in eine halb geöffnete grüne Tonne warf. Es dauerte nicht lange, bis es in der Tonne heftig anfing zu qualmen und die ersten Flammen des mit Papier und Pappe gefüllten Behälters aufloderten. Nach zwei Minuten stand die Tonne in Flammen und erhellte die unmittelbare Umgebung. Eine filmreife Szene.
In diesem Moment hörte man schnelle Schritte sich nähern. Er presste sich an die Hauswand und beobachte die Person, die sich ihm näherte. Als der ahnungslose Passant die brennende und knisternde Tonne sah, ging er schnell darauf zu, blieb dann kurz stehen und überlegte war er machen sollte. Als er zu seinem Handy griff um die Feuerwehr anzurufen, tauchte auf einmal Fred hinter ihm auf und sagte: "Das würde ich an deiner Stelle nicht machen" . Erschrocken riss er die Augen auf und drehte sich langsam um. In diesem Moment sah er Fred ins Gesicht und bekam einen harten Schlag in die Magengrube. Ihm blieb die Luft weg und ließ das Handy fallen. Verwirrt rief er mit schmerzverzerrtem Gesicht und am Boden liegend: "Wer bist du und was willst du von mir"? "Ich bin dein Alptraum" antwortete er und trat energisch auf das am Boden liegende Handy. Es knackte. Er hob es auf und warf es in hohem Bogen in die brennende Tonne. Dann kniete er sich hinunter zu seinem Opfer und packte ihn so fest am Kragen, daß er nach Luft schnappte. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, was das alles sollte? Inzwischen wurden Nachbarn auf die brennende Tonne aufmerksam und jemand kam hastig mit zwei Eimern links und rechts voll mit Wasser aus dem Haus gestürmt und lief Richtung Tonne. Er wurde unruhig und befahl dem immer noch am Boden liegenden etwa gleichaltrigen Mann: "Steh auf"! Widerwillig tat er es und ließ sich stolpernd nach vorne treiben in ungeklärter Befürchtung, wo das Ganze noch enden sollte? In ungefähr hundert Meter Entfernung blieben sie stehen und Fred schaute sich nochmals um, ob sie auch alleine sind?
Dann stellte er sich provozierend nahe vor ihm auf und fragte in sehr markanter Tonlage: "Kennst du einen Mike"? Kurt stutze kurz und erwiderte etwas verunsichert: "Ja, einer meiner neuen Freunde heißt so - wieso?" Was er nicht wusste war, daß Fred und Mike Brüder waren, und nicht gerade ein entspanntes Verhältnis zueinander hatten. Er hatte nie auch nur ein Wort über seinen Bruder verloren, außer letzte Woche, als ein Reporter ihn aufsuchte und im Rahmen seiner Recherchen über den "Rockerkönig von Buxtehude" ihn über seinen Bruder zwei Stunden lang ausfragte. Das Ergebnis war ein Artikel in der hiesigen Tageszeitung wo der Rocker als eine Art sozial-gestörtes Phänomen mit Kindheitstrauma bezeichnet wurde, der mit seiner kriminellen Clique namens "Destroyers" für Angst und Schrecken in dem kleinen Städtchen und darüber hinaus sorgte.
Erst neulich wurde in einem Supermarkt eingebrochen und Alkohol für ungefähr 2000 Euro gestohlen. Man hatte keine Beweise wer dahinter steckte, aber der Verdacht kam schnell auf die "Destroyers", weil ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit schon zwei weitere Male geschehen waren. Angeblich um für ihre wilden Partynächte in einer Waldhütte versorgt zu sein. Diese abgelegene und schwer zugängliche Waldhütte war gleichzeitig das Hauptquartier der Rockerbande und Fred war der unumschränkte Chef und Herrscher. Das zumindest war das Bild in der Öffentlichkeit.
Jetzt begann er zu verstehen. Er hatte bereits zugegeben Mike zu kennen, aber was wusste Fred sonst noch? Sollte er ihm alles gestehen und sich womöglich verprügeln lassen? Kurzentschlossen sagte er in Richtung des Rockerchefs:
"Was hast du mit Mike zu tun und wo ist das Problem wenn ich ihn kenne"? Fred erwiderte mit geballter Faust: "In der Zeitung stand ein Artikel über mich und darin waren Dinge erwähnt, die keiner wusste außer Mike! Mir hat ein Vögelchen gezwitschert, daß er sich mit so einem Schmierfinken traf, der ihn ausgequetscht hat - wer kann das wohl gewesen sein, du elender Wurm? Wenn du denkst, das geht in Zukunft so weiter, hast du dich geirrt mein Freund..."!
Kurt senkte sein Haupt und atmete tief durch. Dann hob er den Kopf und sah Fred entschlossen ins Gesicht und gab zu:
"Ich bin Kurt Rossow, Reporter beim Buxtehuder Sonntagsblatt und habe den Artikel geschrieben den du erwähnst hast - willst du mich nun platt machen"? Es war eine Minute lang totenstill, dann sprudelte es aus dem Reporter heraus: "Du solltest dich doch geehrt fühlen in der Zeitung zu stehen, ich habe mich nur an Fakten gehalten und meinen Job getan. Ich wusste, daß Mike früher in deiner Gang war und vor einem Jahr ausgestiegen ist. Er hat sich sehr verändert seitdem und im Grunde dich eher verteidigt als angeklagt, findest du nicht? Wer gibt dir das Recht dich zu beschweren bei dem, was man dir alles nachsagt"?
Fred wurde noch zorniger und kramte besagten Zeitungsartikel aus der Innentasche seiner nietenbehangenen Lederjacke heraus, und las die Überschrift: "Rocker aus Angst" - wie aus Fred Neff ein Zerstörer wurde"! Dann zerknüllte er den ausgeschnittenen Artikel und stopfte ihm dem Reporter voller Wut in den Mund, den er mit der anderen Hand durch einen starken Griff gegen den Unterkiefer öffnete.
Anschließend trat er gegen dessen Standbein, so daß er hinflog und im Versuch seinen Sturz abzumildern, instinktiv mit den Armen ruderte und dabei gegen eine Straßenlaterne schlug. Man hörte das Knacken und den Schmerzensschrei. Nach wenigen Sekunden war alles vorbei. Kurt saß mit Tränen in den Augen auf dem kalten Kopfsteinpflaster und hielt mit der gesunden Hand sein verletztes Handgelenk, während er das Papier in seinem Mund ausspuckte. Wütend blickte er nach oben und meinte nur mit angestrengter, schwer atmender Stimme: "Bist du jetzt glücklich? Hast deinem Namen ja mal wieder alle Ehre getan. Die Wahrheit tut eben weh".
Fred schaute ihn bemitleidenswert an und meinte nur mit leiser Stimme: "Was weißt du was Wahrheit ist? Was weißt du was Angst wirklich bedeutet? Du bist doch auch nur gekauft und eine jämmerliche Marionette".
Mit diesen Worten ließ er ihn liegen und verschwand in der Dunkelheit. Der Reporter rappelte sich mühsam auf und machte sich auf den Weg in die Notaufnahme des Krankenhauses, was nicht weit entfernt war. Dort angekommen nahm man sich seiner sofort an und man führte ihn zum röntgen in einen Raum. Das Handgelenk war nur angebrochen, aber das war nicht wirklich ein Trost. Der Arzt fragte in wie das passiert ist? Kurt überlegte kurz und sagte dann, daß er gestürzt sei, als er die Bordsteinkante verfehlte beim überqueren der Straße. Von dem Überfall sagte er kein Wort, denn er spürte, daß dies noch nicht das Ende war und diese Begegnung mit dem gewaltbereiten Rocker nicht die letzte Unterhaltung gewesen ist. Er hatte nicht vor sich einschüchtern zu lassen. Zudem fragte er sich, was der Rocker damit meinte, als er es anzweifelte daß Kurt wüsste was die Wahrheit in seinem Fall wäre?
Inzwischen war es kurz vor Mitternacht und mit einem Taxi, was bereits vor dem Krankenhaus stand, ließ er sich nach Hause fahren. Für heute hatte er genug Aufregung. In der Wohnung nahm er sich ein Bier aus dem Kühlschrank und setze sich damit in seinen roten Ledersessel im Wohnzimmer. So richtig schlafen konnte er verständlicherweise nach den Ereignissen nicht. Dauernd musste er daran denken, was ihm der Angreifer von Wahrheit und Angst sagte. Konnte jemand wie er noch immer Angst haben? Was meinte er damit genau? Welche Wahrheit? Wie hatte er ihn überhaupt gefunden? Was bezweckte er mit seinem Einschüchterungsversuch?
Kurt suchte aufgekratzt die Zeitung vom Sonntag, und schlug die Seite mit besagter Kolumne auf, und hielt sie sich mit einer Hand direkt vor die Nase. Er las sich nochmals alles in Ruhe durch, was er Tage zuvor nach dem Gespräch mit Mike geschrieben und recherchiert hatte:
ROCKER AUS ANGST - WIE AUS FRED NEFF EIN ZERSTÖRER WURDE!
Buxtehude: Der Überfall auf einen Supermarkt am 15. Oktober 2013 wird der bekannten Rockergruppe "Destroyers" (Zerstörer) zugeschrieben. Durch ermittelte Augenzeugen weii man, daß in der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober laute Motorradgeräusche zu hören waren. Ungefähr sieben bis zehn schweren Maschinen und ein großer dunkler Combi waren am Tatort gesichtet worden. Zudem wurden mehrere Personen wahrgenommen, die sich mit Gewalt Zutritt zu dem Supermarkt verschafften und diesen gezielt nach Spirituosen absuchten, um diese in dem bereitstehenden Combi einzuladen. Der polizeibekannte Anführer der Rockergruppe Fred Neff, dessen Lebenslauf laut Akte von Heimaufenthalt, Misshandlung, Diebstahl, Drogendelikten und Zuhälterei bis zur Körperverletzung verläuft, ist seit einiger Zeit wie vom Erdboden verschluckt. Jedoch wird vermutet, daß er als Drahtzieher nach wie vor im Hintergrund agiert und seine Kampftruppen gezielt aussendet, um Rache an der Gesellschaft zu üben für seine verkorkste Lebensgeschichte und Vergangenheit. Über eine nicht genannte Quelle wurde nun bekannt, daß Fred Neff das Produkt selbsterfahrener Verfolgung und Misshandlung gewesen ist. Die Eltern Herbert und Emma Neff kamen vor 17 Jahren bei einem tragischen Unglücksfall ums Leben, als nach einem Wasserrohrbruch in der damaligen Wohnung, eine nicht isolierte elektrische Leitung einen Stromschlag erzeugte, an deren Folgen das Ehepaar gestorben ist. Die beiden Kinder (9 und 12 Jahre alt) waren in der Schule und kamen anschließend für mehr als 5 und 8 Jahre in ein Heim. Dort kam es im Laufe der Zeit nach Aussagen der Betroffenen zu Misshandlungen und Psychoterror durch einzelne Mitarbeiter. Das Heim ist inzwischen geschlossen worden nachdem die Vorfälle vor fünf Jahren bekannt wurden. Aus dem verschüchterten und traumatisierten Jungen von damals, wurde später der Drogendealer und Zuhälter Fred Neff, seines Zeichens Anführer der Rockergang "Destroyers", die sich (nach einem Bekennerschreiben) als eine Art: "Autonome und freie Bürgerwehr gegen Angst und Lüge" sieht. Offenschtlich ging es ihnen nicht um politische Ziele, sondern Rache an der Gesellschaft indem sie das taten, was verboten und schädlich war nach dem Motto, was man in einem Bekennerschreiben nach einem weiteren Überfall auf eine Baufirma vor zwei Jahren gefunden hatte: "Wir machen kaputt was uns kaputt macht"! Ob das die Lösung ist, wird spätestens dann erkennbar sein, wenn es nichts mehr gibt, was es für ihn sich zu zerstören lohnt - vielleicht sich selbst!?
Kurt Rossow
Die Augen fielen ihm zu und während ihm im Sessel liegend die Zeitung aus der Hand glitt, und sein verletzter Arm pochte, schlief er erschöpft ein.
Am nächsten Tag erschien dem Reporter alles wie ein unangenehmer Traum. Etwas steif im Rücken stand er auf. Er hatte tatsächlich die ganze Nacht im Sessel geschlafen - immerhin mit Fußstütze. Sei Handgelenk schmerzte und er nahm eine von den Schmerztabletten die ihm der Arzt mitgegeben hatte. Im Bad machte er sich frisch soweit das mit der eingegipsten Hand möglich war. Inzwischen lief der Kaffee durch die Maschine. Nach Frühstück war ihm irgendwie nicht zumute, aber dann zwang er sich zumindest eine Banane zu essen, auch wenn er Schwierigkeiten hatte sie von der Schale zu befreien. Kaffee und Banane - das hatte irgendwie etwas. Dann griff er zum Telefon und rief in der Redaktion an um sich abzumelden:
"Dr. Piepenbrock, ich hatte einen kleinen Unfall gestern Abend und habe mir das Handgelenk angeknackst, war auch im Krankenhaus... Ja, ich weiß, nicht immer nach oben starren und über die eigenen Füße fliegen...Kann leider nicht richtig arbeiten Chef... ich bleibe diese Woche besser daheim. Mir brummt auch noch der Schädel. Den Krankenschein hole ich mir noch beim Hausarzt und schicke ihn dir dann zu. In Ordnung? Ja, danke!"
Dann legte er den Hörer wieder auf. Sein Chef war nicht begeistert, aber was sollte er machen? Kurt wusste, daß er ein guter Reporter und Schreiber war und man nicht gerne auf ihn verzichtete. Selbst dann, wenn es gute Gründe dafür gab. Mit der Kaffetasse in der Hand stand er nun vor dem Fenster in der Küche und schaute hinaus. Es war ein wolkenloser Himmel und für die Jahreszeit recht mild. Das Zwitschern der Vögel war zu hören. Kurt überlegte was er mit dem freien und angebrochenen Tag nun anfangen sollte, als das Handy plötzlich klingelte: "Kurt Rossow - Hallo"!? Am anderen Ende hörte ich eine besorgte Frauenstimme:
"Hallo..., mein Name ist Astrid Steinke...ich habe ihre Nummer von meinem Mann erhalten...sie hatten sich letzte Woche mit ihm getroffen...!"
Damit hatte Kurt nun überhaupt nicht gerechnet. Daß sein Informant verheiratet war, wusste er nicht, aber es sollte noch besser kommen: "Können wir uns treffen", fragte sie? Kurt war schon immer spontan und kurzentschlossen. Das brachte sein Beruf so mit sich. Er fragte, ob sie das kleine Cafe in der Stadtmitte kannte. Sie vereinbarten ein Treffen in einer halben Stunde. Als er 20 Minuten später dort eintraf, setze er sich an einen Tisch am Fenster und mit Blick zur Eingangstür. Kurze Zeit später kam eine sehr attraktive Frau herein, wie sie Kurt noch nie gesehen hatte. Sie sah sich um und ihr Blick blieb an Kurt hängen. Vermutlich werden Reporter schon von weitem erkannt. Etwas nervös und irritiert stand er auf und fragte leise: "Sind sie Astrid Steinke"? Sie nickte freundlich und sah ihn mit ihren strahlenden Augen an.
Sie setze sich ihm gegenüber auf den Stuhl, neigte ihren Kopf nach unten, atmete tief durch und blickte dann auf und begann zu erzählen:
"Mein Mann ist beunruhigt. Sie müssen wissen, daß ihm der Artikel in der Zeitung zwar ein Anliegen war, aber er nun auch befürchtet, sie dadurch in Schwierigkeiten gebracht zu haben. Mit Fred Neff ist nicht zu spaßen müssen sie wissen. Er ist ein gebranntes Kind. Und er weiß manchmal nicht wohin mit seiner Wut. Ich will im Moment nicht mehr dazu sagen. Er braucht Hilfe und Unterstützung. Wenn er denkt, man will ihn ausnutzen oder betrügen, kann er schon auch gefährlich werden".
Das habe ich schon gemerkt, sagte er und hob das eingegipste Handgelenk hoch. Erschrocken legte sie die Finger ihrer Hand auf den Mund und sah ihn mitleidig und entsetzt an: "Oh, das tut mir so sehr leid - wie ist das passiert"? Kurt erklärte ihr, daß er abgepasst wurde als er auf dem Heimweg von der Arbeit beim Buxtehuder Sonntagsblatt war:
"In einer dunklen Ecke machte ich dann Bekanntschaft mit ihm: Er war offensichtlich sehr verärgert über den Artikel, obwohl ich ihm erklärte, daß mein Informant früher selbst in seiner Gang war und ihm wohl trotz allem noch immer wohlgesonnen ist? Jedenfalls habe ich bis jetzt nicht verstanden, warum er es auf mich abgesehen hatte? Es war mein Job den ich machte, sonst nichts. Zudem habe ich auf Anraten ihres Mannes den Artikel so formuliert, daß man zumindest manches nachvollziehen konnte was in seinem Kopf vor sich geht. Aber das war ihm wohl alles andere als recht? Jedenfalls hat er mich am Kragen gepackt, und bin ich dann gestürzt und habe mich verletzt".
Astrid nickte enttäuscht.
Unterdessen kam die Bedienung und sie bestellten je ein Glas Mineralwasser. Astrid blickte Kurt an und sagte: "Ich muss ihnen sagen, daß mein Mann, Mike Steinke, bei unserer Hochzeit vor einem Jahr meinen Nachnamen angenommen hat". Nun bekam Kurt große Augen, so als ob er ahnte was nun kam: "Er hieß vorher Mike Neff und war der kleine Bruder von Fred"! Einerseits wurde ihm nun einiges klar, aber andererseits verwirrte ihn diese Information aber noch mehr. Er fragte aufgeregt und leicht irritiert:
"Was um alles in der Welt wollte ihr Mann denn dann erreichen indem er mir Informationen über seinen Bruder gab? Weiß ihr Mann, daß sie jetzt mit mir reden? Oder muss ich nun Schlimmeres befürchten? Lauert der große Bruder vielleicht jetzt gerade da draußen, um mir diesmal den Rest zu geben"?
Astrid beruhigte ihn indem sie ihm über die Schulter strich und ihn milde anlächelte: "Bitte glauben sie mir, ich habe sie nicht hierher gebeten um ihnen zu schaden. Mein Mann weiß über alles bescheid - wir betreiben keine Heimlichkeiten hinter dem Rücken des anderen. Mike hat sich sehr verändert und wir vertrauen einander".
Kurt bestätigte das mit einem Kopfnicken, ohne genaue Details zu kennen, aber Mike sagte ihm bei dem Treffen vor ein paar Tagen, daß er auch deshalb aus der Bande ausgestiegen ist, weil er ein neuer Mensch geworden sei und vieles nun mit anderen Augen sehen konnte. Zudem hatte er körperliche Probleme.
Kurt fragte sich ernsthaft in seinen Gedanken, wie ein ehemaliger Krimineller wie Mike Neff zu so einer engelhaften und wunderschönen Frau gekommen ist? Hatte Astrid Steinke vielleicht einen "Badboy-Komplex"? Manche Frauen mögen ja die harten, unangepassten und Gewalt ausstrahlenden Männer, die sich an keine Regeln halten und immer bereit sind Grenzen zu überschreiten, und sich ungefragt zu holen, was immer sie wollen. Aber diese Frau machte auf Kurt gar nicht den Eindruck, als ob sie sich hinter einem harten Mann verstecken wollte oder nur dem Klischee entsprach, daß sich Gegensätze anziehen. Sie war offensichtlich die Starke in dieser Beziehung.
Sie vermittelte durch ihr ganzes Wesen den Eindruck, als ob sie sehr genau wusste von was sie redete und wer ihr Mann war und jetzt ist. Immerhin war sie ja diejenige, die sich mit Einverständnis ihres Mannes mit Kurt traf. Sie hatte keine Berührungsängste und definierte sich offensichtlich auch nicht durch ihr atemberaubendes Äußeres, auch wenn sie vermutlich ganz genau wusste und einschätzen konnte, wie so jemand wie sie auf Männer wirken konnte.
Astrid rückte ihren Stuhl näher zum Tisch, trank einen Schluck Wasser und sprach:
"Wir machen uns Sorgen um Fred's Innenleben, um seinen seelischen Zustand. Mein Mann ist fast daran zerbrochen was in seiner Vergangenheit geschehen ist. Er hat das alles dadurch betäubt, indem er drogenabhängig wurde, alles und jeden für seinen Zustand verantwortlich machte und sich selbst nie die Chance gab, alles was geschehen ist zu verabeiten und abzugeben. Und nun befürchten wir, daß es mit Fred furchtbar enden könnte, weil er ebenso verletzt ist und in seiner ohnmächtigen Wut und unkontrollierten Kraft sich und anderen sehr schaden kann. Wir glauben es muss einen anderen, besseren Weg geben, der ihm zur Gerechtigkeit verhilft. Mike hat seinen Frieden gefunden und er hat mich".
Er konnte sich mittlerweile gut vorstellen, wie eine Frau, wie Astrid es war, so jemanden, den sie hier beschrieben hatte, dazu bringen konnte neu anzufangen und ein anderes, besseres Leben zu führen. Diese Frau war es bestimmt wert. Aber konnte man sich einfach im Handumdrehen um hundertachtzig Grad drehen und ein anderer Mensch werden? Was war wirklich geschehen? Er berührte die Hand von Astrid und versuchte seine Gedanken zu einer Frage zu formulieren die sie verstand ohne sich zu ärgern: "Was findet eine Frau wie sie an einem Mann wie Mike"? Sie sah ihn verständnisvoll an und erwiderte:
"Wenn Gott die Frauen häßlich und dumm gemacht hätte, dann wäre die Welt ziemlich dünn besiedelt, oder"?
Kurt musste herzhaft lachen. Mit so einer Antwort hatte er nicht gerechnet. Etwas verlegen über diese Schlagfertigkeit fügte er süffisant hinzu:
"Naja, viele Männer können eben besser schauen als denken". Ja, sagte sie, "...aber wer nicht richtig hinschaut, kann auch nicht die richtigen Gedanken entwickeln und zu richtigen Entscheidungen finden...". Kurt antwortete wie aus der Kanone geschossen: "Da gibt es bei jemanden wir ihnen ja nicht den geringsten Zweifel zu was man sich entscheiden würde - sie sehen großartig aus!".
Nun wurde sie ernster, denn sie sprach nicht von Schönheit, sondern von Wahrheit. Wissen sie, sagte sie, "...wenn der Reiz einmal weg ist, bleibt nur noch der Charakter übrig. Von daher ist es vielleicht sinnvoller, sich gleich für den Charakter zu entscheiden, denn was man liebt, das findet man auch schön. Umgekehrt ist das nicht immer so...". Kurt wurde noch mehr verlegen, denn diese Frau war nicht nur schön, sondern auch weise.
Was war mit Mike geschehen? Vielleicht wäre ein Kennenlernen eine sinnvolle Sache, dachte sich Kurt. Bisher hatten die beiden sich nur telefonisch und per Mail ausgetauscht. Durch die neuen Informationen wurde die ganze Angelegenheit nun doch zu einem nicht kleinen Mysterium - zumindest aus Sicht eines Reporters. Kurt fragte Astrid, ob sie ein Treffen mit Mike arrangieren könnte, was diese nickend bejahte. Er bezahlte die Rechnung, sie standen auf und verließen das Cafe. Draußen bedankte er sich nochmals für das gute Gespräch und sie verständigten sich darauf, daß es eine Fortsetzung des Austausches geben wird - mit Mike. Sie schüttelten sich behutsam die Hände, lächelten sich dabei freundlich an, und jeder ging wieder seine Wege.
Die Tage vergingen ohne daß irgendetwas Besonders geschah. Am vierten Tag nach dem Treffen mit Astrid, es war Donnerstag und schon gegen 23 Uhr, klingelte es an der Haustür. Über die Sprechanlage fragte Kurt etwas beklommen: "Ja, wer ist da"? Zuerst kam keine Antwort und Kurt wollte den Hörer schon wieder auflegen, als eine Stimme leise sagte: "Hier ist Mike"! Die Wohnung lag ganz oben im siebten Stock eines Wohnblocks. Der Aufzug war defekt, so daß sich der nächtliche Besucher über das Treppenhaus in Kurt's Wohnung bewegen musste. Es waren mehrere Schritte zu hören und er ahnte, daß er nicht alleine gekommen war. Aber warum um diese Zeit? Oben angekommen öffnete sich die Tür und vor ihm standen Astrid und Mike. Wortlos gingen sie in die Wohnung und er bat sie sich im Wohnzimmer auf das Sofa zu setzen.
Mike sah ernst aber auch friedlich aus. Man sah im an, daß er eine Last auf seinem Herzen hatte und doch blitzten seine Augen und waren wach. Astrid hielt seine Hand und entschuldigte sich für den späten und unangekündigten Besuch: "Wir brauchten etwas Zeit um uns auch selbst darüber im Klaren zu werden, was wir überhaupt sagen wollen und wie es weiter gehen kann". Das war auch im Sinne des überraschten Gastgebers. Nun wurde Mike aktiv und kam gleich zur Sache:
"Sie müssen wissen, daß mein Bruder nicht wirklich so ein übler Bursche ist wie er meist gesehen wird. Es ist richtig, daß er nicht gerade zimperlich mit manchen Leuten umgeht und einen schlechten Ruf hat. Aber er ist mehr Opfer als Täter und hat nur für sich selbst entschieden, das Unrecht was ihm angetan wurde zu rächen und diejenigen zu bestrafen, die seinen Traum zerstörten".
Kurt schaute kritisch und legte ein Bein über das andere, während er auf seinem roten Sessel saß und gespannt zuhörte. Irgendwie konnte er es nicht recht nachvollziehen, was er da hörte. Aber er verstand zumindest, daß alles immer einen Hintergrund hatte und nichts einfach aus Zufall geschieht. Er hatte Fragen die er in seinem Kopf bewegte. Fragen, die in die Richtung gingen, ob nicht jeder seine Lasten hat und doch nicht immer alles und jeden dafür verantwortlich machen konnte.
Astrid spürte den Widerstand und schaltete sich ein: "Ich weiß, daß es nach Ausrede klingt was mein Mann sagt, aber ganz so ist es nicht. Veränderung ist möglich und auch Mike (sie sah ihn liebevoll an) hat vieles von dem, was Fred so erlebte mitgemacht. Er war vier Jahre Mitglied der Bande, war an dem Anschlag auf die Baufirma beteiligt. Aber ist nicht so stark wie Fred. Er hat das anfangs nicht einsehen wollen".
Im Laufe des weiteren Abends erfuhr Kurt, daß die Baufirma auch das Haus baute in dem die Eltern von Mike und Fred starben. Es war angeblich grober Pfusch am Bau entdeckt worden durch einen Gutachter. Der war sowohl für den Wasserrohrbruch als auch die defekten elektrischen Leitungen verantwortlich. Die Baufirma wurde aber nie verklagt, kurz danach aber verkauft. Die Firma war für den Tod zweier Menschen mitverantwortlich und wurde nie bestraft. Der neue Inhaber, so wurde vermutet, hat in einigen anderen zwielichtigen Geschäften seine Finger im Spiel gehabt - das konnte aber bis heute nie bewiesen werden. Der Anschlag auf das Gebäude der Baufirma vor einiger Zeit, war dann das vorzeitige Ende der Geschichte. Man sah aus der Sicht der Polizei keinen Zusammenhang zwischen dem tragischen Unfalltod eines Ehepaares vor 17 Jahren, und der Zerstörung dieses Gebäudes der Firma Planbau GmbH lange Zeit danach. Nun war Kurt klar, daß es diesen Zusammenhang gab. Die Firma gibt es auch heute noch und besitzt mittlerweile viele Mietshäuser und Ladengeschäfte in der Stadt. Mike stand auf, lief zum Fenster und schaute hinaus, dann drehte er sich nach einer Weile um und sagte:
"Mein Bruder hat, als er erwachsen wurde und das Heim endlich verlassen konnte, nach einigen Jahren und in mühsamer Kleinarbeit herausgefunden, wer letztlich hinter all dem stand, was er und ich erleiden mussten und wie sehr diese Firma, wie die Mafia, die ganze Stadt kontrolliert und ihre kriminellen Machenschaften unter den Teppich gekehrt werden. Andere wurden für das verantwortlich gemacht, was sie selbst verbrochen hatten. Mein Bruder hat dann irgendwann den Spieß umgedreht und sich organisiert und diese Leute bekämpft".
Nun kam so langsam etwas Licht in diese undurchsichtige Geschichte. Konnte es sein, daß man Fred Neff völlig falsch sah? Aber warum hatte er dann so aggressiv auf den Bericht in der Zeitung reagiert und Kurt verletzt? Kann er Freund und Feind mittlerweile nicht mehr auseinander halten? Diese und ähnliche Gedanken kreisten in Kurt's Kopf. Astrid ahnte mal wieder diese Gedanken und meinte, daß Fred's Recherchen ergaben haben, daß die Baufirma auch beim Buxtehuder Sonntagsblatt ihre Leute hatte und gezielt daran arbeitete Opfer zu Tätern zu machen. In Fred Neff hatten sie einen passenden Protagonisten gefunden, an dem sich die öffentliche Meinung reiben kann. Er wurde zum Bösewicht gemacht.
Die angebliche Sache mit der Prostitution sei eine infame Lüge. Fred war nie ein Zuhälter, sondern wurde dazu gemacht. Das Bordell in der Altstadt von Buxtehude war ein Haus der Baufirma, die vermutlich selbst in diesem Bereich aktiv war und zudem die Mädchen mit Drogen gefügig machte. Jetzt musste auch Paul, der zwischenzeitlich aufgestanden war und in der Wohnung auf- und ablief, sich wieder hinsetzen. Damit hatte er nicht gerechnet. Auch das sein Verlag korrumpiert sein könnte, schlug ihm auf den Magen. Jetzt verstand er auch, warum Fred ihm auflauerte: "Er dachte vermutlich ich wäre gekauft und stecke ebenso in der Sache drin"? Mike und Astrid nickten einstimmig.
Er erklärte, daß es ihm immer nur um Fakten gehe und er zwar geahnt hatte, daß mehr hinter der ganzen Sache steckte, aber nie auf die Idee gekommen wäre, daß man hier massiv Stimmung gegen jemanden machte, der nur versuchte die tatsächlichen Umstände
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 12.03.2014
ISBN: 978-3-7309-9124-4
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Meiner geliebten Ehefrau Inga Göde