Cover

Auftritt

 

Überall Waschbeton. Darunter Glasfaserkabel. Hinter den Isolierfenstern sitzen einsame Gestalten, denen es so gut geht wie selten wem zuvor. Und sie haben Angst. Eine alles zerfressende, lähmende, schreckliche Angst. Willkommen bei der ersten verlorenen Generation des 21. Jahrhunderts, willkommen in Dunkeldeutschland.


Die Wirtschaft, ja, prima. Neues iPhone haben wir auch. Und so viele Superstars, dass wir ganze Gulags damit füllen könnten. Aber wir wohnen mit 25 noch zu Hause, „bis wir wissen, was wir vom Leben wollen“. Im Zweifelsfall Crystal Meth. 27 Stunden wach, mehr Zukunft kann man sich nicht mehr leisten. Die Zeiten von Rente, Bausparvertrag und überhaupt morgen sind vorbei. Nur 13% der Deutschen glauben, es werde ihren Kindern besser gehen als ihnen. Der neue Mensch sieht nicht in die Zukunft, er googelt sie nur. Trotz all seiner Möglichkeiten ist er so isoliert wie nie zuvor.


Wieso ist das Land so kreuzbescheuert? Wo kommen die Faschisten im Amt her? Wo sind diese ganzen Idioten, die anscheinend die Macht haben? Auf dem Land. Während die Welt sich rasend und gewaltig urbanisiert, bleibt die BRD ein Bollwerk des Provinziellen. Die Deutschen sind fleißig? Denen ist nur Langweilig. Richtig schlimm wird es erst, wenn die Arbeit vorbei ist. Dann spalten sie sich in Subkulturen, eine hölzerner als die andere. Keine aber wirklich bewegend. Alle verwirklichen sich sowas von selbst, wie die von Heulkrämpfen geschüttelte Hausfrau nie wieder Opfer sein wird. Alle verkriechen sich in ihre kitschigen Egofetische, alle haben nackte Angst.


Das hier wird eine Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten. Doch diesmal wird es nicht lustig. Es wird grausam. Ob Snobs in Hamburg, Nazis in Zittau, oder Studenten in Freiburg, jeder wird angepisst. Jeder wird entlarvt, angeschrien und heulend liegen gelassen. Die Welt verbessern? Geh zu Scientology. Das hier ist eine Abrechnung mit dem armseligsten Haufen Dreck, den diese Welt je gesehen hat: Dunkeldeutschland.




1. Hamburg: Snobokalypse

 


„Man kann alles kaufen: Die Liebe, die Kunst, den Planeten Erde. Sie. Und mich. Vor allem mich.“

- 39.90, Frederic Beigbeder


Die Wirtschaft läuft ja prima im Gegensatz zu der von Griechenland, Frankreich und Nordkoreas ländlichem Südwesten? Auf der Autobahn von Prenzlau nach Hamburg fährt trotzdem kein Schwein. Außer ihm. Das Tempolimit ist knallhart 120. Wer hier fährt, fährt sich gerne tot. Das fällt in McPom unter Entertainment, den Zeitvertreib derer, die sich im eigenen Kopf schlecht fühlen. Da ist sie. Hamburg, die alte Hure. Eine Stadt, die bekannt war für eine wilde Mischung. Für käuflichen Sex bis zum Leistenbruch, für gerade so viel Tor zur Welt, wie der deutsche Kleingeist es zulässt.


Schön war's gewesen. Heute ist Hamburg das, was Berlin droht. Die Stadt wurde mit dem Vorschlaghammer in die Provinzialität gentrifiziert. Vergangene Größe kann stilvoll sein, siehe Wien. In Hamburg bleibt nur der Rest weg zu fegen. Was in Berlin der Potsdamer Platz ist, nennt man in Hamburg die Hafen City: Eine abstoßend klinische Melange aus Einkaufszentrum Architketur und Machtgeprolle. Als da eine Handvoll Sozialwohnungen rein gesetzt werden sollte, war das Bürgertum in heller Aufruhr: Können „die“ sich hier wohl fühlen, wo bald nur noch Solarmülleimer mit Presse stehen, in die sie im Vorbeifahren ihre Davidoffkippen schnipsen? Wie sollen „die“ da Flaschen sammeln? Zumal pro eingeworfene Flasche fünf mal gewühlt wird – „die“ verstehen die Dynamik von Angebot und Nachfrage nicht! Das Prekariat gibt es zu: „Nicht nur Obdachlose, auch immer mehr Rentner seien auf diese zusätzliche Einnahmequelle angewiesen.“ Schön, dass es in Hamburg schon so weit ist, dass sich die Restmenschen ihrer Stellung bewusst sind und sich an jeden Krumen klammern, statt zu rebellieren. Die Politik gibt dem Snob eine Steilvorlage. Auch in Sachen Verlogenheit: „Wir hatten nicht die Absicht, die Flaschensammler aus der Innenstadt zu vertreiben“, sagte [Stadtkommandant] Olaf Scholz. Kommt einem rhetorisch bekannt vor? Zum Glück hat er nicht von Mauern gefaselt. Die Mülleimer kosten locker 5.000€. Aber: „Überquellende Papierkörbe gehören jetzt der Vergangenheit an. Damit haben wir auch ein ästhetisches Problem gelöst.“, sagt Möller [Stadtreigingungstumstaffelführer]. Das einzige ästhetische Problem, das ihr gelöst habt, ist Armut.


In Hamburg demonstrierten ein paar unverbesserliche Kommunistenschweine gegen gute, weiße Tugenden wie Faschismus gegenüber Nichtariern, Raubtierkapitalismus und die Verramschung des letzten verbliebenen nichtkommerziellen Ortes im Zentrum, der Roten Flora. Banks hat ihnen ein Transparent gemalt, dass der SPD die Arbeit abnimmt: „I don't care about politics, I'm just here for the violence“. Für Hamburger Verhältnisse alternatives wie der Beachclub Sterngarten Hamburg ist beschlossenerweise tot. Die Bahn kommt. Und macht mit Gleisbau den Waagenbau, das Fundbureau und die Astrastube platt. Man muss die anderen Dörfer erreichen können. Ein Glück gibt es den Pudel an der Hafenkante noch. Ein Glück gibt es Scholz und seine Sturmtruppen. Der ist übrigens aus dem sarrazinesken Flügel der SPD. Um so viel Sozialfaschismus unter zu bringen, braucht man ein Rathaus mit mehr Zimmern als der Buckingham Palace: Wie in Hamburg. Nachdem die Demo exakt einen Meter gelaufen war, wurde alles zusammengeknüppelt, was keinen Lakaien dabei hatte. Postwendend und postdemokratisch wurde eine Gefahrenzone in der gesamten Innenstadt eingeführt, damit der Konsum sich sicher fühlen konnte. Ein Wildschutzgebiet für Snobs. Die Bullen fanden bei über 1.000 Kontrollen 6 sogenannte Vermummungsutensilien wie eine ABC-Schutzmaske oder Schals, ein paar Böller und einen Schlagstock, die überprüfte Personen bei sich führten. Weiter wurden ein Seitenschneider, Draht, Klebeband, Kleister und zwei ­Farbspraydosen beschlagnahmt. Zudem Klobürsten als Zeichen des Widerstandes. Das ist die Bedrohung, für die der Reichstag angezündet wird. Die Scheiße liegt nicht auf der Straße, sondern in den Köpfen der Mächtigen. Anlässe fanden sich trotzdem genug. Es war zwar gerade keine als Polen verkleidete Einheit zum angreifen des eigenen Radiosenders da, aber Steinwürfe auf die berüchtigte Davidwache an der Reeperbahn konnten her halten. Einziges Problem: Die gab es nie. Interessiert die Legasthogeneration aber nicht, Hass braucht keinen Grund. Natürlich ist der wiederum nichts als blanke Angst um die eigenen Krumen. Hamburg bemüht sich nach Kräften alles zu schleifen, was nicht glänzt wie Diamanten. Wie der Snob, hat es beinharte Minderwertgkeitskomplexe und will so steril und wichtig sein wie London, Paris oder New York. Der Saarbrücker würde sagen, „Und was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover.“ Er will sich Zuhause wie in einem Dorf fühlen. Wie wärs mit auf's Dorf ziehen? Nein, er sehnt sich nach der Abwechselung von seinem öden Ich, will aber nicht den ganzen chaotischen Rest, namentlich Stadt.




Abbildung 1: So stinkt Hamburg


Da stören Gegenden wie Wilhelmsburg. Wenigstens liegt es wie die Bronx auf der anderen Flussseite. Im Gegensatz dazu, stört den Snob die Ästhetik beim Baden nicht, so er sich herablassen muss, weil in St. Tropez Sturmwarnung herrscht. Erst kommt der schön apokalyptische Hafen, der ihm seinen Wohlstand sichert. Da führt der klassisch gefliesste Elbtunnel unten durch. Der Pöbel fährt da mit den, für eine halbe Stunde kostenlosen, öffentlichen Fahrrädern durch. Der Snob lässt sich im Autofahrstuhl herunter. Schade, dass dahinter noch nicht die grau maschinelle Realität des Hafens weggentrifiziert ist – irgendwer muss für seinen Reichtum arbeiten. Wilhelmsburg umfährt er weitläufig. Es liegt eingekesselt im Deich wie ein sich schämender, hässlicher Köter. Zu unrecht. Würde er sich rein verfahren, würde er sehen, dass Wilhelmsburg einen Hauch von dem hat, was er und seine Mitstreiter mittlerweile aus der Innenstadt vertrieben haben: Urbanität. Das, was die Bild zunehmend vergeblich in Neukölln, St. Pauli und dem Frankfurter Bahnhofsviertel sucht. In Wilhelmsburg bröckeln die Altbauten noch, weil die Bewohner wichtigeres zu tun haben, als sich ihren gesellschaftlichen Rang mit Geranienkriegen zu beweisen. An den Ecken klaffen Kneipen, bei denen das Bier billiger ist, als Wasser in den meisten Ländern. Roma, Araber und für den Snob Schlimmeres wohnen in wäschebehängten Altbauten, die Türen stehen offen, Leute leben und warten nicht nur auf den Tod. Keimige Künstler irren durch die Straßen und laden Leute zu Volksküchen ein. Der Snob lässt nur die Brille runter und gibt Gas. Er will sich nicht mit Hepatitis oder Armut anstecken. Der Fettgeruch der arabischen Pizzen, für in Hamburg unglaubliche 5€, gibt ihm den Rest: Er muss dringend zurück in die Komfortzone.



Nicht nur in der Hafencity werden die alten Bewohner outgesourced. Fette Hochhäuser wurden ins Stadtzentrum gerammt, wie früher die Barhocker in Seemannsärsche. Das Gängeviertel ist nicht mehr als zwei Straßen und ein Museum für die letzten Künstler. Durchgehen ist so kreativ, wie es beim Snob wird. In Hamburg liefern sich Abranz und der Kommerz eine erbitterte Schlacht um das Zentrum. Der Abranz der Reeperbahn, wo der normale Hamburger am Wochenende einen bannmeilenweiten Bogen drum macht. Der des talibanesk abgeschlossenen Strichs Herbertstraße und Bars wie der Ritze, mit den zwei gespreizten, alternden Beinen an den Türflügeln. Nicht, dass die kein Kommerz wären. Nicht der, wenn die letzten Nutten bei Sonnenaufgang und herannahendem Entzug die Preise senken, wie Aldi bei den Erlebniswochen. Nicht die grölenden englischen Tourigruppen, deren Testosteron fast aus den engen Nylonhemden platzt. Nicht die Stiernacken der Türsteher, an deren Falten sich tätowierte Drachen um sich selbst wickeln. Narzisstische Körperverletzung mit Einwilligung. Und besonders nicht die ramschigen Läden, in denen man zwar keine Drogen kaufen kann, aber Bongs, Duftkissen und alles was den Rand der Legalität abtestet. Aber sie sind offen zynisch: Leg' Knete auf den Tisch und kauf' dir Menschen. Kleine, verzweifelte Rumäninnen. Dröhn' dich bis zum Anschlag mit legalem Nervengift zu. Selbst wenn du deine eigene Omi Hortensia sein könntest. Scheiß mit Anlauf auf die Zukunft, geh' aber wenigstens mit wehenden Fahnen unter. Die Hafen City dagegen möchte Perfektion verkaufen. Ihre Aktionäre wollen die Zukunft in Form von Rendite. Da ist es wurscht, ob die Wolkenkratzer Umweltsau bis zum Anschlag sind, mit Gewinnen aus sterbenden Negerlein erbaut wurden, und in der Stadt das ersticken, was sie interessant macht. Die möchte den Ängstlichen die einzige Zukunft verkaufen, an die sie noch glauben können: Gewinn.


Kein Wunder, dass sich Snobs hier wohl fühlen. Nicht nur Reiche, auch Prolls, Hippies und was so daher kommt, haben in der ehemaligen Hansestadt gerne was ungerechtfertigt Überhebliches. Hamburg hat sich schon zu Zeiten der BRD als heimliche Hauptstadt gesehen. Wieso auch nicht? Die meisten Millionäre und zufällig ebenfalls die Meinungsmacher vom Spiegel sitzen hier. Wer die Meinungsherrschaft zur herrschenden Meinung macht, kann sich was darauf einbilden. Besonders, wenn er in den 60ern eine Affäre mit der Undemokratie hatte und sich darauf noch immer einen runter holen kann, während man sich den Chefredeakteur bei der Bild raus kauft und ansonsten Neoliberalismus a la carte bewirbt. Man sitzt in einem der Glaspaläste in der Hafen City, und da gehört man auch hin.


Der Snob Octave wohnt wahrscheinlich in Blankenese. Das braucht zwar jetzt wie das letzte Ghetto einen Quartiersmanager, weil Butter Lindner Pleite geht, aber das Netto gibt’s noch. Da fährt er gerne vorbei, um an der Kasse seine schwere Woche zu lamentieren: „Fünf mal Golf spielen, das geht auf die Knochen!“. Natürlich hat er eine schick sanierte Stadtwohnung auf der Sternschanze. Eingerichtet mit Geraffel von Manufaktum. Oliver Jeges definiert den Laden passend: „Trödelladen. Wie Kik, nur für Bessergestellte. Hochpreisige Waren für postmoderne Yuppies die glauben, sich mit Geld guten Geschmack kaufen zu können. Es gibt sie noch, die nutzlosen Dinge.“ Es gibt sie noch, die nutzlosen Menschen.


Besitz hat er natürlich auch, in Eppendorf. Die Hände macht er sich aber nicht schmutzig, schon gar nicht am Ende der Welt. Reihenhäuser, grässlich. Da geht er gleich zu Scheinske in Poppenbüttel und mischt ein „strammes Schwein“- Frühstück in die Menge. Sein Handlanger vor Ort erhöht die Miete und achtet darauf, dass der Mieter keinen Briefkasten bekommt. Als der ihn mit „Was wollen Sie, Sie Wurzelzwerg?“ begrüßt, bringt er ihn um. So läuft das im sich selbst regulierenden Wohnungsmarkt.


In Hamburg kann man sich schön Status geben, weil nicht so viel Platz ist wie in Kuhfladenstädten wie Berlin oder dem Ruhrpott. Und Status ist geil, das weiß der Snob intuitiv. Eher nicht so, weil Studien mit englischen Arbeitern aus Whitehall beweisen, dass er einen länger leben lässt. Auch nicht, weil in Berkley anhand von Monopolyspielern gezeigt wurde, dass zufälliger Status von „einer bekommt per Münzwurf immer doppeltes Rundeneinkommen“ von den Gewinnern als persönliches Können gerechtfertigt wird. Nein, der Snob will Status wegen Komplexen. Octave sagt:


„Ich bin es, der Ihren Geist penetriert und in Ihrer rechten Gehirnhälfte zum Höhepunkt kommt. Mein Job ist es, Sie für 11.000€ im Monat zu manipulieren. Wie alle Kreativen in den Werbeagenturen dieser Welt, verbringe ich 89% meiner Zeit damit, trashige Bilder über's Netz auszutauschen. In letzter Zeit bin ich intensiv mit japanischen Kotzefressern beschäftigt. Kein verantwortungsloser Idiot hatte in den letzten 2.000 Jahren so viel Macht wie ich. Aber um bei der Wahrheit zu bleiben, ein wirklich netter Kerl bin ich nicht. Eher so ein Stück Scheiße. Für mich ist der Mensch ein Produkt wie jedes andere. Mit einem Verfallsdatum. Man kann alles kaufen: Die Liebe, die Kunst, den Planeten Erde. Sie. Und mich. Vor allem mich. The use is not the customer but the product. "


Mal mit dem Boot durch Hamburg fahren? Wenn, dann nur im Echtholzfetischsportflitzer und Kaffee und Kuchen wird bitte aus dem Café Canale direkt ins Boot gereicht. Franzbrötchen? Nur was für Proleten. Aber Wasser ist nicht sein Element, zu hippiesk. Was gibt es Besseres als so richtig schön im Original Golf 1 Cabrio blaumetallic, mit weißem Dach an der Außenalster in die Stadt zu fahren? Musik, nimmt er alles, sollte nur House und Deephouse bis 128 bpm sein. Vorbei an dem Pöbel, der den schnöden Uferweg läuft? Jeder sieht sofort, dass man Knete hat, der ultimative Potenzbeweis. Ein bisschen Geschmack auch, das KFZ als Zitat an die Generation Golf. Die haben schön vorgelegt mit Leben verschwenden. Dazu ein Polohemd von Tommy Hilfiger. Wer Hügel besteigt, muss ein ganz schöner Bringer sein. Elefanten vergewaltigen Nashörner, das ist die Ordnung der Natur. Vidi Vici Veni. Der Snob ist ein Elefant. Die unbedingt dick gerandete Ray Ben Sonnenbrille sitzt perfekt, 100% UV- und Untermenschenfilter, 339,90. Parfum: Hugo Boss. Lieblingsdichter: Hugo Boss. Alles am Snob strahlt Exklusivität aus – und gleichzeitig Zugehörigkeit. Der Freiburger Student hat vor Schnipsmelden fast einen Krampf bekommen: postmoderne, sich bedingende Gegensätze. Der widerspricht sich selbst, wenn er es nicht tut. Der Snob will so gerne besser sein, schafft das aber nur über andere Zugehörigkeiten. In seinem Vierzilynderkopf trägt der Geldadel bestimmte Marken. Sein Horizont erstreckt sich bis zu den Steifen seines Hemdes. Was an Persönlichkeit mal da war, verbarrikadiert er hinter Firmen, die ihm die Charaktereigenschaften vorgeben. Hilfiger: Gesetzt, Ray Ben: Stecher, VW GOLF 1 Cabrio: Player. Das einzige, was der Snob nicht kann, ist aus seinem Charakter schöpfen. Wie der American Psycho, ist er ganz einfach nicht da.



Und das weiß er. Ganz versteckt in seinem Hinterkopf frisst ihn das auf. Wie das Koks, dass er sich im Edelclub H1 ins Hirn schießt. Das weiß er, während er wie ein Truthahn auf Balz im Cox seine geschmorten Seeteufelbäckchen in Tomatenbutter auf Safran-Zucchini-Risotto in sich rein schaufelt. Das wird Octave schmerzlich bewusst, wenn er alleine Zuhause bei laufenden Pornos, auf einem Berg aus Crushed Eis zusammen bricht. Der Vodka schaltet die Impotenz und Existenzangst vor die Pornos. Von Weltverschmutzern bleibt nur Dreck.


Deswegen ist er allergisch gegen den offensichtlichen Unrat. Selbstzweifel lassen keine Unregelmäßigkeit zu, Oberflächen müssen glatt sein wie Merkels Politik. Niemals lässt er sich an der Reeperbahn blicken, dem Hort des Abschaums. Wo früher Seile geflochten wurden und Matrosen soffen, werden heute Rohre verlegt und Touristen saufen. Bis auf die Nutten sind dort alle viel zu alt für seinen Coolnessgrad. Zu viel Schlagermusik für eine Stadt. Eine Sechzigjährige, die ihm im Handschuh in der Bergstraße ihre vodkadurchsuppten Pommes anbietet, würde sein Ego auf Wochen verkatern. In den kleinen Clubs nebenan kann der Pöbel ungehindert ein- und ausgehen. Kein Eintritt, keine Security, kein VIP-Bereich. Alle auf Augenhöhe, man braucht nur noch das Bier abziehen und es ist Kommunismus. Da kann man gleich in den Pudel gehen und in den Hafen kotzen. Selbst die Prostituierten kosten nur 30€! Das zieht er doppelt durch den linken Nasenflügel. So viel will sein Escort für ein müdes Lächeln. Und diese widerwärtige Freiwilligkeit: Selbstbestimmt sind sie hier, können gehen, müssen nur Deutsch können und gesund sein. Selbst an der, von beiden Seiten vor Glotzern geschützten, Herbertstraße bekommt man keine Sonderbehandlung: Die Frauen schreien wie auf dem Fischmarkt. Ihn würden nicht einmal die wie Toaster bei Karstadt stehenden Frauen beklemmen, Zeit ist nicht nur Geld, Fleisch ist Geld. Ihm fehlt das Publikum.


Da kann er noch so sehr posen. Der Snob ist umso weniger, desto mehr er vorgibt. Das Extrem lebt passenderweise in einem schicken Hamburger Vorort: Tötensen. Noch offensichtlicher kann der Allmächtige keinen Mordaufruf starten, inshallah. In seiner Jugend überkam ihn kurzzeitig eine Klarsichtigkeit: eine Zeit lang war er Genosse der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend und kurzzeitig Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei. Dann muss er sich so viel Koks rein gefahren haben, bis er auf die absolut dunkle Seite gewechselt hat. Modern Talking. Ja, Dieter Bohlen war Kommunist. Unglaublich, aber Hitler war auch Künstler. Beide wollten ab einem bestimmten Punkt nur noch zerstören. Hitler Zivilisationen, Bohlen Charaktere. Wenn er bei der nächsten Superstardelei Provinzische, die mit Ach und Krach die Baumschule geschafft haben, auseinander nimmt, lebt er seinen Hass aus. Hass auf jeden, der noch halbwegs einen Charakter hat, und sei es nur der einer Bushaltestellenwerbung. Immer noch besser als ein, aus falschen Haaren, falscher Lederhaut, möchtegern Markenuniformen, kurz, aus Kaufeigenschaften zusammengesetzter Kasper zu sein. Snobs sind die Elbphilharmonien der Charaktere. Bohlen ist der Snob mit Verstärker, er kann so laut plärren wie das Nichtego es verlangt.


Der Snob ist ein kläglicher Wicht. Nicht nur, dass es sich nach den 80ern mit ihm eigentlich hatte. Nein, haben wir probiert, hat nicht funktioniert. Er hat die grauenhaftesten Föhnfrisuren und die unmenschlichste Denke hervorgebracht. Der Snob hat so viel Angst vor der Gegenwart, dass er sich lieber in die pseudo 80er zurück beamt. Er sagt ja zum Konsum, dem einfachsten aller Wege. Sag ja zur Mastercard Gold, sag ja zur schwarz gehaltenen, schwarzen Haushälterin, die du in der Dunkelkammer durchlädtst. Sag ja zu sündhaft teuren Armbanduhren die zeigen, dass die Zeit dich nicht alleine lässt. Sag ja zu einem maximal kruden Oberflächenkonservativismus, sag ja zu Karos und Streifen, sag ja zu House Musik und zu schmerzlich weißen Hosen, sag ja zu hochgestellten Krägen, sag ja zum Leben. In Angst. Sag ja zu einer völlig druchkommerzialisierten Stadt. Sag ja zum großen Dorf. Sag ja zu einer Welt, die nur noch aus Autobahnen und Wohnmaschinen besteht. Sag ja zur ultimativen Provinz.


 

 

2. Saarbrücken: Heroinpoeten und gutes Essen

 

 

„Die Leute denken immer, dass das alles nur Elend, Verzweiflung und Tod und so'n Kack ist. Was man natürlich nicht alles so abstreiten kann. Aber was die immer vergessen ist, was für einen Spaß das alles macht. Sonst würden wir's doch nicht machen. Wir sind ja schließlich nicht bescheuert. Jedenfalls nicht ganz so bescheuert."

 

- Trainspotting

 


Hinter den sieben Bergen liegt Saarbrücken. Nach der gewundenen Autobahn, die mittlerweile so viele Löcher hat wie die typische saarländische Landstraße. Ein Drittel von denen könnte man gleich nach Somalia exportieren. Bei den sieben Zwergen liegt Saarbrücken. Die sich vor den Riesenpfälzern verstecken. Helmut Kohl sollte diese Berge nie bezwingen. Sonst hätte er sie alle zu Mittag gegessen und noch Nachschlag verlangt. Die Saarländer hassen die Pfalz, denn die Pfälzer sind als einige der wenigen noch stulliger. Außerdem wohnt da der Horror in Form von Lektionen in Demut: Thomas D. Das Saarland ist abgeschnitten vom Rest der Welt, und das ist auch gut so. Findet der Rest der Welt. Frankreich grabschte es sich nach dem Zweiten Weltkrieg, merkte aber schnell, dass nicht viel zu holen war. Kapitalismus schlägt Nationalismus. Nachdem die Kohle ausblieb, Erdbeben wegen Bergbau á la Kongo anfingen und Häuser in die Schluchten stürzten, ließ Frankreich eine Runde Armutsdemokratie springen. Die Saarländer durften wählen und heim ins Reich. Das wiederum war medium begeistert von dem maroden Zwergstäätle. Die BRD hatte düstere Vorahnungen, und sie sollte recht behalten. Das Saarland bescherte ihr die pro Kopf größte Pornoproduktion in Neunkirchen. Das ist eine Stadt, die so aussieht, als wäre sie nicht nur von allen guten, sondern auch von allen bösen Geistern fluchtartig verlassen worden. Überall gähnen leere Schaufenster und warten vergeblich auf Einzelhandel. Der hat sich schon lange in die JWD Logistikzentren verkrochen und spricht mit ungeliebten Ehemaligen wie Zweibrücken nur noch via Amazon. An Künstler zum Wiederaufbau ist nicht zu denken, es gibt nicht mal mehr Nachwuchs. Dass die überhaupt noch Pornos zustande kriegen, ist wahrscheinlich nur dem Influx aus Osteuropa zu verdanken. Und Westeuropa, namentlich Frankreich. Die haben noch 'ne Menge Liebe übrig...


Saarbrücken sieht aus der Ferne tolerabel aus. Aus einem bestimmten Winkel. Zwischen der Kurve mit dem alten bröckeligen- und dem neuen bombastischen Kraftwerk. Neben der ins Nichts führenden Autobahnbrücke, dem poetischsten Ort der Stadt. Nein, nicht zu nah ran. Wenn man durch die Mitte fährt, da geht die Autobahn lang, sieht's wieder echt scheiße aus. Da sieht man nur schlimmsten, französischen 50er Jahre Betonmodernismus. Nein, grau ist kein Lebensgefühl, auch nicht mehretagige Promenaden mit Angstzonen an maximal vielen, dunklen Ecken. Da fühlen sich nur Junkies und Penner wohl. Aber hey, schön viel Parkraum! Was will man mehr von einer Stadt? Außerdem haben die Autos Meerblick. In der Türkei kann man auch Friedhofsplätze mit Deniz Manzarali kaufen. Die sind zwar sündhaft teuer, aber den Toten ist das sicher wichtig. Und das Auto ist immer noch des Deutschen liebster, lebloser Gegenstand. Ob gestandener Mann oder schön gleichberechtigte, ellenbogende Managerin: Jeder darf einen großen Teddy aus Metall haben.


Die zentrale Fußgängerpromenade ist nicht viel besser. Die sieht exakt so aus wie in allen anderen Städten West- und mittlerweile Ostdeutschlands. In keiner Fußgängerzone darf ein Media Markt fehlen. Ich bin doch nicht blöd? Wahrscheinlich schon, wenn du deinen Elektroschrott hier für teueres Geld kaufst, bevor er nach ein paar Monaten im Internet nur noch ein Viertel des Preises kostet. Karstadt, H&M und Rossmann teilen sich wie Gangs das Territorium der Süchtigen auf. Der Kapitalismus liebt Abhängige, so lange sie sich benehmen. Im Laufe der Jahre sind sie immer ruchloser, immer trashiger geworden. Wo früher noch ein Bäcker war, ist heute nur noch eine Backfactory, wo ein Café war, ein McCafé. Den Schwächsten, Schlecker, haben sie gefressen wie das große Eulenbaby das kleine. Je weniger es zu holen gibt, desto erbitterter wird der Kampf. Die Leute gieren nicht unbedingt nach einkaufen, sie gieren nach Ereignis. Klar, Saarbrücken ist die Metropole des Saarlandes. Und um das Saarland kommt bis Metz und Kaiserslautern erst lange nichts. Wobei Kaiserslautern nicht als nichts zu bezeichnen, gewagt bis heldenmutig ist. Aber selbst in Saarbrücken D.C. passiert absolut nichts. Man kann sich fett vor den abgeranzten Hauptbahnhof setzen und da ist nichts. Schlechte Döner, verschämte Sexkinos, provinzielle Clubs. Da muss man schon Nazi werden, einfach um sich wenigstens über die Ausländer aufregen zu können. Oder in Phantasiewelten flüchten.


Der St. Johanner Markt ist das einzige, was man ohne rot zu werden als tuffig bezeichnen könnte. Zwar nichts, was die durchschnittliche süddeutsche Kleinstadt nicht bieten könnte, aber nach all den Kraftwerken und Malls entspannend. Die Autobahn zerteilt Saarbrücken im Zentrum und drei Seiten Scheiße: Malstadt („Molstddd“), das Ghetto, gegenüber und zum sterben öde Alt-Saarbrücken. Da harren soziophobische Burschenschaftler in alten Fachwerkhäusern aus und versuchen verzweifelt mit subventionierten Zimmern, Nachfolger zu werben. Die können mit in den Saufkeller, wo nach dem kotzen weiter gesoffen werden muss. Ganz große Tradition. Oder der Landtag, der so verschlafen ist, dass der Typ, der in einem aus Gentrifizierungsgründen nicht näher genanntem Park einen Coffeshop eröffnen will, sich eine Gewerbeanmeldung für's Gras verkaufen holen konnte (die er unverständlicherweise wieder zurück gab). Man kennt sich im Saarland. Und ist berüchtigt für Kriminalität. Obwohl die Stadt dank des Industrieabfucks relativ links ist, schaffen es die Saarländer so derbe zu misswirtschaften, dass sich selbst die FDP mit Grauen abwendet.


Alles weiter draußen an der Autobahn ist no man's land, in Tälern auslaufende Stadtraupe. Da geht man nur zum Sterben hin. Oder um Häuser zu sehen, die so pechschwarz sind wie zu den schlimmsten Zeiten der Industrialisierung. Hinter den toten Fenstern wird ab und zu ein von der ganzen Familie vergewaltigtes Kind raus gezogen, was eben so passiert, nach 50 Jahren kapitalistischer Zwangsverflodderung. Selbst Maahlstadt ist nicht mehr richtig übel, es ist nur übel belanglos. 50ct-Läden sind so gangster wie es hier wird. Die Häuser sind abgefeilt und typisch süddeutsch beklemmend: Kleine Fenster, niedrige Decken, was zum Murkel stapeln. Im Niemandsland zwischen Bahnhof und Molstddd leuchtet der Club N8Werk bedrohlich blau. Der ist,was dabei raus kommt, wenn eine Kleinstadt urban sein will. Das ist so übles VIP-Gewichse, dass man schon beim Türstehersteroidporno kotzen muss. Drinnen wird es nicht viel besser, das Silikon ist noch die cleverste Masse. Haufenweise Leute zucken minimal zu rhythmischem Störgeräusch. Keiner kommt aus der Reserve, alle klammern sich an ein Bild von Mainstreamgeilheit, das von ihrem verstörendem, verstörtem Charakter ablenken soll.


Was hat Saarbrücken also Besonderes? Wieso sollte man nur ein Wort darüber verlieren und nicht lieber über Las Vegas abgehen? Weil das Reno Deutschlands ein Geheimnis hat. Ein dreckiges Geheimnis. Und das sind nicht die Nutten, die sind offensichtlich. Da in Frankreich sexuelle Prohibition herrscht, schwappen Nutten über die Grenzen, Flatratebordelle schießen wie Pilze aus dem Boden. Dazu noch die abartig gute Autobahnanbindung für den Truckerinflux und fertig ist ein klein wenig Urbanität durch Elend. Saarbrücken ist für seine bescheidenen 250.000 ziemlich zersiedelt hausenden Einwohner erstaunlich dreckig. Nicht nur direkt an der Grenze stehen die Käuflichen, sondern auch im Dichterviertel. Der einzige Ausblick, der den Villenpreis nicht hoch treibt. Das würde Kant sicher trotzdem freuen. Sie stehen überall wo kein Karstadt mehr Ordnung halten kann, oder es sich nicht mehr lohnt. Es gibt erstaunlicherweise Dönerbuden, die sich bis spät in die Nacht halten und Suff ausgeben, billige und hinreichend schlechte Pizzas hinterm St. Johanner Markt und die eine oder andere annehmbar unpretentiöse Bar wie die Tante Emma. Die Sprüche sind für Saarländer erstaunlich clever. Der Kondomautomat verkündet: „Das ist das beschissenste Kaugummi ever!“. Der Händetrockner: „Für eine Ansprache von Merkel Hände hier hin halten“.


Es muss also echte Menschen hier geben. Leute, die mehr Ziele haben als Eigenheim, Eingenkfz, Eigenfrau und Eigenkinder. Überhaupt, wo kommen die ganzen Youngster her? Hinter dem 8.Berg, eine für die Strecke quälend lange Busfahrt vom Central Business District weg, liegt die Uni. Die ist ein Traum der Nachkriegsarchitektur. Neben einer verschlafenen Kaserne wurden Betonklötze in den Wald gehauen, als käme das Atomkraftwerk gleich hinterher. Die faulen wunderbar im saarländischen Feuchtklima. Du weißt, dein Baustoff ist minderwertig, wenn die netteste aller Pflanzen ihn auffrisst: Moos. Es bröckelt, tropft rein und zieht wie Hechtsuppe. Aber es gibt für viele Fächer keine Beschränkung. In Saarbrücken kann man anfangen zu studieren und sich später in einer richtigen Stadt rein schummeln. Dann ist man fertig, bevor man dort nach den Wartesemestern anfangen könnte. Leider stellt die gnadenlose Klüngelei der Saarländer sicher, dass man ohne Freundschaften mit den Dozenten, mit Option auf Hochvögeln, auf lange Sicht keine Freude da hat. „Es ist nichts so absurd, dass Gläubige es nicht glaubten. Oder Beamte täten.“ Das absolute Highlight ist die Mensa: Aus dem Möchtegern Corbursiers Kantenschloss blickt man über eine 350 Grad Waldidylle. Die zehn Grad sind den Blöcken geschuldet. Das Essen ist unschlagbar billig und gut, im Saarland gilt: Hauptsache Gut`Gess. Eintopfwurst kommt keinem Saarländer in die Tüte. Nicht umsonst wurde hier der Schwenker erfunden, der absolut optimierte Schwenkgrill. Das Saarland stellt regelmäßig den Grillweltmeister und imperiert so über die Restwelt in Form von Fleischbraten. Zum Glück essen die Deutschen mit 90kg im Jahr nur 5kg weniger Gemüse. Und meckern wenn sie Krebs kriegen.


Ansonsten, man muss es leider sagen, sind die Saarländer ziemlich stulle. Sie sind nett, gutgläubig, und was selten ist in Deutschland: genussfähig. Aber sie sind konservativ, engstirnig und heimatverklemmt. Ihr Bastard aus deutscher und französischer Sprache ist im Bundesausland unverständlich, Erfahrungen sind also nicht drin. Wenn man das kombiniert, kommt der Typ heraus, der einem auf der Uni zwangsläufig unter kommt. Er ist das dreckige Geheimnis der Stadt: Der Poet.


Saarländer sind gerne sehr empfindsam. Es kann passieren, dass auf Partys gestandene Männer anfangen zu heulen. Als Gott Männer schuf, übte sie nur. Das macht man so nahe am Land der Liebe so. Jeder, nur ansatzweise durch preußische Zucht emotional Verunstaltete, bekommt da Zuckungen. Schlimmer: man darf Poet sein. Nicht mal mehr gerappt, sondern wirklich mit vorlesen und so. Mit viel Gefühl und – wichtig – tiefer Einsicht in das Wesen der Dinge. Und das ist irgendwie toll und mächtig erhaben, auf keinen Fall aber profan, hässlich und dumpf. Der Poet geht zur Uni, da sitzt er dann meistens. Sagen muss er nicht so viel, der Weltschmerz lässt sich eh nicht in Worte fassen. Außerdem bräuchte er ein Megaphon um die ganzen Altchen zu übertönen. Die nutzen die Offenheit der Uni für Sozialtheater. Hier redet zwar auch keiner mit ihnen, aber alle müssen zuhören. Alle müssen hören, welchen senilen Quatsch sie für Altersweisheit halten. Ein aktiver Beitrag zum Generationenhass.


Hass liegt dem Poeten wie alle profanen Emotionen fern. Höchstwahrscheinlich gibt er sich mit der Stadt nicht ab und wohnt in einem Haus auf dem Saarland. Haus auf dem Land nicht im Sinne von Miami, oder wenigstens nur Taunus. Das Saarland ist so gnadenlos zersiedelt, dass an jeder Ecke eine geduckte, verwinkelte Bruchbude steht und auf den Gnadenschuss wartet. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der nächste Nachbar nur einen Steinwurf weit weg ist, direkt an der nächsten Autobahnauffahrt. Den Kraftwerksschornstein kann man sich aus der Ferne ansehen. Da sitzt der Poet und schreibt. Manchmal. Eher selten. Denn meistens hat er was Besseres zu tun: Heroin drücken.


Poeten findet man leider überall, aber nur im Saarland wird man auf den speziellen Abart Heroinpoet stoßen. Wo sonst bekommt man in der Provinz so problemlos Drogen? Dass Saarbrücken das Mekka der Unbefriedigten aus dem Westen ist, hilft da sicher weiter. Auch, dass Prostitution nur so freiwillig sein kann wie Ausbeutung im Kapitalismus ist. Wer würde sich nicht bis zur Hutkante zuknallen, wenn er täglich mehr Schwänze in sich drin hätte als der durchschnittliche Ministrant? Drogen allein sind nicht die Lösung. Und nicht das Problem. In Saarbrücken kommt eine üble Mischung zusammen: Fehlende Information aus Gründen der traditionellen Stumpfheit und üble, alles zerfetzende Langeweile. Es bleibt nicht viel, wenn man nicht gerade als Student jedes Wochenende in die Garage geht, oder die erstaunlich zahlreichen Freaks und Punker ein Silo für eine zehnstöckige Kunstausstellung besetzen. In Saarbrücken findet man sich nach ein paar Monaten in der Situation, 200km für eine Party fahren zu müssen. Das ist der Zeitpunkt zu gehen.


Menschen, die normalerweise kiffen würden, fahren sich hier Speed rein. Und das zu Tätigkeiten, so es überhaupt keinen Sinn macht. Mal einem Filmabend auf Speed beigewohnt? Ungefähr so entspannend wie im Kinderplanschbecken zu tauchen. Selbst das völlig zu vernachlässigende Zweibrücken hat seine Bahnhofjunkies. Die typisch angegangsterten Jugendlichen, die sich so ihre eigene Bronx herbeamen. Der Heroinpoet ist keiner von denen, der hängt nicht am Bahnhof ab. Sozial ist er so gut eingegliedert wie man es sein kann, wenn man jeden Tag 60km über flache Sepentinen nach Hause fahren muss. Der hat saubere Spritzen und eine (Zweit-)Freundin, seine erste bleibt Heroin. Nicht umsonst heißt das Zeug Heldin. Trotzdem ist er kein Junkie. Man könnte denken, vor dem Heroinverbot 1958 kamen Leute auch mit dem Hustensaft klar. Bauten die deswegen so furchtbare Passagen? Klar kommen ja, aber bringt einen das wirklich weiter? Die meisten Heroinabhängigen sind wie Verheiratete: Mit der Zeit wird der Lebenspartner das Leben. Dominiert, löscht aus, verödet. Es kommt darauf an, was man vom Leben will, aber Saarland und Heroin in den 20ern: Das ist bei aller persönlichen Freiheit ziemlich hart.


Das Problem des Poeten ist: Es gibt die Wahrheit nicht. Es gibt die Weltenseele nicht. Und schon gar nicht seinen privilegierten Zugang. Wenn das die Lösung ist, hätte er gerne sein Problem zurück. Das Leben ist ein grausam automatisches Gebären und Sterben. Das ist so poetisch wie eine Mastfabrik. Andere Poeten haben das früher erkannt:


Das Fräulein stand am Meere

Heinrich Heine (1797-1856)


Das Fräulein stand am Meere

Und seufzte lang und bang,

Es rührte sie so sehre

Der Sonnenuntergang.


„Mein Fräulein! Sein Sie munter,

Das ist ein altes Stück;

Hier vorne geht sie unter

Und kehrt von hinten zurück.“


Den Sinn den der Poet sucht, gibt es nicht. Das Heroin kann den sicher gut vorspielen, macht es aber keinesfalls besser. Denn was will er? Er will erinnert werden. Wie Arno Schmidt in der ultimativen Provinz Bargfeld in der Lüneburger Heide: Schreibt sein ganzes Leben völlig krude Hiroglyphen in viel zu große Bücher. War aber hinreichend elitär, um den Zeitgeist der 50er zu treffen, und schwupps, mit schwungvoll geschriebener 50er Jahre Schrift, war er berühmt. Er konnte danach jahrelang in 20-stündigen Arbeitstagen „mit Worten der Welt bemächtigen ", bis ihn ein Hirnschlag wegraffte. Neben dem Arbeiten soff er wie ein Loch. Es half alles nichts, er ist jetzt genau so tot wie der letzte Wichser. Der letzte Hartzer, wenigstens bekommt der da das Gleiche wie die anderen. Wer Ruhm will, möchte in Wahrheit nur lieb gehabt werden. „Man“, werden sie sagen, „Poetoboy war so klug, so schön und so verdammt tiefsinnig.“ Das Zeitmagazin wird einen Artikel springen lassen und den Designpreis bekommen. Das alles wird aber nichts nützen, wenn dem Poeten six feet under das Hirn zu Kompost wird. Vor Religion hat er keine Angst: „Wenn ich tot bin, soll mir mal einer mit Auferstehung oder so kommen: ich hau' ihm eine rein.“ Seine Angst ist die des Vergessenwerdens, die der Bedeutungslosigkeit. Nirgends kann man die besser nachvollziehen als im Saarland. Wo jeder Hügel nicht weit weg ist und dahinter noch mehr Häuschen und noch ein Hügel. Wo die Leute sich aneinander huddeln um sich vor der großen Welt zu schützen. Doch es hilft alles nichts. Ein übersteigertes Ego, das bringt einem auf die Dauer nichts außer Süchte und Psychosen. Man kann das mit Schmidt rechtfetigen: "Männer, die keine Süßigkeitn mög'n, die sind nich' treu.“ Trotzdem bleibt man der letzte Wichser.



 

3. Baden-Württemberg: Lebensart auf Abwegen


„Die Antwort ist 42. Oder Baden-Württemberg.“

- Endlich mal lustige Eigenwerbung.


Wieso nicht gleich weiter nach Baden? Schwaben fliehen in Massen nach Berlin, Badener nicht. Steht da ein Topf Gold? Drei Wege führen an den Schwarzwald. Der Erste führt durch den sich pompös „größtes zusammenhängendes Waldgebiet Deutschlands“ schimpfenden Pfälzerwald. Pompös ist da nichts. Die ganze Gegend ist schon geographisch auf Mittelmäßigkeit angelegt: Kleine Hügel mit engen Tälern. Ein Nährboden für Engstirnigkeit. Ab und an die Abhänge gedrückte Dörfer. Aus der Bahn passabel anzusehen. Die kappt jetzt die unrentablen kleinen Strecken, ist ja nicht so als würden gerade da auf die Bahn Angewiesene wohnen. Rentner im Dorf sind weniger wert als Rentner in Knotenpunkten. Vielleicht sollte die Bahn in ein Raumschiff investieren, alle aus den Dörfern einsaugen und z.B. in Eisenhüttenstadts leeren Platten ausladen. Da können sie von polnischen Neosklaven billig betreut werden und der Staat muss noch weniger in Menschen-, und kann noch mehr in Banken inversieren.


Der zweite weg führt über die Straße. Die ist gewunden und beglückt den Reisenden mit Frost zu Jahreszeiten, wo man versehentlich schon kurze Hosen angezogen hat. Ganz nah fährt man an den roten Sandsteinhäusern vorbei. So nah, dass die drinnen das Zylindernageln im Kleinhirn hören müssen. Nichts ist deprimierender als im Nirgendwo, aber direkt an der Straße zu wohnen. Außer Psychiater zu sein, die bringen sich doppelt so oft um wie ihre Patienten. Es ist laut und einsam, die Nachteile von Stadt und Land unglücklich vereint. Da bleibt dir nur,mit dem Krach Freundschaft zu schließen. Die anderen im Dorf verfügbaren Buddys Alkoholismus, Religion und Selbstmord sind noch schlechtere Gesellschaft.


Es kann einem passieren, dass desorientierte Rentner aus den Hügeln auf die Straßen kullern. Die haben sich verlaufen und sind wahnsinnig nett. Wäre ich auch, wenn ich das letzte Mal im Leben Menschen sehe. Selbst wenn nicht: Es ist diese Form der Überfreundlichkeit, die ihren Ausgleich braucht. Die wählen heimlich CDU und lassen willentlich Negerlein verhungern. Vielleicht sind sie nicht bösartig, sondern schlicht unwissend. Aber, wir wissen vom deutschesten aller Fetische: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Die Rentner kommen in Mülltüten an.


Der Wald endet an der wunderbaren A5, die den Motoristen von Karlsruhe an der Arterie Badens, dem Rhein, bis runter nach Freiburg führt. Zum Glück ist die privatisiert worden. Ein egomanischer Politiker konnte so Budgetsperren überwinden und sich trotzdem von den Konzernen schmieren lassen. Eigentlich kann man den ruhig beim Namen nennen: Es war Gerhard Schröder, natürlich mit Schützenhilfe von Merkel. Jetzt ist sie laut Konsump nicht nur einen zweistelligen Millionenbetrag teurer, die bauende „via solutions“ musste die Arbeiten wegen Finanzierungsschwierigkeiten einstellen. An ihrer behinderten 1990er Website haben sie das Geld jedenfalls nicht verbraten. Zum Glück springt der Bund ein! Der Ausbau ist nicht nur teurer, sondern dauert auch viel länger. Man kann sich schön den Schwarzwald ansehen, während die gute volksdeutsche Wertarbeit unter der Haube Unterforderungsdepressionen bekommt. Geht's wieder voran, kann nach ein paar Kilometern wieder an einer der zyklisch wiederkehrenden Baustellen gebremst werden – und das mindestens fünf Mal. Man zahlt nicht nur mit Lebenszeit, sondern mit den ganzen Begasten um sich herum, gerne in Blech und Blut. Ein Hoch auf liberalisierte Infrastruktur! Wenigstens gewinnt man so keine Kriege.


Das will der Badenser nicht mehr. Seit das gegenüberliegende Elsass aus dem Reich gestohlen wurde, ist man hier an der Grenze zur Exotik. In Schwaben, dem Erzfeind, Hessen oder der Südheide erstickt einen der kleindeutsche Mief. Hunderte Kilometer in jede Richtung nichts als die gleichen Waschbetonfressen, die gleiche Angst, die die Seele auffrisst. In Baden weht ein Lüftchen aus Frankreich rüber. Man gibt sich entspannt, genießerisch, und zuweilen sogar tolerant. Die bis zur Unkenntlichkeit verhuntzelte Sprache kann selbst Beleidigungen nett rüber bringen: „Du bisch doch schon imma än Schusselkepf gsi, gell?!“ Alles klingt ein bissl spitz und fröhlich. Badenserisch ist Puppenhaussprache, maximal ist es bräsig. Eigentlich hat Baden prima Voraussetzungen.


Das südliche Rheintal ist die Toskana Deutschlands. Hier wächst alles, plus Melonen. Handgroße Grillen brazen durch die Gärten und fliegen einem gegen die Stirn. Im Wald kann man sprinten üben, nachdem man in Hornissennester getreten ist. Nur schnell und nicht allergisch sein, sonst steht Sport und alles andere nie wieder auf dem Plan. Gefährlicher wird es nicht. In der Ortenau, dem Abbild naiver Malerei, ist das Schlimmste noch wahr. Wieso? Weil da Russen leben (sollen). Und der Kaiser sagte: „Da müsste man nur ein Zelt d'rüber spannen, dann wäre es der größte Puff Deutschlands.“ Mondän geht es noch immer in Baden-Baden ab. Das ist, wie der Name suggeriert, das Badenkonzentrat. Noch reicher, noch kuriger, noch idyllischer. Eine Kleinstadt am Hang des Schwarzwaldes, zwischen Quellen und Reben. Rentner rennen den Schlössern die Bude ein und spielen abends im Casino. Badenser sind pfiffige Geschäftler und profitieren gerne und viel von frankreichs Prüderie. Während die Saarländer sich um den Menschenhandel kümmern, leisten sich die Badenser Glücksspiel. Doch die Zeichen der Unzeit haben Baden-Baden eingeholt. Genussländle? Am Arsch. Wer in die Stadt fährt, prallt fast gegen ein fettes rundes UFO. Edeka Baden-Baden: Kein Supermarkt hat mehr Gourmetpreise gewonnen. Nach der goldenen Himbeere muss das der erniedrigenste Preis sein. Heute ist Baden-Baden traurig, wenn Putin traurig ist. Denn reiche Russen sorgen für den Löwenanteil des Geschäfts. Wer ist jetzt die Nutte?


Eine Kameltagesreise südlich liegt Offenburg. Die Stadt ist in ihrer Durchschnittlichkeit bis zum Anschlag repräsentativ für die Region. Das einzig Besondere ist, dass der ICE hier hält, eine Hommage an Zeiten, in denen die Bahn noch Arbeit bot und für was gut war. Eine Uni gibt es nicht, könnte ja noch die Revolution aufkommen. Der Burdaverlag thront über dem Industriegebiet. Ein Mahnmal, dass der Reichtum auf Luft, oder eher Gossip gebaut ist. Trashmagazine wie „die Bunte“ generieren mehr Umsatz als der gesamte Rest des seriösen Geschreibsels zusammen. In der unauffällig hübschen Altstadt präsentieren Samstags die Bäuerli aus dem Umland, was sie so der Erde abbringen konnten. Die üblichen Shoppingklötze stehen teilnahmslos daneben. Hier haben die noch die Namen der Betreiber. Der größte, passenderweise Spinner. Nebenan gastiert der Hamburger Fischmarkt. Der ist als real gewordener Cartoon minimal gehaltvoll und maximal abstoßend. Fisch hat mit Offenburg so viel zu tun wie Bomben mit Frieden. Wenn dazu selbsternannte Schlagerstars Hafenlieder lallen, muss sich jeder, der nicht um 12 schon sternhagelvoll ist, auf die Bäume retten. Und dafür ist das Leben für die Meisten hier noch zu gut. Hinter dem Bahnhof ist eine vollgepinkelte Passage, ein erträglich aber nicht ängstigend abgeranztes Altbauvirtel, mit nicht zu vielen Ausländern. Auf der anderen Seite, zum Berg hin, wird es wohlständiger, bis man in Dörfer wie Zell Weierbach kommt. Die sind als Kloster gegründet worden. Mönche rodeten den nervigen Wald, um Wein anzubauen und sich einen anzwitschern zu können. Das sich drumherum entwickelnde Dorf blieb, wie so viele, im Kleinkindstadium stecken – bis vor ca. zehn Jahren. Da entdeckten die Offenburger das Dorf und zogen hin. Das schlimmste Schicksal war ihm beschienen: Vervorstädterung. Penny tötet die kleinen Läden, Ergokinderbuggys verdrängen Traktoren. Sell. Death. Nothing personal. Noch immer bringen die Bauern ihre Traben in die Winzergenossenschaft, aber manchmal kommen sie vor Touribussen kaum mehr durch. Die Degustationssaison geht nahtlos in den Vorweihnachtstourismus über. Dass eine Genossenschaft so ziemlich das unbadischste, kommunistische Herz des Dorfes war, fällt keinem mehr auf.



So poliert die badener Fressenfassade auch ist, es kracht im Gebälk. Schön ein kleines Schild kann zum Drama werden:


„Dass ein großes touristisches Hinweisschild an der A 5 Gengenbachs Vorzüge anpreist, Offenburg aber außen vor bleibt, ist der Stadt ein Dorn im Auge. Jetzt bemüht sich auch das Oberzentrum darum, ein solches Schild zu ergattern. Unklar ist bislang, für welche touristische Sehenswürdigkeit geworben werden soll. Es wird noch geprüft, welche Sehenswürdigkeit, des an touristischen Highlights nicht gerade reich gesäten Offenburgs, auf dem Schild stehen soll. Beste Chancen hat die Demokratie-Gedenkstätte Salmen, aber auch die Kreuzkirche, oder ein Hinweis auf die Weinberge sind laut Pressestelle

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 12.02.2016
ISBN: 978-3-7396-3741-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Georg Bücher.

Nächste Seite
Seite 1 /