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Höllenwerk

Dieses Buch enthält Szenen der Gewalt und sexuelle Darstellungen, die für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet sind!

Dieses Buch ist eine Satire!

 

 

Albert Mellander

 

 

DER WAHNTÖTER

 

Ein krimineller Kurzroman

 

Band III: Höllenwerk

 

 

 

Menschenknochen lagen über den gesamten Grillplatz verstreut. Dicht an dicht im Innenhof einer Fabrikruine. Skeletteile waren es von mehreren Dutzend Menschen. Sämtliches Gebein war zerhackt, zertrümmert, zerbissen, zerbrochen: Schädel, Kinnladen, Beinknochen, Rippen, Beckenstücke… Der größte Teil der menschlichen Überreste bestand aus blanken, ausgeblichenen Knochen und lag einige Jahre schon; andere Skelettstücke aber waren frischer...

Der Grill, ein Eigenbau, war ein schlichtkantiges Ding und völlig verrostet. Ebenso die grob zusammengeschweißte Schwingsitzbank, darstellend eine so genannte Hollywoodschaukel.

Unter ihrem zerfetzten Sonnendach saß, sacht sich schwingend, ein Mann. Mitten in jenem grausigen Gebeinkreis. Mitten im Schneegestöber. Im Schwarz seiner hochgeschlossenen, doppelreihigen Uniform; so in Schirmmütze und Reitstiefeln, hätte man ihn gut für den Fahrer eines eleganten Leichenwagens halten können. Doch er war bewaffnet. Denn er war Egon Markwart, der Wahntöter. Zusammen mit Edina Sawall, seiner attraktiven Adjutantin, stellte er das geheime Sondereinsatzkommando für Ritualtat, Serienmord und außergewöhnliche Verbrechensaufklärung.

Einige Schritte umhergehend, Blicke und Gedanken schweifen lassend, versuchte sich Markwart in die kannibalischen Abgründe des Geschehens zu versetzen. Skeletteile von mehreren Dutzend Menschen! Anzeichen von Kannibalismus! Und ein Tatort, der jedes vorstellbare Maß an Grauen überschritt! So die ersten Erkenntnisse der Spurensicherung.

Der Grillplatz präsentierte sich wie auf einer Bühne. Auf einmeterhohem Betongeviert. Eine breite Rampe führte hinauf. Verschmierte Soßenflaschen und Senfgläser standen umher. Überall lagen Plastikgabeln und Pappteller.

Markwart schnaufte. Denn jener Ort war keine Ritualstätte des Kannibalismus, sondern ein Schlachtblock primitivster Menschenfresserei!

Gleich einem apokalyptischen Fährtenleser hockte Markwart da. Von Skelettbruch umringt. Von Kälte umweht. Grau und trostlos zerfloss die ihn umgebende Fabrikruine in die Fahlheit des Winterwetters. Treppen, Laufstege, Blechdächer, Produktionsanlagen – verrostet, eingestürzt, verbogen – umlagen die Gebäude wie die Leichengerippe riesiger Insekten. Einzig der Schornstein war dem Zerfall der Zeit entgangen und schien – gleich einem Wahntöter – unsterblich zu sein...

 

Im Hintergrund standen Polizei und Spurensicherung neben ihren Fahrzeugen. Angeführt von Vogt, dem offiziellen Leiter jenes geheimen Sondereinsatzkommandos. Gewichtig schritt er vor seinem Dienstwagen auf und ab und wartete auf ein Wort seines Wahntöters, dessen Vorgesetzter er war. Vogt strotzte nur so vor Befehlsgewalt und Arbeitswut. Aber niemand beachtete ihn. Nicht einmal ein Polizeischüler nahm ihn für voll.

Edina, Wahntöters beliebte Adjutantin, lehnte lässig an einem Mannschaftswagen und ließ sich einen Kaffee anbieten. Im nächsten Moment aber ließ sie den Becher fallen, warf den Polizisten eine alarmierende Handbewegung zu und stieß einen unartikulierten Warnruf aus. Alles griff zu den Waffen. Und sah Edina fragend an. Nichts geschah. Sekundenlang. Alles wartete. Gespannt. Regungslos.

Doch dann, urplötzlich aus leblosem Himmel, flog es anschwellend heran. Kreischend, das Geschrei in Lärmwellen zwischen den Mauern heranschiebend, brechend und überschlagend.

Ein Krähenschwarm! Im Tiefflug prasselte der Sturm der Totenvögel durch die Ruinenschlucht. Krächzend, flügelklatschend, himmelverdunkelnd.

Markwart hatte das Heranfluten des Krähenschwarms längst bemerkt. Auf ihn traf die schwarze Welle zuerst. Doch Markwart, in exponierter Lage auf dem Betonsockel des Grillplatzes stehend, warf sich nicht zu Boden. Nein, er warf sich dem Schwarm der Totenvögel geradezu entgegen. Verzückt breitete er seine Arme aus. Und ließ sich vom Luftzug der Flügelschläge umwehen. Von krächzendem Todesgeschrei umtosen. Gleich dem unglaublichen Wahntöter, der er zu werden gedachte. Unverwundbar. Unangreifbar. Und was nicht noch alles… Es sah sogar so aus, als lachte er. Wie ein Irrsinniger. Heldenhaft. Wahntöterlich.

Jeder sah, dass Markwart verrückt war. Doch nur ein Verrückter wie Markwart konnte die unglaubliche Rolle eines Wahntöters ausfüllen. Niemand wollte an seiner Stelle sein. So mit einem Bein in den verbrecherischen Tiefen menschlicher Abgründe und mit dem anderen in einem bodenlosen Massengrab…

Tief flog der Krähenschwarm vorüber.

Die Polizisten zogen die Köpfe zwischen die Schultern. Fluchten.

Einzig Edina, des Wahntöters unerschrockene Adjutantin, begegnete dem Tiefflug der Totenvögel in aufrechter Haltung. Zugegeben; allzu groß war Edina nicht.

Und Vogt, der hatte es vorgezogen, sich ebenso unerschrocken in die Sicherheit seines Dienstwagens zu flüchten. Umständlich krabbelte er wieder heraus. Seine Verlegenheit mit ein paar markanten Sprüchen ungeschickt überspielend, gab er sich die Haltung eines Nachdenkenden und wartete dann weiterhin auf ein Wort Markwarts.

Die Polizisten verdrehten die Augen und bewitzelten Vogts Inkompetenz.

Edina bekam erneut einen Kaffee angeboten. Vogt schon wieder nicht.

 

Ein ungewöhnliches Geräusch, unheimlich und geisterhaft, ließ Edina unübersehbar aufhorchen. Ein rhythmisches Quietschen war es, das da unüberhörbar durch die Fabrikruine schlich. Undefinierbar. Näherkommend. Urangstauslösend.

Edina zog ihre Pistole. Die Polizisten gerieten in Bewegung. Vogt schrie auf.

Markwart aber zeigte sich gelassen. Die Hände in den Hosentaschen, schlenderte er zu Edina herüber. Und starrte dann wie alle anderen auf den Tunnelgang, aus dem das Gequietsche wie von einer Monsterapparatur heraushallte.

Das Quietschen schlich näher. Und kam schließlich aus dem Dunkel des Tunnelgangs hervor. Ein Hund war es! Ein dreibeiniger Hund in einem Rollgestell. Das Hinterteil mit dem fehlenden Bein auf eine zweirädrige Achse geschnallt. Mit quietschenden Kinderwagenrädern. Diese mit Drahtspeichen und längst abgefallener Vollgummibereifung. Der Hund war gelb und alt und hatte kaum noch Fell. Träge blinzelte er in das fahle Tageslicht.

„Niemand schießt, niemand!“ herrschte Markwart in die verblüffte Stille.

Laut stöhnte Vogt in das allgemeine Aufgeatme. Einige lachten hämisch.

Der Hund schien sich an dem Polizeiaufgebot nicht zu stören. In seiner unglaublichen Erscheinung glich er einem Mischwesen aus Pesthund, Pavian und Kriegsgetier. Quietschend zog der Hund über den Fabrikhof. Er bewegte sich langsam und mühevoll. Endlich blieb er stehen, witterte über das Gewirr von Menschenknochen und stelzte dann in den Tunnel zurück.

Stille. Nur das rhythmische Gequietsche seines Rollgestells war zu hören. Und das Gehuste Vogts, der mannhaft einen Anfall plötzlicher Übelkeit unterdrückte.

Einen Augenblick später war der Hund verschwunden. Gleich einem grotesken Spuk.

 

Schon stellte Vogt sich demonstrativ in Pose. Für eine zündende Ansprache. Darin würde er dann seine Polizeitruppe mit einer Abfolge handelsüblicher Phrasen zu äußersten Anstrengungen anspornen. Und jede Form des Kannibalismus auf das Schärfste verurteilen. Auch von Dingfestmachung und Handwerklegen würde die Rede sein und natürlich vom langen Arm des Gesetzes.

Markwart, als Wahntöter, war da mehr für den kurzen Prozess. Und den machte er nun mit Vogts Ansprache – und gab der Truppe das Zeichen zum Rückzug. Alles Aufsitzen und Abfahrt! Wagentüren klappten. Motoren wurden angelassen. Polizei und Spurensicherung rückten ab.

Vogt protestierte. Schließlich war er der befehlhabende Einsatzleiter. Er allein.

Vogts Vorhaltungen wegwischend, ergriff Markwart das letzte Wort.

„Ja, aber sicher, mein Vogt. Was immer auch geschieht, ich werde dir diese verdammte Kannibalengeschichte zu Ende bringen. Du aber bleibst mit deiner Polizeitruppe schön außen vor. Ja, wenn ich Polizeischutz oder sonstige Unterstützung benötige, werde ich es dich wissen lassen. Leb nun wohl, mein Vogt, frohgemut ziehe ich für dich in Kampf und Tod!“

Markwart vollführte eine lächerliche Verbeugung und ging.

Idiot! Dachte Edina und folgte ihm dennoch. Schließlich war sie ja seine Adjutantin, zudem seine intelligentere Hälfte und obendrein noch seine Geliebte.

 

Die Polizeitruppe fuhr ab. Gefolgt vom Wahntöterwagen. Diesem alten, ausgemusterten Ambulanzwagen aus Armeebestand, mattgrau, schwer, klobig. Edina fuhr.

Markwart guckte aus dem offenen Fenster. Unzählige Fabrikhallen und Quergebäude mit breiten Durchfahrten. Gepflasterten Werksstraßen, auf denen Gräser wucherten, Unkräuter und Birken. Verrostete Tore und kaputte Fensterscheiben. Vordächer, Wellblechbaracken. Treppenaufgänge, Laufstege. Eisenleitern. Ein Labyrinth aus Grau in Rost und Blindglas. Verlassene Fabriken waren die Gruselwälder der Moderne...

„Wie ist der Kannibalengrillplatz überhaupt entdeckt worden?“

Natürlich wusste Edina die Antwort. Denn als diensteifrige Adjutantin hatte sie die ersten Ermittlungsergebnisse längst in Erfahrung gebracht. Die kamerabestückte Drohne eines Industriefotografen hatte die ungewöhnliche Knochenanhäufung aufgenommen…

Ja, ja, schon gut, Markwart winkte ab. Einzelheiten interessierten ihn nicht. Dafür war er in seinem Denken zu oberflächlich. Zu ungeduldig. Und zu überheblich auch.

„Hier rechts rein!“ wies er auf eine Fabrikhalle.

Edina scherte aus der weiterfahrenden Polizeikolonne und lenkte den Wagen in die von Markwart bezeichnete Toröffnung. Tiefer und tiefer ließ er sie in den Gebäudekomplex vordringen. Maschinen und Anlagen waren demontiert. Nur Dämmergrau und Leere füllten die Hallen. Endlich ließ Markwart halten und dirigierte den Wagen dann zwischen zwei Fundamentquader rückwärts an die Wand. Grau in Grau verschmolz der Wagen mit seiner desolaten Umgebung und schien für das oberflächliche Auge fast unsichtbar.

 

Im Innenhof erhob sich der kannibalische Grillplatz mit der Hollywoodschaukel. Gleich einem Blutgerüst entstieg er der Ruinenstadt und erglänzte im Nasslicht einer lieblosen Sonne. Auch die umher liegenden Skeletteile leuchteten in jenem Moment auf. Wie Muscheln am Strand. Oder wie menschliche Überreste auf der realen Spiegelebene eines Alptraums.

 

Markwart und Edina gingen auf Erkundungsmarsch. Doppelt bewaffnet, die Schirmmützen tief im Gesicht, die Kragen ihrer Winteruniform bis über die Ohren hochgeschlagen. Vornweg Markwarts abgesägte Schrotflinte, die im Nahkampf die Wirkung von einem Rudel Reißwölfe entfaltete.

Oben in einem verglasten Schaltanlagenraum bezogen sie Stellung. Von dort aus hatten sie einen guten Überblick. Zur einen Seite sahen sie in eine riesige Fabrikhalle, zur anderen auf Werksstraßen, gegenüberliegende Gebäude und ein Stück freies Gelände, das sich auf brüchig gewordenem Asphalt bis zum Kanal hinzog. Dahinter erhob sich die Silhouette einer Stadt. Mit Dom, Wasserturm, Rathausgiebel und den Umrissen entfernt stehender Hochbauten.

Edina träumte mit offenen Augen. Wünschte sich in diese Stadt. Und beneidete deren Menschen, Geschäfte und Straßenverkehr um ihr geregeltes Leben.

Erst das Auftauchen einer sagenhaften Gestalt riss Edina aus ihrem Wunschtraum. Ein König! Mit Krone und Umhang, Wasser schleppend in verbeultem Eimer, humpelte er dahin. Seine Krone war aus vernietetem Dosenblech, sein Umhang ein Stück karierter Bettwäsche. Und an einem Stock, gleich seinem Banner über der Schulter getragen, schlackerte, tropfnass vom Waschen noch, eine lange Unterhose. So kam er vom Kanal, der König, und stapfte zwischen Birken und Schutt durch das Gelände. Bis er in einem Mauerloch verschwand.

Markwart und Edina schlichen ihm nach. Beide hatten ihre Augen überall. Doch kein König war mehr zu entdecken. Nur graues Gemäuer, verrostetes Metallgestänge und Ruinenzerfall.

Dann aber huschte eine Ratte die Wand entlang. Gefolgt von einer zweiten, einer dritten, einer vierten… Ein ganzer Schwarm floss heran und ergoss sich schreiend über den Boden. Sofort hatte sich Edina mit einem eleganten Ausfallschritt hinter einem Betonquader in Sicherheit gebracht.

Markwart aber war inmitten der Rattenflut stehen geblieben. Behutsam sich darin drehend und wiegend wie ein Pestpoet im Gewoge seiner Todesschar. Sich an Markwarts Stiefeln stoßend, überschlagend, teilend und dahinter wieder zusammenfließend, brandete der Rattenschwarm vorüber und erfüllte die Leere der Fabrikhalle mit ohrendurchbohrendem Gekreisch.

Markwart lächelte. Die Hand noch immer gleich einem mystisch angehauchten Seuchendichter segnend vorgestreckt.

Idiot! Edina schoss ihm einen wütenden Blick entgegen und wollte gar nicht erst wissen, was das nun schon wieder sollte.

Motorengeräusche!

Mit einem Satz sprangen Markwart und Edina durch die Halle, warfen sich ins nächste Leitergestänge und kletterten nach oben. Vorsichtig lugten sie aus einem der oberen Fenster.

 

Ein geschlossener Lieferwagen röhrte auf einen Vorplatz. Sein Weiß war nur noch Rost. Sein Blech nur noch Beule. Und sein Fahrer eine Lumpengestalt in Sandalen und Pudelmütze. Mit Mühe öffnete er die Schiebetür. Und heraus fiel ein Durcheinander aus Obst und Gemüse, aus Pappe und Plastikfolie. Kohlköpfe, Karotten, Gurken und Äpfel zwischen Bananen, Tomaten und durchweichten Kartonresten. Mit einer Harke zerrte der Fahrer den Großmarktkehricht aus dem Laderaum. Und schmiss das Gemenge dann mit einer Schneeschaufel in eine Schachtluke. Wie Kohle in ein Kellerloch.

Sofort tauchte der König mit seinem verbeulten Eimer auf und stürzte sich auf den Abfallhaufen. Mit Händen und Füßen kratzte er in aller Hast darin herum. Und stritt sich mit den Ratten um die besten Stücke. Zudem fiel auch noch der Krähenschwarm im Sturzflug ein und verlangte ebenfalls seinen Anteil. Auf allen Vieren durchwühlte der König den Restehaufen. Suchend, Ratten wegschiebend, Krähen aufscheuchend. Alles schimpfte, krächzte, fiepte. Mit einem Freudenschrei förderte der König einen großen Knochen aus dem Haufen. Weitere folgten. Auch diese blutig noch und mit Fleischfetzen behaftet. Beide Knochen landeten in seinem Eimer.

Edina erbleichte.

Markwart aber beruhigte und flüsterte dicht an ihrem Ohr: „Das sind nur Rinderknochen. Schlachthofabfälle. Großmarktreste.“

 

Der Lieferwagen fuhr ab. Der König kroch in sein Loch zurück. Rattenvolk und Krähenschwarm vertilgten die vor der Kellerluke liegengebliebenen Reste.

Edina stöhnte. Vor Ekel. Vor Kälte. Vor Selbstmitleid. Was musste sie auch eines Wahntöters Adjutantin werden? Weshalb konnte sie nicht einfach eine mit ihrem Leben, ihrer Ehe und ihrer Arbeit unzufriedene Angestellte sein wie andere auch?!

Markwart, Edinas Gedanken ahnend, machte eine wegwerfende Handbewegung: Ein geregeltes Leben ist wie ein künstlich regulierter Flusslauf und rauscht – ohne jede Windung – in direkter Linie in den Tod!

Ja, natürlich, Markwart wieder! Sein belehrendes Gehabe ging Edina auf die Nerven. Trotz allem aber hatte er Erfahrung. Im Leben ebenso wie mit Kannibalen. Doch das letzte Mal waren die Kannibalen keine vertierten Kreaturen in einer Fabrikruine gewesen, sondern vier hochrangige Anzugträger in einer Luxuswohnung. Diese hatten ihre Menschenopfer im Gepränge feinster Tischkultur verspeist. Als letzten Gipfel des Genusses, der für Geld zu haben war. Teure Porzellane, seltene Weine, Tafelmusik. Jungfräuliche Mädchen seien am zartesten. Hatten die Kannibalen in aller Höflichkeit erklärt. Kenner waren sie gewesen. Feinschmecker. Wiederholungstäter…

Wahntöter hatte die ewige Bedeutungsschwere der Jungfräulichkeit mit einem gelangweilten Augenrollen abgetan und geschwiegen.

Unbeirrt hatten die vier Kannibalen ihr Festmahl fortgesetzt. Ja, über die Maßen stilvoll und selbstsicher hatten sie sich gegeben. Und hatten auch ihre hohen Positionen zu erwähnen nicht vergessen. Ebenso nicht die unangenehmen Weiterungen, die sich für den Wahntöter hätten ergeben sollen, wenn er auch nur einen von ihnen festnehmen lassen würde. Kurzum: Wenn er sich sofort zu entfernen gedachte, war man über sein unangekündigtes, wie auch gewaltsames Eindringen großmütigst hinwegzusehen bereit.

Wahntöter hatte eine dankende Verbeugung angedeutet und in wohlgesetzten Worten bedauert, die elitäre Gesellschaft mit seiner Anwesenheit belästigt zu haben. Nicht einen der Kannibalen, ranghohe Größen aus Politik und Wirtschaft, hatte er verhaften lassen. Aber auch nicht einen von ihnen hatte er am Leben gelassen. Das war sehr schnell gegangen – und hatte die sich unantastbar wähnenden Wiederholungsfeinschmecker vollkommen unerwartet getroffen.

Fassungslos hatte Edina damals auf die vier Erschossenen gestarrt. Noch am Tisch sitzend, Messer und Gabel in den Händen, hatten sie mit herabgesackten Köpfen in den Stühlen gehangen oder mit den Gesichtern in ihren Tellern gelegen. Hinter ihnen, in der großen Panoramascheibe, hatte der illuminierte Dom bei Nacht gestrahlt. Edina hatte Mord und Selbstjustiz geschrieen und sich auf das Gesetz berufen.

Wahntöter wiederum hatte nur gelächelt und sich an einer Flasche Wein vom Tisch der Erschossenen bedient. Daneben hatte er ihr die Sache mit dem Gesetz erklärt: „Zwei Arten von Gesetzlosen gibt es: die Guten und die Bösen. Als Wahntöter gehören wir zu den Guten. Aber eben auch zu den Gesetzlosen. Das verpflichtet.“

 

Markwart und Edina folgten dem König in das Kellerloch. Vorsichtig stiegen sie eine Betontreppe hinab. Fäulnisgeruch schlug ihnen entgegen und Kohlgestank. Stufe für Stufe hinkte der ahnungslose König vor ihnen her. Selbstgespräche brabbelnd. Mit seinem Knocheneimer die Wand entlangscheuernd. Alle paar Meter verbreitete eine matte Glühbirne eine Ahnung von elektrischem Licht. Was bedeutete, dass die Fabrikruine noch immer am Stromnetz angeschlossen war. Irgendwie.

Menschliche Laute hallten durch den Kellergang. Dumpf und verzerrt. Ein Grunzen und Geschimpfe polternder Männerstimmen. Dazwischen unregelmäßiges Gehacke wie von einem Fleischhauer.

Vorsichtig näherten sich Markwart und Edina dem Ende des Ganges. Kaltblütig blickte Markwart über den abgesägten Doppellauf seiner Schrotflinte in die sich vor ihm öffnende Kellerhalle. Doch das, was er sah, entrang ihm ein mildes Lächeln.

Edina bemerkte seine Verwunderung und drängte vor. Die ganze Szene glich den düsteren Gemälden alter Meister. Mittig die Lichtquelle einer offenen Feuerstelle, die alle Gestalten und Gegenstände mit ihrem rötlichen Schein beflackerte. Über dem Feuer ein großer Suppenkessel. Daneben ein eisernes Stufengerüst. Darauf ein König. Mit einem Spaten die dampfende Suppe umrührend.

Zwei weitere Könige halfen bei der Zubereitung. Einer mit einer Axt. Kohlköpfe hackend auf langer Werkbank. Ein anderer mit einem Vorschlaghammer. Ungeschälte Kartoffeln zertrümmernd.

Ein vierter König, jener vom

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 26.11.2018
ISBN: 978-3-7438-8765-7

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