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Bastardwut

Albert Mellander

 

 

Der Wahntöter

 

 

Band I

Bastardwut

 

 

Vergeltung

 

 

 

Ein krimineller Kurzroman

 

 

 

 

Dieses Buch enthält Szenen der Gewalt und sexuelle Darstellungen, die für Kinder und Jugendliche nicht geeignet sind!

 

 

 

 

 

Das tiefste Dunkel ist der menschliche Abgrund.

 

So steige denn in die Finsternis hinab…

Und leuchte dem Gerechten mit gutem Geist voran,

ihm, dem Wahntöter!

 

 

 

Der Verwesende saß gefesselt im Kaminzimmer. Nackt. Mit Draht und Klebeband war er an einen Armlehnstuhl gebunden. Wie auf einen elektrischen Stuhl. Der Kopf war starr an der hohen Rückenlehne fixiert. Im Mund des Verwesenden war ein Trichter mit rechtwinklig abgebogener Tülle installiert. Wie eine übergroße Tabakspfeife. In der Hand hielt er eine Reitgerte. Aufrecht ragte sie aus der mit Klebeband umwickelten Faust.

Der Verwesende glotzte aus Augenhöhlen, die nur noch eingetrocknete Wasserlöcher waren. Sein aufgeblähter Rumpf spannte in der Fesselung. Seine Haut war ein Fleckenteppich aus Grün und Blau. Der Körper war nur noch eine vergehende Fleischmasse in Menschenform. Das Restbild eines alten Mannes, der groß und schlank gewesen war. Auf seinem Schädel sprossen einige weiße Haare zwischen blutverkrusteten Platzwunden. Schläge hatte er bekommen. Überall. Mit einer Haselnussgerte. Dunkel von geronnenem Blut hing das Züchtigungsinstrument ihm gegenüber am Kamin.

Der Verwesende saß am Tisch. Darauf stand ein Nachttopf mit Suppenkelle neben einer Schüssel mit Kehricht und einer Vase mit Blumen. Zwischen geöffneten Konservendosen und Flaschen mit Essig, Öl und Putzmitteln. All das hatte man dem Gefesselten durch den Trichter eingegeben. Ein Folterfestmahl. Tortur für den gefesselten Gast – aber ein Fest der Sinne für den noch unbekannten Gastgeber.

 

 

Das Kaminzimmer wie auch die anschließenden Räume waren vernachlässigt. Staub bedeckte die Möbel und hing in Weben im Kronleuchter. Teppich, Fenster und Polster waren schmutzig. Die ganze Villa schien über Jahre nicht geputzt. Doch die durch Gebrauch glänzenden Türklinken und die Trittpfade auf dem Fußboden zeigten, dass die Villa bewohnt war.

 

 

Ein Bewaffneter lehnte am Kamin. In der lässigen Haltung eines Gleichmütigen. Über seiner doppelreihigen Chauffeursuniform trug er einen Waffengurt mit Dolch und Revolver. Sein rechter Arm ruhte auf dem Kaminsims, sein linker auf der Taschenklappe seines Revolvers. Seine Schirmmütze hatte er weit in den Nacken geschoben. Mit nachdenklicher, fast ein wenig belustigter Miene, schaute er ins Antlitz des Verwesenden. Dabei neigte er den Kopf von der einen Seite auf die andere und so fort. In seinen Augen blitzte Genugtuung. Seine Nase witterte in den unerträglichen Gestank der Verwesung. Sein Ellenbogen stieß gegen einen verzierten Zigarrenkasten auf dem Kaminsims. Seine behandschuhten Finger öffneten ihn und griffen ins Leere. Mit einem Seufzer der Enttäuschung ließ der Bewaffnete den Deckel zufallen. Das Knallen des Deckels schlug wie ein Pistolenschuss durch die Stille. Der Aufschrei eines zu Tode Erschrockenen folgte. Andere stöhnten verärgert auf. Denn es war Bewegung im Kaminzimmer: Die Spurensicherung schlich in ihren weißen Schutzanzügen umher. In der offenen Schiebetür des angrenzenden Speisesaals harrten uniformierte Polizisten und Mordkommission. Der Kommissar warf dem Bewaffneten einen wütenden Blick zu. Denn er, der Kommissar, war es gewesen, der so erschrocken aufgeschrien hatte. Den Bewaffneten kümmerte das nicht. Er machte, was er wollte. Denn er war eine Ausnahmeerscheinung. Geheimes Sondereinsatz-kommando für außergewöhnliche Verbrechensaufklärung. Ein Spezialist für Ritualtötung, Serienmord und Psychopathentat. Bestens bewährt. Unersetzlich.

Er hatte sich den Namen Egon Markwart gegeben. Aber man nannte ihn den Wahntöter. Denn er tötete nicht den Mörder, sondern dessen Wahn. Sein Dienstausweis war echt. Alles andere aber war Erfindung. Sein Name, seine Herkunft, seine Personalakte. Er hatte weder Wohnsitz noch Bankverbindung. Aber er hatte ungeahnte Fähigkeiten: den Verstand eines Wilden, die Vernunft eines Wahnsinnigen und die Wachträume eines Wissenden, der zwischen den Welten wandelt.

Die Toten fürchtete er nicht. Sie erzählten ihm Geschichten. Unschöne Geschehnisse voller Gewalt und Demütigungen, voller Missbrauch und Folter und sinnloser Qual.

Sein letzter Mordfall war ein lebendig Verbrannter gewesen. Auf dem Parkplatz eines Supermarktes. Eingesperrt im Gitterkorb des letzten Einkaufswagens. Wie ein zusammengekauertes Tier im Röstkäfig. Unter dem Einkaufswagen war ein Feuer aus Palettenholz gelegt worden. Ein beschauliches Feuer, das sein Opfer über kleiner Flamme langsam zu Tode briet. Der Verbrannte, ein Wurstgriller mit Imbisswagen, erlag seinen schweren Feuerverletzungen erst im Rettungswagen.

Drei Tage und Nächte jagte Markwart den Täter, einen Seriensadisten mit Sinn für Humor, durch die Unterwelt der Abwasserkanäle. Schließlich erschoss er den auf Knien Flehenden vor den Augen der Polizei. In Notwehr. So zumindest hatte es dann in den Akten gestanden.

Markwart machte, was er wollte. Er wusste, was er tat. Keine Gnade den Gnadenlosen! Denn er war der Wahntöter.

 

 

Der Kommissar stolperte durch die Terrassentür aus dem Kaminzimmer. Und erbrach sich in die Büsche. Markwart schlenderte hinterher. Er bewegte sich am Tatort wie ein Spaziergänger im Biergarten. Während sich die anderen mit Minzduft benebelten, atmete er den unerträglichen Verwesungsgestank mit der Selbstverständlichkeit eines ewigen Pestkarrenfahrers.

In den verwilderten Garten blickend, klopfte er dem Kotzenden freundschaftlich auf die Schulter. Seine Worte fielen langsam und bedacht.

„Bevor der Tote in seinem Lehnstuhl starb, hatte man ihn geraume Zeit durch gewaltsame Ernährung am Leben erhalten. Die Spurensicherung spekuliert auf drei bis vier Tage… Ich halte jede Wette, dass es mindestens eine volle Woche war. Allein schon die Dicke der Kotschicht sollte – “

Weiter kam Markwart nicht. Denn der Kommissar erbrach sich schon wieder.

„Nur die Ruhe... Es ist alles in Ordnung. Ich löse dir den Mordfall. Liefere das Tatmotiv. Fange den Täter. Du musst nur deine Leute abziehen und verschwinden... Und ich werde hierbleiben und den Mörder erwarten. Denn er ist da. Irgendwo da draußen… Ganz in der Nähe… Er hört uns. Er sieht uns. Er wartet, dass wir endlich gehen… Denn er will zurück. Zurück an den Ort seines Vergnügens. Zu schön war das langsame Krepieren seines Opfers… Dieses tagelange Sterben. Sicher hat er ihm die eigene Scheiße zu fressen gegeben…“ suchte Markwart das Grün der Bäume mit den Augen ab.

Der Kommissar folgte den suchenden Blicken Markwarts, dachte an die ihn beobachtenden Mörderaugen, dachte an dessen Vergnügen – und würgte schon wieder. Aber sein Magen war leer. Sein Körper krümmte sich. Sein Gesicht war Qual. Fast hätte Markwart so etwas wie Mitgefühl empfunden. Fast. Aber der Witz eines Wahntöters war stärker: „Du solltest mehr essen – dann klappt es auch mit dem Kotzen.“

 

 

Der Verwesende wurde eingesargt. Markwart stand ungerührt daneben. Und aß dabei einen im Garten gepflückten Apfel. Die beiden Bestatter arbeiteten mit größter Behutsamkeit. Dennoch passierte es. Ein falscher Griff, ein sich Ablösen von verwesendem Fleisch, ein schnelles Zupacken in moderweiche Totenmasse. In einem grotesken Durcheinander von schlackernden Leichenarmen und hektischen Bestatterhänden wurde der Verwesende in den Sarg befördert. Der Körper klatschte wie eine Schütte Fallobst hinein. Eine Wolke widerlicher Süßlichkeit wehte hoch. Sofort wurde der Sargdeckel aufgesetzt. Markwart bedachte die Bestatter mit einem missbilligenden Kopfschütteln. Und musste dann über soviel Missgeschick laut lachen.

Der Apfel war gegessen. Das Kerngehäuse warf Markwart durch die Terrassentür in den Garten. Mit Wucht. Im selben Moment erhob sich die würgende Gestalt des Kommissars – und bekam den Apfelgriebsch gegen den Hinterkopf geschleudert. Das hatte Markwart nicht gewollt und fuchtelte eine entschuldigende Geste. Der Kommissar schnaufte. Sagte aber nichts. Rein rechtlich gesehen war er Markwarts direkter Vorgesetzter. Aber Dienstvorschriften oder Ranghöhen hatten für Markwart keinerlei Bedeutung. Er war eben ein außergewöhnlicher Verbindungsoffizier, der die menschlichen Ungeheuerlichkeiten zwischen Hölle und Erde zu Fakten fügte. Und als solcher ließ er sich auch behandeln. Mit respektvoller Nachsicht.

Am meisten hasste es der Kommissar, dass Markwart ihn ‚mein Vogt’ nannte. Gut, ja, er hieß Vogt. Das war sein bürgerlicher Name. Aber Markwart machte aus dieser Zufälligkeit einen mittelalterlichen Beamtentitel. Ja, gut, ein Vogt hatte Gerichtsgewalt und war die höhere Laufbahn. Aber die Ironie, die in ‚mein Vogt’ lag, war unüberhörbar. Fast schon war sie Geringschätzung. Denn Vogt war ein Vorschriftenwahrer erster Klasse. Pedantisch, borniert, blödsinnig. Das Gleiche galt für Vogt als Mensch. Pünktlich, penibel, geizig. Er wohnte noch bei seiner Mutter. Mit über 40! Seine Person umriss er sogar selbst mit dem altmodischen Begriff des Junggesellen. Nichtraucher und Mäßigtrinker. Keine Freude, keine Freunde, kein Geschlechtsverkehr. Dafür jedes Jahr vier Wochen Urlaub mit seiner Mutter. In einem Kur-Hotel. Als sparsame Menschen teilten sie sich ein Doppelzimmer.

Trotz aller Weltfremdheit galt er beruflich als aussichtsreich. So ehrgeizig, korrekt und dienstbeflissen. Markwart, der Wahntöter, wollte nur mit ihm arbeiten. Mit seinem Vogt, wie er ihn nannte. Andere, weit weniger pedantische Kommissare, lehnte Markwart kategorisch ab. Nein, begründen wollte er das nicht. Er wollte seinen Vogt – und fertig. Aber es gab einen Grund. Sein Vogt war berechenbar. Markwart wusste stets, wie sein Vogt reagieren würde.

Vogt hatte mehrfach um Versetzung gebeten. Sogar an höchster Stelle. Aussichtslos. Er klebte am Wahntöter wie die Fliege am Giftpapier.

 

 

Widerwillig zog Vogt seine Polizisten ab. Der Wahntöter übernahm den Fall, das Kommando und die Verantwortung.

„Lebt wohl, mein Vogt. Wir sehen uns in ein paar Tagen zur Täterübergabe…“ salutierte Markwart in aller Ironie und Feierlichkeit. Er tat, als übernähme er eine belagerte Festung im Niemandsland. Ein wenig war es auch so.

„Keine Regelverstöße, keine illegalen Machenschaften, keinerlei Selbstjustiz! Ist – das – klar?!“ drohte Vogt mit spießendem Zeigefinger. Vollkommen klar; der Wahntöter deutete eine Verbeugung an. Vogt verschwand. Endlich. Markwart sah ihm nach und seufzte.

 

 

Ein Geländewagen rumpelte durch das Unkrautgewucher in den Garten. Ein ehemaliges Armeefahrzeug. Ambulanzwagen mit Kastenaufbau. Alt, grau, verbeult. Am Steuer eine Frau von zweiunddreißig. Auch sie in doppelreihiger Chauffeursuniform, Waffengurt und Schirmmütze. Sie war nicht ganz so groß, nicht ganz so schlank und auch sonst nicht ganz so perfekt.

Sie nannte sich Edina und war des Wahntöters Adjutantin. Sie entstammte einem gut bürgerlichen Elternhaus mit herkömmlicher Problematik. Wollen Eltern ihrem Kind nur das Beste, kehren sie meist nichts Gutes hervor. Edinas Studium glich einer ziellosen Suche, die durch eine Reihe von Abbrüchen gekennzeichnet war. Eine Affekthandlung schloss sie schließlich von jedem weiteren Besuch einer Universität aus. Nein, sie hatte die sexuelle Zudringlichkeit ihres Professors nicht mit einer öffentlichen Ohrfeige bloßgestellt. Nein, schlimmer noch, sie hatte ihm sein hämisches Grinsen mit Faustschlägen ausgetrieben. Ja, Edina hatte ihren Jura-Professor zusammengeschlagen. Im vollbesetzten Hörsaal. Noch heute schwärmt die Studentenschaft von jener Kommilitonin, die mit geballten Fäusten und übelsten Beschimpfungen über einen am Boden stöhnenden Lehrstuhlinhaber triumphierte.

Obwohl Edina keine bedeutsame Zahl von Geschlechtspartnern vorweisen konnte, war ihre Erfahrung mit Männern mehr als ausreichend. Ausgesuchte Liebhaber und ein intaktes Selbstwertgefühl machten Edina zu einer attraktiven Frau. Und die Vorstrafe wegen schwerer Körperverletzung und die häufig wechselnden unterqualifizierten Arbeitsplätze schufen nahezu perfekte Vorraussetzungen für höhere Aufgaben… So war es kein Zufall, dass der Wahntöter auf Edina aufmerksam wurde. Inmitten einer Kaffeehausstreiterei.

Edina, die Bedienung, verweigerte Tisch sieben ihren Respekt. Dessen Gäste aber, korrekte Besserverdiener, Stammgäste sogar, verlangten nach zuvorkommender Behandlung. Sie wünschten höfliches Getue, ein freundliches Gesicht, nettes Gelächele… Niemals gaben sie Trinkgeld. Aber zu jedem Stück Torte, das sie bestellten, hagelte es zehn Sonderwünsche. Edina knallte ihnen die Kaffeekännchen vor die Nase, dass es nur so schwappte. Tisch sieben beschwerte sich. Edina schimpfte ebenso laut: Trinkgeld war ein fester Bestandteil ihres eigens deshalb sehr niedrig gehaltenen Arbeitslohnes. Der Kaffeehauswirt mischte sich ein. Natürlich bestritt er seine Lohnregelung. Selbstverständlich erklärte er das Trinkgeld als im Preis mit inbegriffen. Edina nahm ein Kaffeekännchen und begoss damit den Tisch wie ein Blumenbeet. Sofort kam es zu Handgreiflichkeiten. Edina schlug dem Wirt das Tablett um die Ohren. Drohte den erbosten Besserverdienern mit der Faust.

Markwart, Gast an einem Ecktisch, wartete das Eintreffen der Polizei ab – und löste Edina aus. Er bat sie an seinen Tisch und erklärte seinen Status eines so genannten Wahntöters. Nach kurzem, aber sehr eingehendem Gespräch unterbreitete Markwart ihr sein Angebot: Einen Adjutantenposten, eine neue Identität und ein neues Leben, das in Hinblick auf die unglaublichsten Gefahren kurz sein konnte.

Er verschwieg, dass seine letzten zwei Adjutanten gewaltsam umgekommen waren. Der erste lief äußerst heldenhaft, aber ziemlich ungeschickt in die Bohrmaschine eines Psychopathen.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 23.12.2013
ISBN: 978-3-7309-7121-5

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