Aaron Winter jun.
Sex, Drugs and Blood
Version 1.alpha
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung ohne die Genehmigung des Autors sind nicht gestattet.
Ab 16 Jahre
Absolut alle Personen sind frei erfunden. Ebenso die Handlung in diesem Roman. Ähnlichkeiten sind somit nur zufällig und keinesfalls beabsichtigt.
Das Titelbild ist eine Gemeinschaftsproduktion von einem Bleistift und dem Wunderwerk PC. Sollte es tatsächlich irgendwo einen Menschen mit diesem Gesicht geben, dann herzlichen Glückwunsch. Nur hat jenes Wesen dann nichts mit dem Inhalt dieses Buches zu tun.
000 Taschenbuchseiten bei 31 Zeilen
000 Wörter
Altersempfehlung: ab 16 Jahren
Belletristik
Genre: Krimi
Meta: Bandenkrieg, Verbrechen, Mord, Polizei, Rocker, Ermittlung, Internet, Entführung, Hass, Manipulation, Lügen, Planung, Gewalt, Ketten, Auftragsmörder, Mafia, Sex, SM, Waffen, Diebstahl, Computerkriminalität, Intrigen, Bordell, Rauschgift, Intrigen
Der Konkurrenzkampf in dem Geschäft der Liebe ist groß und hart. Die Eigentümer der Bordellkette, welche schon seit Generationen von einem Familienclan geführt wird, können ein Lied davon singen.
Bessere Ware heißt höhere Ausgaben. Weniger Kunden bedeuten weniger Einnahmen. Das Geld wird knapp.
Die Konkurrenz ist groß und macht sich breit. Mit Gewalt, wenn es sein muss. Und Soldaten zur Verteidigung kosten ebenfalls Geld.
Was liegt also näher, als die klammen Kriegskassen mit dem Verkauf von Drogen zu füllen.
Allerdings findet dies die ortsansässige Mafia der Russen, Serben und Türken, die den Markt beherrschen, gar nicht lustig.
Und als sich auch noch der Sohn des Chefs in Sachen Waffen versucht, ruft dies den ortsansässigen Rockerklub auf den Plan.
Version: 1.alpha
3 Korrekturdurchläufe
Klirr! Ein Teller flog durch die Luft und zerschellte an der Wand. Nicht der erste. Der Streit dauerte schon geraume Zeit. Und so langsam musste das Geschirr Verluste beklagen.
„Miststück! Lüg mich nicht an! Du denkst doch nicht, dass ich dir glaube!“, schrillte ihre hohe Stimme durch die Küche.
Doris Schütt war sauer! Obwohl die Lockenwickler in ihrem Haar lustig wackelten. Der Rücken tat ihr weh, ständig hatte sie Hunger und das Kind in ihrem Bauch tobte umher.
„Doch, musst du wohl! Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass ich keine Geliebte habe!“, verteidigte sich ihr Mann Hagen, während er das Magazin seiner Pistole aufmunitionierte.
Er war genervt. Und nicht nur leicht. Wie oft wurde dieses Gespräch in ihrer Ehe eigentlich schon geführt? Hagen wusste es nicht. Vor Ewigkeiten hatte er aufgehört zu zählen.
„Blödsinn! Dein Hemdkragen! Rot ist er! Lippenstift! Und zwar jede Menge davon!“
„Oh Liebling! Das ist doch kein Lippenstift! Lippenbalsam. Den gibt es jetzt auch in farbig. Weiß, rot, blau und sogar in Schwarz. Lebst du denn auf dem Mond?“
„Du hältst mich wohl für blöd? Und wie kommt das Zeug hinten an den Kragen? Kannst du mir das einmal verraten, du Dreckstück? Hätte ich dich nur nicht geheiratet. Ein Hahn ist treuer als du!“
„Bitte! Bitte schrei nicht so. Du bist bestimmt schon wieder auf der Straße zu hören. Nicht, dass die Nachbarn wieder die Polizei anrufen.“
„Ich schreie, wie es mir passt! Den ganzen Tag. Und morgen geht es weiter. Also, du verlogenes Aas, wie kommt der Lippenstift hinten an den Kragen?“
„Ist beim Sport passiert, wenn du es genau wissen willst.“
„Ha! Beim Sport! Schmarrn! Matratzensport, oder was?“
„Himmel! Beim Tennis! Frag die anderen. Beim Umziehen. Passiert schon mal. Ich frag dich doch auch nicht, wo du den Knutschfleck auf deinem Arsch herhast! Also gib endlich Ruhe!“
„Lenk gefälligst nicht ab! Sag mir lieber, was mit deinem Anzug ist? Der stinkt wie eine Parfümerie!“
„Das ist doch kein Beweis! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass dies von Steven stammt. Der Bengel hat wieder mal seinen Kopf gegen meine Brust gedrückt. Und sich ausgeheult, wie die letzte Memme“, verteidigte sich Hagen.
Gereizt klopfte er mit dem Magazin auf der Tischplatte herum. Ladehemmungen waren nicht lustig. Schließlich ließ Hagen das Magazin wieder in die Pistole schnappen und steckte diese in das Halfter unter sein Jackett zurück.
„Schwachsinn! Du willst mir doch nicht erzählen, dass unser Sohn in Parfüm badet!“, wetterte Doris.
„Sag mal! Was bist du bloß für eine Mutter? Hast du das noch nicht mitgekriegt? Schminken tut sich der Kerl übrigens auch noch. Augenbrauen und Wimpern. Das hast du noch nicht gesehen! Meine Leute zerreißen sich schon das Maul. Und jeder Stricher, der für mich arbeitet, rollt mit den Augen. Sag mal, bekommst du denn gar nichts mehr mit?“
„Da kommt er ganz nach dir! Du hast damals noch viel Schlimmeres getan! Nur um dich vor deinen Nutten aufzuspielen. Und was hat's gebracht? Nur zur Info, deine Haare werden langsam weiß. Und dein Gesicht faltig! Und was deinen Bengel angeht, diesen Mist hat er nur von dir!“
„Hat er nicht!“ Hagen war gekränkt. „So blöd bin ich nie gewesen! Nicht mal annähernd. Weißt du, wo ich ihn heute getroffen habe? Am Bahnhof. Zusammen mit seinen beiden Kumpels, Berni und Mausi. Die beiden sind mindestens genauso dumm wie Steven. Wenn nicht noch dümmer. Na, jedenfalls standen die Drei vor einem Fahrkartenautomaten. Und haben auf diesen eingedroschen, was das Zeug hielt. Haben sich darüber aufgeregt, warum keine Cola rauskam. Da fällt dir doch das letzte Ei aus der Hose!“
„Mich hat er gestern gefragt, ob man Ausschlag kriegt, wenn man Schafe bumst! Der Schlaffi ist doch weich in der Birne! Wie du! Typisch dein Sohn! Fickt genauso durch die Gegend und hat nur dummes Zeug im Kopf! Von wem er das wohl hat? Richtig, nur von dir!“
„Mein Sohn? Was heißt das nun wieder? Es ist auch deiner! Und vielleicht hat er das ganze Schmalz in der Birne ja auch von dir? Schon vergessen? Wer ist denn damals mit einer roten Handtasche und einem knappen Minirock die Straße auf- und abgewatschelt, wenn deine Eltern gerade mal nicht zuhause waren? Hast schön mit dem Arsch gewackelt! Und jeden deine Titten ins Gesicht gedrückt, der in deine Nähe kam! Dein Vater weiß bis heute nicht, wie du dir dein Taschengeld aufgebessert hast. Also, von mir hat der Blödmann diesen Unsinn garantiert nicht!“, schrie Hagen.
„Ach so, alte Kamellen aufwärmen! Wenn du nicht weiter weiß, dann kommst du immer wieder mit diesem verlogenen Mist!“, brüllte Doris voller Wut und trommelte mit ihren Fäusten auf der Brust ihres Mannes umher.
„Von wegen gelogen! Alles wahr! Du warst hochschwanger, da bist du immer noch mit deinen Stechern ins Bett gehüpft. Wahrscheinlich hatte einer der Idioten ja so einen langen Schwanz, dass er immer wieder das Baby getroffen hat. Vielleicht ist der Bengel deshalb so blöd! Stell dir vor, der schiebt sein hässliches Miniteil immer hinten rein. Weil vorne die Kinder wohnen. Hast du da noch Töne?“
„Untersteh dich!“, brüllte Doris und griff nach einem weiteren Teller. „Nichts davon ist wahr! Und das diese Nulpe so blöd ist, das hat er von dir. Ganz eindeutig. Du kennst das richtige Loch doch bis heute nicht! Und der Rest gibt ihm dieser Bastard, den du von der Straße aufgesammelt hast. Alles steckst du dieser Ratte in den Arsch. Marco hier, Marco da. Hängst fast den ganzen Tag mit dem Kerl ab. Zeigst ihm dies, zeigst ihm das. Und deinen eigenen Sohn vergisst du! Kein Wunder, dass der so daneben ist.“
„Halts Maul, Weib! Der Junge sitzt auf dem Flur! Er kann dich hören!“
„Mir doch egal! Das Bürschlein kann alles hören, ist doch kein Geheimnis! Eingenistet hat sich die Ratte hier! Er saugt uns alle aus. Siehst du das denn nicht? Und er hetzt dich gegen deinen Sohn auf! Und gegen jeden anderen auch. Ich wünschte, der Kerl wäre tot.“
„Ach Frau, sag doch so etwas nicht“, seufzte Hagen traurig. „Der Junge hat es nicht leicht. Und seien wir doch mal ehrlich, er hat alles, was ich mir für einen Sohn wünsche. Ehrlichkeit, Stil und Anstand. Intelligenz und Stärke. Und außerdem ist der Junge hübscher, als die meisten unserer männlichen Nutten. Aber das Wichtigste ist, ich kann ihm vertrauen. Er ist immer da.“
„Aber genau das ist es doch!“, jammerte Doris und griff sich mit beiden Händen an den Kopf. „Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, dann weiß ich, was ich nicht habe. Und vielleicht auch niemals haben werde.“
„Schon möglich. Jedenfalls, wenn du so weiter machst. Als Steven damals unterwegs war, da hast du genauso ein Theater gemacht. Vielleicht liegt es ja auch daran! Vielleicht schreist du so lange, bis der Balg in deiner Röhre blöd im Kopf wird. Aber ich hör mir das jetzt nicht weiter an. Dafür habe ich einfach keine Zeit! Schmeiß doch so viel Geschirr kaputt, wie du willst. Am besten noch das Gute Meißner aus dem Wohnzimmer. Aufsammeln musst du es ja sowieso alleine. Fressen wir in Zukunft eben aus den Töpfen. Oder ich bleibe am besten gleich in einen meiner Klubs.“
„Untersteh dich! Und wieso deine Klubs? Ein Drittel der Puffs und der Nutten gehört mir, schon vergessen? Das war meine Mitgift! Und davon habe ich dir noch nichts überschrieben.“
„Ja, ja. Laber, laber. Mein Gott, ich kann es nicht mehr hören. Aber ich muss jetzt los. Von mir aus kannst du die Wände anheulen“, presste Hagen hervor und wollte sich gerade umdrehen.
„Untersteh dich!“, fiepte Doris, fast sprachlos vor Wut. „Ein hab ich noch!“
Ihre Augen blitzten, als sie triumphierend einen durchsichtigen Tanga aus ihrer Schürzentasche zog. Ein edles Teil. Knapp, fast schwerelos, mit kleinen Schlitzen hinten und vorne, der Bund fein gemustert.
„Da, sieh mal, was ich gefunden habe“, flüsterte Doris siegessicher und drückte Hagen das süße Höschen ins Gesicht. „War in deinem Jackett! Ein Andenken? Eine Trophäe? Wenn das nicht nach Muschi riecht, dann weiß ich alles! Nur zu, erklär mir das!“
„Ganz ehrlich, du bist irrsinnig. Was man macht, man macht es verkehrt“, wehrte sich Hagen und drückte ihre Hand zurück. „Das riecht nicht nach Mösensaft. Das ist Wichse! Ganz klar. Du hast schon an so vielen Freaks auf deinen Laken herumgeschnüffelt, dass du den Unterschied gar nicht mehr kennst. Außerdem gehört das Höschen Marco. Ich habe mich für ihn geschämt, da sollte er es ausziehen.“
„Marco!“
Doris heulte auf vor Empörung. Die fette Katze auf dem Fensterbrett suchte erschreckt das Weite.
„Das ist ja wohl das Letzte! Aber das passt zu diesem Windhund. Woher weißt du überhaupt, dass er so etwas trägt. Zieht ihr euch bei euren Geschäften etwa aus? Trägst du dann auch Reizwäsche? Oder schnüffelst du bei deinem Stiefsohn am Schritt herum? Vielleicht treibt ihr es ja auch, ihr beiden! Na komm, sag schon! Dann können wir ja heute Abend zu dritt ins Bett hüpfen!“
Klirr! Eine Tasse zerbrach an der Wand. Eine Schüssel zersprang auf dem Boden.
„Jetzt reicht es, Weib! Denk doch, was du willst. Ich verschwinde jetzt.“
„Wo willst du wieder hin? Zu deiner Geliebten? Ich warne dich! Du denkst wohl, ich lasse mir alles gefallen! Vergiss es! Ich werde dir Dinge antun, die du dir nicht mal im Traum vorstellen kannst. Apropos Traum. Was hältst du denn davon, wenn ich dir in der Nacht deine dämlichen Eier abschneide? So ganz aus Versehen, natürlich!“
„Untersteh dich, Frau. Und jetzt gib endlich Ruhe. Übrigens, du weißt doch, dass es heute gegen die Russenmafia geht. Dringende Geschäfte, schon vergessen? Wir wollen die Konkurrenz ein wenig aufmischen. Die Kerle machen sich in unserem Revier immer mehr breit. Sogar Schutzgeld wollen die Hüpfer erpressen. Eine Bar haben sie uns gestern zerschlagen. Unsere Nutten misshandelt, die Kunden bedroht. Wird Zeit, dass wir etwas dagegen tun. Und nun hör endlich auf zu jammern. Ich muss wirklich los, die Jungs warten schon.“
Sagte es und löste gewaltsam die Hand, mit der seine Frau in störrisch festhielt. Klirr! Klirr. Ein weiterer Teller flog an die Wand. Und eine Tasse gleich hinterher.
Einen Augenblick später war Hagen schon auf dem Flur und klopfte Marco, seinem Stiefsohn wohlwollend auf die Schulter. Von der Straße hatte er den Jungen aufgesammelt. Irgendwann. Irgendwo. Ein abgerissenes Hähnchen war der Bengel nur noch. Aber zäh. Hatte sich durchgeschlagen, gegen alle Widrigkeiten behauptet. Hatte gebettelt, geklaut und seinen Körper verkauft. Und überlebt.
Seine Eltern waren schon lange tot und auch sonst hatte er niemanden mehr. Sofort, nachdem Hagen dieses abgerissene Stück Mensch das erste Mal erblickte, sah er sich selbst. Sah seine eigene Kindheit. Und erkannte in dem Jungen, der sich gerade aufmachte, seine Brieftasche zu stehlen, einen Gleichgesinnten. Und so packte Hagen dieses sich heftig währende Früchtchen am Kragen. Und nahm es mit nach Hause. Ein Zimmer und ein Bett waren in der riesigen Villa schnell gefunden. Und dort wohnte Marco, als rechte Hand vom Chef, bis heute.
„Wenn ich das Flittchen erwische, dann mach ich Hackfleisch aus ihr“, krakeelte Doris hinter ihrem Mann her, während sie sich mit verschränkten Armen bedrohlich hinten im Flur aufbaute. „Es ist noch nicht vorbei! Verschwinde endlich! Und nimm deine kleine Straßentunte gleich mit, ehe er mir die Luft verpestet! Ich hab euch im Auge, hört ihr!“
„Nimm`s nicht so schwer. Sie meint es nicht so“, schniefte Hagen und half Marco hoch. „Hier nimm das Höschen. Die Heulboje beobachtet uns. Schmeiß es nachher weg. Oder gib es mir wieder. Ganz wie du willst.“
Marco nickte nur verständnisvoll. Und legte demütig sein Buch beiseite, in dem er bis eben geblättert hatte. Geblättert, nicht gelesen. Denn er hatte jedes Wort gehört.
„Du glaubst ihr doch nicht? Oder, Vater“, fragte Marco betrübt, fast schon mit Tränen in den Augen.
„Nein, ganz bestimmt nicht, mein Junge. Ich kenne dich doch“, antwortete Hagen und drückte den Wuschelkopf trostvoll an seine Wange.
Marco konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf sein Gesicht schlich.
„Das Höschen werde ich behalten“, stellte Hagens Stiefsohn klar. „Es ist wunderhübsch. Ich trage so etwas wirklich. Willst du mal sehen?“
Im Nu wurde Hagen stocksteif und starrte ihn an wie einen Plötz. Schluckte. Einmal, zweimal. Winkte dann aber resigniert ab und ging voraus.
Währenddessen hatte Hagen die Eingangstür geöffnet. Und starrte nun überrascht auf einen stämmigen Kerl im Anzug, der verlegen seinen Hut in der Hand hin und her drehte. Frank, einer der Soldaten der Bordellkette. Außerdem mit Hagen seit Kindesbeinen verbunden.
„Was machst du denn hier?“, wollte sein Chef überrascht wissen.
„Ich wollte nicht stören. Keiner gerät gerne in die Schusslinie. Doris und ihre Teller! Du verstehst?“
„Ja, ja!“, schnauzte Hagen ärgerlich. „Du hast meine Frage nicht beantwortet! Wieso bist du hier und nicht am Treffpunkt?“
„Äh. Ja. Dein Sohn.“
„Mein Sohn? Was ist mit meinem Sohn?“
„Nun ja. Äh. Ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll.“
„Wie wäre es mit ein paar Worten? Eins hinter dem anderen. Oder gleich ganze Sätze“, gab Hagen genervt zurück.
„Nun ja. Er ist nicht da.“
„Was heißt, er ist nicht da? Er sollte doch der Erste am Treffpunkt sein! Die Männer einweisen. Die Waffen verteilen. Sind seine Männer wenigstens gekommen?“
„Tut mir leid, Chef. Keiner von ihnen ist da.“
„Scheiße! Verdammte aber auch! Wo steckt der Blödmann? Er wird sich doch nicht in der Uhrzeit geirrt haben?“
„Zwei der Männer wollen ihn bei der knalligen Berta gesehen haben. Du weißt ja, wie er ist. Wenn die ihn in der Mangel hat, dann vergisst der Junge doch alles.“
„Das glaub ich jetzt nicht“, keuchte Hagen fassungslos. „Wir ziehen in den Krieg und der Idiot lässt sich auspeitschen. Na, wenn ich den in die Finger kriege! Marco, darum kümmerst du dich. Du weißt, in welchem Puff unsere Berta arbeitet? Gut. Also schieb ab und schleif mir diesen Knaller mitsamt seinen Männern zum Treffpunkt. Aber ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf. Frank und ich fahren schon voraus und beruhigen die Männer. Wir warten dort auf euch, mit all den anderen. Und nun los! Mist, verdammter! Was ist, Junge? Schieb ab. Worauf wartest du noch? Dass ich dir einen blase, oder was?“
Marco nahm die Beine in die Hand. Wenn Hagen wütend wurde, dann lagen Backpfeifen in der Luft. Oder Schlimmeres.
Verdammtes Mistwetter!
Es war nicht kalt, keineswegs. Aber der feine Nieselregen kroch unter das elegante Jackett, als wäre es gar nicht da.
Nur ungern hatte Marco es gegen seinen robusten Gehrock aus Wildleder eingetauscht. Aber es musste sein. Kleiderordnung, so hieß das Zauberwort, wenn man einen von Hagens Edelpuffs betreten wollte.
Es wurde ein gehobener Stil gepflegt. Und dieser wurde auch erwartet. Warum? Nun, weil die Gäste sich selber als gehoben und auserlesen betrachteten.
Was soll's. Marco hatte damit kein Problem. Geschäft blieb Geschäft! Zudem war der Kampf um Kunden in diesen Zeiten ziemlich hart. Wie immer ging es um Geld. Und das saß Geld im Moonlight ziemlich locker. Jedenfalls solange die Gäste ihre Ruhe hatten. Und sie so behandelt wurden, wie sie es zu verdienen vermeinten. Denn einige Menschen, die sich persönlich für etwas Besonderes halten, müssen ständig vor anderen beweisen, dass es tatsächlich auch so war.
Marco war es recht. Geld war eben Geld und Geld war Macht. Und beides wurde in Hagens Klubs der höheren Kategorie in Ehren gehalten.
Also rein in das Jackett und los. Kein Problem. Nur die praktischen Hosen, aus weichem und edlem Leder, an der Seite verschnürt, hatte Marco nicht gewechselt. Eng waren sie. Sehr eng. Es reichte wirklich, wenn man sich einmal am Tag in sie rein- und wieder rausquälen musste.
Jeden Morgen spielte er dieses Spiel. Mit verschiedenen Tricks und bis er schwitzte. Aber wenn er sich anschließend im Spiegel betrachtete, der Aufwand war es wert, oh ja! Fast wurde Marco schon von seinem eigenen Anblick geil. Ungelogen. Schade eigentlich, dass man es nicht mit sich selber treiben konnte. Nun ja, jedenfalls mehr als nur Handbetrieb. Das würde doch so einige Probleme lösen.
Marco sah aber auch wirklich gut aus. Schlank. Gerade gewachsen. Kein Schrank. Muskulös und sehnig, ohne dabei schwächlich zu wirken. Und die Natur hatte ihn mit einer Männlichkeit bedacht, die im Ruhezustand ziemlich beachtlich war. Nicht dass sie in Betrieb um sehr vieles größer wurde, das nicht. Aber dies wussten nur wenige. Und so mussten viele schlucken, wenn sie diese beachtliche Wölbung unter der Hose sahen. Und das enge Leder verstärkte den Eindruck noch. Jede Bewegung, dazu die Form, brachte das gute Stück effektvoll zur Geltung. Deshalb quälte sich Marco. Jeden Morgen, jeden Abend.
Mit einem Fluch auf den Lippen stieß Marco die schwere Eingangstür zum Moonlight auf. Aus massivem Holz war sie gefertigt und mit zahlreichen Schnitzereien verziert. Gediegen sollte hier alles wirken, edel und seriös. Es gab keine Wachmannschaft vor dem Haus. Zumindest keine sichtbare. Vertrauen sollten die Kunden fassen und sich wohlfühlen. Als würden sie nach Hause kommen. In ein Zuhause, das sie selbst nicht besaßen, sich aber schon immer gewünscht hatten.
Schon der Vorraum war edel. Dicke Teppiche, Gemälde im goldenen Rahmen, flackernde Kerzen. Und natürlich Zlatko. Es war sein Reich. Und er entschied, wer das Wunderland der Liebe betreten durfte.
Zlatko kam vom Balkan. War dort aufgewachsen, mit dem Hass von Generationen. Und dort hatte er sie gelernt, die Kampfkunst der verschiedener Völker. Musste sie lernen, wollte sie lernen. Um zu überleben. Denn es war Krieg. Mal verdeckt, mal offen. Und Zlatko war sein Diener. Mal für die eine Seite, mal für die andere. Je nach den bestehenden Möglichkeiten. Geld war nicht das Ausschlaggebende. Obwohl er es auch nicht verachtete. Denn Geld schuf immerhin weitere Möglichkeiten.
Nein, Priorität hatte für Zlatko das, was er Spaß nannte. Eine besondere Art von Spaß. Nämlich Lebewesen quälen. Quälte er als kleines Kind noch Tiere, so schnitzte er als Halbwüchsiger schon an Menschen herum. Und so wurde für ihn der Krieg zu einer Art blutigem Paradies. Er liebte es, wenn seine Opfer auf Knien vor ihm winselten. Wenn sie sich vor Angst vor ihm einnässten. Ihre Schreie waren Musik. Nicht genug von ihnen konnte er bekommen. Er war geradezu süchtig danach. Und ganz besonders, wenn er seine schmutzigen Fingern in die Wunden bohrte und das fremde Blut leckte.
Jedes Buch, das Zlatko in die Hände bekam und in dem etwas über Folter zu finden war, hatte er in sich aufgesogen. So wie eine Art Religion.
Und alles, was er las, probierte er auch aus. Verwarf anschließend, was er für Schwachsinn hielt. Verfeinerte, was ihn erregte. Oh ja. Irgendwann war er schließlich der anerkannteste Fachmann für Folter weit und breit. Dies hatte sich seitdem auch nicht geändert. Mehr noch, seine Arbeit erregte ihn immer noch. Manchmal sogar so sehr, dass er abspritzte.
Seine Vorgesetzten ließen ihn gewähren. Denn es gab keinen Gefangenen, den Zlatko nicht brechen konnte. Zeit und Geduld waren die Faktoren, welche dies ermöglichten. Und so wurde mancher Sieg über den Gegner erst durch seine Arbeit gewiss. Aber um ehrlich zu sein, die meisten hatten Angst vor ihm. Vorgesetzte und Kameraden. Und Zlatko selbst konnte bis heute keinen beim Namen nennen, der ihn jemals geliebt hätte.
Nun ja, der Krieg ging zu Ende und Zlatko musste fliehen. Geld besaß er ausreichend und so ging er dorthin, wo er sich das bequemste Leben erhoffte. Zu seinem Pech gab es politische Kräfte auf dem Kontinent, die solche Leute wie ihn durch die Lande jagten. Und die irgendwann Zlatko auf die Spur kamen. Im letzten Moment, und durch ein Fenster auf der Toilette, konnte er sich gerade noch retten. Mit zahlreichen Wunden und einer Schusswunde im Gepäck.
Auf einem Hinterhof, der zu einem Edelpuff gehörte, versteckte er sich zwischen den Mülltonnen. War schon ziemlich entkräftet, als man ihn dort schließlich fand. Und zu Hagen brachte. Dem Eigentümer des Puffs. Und der war es schließlich auch, der Zlatkos besonderes Potenzial erkannte.
Hagen war kein Kriegsverbrecher. Jedenfalls nicht im engeren Sinne. Allerdings führte er seinen eigenen Krieg. Und dies, ob er nun wollte oder nicht.
Als Hagen Zlatkos Notlage erkannte und er ohnehin immer gute Männer brauchte, band er ihn an sich. Außerdem glaubte Hagen, dieses menschliche Raubtier lenken und leiten zu können. Quasi bändigen, was bislang auch gelang. Zumindest dem Anschein nach.
Und so hatte es Hagen bis auf den heutigen Tag noch nie bereut. Denn Zlatko erwies sich mehr als nur nützlich und arbeitete sich so langsam hoch. Er war der wahre Herr hier im Moonlight, auch wenn er immer noch als Türsteher auftrat.
Hagen ließ ihn gewähren. Wenn es lief, dann lief es. Keine Klagen. Zufriedene Kunden. So gut wie keine Konkurrenz, was wollte man mehr. Und die paar Leichenteile, die dann und wann einsam unter so manch einem Busch verfaulten, fielen ja wohl nicht weiter ins Gewicht. Futter eben. Die Polizisten auf ihrer Lohnliste sahen es ebenso. Welch Wunder!
Wie von Zauberhand hatte Zlatko urplötzlich und dienstbeflissen ein Handtuch in der Hand. Marco nahm es dankbar, während er dem Türsteher gemäß der Hausordnung gleichzeitig seine Waffe reichte. Flüchtig wischte er über sein Gesicht, rubbelte sich die Haare, während er sein Gegenüber aufmerksam betrachtete.
Wie immer sah er einen gefährlichen Bluthund in der Maske eines Dienstmannes, den er perfekt ausfüllte. Niemals würde Marco daran zweifeln. Hier war keine Schleimerei im Spiel. Oder Anerkennung seines Standes als rechte Hand vom Chef. Nein, nur der gesunde Respekt zwischen zwei Jägern. Oder sollte man besser sagen, zwischen zwei Raubtieren. Denn das waren sie alle beide. Nur das Zlatko seine Opfer am liebsten von hinten ansprang, während Marco ihnen genüsslich in ihre schreckverzerrten Gesichter starrte.
„So spät noch unterwegs, Meister Blumis? Soll ich Ihnen ein trockenes Jackett holen?“, wollte Zlatko beflissen wissen.
Blumis. Meister Blumis. So wurde Marco von vielen genannt, die sich trauten, ihn überhaupt anzusprechen. Seinen wirklichen Nachnamen kannte keiner, nicht einmal er selbst.
Und wie viele seiner Art, so hatte auch dieser merkwürdige Name eine Geschichte. Aus den Anfängen stammte er, gerade als Marco und Hagen sich kennenlernten. Nämlich als Letzterer gerade sein Revier inspizierte. Und ein kleiner Junge mit klammen Fingern versuchte, ihm die Brieftasche zu klauen.
Einen Satz heißer Ohren gab es und Marco flog mit viel Speed in den schmatzenden Matsch. Und gerade, als Hagen sich nach unten beugte, um dem frechen Lümmel noch eine reinzudrücken, da sprang ihn der irre Bengel an. Ganz wie ein Affe. Arme und Beine fest um Hagens Körper geschlungen.
Und die kleine Kröte biss zu. In die Nase. Nicht einfach nur so. Nein so richtig, bis das Blut kam.
Hagen quiekte wie ein Schwein und riss an den damals noch abstehenden Ohren seines Peinigers. Was diesen allerdings nicht sonderlich interessierte. Und so kamen Hagens Fäuste zum Einsatz. Notgedrungen. Die Linke und die Rechte und beide gleichzeitig.
Irgendetwas knackte, irgendetwas stöhnte. Der kleine Affe japste, mit Hagens Blut auf den Lippen, während er losließ. Eine gerade Rechte schoss vor und sorgte dafür, dass der Bengel noch zwei Meter weit durch die Luft segelte, bevor er erneut den Matsch küsste.
Oh, war Hagen wütend! Nicht nur, dass er aussah wie eine Sau, auch würde die schmerzende Nase ihm die nächsten Tage verleiden. Und so traten, mit einem heiseren Brüllen, seine Füße wie von allein zu und trafen das Würmchen an den empfindlichsten Stellen. Sich schutzsuchend im Dreck zusammenzurollen nützte da rein gar nichts.
Doch dann griffen fremde Hände beruhigend nach Hagen und zogen ihn zurück. Es wurde Zeit. Denn die ganze Straße schaute entsetzt zu. Bestimmt hatte schon irgendeiner die Nummer der Bullen gewählt.
Und tatsächlich wäre der Kampf damit wohl zu Ende gewesen. Wenn ... Ja wenn! Wenn die kleine Ratte dort am Boden nicht gemeint hätte, noch eine Rechnung offen zu haben. Und als Hagen gerade abgelenkt war, traten die kleinen Krabbelbeine zu. Zielgerichtet, punktgenau. Hagens Kniescheibe summte und seine Eier klingelten.
Ein Griff und das Bürschchen schwebte hilflos in der Luft, nur von Hagens starker Hand gehalten. Auge in Auge starrten die beiden sich wütend an, während ihre Nasenspitzen sich berührten.
Hagen knurrte. Der kleine Marco zischte und spie dem großen Lulatsch sein eigenes Blut wieder zurück in die verdutzte Visage. Sekundenlang, minutenlang. Dann verzogen sich schließlich Hagens Gesichtszüge. Ein Grinsen machte sich breit, das zu einem Lachen wurde.
Verwirrt strich sich der kleine Junge durch seine schmutzigen Haaren, die wie bei einem Igel stachelig abstanden. Und stimmte schließlich in das mittlerweile allgemeine Gelächter ein.
„Du dreckige Ratte! Du verwichster Bastard! Du blutgieriges Miststück!“, stieß Hagen schlussendlich hervor und packte sich das kleine Stück Mensch auf seine Schultern, um es mit nach Hause zu nehmen.
Anfangs wurde Marco nur mit diesen Schimpfworten bedacht. In voller Länge und in der richtigen Reihenfolge. Doch mit der Zeit wurde die Anzahl der Wörter kleiner, bis sie irgendwann ganz verblassten. Nur Blumis blieb übrig, die Verniedlichung von „Blutgieriges Miststück“. Und Marco nahm diesen Namen als den Seinen an, nicht ganz ohne Stolz.
„Nein, ist schon in Ordnung“, winkte Marco mit einer Leidensmiene ab. „Ich bin nur kurz hier. Im Auftrag vom Chef, gewissermaßen. Wir haben wieder mal Krieg, weißt du. Und ich soll nun nachschauen, warum nicht all unsere Truppen an der Front sind.“
„Oh, Sie meinen bestimmt Meister Steven“, nickte Zlatko wissend. „Nun, der ist hier. Schon eine geraume Zeit. Von einem Krieg hat er allerdings nichts gesagt.“
„Hm“, schnaufte Marco. „Hier? Tatsächlich! Und er hat nichts gesagt? Interessant! Was ist mit seinen Leuten? Seine Leute, sind die auch im Haus?“
„Nun ja. Aber nur ein paar. An der Bar, auf den Zimmern verteilt. Meister Steven ist heute großzügig.“
„Großzügig also! Das wird ja immer besser. Was er wohl zu feiern hat? Hofft der Kerl etwa, dass sein Alter abkratzt? Wo ist diese halbe Portion eigentlich? Unser Meister Steven, den meine ich!“
„Ist bei der knalligen Berta drin. Lässt sich wieder mal den Arsch versohlen.“
„So, so. Lässt also seinen Alten im Stich! Was meinst du, Zlatko? Ist dies grenzenlose Dummheit? Oder schon Meuterei?“
Zlatko sagte nichts. Er zog nur die Nase kraus und schniefte ungehalten. Machte sich so seine Gedanken. Und spielte so einiges in seiner Fantasie durch.
„Ist schon klar. An deiner Stelle würde ich mich auch raushalten. Ich kann das leider nicht. Wenn ich nicht noch ein paar Männer besorge, dann kann die Sache heute Nacht übel ausgehen. Wo sind eigentlich diese beiden Blödmänner, die Steven immer mit sich rumschleift?“
„Nuckeln an Susans Titten rum. Hinten, in ihrer Bar. Besser konnte ich sie nicht verstecken. Ich weiß, Meister Hagen würde das nicht gefallen.“
„Oh nein. Ganz gewiss nicht. Sind sie bewaffnet?“
„Nein. Keiner trägt hier Waffen!“
„Alles klar, Zlatko. Ich wollte nur ganz sicher gehen und dich nicht beleidigen. Es könnte nämlich ein wenig Blut fließen. Mit leeren Händen kann ich hier nicht weg. Mein Messer behalte ich deshalb am Mann. Ausnahmsweise. Ich werde darauf achten, dass die Kundschaft nichts schnallt. Du kannst ja auf mich aufpassen. Einverstanden?“
Zlatko knurrte nur. Aber die erfreuliche Hoffnung auf etwas Blut außer der Reihe machte ihn froh. So nickte er schließlich und schloss sich Marco an.
Der war schon ein paar Schritte voraus. Ein Blick auf die Uhr wies auf den Mangel an Zeit. Hagen war bestimmt schon auf dem Weg an die Front. Und wäre alles andere als erfreut, wenn seine Armee nur in Teilen anwesend war. Wenn die Russenmafia auch nur einen fähigen Anführer dabei hatte, dann konnte die Geschichte so richtig ins Auge gehen.
Am liebsten hätte Marco laut geflucht. Immer diese Probleme! Oftmals unnötig und vollkommen daneben. Wie Mücken schwirrten sie durch die Luft und stachen zu. Ohne Vorwarnung und schmerzhaft.
Aber im Moment musste er den Ärger herunterschlucken. Die Gäste! Denn gerade betraten sie den Thronsaal. So wurde der prunkvollste Raum in diesem Anwesen genannt. Nicht ganz zu Unrecht. Säulen aus Marmor überall. Dazu reichlich Stuckelemente. Alles vergoldet, natürlich. Kostbare Teppiche und Kristalllüster in großer Zahl. Bequeme Sitzgruppen aus Samt oder Leder, offen oder versteckt. Und jede Menge mehr davon, was man mit Geld so kaufen konnte.
Marco und sein Verfolger schwebten geradezu an der Wand entlang. Auf einem unsichtbaren Pfad, welcher genau zu diesem Zweck für das Personal freigeräumt war. Unhörbar, unsichtbar, so sollten die dienstbaren Geister wirken.
So fielen die beiden auch nicht weiter auf. Der große Saal war ohnehin fast leer. Am frühen Abend war es oben in den Zimmern betriebsamer als hier unten. Bei den meisten Besuchern musste ohnehin erst der Druck des Tages weichen, ehe sie sich entspannen konnten. Außerdem liebten viele die Anonymität, die Abgeschiedenheit. Erst später kamen etliche herunter, um im Glanz und mit anderen zu feiern. Nun ja, zumindest, wenn sie dann noch die Kraft dazu hatten.
Natürlich gab es auch Ausnahmen. Stammkunden zumeist, die sich nicht darum scherten, was das niedere Volk so dachte und tat. Und die das Geschäft mit dem Angenehmen verbanden. Warum sollte man denn alle anderen Tätigkeiten unterbrechen, nur um Sex zu haben? Die Sinne konnten doch weitaus mehr angeregt werden, wenn man alles miteinander verband. Essen und Trinken. Rauchen und Schnupfen. Gespräche, Kuscheln, Spiele, in die Röhre glotzen, Gelächter. Und so weiter, und so weiter.
Diese Klientel kam in der Regel etwas später. Nach einem Geschäftsessen in nobler Umgebung. Und möglicherweise noch erhitzt von Sekt und Tanz.
Erst wenige dieser Herren rekelten sich schon hier herum, auf den Startschuss der allabendlich gemeinschaftlichen Orgie wartend.
Während Marco durch den Schatten schlich, sah er zwei Kunden in bezahlter Begleitung fast in der Mitte des Raumes. Der eine mit geöffnetem Hosenstall. Aus dem ein halbwegs schlaffes Glied hervorlugte, obwohl sich eine junge Asiatin mit Hand und Mund aufopferungsvoll darum kümmerte. Während der Besitzer an seiner Zigarre nuckelte und lauthals politisierte.
Sein Gegenüber hatte sich für das andere Geschlecht entschieden. Ein niedlicher Blondschopf mit blauen Augen saß auf dem Schoß seines Kunden und küsste diesen auf jede Stelle, die er erreichen konnte. Und zwischendurch schlürfte der junge Mann immer wieder an seinem Glas Sekt. Um den Inhalt anschließend von Mund zu Mund seinem Liebhaber zu spendieren. Und als Dank massierte sein Kunde ihm den prallen roten Schwanz ohne Unterlass. Immer darauf achtend, kurz vor dem Höhepunkt innezuhalten.
Marco war neidisch. Ein wenig Entspannung hätte ihm jetzt auch gut getan. Besonders als er die Gruppe aus drei Stammkunden und sieben Liebesgöttinnen am Ende des Saales sah. Da wurde experimentiert! Ohne Scham und Reue! Schwitzende Leiber ineinander verknäult. Jeder mit jedem und einer Unmenge von Spielzeug. Die Körper in ihrer Erscheinung jung und strahlend. Anmutig und voller Energie. Aber keine Kinder wie anderswo, Hagen hatte da so seine Prinzipien. Keine Kinder, kein Rauschgift, keine Waffen. Und war bislang damit gut gefahren.
Elektrizität lag in der Luft! Oh, dieses fesselnde Spiel der Muskeln unter der samtigen Haut! Dieser magische Anblick der Weiblichkeit, wenn sich die Spalte im Spiel der Beine öffnete und wieder schloss.
Und da war sie! Das Mädchen, dessen Anblick ihn schon immer um den Verstand gebracht hatte. Von Anfang an. Welch eine Haarpracht! Haare ohne Ende! Seidig. Lang. Gekräuselt. Und an den richtigen Stellen. Unter den Armen! Wahnsinn! Auf den Kopf, lang und federleicht bis über die Schulterblätter. Auf dem genialen Schamhügel! Welch eine Pracht!
Marco musste schlucken und seine Hose füllte sich. Die heißen Ohren waren inclusive. Er liebte Haare und jede Menge davon. Nur nicht auf Armen und Beinen. Am Rest des Körpers schon gar nicht. Das törnte ihn ab. Genauso wie Schminke. Das Mädchen schien es ebenso zu sehen. Ein Grund dafür, weshalb Marcos Freund in der Hose jedes Mal lauthals nach Ausgang verlangte, wenn die beiden sich über den Weg liefen.
„Konzentrier dich, Mann!“, ermahnte sich Marco selber und senkte den Blick.
Und schritt sicherheitshalber gleich ein wenig schneller aus. Zum Glück war der große prunkvolle Saal schon nach wenigen Schritten Vergangenheit.
Aber es wurde nicht besser. Jedenfalls nicht viel. Immer wurde irgendwo in einem der vielen Nebenräume geschnauft und gekichert. Und so manches Stöhnen, voll der Lust oder des Schmerzes, suchte sich den Weg an sein Ohr.
Und so kam es, dass Marco ziemlich erregt und mit praller Hose in die hell erleuchtete Bar voller Spiegel am anderen Ende des Gebäudes stolperte.
Doch was er hier sah, ließ ihn ziemlich schnell jede Lust vergessen. Die rothaarige Inga, die feurige Bardame aus dem Moonlight. Quer über den ganzen Tresen hatte sie sich geschoben, ein gut gefülltes Glas Schnaps in der Hand. Und ihr gegenüber, auf den hohen Barhockern, saßen Stevens Kläffer. Mausi und Berni! Stevens idiotische Kumpel. Voll verzückt und weggetreten nuckelte ein jeder an eine von Ingas stolzen Zitzen, während sie sich gegenseitig einen runterholten. Sie sabberten und schmatzten, was das Zeug hielt, während ihr Speichel über Ingas herrliche Haut herunterlief und eklig auf den Tresen tropfte.
Marco wurde schlecht, während ihm Inga fröhlich zuzwinkerte. Sie machte anzügliche Bewegungen mit ihrer freien Hand und leckte sich mit ihrer Zunge über ihre Oberlippe, während sie Marcos immer noch halb steifes Gerät in der Hose betrachtete.
Doch dieses fiel regelrecht in sich zusammen, da Berni just in diesem Moment mit einem irren Quieken abspritzte. Mit viel Druck und seinem besten Kumpel direkt ins Gesicht.
„Du dummes Schwein!“, schimpfte Mausi.
Aber es war wohl nicht allzu ernst gemeint, denn er kicherte dazu, bevor er sich wieder dem sportlichen Saugen zuwandte.
„Hab dich nicht so!“, unterbrach Berni kurz seinen Schmatzmodus. „Ist gut für die Haut!“
Marco räusperte sich. Einmal, zweimal. Zuerst verhalten, dann lauter. Allein, es zeigte keine Wirkung.
„Eh, ihr beiden Idioten!“, fand er schließlich die richtigen Worte.
Mehrfach wiederholte er diesen Satz, immer unterschiedlich laut. Aber erst, als er fast schon brüllte, nahmen ihn Stevens Hündchen zur Kenntnis. Aber nur kurz und mit einem abschätzigen Blick. Dann machten sie weiter, als wäre er gar nicht da.
Das war eindeutig! Bislang hatte Marco die beiden Schleimer in Ruhe gelassen. Na ja, ein paar Streiche gab es schon dann und wann. Klar doch, die mussten sein. Aber diesen Mangel an Respekt konnte er nicht ignorieren. Schon gar nicht mit Zlatko in seinem Rücken, der schon ziemlich abfällig schnaufte. Dies hier war schon fast so etwas wie eine offene Meuterei, denn immerhin standen die beiden weit unter ihm in der Hierarchie.
Also stürzte Marco auf den Tresen zu und griff den beiden fest in ihre fettigen Haare. Ein Ruck nach hinten und Schmerzensschreie erfüllten die Luft. Dann krachte es auch schon mächtig, als Marco die beiden Blitzbirnen zusammenstieß.
Während Inga noch jammernd die Bissspuren auf ihren Brüsten untersuchte, fielen die japsenden Hündchen schwer von ihren Barhockern zu Boden. Sie winselten und krümmten sich, während Marcos Tritte sie trafen.
Marcos? Nicht nur. Denn bei dieser angenehmen Freizeitbeschäftigung machte nun auch Zlatko mit. Diesen Spaß außer der Reihe ließ er sich doch nicht entgehen! Das war doch tausendmal besser, als am Eingang Kunden zu begrüßen.
Aber während Marco nur bestrafen wollte, machte Zlatko ernst. Verletzen wollte er! Blut sollte fließen! Nicht zu knapp. Aber bevor er sich so richtig hineinsteigern konnte, riss ihn Marco zurück. Einige Momente rollten die Augen noch wild, bevor er sich langsam beruhigte. Es war okay. Marco hatte mit diesem Spaß angefangen und ihn dazu eingeladen. Also durfte er das Spiel auch wieder beenden. In diesem Moment war er der Rudelführer hier im Bau.
Welch ein Gewinsel und Gekrabbel am Boden! Zwei menschliche Maden! Da wurde fröhlich das Gemüt!
„Wir haben doch gar nichts getan!“, so jammerte der Eine.
„Warum bist du so böse?“, wollte der Andere wissen.
Und weil Zlatko und Marco abwartend herumlümmelten und kein unmittelbarer Schmerz in der Luft lag, wurde der Mut der Maden wieder größer.
„Pass bloß auf!“, grummelte der Eine. „Ich werd dir deine verdammte Visage verbiegen! Wenn du gar nicht damit rechnest!“
„Bist du bescheuert? Wenn Steven das erfährt, dann macht er dich nackig!“, polterte der Andere.
Stück um Stück, fast schon verstohlen, reckten die beiden Maden sich wieder in die Höh und schoben sich auf ihre Barhocker zurück. Marco wusste ganz ehrlich nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Urkomisch wirkten die beiden mit ihren immer noch heraushängenden Schwänzen und weinerlichen Gesichtern. Allerdings zuckte gleichzeitig die Tränendrüse bei solch grenzenloser Dummheit.
Zu gern hätte Marco die beiden noch ein wenig länger traktiert. Das Problem war nur, er hatte es eilig. Und schmollende Kleinkinder waren da wenig hilfreich. Außerdem legte Hagen viel Gewicht auf den inneren Burgfrieden. Und jeden, der diesen gefährdete, würde der Chef persönlich in den Hintern treten, egal wie nahe ihm der Störenfried stand.
Also drängte sich Marco zwischen Stevens lädierte Spielkameraden und streichelte ihre Köpfe. Küsste sogar die stattliche Beule, mit der eine jede Stirn gesegnet war. Tröstende Psychologie, die war jetzt genau richtig. Etwas verlogene Aufbauarbeit zum Wohle der Sache.
„Bernie! Mausi! Tut mir echt leid“, log Marco perfekt und umarmte die beiden verkappten Leibwächter noch ein wenig fester.
Ein Schluchzen war die Antwort. Dann fragende Blicke.
„Ich meine es wirklich ernst“, spann er weiter. „Ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren war.“
Hoffnungsvolle Blicke und ungläubiges Staunen in einem. Hm, das reichte wohl noch nicht. Da musste Marco noch einen draufsetzen!
„Bitte! Bitte verratet Steven nichts. Bitte! Ihr habt auch was gut bei mir! Inga, einen Versöhnungstrunk für unsere beiden Helden! Groß und vom Besten. Auf meine Kosten!“
Das war`s! Bernie und Mausi schluckten und erstrahlten. Ihr härtester Gegner entschuldigte sich! Spendierte einen Drink und sie hatten ihn in der Hand. Erpressung und so. Was sie natürlich tun würden. Endlich! Diese Aufmerksamkeit war doch verdient, zumal nach all der Zeit!
Das Ego der beiden Würmer wuchs in Sekundenschnelle und weichte auf ihr Herz. Jetzt konnten sie auch vergeben. So umarmten sie Marco zurück und rubbelten ihm das Haar. Freunde auf ewig! Wer hätte das gedacht!
Gut so, dachte Marco und war gleichzeitig ein wenig fassungslos. Selbst Zlatko in seinem Rücken grunzte ungläubig. Es war so einfach!
„Wenn ich nur wüsste, wer von euch mehr IQ-Punkte hat“, grummelte Marco halblaut und spürte Zlatkos Grinsen in seinem Rücken.
„Punkte?“, strahlte Mausi und drückte Marco freundschaftlich an sich. „Ich, ich, ich!“
Eigentlich hatte er nur dieses eine Wort verstanden und irgendetwas machte Klick bei ihm. Allerdings nicht das Richtige.
„Hättest mal heute sehen soll`n! Der Berni und ich! Boah, Tennis! Schon mal gehört?“
„Willst du mich verarschen?“, grummelte Marco und meinte garantiert etwas anderes als sein Gegenüber.
„Ne, echt, wirklich! Haben heute gespielt. Hat wieder mal sein großes Maul aufgerissen, der Berni und so. Von wegen! Ich weiß alles, ich kann alles! Entenpisse! Boah, nix da! Hab ihn vom Platz gefegt, den Schluffi. Jede Menge Punkte gemacht! Mit links und dreimal schwarzer Kater!“
„Spinn doch nicht rum, du Knallpudding!“, keifte Berni und schlug seinem Kumpel auf den Hinterkopf. „Betrogen hast du, eh Alter. Aber so richtig, Alter, eh! Von wegen Sonderpunkte, wenn man den Ball mit dem Fuß trifft. Alter, eh! Tickst wohl nicht richtig! Brei in der Birne? Und mit Kopf und Oberkörper schon gar nicht, du Pufferbse!“
„Ich und Knallerbse? Haste nich alle, du Blarrlappen? Was ist denn mit dir, häh? Boah eh! Ungültiger Versuch wegen blenden, häh? Was für ein Quatsch! Ich hab mitgezählt! Über sechzig Aufschläge hast du hintereinander gehabt, wegen der Sonne! Von wegen! Bis du ein Ass hattest. Boah, knallhart verarscht hast du mich, solche Regeln gibt es nämlich gar nicht. Außerdem ging der Ball sowieso ins Aus.“
„Was du nicht sagst!“, konterte Berni. „Ist vollkommen egal, wohin du das Teil schlägst, Alter! Hauptsache das Teil berührt vorher das Netz. Und wer geblendet wird, hat drei neue Versuche. Alter, eh. Kann ich doch nichts dafür, dass du die Regeln nicht kennst. Und von wegen sechzig Mal! Seit wann geht es nach zwanzig mit sechzig weiter? Außerdem solltest du lieber bei dir anfangen, Alter, eh! Wieso muss man sich erst mal um sich selbst drehen, bevor man schlagen darf? Bist wohl blöd, Alter, eh?“
„Steht so in den Regeln, du Grünkohl!“, fauchte Mausi mit rollenden Augen. „Du bist doch der Trollo, der keine Ahnung hat! Boah, Dumpfbacke, du! Erklär Marco mal lieber, warum man sich beim Aufschlag hinlegen muss und dann noch hin- und herrollen soll, hä? Idiot! Hab trotzdem gewonnen, trotz aller deiner Tricksereien. Boah eh.“
„Aaaaaaaaaah!“, quiekte Marco auf und machte sich mit einem Ruck von den beiden frei. „Ich glaub das einfach nicht! Für so einen Scheiß habe ich einfach keine Zeit! Sagt mir lieber, ihr beiden Blitzbirnen, warum ihr hier seid? Wir haben Stress da draußen! Diese Nacht soll so richtig heiß werden. Wir wollten doch den Wodkaleichen mal so richtig einheizen! Also, warum seid ihr nicht bei den Jungs da draußen? Ich weiß es genau, ihr seid dabei gewesen, als der Chef die Order ausgegeben hat!“
„Chef, Alter, eh? Welcher Chef, eh? Alter, eh!“, kicherte Berni.
„Richtig! Welcher, welcher, welcher? Steven ist unser Chef! Knackiger Steven, der! Wir machen nur, was er sagt! Klaro? Alter?“, ergänzte Mausi und nickte dazu wie ein Wackelpudding.
„Das glaub ich jetzt nicht!“, schnaufte Marco.
Er musste nach Luft schnappen und das Blut stieg ihm wieder in den Kopf. Gleichzeitig spürte er, wie Zlatko mit bitterbösem Gesicht an seine Seite trat. Instinktiv schoss Marcos Hand in seine Richtung und hielt ihn zurück. War das Meuterei? Das musste er jetzt aber genau wissen.
„Steven also? Hat Steven euch gesagt, dass ihr nicht gehen sollt?“
„Eh, Alter, eh, nun lass mal ein bisschen die Luft raus“, polterte Berni beleidigt. „Glaubst du etwa, wir machen etwas ohne seine Anweisungen? Eh?“
„Boah, eh. Machen wir nicht! Wie kannst du das nur denken!“, fiel Mausi beleidigt ein und wackelte wieder mit dem Kopf. „Wir sollen hier bleiben und Spaß haben!“
„Hat Stephen gesagt?“, bohrte Marco nach.
„Klar doch, Alter. Was denkst du denn, eh?“, bestätigte Berni.
„Und wenn uns einer fragt, dann sollen wir sagen, wir hätten uns im Datum geirrt“, ergänzte Mausi und wackelte weiter.
„Sagt Steven?“, fragte Marco.
„Alter, eh. Sag ich doch. Was denkst du denn? Wir sollen es aber keinem weitererzählen, sagt er“, fiepte Berni.
„So, so! Ist ja interessant“, keuchte Marco und kniff sich selber.
Das konnte ja wohl alles nicht wahr sein! Das war tatsächlich Meuterei. Offensichtlich, wenngleich getarnt. Hoffte Steven etwa, seinen Alten loszuwerden? Hoffte er, dass diesen eine Kugel traf, nur weil sie heute zu wenig Leute da draußen waren? Oder gab es da vielleicht noch mehr? Ein Glück nur, dass Stevens Kumpel so unglaublich dämlich waren. Wer weiß, ob er jemals erfahren hätte, was hier so abging.
Allerdings ergaben sich daraus auch wieder neue Chancen. Für ihn. Denn er und Hagens Sohn, sie beide konnten sich noch nie leiden.
Aber, was heißt hier leiden? Eigentlich war es leidenschaftlicher Hass, der die beiden verband. Vom ersten Augenblick an, als sie sich zum ersten Mal sahen. Nur ein paar kurze Blicke ohne Worte reichten damals, um ihre Fäuste in Bewegung zu setzen. Und dabei blieb es nicht. Jedes Mal, wenn Hagen nicht hinschaute, taten sie sich etwas an. Verleumdeten sich gegenseitig, zerstörten das Spielzeug des anderen. Oder stellten sich gegenseitig Fallen, um anschließend den Unterlegenen auszupeitschen. Nun ja, in der Regel war dies Steven. Der musste schon einen ziemlich merkwürdigen Körper ohne Kraft sein Eigen nennen. Und Intelligenz? Himmel, was war das denn? Oh ja, ihre Augen wurden rot, wenn sie nur aneinander dachten.
Vielleicht war dies nun die Gelegenheit! Um diesen ungeliebten Nebenbuhler um Hagens Gunst endlich loszuwerden.
Übrigens, der wusste wohl um die Schwächen seines Sohnes. Wusste, dass dieser dumm war und absolut nichts drauf hatte. Und nur die Familienbande schützten Steven vor der Ungnade des Vaters. Familie war Hagen heilig, sonst hätte er sich auch schon lange von seiner Frau getrennt. Gleiches Blut macht so manches möglich. Viele auf dieser Welt wissen darum.
Aber genauso war dem Chef Loyalität heilig. Ohne die ging gar nichts. Und sollte Hagen erfahren, dass sich sein Sohn bewusst seinem Willen entzog, dass dieser sogar den Tod des Vaters in Kauf nahm, dann würde er ihn fallen lassen. Vielleicht sogar entsorgen. Bestimmt! Und Marco wäre selber die unumstrittene Nummer eins. Ohne je dem Ruf der Familie geschadet zu haben.
Nicht schlecht! Erfreuliche Aussichten. Aber zuerst musste er mit Steven sprechen. Es musste alles so aussehen, als wenn er sein Möglichstes getan hatte. Keiner sollte ihm später nachsagen, dass er nur auf die Gerüchte zweier Idioten hörte.
„Steven! Wo ist er? Ist er hier?“, bellte Marco im Befehlston. „Los, sagt schon, ihr Flitzer. Spuckt es aus! Wo ist euer Chef?“
„Gleich hier unten, um die Ecke“, antwortete statt ihrer Inga. „Bei unserer knalligen Berta. In einem unserer Spezialräume. Dem mit dem besonders kleinen Käfigen. Und den Lederschaukeln, na, du weißt schon. Wo er auch sonst immer hingeht.“
„Ah, ja. Alles klar“, nickte Marco und wandte sich um.
„Du kannst da jetzt nicht rein!“, protestierte Mausi. „Er wird jetzt gerade bestraft. Das dauert immer sehr lange. Und er hasst es, gestört zu werden! Klaro? Eh?“
„Ich komme direkt vom Chef! Vom richtigen Chef! Verstanden? Da werde ich euch beiden Blitzbirnen doch nicht fragen! Oder wollt ihr, dass ich gehe? Und ihm berichte, dass ihr meutert? Was denkt ihr eigentlich? Was meint ihr, wie schnell wärt ihr tot?“
Zwei Hündchen, eben noch mit ihm in Freundschaft verbunden, wurden urplötzlich blass.
„Boah! Das, das ...“, stotterte Mausi.
„... würdest du nicht tun! Alter, eh!“, ergänzte Berni.
„So? Würde ich nicht? Vielleicht nicht“, ließ Marco die beiden zappeln. „Jedenfalls nicht sofort. Eigentlich mag ich euch beiden ja und würde euch nur ungern verlieren. Sagen wir mal, wenn ihr jetzt mal Ingas Titten vergesst und eure Knarren holt, dann könnte ich noch mal darüber nachdenken. Seht zu, dass ihr in die Spur kommt und zu der Truppe da draußen stoßt, die schon auf euch wartet. Und nehmt jeden unserer Leute mit, die sich noch hier im Haus befinden und rumbumsen, anstatt ihre Pflicht zu tun.“
Mit halb ängstlichen und halb verwirrten Gesichtern stürzten die beiden davon. Sie hatten noch nicht einmal Zeit, um ihre immer noch heraushängen Schwänze wegzuschließen. Aber an die dachten sie wohl gerade am wenigsten.
„Glaubst du, sie werden es tun?“, wollte Zlatko wissen.
„Nein. Ich hoffe. Aber ich befürchte, eher nicht“, seufzte Marco und machte sich auf, um ein Wörtchen mit Hagens Sohn zu wechseln.
Es waren nur wenige Schritte.
Der Durchgang am anderen Ende der Bar. Um die Ecke herum, etwas den Flur entlang. Und da war sie auch schon, die etwas größere Doppeltür, mit den beiden Peitschen darauf. Über ihr leuchtete ein rotes Licht, was so viel wie „Besetzt!“ und „Nicht stören!“ hieß.
Was Marco allerdings herzlich wenig interessierte. Kurz entschlossen und mit Wucht drückte er die Türflügel auf und marschierte in den großen Raum mit dem schummrigen Licht. Direkt auf die Konstruktion aus Seilen und Leder zu, die schwankend von der Decke hing. Eine SM-Hängematte vom Feinsten. Zusammen mit ein paar einzelnen Schnüren und Ketten. Für die Hand- und Fußfesseln, was sonst. Und mittendrin in diesem Gebilde baumelte Steven waagerecht in der Luft. Gut verpackt und verschnürt.
Lederfessel um Arme und Beine, mehrfach. Die allesamt Metallringe besaßen, in die Schnüre und Ketten eingeklinkt werden konnten. Der Körper auf der Hängematte, gut fixiert.
Im Großen und Ganzen war Hagens Sohn nackt. Und doch wieder nicht. Eigentlich war er eingezwängt in ein Zaumzeug für Menschen. Ein SM-Harness, mit zahlreichen Riemen und Nieten und Schnallen, welches kaum etwas verhüllte.
Früher gab es so etwas auch mal für Kinder. Zumindest für den Oberkörper, damit die Racker nicht entwischten. Nun, die Mode ist heute eine andere. Was man als Kind lauthals ablehnte, macht einen als Erwachsenen unter Umständen heiß.
Egal und zurück. Wie gesagt, Steven strampelte eng eingezwängt in jede Menge Lederbänder. Um den Körper herum und zwischen die Beine, alle miteinander fantasievoll verbunden. Selbst durch den Schritt, wie nett. Mit einem ziemlich engen Cockring fixiert, in den die knallige Berta wohl mit viel Druck die Hoden und den Penis gezwängt hatte.
Schwarzes Leder auch um Arme, Beine und Hals. Zwei Nippelklemmen piesackten die Brustwarzen, durch eine zarte Kette geschwisterlich miteinander verbunden. Um den Penis und den Hodensack ein Keuschheitskäfig, aber hallo. Das Fleisch mit Schrauben und kleinen Platten zusätzlich eingezwängt. Da konnte nichts wachsen, egal, was auch passierte!
Um den Kopf eine Isolationsmaske aus Lackleder. Nur kleine Schlitze für die Augen, aus denen es weiß leuchtete. Im Mund einen ziemlich großen Knebel, mit Bändern am Hinterkopf verschnürt. Da war Berta wohl wieder mal in Hochform!
Wo war sie eigentlich? Ah, da! Wow! Dieses Klasseweib machte schon etwas her! Ein enger Leder-BH, der die beiden Süßen nicht verhüllte, sondern nur anhob. Dazu enge Lederhandschuhe mit großen Schlitzen, sonst fast gar nichts. Hohe Stiefel aus Lack, netzartige Strumpfhosen, im Schritt und am Hintern offen. Und Strapse, was für Strapse!
Die fülligen Haare hatte Berta streng nach hinten gebunden und eine große schwarze Hornbrille auf die Nase gesetzt. Das war Berta und noch viel mehr. Sie war in ihrem Element. Dies hier war nicht nur ihr Job, sondern ihr Leben. Sie machte es gern und ausgesprochen gut. Kundschaft gab es zuhauf. Und jeder, der bei ihr fand, was er suchte, kam gerne wieder. Und zahlte, was immer Berta verlangte. Vollkommen egal, wie viele Tränen und blaue Flecke es bei der letzten Sitzung gab.
Stolz stand diese Rassefrau gerade am reichlich bestückten Gestell für Spielzeug und suchte nach einer neuen Peitsche. Eine größere? Die mit den kleinen Eisenringen am Ende vielleicht? Oder besser doch der Rohrstock?
Marco hüstelte höflich. Ruckartig wandte Berta sich um und starrte empört den Eindringling an. Es dauerte ein wenig, bis sie Hagens rechte Hand erkannte und sich wieder entspannte. Dinge, die das Geschäft betrafen, erlaubten Unterbrechungen. Das war zwar nur selten der Fall, aber es kam eben schon mal vor. Sich aufzuregen brachte da nicht viel.
Steven, in seiner ungewöhnlichen Hängematte, zappelte mittlerweile ziemlich heftig hin und her. Er hatte wohl etwas gehört und wollte nun wissen, was da los war. Sehen konnte er ja nicht besonders viel, weil diese schwarze und enge Vollmaske aus Leder seinen Kopf einhüllte und die Augenschlitze ziemlich klein waren.
Und mit Reden war schon mal gleich gar nichts, denn er war ja geknebelt. Der ziemlich große Ball aus Gummi hatte es sich in seinem Mund regelrecht bequem gemacht und wollte nicht weichen. Steven versuchte es zwar, doch der Knebel tat, wozu er da war und erfüllte seinen Zweck. So hörte man nur ein Knurren, ein Quietschen. Dumm nur, wenn die beiden ein Passwort vereinbart hatten, um notfalls die Session zu beenden. Aber es gab Menschen, die ziemlich alles fertigbrachten. Zuzutrauen wären solche Aussetzer Hagens Sohn schon, stritten er, Mausi und Berni sich doch regelmäßig, wer von ihnen der Klügste sei. Und oh Wunder, sie kamen zu keinem Ergebnis.
Marco feixte. Das waren doch mal was! Am liebsten wäre er Berta gleich ganz losgeworden und hätte selber weitergemacht. Stunden, besser noch Tage. Steven quälen, gab es etwas Schöneres?
Ein paar Schritte weiter und er hauchte Berta einen Kuss auf die Wange, während sie ihm ungeniert den Schritt massierte.
„Na, Süßer! Kommst du auch endlich mal bei mir vorbei? Willst dich verwöhnen lassen?“, balzte Berta und kniff schmerzhaft in sein Glied.
„Tut mir leid. Nichts gegen dich. Aber ich kuschel lieber. Und he, dazu stundenlang streicheln, oh ja, überall“, gab Marco süß zurück und knabberte an ihrem Ohrläppchen. „Aber vielleicht ergibt sich ja mal eine Gelegenheit, bei der wir zusammen die Peitsche schwingen. Würde mir gefallen. Hab aber leider jetzt keine Zeit. Muss etwas mit unserem gemeinsamen Freund bereden. Ist wichtig. Sei so gut und lass uns eine Weile allein.“
„Wenn`s sein muss“, schnaufte Berta. „Ist nur so, dass ich danach wieder von vorne anfangen muss. Es dauert immer so lange, bis mein Katerchen in Fahrt kommt. Wenn du verstehst, was ich meine. Der Kleine ist doch so sensibel!“
Steven grunzte auf der Hängematte und schaukelte herum.
„Ja, natürlich verstehe ich, meine Schöne“, säuselte Marco.
Und küsste Berta zuerst sanft den Bauchnabel und anschließend die herrlichen Knospen auf ihren Brüsten. Aber gleich darauf gab es einen auffordernden Klaps auf den Popo und Berta trotte ein wenig unwillig Richtung Tür.
„Du auch!“, flüsterte Marco Zlatko ins Ohr. „Du solltest jetzt besser nicht hier sein. Dann brauchst du auch nicht zu lügen!“
Zlatko nickte. Er verstand und folgte eilig der Domina. Ein kurzer Blick über die Schulter, er und Katerchen waren allein.
Marco trat ein wenig näher, packte die behaarten Beine und brachte die Hängematte samt Inhalt zum Schwingen. Vor und zurück! Dann ein wenig seitwärts. Ein bisschen drehen, oh ja, das machte Spaß. Und Steven war ja auch ganz brav. Er strampelte nicht mehr. Mehr noch, der nackte weiße Körper hatte das Wabbeln komplett eingestellt.
Gewiss, Entspannung sah anders aus. Aber was sollte er tun? Es war doch ziemlich offensichtlich, dass Marco jetzt mit ihm so ziemlich alles machen konnte, was er auch nur wollte.
„Steven, Steven! Das hätte ich nicht von dir gedacht!“, säuselte Marco.
Und beäugte interessiert das Gestell aus Schrauben und Platten, in dem die Geschlechtsteile eingeklemmt waren. Interessant. So etwas hatte er noch nie ausprobiert, geschweige denn überhaupt gesehen. Berta war ja ein ganz böses Mädel!
Fast automatisch streckte Marco die Hand aus. Er musste das Teil berühren, ob er wollte oder nicht. Ach, was heißt schon berühren! Ausprobieren, oh ja!
Steven hielt den Atem an. Nur um diesen wieder stoßweise entweichen zu lassen, als Marco neugierig an einer der verchromten Schrauben drehte. Das eine Plättchen schob sich vor und quetschte die Eier etwas mehr. Noch eine halbe Umdrehung. Noch eine ganze! Und dann noch eine.
Steven spürte es wohl. Seine Atemfrequenz nahm deutlich zu. Dann die ersten Töne. Ein Winseln, wie Marco hoffnungsvoll annahm. Aber es dauerte nicht mehr lange, bis daraus ein zartes Quieken wurde, durch den straffen Knebel fast abgewürgt. Irre Augen drehten sich unter den Sehschlitzen, bevor das Weiße kam.
Klasse! Marco war begeistert. Er war auf den Geschmack gekommen und wollte mehr. Wenn nur die Zeit nicht so drängen würde! Sei`s drum, er musste zu einem Ende kommen.
„Steven, Steven. Warum tust du das? Willst du deinen Vater umbringen? Und anschließend die Firma selbst übernehmen?“ flüsterte Marco weiter. Und ein wenig lauter, als er endlich zwei neugierige Köpfe vom Eingang her sah: „Du verweigerst deinem Vater die Gefolgschaft? Ernsthaft, du meuterst? Und gibst dies auch noch zu?“
Ein kurzer Ruck mit dem Kopf. Dazu ein strafender Blick und die beiden Köpfe verschwanden. Marco war nicht böse. Oh nein, ganz im Gegenteil. Dies gehörte zu seinem provisorischen Plan, der gerade Minuten alt war. Die beiden dort an der Tür sollten seine Zeugen sein. Aber er musste den Schein wahren. Nichts durfte nach einer Inszenierung aussehen.
Natürlich würde Steven später alles abstreiten. Aber nun konnte jemand bestätigen, dass er mit Hagens Sohn gesprochen hatte. Deshalb waren die beiden so wichtig. Außerdem lag das Wort Meuterei in der Luft, nicht zu überhören! Den Knebel verdeckte Marco wohlweislich mit seinem Körper. Und so hörte es sich ganz nach einem Gespräch an, in dem Steven seinem Vater die Unterstützung verweigerte.
Gut! Das war`s. Marco trat zurück und wollte gerade gehen. Da ritt ihn der Teufel, obwohl er eigentlich nicht an diesen glaubte. Zufällig hatte sein Blick nämlich das Regal mit all den Spielzeugen gestreift. Und da stand er! Allein und prächtig! Ein stolzer Dildo aus Glas. Was für ein Dildo! Der Dildo der Dildos! Mein lieber Mann! Marco musste schlucken. Wer ließ sich so etwas nur freiwillig reinrammen? Ging das überhaupt?
Später wusste Marco nicht mehr wie und warum. Das Ungetüm aus Glas war urplötzlich in seiner Hand. Wo lag die Tube mit der Gleitcreme? Gleitcreme? War die überhaupt nötig? Trocken, der pure Hardcore! Ein bitterböses Grinsen überzog Marcos ansonsten so hübsches Gesicht, als er zur Tat schritt.
Stevens Beine, er spreizte sie. Nur ein wenig, um freie Fahrt zu haben. Nicht um die Sache zu erleichtern. Seine Faust, den gläsernen Prügel fest umschlossen, schwang vor und zurück. Einmal, zweimal. Zielen war wichtig. Dann schoss der Arm vor und rammte das nette Teil in Stevens Hintern. Den Augenblick eines Augenblicks erstarrte der Körper fassungslos auf der Hängematte, bevor er sich hin und her warf und den Knebel fast blutig zerbiss. Vor Schmerz? Oder vor Wut? Aber Marco war schon auf dem Weg nach draußen.
„Was hast du mit meinem Katerchen gemacht?“, beschwerte sich Berta, die zusammen mit Zlatko wieder gespäht hatte. „Er ist doch so sensibel, der Gute!“
„Ach was!“, grinste Marco und log, was das Zeug hielt. „Er mag es. Sehr sogar. Hat er mir verraten. Vor Kurzem erst. Er wollte es dir nur nicht sagen, weil er dich mag. Der Junge fürchtete, du könntest vielleicht beleidigt sein. Berufsehre und so. Weil du nicht bemerkst, dass er es eigentlich viel härter mag.“
„Wirklich? Meinst du? Er mag mich!“
„Hmmm! Sehr sogar, kannste glauben“, lächelte Marco schelmisch und küsste Berta auf die Wange. „Ach, und er liebt die dünne Rute. Bei der die Haut aufplatzt. Du weißt schon, wenn man so richtig Gas gibt. Die mit dem Metallhaken oben auf der Spitze. Du weißt, welche ich meine. Die für die ganz harten Fälle. Sag ihm aber nicht, dass du dies von mir hast. Geheimnisse und so. Wir Kerle sind da ein wenig prüde. Gesicht verlieren und so. Scham und Eitelkeit. Wenn du weißt, was ich meine.“
„Klar doch“, nickte Berta und schaute sehnsuchtsvoll hin zu ihrem Katerchen. „Was ist, kann ich wieder?“
„Ja, selbstverständlich. Ich muss auch los. Steven bleibt hier. Er hat wohl keine Lust. Na ja, ihr habt es ja gehört.“
Berta huschte davon, hin zu dem Gestell mit den Peitschen.
„Komm mit“, wandte sich Marco an Zlatko. „Wir werden deine Hilfe brauchen.“
„Es gibt noch bessere Methoden“, träumte Zlatko halblaut auf dem Weg Richtung Bar. „Einfache Schnur reicht. Eier und Schwanz so abschnüren, dass sie blau werden. Einen spitzen länglichen Gegenstand mit einbinden. Ein Lineal vielleicht. Oder ein Sägeblatt. Stumpfes Messer geht auch. Und mit einem harten Gegenstand anschließend draufschlagen. Das geht ab, Meister Blumis! Das haben Sie noch nicht gesehn. Die Vögelchen singen ihr schönstes Lied. Ich könnte es Ihnen ja mal zeigen.“
„Echt jetzt? Einer deiner alten Tricks? Na ja, vielleicht könntest du mich wirklich mal einweisen. Mein Ziehvater ist ja ganz begeistert von deinen Fähigkeiten. Vielleicht komme ich darauf zurück. Aber nicht jetzt“, schnaufte Marco und wandte sich dann an Inga. „Stevens Blödmänner, sind die wiedergekommen? Oder irgendein anderer von seinen Leuten?“
Inga verneinte anmutsvoll, während ihre Zunge die eigenen Lippen leckte.
„Die Wichser haben sich aus dem Staub gemacht, jede Wette!“, polterte Zlatko. „Die siehst du nicht wieder. Jedenfalls nicht heute!“
„Ich fürchte, du hast recht“, schnaufte Marco. „Nicht gut! Gar nicht gut. Das kann ins Auge gehen.“
„Du solltest dem Chef Bescheid sagen“, riet Zlatko und kniff seine Augen zusammen.
„Ja, sollte ich wohl“, stimmte Marco ein wenig ratlos zu und zückte sein Handy. „Hallo? Chef? Ich bin`s. Ich wollte nur sagen … He, was war denn das? Verdammt, was ist bei euch los?“
Nervös trommelte Thorsten Dändorf auf dem Lenkrad seines BMW herum. Ein wirklich sehr exklusives Dienstfahrzeug. Seiner Meinung nach angemessen für all das, was er über die Jahre für die Polizei leistete. Nun ja, zumindest für den einen oder anderen. Auch wenn das einige Kollegen ganz anders sahen. Aber zum Henker, sollen die doch gefälligst zum Teufel gehen!
Die Dämmerung war schon lange hereingebrochen und alle Laternen spendeten ihr fahles Licht. Auf dem nahen Fluss waberte Nebel. Von so manch klagendem Horn eines Schiffes ans Ufer gepustet.
Zumindest hatte sich der steife Wind verzogen, der über Tage seine Backen aufblies. Allerdings hatte er nun dem feinen und stetigen Landregen völlig das Feld überlassen. Wie nett!
Langsam nervte die feuchte Kälte! Die immer wieder einen Weg unter die Kleidung fand. Egal, wie man dies auch zu verhindern suchte.
Heute war Neumond. Also würde es auch noch ziemlich dunkel werden. Alles in allem eine widerliche und eklige Nacht.
Thorsten wollte nicht hier sein. Absolut nicht. Zuhause wartete sein Bett auf ihn. Mit superweichen Gänsedaunen vom Allerfeinsten. So warm und kuschelig, dass es fast schon wehtat.
Eine warme Tasse Milch mit Honig, dazu eine weiche Tafel Nougatschokolade. Das wär's doch! Um sich anschließend so tief ins Bett zu kuscheln, dass einem ein lautes Stöhnen entfuhr.
Morgen war sein freier Tag. Da hätte er solange grunzen können, bis der Arzt kam. Aber nein! Stattdessen saß er hier und wartete darauf, dass die Feuchtigkeit unter sein Hemd kroch. Mist! Die Augenlider waren schwer, schon lange. Mist, verdammter!
Warum tat er sich dies eigentlich alles an? Geld hatte er doch genug! Oder nicht? Konnte man überhaupt jemals genug Geld haben?
Aber da war dieses flaue Gefühl in seinem Magen. Und der Grund für dieses Gefühl besaß einen Namen, nämlich Hagen. Der einflussreichste Boss in der Rotlichtszene weit und breit. Ein Mann, der es als selbstverständlich ansah, dass man ihm zu Diensten war. Der keine Ausreden gelten ließ. Ein großzügiger Mann. In puncto Belohnung, aber auch Bestrafung.
Schon als kleiner Streifenpolizist hatten die beiden zusammengearbeitet. Hagen machte und Thorsten sah weg. So entstand über die Jahre ein gewisses Vertrauen. Und die Briefumschläge, die Thorsten irgendwann mit schöner Regelmäßigkeit in seiner Hand fand, wurden zunehmend dicker.
Anfangs waren die beiden nur kleine Lichter. Jeder auf seinem Gebiet. Aber dies änderte sich nach und nach. Während Hagen zum ungekrönten König in der Szene ausgerufen wurde, kletterte Thorsten die Karriereleiter bei der Polizei stetig hinauf.
Hauptkommissar war er mittlerweile. Ohne festes Ressort. Aber mit besonderen Befugnissen. Und einem ziemlich dicken Budget. Nur selten, wirklich furchtbar selten, musste er irgendwo antanzen und Rechenschaft ablegen.
So klärte er mal den einen oder anderen Mord auf, mal ermittelte er in Sachen Rauschgift oder Betrug. Selbst mafiöse Strukturen und das Wirken eines Terroristen galt es zu durchleuchten. Und noch so manch andere Sachen. Thorsten war eben der Mann für alle Fälle. Für Spezialaufgaben im Licht und im Schatten, meistens jeglicher Kontrolle entzogen. Eigentlich ideal für seine Nebenbeschäftigung. Aber so was! Ob Hagen in der Vergangenheit mal nachgeholfen hatte?
„Es ist ruhig. Viel zu ruhig!“, meldete sich in diesem Augenblick Brecha Molinero.
Thorsten holte ganz tief Luft! Sein Kollege heute, unplanmäßig. Fast hatte er diesen vergessen. Die Gewohnheit, die Müdigkeit!
Brecha, heute sein Beifahrer und Partner. Ausnahmsweise und überraschend. Thorsten hatte diesen Einsatz kurzfristig angemeldet und wartete im Auto auf seine langjährige Partnerin. Aber die kam nicht. Stattdessen dieser kurz angebundene Kerl. Sohn einer Spanierin und eines deutschen Kollegen. Fast schon genauso lange dabei, wie er selber. Brecha arbeitete beim Zoll und hatte, wie man so hörte, auch so seine Verdienste. Nähergekommen waren sich die beiden noch nie. Nur ein paar Grußworte wurden gewechselt, wenn sie sich vielleicht einmal im Jahr auf dem Flur über dem Weg liefen.
Die Autotür ging auf und wie selbstverständlich stieg der Zollbeamte ein. Wie abgesprochen. Sagte nichts, nickte ihm nur grüßend zu. Und dabei war es geblieben. Thorsten verstand. Seine Partnerin würde an diesem Abend nicht mehr kommen. Bestimmt irgendeine Anweisung von oben. Oder mischte Hagen gar selbst mit? Wie dem auch sei, Thorsten ließ wortlos den Motor an und sie fuhren los.
Seit über einer Stunde standen sie nun schon hier am Hafen und warteten. Gut versteckt am Zaun. Mucksmäuschenstill und ohne Lichter. Und warteten auf das, was da kommen sollte.
Hagen hatte einen Plan. Und in diesem Plan spielte Thorsten eine Rolle. Deshalb hatte ihn der Nachtklubbesitzer herbestellt. Und Brecha, wie es ausschaute, ebenso. Bislang hatte Thorsten noch nicht gewusst, dass dieser Kerl ebenfalls auf Hagens Gehaltliste stand. Aber was wusste er schon!
Letztlich war es auch egal. Solange er nur sein Geld bekam. Obwohl? Obwohl er doch auch ganz gerne der Erste unter den Ansprechpartnern Hagens wäre. Umso größer der Einfluss, umso größer der Profit.
Was mochte seinem Beifahrer gerade durch den Kopf gehen? Wusste der mehr als er? Wie viel verdiente der Zollbeamte eigentlich mit Hagen? Mehr als er? Jede Menge Fragen und dann noch viel mehr. Bei nächster Gelegenheit mussten ein paar davon beantwortet werden! Es ist immer gut, seine Mitbewerber zu kennen.
Nervös schaute Thorsten auf sein Handy, welches griffbereit auf der Mittelkonsole lag. Zum wiederholten Male. Nichts. Wieder nichts. Verdammt!
Er wartete auf die verabredete SMS von Hagen. Oder auch nicht. Verwirrend? Nun ja, käme die Kurznachricht, dann wäre endlich diese fruchtlose Warterei vorbei. Die an den Nerven zerrte und die Angst fütterte. Außerdem fiel ein Großteil der Spannung ab, wenn man zur Tat schritt. Zumindest für den Moment. Anderseits könnte Thorsten auch sehr gut damit leben, wenn gar nichts geschah. Um ruhig und zufrieden wieder nach Hause zu fahren. Schlafen! Mit friedvollem Gewissen, wie ein Baby. Auch nicht schlecht!
Denn was Hagen sich da ausgedacht hatte, war für Thorsten wenig überzeugend. Der Plan, wenn man ihn überhaupt so nennen konnte, hatte doch ziemlich viele Ecken und Kanten. Unwägbarkeiten, noch und nöcher! Thorsten wurde schon schlecht, wenn er nur daran dachte, was alles schief gehen konnte.
Eigentlich war der Plan kein Plan, sondern ein riesengroßer Bluff. Die zwei größten Konkurrenten sollten sich gegenübertreten. Standen sich vielleicht schon gegenüber. Dort, irgendwo im Dunkel der Hafenanlagen.
Um Gebiete ging es. Um Macht und Einfluss. Um unterschiedliche Geschäftsideen. Also letztlich um Geld.
Hagens Gegenspieler, die Russenmafia, machte sich breit. Hier, wie anderswo. Wollte expandieren, Grenzen verschieben. Na klar, wollte doch jeder. Und jeder, der neu das Spielfeld betrat, geriet logischerweise in Konflikt mit dem, der schon da war.
Und Hagen war schon lange da. Hatte selbst in der Vergangenheit Grenzen verschoben. Wusste also, wie das ging. Und wozu es gut war.
So also der Stand der Dinge. Hagen wollte behalten, was er hatte. Die Russenmafia wollte es ihm wegnehmen. Es ging um unterschiedliche Geschäftsideen und menschliche Gier. Um Geld und Waffen. Rauschgift und Einfluss. Und nicht zuletzt um käufliche Liebe, freiwillig oder in einer modernen Form der Sklaverei.
Natürlich gab es auch noch ein paar andere Zünfte, die nur allzu gern mitmischen wollten. Die Jungs vom Balkan machten mittlerweile auch Druck. Dazu kamen ein paar Südamerikaner und Vietnamesen. Aber die zählten nicht viel. Noch nicht. Die Russenmafia war da schon ein anderes Kaliber.
Genau wie Viktor Karpov. Ein ehemaliger Oberst der russischen Armee, der gute internationale Verbindungen zu Oligarchen und zum Waffenhandel pflegte. Dazu versorgten alte Kumpel aus den Streitkräften seiner Heimat ihn immer wieder mit Waffen und guten Leuten.
Anfangs gab sich der Oberst höflich und kompromissbereit. Gab sich mit wenig zufrieden. Bis der verfluchte Kerl fest im Sattel saß und eine Infrastruktur aufgebaut hatte. Dann zog er andere Seiten auf und ein Konkurrenzkampf begann, der immer gnadenloser wurde.
Heute und hier wollte Hagen seinem Konkurrenten nun zeigen, wo die Grenzen lagen. Und dies möglichst unblutig und mit der Hilfe der Polizei, sprich Thorstens.
Ein Treffen der beiden Parteien wurde vereinbart. Im Stillen. Im Geheimen. Eine Uhrzeit festgelegt, ein Ort. Die Bosse mit ein paar Männern. Hagen wollte seine Trümpfe auf den Tisch legen und gleichzeitig zeigen, dass die Polizei unverrückbar auf seiner Seite stand. Ein gewichtiges Argument, wohl wahr.
Hagen vertraute wohl auf die Einsicht und Feigheit seiner Gegner. Und seinen Argumenten. Ganz besonders, wenn Thorsten mit Sirene und quietschenden Reifen die Bühne betrat. Außerdem seinen Männern, die er vollständig und entgegen der Vereinbarung mitbrachte. Natürlich wissend, dass die Gegenseite es ebenso handhaben würde.
So weit, so gut. Aber Planung und Wunschdenken ist eben nicht alles. Alles bedenken, geht dies überhaupt? Wenn zwei kleine Armeen sich gegenüberstehen, menschliche Raubtiere wohlgemerkt, dann kann jede Menge schief gehen. Oh ja! Nur eine falsche Bewegung und alles kann aus dem Ruder laufen. Da braucht man sich doch nichts vormachen. Und deswegen wäre es Thorsten recht, wenn heute gar nichts passierte.
Aber sein Wunsch schien bislang nicht in Erfüllung zu gehen. Schien zwischen den Kaianlagen und den Baracken vor einer Stunde alles noch ruhig, so huschten nunmehr dort jede Menge Schatten umher. Es tat sich was! Aber was? Wer war wer? Und vor allem, wo?
Thorsten seufzte geplagt und spürte wieder Brechas stechenden Blick. Was für ein Scheißplan! Also, wirklich!
„Ich muss pissen“, würgte Thorsten hervor und öffnete fast geräuschlos die Wagentür.
Sekunden später war er irgendwo in den Büschen verschwunden.
Brecha war allein. Gut so! Endlich! Es wurde auch Zeit! Allerhöchste! Diese ganze Warterei ging ihm schon lange auf den Keks. Nur, er musste den Schein wahren. Unbedingt. Keiner wusste, was die Zukunft brachte. Dass Thorsten Dändorf Hagens Mann war, dies wusste er. Und der schien ihn wohl für einen Gleichgesinnten zu halten. Thorstens stilles Einverständnis sprach Bände. Was für ein Schmarrn!
Nun, sollten die anderen doch immer glauben, was sie glauben wollten. Interessierte ihn doch nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Er jedenfalls arbeitete für die Jungs vom Balkan. Und verdiente, wie man hörte, dabei weitaus mehr als Dändorf bei Hagen.
Aber Brechas Geldgeber waren nicht mächtig genug, um eine offene Expansionspolitik zu betreiben. Um in einen Krieg zu ziehen schon gar nicht. Dafür war Hagen zu mächtig und die Russen mindestens ebenso. Und wer weiß, vielleicht würden sich die beiden Kontrahenten sogar gegen eine dritte Gefahr verbünden. Soll schon vorgekommen sein.
Die Kunde von diesem heiklen Treffen heute Abend machte blitzschnell die Runde in der Szene. Und irgendein hinterhältiges Hirn gebar eine fiese Idee. Wäre es nicht genial, wenn die beiden Konkurrenten sich gegenseitig schwächten? Die Gelegenheit schien günstig. Man musste nur den Richtigen finden. Und man fand ihn in Brecha. Deswegen war er heute hier. Um nach Möglichkeit Unfrieden zu stiften. Probleme mit der Einsatzleitung gab es nicht. Ein paar Worte, ein paar Lügen an Thorstens Vorgesetzte reichten aus. Und fünftausend Euro bar auf die Kralle.
Es wurde Zeit. Brecha wollte die Dinge ein wenig beschleunigen. Im Sinne seiner Auftraggeber, natürlich. Außerdem konnte der dumme Bulle jeden Moment wiederkommen. Dann war eine gute Gelegenheit vertan.
Brecha fuhr das Seitenfenster herunter und zog seine Dienstwaffe. Metallische Geräusche! Entsichert und durchgezogen, das Ziel hatte er schon lange vorher ausgemacht. Ein Schuss krachte wie ein Donnerschlag durch die Nacht und schlug ein.
Ob er traf oder nicht, dies war egal. Und ob in Hagens Linien oder die von Viktor ebenso. Brecha baute auf die menschliche Natur. Die Stimmung war mies, die Nerven angespannt. Ein jeder würde denken, der andere sei am Durchdrehen.
Brecha vernahm einen Schrei. Noch einer. Viele. Wütend. Dann ein Schuss. Und noch einer. Sekunden später zeriss jede Menge Mündungsfeuer die Dunkelheit der Nacht. Noch mehr Schmerzensschreie, noch mehr Schüsse.
„Mir gefällt das nicht!“, nörgelte Juri.
Zum wiederholten Male. Und sah seinen väterlichen Freund Viktor Karpow scheel von der Seite her an. Manchmal verstand er ihn wirklich nicht. Obwohl sie ansonsten ein Herz und eine Seele waren.
„Was tun wie hier? Warum mischen wir diese blöden Deutschen nicht einfach auf?“
„Ruhig! Ganz ruhig, Kleiner! Unterschätze diese Bastarde nicht! Du kommst noch früh genug zum Zug“, gab Viktor, ohne die Stimme zu heben, zurück.
Die Ungeduld der Jugend! Naja, ganz so jung war Juri mittlerweile auch nicht mehr. Hatte gerade die Mitte der Zwanziger gerissen.
Obwohl, Jugend? Auch nur Ansichtssache. Ein Zwölfjähriger hält einen Siebzehnjährigen für uralt. Ein Vierzigjähriger hält sich für jung. Ziemlicher Schwachsinn, dies ganze Gerede! Und eine Frage im Auge des Betrachters.
„Ach was, keine Angst! Das sind doch alles nur aufgeblasene Schwächlinge!“, schimpfte Juri und meinte es wohl ernst. „Satt sind sie. Schon viel zu lange. Viel zu gut genährt. Faul sind sie geworden und zweitklassig. Sie haben das Kämpfen verlernt! Das Raubtier, welches nicht mehr kämpfen kann, stirbt. Ihre Zeit ist gewesen. Und unsere gekommen. Schau, kann da einer mithalten?“
Stolz ließ Juri sein legeres Oberhemd heruntergleiten und zeigte seine Muskeln. Wow, ziemlich beeindruckend! Ein Waschbrettbauch vom Allerfeinsten, in dem jede Menge Muskelstränge ihr Spiel spielten. Und der Bizeps erst, als Juri diesen provokant spannte und Viktor unter die Nase hielt.
Der ihn küsste, vom Anfang der Wölbung her bis zu seinem Ende. Juri, immer noch schön! Er trotzte dem Alter und der Regel. Und immer noch so unglaublich schlank und mit einer rosigen gesunden Haut gesegnet. Obwohl der Junge rauchte, hurte, soff und kiffte.
Ach Juri! Der treue Freund und sein Augenstern. Immer noch. Wie viele Jahre waren sie beide eigentlich nun schon zusammen? Zwölf? Dreizehn? Oder vielleicht sogar noch mehr? Viktor wusste es nicht mehr so genau. Jedenfalls war es lange, wirklich lange her, als er den Jungen bei einem Ballettbesuch in der Hauptstadt entdeckte. Als kleines Vögelchen, gekleidet in einem weißen Tutu und niedlichen Ballettschühchen. Mit damals noch abstehenden Ohren. Genauso tanzte der Bengel sich in sein Herz. Und richtete sich dort bequem ein.
Noch tagelang nach der Aufführung bekam Viktor dieses süße Geschöpf nicht mehr aus dem Kopf. Und kam zu der Erkenntnis, dass er ihn haben musste. Und natürlich bekam er ihn. Ein paar Anrufe reichten dafür aus. Was Geld und Macht doch bewirken konnten! Obwohl die beiden Sachen sich bedingten.
Und seit diesem Tag, als Juri zum ersten Mal strahlend auf seinem Sofa saß, war die Liebe in Viktors Herz zurückgekehrt. Und seitdem geblieben. Zudem geschah ein Wunder. Denn Juli mochte ihn ebenso, schon vom ersten Tag an.
Und so ließen die beiden die Liebe zu, die seitdem eher größer als kleiner geworden war. Nur die Art und Weise ihrer Beziehung änderte sich. Anfangs reichte es Viktor, in Juri den Sohn zu sehen, den er nie hatte. Er tollte mit ihm herum und zeigte dem Jungen so manch Lehrreiches. Ließ ihn an seinem Leben teilhaben. Beschützte und verwöhnte dieses neue und quirlige Element in seinem Alltag.
Aber irgendwann wurden sie zu einem Liebespaar. Mit allem Drum und Dran. Langsam und ganz sachte. Mit viel Respekt und Angst. Die Initiative ging von Juri aus. Nachdem die Hormone in seinem Kopf verrückt spielten und er lernte, was so richtig Spaß machte. Und von Letzterem bekam er nie genug. Mehrfach am Tag und in allen Variationen. Sicher, Viktor war nicht der Einzige, den er mit seiner Liebe beschenkte. Aber er war der Fixpunkt in seinem Leben, um den sich alles wie selbstverständlich drehte.
Der Sex und die Spiele wurden mit der Zeit weniger. Die Gemeinsamkeiten und Ziele mehr. Die Liebe blieb.
Wandelte sich. Ging weit über das Körperliche hinaus. Der schon erwachsene Junge wurde tatsächlich zu einem echten Freund. So einem, wie ihn nur die wenigsten in ihrem Leben finden.
Juri half bei den Geschäften und war immer da, wenn man ihn brauchte. Verlässlich und loyal, im wahrsten Sinne der Worte. In Viktors Sammlung ein echter Edelstein, das war ihm bewusst. Was Mütterchen Russland doch nur immer wieder für herrliche Blüten hervorbrachte!
„Das gefällt mir nicht“, murmelte Viktor.
„Du denkst an eine Falle?“, rätselte Juri. „Ich hab schon gehört, dass diese Germanengurke ein ziemlich cleveres Schlitzohr sein soll. Aber meinst du wirklich, der Wichser ist zu so etwas fähig?“
Viktor verzog das Gesicht. Schwer zu deuten, was er wirklich dachte. Auf jedem Fall war ihm nicht wohl in seiner Haut. Juri hob erneut seinen Arm und stupste Viktors Nase in seine ein wenig feuchten Achselhaare. Er wusste, dass der Freund seinen Geruch über alles liebte. Immer noch.
„Ich könnte dir ein wenig in der Hose herumspielen. Wie in der guten alten Zeit“, hauchte er dem Älteren verlockend ins Ohr. „So ganz schnell, so zwischendurch. Von unseren Leuten wird es schon keiner mitkriegen.“
„Sspassiba. Lieb gemeint. Aber ich muss mich konzentrieren“, lehnte Viktor zögernd ab.
Schnell leckte seine Zunge noch ein wenig von diesem köstlichen Schweiß, bevor er sich zurückzog.
„Aber das mein ich doch!“, protestierte Juri. „Anschließend warst du immer ziemlich entspannt. Und mehr du selber.“
„Ich weiß“, seufzte Viktor und küsste seinem Ziehsohn zärtlich auf die Wange. „Aber ich meine es ernst. Das alles hier ist mir nicht geheuer. Hast du nicht die ganzen Schatten gesehen? Hinter den Kisten, in den Durchgängen, auf dem Kai?“
„Schon. Waren ja nicht zu übersehen. Sind nicht besonders geschickt, die Krautfresser.“
„Kann schon sein. Vielleicht fühlen sie sich aber auch sicher. Vergiss nicht, dies hier ist ihr Revier. Es gibt genug Beispiele in der Geschichte, über Schlachten meine ich. Und die Orte, an denen sie geschlagen wurden. Wenn du das Schlachtfeld besser als der Gegner kennst und seine Eigenheiten zu nutzen weißt, erweitert dies deine Chancen auf den Sieg enorm. Selbst wenn du unterlegen bist.“
„Sind sie das? Unterlegen? Ich habe den Eindruck, die verkappten Faschis haben alle ihre Leute mitgebracht. Und vielleicht noch ein paar zusätzlich angeheuert. So viel zu unserer Absprache.“
„Da. Wir doch auch“, schmunzelte Viktor. „Es war im vornherein klar, dass sich keiner an das vereinbarte hält. Schließlich geht es um was. Das weiß auch unser Gegner. So dicht an unserem Ziel wie heute waren wir noch nie. Aber wenn du denkst, Towarischtsch Hagen hätte seine ganzen Truppen dabei, dann täuscht du dich. Aber wie es aussieht genug, um uns zu umzingeln. Denn genau danach sieht es aus.“
„Dann lass uns loslegen! Schieben wir diesen Weichwürsten eine Gurke in ihren runzligen deutschen Arsch! Worauf wartest du denn noch? Dass dich die Germanskis zum Tanzen auffordern?“, drängte Juri.
„Njet. Vielleicht. Verstehst du denn nicht? Man kann einzelne Schlachten gewinnen. Und den Krieg dennoch verlieren. Ein Grund, man hat keine Soldaten mehr. Ich will aber alles! Den Krieg gewinnen! Vollständig, schnell und mit geringen Verlusten! So langsam solltest du es doch begriffen haben! Immerhin teilen wir uns schon lange genug den gleichen Pfad. Wie du weißt, habe ich mich ausgiebig mit der italienischen Mafia bei den Amis beschäftigt. Das Geschäft ging immer vor. Absprachen und Regeln! Alles für den Frieden. Alles für die Geschäfte! Es ist wahr, der Frieden ist das wahre Paradies für Geschäfte. Im Krieg wird viel kaputt gemacht und die meisten Geschäfte leiden. Verstehst du es denn nicht? Ich will mit dem deutschen Nuttenkommandeur ein Abkommen schließen. Zum beiderseitigen Vorteil. Jedenfalls soll er dies denken. In Wirklichkeit will ich sein Unternehmen unterminieren. Und ehe sich die ganze Bande versieht, arbeiten sie für uns. Ohne, dass wir auch nur den geringsten Verlust haben. Denk nach, Junge! Denk immer ein paar Züge voraus! Nur wer das tut, wird den Krieg auch tatsächlich gewinnen! Teile und herrsche!“
„Kannst du das Gleiche nicht auch mit Druck erreichen?“, maulte Juri, der gern ein wenig Spaß hätte.
„Juri, Juri. Ja tibja nipanimaju. Du enttäuscht mich. Wir sind noch nicht stark genug“, lächelte Viktor und gab seinem Jugendfreund einen tröstenden Zungenkuss. „Lerne endlich! Eines Tages sollst du mein Nachfolger sein. Hier geht es doch nicht nur um Hagens Männer. Njet. Oder um seine Puffs. Oder um die Nutten. Njet. An solch einem Geschäft hängt doch viel mehr. Da ist die Polizei. Und die Behörden. Andere Geschäftsleute und sogar Politiker. Die alle sorgen dafür, dass das Geschäft reibungslos läuft. Und die gehen sofort in Deckung, wenn wir hier in der Gegend rumballern. Diese Leute wollen wir doch auch alle haben, ohne sie zu verschrecken. Und dann die Kunden! Hast du mal an die Kunden gedacht? Wie wollen wir denn Geld verdienen, wenn keine Kunden mehr kommen? Denkst du, die waten knietief durch Blut, nur um einen Orgasmus zu bekommen?“
„Ja, ja. Ja ponil. Ist ja schon gut. Es ist nur so, ich kann diese Krautfresser nicht ausstehen. Und Hagens Bulldogge schon gar nicht. Was denkst du, wie gern ich diese Modellvisage verbeulen würde. Wie Dreck hat mich dieser Schönling behandelt, letztens, als ich ihn nur begrüßen wollte.“
„Begrüßen? Paftariti pashalussta. Haha, ich war dabei. Umarmt hast du ihn. Und abgeschleckt, ihm den Schwanz und die Eier durchgeknetet. Und das in aller Öffentlichkeit!“
„Stimmt doch gar nicht“, wehrte sich Juri. „Außerdem ging es mir nicht gut“.
„Haha. Nicht gut? Du hattest schon mehr als eine Flasche Wodka in dich hineingeschüttet! Du bist umhergehopst wie ein Ball! Hast mit den Wimpern geklimpert! Anzügliche Zeichen verschenkt!“
„Ja, ja. Schon gut. Der Kerl war interessiert! Da bin ich mir sicher! Aber vergiss es einfach. Sag mir lieber, was wir jetzt machen. Das Treffen sollte schon vor einer halben Stunde beginnen.“
Während Viktor noch unschlüssig schnaufte, setzte Juri sein Nachtsichtgerät auf und musterte angestrengt die Umgebung.
„Heilige Babuschka!“, keuchte er mit einem Mal und legte sein Scharfschützengewehr an, schaute durchs Zielfernrohr. „Da hol mich doch der Höllenhund! Weißt du, wen ich vor der Linse habe? Unseren guten alten Towarischtsch Hagen!“
„Echt jetzt? Spinnst du auch nicht? Es ist schon ziemlich dunkel, meine ich.“
„Nee, absolute Bombe! Steht da unter einer Laterne. Direkt am Lagerhaus. Dem da, ganz links. Mann, stell dich nicht so an! Siehst du ihn? Steht da einfach nur so rum. Der Blödmann, der! Ob der Hübsche auch da ist? Hm, sieht nicht so aus.“
„Was macht er?“, wollte Viktor wissen, nun doch interessiert.
„Weiß nicht. Steht da einfach dumm rum. Ach so, da steht noch ein anderer. Falsch, zwei andere. Die quatschen miteinander. Soll ich ihm eine verpassen? Ich hab die Schmalzlippe richtig gut im Visier! Spezialmunition, wenn du verstehst. Da wird ihm die Birne platzen. Und die beiden deutschen Bratwürste sind garantiert gut garniert. Auf jeden Fall! Was meinst du? Problem gelöst!“
Viktor schwankte. Die Verlockung war groß. War der Anführer weg, gab es Chaos. Aber Chaos war nicht gut für das Geschäft. Oh ja, dennoch, die Verlockung war groß.
„Nein. Wir versuchen es anders. Heute jedenfalls“, entschied sich Viktor und erhob sich aus ihrer Deckung.
Lauthals rufen wollte er. Dem Konkurrenten Bescheid geben. Die Sache beschleunigen, um ein Treffen herbeizuführen. Von gleich zu gleich gewissermaßen, Auge in Auge. Da klingelte etwas. Laut und vernehmlich, wenngleich auch aus einiger Entfernung.
„Was ist das? Was geschieht da? Ein Telefon?“
„Hm, schaut so aus“, schniefte Juri. „Die Germanenbockwurst telefoniert in aller Ruhe, wie es ausschaut. Ich hab ihn immer noch. Wenn du jetzt ja sagst, dann puste ich ihm die Birne weg! Samt Telefon. Bitte, lass mich ...“
Ein Schuss zerriss die Luft. Von irgendwoher, irgendwohin. Laut und trocken in dieser nächtlichen Stille.
„Verflucht, die Arschlöcher schießen auf uns“, brüllte da einer von Viktors Leuten ganz in der Nähe und schoss schon fast instinktiv zurück.
Und dann ging's sie auch schon los, die Hölle. Unterschiedliche Kaliber spuckten unterschiedliche Bohnen. Schreie, Wimmern. Drohungen und Flüche. Leere Patronenhülsen fielen in hellem Klang zu Boden. Alles innerhalb von nur ein paar Sekunden.
„Wenn du ihn noch immer hast, dann schieß! Knall dieses Schwein ab! Diese Ratte hat nichts anderes verdient!“, wütete Viktor.
Und Juri schoss, noch während er nickte.
„Und? Und? Hast du ihn erwischt?“, keuchte Viktor.
„Weiß nicht. Glaub schon. Der Kerl wollte sich gerade bücken. Ist dann aber ziemlich lustig zusammengezuckt!“
Texte: Aaron Winter jun.
Bildmaterialien: Aaron Winter jun.
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2015
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