Cover

Titel

Aaron Winter jun.

 

Blutige Lehrjahre – Der Mörder und sein Lehrling

 

Version 1.01

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung ohne die Genehmigung des Autors sind nicht gestattet.

 

Ab 16 Jahre

 

Absolut alle Personen sind frei erfunden. Ebenso die Handlung in diesem Roman. Ähnlichkeiten sind somit nur zufällig und keinesfalls beabsichtigt.

Das Titelbild ist eine Gemeinschaftsproduktion von einem Bleistift und dem Wunderwerk PC. Sollte es tatsächlich irgendwo einen Menschen mit diesem Gesicht geben, dann herzlichen Glückwunsch. Nur hat jenes Wesen dann nichts mit dem Inhalt dieses Buches zu tun.

 

399 Taschenbuchseiten bei 31 Zeilen

83.823 Wörter

 

Altersempfehlung: ab 16 Jahren

 

Belletristik

 

Genre: Krimi

 

Meta: Verbrechen, Mord, Polizei, Serientäter, Ermittlung, Internet, Entführung, Ausbildung, Hass, Manipulation, hörig, Gehirnwäsche, Lügen, Planung, Gewalt, Ketten, Auftragsmörder, Mafia, Sex, SM, Waffen, Diebstahl, Coputerkriminalität

Inhaltsverzeichnis

    Titel

     Klappentext

     Inhaltsverzeichnis

  1. Die Auswahl I
  2. Augen im Nebel
  3. Wellness in der Schweiz
  4. Kommissar Becker I
  5. Die Auswahl II – Part 1
  6. Der Lockruf des Blutes
  7. Kommissar Becker II
  8. Die Auswahl II – Part 2
  9. Kommissar Becker III
  10. Kommissar Becker IV – Minuten später
  11. Die Sonne Italiens
  12. Die Auswahl II – Part 3
  13. Kommissar Becker V – Wochen später
  14. Signora Ficente
  15. Die Auswahl III
  16. Kommissar Becker VI
  17. Der Bruch des freien Willens I
  18. Ein Atmen in der Dunkelheit
  19. Der Bruch des freien Willens II
  20. Vertrauen
  21. Der Schwur
  22. Die Grundausbildung I
  23. Die Grundausbildung II
  24. Prüfungen
  25. Argwohn
  26. Ein Auftrag und ein Missgeschick
  27. Kommissar Becker VII
  28. Feldforschungen
  29. Kommissar Becker VIII
  30. Fabrizio
  31. Begegnungen I
  32. Begegnungen II
  33. Kommissar Becker IX
  34. Begegnungen III
  35. Begegnungen IV
  36. Kommissar Becker X
  37. Wut
  38. Ein Dämon wird geboren
  39. Kommissar Becker XI
  40. Ein Dämon auf der Jagd
  41. Ein griechischer Tanz
  42. Kommissar Becker XII
  43. Finale I
  44. Finale II
  45. Finale III
  46. Finale IV
  47. Finale V
  48. Finale VI
  49. Finale VII
  50. Finale VIII
  51. Finale IX
  52. Abgesang I
  53. Abgesang II

    Impressum 

Klappentext

Ein Auftragskiller, weltweit tätig. Die Polizei und die Mafia auf seiner Spur.

Ein Auftragsmörder, einsam und allein. Eine Entführung. Eine Abrichtung, um die Nachfolge zu regeln.

 

Ein Junge. Ein neues Leben. Geprägt von Zwang und Gewalt. Eine Gehirnwäsche, um eine menschliche Bestie zu erschaffen. Intelligent und überlegen.

Eine Ausbildung, gleich einem Spiel. Und nur zu einem Zweck. Um ohne Gewissen und Zögern zu töten.

 

Eine ungewöhnliche Beziehung. Mit Höhen und Tiefen. In der andere Menschen auftauchen und wieder verschwinden. Manche für immer.

 

Der Mörder und sein Lehrling, Version 1.01

Die Auswahl I

Schon eine geraume Zeit lang stand der Mann im Schutz der Bäume, die sich fast bis zum Flussufer herunter rekelten. Zwischen ihnen ein Spielplatz. Ziemlich naturbelassen und mit zahlreichen Abenteuerelementen versehen.

Der Platz war gut besucht. Ungewöhnlich um diese Jahreszeit. Denn es war kalt. Bitterkalt. Der Boden war hart gefroren und das Eis auf den Pfützen knisterte unter den vielen aufgeregten Füßen.

Nicht dass es in diesem Winter bislang viel Schnee gegeben hätte. Ganz im Gegenteil. Der Frost war wohl der Meinung, dass er auch ohne seine flockigen Gefährten ganz gut zurechtkam. So war die Erde hart wie Stein, was den ein oder anderen der vielen Kinderknochen zur Klage veranlasste.

Der Mann, nennen wir ihn Damian, war unruhig. Schließlich sollte seine Anwesenheit nicht als Störung empfunden werden. Mehr noch, denn eigentlich wollte er nicht einmal bemerkt werden. So der Plan.

Immer wieder schwenkte sein Kopf von links nach rechts. Aufmerksam nahm er die Umgebung in sich auf. Alles ruhig! Kein weiterer Zeuge in Sicht, weit und breit. Zufrieden zog Damian seine Mütze noch tiefer ins Gesicht und den wärmenden Schal über Lippen und Nase.

Nur die Augen schauten noch, zusammen mit einem kleinen Streifen nackter Haut, hervor. Wach waren sie. Und konzentriert. Sie suchten ohne Unterlass. Und fanden doch nichts. Jedenfalls nicht das Gewünschte.

Denn es sollte nicht irgendwas sein, sondern etwas Besonderes. Etwas, mit dem er seinen Traum verwirklichen konnte. Etwas, das sich fügte und formen ließ. Formen zu einem Wesen, das nur ihm ganz allein gehörte. Welches ihn verehrte und von seinen Lippen las. Ein Wesen, das ihm blind gehorchte. Stark war, intelligent, wendig und mit wachen Instinkten ausgestattet.

Dieses Leben wollte er sich zu eigen machen. Einen willenlosen Körper schaffen, welcher Furcht und Grauen verbreitete. Wie eine Urgewalt sollte dieses Wesen auf die Ahnungslosen herniederfahren und ihnen ihre Sterblichkeit bewusst machen. Wenn, ja wenn er endlich das geeignete Rohmaterial fand.

Aber dies war schwieriger, als er ursprünglich gedacht hatte. Schon seit Wochen war Damian nun schon auf der Pirsch. Suchte die Straßen und die geheimen Winkel ab. Nahm jeden Spielplatz unter die Lupe und war dennoch nie zufrieden.

Einigermaßen jung musste das Menschenkind sein. So jung, dass es die alten Erinnerungen schnell vergaß. Waren die Auserwählten zu alt, dann würden sie niemals alles vergessen. Sie würden nie perfekt werden und immer unberechenbar bleiben. Und Erwachsene konnte man nur brechen, aber nicht mehr erziehen.

Damian schnaufte unwillig. Es wurde Zeit, sich zu entscheiden. Er konnte nicht den Rest seines Lebens damit zubringen, den einzig Wahren zu finden.

Er musste sich eben mit etwas weniger zufriedengeben. Das hieß ja nicht, dass er die Suche vollkommen aufgab. Nur, in der Zwischenzeit konnte er Erfahrungen sammeln. Und formen, was formbar war.

Wie wäre es mit dem? Viel konnte Damian nicht erkennen, denn aufgrund der Kälte waren all die Blagen dick eingepackt und ähnelten eher aufgeplusterten Kissenbezügen. Aber anhand der Bewegungen, der Energie und der Dominanz konnte er schon sehr gut eine Vorauswahl treffen.

Das Aussehen war ohnehin zweitrangig. Jedenfalls für ihn. Sollte er ein hübsches Gesicht erwischen, dann war es eine willkommene Draufgabe. Zu hübsch wäre nicht gut. Denn dies könnte sein Herz erweichen und damit seinen Plan gefährden. Hässlich dagegen wäre kein Problem.

Damian konzentrierte sich. Der Erste, den er ins Auge fasste, tobte herum, griff die anderen Spielgefährten an und trat sie zu Boden. Immer war er mittendrin in dem Gewühl. Forderte und kommandierte.

Nein, dieser war eher doch nicht der Richtige. Viel zu dominant. Es würde schwierig werden. Vielleicht sogar unmöglich. Würde er diesen Willen brechen, könnte er jenen vielleicht nie wieder erwecken.

Also weiter. Da waren ja noch zwei andere.

Hm, der eine mischte ebenfalls richtig mit. Ärgerte aber meistens nur die Mädchen. Wurde still, wenn er in die Nähe von einem anderen Leitwolf kam. Zog sich sogar in den Hintergrund zurück. Hatte er Angst vor dem Stärkeren? Hm, man musste nicht unbedingt stärker sein, nur um zu gewinnen. Aber ängstlich? Also gut, dieser Kandidat fiel gleichermaßen aus.

Und der andere? Der schüttelte all die Gören in seiner Nähe durch und balgte sich wie eine Katze. Hatte keinen Respekt und keine Angst. Kam aber meistens von hinten. Gemein und hinterlistig. Nun, das war nicht das Schlechteste. Diese Eigenschaften waren durchaus für sein Vorhaben zu gebrauchen.

Aber jetzt hatte der Bengel es zu weit getrieben. Dies wollte was heißen. Denn brave Herzen sind geduldig.

Jedenfalls, die anderen Kinder hatten sich zusammengetan. Den Störenfried umstellt und zu Fall gebracht. Es hagelte Knüffe und Tritte. Schließlich wandten sich die Sieger wieder ab und spielten ihr Spiel, als wäre nichts gewesen. Der Besiegte hingegen rappelte sich greinend auf und schlich mit gesenktem Haupt und hängenden Schultern von dannen. Also, noch ein Kandidat weniger.

Damian zog enttäuscht die Nase kraus. Blieb tatsächlich nur einer übrig? Und dieser wäre nicht einmal die beste Wahl. Aber was sollte er machen, irgendwann musste man sich eben festlegen. Warum nicht heute? Warum nicht jetzt und hier?

Also gut, es war entschieden. Der dominante Brutalo also. Einen Versuch war der Bengel immerhin wert. Und sollte es nicht gelingen, dann ging's auf den Müll.

Nur, wie stellte er es an? Dafür hatte Damian noch keinen Plan. Alleine musste er den Raufbold erwischen. Ohne Zeugen, das war wichtig!

Doch daran war hier nicht zu denken. Zu viele Augen, die etwas entdecken konnten! Zu viele Münder, die etwas berichten würden.

Er musste geduldig sein. Warten, bis die aufgedrehten Kids endlich nach Hause gingen. Der Spielplatz hier am Flussufer war weit von der ersten Häuserreihe entfernt. Da konnte sich schon etwas ergeben.

Dumm nur, wenn die Bande in großen Gruppen nach Hause lärmte. Aber dies würde heute wohl nicht der Fall sein. Damians Gespür und seine Augen sagten es ihm. Der Spielplatz war eher angefüllt von kleineren Truppen, die jeweils ein unterschiedliches Interesse teilten. Und die Sympathie unter ihnen, wie es ausschaute, war nicht allzu groß.

Und besser noch, sein auserkorenes Opfer schien ganz alleine sein Ding zu machen. Logisch! Denn keiner der anderen, die schon von ihm verdroschen wurden, würden ihre Freizeit freiwillig mit ihm beenden. Damians Ahnung sagte ihm dies. Und seine Erfahrung. Blieb zu hoffen, dass beide recht behielten.

Aber dies sollte sich bald zeigen. Die Sonne versank im Westen und der Himmel färbte sich blutrot. Die Dunkelheit erwachte, kroch aus ihrem Bett und ging auf Wanderschaft.

Es wurde früh dunkel um diese Jahreszeit und der Spielplatz leerte sich zusehends. Damians Erfahrung gab ihm recht. Die Rabauken verschwanden in kleineren Rudeln. Die artigen zuerst. Dann die klugen, schließlich die quirligen.

Nur vier aus der großen Schar blieben noch übrig. Wie zufällig umkreisten sie sich, bis sie sich fanden. Sein Ziel, welch Freude, war noch unter den Verbliebenen.

Und wie verabredet holte der eine ein paar Dosen Bier aus seinem Rucksack hervor. Ein anderer, welch ein Wunder, hatte dazu die passenden Zigaretten. Und schon bald glühten vier feurige Punkte in der Dunkelheit, die sich jetzt über den Spielplatz herabgesenkt hatte.

Damian schlich näher heran. Und fand einen Busch. Wie bestellt und eine hervorragende Deckung.

Vor ihm rülpste es laut aus der Finsternis. Farbenfroh untermalt von coolen Sprüchen. Nicht allzu weit von seinem Beobachtungsposten entfernt. Dorther, wo vier Bänke quadratisch angeordnet waren. Auf deren Lehne die Schreihälse, mit ihren knochigen Hintern, wie die Hühner saßen. Die Füße auf der Sitzfläche, natürlich. Schemenhaft konnte Damian sie erahnen, als er vorsichtig hinter seinem Busch hervorlugte.

Sie machten sich wichtig. Prahlten und klopften sich wie die Brüllaffen auf die schmale Brust. Sprachen über Dinge, die sie selbst so noch nie erlebt hatten. Taten Heldengeschichten kund, in ihrer Fantasie geboren und dort siegreich bestanden.

Eine zweite Runde Gerstensaft wurde dem Rucksack entrissen, die dritte Kippe weggedampft. Dann gab der Erste auf. Schlich sich in ein Gebüsch und düngte dort mit seinem Mageninhalt den Boden. Die Runde der Tapferen unterstützte ihn dabei mit frechen Sprüchen. Jaja, mickrige Jungs. Schmale Jungs, Alkohol und Zigaretten.

Die Gesellschaft auf den Bänken wurde kleiner. Denn derjenige, welcher in die Büsche geflüchtet war, kehrte nicht wieder. War es der Spott oder die verletzte Eitelkeit? Oder sagte ihm sein Magen, wo es lang ging?

Egal, wie auch immer. Damian war es recht. Seine Chancen stiegen und die des Opfers wurden kleiner. Schon bald musste ein weiterer ganzer Kerl die Segel streichen. Auch er fand den Weg in die Büsche und kehrte nicht wieder.

Toll! Fast hätte Damian vor lauter Freude lauthals gelacht. So viel Glück auf einmal gab es doch gar nicht! Oder doch?

Dann war es endlich soweit. Die wohl letzte Dose Bier meldete sich als vernichtet und die beiden Saufbrüder purzelten fast von den Bänken. Fix wurden noch die Zigaretten geteilt und kurz darauf auch schon bierselig Abschied genommen. Wange an Wange schmusten die beiden, hauchten sich ihren feuchten Atem ins Gesicht und beleckten sich mit klebriger Zunge. Eine letzte Umarmung, ein letzter Treueschwur auf ewig. Dann trennten sie sich. Der eine torkelte nach links, der andere nach rechts.

Damian blieb fast das Herz stehen. Ein Wink des Schicksals! Er hatte verstanden. Eine unglaubliche Chance. Weit und breit kein Zeuge. Kein Schnee, um groß Spuren zu hinterlassen. Der Boden hart gefroren, es würde also kaum Geräusche geben. Nur das Sternenlicht schaute zu.

Vorsichtig schlich er hinterher. Schon bald waren sie allein. Den schmalen Pfad am Flussufer ging es entlang.

Damians Herz pochte laut. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Der Atem ging stoßweise, fast schon keuchend. Waren diese Geräusche nur in seiner Einbildung so stark?

Dies hier war seine Pirsch! Warum hörte ihn das Wild eigentlich nicht?

Doch das kämpfte mit sich selber einen ungleichen Kampf. Der Bengel torkelte weiter, hüpfte und ruderte mit den Armen. Versuchte immer wieder, die ersten Zeilen der gängigen Hits zu krakeelen, die in seinem Kopf rumorten.

Dann rutschte er weg. Das Eis einer Pfütze. Glatt und hinterhältig. Der Bursche verlor den Halt und schlug lang hin. Schwer krachte der Körper auf den steinharten Boden und dennoch lachte der Bengel weiter. Wollte gar nicht mehr damit aufhören. Wälzte sich dabei, die Arme in die Luft gestreckt. Wieder und wieder griffen seine Hände nach etwas, das nur er selber sehen konnte.

Die Zeit war reif! Damian spurtete los. Schon war er heran und über sein Opfer. Entschlossen griffen seine Finger fest in den Kragen des Anoraks und rissen diesen samt Inhalt empor. Es war getan. Sein Lehrling war gefangen und das Spiel konnte beginnen.

Konnte? Konnte nicht! Denn das Objekt seiner Begierde wehrte sich mit all seiner Kraft, die ihm zur Verfügung stand. Nun, das war nur ein Bruchteil der Seinigen. Aber es nervte! Und vor allem, es tat weh. Denn der Bursche teilte aus. Mit Händen und Füßen und mit den Zähnen.

Dafür schüttelte ihn der Jäger durch. Schüttelte ihn und schüttelte ihn, allein es half nichts. Die Gegenwehr wurde nicht geringer. Ganz im Gegenteil.

Damian packte die kalte Wut und er riss den Pimpf mit ausgestrecktem Arm hoch in die Luft. Griff nach der jungen Kehle und drückte zu. Wenn der blöde Kerl es nicht anders haben wollte, dann sollte er kriegen, was er brauchte! Schmerzen! Und wenn das nicht reichte, noch mehr Schmerzen! Die Luft würde dieser Ratte schon bald ausgehen und sein Widerstand erlahmen. So war es doch immer!

Aber nicht heute. Nicht diesmal. Die Wut, die Damian in den Augen seines Opfers sah, war kalt wie das blitzende Sternenlicht und grenzte schon an Selbstzerstörung.

Hinzu kam ein weiterer Umstand, der ihm zu schaffen machte. Dadurch, dass die Rotznase regelrecht in der Luft hing, hatte sich sein reißendes Zappeln noch weiter verstärkt. Und die menschlichen Waffen fanden mehr und mehr bessere Ziele. Tritte verspürte Damian, gegen sein Schienbein und die Kniescheibe. Oh ha! Das tat weh! Sehr weh! Er konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken und seine Wut wuchs weiter.

Die fremden Fäuste besaßen noch nicht viel Kraft. Und waren auch nicht besonders schmerzhaft, solange diese nur auf seinen gut gepolsterten Oberkörper trafen. Bis sich das störrische Balg eines Besseren besann und auf seinen Hals zielte. Spätestens jetzt wurde aus Damians Stöhnen ein Röcheln.

Und dann passierten zwei Dinge fast gleichzeitig. Damian hatte sie nicht kommen sehen und war deshalb vollkommen unvorbereitet. Noch während er seinen Fingern den Befehl gab, fester zuzudrücken, erwischte es ihn eiskalt.

Scharfe Zähne umschlossen seine Nase und bissen kräftig zu. Zur selben Zeit traf ihn etwas Hartes und Schweres an seiner Schläfe. Eine Bierdose! Voll! Der unwillige Bastard hatte diese aus seinem Anorak gefischt und ohne Zögern zugeschlagen.

Instinktiv, ohne es zu wollen, ließ Damian seine Beute los. Die stürzte mit einem Quieken zu Boden und versuchte sich blitzschnell wieder aufzuraffen.

Doch Damian war auf der Hut. Obwohl ihm ein wenig schwindlig war und der halbe Körper schmerzte, griff er wieder zu. Es ging um alles! Auf keinen Fall dufte der Bursche entkommen. Die Polizei und alle Einwohner in der Nähe wären hinter ihm her, gar keine Frage!

Doch das quirlige Wiesel zu seinen Füßen war schnell. Schneller als sein packender Griff. Auf allen vieren rutschte es unter seiner Hand hindurch und nahm den einzigen Fluchtweg, der ihm verblieb. Ein Stück die Uferböschung herunter und auf das Eis des Flusses. Dort richtete sich der Entflohene auf. Und bedachte Damian, der ein wenig hilflos das Ufer sicherte, mit einem hämischen Blick, bevor er ihm frech die Zunge herausstreckte.

„Komm zurück!“, zischte Damian ungehalten. „Du kannst nicht entkommen! Sobald du vom Eis krabbelst, hab ich dich! Also gib lieber auf.“

Der Kobold auf dem Fluss lachte nur. Er streckte die geöffneten Handflächen, mit den Daumen voran, an die Ohren und wedelte herum. Die Zunge flutschte heraus und gleich wieder herein. Wieder und wieder. Das Gesicht wurde zerknautscht und die Augen rollten bedenklich.

„Lululululuuuuuuuu! Komm doch, du Penner! Komm doch und hol mich! Hast wohl Schiss, du Donnerbalken! Lululululuuuuuuuu!“

„Hör auf, so herumzutanzen, du Blödmann! Oder willst du absaufen? Das Eis ist doch noch nicht dick genug! Oder bist du so blöd? Echt, du Stinker?“, höhnte Damian verschnupft am sicheren Ufer.

„Lululululuuuuuuuu! Komm doch, hol mich, du Spanner! Tut mir leid, aber heute wirst du selber an dir rummachen müssen!“

Damian war empört. Als wenn es darum ginge! Sah das Stück Mist auf dem Eis denn nicht, dass er ihm nur Gutes wollte?

„Komm endlich heraus! Ich tu dir auch nichts! Oder soll ich dich erst holen?“

„Nein!“, trompetete der Kobold und stampfte störrisch mit dem Fuß auf.

„Ich verlier jetzt gleich die Geduld! Und dann werde ich dich ohne Ende verdreschen. Das hast du noch nicht gesehen! Los, komm jetzt!“

„Nein!“, hämmerte die tanzende Ratte auf dem Eis.

Und stampfte wieder mit dem Fuß auf.

„Nein, nein, nein! Will nicht! Komm nicht! Nein, nein, nein!“

Wieder ein Stampfer. Dann noch einer und noch einer. Die Wut des Kobolds war in seine Füße gerutscht und übertrug sich jetzt auf die Eisfläche.

Und was Damian eigentlich nur als Drohung verstanden wissen wollte, trat ein. Das Eis war tatsächlich noch nicht dick genug. Knisternd bildeten sich die ersten Risse in dem gefrorenen Wasser, welche von dem Tänzer und dem machtlosen Zuschauer am Ufer noch unbemerkt blieben.

Doch die Risse vermehrten sich in Windeseile. Das Knistern wandelte sich zu einem bedrohlichen Knacken und gewann endlich auch die Aufmerksamkeit der beiden Sterblichen. Nur war es da schon zu spät. Von einem ungläubigen Blick und einem lauten Krachen begleitet brach der junge Bursche schließlich ein.

Bis zu den Armen schnell. Dann wie in Zeitlupe. Frierende Finger der einen Hand, während die andere immer noch die Bierdose wie einen Schatz umklammerte, suchten kratzend auf dem glatten Eis nach Halt. Vergebens! Der Körper sackte tiefer. Wohl von der Strömung unter dem eisigen Mantel erfasst.

Fasziniert starrte Damian auf dieses gespenstische Bild. Nicht viel konnte er im fahlen Mondlicht erspähen. Aber das, was er sah, war unglaublich. Das Restlicht spiegelte sich in den Augen des Ertrinkenden. Es war keine Angst in ihnen zu entdecken. Nur ungläubiges Staunen.

Dann hatte das wirbelnde Wasser den geöffneten Mund erreicht und strömte gurgelnd hinein. Ein letzter Aufschrei und der Todeskampf begann. Einen winzigen Moment lugte der Kopf noch aus dem Wasser, bevor der zuckende Körper unter dem Eis fortgeführt wurde. Es war klar, wer diesen ungleichen Kampf gewann. Gevatter Tod war übermächtig, da hatte dieser störrische Körper, der doch so erfolgreich seinem Entführer getrotzt hatte, keine Chance.

Noch geraume Zeit stand Damian benommen am Ufer. Sprachlos und voll der Bewunderung. Das Adrenalin raste durch seine Adern.

War das ein Schauspiel! Eine Erstaufführung! Nur für ihn. Und er saß in der ersten Reihe! Unglaublich! Dieser Todeskampf, diese Dramatik. Nichts gab es bislang in seinem Leben, das ihn mehr berührte. Am liebsten hätte er den Weg seines Opfers noch ein Stück weit unter dem Eis verfolgt. Hätte zu gern in die hervorquellenden Augen geblickt und die letzten Zuckungen genossen.

Nun, sein anfängliches Gefühl erwies sich als richtig. Das auserwählte Opfer war nicht geeignet. Viel zu selbstzerstörerisch. Aber dafür hatte es ihm einen unglaublichen Moment beschert. Am liebsten würde Damian an dieser Stelle noch stundenlang stehen und dem Nachhall des eben Erlebten lauschen. Aber das ging nicht, das war nicht klug. Schon viel zu lange verweilte er an diesem Ort. Unwillkommene Zeugen wären nur eine Frage der Zeit.

Aber schade um diesen ganzen Aufwand! Schade um die Zeit. Fast hätte er seine Beute gehabt. So dicht an sein Ziel war er bislang selten gekommen.

Was soll`s! Das nächste Mal musste er eben schneller sein. Musste dieses lästige Zappeln verhindern. Das nächste Mal war er wieder ein bisschen klüger. 

Augen im Nebel

Es war ein schöner Tag gewesen. Die Schule hatte Spaß gemacht. Ebenso wie die Hausaufgabenstunde danach. Heute gab es ausnahmsweise mal keinen Stress. Keiner hatte sie geschubst oder irgendwie anders dumm angemacht. Ganz im Gegenteil! Alle hatten viel gelacht. Nina mit ihren Freundinnen und sogar mit den Jungs.

Und es kam noch besser. Nach der Schule waren sie gemeinsam losgezogen. Man hatte sich gegenseitig abgeholt, so wie immer und nach einem festen Schema. Nicht, ohne noch ein Weilchen in der fremden Wohnung der Freundin zu verweilen. Um sich den neusten Tratsch zu erzählen, etwas Musik zu hören oder die Jungs durchzukauen.

Und schließlich waren sie hier auf diesem Spielplatz am Fluss gelandet und hatten getobt, was das Zeug hielt. Gruppen wurden gebildet, die sich hetzten und neckten. Sie alle spielten Fangen. Die Jungs mit den Mädels und umgekehrt. Und man balgte sich vorsichtig, wenn man seinen Traum erwischte. Erste Küsse wurden in aufgeregte Gesichter gehaucht und das verschämte Rot breitete sich aus wie ein Fieber.

Doch nun war es an der Zeit, um nach Hause zu gehen. Die Dunkelheit brach herein. Zwar besaß Nina noch Energie für ein paar Stunden mehr, aber ihre Eltern hatten eigene Ansichten über die Abwesenheit ihrer Tochter. Nun gut, eine halbe Stunde konnte man noch verantworten, dann aber nichts wie los!

Ein Knacken in der Nähe erregte Ninas Aufmerksamkeit. Interessiert schaute sie dorthin, wo es ihrer Meinung nach herkam. Und sah nichts. Oder doch?

Kurz, wirklich nur kurz, glaubte sie etwas zu erkennen. Ein Schatten womöglich, mehr nicht. Eins der anderen Kinder vielleicht? Sie spielten ja gerade Verstecken. Da wäre es nur gut, sich diesen Unterschlupf einzuprägen.

Da, da war es wieder! Dicht geduckt über dem Boden! Und wirklich, wie ein Schatten! War das etwa ein schwarzes Fell? Und diese Augen erst! So groß, richtig groß!

Nina wurde es mulmig. Und sie duckte sich noch ein wenig tiefer. Das war keins der anderen Kinder! Mit absoluter Sicherheit nicht. Irgendetwas war da am Waldesrand, was die Menschen hier am Fluss beobachtete. Etwas, das lauerte. Und Ina Angst einjagte.

„Hab dich“, trällerte da ihre Freundin.

Von Ina unbemerkt war diese herangekommen. Fest umschloss die Freundin sie nun mit beiden Armen und schaukelte von links nach rechts und wieder zurück.

„Ich will nach Hause!“, schnaufte Ina.

„Nun hab dich doch nicht so“, schimpfte ihre Freundin. „Du musst nicht gleich sauer sein, wenn du mal verlierst.“

„Bin ich auch nicht“, widersprach Ina kleinlaut. „Es ist nur so kalt! Außerdem warten meine Eltern mit dem Abendbrot auf mich.“

„Ja, ja. Schon gut. Vielleicht hast du recht. Lass uns gehen!“

Und Arm in Arm schlenderten die beiden zurück zum Spielplatz. Packten ihre Sachen zusammen und machten, dass sie davonkamen.

Der Schatten im Wald kümmerte sich nicht weiter um die beiden Mädchen. Er hatte etwas ganz anderes im Blick. Schon lange lag er hier und zitterte vor sich hin. Knurrte, wenn ihm etwas nicht gefiel.

Nicht allzu weit entfernt, ebenfalls im Wald, hatte er seine Beute ausgemacht. Diese stand im Wind, er roch sie nahezu. Immer wieder schnüffelte das Wesen, um sich zu vergewissern, dass sie noch da war.

Die Zeit verrann. Es wurde dunkel und Nebelschwaden krochen über den Fluss. All die Kinder verschwanden so nach und nach, bis auf ein paar wenige. Nur diese und seine Beute waren noch da. Und natürlich seine Wenigkeit.

Dann verabschiedeten sich auch die Letzten. Und die Beute schlich eines der Kinder nach. Und das Wesen der Beute. Still und heimlich. Auf allen vieren und ganz so, als würde es schweben.

Hinunter ging es zum Fluss. Knabe und Beute. Und beide tanzten dort ihren eigenen Tanz. Stumm verfolgte das Wesen das Schauspiel dort unten am vereisten Flussufer. Und war fasziniert. Es war ein besonderer Abend, damit hatte es nicht gerechnet. Seine Beute war interessant. Einfallsreich und schwer zu fassen. Schon lange war er hinter ihr her. Heute wäre eine gute Gelegenheit, gewiss. Aber es würde nicht zuschlagen. Heute nicht. Das eben Erlebte spukte immer noch in seinem Geist, da gab es keinen Platz für anderes. Außerdem, die Jagd war immer das Schönste an diesem Spiel. Also, auf ein Neues!

Es würde wiederkommen. Seine Beute zu finden war kein Problem. War es nie gewesen.

Lautlos schlich der schwarze Schatten von dannen. Wohl keiner hatte ihn gesehen, keiner die Anwesenheit bemerkt. Selbst das Mondlicht konnte der schwarzen Erscheinung nichts anhaben.

Wellness in der Schweiz

Aufmerksam studierte Damian das Foto samt den dazugehörigen Daten. Ein letztes Mal. Dann zog er sein Feuerzeug heraus und verbrannte es. Alles klar. Es gab keine Zweifel mehr.

Ein netter kleiner Mordauftrag. Mal für zwischendurch. Fünfunddreißigtausend Euro, für einen Job, der nicht allzu anspruchsvoll war. Das Ziel ein Industrieller, der in den Augen seiner Kinder schon viel zu lange lebte.

Sicher, es gab Besseres. Manchmal sogar mit ein paar Nullen mehr. Aber diese Jobs waren zeitaufwendiger. Und gefährlicher. Außerdem gab der Markt so etwas zurzeit ohnehin nicht her. Nur nullachtfünfzehn Sachen, ansonsten war er wie leer gefegt.

Aber Damian war nicht böse. Er brauchte nur kurz etwas zur Auflockerung, etwas Ablenkung. Damit er seinen letzten Misserfolg vergaß. Dazu fünfunddreißigtausend Kröten, ein wenig Zeit in der wunderschönen Schweiz, was wollte man mehr!

Die Zeit allerdings, die wurde mittlerweile knapp. Denn Damian ließ es ruhig angehen. Denn er gehörte zu den Leuten, die lieber alles doppelt und dreifach überprüften. Damian hatte es sich so angewöhnt. Erfahrung, gewissermaßen. Gezogen auch aus einem Fall heraus, der gründlich danebenging.

Vor Jahren hatte er nämlich einmal den Falschen erwischt. Die Ähnlichkeit war über alle Maßen groß gewesen, gewiss. Aber das war keine Entschuldigung. Seine Auftraggeber akzeptierten dies nicht und er selber ebenso. Sein damaliges Opfer war nur ein entfernter Cousin. Nicht mal ein Bruder oder Zwilling. Dinge gab es!

Nun ja, der Ärger ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Dazu kam diese unglaubliche Blamage, die an seiner Berufsehre knabberte. Was viele der Eingeweihten ihn auch deutlich spüren ließen.

Nun, jedenfalls, seitdem überprüfte er seine Zielobjekte mehrfach. Der Aufwand war nicht viel größer und schaden konnte es ohnehin nichts. Ob er nun den feschen Jungs oder Mädels hinterherstarrte und dabei das Schlucken vergaß, da konnte er seine Zeit ebenso dazu nutzen, den Auftrag gründlich abzusichern. Obwohl Ersteres auch nicht schlecht war. Es gab viel Schönheit in dieser Welt. Und Damian hatte nichts dagegen, dass ihm das Wasser im Munde zusammenlief.

Aber heute konnte er ein paar Blicke riskieren. Alles war geplant und vorbereitet und er war sich seiner Sache zu einhundert Prozent sicher. Selbst der abschließende Check, vor nicht mehr als einer halben Stunde, war positiv verlaufen. Angerempelt hatte er sein Zielobjekt, als dieses gerade beim Frühstück saß. Mit einem Glas Wasser, welches er wie zufällig auf den Ärmel des Mannes schüttete.

Klein hatte er sich anschließend gemacht und demütig. Gejammert und gewinselt. Den Ärmel wieder trocken gerieben und nach dem Namen und der Zimmernummer gefragt. So ganz nebenbei, damit die Direktion einem Präsentkorb, zusammen mit einer Flasche Sekt, als Entschuldigung dorthin senden könne.

Das potenzielle Opfer hatte sich aufgeplustert und strafende väterliche Ermahnungen in die Luft geblasen. Eifrig hatte Damian genickt, obwohl er den Kerl für einen Blödmann und Schwachkopf hielt. Ein wenig aufplustern reichte bei Weitem nicht, um ihn zu beeindrucken. Das konnte doch ein jeder und viele taten dies auch.

Unwichtig. Wichtig war nur, dass er seinen Auftrag nun erledigen konnte. Gut so, denn der vertragliche Zeitrahmen war eng.

Zufrieden trat Damian aus dem Schatten der Bäume und setzte sich auf eine Bank im Park, von der aus er den Eingang des Hotels gut im Blick hatte. Jetzt hieß es warten. Allzu lange konnte es nicht mehr dauern. Selbst bei diesem Blödmann nicht, der jedes weibliche Wesen anbaggerte, das vor seinen Füßen herumlief. Dabei war er nicht mal annähernd schön. Nur sein Bankkonto.

Aber irgendwann musste der Kerl ja kommen. Zur vollen Stunde hatte der nämlich im Wellnessbereich einen Termin. Zuerst eine Massage, dann ein Moorbad. Das hatte Damian schon gestern herausbekommen, als er mit der netten Frau im Anmeldebereich flirtete. Und als diese sich um einen anderen Kunden kümmerte, da wurde schnell der Terminplaner untersucht.

Insgesamt lief alles einfacher als gedacht. Von den sieben Tagen, die er anfänglich eingeplant hatte, würden nun zwei übrig bleiben.

Eine Pistole würde er nicht brauchen. Also musste er auch nicht die Adresse kontaktieren, die für diesen Fall seinem Auftrag beigefügt war. Ein Beweisstück weniger. Außerdem riefen Schüsse immer unliebsame Zeugen herbei, wie das Aas die Fliegen.

Die Örtlichkeiten waren ideal. Die Umstände ebenso. Zur Not würde das große Messer zum Einsatz kommen, welches er auf dem Rücken trug. Aber eigentlich sollte die Sache ohne Blutvergießen abgehen. So der Plan!

Es war so weit! Die Zielperson trat aus der Hotelhalle. Und machte sich auf den Weg zum Wellnessbereich des Hotels, der sich ausgelagert, nicht ganz einhundert Meter entfernt, befand. Gemächlich stand Damian auf und schlenderte wie zufällig, mit den Händen in den Taschen, hinterher.

Schnell war der kurze Weg geschafft und beide Männer verschwanden in dem lichten Eingangsbereich, der prunkvoll mit weißem Marmor ausgekleidet war. Groß war die Halle und es herrschte viel Betrieb. Das Hotel gehörte zu einer Kette, die mit Wellnessangeboten sehr viel Geld verdiente. Der große See vor der Tür, die imposanten Berge dahinter und die Professionalität des Personals sorgten stets für regen Zulauf.

Gut für Damian, denn so fiel er nicht weiter auf. Unbeachtet verzog er sich in eine der vielen Umkleidekabinen. Und zog den Overall vom Reinigungsdienst über, für den er sich gestern entschieden hatte. Die Leute von der Gebäudereinigung fand man überall, er würde also nicht auffallen. Als Mitarbeiter vom Wellnesspersonal wäre er sich da nicht so sicher. Schon möglich, dass dort jeder jeden kannte. Und irgendein Kurgast ihn dumm anquakte.

Auf ging's! Hin zu dem Raum, wo der Kerl sich kneten lassen würde. Auch die Räumlichkeiten hatte Damian gestern schon ausgekundschaftet. Zwanzig Minuten lang sollte die Massage dauern. Dann würde der Kerl eine halbe Stunde ruhen, um anschließend eine ganze Stunde ins Moorbad zu kriechen.

Geduldig wartete Damian. Hörte durch die dünne Tür, wie der Kerl schwachsinnige Witze erzählte. Was Geld alles so bewirkte! Wohlwollen und selbst ein Lachen konnte man sich damit erkaufen.

Die Zeit verging und die Tür öffnete sich wieder. Seine Zielperson wurde hinausbegleitet und in einen der Ruheräume geführt. Mit nur einer Liege, ganz im Gegensatz zu gestern. Musik ertönte. Meeresrauschen. Mann, das lief ja wie geschmiert!

Sekunden später war die Zielperson allein. Und eigentlich schon tot. Damian wartete geduldig. Schenkte dem Blödmann noch ein paar Augenblicke. Er wollte es nicht übertreiben. Denn, wenn das Glück ihm hold war, dann wurde der Kerl schläfrig. Und er konnte sich ihm unbemerkt nähern.

Gesagt, getan. Ein kurzer Blick rundum. Damian war allein, keine Zeugen. Lautlos öffnete er die Tür und schob sich in den Raum. Perfekt! Wie für ihn gemacht. Sein Zielobjekt lag auf dem Bauch, hatte den Kopf auf seine Arme gelegt und grunzte vor sich hin. Ohne Hast schnappte sich Damian eins der zahlreichen Kissen, die hier überall herumlagen.

Und dann ging alles sehr schnell. Mit einem Ruck hob Damian den Kopf des Mannes an. Stopfte das große Kissen darunter und drückte den Kopf hinein. Nur wenige Sekunden hatte dies gedauert. Der Kerl war noch nicht einmal richtig wach geworden. Und das sollte er auch nie wieder werden.

Eine kleine Strampelei, ein trockenes Keuchen und Röcheln. Nichts, was Damian auch nur annähernd in Verlegenheit gebracht hätte. Im Übrigen, es dauerte ohnehin nicht lange. Eigentlich war die Zeitspanne, bis der Körper erschlaffte, sogar viel geringer als erwartet. Vielleicht war der Kerl ja schon ein wenig vorbelastet. Hatte mal einen Schlaganfall, Lungenprobleme oder Ähnliches.

Nun, Damian sollte es recht sein. Professionell prüfte er noch Atmung und Puls. Zur Sicherheit auch noch den Herzschlag. Nichts. Es war getan.

Perfekt! Wie immer!, lobte sich Damian selber und verließ grinsend den Raum.

Zog sich in aller Ruhe wieder um und schmiss den Overall gleich in den großen Wäschekorb auf dem Flur, der genau dafür gedacht war. Noch war alles ruhig. Es gab kein Geschrei. Seiner Berechnung nach würden sogar noch etliche Minuten vergehen, bis man das Opfer fand.

Bis dahin war er schon lange aus dem Gebäude. Und unterwegs in Richtung Bahnhof. Mit dem Zug würde er die Schweiz verlassen. Den Grenzübergang nach Österreich nehmen. Dort, wo er auch sein Auto abgestellt hatte. Anschließend zurück nach Deutschland. Und in etlichen Stunden schon würde er Zuhause sein.

Dort würde Damian feiern, so richtig einen drauf machen. Der Ausflug hatte sich gelohnt und seine gute Laune war zurückgekehrt. Und wenn die Nüchternheit ihn in den nächsten Tagen erneut fand, dann war wieder Jagdsaison. Auf eine ganz andere Beute! 

Kommissar Becker I

Missmutig zog Kriminalkommissar Heiko Becker die Nase kraus. Schuld war sein neuer Spezi. Sein neuer Gehilfe, den man ihm, ohne zu fragen und absolut gegen seinen Willen, zur Seite gestellt hatte. Mein Gott, wie er diesen Fatzke hasste!

Es war keine generelle Abneigung gegen dieses junge Gemüse. Auch nicht gegen diese unglaubliche Unerfahrenheit. Nein, es war diese personengebundene widerliche Hinterhältigkeit! Welche der schmierige Bursche auch noch erschreckend gut verbarg. Fast schien es so, als sei Heiko tatsächlich der Einzige, der hinter diese glatte Fassade blicken konnte.

Alle anderen gingen dem Kerl auf den Leim. Erlagen seinem Scham, den er zweifellos hatte. Und wie eine Waffe zu seinem Nutzen einsetzte.

So auch jetzt gerade. Anstatt seiner Arbeit nachzugehen, hockte der verlogene Hüpfer draußen bei Eva Traun, einer Beamtin im Anmeldebereich. Und klopfte kluge Sprüche. Log höchstwahrscheinlich, dass sich die Fingernägel aufrollten. Und betatschte dabei, wie zufällig, immer wieder die Beine, die Arme und die Schulter der netten Frau. Und was er nun überhaupt nicht verstand, der Dame schien es sogar zu gefallen. Denn seitdem die beiden ständig ihre Nasen aneinander rieben, kicherte das Mädel ohne Unterlass wie aufgedreht.

Kriminalmeister Ingolf Wiesinger! So hieß der smarte Bursche, der sich nun schon seit ein paar Wochen in seinem Bereich austobte. Alles auf den Kopf stellte und sich überall einmischte. Die Erfolge für sich beanspruchte und alles andere weit von sich schob.

„Also, die ganze Umgebung um den Spielplatz herum haben wir unter die Lupe genommen. Auch die angrenzenden Waldflächen. Dazu die Wiesen. Nichts! Der Junge bleibt verschwunden“, unterbrach ihn da die volltönende Stimme seines Kollegen, der mit ihm am Tisch saß.

Polizeiobermeister Anton Tretschok hieß der gute Mann und sie beide waren schon seit Längerem ein eingespieltes Team.

Anton, von den meisten Tony genannt, gehörte eigentlich zur Schutzpolizei. Eigentlich.

Aber dieses Gebäude war nun mal nicht das Präsidium. Und deshalb arbeiteten so gut wie alle Einheiten hier auf engstem Raum zusammen. Immer wieder lief man sich während der Dienstzeit über den Weg. Sprach miteinander und tauschte sich aus. Eigentlich war es ein gutes Verhältnis unter all jenen, die hier in diesem alten und reparaturbedürftigen Gebäude ihr Brot verdienten.

Die unterschiedlichen Abteilungen arbeiteten hier tatsächlich zusammen. So, wie es eigentlich sein sollte. Aber nur selten war.

Ein Teil von ihnen verbrachte sogar die Freizeit gemeinsam. Und auf den angesetzten Festen, die eher häufiger als selten stattfanden, da krachte es so richtig. Ein jeder war dem anderen ein guter Freund, wie es die jeweilige Befindlichkeit eben zuließ.

Jedenfalls trifft das für die meisten zu, korrigierte Heiko Becker im Stillen, als er einen verärgerten Blick auf seinen schwafelnden Gehilfen warf.

So viel Schleim! Solch eine Verlogenheit! Herrje!

Dies hier war nicht die Großstadt, sondern nur einer ihrer Vororte. Hier ging es geruhsamer zu, hier herrschte nicht dieser Druck. War in seiner eigenen Abteilung Flaute, dann griff Heiko schon mal den Kollegen der anderen Bereiche unter die Arme. Von sich aus. Ganz ohne Zwang oder Anforderung.

Und genauso taten es die anderen. Allein schon die kollegialen Tipps von den Jungs, welche auf der Straße ihren Dienst taten, waren nicht mit Geld zu bezahlen.

„Ob der Junge abgehauen ist?“, überlegte der Kriminalkommissar und streckte dabei seine Arme weit nach oben.

„Hm. Möglich. Aber eher unwahrscheinlich. Vom Spielplatz? Und erst, als die Nacht hereinbricht?“, widersprach Tony. „Also, wenn ich abhauen wollte, dann würde ich es in der Früh tun. Wenn es hell wird. Und ich noch den ganzen Tag zur Verfügung habe, bevor man es bemerkt. Außerdem, die Nächte sind eisig kalt.“

Traurig sah Heiko sein Gegenüber an. Sympathisch war der Kollege. Und überaus intelligent.

Dieser Mann hätte sein neuer Gehilfe sein sollen! Und nicht diese Tanzmaus, die sich über alles nur das Maul zerriss.

Nicht, dass er es bei seinen Vorgesetzten nicht versucht hätte. Bei jeder nur denkbaren Gelegenheit in der letzten Zeit hatte er Tonys Namen ins Gespräch gebracht. Dessen Vorzüge und Instinkte für diesen Job. Allein, es sollte nicht sein.

Stattdessen hatte man ihm dieses große und hinterhältige Kind an die Backe geheftet. Ganz klar, da hatte wohl wieder ein Erbsenzähler in der Personalabteilung Blähungen gehabt. Ob die sich ihre Leute auch mal näher anschauten, welche sie wie Schachfiguren hin und her schoben?

„Gut. Wird wohl so sein. Aber wo ist er dann? Bei einem Freund untergekrochen? Was haben die anderen Kids ausgesagt?“

„Eigentlich nichts Konkretes. Keiner will so richtig von dem Vermissten Notiz genommen haben. Wenn du mich fragst: Alles Blödsinn! Der Bengel hat dort jeden genervt und einen Großteil verdroschen. Die werden schon von ihm Notiz genommen haben, kannste glauben.“

Dass er hier nun mit Anton an einem Tisch saß, statt mit seinem neuen Gehilfen, war bezeichnend. Man hatte den Polizeiobermeister damals als Vertretung abgestellt. Schon vor vielen Wochen, als sein bisheriger Mitarbeiter ihn Knall auf Fall verließ. Um eine eigene Wachdienstfirma zu gründen. Um endlich richtig Geld zu verdienen. Um sich nichts mehr vorschreiben lassen zu müssen. Um einen geregelten Dienst zu haben und mehr Zeit für die Familie. Um bla, bla, bla.

Nun ja, irgendwie erwies sich diese Entscheidung als Glücksfall. Denn nun kam der gutmütige Tony ins Spiel. Der Mann für alle Fälle und jeden Ärger. Nirgendwo gab es Neid.

Lange Zeit hielten sie beide es nun schon miteinander aus. Ohne jegliche Reibung gestaltete sich ihr Arbeitsalltag, ganz so wie Rädchen in einem Getriebe.

Es machte immer wieder Spaß und schonte vor allem die Nerven, mit Tony Rätsel zu lösen. Genau wie jetzt gerade, als sie über diesen Fall sprachen, der eigentlich noch gar kein offizieller Fall war.

Ein vermisster Junge. Zur Nacht nicht nach Hause gekommen. Nun ja, das war nicht gerade selten. Meistens lösten sich die Dinge von selber. Man brauchte nur ein wenig Geduld und durfte nicht gleich in Panik verfallen.

Dumm nur, wenn wirklich etwas passierte. Und dies lag mittlerweile absolut im Bereich des Möglichen. Nicht nur eine Nacht war der Junge mittlerweile verschwunden, sondern ganze drei Tage. Da stand der ganze Behördenapparat mittlerweile unter Dampf.

„Wer von den Kids hat ihn denn zuletzt gesehen?“

„Angeblich keiner“, schniefte Anton. „Jeder hat ausgesagt, dass der Junge noch mit irgendjemandem zusammen war, als es nach Hause ging. Allerdings mit wem, dies wusste keiner. Eigenartig, oder? Irgendjemand muss doch der Letzte gewesen sein!“

„Haben wir alle Freunde überprüft?“

„Der Bengel hatte keine Freunde. Soll vorkommen. Aber ja, wir haben alle überprüft. Kumpel und Spielgefährten. Schulkameraden und auch die aus dem Sportverein. Verwandte und Bekannte.“

„Wie sieht es mit möglichen Verstecken aus? Dachböden, Schrebergärten, Schuppen?“

„Alles durchsucht. Was uns nur so einfiel. Sogar in alte Brunnen haben wir geleuchtet. Auf dem Schrottplatz und in den alten Fabrikgebäuden. Nichts! Rein gar nichts. Keine Kleidungsstücke, keine Essensreste. Kein Schlafplatz oder irgendwie sonst eine Spur. Kein Mensch will ihn gesehen haben. Der Jungspund ist wie vom Erdboden verschluckt.“

Heiko war beeindruckt. Der Mann ihm gegenüber war nicht nur gewissenhaft, sondern besaß auch noch Fantasie. Ganz anders als der Schönling dort im Eingangsbereich, der immer noch balzte, was das Zeug hielt. Wenn der Kerl mal Kriminalkommissar werden sollte, na dann schönen Dank auch! Nie, aber wirklich nie würde der einen Fall lösen! Höchstens, wenn er gute Leute hätte. Blitzbirne, die!

„Nicht gut. Gar nicht gut. Meine Nackenhaare sagen mir, dass da etwas nicht stimmt. Also, dann verständigen wir jetzt mal die Presse. Und geben gleichzeitig eine überregionale Suchmeldung heraus.“

Das Telefon klingelte und Tony nahm ab. Nur kurz dauerte das Gespräch.

„Alles klar. Habe verstanden“, bestätigte Tony und legte den Hörer zurück auf die Gabel.

Mit unbestimmbarem Gesichtsausdruck lehnte er sich zurück und zog die Stirn kraus.

„Was? Nun sag schon!“, bellte Heiko Becker, der so eine Ahnung hatte.

„Sie haben ihn.“

„Wo? Wie? Was? Wen?“, röhrte Heiko. „Oder willst du etwa, dass ich dich erst zur Dönerbude einlade.

„Tja, wäre nicht schlecht“, schmunzelte Tony. „Es ist ja bald Mittag.“

„Ja, ja. Von mir aus. Also, was ist denn nun? Was Wichtiges? Wen haben sie?“, forderte Heiko jetzt lautstark sein Recht.

„Den Jungen“, ließ sich Tony mit ernsthafter Mine erweichen. „Den Jungen haben sie. Zumindest glauben wir dies. Ein Angler hat ihn gefunden. Oder sagen wir besser, der Mann hat eine menschliche jugendliche Leiche unter dem Eis entdeckt. Gerade als er mit dem Eisbohrer zugange war.“

„Und wieso meinst du, dass dies der Gesuchte ist? Es könnte ja auch jemand anderes sein!“

„Ja, könnte wohl. Aber die Stelle im Fluss, wo die Leiche entdeckt wurde, ist nicht allzu weit vom Spielplatz entfernt. Der Vermisste könnte also einfach nur ertrunken sein. Also, falls nicht noch mehr Leute verschwunden sind, aufgrund der Nähe und des zeitlichen Rahmens, könnte es der von uns Gesuchte sein. Übrigens, ein paar Beamte sind schon vor Ort. Und die Feuerwehr ist unterwegs.“

„Hm, eine Möglichkeit wäre es“, stimmte Heiko zu, während er einen Atem im Nacken spürte und kurz darauf sich entfernende Schritte hörte.

Ein Blick aus den Augenwinkeln zeigte ihm, wie der Wiesinger gerade davonstürmte. Den ganzen Tag hatte er nichts gemacht und dann wie die Ratte den Speck gerochen. Hatte den richtigen Moment erwischt und sie belauscht. Die Information abgegriffen und war jetzt auf dem Weg nach draußen. Keine Frage, der Kerl würde sich sofort der Presse präsentieren. Den Fall als gelöst darstellen, selbstverständlich von ihm.

„Du magst ihn nicht, oder?“, wollte Tony wissen, der den langen Blick bemerkt hatte.

„Kein Stück! Darauf kannst du einen lassen!“, grunzte Heiko. „Keine Sekunde vertrau ich dem! Der schießt dir in den Rücken, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Wirklich? Dann sollte man ihn lieber nicht aus den Augen lassen“, bemerkte Anton und sandte dem Wiesinger ebenfalls einen ultralangen Blick hinterher.

„Aber nicht jetzt. Jetzt muss ich zur Fundstelle. Eigentlich ist es mir sogar recht, dass das Wiesel gerade anderweitig beschäftigt ist. So habe ich wenigsten eine Ausrede, wenn ich dich mitnehme. Hast du Lust?“

„Und ob!“, strahlte Anton. „Los, lass uns schauen, ob es der Junge ist.“

Die Auswahl II – Part 1

Energisch drückte Damian sein Knie in das Kreuz des unter ihm liegenden Mannes. Schob seine durch Handschuhe geschützte Hand unter die Stirn des fast wehrlosen Opfers und zog den Kopf ein Stück weit in die Höhe. Der Oberkörper und der Hals folgten ganz ohne Wahl.

Oft trainiert und mittlerweile wie im Schlaf setzte er das Messer an. Übte den notwendigen Druck aus und vollführte fachgerecht den Schnitt. In einem Rutsch. Und von Ohr zu Ohr, so sagte man wohl. Quer durch die zuckende Kehle.

Der Körper unter ihm strampelte und röchelte. Nun, dies war zu erwarten. Das war sogar erhofft.

Damian mochte es zugeben oder auch nicht, aber er genoss diese letzten Momente, wenn das Leben den Körper verließ, in vollen Zügen. Das war schon immer so. Und dabei war es egal, um was für ein Leben es sich handelte. Hund, Katze oder Mensch.

Schon wurde das Zucken und Strampeln unter ihm ein wenig schwächer. Noch ein Stückchen mehr bog Damian den Kopf zurück, um dem Opfer beim Ausbluten zu helfen.

Ein Drogendealer war es. Die Gesellschaft würde es verschmerzen. Der Dealer wohl eher nicht.

Und mit Recht. Denn der knochige und stinkende Mann mit den fettigen Haaren hatte ganz einfach nur Pech. Es gab keinen Grund für seinen Tod. Weder einen geforderten, noch einen bezahlten. Außer, dass es Damian gerade mal so in den Kram passte.

Der Leib am Boden wurde schlaff. Damian ließ den Kopf zurücksinken und sprang schnell aus der Reichweite der sich ausdehnenden Blutlache.

Das Messer schmiss er weit unter einen der Büsche in der Nähe. Die hier in großer Zahl in dem verwinkelten und nicht einsehbaren Hinterhof wuchsen. Es sollte gefunden werden, nur nicht gleich. Dann durchsuchte er die Taschen seines Opfers. Räumte sie aus, nahm alles an sich. Auch die Uhr. Kette und Ringe dazu. Nach Gier sollte es aussehen. Nach Hass, Neid und Missgunst. Nichts sollte den Anschein erwecken, dass hier ein Profi am Werk war.

Um seine Fingerabdrücke und DNA brauchte Damian sich keine Sorgen zu machen. Erst gestern hatte er das Messer einem Berufskollegen des Dealers in einer dunklen Kneipe aus der Tasche gezogen. Selbstverständlich hatte er Handschuhe an. Und selbstverständlich wanderte das künftige Tatwerkzeug gleich in eine neue Plastiktüte.

Und nun lag das Messer hier auf dem Hinterhof in der Nähe des Tatorts. Mit dem Blut der Leiche verschmiert. Und Fingerabdrücken, die nicht die Seinigen waren. Die falsche Spur war gelegt. Sie würde die Jäger in die Irre führen. Hoffentlich!

Schnell schmiss Damian noch ein paar der blauen Müllsäcke über den Kadaver. Die blutverschmierten Handschuhe wurden in einer mitgebrachten Tüte gesichert. Mitgenommen. Neue übergestreift. Auch die Jacke hatte ein paar Spritzer abbekommen. Mist! Allein, es half nichts. Also ebenfalls ab in die Tüte. Hose und Schuhe sahen okay aus. Dennoch würde er sie später zusammen mit allem anderen sicher vernichten.

Dann ging es hin zu dem Ort, nur ein paar Winkel weiter, wo der Dealer gewöhnlich von den Kunden gefunden wurde.

Jetzt hieß es warten. Warten auf den wahren Grund seiner Anwesenheit. Warten auf seine Beute, die er sich schon vor Tagen ausgesucht und seitdem beobachtet hatte.

Nachdem sein letzter Raubzug so kläglich daneben ging, hatte Damian nicht lange gejammert, sondern sich etwas Neues ausgedacht. Den Ort am Fluss hatte er gemieden, denn dort krauchte in den letzten Tagen immer wieder die Polizei umher. So wechselte er sein Revier, kein Problem.

Ein kleiner Bahnhof in einem anderen Vorort stach ihm ins Auge. Oder vielmehr die Gruppe Kids, die sich täglich dicht neben dem Haupteingang des Gebäudes traf. Vier Jungs waren es, immer dieselben. Jeden Tag um die gleiche Zeit und am gleichen Ort.

Damian ließ sich Zeit bei seiner Observation, oh ja. Das war wichtig. Das Wichtigste überhaupt in seinem Job. Den er nun schon seit vielen Jahren zur Zufriedenheit seiner Kunden ausübte. Überall auf der Welt. Kein Auftrag war ihm zu schwierig. Kein Ansinnen zu dreckig. Ja, er hatte es zu etwas gebracht. Auch wenn er damit nicht prahlen durfte. Aber sein Ruf in eingeweihten Kreisen war legendär.

Mittlerweile konnte er sich die Kunden aussuchen. Und die Aufträge und Konditionen so gestalten, wie er es für richtig hielt. Geld spielte schon lange keine Rolle mehr. Er hatte mehr Schotter als viele Millionäre. Und mehr, als er jemals verbrauchen wollte.

Aber es fehlte etwas, hatte immer schon gefehlt. Er war allein. Furchtbar allein. Nicht einmal freundliche Gespräche mit den Nachbarn konnte er sich erlauben. Von einem Kneipenbesuch mit einem Kumpel ganz zu schweigen.

Es gab nur eine Möglichkeit, diese quälende Leere zu füllen. Er brauchte einen Menschen. Einen Menschen, den er auf Gedeih und Verderb an sich binden konnte.

Und deshalb war er heute hier. Er hatte sein neues Wild, das zu jagen es sich lohnte, gefunden. Ziemlich schnell sogar. Vielleicht war es Zufall, aber das war letztlich vollkommen egal.

Es war einer der vier Burschen, die jeden Tag vor dem Bahnhof abhingen. Diesen hatte er sich ausgeschaut und für tauglich befunden. Und somit die Jagd eröffnet.

Schnell hatte Damian mit dem geübten Blick des Profis die Schwachstelle der kleinen Gruppe erkannt. Die kamen nämlich niemals zusammen, sondern immer hintereinander. In einem festgelegten Rhythmus. Um was zu tun? Um etwas zu dampfen. Nicht Tabak, sondern Kraut.

Zuerst kam einer, der checkte die Lage und sicherte den Standort. Ein paar Kisten unter der Treppe. Fast genau fünf Minuten später erschien dann der Zweite. Sein Zielobjekt. Wieder fünf bis acht Minuten später war dann der Dritte vor Ort.

Es wurde lebendig unter der Treppe. Es wurde geblökt, gerungen und Fratzen geschnitten. Selbstverständlich kreiste auch schon eine Flasche Alkohol.

So verging die Zeit ziemlich schnell, bis endlich auch der Vierte auftauchte. Der ließ immer auf sich warten. Machte sich wichtig! Nun ja, das war er wohl auch. Denn er brachte die Kröten mit. Moneten, Dollars, Penunse, wie man es auch nennen wollte. Das Wichtigste eben für den späteren Ablauf.

Es gab ein großes Hallo. Der späte Ankömmling wurde geherzt und geliebelt. Gelobt, geknufft und geknutscht. Wohl wahr, die anderen wussten durchaus seine Gesellschaft und das Geld in seiner Tasche zu schätzen.

Unter Damians Grinsen, der unsichtbar hinter einem Gebüsch hockte, wurde es bald geschäftsmäßig. Geld wechselte den Besitzer. Der Beliebte gab es, seine Zielperson nahm es. Und schon spurtete der Junge los. Hin zu einem Ort, der wohl nur ihm bekannt war. Auch immer um die gleiche Zeit. Plusminus dreißig Minuten. Und wurde dort schon erwartet. Nämlich von einem Dealer mit einer Ladung Kraut in der Tasche. Dem gleichen Dealer, den es jetzt nicht mehr gab.

Jeden Tag das gleiche Spiel. Es war ein Muster. Schnell zu durchschauen. Und arbeitete Damian in die Hände.

Der Plan war einfach. Er würde den Dealer ganz ohne Mühe ausschalten und im Dunkeln des Torbogens auf sein Opfer warten. So hatte er es am liebsten. Er bestimmte die Örtlichkeit und sicherte sie ab.

Nun, der Dealer war mittlerweile außer Gefecht und der Junge konnte kommen. Gerade mal zehn Minuten Sicherheit hatte sich Damian gelassen. Mehr konnte ins Auge gehen. Denn mit absoluter Sicherheit gab es noch andere Kunden. Wenngleich der Junge täglich hier eine feste Verabredung hatte und der Verkäufer anschließend immer seinen Standort wechselte. Aber man wusste ja nie!

Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern. Die Zeit war heran. Schon von Weitem hörte Damian die schlurfenden Schritte auf dem Kies.

Schnell schob er sich noch weiter ins Dunkel des Torbogens zurück. In der linken Hand einen Sack. In der rechten ein passend abgerissenes breites Stück Klebeband. Um die Schulter ein langes Stück stabile Schnur, schon zur Schlinge gelegt. Er hatte aus dem letzten Misserfolg gelernt, oh ja.

Die Schritte näherten sich, hallten jetzt im Torbogen wieder. Damians Puls raste und sein Mund wurde trocken. Oh, er liebte diesen unvergleichlichen Augenblick. Es war fast wie Sex auf dem Höhepunkt. Nur dass die Nachbeben wesentlich länger andauerten. Die Zeit der Planung war schon aufregend. Die Observation umso mehr. Aber diese wenigen Minuten kurz vor der Tat, die waren einfach unvergleichlich!

Der Junge war heran. Damian spürte seinen Atem und die fremde Körperwärme. Die Hand mit dem Sack legte sich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Aaron Winter jun.
Bildmaterialien: Aaron Winter jun.
Tag der Veröffentlichung: 14.03.2015
ISBN: 978-3-7368-8341-3

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