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Titel

Aaron Winter jun.

 

 

 

SM – BLUTIG SERVIERT 2

 

 

 

Ein erotischer Kriminalroman

 

 

 

Version v1.00

 

 

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung ohne die Genehmigung des Autors sind nicht gestattet.

 

 

 

 

Ab 16 Jahre

 

Absolut alle Personen, dazu die Handlung in diesem Roman, sind frei erfunden. Ähnlichkeiten sind somit nur zufällig und keinesfalls beabsichtigt.

 

Das Titelbild ist eine Gemeinschaftsproduktion von einem Bleistift und dem Wunderwerk PC. Sollte es tatsächlich irgendwo einen Menschen mit diesem Gesicht geben, dann herzlichen Glückwunsch. Nur hat jenes Wesen dann nichts mit dem Inhalt dieses Buches zu tun.

 

 

 

414 Taschenbuchseiten bei 31 Zeilen

84.357 Wörter

Belletristik

Genre: Krimi, Erotik

 

 

 

 

 

 

 

 

© 2016 by Aaron Winter jun.

   Illustration by Aaron Winter jun.

 

Klappentext

Die Morde im Rotlichtmilieu der Großstadt gehen weiter.

Die örtliche BDSM-Szene, die sich so gern bedeckt hält, horcht langsam auf.

Rachemorde? Revierstreitigkeiten? Die Mafia? Jetzt auch noch der Geheimdienst?

Eigene Interessen. Eigene Geheimnisse. Lügen. Ausreden. Verwicklungen.

Ungleiche Charaktere. Mit den verschiedensten Wünschen und Hoffnungen. Und den unterschiedlichen Arten zu leben und zu lieben.

Ein blutiger und privater Feldzug.

 

Version v1.00

Altersempfehlung: ab 16 Jahren

Belletristik

Genre: Krimi, Erotik

Der Täter: Klappe - Die Erste

Patrick, auch genannt Andy oder Billy, stand auf dem Kai und spuckte in das dunkle Wasser. Auf dem Fluss ertönte ein Nebelhorn. Ein Schiff, ein Lastkahn? Bei diesem Wetter? Ein Verrückter, zweifellos.

Termine! Oder Leichtsinn! Anstatt seinen Kahn sicher am Ufer zu vertäuen, ließ es der eine oder andere Schiffer darauf ankommen.

Es war Nacht. Tiefste Nacht. Neblig dazu. Das konnte ins Auge gehen. Aber gut für dunkle Geschäfte. Die Sichtweite lag unter fünf Meter. Manchmal sogar unter drei.

Balkendick, dachte Patrick und spuckte erneut in die schaumgekrönten Wellen.

Das Wasser war kabbelig. Die Luft feucht. Fröstelnd schloss er seine Jacke bis zum Hals und schlug den Kragen hoch. Es wurde langsam Zeit.

Sie waren zu früh hier.

Lieber früher als zu spät!

Obwohl auch dies gewisse Gefahren in sich barg. Es könnte Zeugen geben. Irgendjemanden, dem sie verdächtig vorkamen, wenn sie hier längere Zeit so sinnlos in der Gegend herumstanden. Andererseits, wären sie zu spät, könnte der Deal platzen.

Patrick seufzte. Und lehnte sich gegen den Container. Verschmolz mit diesem geradezu, mehr noch, als es bislang schon der Fall gewesen war.

War da was? Hatte er etwas gehört? Nein. Es tat sich rein gar nichts. Verfluchte Warterei! Jetzt wurde es aber wirklich Zeit! War etwas dazwischengekommen? Waren ihre Kontaktpersonen verhindert?

Unwillig grunzend schlenderte er zurück. Die wenigen Meter hin zu ihrem Fahrzeug. Welches sie so gut wie unsichtbar in einer Lücke zwischen den Containern geparkt hatten.

Hunderte Großbehälter mochten es hier in diesem Hafengebiet sein, vielleicht noch mehr. Ein gutes Versteck, wenn man sich denn nicht zwischen ihnen verirrte.

Patrick schlich zum Fenster auf der Fahrerseite und klopfte dagegen. Nicht laut, aber laut genug für Bogdan. Die beiden hatten die Plätze wieder getauscht. Patrick wollte es so. Und der Pole dankte es ihm ohne Worte.

Seit ihrer Ankunft hatte Bogdan sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Jetzt zuckte sein Begleiter kurz zusammen und war im Nu wieder voll da. Schaute ihn fragend an. Patrick schüttelte verneinend den Kopf, während Bogdan nur kurz mit den Schultern zuckte.

Hab Geduld, Kleiner! Wir können ohnehin nichts ändern.

So oder so ähnlich mochte man diese Geste deuten.

Patrick grunzte erneut und schlenderte zurück zur Hafenkante. Spuckte erneut in das Hafenbecken und schlang die Arme schützend um sich.

Diese verdammte Feuchtigkeit! Überall kroch sie hinein! Die Tage waren schon recht warm, aber manche Nächte eben nicht.

Er wollte zurück. Zurück in sein Heim, zurück in sein Bett. Diese Aktion heute war nicht geplant. Wenn er morgen die Augen nicht aufbekam, dann würde er vor Wut platzen. Dann waren nämlich alle seine Pläne in Gefahr. Verfluchte Warterei! Verdammter Nebel!

Was war das? War da was? Kamen endlich ihre Kontaktpersonen? Polizei? Oder der Sicherheitsdienst auf seiner Runde? Patrick spannte die Muskeln und lauschte angestrengt.

Die Leiche hinten in ihrem Fahrzeug machte ihn nervös. Schon von Anfang an. Dies hier war nicht sein Deal. Er war nur Ausführender und musste auf das Beste hoffen. Nackt fühlte man sich dabei, so richtig nackt. Und verletzlich.

Wenn Patrick Aufträge ausführte, dann konnte er selbst nicht planen. Konnte das Risiko schlecht einschätzen, es geschweige denn minimieren. Am Dienstag hatte er lebendes Fleisch transportiert, heute war das tote dran. Und übermorgen? Was war übermorgen?

Da, ein dunkler Schatten! Eine Täuschung? Denn Geräusche hörte man nicht.

Nein, keine Täuschung! Dort war er wieder, der Schatten. Und er kam näher. Direkt auf ihn zu. Schwarze Haare. Krause Locken. Dunkle blinkende Augen. Die Hautfarbe passend zur Nacht.

„Der Tod!“, flüsterte eine Stimme in gebrochenem Deutsch.

„Benito!“, antwortete Patrick leise.

Die Codewörter. Ziemlich dämlich, das Benito zu erwähnen. In diesem Geschäft war es nie gut, wenn die Partner zu viel über einen wussten. Aber der Wirt aus dem Benito wollte es so. Ließ sich nicht belehren.

Nun gut. Es war alles gesagt. Patrick ging voran, sein Kontaktmann blieb dicht hinter ihm.

Bogdan bemerkte die beiden, noch bevor sie bei ihm waren. Der Pole stieg aus, ging geschwind zum Heck des Fahrzeugs und öffnete die Klappe. Trat dann zurück und steckte die Hände in die Tasche. Umfasste wohl die griffbereite Waffe, nur so zur Sicherheit.

Patricks Begleiter trat hinzu und fasste nach dem riesigen Plastiksack. Suchte die Beine. Und fand sie. Zog das Paket ein wenig zu sich heran und hob es probehalber an.

Der Mann schien zufrieden. Schaute wieder Patrick an und streckte fordern die Hand aus. Ein Umschlag wechselte den Besitzer. Ein Bündel Geld war darin, Patrick hatte nicht nachgezählt. Aber es schien zu stimmen, denn der Mann nickte zufrieden. Öffnete den Mund und zwitscherte wie ein Vogel. Ungelogen. Es war kein Pfiff. Es war die Imitation einer Vogelstimme. Der Fuchs mochte wissen, welche es war.

„Was macht ihr jetzt mit ihm?“, flüsterte Patrick.

Zwei erstaunte Augenpaare schauten ihn an. Fragen zu stellen war nicht üblich. Egon Tschernik hatte es ihm gesagt. Und Bogdan noch einmal unterstrichen. Denn in der Regel wusste jeder, was er zu tun hatte. Ein ungeschriebenes Gesetz, von den Bossen verordnet. Das Geschäft lief auch ohne große Worte reibungslos. Und waren diese doch einmal vonnöten, dann besprachen sich nur die Chefs.

Aber Patrick war eben Patrick. Im Grunde genommen keinem verpflichtet. Auch wenn ihn alle nur für einen Mitläufer hielten, für einen Dienstboten, so war er doch weitaus gefährlicher, als ein jeder vermuten konnte. Und er hatte andere Ziele. Eigene Ziele. Die nichts mit denen seiner Auftraggeber zu tun hatten. Denn er machte dies alles nur mit, um an Informationen zu gelangen. An die er auf anderen Wegen niemals kommen würde.

„Die Leiche wird in einem großen Ballasttank verschwinden. Schon bald läuft das Schiff aus. Richtung Süden. In der Nähe der Tropen werden wir die Tanks leeren. Um den Rest kümmern sich dann die Fische“, antwortete da der Mann überraschenderweise.

Gut, das die von oben angeordnete Schweigepflicht nicht allzu ernst genommen wurde. Es gab eine Art Kumpanei, einen gewissen Zusammenhalt. Unter all jenen, welche die Drecksarbeit für ihre Chefs verrichten mussten. Und die sich dabei ewig missverstanden fühlten. Unterbezahlt sowieso. Menschen blieben eben immer Menschen, darauf hatte Patrick spekuliert.

„Wenn überhaupt noch etwas übrig ist! Ein paar Krabben in den Tank und ab geht die Party!“, warf Bogdan schmunzelnd ein.

Und setzte sich somit ebenfalls über die Anordnungen hinweg. Nun gut, zum einen war das klar. Bogdan hasste jegliche Art von Autorität. Aber dass er sich zum anderen sogar über seine eigenen Anweisungen hinwegsetzte, war schon erstaunlich. Hasste Egons Mann für alle Fälle sich etwa selber? Verwunderlich. Und gut zu wissen!

Weitere Geräusche. Katzenhaft. Zwei weitere Männer tauchten aus dem Nebel auf. Und schauten Patricks Kontaktmann fragend an. Der nickte nur kurz und zeigte auf die Leiche im Plastiksack. Ohne Worte zerrten die Männer die tote Fracht aus dem Fahrzeug. Der Sack landete auf einer Schulter und wurde im Laufschritt davongetragen. Schon waren die drei Männer verschwunden.

Bogdan und Patrick waren wieder allein. Als wäre nichts gewesen.

„Was ist? Lust auf ein Gläschen Wodka? Ich bezahle“, schlug der Pole vor.

Das war außergewöhnlich. Patrick wusste es sehr wohl zu schätzen. Denn sein Partner an diesem Abend war ein Einzelkämpfer. Ließ in der Regel keinen an sich heran.

Aber bei ihm machte er wohl eine Ausnahme. Der Pole mochte ihn wohl. Dies konnte sich noch als sehr wertvoll erweisen, denn Bogdan war eine Fundgrube an Informationen. Hatte Dinge gesehen und Dinge getan, von denen Patrick doch nicht einmal wusste, dass es sie überhaupt gab. Und so sagte er zwar Nein und sagte doch nicht Nein.

„Heute nicht. Wirklich nicht! Ich bin so was von mürbe! Muss einen klaren Kopf behalten, um ein gewisses Ding über die Bühne zu bringen.“

Das verstand Bogdan, Patrick wusste es wohl.

„Aber Ende nächster Woche gern. Ich gebe dir Bescheid. Übers Benito. Einverstanden?“

Bogdan nickte, ohne das Gesicht zu verziehen. Er hatte die Ausrede geschluckt. Ohne darüber verärgert zu sein. Gut so!

Nächste Woche also. Das passte! Dann konnte er gleich in Erfahrung bringen, wie hoch die Wellen waren, die sein Anschlag auf Bertesheim schlagen würden. Vorausgesetzt, dass dieser gelang. Die Raketen hinten in seinem eigenen Transporter schrien regelrecht nach Freiheit. Und er selber freute sich auf den Bums! Es musste einfach gelingen!

Die Story: Rückblende - Die Erste

Das Wasser in den Eimern schwappte über. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag musste Anton raus auf den Hof und an die Pumpe.

Es war jedes Mal eine Ernüchterung. Gerade noch war er auf einem hohen Level der Erregung, dann machte der Sklave wieder schlapp. Heute schon zum zweiten Mal. Oder zum dritten? Ach, er wusste es nicht. Es war ihm auch ganz egal. Er wusste nur, dass er sich endlich erleichtern wollte. Erleichtern musste! Sonst platzte er noch.

Nur, was sollte man tun, wenn der dumme Knecht einfach kein Stehvermögen hatte! Nicht abgehärtet war und auch sonst keine Härte bewies.

Es lag wohl daran, dass dieser Lakai der Liebesdienste nicht sein eigener war. Anton hielt schon lange keine Gefangenen mehr, das Geld dafür fehlte.

Aber ein alter Kumpel hatte an ihn gedacht. Wenigstens einer. Hatte ihm sein Spielzeug überlassen für ein paar Wochen und war selbst in der Zwischenzeit in den Flieger gestiegen. Eine Urlaubsreise auf die Balearen sollte es werden, ganz ohne unnötigen Ballast oder fesselnde Verpflichtungen. Mit etwas Jüngerem, zum Anlocken gewissermaßen.

Natürlich hatte Anton Ja gesagt. Natürlich wollte er sich um den Mann kümmern, der schon richtig lange in einem dunklen Loch gefangen gehalten wurde. Wollte seiner Lust nachgeben, die ganze nächste Zeit lang.

In der verabredeten Nacht kam dann ein weißer Lieferwagen. Sein Kumpel war da und brachte ihm ein Häuflein Elend. Das zwar noch atmete, aber ansonsten keine Hoffnung mehr in den Augen hatte. Ein nacktes Wesen, nur mit einem Halsband bekleidet, an dem eine lange Hundeleine baumelte. Schon lange war dem Sklaven sein Eigentum genommen und er würde wohl auch nie wieder etwas besitzen. Das Halsband, seine einzige Habe.

Ein Bündel Scheine wechselte den Besitzer. Für Kost und Logis.

Ein wenig spielen könne Anton. Aber ansonsten dürfe er die Ware nicht beschädigen. So sagte sein Kumpel.

Er solle sich mal nicht so anstellen, so dachte Anton.

Nickte aber dennoch. War das Herrchen erst einmal weg, dann würde er schon seine eigenen Regeln aufstellen. Wer wollte ihm denn etwas beweisen? Der Sklave etwa? Wie es ausschaute, hatte der ohnehin keine Worte mehr.

Sein alter Kumpel düste los in den Urlaub und Anton machte sich an die Arbeit. Richtete sein ehemaliges Spielzimmer notdürftig wieder her und legte dort seinen unfreiwilligen Gast in Ketten. Schlug ihn, quälte ihn, vergewaltigte ihn. Wieder und wieder.

Kein Schreien, kein Jammern konnte ihn erweichen. Ganz im Gegenteil. Das gehörte einfach dazu, war das Salz in der Suppe. Jedenfalls für ihn. Zwischendurch erinnerte er sich zum Glück noch daran, dass sein Spielzeug auch hin und wieder etwas Wasser und Nahrung brauchte. Auch zur Toilette musste er sein Spielzeug führen. Nun ja, eigentlich mehr schleppen als führen.

Zeitverschwendung, jedenfalls in Antons Augen. Aber notwendig, sollte das menschliche Lustobjekt nicht vorzeitig schlappmachen.

Machte es aber dennoch. Keine Drohung, kein Schmerz hielt es davon ab.

Und dies schon nach vier Tagen. Die Ohnmachtsanfälle häuften sich und Anton musste Wasser schleppen. Was war der Macker doch nur für eine Weichwurst! Zucht und Ordnung, wie zu seiner Zeit, gab es denn so etwas nicht mehr? Machte denn jeder heutzutage gleich schlapp? Der Sklave sollte sich ein Beispiel an den Tieren nehmen, die hier auf seinem Hof ihr Dasein fristeten. Die wussten, was Schmerz und blutige Striemen bedeuteten! Und lebten dennoch ihr Leben weiter. Jeden Tag!

Unwillig schlug Anton die Haustür hinter sich zu. Hob die beiden Eimer an und schwankte weiter Richtung Spielzimmer. Das Wasser schwappte über, die Eimer wurden leichter. Aber endlich war es geschafft.

Jeweils in einem Guss leerte Anton die beiden Behälter. Einfach rüber über den blutigen Körper, der immer noch ohnmächtig und reglos auf dem Bett gefesselt lag. Ein Stöhnen, das Leben kehrte zurück.

Es wurde auch Zeit. Denn Anton hatte noch etwas vor. Mit einem Seufzer zog er die Schublade auf. Holte den kolossalen Dildo hervor, den er schon so viele Jahre unbenutzt aufbewahrte. Einen halben Meter lang war das gute Stück und sein Lieblingsspielzeug. Schon immer hatte er ihn ausprobieren wollen. Sich aber nie getraut. Weder an sich selber noch an einem anderen. Wenn er denn schon mal die Gelegenheit dazu hatte.

Doch heute war es soweit. Heute sollte das gute Stück beweisen, was es konnte. Eigentlich war der Dildo nur als Werbung gedacht. Oder als eine Art schlechter Scherz, gewissermaßen. Aber seine Fantasie interessierte dies herzlich wenig. Er wollte das Teil in Aktion sehen, endlich.

Anton kramte die Gleitcreme hervor. Die billigte er seinem Opfer zu. Zumindest für diesen Spaß. Dann setzte er an und stieß zu. Anfangs ruhig und ein wenig zaghaft. Doch dies sollte sich schnell ändern. Denn seine Erregung übernahm das Kommando. Er wurde brutal und kannte keine Grenzen. Weiter und immer weiter drang er in den fremden Körper ein. Scherte sich nicht über diese bestialischen Schreie, ganz im Gegenteil. Ärgerte sich eher darüber. Der Mann unter ihm hatte doch Spaß! So redete Anton sich ein. Warum also all die Schreie?

Dann wurde der Sklave auf dem Bett in seinen Fesseln schlaff. Eine neuerliche Ohnmacht? Anton schnaufte böse. Es war wie beim letzten Mal! Gerade war er bereit zu kommen, da machte der Blödmann wieder schlapp. Oder wollte der verdammte Sklave ihn nur ärgern? Das würde der Kerl bereuen! Denn nachher würde er ihn noch härter rannehmen!

Doch jetzt hieß es erst mal neues Wasser holen. Anton hatte keine Wahl. Wollte er Spaß haben, musste er sein Spielzeug wieder zur Besinnung bringen. Er brauchte diese Schreie, dieses Jammern. Dieses Röcheln, diese Zuckungen.

Erneut leerte Anton die Wassereimer über den gezeichneten Körper. Allein, diesmal regte sich nichts. So beugte sich Anton herab und teilte ein paar Backpfeifen aus. Immer noch nichts. Da bemerkte er, dass auch der Brustkorb sich nicht mehr hob und senkte.

Schlagartig wurde es Anton klar. Der fremde Körper war tot. Und es war sein Werk. Ohne Erbarmen und ganz wie in einem Wahn hatte er es vollbracht.

Nicht, dass er deswegen Gewissensbisse hatte. Aber Angst, die kroch seinen Körper hoch. Sein Kumpel würde wüten! Schadensersatz fordern und ihm vielleicht etwas antun!

Dazu hatte er noch eine Leiche im Haus! Die musste verschwinden! Und zwar plötzlich! Auch das würde kosten, nicht zu knapp.

Irgendwo, in einer der Küchenschubladen, fand Anton Liebl noch eine uralte Telefonnummer. Es war eine besondere Nummer. Eine, mit der man Probleme beseitigen konnte. Wenn man das nötige Kleingeld besaß.

War diese Nummer noch gültig? Meldete sich am anderen Ende die erhoffte Stimme? Er musste es drauf ankommen lassen und so ließ es Anton klingeln.

Die Story: Rückblende - Die Zweite

Patrick gähnte laut und lange. Der gestrige Tag saß ihm noch in den Knochen. Es war eng geworden, aber so richtig!

Frank Espen, wer hätte das gedacht!

Der Tod war nahe. Stand unten im Bunker mit ihnen im gleichen Raum. Sah Patrick ins Gesicht. Hauchte ihn mit seinem stinkenden Atem an. Fast musste Angel dran glauben. Er selbst vielleicht ebenso.

Das kam davon, wenn man nicht genug Zeit hatte. Schlimmer noch, sich nicht genug davon nahm.

Und war die Zeit schon knapp bemessen, schlimm genug! Aber außerdem die falschen Prioritäten setzten, wie bescheuert musste man sein!

Dabei wollte Patrick doch gar nicht viel. Nur ein kleines bisschen Liebe, wie jeder andere auch. Aber das wenige an Zeit, dass er in dieses Projekt investierte, selbst das schien noch zu viel.

Ganz klar, der Job stand seinem Glück im Wege. Wie lange wollte er diesen überhaupt noch machen? Immer wieder dachte er darüber nach. Neuerdings.

Naja, kommt Zeit, kommt Rat. Ein kluger Spruch, mit dem man die Probleme immer wieder auf die lange Bank schieben konnte.

Aber nun war ja ohnehin alles gut. Erst einmal. Angel hatte überlebt. Die aufgeschlagenen Zeitungen, vor ihm auf dem Arbeitstisch, kündeten davon. Alle Ausgaben feierten in höchsten Tönen den Einsatz des Kriminalbeamten, der unter Einsatz seines Lebens den Jungen rettete. Genau den Beamten, der nur Stunden vorher noch am Pranger stand.

Es war der hübsche Bulle, der ihm schon des Öfteren aufgefallen war. Und nun waren sie sich fast begegnet. Dort unten im Bunkersystem. Hatten sich fast gleichzeitig vor Franks Schüssen weggeduckt. Ohne voneinander zu wissen.

Nur wenige Meter fehlten. Was wäre passiert? Hätte der Ermittler auf ihn geschossen?

Je mehr Patrick sich mit dem Bullen beschäftigte, desto interessanter fand er ihn. Da war irgendwas in dem Blick des Polizisten, das ihn fesselte. Er kannte diesen Glanz in den Augen, dieses flackernde Irrlicht. Und konnte es dennoch nicht einordnen. Irgendetwas verband sie. Nur was?

Nun ja, es war wohl besser, wie es war. In seinem Job einen Polizisten zum Freund zu haben, dies war wohl nicht gerade intelligent.

Wie gesagt, die Geschichte war gerade noch einmal gut gegangen. Na ja, nicht für Frank! Aber zumindest für ihn und Angel. Und der Polizist? Sein angeblicher Retter hingegen lag im Krankenhaus. Angeblich? Wohl eher nicht. Wer weiß, was passiert wäre, wenn der Ermittler nicht aufgetaucht wäre und Frank abgelenkt hätte!

Doch, dieser Sören Kaiser, so hieß der Bulle, bekam seine Lorbeeren wohl zu Recht. Und gerade die Starreporterin Jennifer Kühl schwelgte in den höchsten Tönen. Vor Tagen noch, Patrick konnte sich gerade mal so erinnern, da waren die beiden wie Hund und Katze. Nur ein Pazifist konnte auf den Gedanken kommen, dass hier keine Liebe im Spiel war. Naja, Liebe? Zumindest Begehren.

Und dann war da noch Frank. Wie konnte der Kerl nur so austicken?

War der Stricher schon vorher labil? Oder war ich etwa daran schuld?, grübelte Patrick immer wieder.

Franks Tod war nicht geplant. Außerdem Patricks Meinung nach vollkommen unverdient und überflüssig.

Allerdings entführte Frank den Jungen! Immerhin. Wollte sogar an ihm rumschnippeln. Wechselte spätestens dann vom Opfer zum Täter. War der Tod also folgerichtig? Die Grenzen weichten auf, zerflossen ineinander. Das war gar nicht gut.

Zu gern hätte Patrick Angel angerufen. Wollte fragen, wie es seinem angehenden Freund ging. Wie die Vernehmung durch die Polizei ausgegangen war. Hatte der Bursche ihn verraten?

Mehrfach nahm Patrick dieses eine gewisse Handy in die Hand. Und legte es immer gleich zurück, ohne zu wählen. Irgendetwas bremste ihn? Vielleicht die Angst, zu erkennen, dass er Angel nicht vertrauen konnte? Oder etwas anderes? Eigenartig nur, dass der Junge sich ebenfalls nicht meldete.

Aber im Moment gab es Wichtigeres. Gerade hatte Patrick festgestellt, wie gefährlich es war, Dinge unter Druck zu erledigen. Eine Entführung, ein Schwerverletzter und ein Toter waren dafür der Preis. Und nun saß er schon wieder in der Zeitfalle. Bertesheim, sein nächstes Projekt drängte!

Der Tag gestern fehlte ihm. Und auch heute war er nicht besonders gut drauf. Eine schlaflose Nacht war daran schuld. Hin und her hatte er sich gewälzt und noch einmal über alles nachgedacht. Da ergriff sogar der aufdringlichste Schlaf die Flucht.

Aber es nützte ja nichts. Die Zeit, die Zeit! Noch einmal zoomte Patrick die Karte auf dem Bildschirm. Vertiefte sich in das Bewegungsprofil von Bertesheim, welches er seit dem Anbringen seiner Spionagehardware rund um die Uhr aufzeichnete. Die Wanze dagegen hatte den Geist aufgegeben. War kaputt oder abgefallen. Im schlimmsten Falle sogar gefunden worden. Der GPS-Sender hingegen funktionierte tadellos.

Zweimal war der Maybach gestern unterwegs. Heute einmal. Die Uhrzeit der ersten Ausfahrt gestern und heute stimmte überein. Jeweils um neun Uhr am Vormittag hatte der Bertesheimer Blaublütler sein Anwesen verlassen. Waren es feste Gewohnheiten? Zumindest ließ das Ziel vorsichtig darauf schließen. Denn es war jedes Mal das gleiche. Einschließlich der Ausfahrt am gestrigen Nachmittag.

Der Zielort war eigentlich nicht mehr als ein Punkt in der Landschaft. Da war nichts. Aber auch rein gar nichts. Nur ein paar Tische und Bänke auf einem Rastplatz für Wanderer am Waldesrand, den kaum jemand ansteuerte.

Dort blieb Stefan von Bertesheim jeweils genau eine Stunde. Pflegte er dort seine Kontakte? Oder führte er einen seiner Hunde aus? Aber vielleicht waren es ja auch nur seine Angestellten, die ein wenig an die frische Luft wollten.

Sei es, wie es sei, darüber musste er sich später Gedanken machen. Jetzt musste er erst einmal los. Für heute Nachmittag hatte Patrick einen Termin auf dem Schießplatz, den Nolan Frey ihm gestern noch besorgt hatte. Ein Mann würde dort auf ihn warten, der sich um alles Weitere kümmern würde. So jedenfalls die Verabredung. Das Geld sollte er dann in bar rüberwachsen lassen. Kein Problem, so war es Brauch.

Zwei Raketen wollte Patrick opfern, drei zur Sicherheit behalten. Das musste reichen. Hoffentlich!

Wenn nur dieser verdammte Zeitdruck nicht wäre! Mit der Simulation am PC hatte Patrick sich gestern auch noch beschäftigt. Bis spät in die Nacht hinein. Er war nicht perfekt, nein, keineswegs. Aber er kam schon ziemlich gut mit dem System zurande. Es bestand Hoffnung. Den einen oder anderen Tipp, so hoffte Patrick, würde ihm der Kontakt auf dem Schießplatz noch zuflüstern.

Zwei Raketen mussten reichen. Zwar gab es noch keinen ausgearbeiteten Plan, aber den Termin auf dem Schießplatz wollte Patrick auf jeden Fall wahrnehmen. Dann hatte er den schon mal hinter sich.

Vielleicht ergab sich ja noch was. Ein Geistesblitz oder irgendeine andere Gelegenheit. Ein bisschen Glück war auch willkommen. Nicht so abwegig, denn die gute alte Fortuna liebte Patrick von Herzen. Zumindest in der letzten Zeit.

Einen Transporter hatte er sich schon besorgt. Auf der Ladefläche würde Patrick das System montieren. Dann vor Ort ein Loch in die Abdeckplane schneiden. Und so hoffentlich sein Ziel finden.

Aber genau darin bestand das Problem. Er konnte dem Bertesheimer eventuell hinterherfahren. Aber nicht gleichzeitig schießen. Er musste darauf hoffen, dass der zwielichtige Finanzmagnat irgendwo anhielt. Und er selber eine gute Schussposition fand. Möglichst unentdeckt. Aber vielleicht war der Rastplatz dort am Wald ja ein Ansatz. Wäre nicht schlecht.

Patrick seufzte und schloss das Programm. Schaute zu Sicherheit noch einmal in sein Postfach. Ein Grund dafür, dass ihm schon wieder die Zeit davonlief.

Egon Tschernik hatte sich gemeldet. Zwei Mails geschickt. Über einen Account, den nur er besaß. Selbstverständlich anonym und verschlüsselt. Der Wirt bat um ein Treffen. Dringend.

Ging es etwa um Stefan von Bertesheim? Gleich nach seiner Kurierfahrt mit Bogdan hatte Patrick dem Wirt alles berichtet. Dies hätte er nicht müssen, denn eigentlich war es sein Ding. Aber es konnte auch nicht schaden, Egon Tschernik zu zeigen, dass der ihm vertrauen konnte. Dass Patrick nichts ohne Egons Wissen tun und ihn auch sonst nicht ausbooten würde. Und ja, er hatte richtig gepokert. Egon war sichtlich angetan und hatte Patrick wie einen jüngeren Bruder minutenlang umarmt.

Deswegen musste er nun los. Früher als ursprünglich geplant, aber er wollte noch im Benito vorbeischauen. Hören, was der Wirt wollte. Wenn es um Stefan von Bertesheim und seinen Job dort am Sonntag ging, war dieser Kurzbesuch ohnehin wichtig genug.

Die Raketen waren sicher hinten im Transporter verstaut. Vom Benito aus würde er gleich zum Schießplatz fahren. Müsste zeitlich gerade so hinkommen.

Na gut, dann also los!

 

 

Jack

Voller Vorfreude öffnete Jack Gruber den Kühlschrank. Ein Bier. Ein kühles Bier! Ein deutsches Bier!

Probehalber fingen seine Lippen schon mal an zu schmatzen. Gleich war es soweit. Jeden Tag gönnte er sich dieses edle Getränk. Immer zur gleichen Zeit, am selben Ort. Es war schon fast ein Ritual.

Nur die Marken wechselte er immer wieder mal. Denn das Angebot war ungeheuer groß. So viele Sorten! Und schmecken taten sie alle! Auf ihre Art.

Nicht so, wie in manch anderem Land dieser Welt. Wo dieses köstliche Gebräu mehr warmer Ochsenpisse ähnelte. Nein, dieses Volk verstand etwas vom Bier brauen. Und vom Trinken.

Genau wie die Engländer. Oder die Tschechen. Bei denen er früher mal als Mitarbeiter eines amerikanischen Geheimdienstes malochte.

Seine letzte Station war Deutschland. Das Klima war soweit o.k., sogar eine Verbesserung. Er selbst verbrachte seine Kindheit an den großen Seen. Wenn die kalten Winde über Kanada heranzogen, dann tanzte dort der Bär. Die Deutschen jammerten schon bei einer Schneehöhe von zehn Zentimetern. Bei zwanzig tickten sie vollends aus. Bis auf die Skiverrückten. Und erst die Temperaturen! Fünf Grad Nasse! Ein Witz!

Jack war kein Topspion im Außendienst. Noch nie gewesen. Eher die graue Maus in einer dunklen Kammer. Der Kalte Krieg war nun schon lange vorbei. Und das, was Jack tat, wurde von Monat zu Monat wichtiger. Nämlich recherchieren. Internetkriminalität. Digitaler Krieg. Geheime Nachrichtenwege. Wirtschaftsspionage. Und, und, und.

Unter Ausnutzung aller zur Verfügung stehenden elektronischen Hilfsmittel beschaffte Jack Informationen. Dies konnte er gut. Sehr gut sogar. Die Computer und er, sie mochten sich. Zwar konnte er nicht programmieren oder hacken, aber dafür hatte er seine Leute. Die meisten saßen allerdings zuhause in den großen Behörden.

Deutsche? Oh nein. Die lebten eher gemeinschaftlich in einem Traumland. Dachten wohl, wenn sie nur lieb genug wären, dann würde das Böse in dieser Welt schon verschwinden. Na ja.

Wie dem auch sei. Die Welt nahm auf Wünsche und Traumländer keine Rücksicht. Gab es Probleme, so suchte man seinen Rat. So wurde Jack mit der Zeit gefragter und sein Büro größer und heller.

Es dauerte nur wenige Jahre, bis er sich in diesem Land heimisch fühlte. Biergarten und Hafengeburtstag. Karneval und Fußball. Eine blonde Frau und blonde Kinder taten das Ihrige. Und so wollte Jack auch nicht mehr zurück, als man ihn nach Hause rief. In der Zentrale des Dienstes sollte er als Ressortchef seine Erfahrungen einbringen. Nett. Eine Ehre!

Aber! Jack wollte nicht. Seine Frau ebenso wenig. Und die Gören? Ha! Die schon gar nicht. Wenn sie Schwarzenegger als Nachbarn bekämen, ja dann! Aber der machte keine Anstalten.

Knatsch gab es. Viel Geschrei. Böses Blut.

Zum Glück hatte Jack den einen oder anderen Freund. Es zahlte sich eben immer wieder aus, nicht alles auszusprechen, was man dachte. Und diesem oder jenem den einen oder anderen Gefallen zu erweisen. Unbürokratisch. Ohne Nachfragen. Ohne Beweise. Hilfst du mir, so helfe ich dir!

Also forderte Jack einen Gefallen ein. Und siehe da, es wurde eine Lösung gefunden. Mir nichts, dir nichts. Jack wurde Verbindungsagent beim deutschen Geheimdienst. Bei ihm angestellt und von ihm bezahlt. Großzügig bezahlt! Seine Stellung brachte ihm noch ein Zubrot in Dollar. Und erweiterte Befugnisse. Frau und Kinder dankten es ihm. Obwohl sie mit Arni doch so gern gespielt hätten!

Jack konnte also weiter nach Lust und Laune bei Bier und Weißwurst spionieren. Wenngleich auch mit geringeren Mitteln. Und weniger Möglichkeiten. Aber der Frust darüber ließ sich immer wieder mit einem kühlen Blonden runterspülen. Zumal dieses Göttergetränk aus einer Großfamilie kam. Brüder und Schwestern, es gab so viele von ihnen!

Anfangs betrachteten ihn die deutschen Kollegen mit Misstrauen. Schnitten ihn sogar regelrecht. Aber Jack wusste, wie der Hase läuft. So manche Kiste Bier wanderte aus seinem Kofferraum in die Kehlen gestresster Späher! Auf seine Kosten. Klar doch! Und außer der Reihe. Nun ja. Wie das eben so ist. Irgendwann lag man sich in den Armen. Schwor sich ewige Freundschaft. Vorausgesetzt, die Zunge konnte noch Worte formen.

Das Misstrauen verschwand. Zumal Jack mittlerweile ziemlich gut Deutsch sprach und der hiesigen Kultur sein Herzblut opferte. Außerdem stand er auf Fußball und nicht auf Baseball. Und konnte mit einer privilegierten Mitgliedschaft bei seinem Wunschverein prahlen, dessen Präsident er persönlich kannte. Sehr wichtig!

Weiterhin erwies sich seine Verbindungstätigkeit als nützlich für die Behörde. So manche Information konnte er heranschaffen, die der deutsche Geheimdienst sonst nie bekommen hätte. Natürlich im Austausch. Nichts ist umsonst!

Jack machte den Kühlschrank zu und drückte die kühle Dose an seine Stirn. Aah, tat das gut!

Verträumt tänzelte er zurück in sein Büro. Schaltete das Licht aus. Nur die vielen Monitore flimmerten noch vor sich hin. So sollte es sein! Zufrieden fläzte er sich in den bequemen Schreibtischsessel. Halt! Da war doch was!

Grummelnd stemmte Jack sich wieder in die Höhe. Und stellte den Papierkorb auf den Schreibtisch. Steckte seine Hände samt Dose hinein. Jetzt kam es darauf an! Vorsichtig öffnete er die Büchse. Ein Zischen, mehr nicht. Gut! Alles im grünen Bereich!

Denn noch einmal sollten sie ihn nicht erwischen. Seine Kollegen. Diese vermuckten Hunde! Die sich einen Spaß daraus machten, die Dose kurz vorher kräftig zu schütteln.

Zweimal hatten sie ihn diese Woche schon drangekriegt. Er sah aus wie eine Sau! Eine schaumige Sau! Nass, überall! Auch im Schritt! Wie peinlich!

Und er stank! Aber wie! Selbst Berufstrinker rochen besser.

Natürlich musste er seinem Chef über den Weg laufen. Was sonst! Wie das eben so ist. Die Nase hatte der gerümpft. Ihn scheel von der Seite her angeglotzt. Irgendetwas Abfälliges von Amerikanern und ihren Essgewohnheiten gemurmelt. Irgendjemand würde dafür büßen müssen! Bullshit!

Ab sofort jedenfalls war er vorsichtig. Wenn er den Kollegen den Spaß auch gönnte. Nun ja, aber bitte nicht auf seine Kosten!

Seitdem machte Jack sorgsam jede Dose im Papierkorb auf. Wenn die Flüssigkeit hier den Rappel kriegte, dann sollte sie doch. Es nützte ihr nichts. Und er selber konnte den Kollegen den Stinkefinger zeigen.

Mit einem zufriedenen Seufzer fiel Jack zurück in seine Sitzgelegenheit. Beine hoch! Auf den Tisch! Noch ein wenig zurücklehnen, oh ja. Langsam, ganz langsam, ließ er die kühle Flüssigkeit die Kehle herunterlaufen. Mann, war das geil!

Ein Hüsteln in seinem Rücken. Was war denn nun schon wieder? Konnte man ihm nicht wenigstens diese zehn Minuten am Tag gönnen?

Brummelnd drehte Jack seinen Kopf. Michael Siegohlt! Von allen nur Micha genannt. Einer von den etwas jüngeren Kollegen, die in der Hierarchie ziemlich weit unten standen. Und der noch nicht mal ein eigenes Büro hatte. Ein Mann für alle Fälle eben. Für alle nervigen Aufgaben. Und wenn es bloß Nachrichten waren, die man von Büro zu Büro weiterschaufeln musste.

Aber Jack mochte ihn. Sehr sogar. Der Bursche war ein Arbeitstier. Genau und zuverlässig. War sogar ziemlich klug, was etlichen merkwürdigerweise nicht gerade als Vorteil erschien. Das Wichtigste aber, Jack vertraute ihm. Voll und ganz.

„Hier! Ein Schluck?“, fragte Jack und hielt dem Kollegen die noch fast volle Dose hin.

Ein Fehler! Das wusste er sofort. Denn erstens sagte Micha niemals Nein. Und zweitens nahm er immer einen ziemlich heftigen Schluck. Eben ein Bayer, durch und durch. Einer, der Maßkrüge gewohnt ist!

„Was gibt es denn?“, schniefte Jack betrübt, als er die fast leere Dose zurückbekam.

„Wir haben einen Treffer! Ist eben erst bestätigt worden. Abu Djussef“, erklärte Micha begeistert. „Es gab da einen Entführungsfall. Als man die Waffe des Täters routinemäßig überprüfte, hat der Computer Alarm geschlagen. Das Labor hat sich mit Interpol in Verbindung gesetzt. Und die sich mit uns. Ich komme gerade vom Chef. Schon mal vorneweg. Der hat dir die Aufgabe übertragen.“

Das Telefon klingelte.

„Tschuldigung“, murmelte Jack und hob ab.

Der Chef. Höchstpersönlich. Das ging schnell!

„Ist der Micha schon bei dir? Gut, gut! Tut mir leid, dass ich dich nicht persönlich unterrichtet habe. Aber die Sache hat höchste Priorität. Ich musste da noch ein paar Sachen anleiern. Fallnummer, Aktenfreigabe, Geheimhaltungsstufe. Ein Kurier ist damit schon auf dem Weg zu dir. Zusammen mit den Reisepapieren und etwas Geld. Du wirst die Sache leitend übernehmen. Micha steht ganz zu deiner Verfügung. Und, Jack, es eilt! Vielleicht kannst du dich ja auch noch mit deinen amerikanischen Kollegen in Verbindung setzen. Wenn hier irgendwo Terroristen aus dem Nahen Osten herumlaufen, dann will ich das wissen! Du bekommst jegliche Unterstützung, die du brauchst!“

Knack. Das war`s. Kurz und bündig. Ohne Grußwort. Der Chef hatte aufgelegt.

Da schneite auch schon einer der hauseigenen Kuriere herein. Schob einen Wagen vor sich her, hochbeladen mit Akten. Drückte Jack einen großen versiegelten Umschlag in die Hand und war schon wieder verschwunden.

„Abu Djussef also?“, fragte Jack nach.

Micha nickte aufgeregt und begann die Fotos und Schriftstücke eifrig auf dem großen Tisch zu verteilen.

„In Deutschland? Ein Entführungsfall? Keine Bombe? Kein Mord? Wo ist er jetzt? Hat man ihn gesehen? Hat er die Waffe verloren? Was ist das für eine Sache mit seinen Fingerabdrücken?“

Micha zuckte nur ein wenig verschämt mit der Schulter.

„Klar doch! Wie immer! Keiner weiß so richtig was! Wie es aussieht, werden wir wohl die Koffer packen müssen!“, polterte Jack.

Adieu, du schönes Wochenende am See!

Auto oder Zug? Oder lieber gleich das Flugzeug? Wie viel und was einpacken? Würde er lange wegbleiben?

Und die Frau, die wird erst so richtig begeistert sein!

„Amelie“, seufzte er durch die Sprechanlage seine Sekretärin an. „Micha wird gleich zu dir rüberkommen. Und dir ein paar Nummern geben. Mit denen du mich bitte verbindest. Zuerst die amerikanische Botschaft. Dann Interpol. Dann die Behörden vor Ort, zwei Nummern. Der Polizeichef. Warte mal, wie heißt der noch gleich? Wo steht das bloß wieder? Aah ja, Manfred Hahn. Und danach will ich diesen Balder. Erich mit Vornamen. Und kümmer dich anschließend bitte um Tickets. Micha sagt dir wann und wohin.“

Die Story: Rückblende - Die Dritte

Patrick schloss das Fahrzeug ab. Huschte über die Straße und durch den Eingang ins Benito.

Es war nicht viel los. Eigentlich gar nichts. Gut so. Ohne Zeit zu verlieren, eilte Patrick auf den großen Tresen zu, den Egon gerade auf Hochglanz wienerte.

„Mann, Andy, eh! Wird aber auch Zeit! Gut, dass du kommst“, schnaufte Egon laut und kam ein paar Schritte auf ihn zu. „Ich verstehe nicht, warum du mir nicht endlich deine Telefonnummer rüberschiebst!“

„Was gibt es denn so Wichtiges?“, wollte Patrick wissen und lenkte damit gleichzeitig von diesem unliebsamen Thema ab. „Zwei Mails innerhalb einer Stunde! Mensch, Egon, das kennt man ja gar nicht von dir. Ich denke, du kannst Computer nicht ausstehen?“

„Hm, ging nicht anders. Ich habe einen Job. Ist echt eilig. Zweitausend Mücken auf die Kralle! Na, wie wär´s?“

„Ja, schon. Hört sich nicht schlecht an. Aber was meinst du mit eilig? Wie eilig?“

„Sehr, wirklich, sehr eilig! Heute noch! Deswegen auch die Zulage. Warum, gibt es Probleme?“

„Ja, tut mir leid. Das ist mir ein wenig zu eilig. Ich habe heute schon etwas vor.“

„Tu mir das nicht an! Schaufel dir die Zeit frei! Wenn es nicht so dringlich wäre, dann würde ich nicht bitten.“

„Egon, echt. Geht wirklich nicht. Komm, nun sei doch nicht gleich eingeschnappt! Ich stehe im Wort. Was wäre denn, wenn ich dich versetzen würde! Vertrauen ist wichtig in unserem Job. Und Verlässlichkeit.“

„Ja, klar. Verstehe schon“, seufzte Egon und kratzte sich am Hinterkopf. „Keine Chance also? Auch nicht in der Nacht? Vielleicht in den frühen Morgenstunden? Wäre nur ein Transport.“

„Wieder ein lebendes Paket?“

„Nein, diesmal ein totes. Deswegen ist es ja auch so dringend. Spuren und so, du verstehst schon. Der Kunde ist schon mächtig durch den Wind.“

„Na ja, also, wenn das so ist! Ab neunzehn Uhr wäre ich tatsächlich wieder frei. Nein, sagen wir lieber zwanzig Uhr. Wäre das okay für dich?“

„Na klar doch! Mensch, du bist ein Schatz. Auf dich ist Verlass!“, japste Egon, legte seine Arme um Patrick und quetschte ihn fast so aus wie eine Orange.

„Aber dann habe ich noch etwas gut bei dir. Ehrlich, du glaubst gar nicht, was du mir damit für Probleme verschaffst“, stöhnte Patrick, als er endlich wieder zu Atem kam und seine Knochen untersuchte.

„Auf jeden Fall, Andy! Das kriegen wir beide schon geregelt. Komm, ich bring dich noch zur Tür.“

Und Egon legte seinen Arm väterlich auf Patricks Schulter und geleitete ihn hinaus. Sogar noch über die Straße, bis zu seinem Fahrzeug, welches gleich vorne auf dem Parkplatz stand.

Plötzlich zuckte Patrick zusammen. Er vermeinte, etwas gesehen zu haben. Flüchtig wie ein Schatten, aus den Augenwinkeln heraus. Eben noch da und schon wieder weg. Hatte da einer an seinem Transporter herumgefummelt? Gut, dass er immer abschloss!

„Was ist?“, wollte Egon Tschernik wissen, dem die angespannte Haltung seines gelegentlichen Mitarbeiters keineswegs entgangen war.

„Ich weiß nicht. Ich dachte, ich hätte etwas gesehen. Irgendjemand, der an meiner Karre herumgefummelt hat.“

„Sicher?“, fragte Egon nach und lief mit Patrick zusammen um das Fahrzeug herum.

Die beiden kontrollierten jeden Türgriff. Lugten unter die Plane und nahmen auch die nahebei parkenden Fahrzeuge unter die Lupe. Nichts.

„Hm, getäuscht?“

„Ich weiß nicht, könnte sein“, gab Patrick zu. „Es ging alles so schnell. Da war eigentlich auch nicht mehr als ein Schatten. Aber du kennst das ja, in unserem Beruf schalten wir ein paar Alarmsirenen scharf. Und eine davon hat eben voll angeschlagen! Vielleicht war es auch nur ein Gefühl, zugegeben. Aber ich bin fast sicher, da war etwas.“

„Will dir jemand an die Wäsche?“

„Weiß nicht genau. Könnte sein.“

„Nun gut. Wenn da einer war, dann ist er es jetzt nicht mehr. Aber sei trotzdem vorsichtig. Wenn du Hilfe brauchst, dann weißt du, wo du mich findest!“

„Alles klar, Egon. Danke.“

„Ach was, vergiss es. Ich habe dir zu danken. Du weißt gar nicht, wie sehr du mir heute hilfst. Hier hast du noch etwas für deine Unkosten!“, säuselte Egon und steckte Patrick einen gefalteten Fünfhunderteuroschein in die Tasche. „Ich mag dich, Andy. Ich vertraue dir. Ich finde, wir beide kommen gut miteinander klar. Vielleicht sollten wir öfter Geschäfte miteinander machen. Größere Geschäfte halt. Kein Kleinkram. Überleg es dir in Ruhe. Ach so, ehe ich es vergesse. Die eine Mail, da ging es um etwas anderes. Nämlich um deinen Termin für diesen gewissen Transport. Für den Bertesheimer, du verstehst schon. Der hat sich auf nächsten Mittwoch verschoben. Sonst bleibt alles gleich. Du und Bogdan. Gleiche Zeit, gleicher Treffpunkt. Nur eben Mittwoch.“

„Oh“, gluckste Patrick freudig überrascht.

Verzog aber nicht für eine Sekunde sein Gesicht. Ein Pokerface, was sonst. Lange trainiert und immer wieder gern genommen. Egon brauchte nicht zu wissen, dass er sich über die Verlegung des Termins freute. Manchmal war er doch schon echt überrascht, wie viel Glück er doch im Grunde genommen hatte.

„Also gut, ich bin dann kurz vor zwanzig Uhr hier. Treffpunkt Parkplatz?“

„Ja, genau. Bogdan und du. Er bringt das Fahrzeug mit. Du steigst dann bloß um“, erklärte Egon.

„Also gut, bis dann“, sagte Patrick.

Er entriegelte den Kleintransporter und stieg ein. Schon gab er Gas und brauste davon, während Egon gemächlich ins Benito zurückschlenderte.

Unter einem hochbeinigen Jeep, ganz in der Nähe, holte ein junger Mann ganz tief Luft. Das war ja gerade noch einmal gut gegangen! Zwar hatten die beiden Typen jedes Fahrzeug im Umkreis genau unter die Lupe genommen, aber herrje! Welches Insekt unter einem Fahrzeugboden gerade herumkrabbelte, dies interessierte sie nicht. Zu ihrem Pech. Zu seinem Glück.

Heute Abend also stieg eine Sache, von der er nichts wusste. War ihm auch egal. Wichtig war nur, dass dieser Andy heute Abend hier ebenfalls auftauchen würde. Sein Fahrzeug abstellte und dann irgendwohin verschwand. Doppeltes Glück. Das war seine Chance. Und die würde er nutzen, oh ja. Er wusste auch schon wie.

Die Story: Rückblende - Die Vierte

Patrick stieg aus und verriegelte die Limousine. Er hatte das Fahrzeug getauscht. Der große Transporter erschien ihm zu auffällig. Ganz besonders, wenn dieser wer weiß wie lange hier auf dem Parkplatz rumstehen würde. Außerdem, nicht ganz unwichtig, befand sich hinten auf der Ladefläche noch die Abschussvorrichtung für die Raketen.

Misstrauisch verharrte er einen Augenblick und schaute sich um. Der Schatten, der ein paar Stunden vorher um sein Fahrzeug herumgeschlichen war, ging ihm nicht aus dem Kopf. Aber er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Auch wenn da was wäre, er würde es ohnehin nicht bemerken. Um diese Zeit war im Benito nämlich so richtig was los. Und natürlich davor, auch auf dem Parkplatz.

„Meine Nerven sind überreizt“, seufzte Patrick. „Vielleicht sollte ich einmal über einen Kurzurlaub nachdenken.“

Vielleicht mit Angel, das wäre doch nicht schlecht. Und wenn der nicht konnte oder wollte, dann wäre da ja noch Shurik. Dieser Edelstricher vom Bahnhof, den er sehr gerne wiedersehen würde.

Patrick gab sich einen Ruck. Müßig, jetzt darüber nachzudenken. Heute Nacht gab es noch Arbeit für ihn. Schmutzige Arbeit.

So schlenderte er los, hin zu dem schon bekannten Transporter, vor dem er Egon und Bogdan ausgemacht hatte. Die zwei Augenpaare in seinem Rücken, die jede seiner Bewegungen gespannt beobachteten, bemerkte er nicht.

„Gut, du bist pünktlich“, bemerkte Egon und klopfte ihm auf die Schulter, als er zu den beiden trat.

„Schön dich wiederzusehen, du alte deutsche Pflaume“, grinste Bogdan und klopfte ihm die andere Seite der Schulter weich. „Dann komm mal, wir müssen los.“

Bogdan wandte sich um und wollte schon auf der Fahrerseite einsteigen.

„Moment, Moment“, hielt ihn da Egon zurück. „Das hier ist Andy sein Job. Er hat das Kommando, er fährt!“

Das war eine Überraschung! Bogdan fiel die Kinnlade herunter. Sagte aber nichts. Ebenso wie Patrick. Allerdings machten die beiden Augen wie ein Fisch hinter der Wölbung eines Einweckglases.

„Hier, die Adresse. Es ist ein abgelegener Bauernhof, ihr könnt also direkt bis vor die Haustür fahren. Dann sechsmal klingen. Und bitte genau sechsmal. Alles Weitere wird der Kunde euch sagen. Wenn du die Adresse auswendig gelernt hast, vernichtest du sofort den Zettel. Aber das brauche ich ja wohl nicht extra zu sagen, oder?“, sabbelte Egon munter weiter und reichte Patrick ein Stück Papier.

Das Bogdan außerordentlich verschnupft war, dies nahm er nicht zur Kenntnis. Wollte es nicht oder er tat nur so. Aber vielleicht interessierte es ihn auch wirklich nicht.

„Hier, die Autoschlüssel. Wenn ihr mit dem Job fertig seid, sagt noch kurz Bescheid. Ich werde auf euch warten“, bestimmte Egon und reichte Patrick die Fahrzeugschlüssel.

Klopfte ihm als Ermunterung noch ein paar Mal derb auf die Schulter, bevor er eilig wieder ins Benito verschwand.

„Also los, wir können“, sagte Patrick und stieg wie selbstverständlich auf der Fahrerseite ein.

Jetzt nur nicht zögern! Die Stimme nicht zittern lassen! Keine fragenden Blicke! Bogdan würde es ihm als Schwäche auslegen.

Und der Pole fügte sich. Der Ältere, der Erfahrene. Der gerade von einem Jungspund auf der Leiter der Hierarchie überholt wurde.

Patrick fühlte mit ihm. Bogdan war gekränkt. Verstand die Welt nicht mehr. Aber darauf durfte er jetzt keine Rücksicht nehmen, wenn sie denn in Zukunft noch halbwegs gut zusammenarbeiten wollten. Später, ja später würde er Bogdans Ego streicheln. Aus einer Position der Stärke heraus. Aber nicht jetzt. Jetzt mussten sie los.

Patrick schaltete kurz das Leselicht ein und studierte die Adresse auf dem Zettel. Er wusste wohin. Ungefähr jedenfalls. Eine Stunde Fahrt in etwa. Der Rest würde das Navi machen.

„Gib bitte die Adresse ein! Und dann vernichte den Zettel!“, forderte Patrick.

Bogdan brabbelte kurz etwas in seinen Bart, tat dann aber doch wie verlangt. Etwas weniger grimmig, wie es Patrick schien. Der Pole nahm sehr wohl zur Kenntnis, dass ihn Patrick nicht ganz außen vor lassen wollte.

Schweigend fuhren die beiden durch die Dämmerung. Hielten die Geschwindigkeit ein und versteckten sich, wenn möglich, in der Masse. Irgendwann wurden die Lichter der Fahrzeuge weniger und verschwanden schließlich ganz. Sie waren allein. Auf einer Landstraße, die immer holpriger und enger wurde. Bis schließlich nur noch ein Fahrzeug Platz fand. Parktaschen gab es dann und wann, aber nicht allzu viele.

Nun, dies machte nichts, solange sie alleine waren. Und das waren sie, den ganzen Rest des Weges. Eine Straßenbeleuchtung gab es schon lange nicht mehr. Nur ihre Scheinwerfer flackerten einsam durch die Nacht.

Nach rechts abbiegen! So forderte das Navi. Es wurde noch holpriger und einsamer. Einen Feldweg ging es entlang, links und rechts von gestutzten Weiden flankiert. Schwarze Schatten schälten sich aus der Nacht. Umrisse. Ein Haus mit dazugehörigen Stallungen. Irgendwie verlassen wirkend.

Patrick parkte das Fahrzeug vor einer schäbigen Tür, die aussah, als wäre sie der Haupteingang. Das Navi meldete sich aufgeregt, sie waren am Ziel. Bogdan löschte die Adresse aus dem Speicher und schaltete das Gerät dann ab. Patrick hatte es beobachtet und nickte ihm anerkennend zu.

„Hör zu, Bogdan! Dass ich diesen Job leiten soll, das war nicht meine Idee. Das habe ich nie gewollt und halte es auch jetzt nicht für richtig. Ich weiß, du hast viel mehr auf dem Kasten als ich. Bist stärker und kampferfahrener. Also, wenn du nichts dagegen hast, dann würde ich dich gern als Paten betrachten. Ein Pate, der dem Jüngeren in der Ausbildung hilft. Der Rat erteilt, der auch befolgt wird. So jedenfalls sehe ich es. Egal, was Egon Tschernik auch sagt. Also, kannst du damit leben?“

Patrick schaltete das Licht ab, während Bogdan vor sich hin grummelte. Letztlich sagte der Pole gar nichts. Klopfte ihm aber aufmunternd auf die schon lädierte Schulter, bevor er ausstieg. Patrick hatte verstanden und folgte ihm. Ganz war die Kränkung noch nicht verdaut, aber es ging bergauf.

Bogdan klingelte. Sechsmal. Ein Scharren hinter der Tür, dann wurde diese einen Spalt weit geöffnet. Misstrauische Augen musterten die beiden. Lange, wirklich lange.

Sie hatten wohl bestanden, denn endlich schwang die Tür ganz auf. Und gab den Blick auf ein kleines hässliches Männlein frei, mit einem bösen Funkeln in den Augen.

„Wir sollen hier ein Paket abholen“, brach Bogdan die Stille.

„Ja, ja, ja. Ich warte schon. Aber das scheint euch ja wohl nicht zu interessieren. Ja, ja. Höflichkeit und Verlässlichkeit gibt es wohl heute nicht mehr! Was steht ihr da so dämlich rum, kommt endlich rein, ihr Mistkäfer!“, bellte das Männlein.

Patrick und Bogdan schauten sich verdutzt an. Liebl stand auf dem Namensschild. Na, das passte ja!

„Wir wollen nicht reinkommen, sondern nur das Paket mitnehmen. Und so schnell wie möglich wieder verschwinden“, erwiderte Patrick, ohne sich um die Nettigkeiten des Hausherrn zu kümmern.

„Sieh an! Das Baby hat es also auch endlich geschnallt! Genau deswegen bist du doch hier, du Blödmann! Glaubst du etwa, ich will dir Kaffee und Kuchen anbieten? Hä, hä, hä“, keckerte Anton Liebl und ruderte wie verrückt mit den Armen. „Wenn du irgendetwas brauchst, dann kann ich dich ja über den Bock legen. Und dir meine kleine süße Peitsche zu schmecken geben, hä, hä, hä. Die kleine süße aber auch! Bis deine zarte rosige Haut aufplatzt! Und wenn dir das nicht reicht, dann hab ich noch ganz andere Sachen in petto, du flauschiges Baby!“

Patrick wurde kreidebleich. Versteifte sich, fing an zu zittern. Das hatte lange keiner mehr zu ihm gesagt. Ihm mit der Peitsche zu drohen! Eigentlich sollten diese Zeiten doch vorbei sein! Alte Erinnerungen kamen hoch. Nicht die besten.

Bogdan bemerkte seine Anspannung wohl. Und reagierte sofort. Schob sich vor das Männchen und drängte es zurück.

„Das Paket, sofort! Mach hin, sonst fass ich dich an, du Krautfresser!“, schnaufte der Pole drohend.

„Hol dir dein Paket doch selber, du Großmaul!“, schniefte Anton Liebl kleinlaut und wich zurück.

Schlich den engen und niedrigen Flur entlang, mal nach links, mal nach rechts. Öffnete schließlich eine Tür, von der die Farbe schon abblätterte. Schaltete das Licht ein.

Patrick und Bogdan, die dem Männchen gefolgt waren, sahen die Leiche auf dem Bett. Immer noch gefesselt. Sahen den Mann und was ihm angetan wurde. Sahen die Ketten und all die Instrumente, die sich das Männchen für seine Teufeleien angeschafft hatte. Begriffen in Teilen, was hier noch vor Kurzem passiert war.

Während Bogdan unwillig grunzte, weil sich seine Arbeitsaufgabe gerade unterbezahlt erweiterte, gingen mit Patrick die Pferde durch. Er konnte nichts dagegen tun, es war ein innerer Zwang.

Noch während er überlegte, was er da eigentlich tat, hatte er das widerliche Männlein schon ergriffen. An der Kehle gepackt. Und an den Eiern. Und drückte mit beiden Händen ohne Mitleid zu. Die Dämonen aus der Vergangenheit hatten ihn eingeholt.

Es verging nur ein Bruchteil, dann warf sich Bogdan dazwischen. Seine ganze Kraft musste der Pole aufwenden, um Patricks Finger zu lösen, die wie ein Schraubstock arbeiteten. Der wollte nicht loslassen, wollte töten.

Doch Bogdan kannte so einige Kniffe und gewann letztlich den Kampf. Wenngleich auch mit Mühe. Packte anschließend mit eiserner Hand Patrick am Kragen und zerrte ihn aus dem Haus. Nagelte ihn regelrecht an ihren Transporter und schlug ihm ins Gesicht. Wieder und wieder, bis endlich Leben in die glasigen Augen kam.

„Geht`s wieder?“, wollte Bogdan wissen, als er seinen Partner endlich losließ.

„Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was da gerade eben ablief“, flüsterte Patrick und massierte seine Fratze.

„Ich verstehe dich ja“, nickte Bogdan aufmunternd. „Ich hasse diese Ratte ja auch! Mir gefällt ganz und gar nicht, was da drinnen ablief. Wenn du ihn töten willst, ich habe nichts dagegen. Doch nicht jetzt. Nicht hier! Wir haben einen Auftrag und den müssen wir ausführen. Sonst sind wir selber dran. Du kannst ja später wiederkommen. Wenn Gras über der Sache gewachsen ist. Knall dann das Ekel einfach ab. Eine Waffe kannst du von mir haben.“

„Schon gut. Du hast ja recht. Tut mir auch leid. Gib mir noch einen Augenblick, dann bin ich wieder ganz der Alte.“

„Alles klar. Ich sage dir jetzt mal was. Du bleibst hier draußen und beruhigst dich. Ich gehe wieder rein und trete diesem Wicht in den Arsch. Der soll gefälligst seinen Müll selber eintüten und in den Transporter schaffen! Wenn der Knabe denkt, ich bin sein Harlekin, dann hat er sich getäuscht! Das wird eine gesalzene Rechnung geben, das garantiere ich dir! Und wenn diese Ratte sich beschweren will, dann sage ich ihm, dass wir wiederkommen. Ketten hat er ja genug im Haus.“

Bogdan nickte seinem Partner noch einmal aufmunternd zu. Wandte sich dann um und wollte zurück ins Haus.

„Danke“, hörte er es da in seinem Rücken flüstern. Und: „Abknallen reicht nicht. Das ist keine Strafe. Foltern muss man dieses Schwein. Tagelang. Wochenlang.“

Noch einmal wandte sich Bogdan um. Schaute seinem Partner ins Gesicht, studierte es gründlich. Ein eisiger Schauer lief ihm den Rücken herunter. Er begriff, der Junge da vor ihm meinte, was er sagte. Seine Achtung vor dieser schlanken Gestalt stieg. Aber auch die Angst, die sich nun zum ersten Mal bemerkbar machte. Bogdan bekreuzigte sich sicherheitshalber.

Vielleicht zu Recht. Denn Patrick hatte gerade seiner Liste einen Namen hinzugefügt. Und wie von selbst nahm sein Geist

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Aaron Winter jun.
Bildmaterialien: Aaron Winter jun.
Tag der Veröffentlichung: 01.11.2014
ISBN: 978-3-7396-3850-8

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