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Siebenfels


 

Jeder Mensch hat in seinem Leben ein Ereignis, das ihn für immer prägt. Da ich schon sehr alt bin, ist dieses Erlebnis schon vor langer Zeit geschehen. Da ich vor einigen Tagen von meinem Arzt die Nachricht bekommen habe, dass ich in einigen Jahren in einem Rollstuhl sitzen werde, habe ich beschlossen über die Vorkommnisse, die sich am 18.Juli 1948 ereignet haben, zu berichten. Sicher werden Sie sich jetzt fragen, warum ich dies erst so viele Jahre später mache. Da ich nicht lügen möchte, ist die Antwort ganz einfach. Ich weiß es nicht. Die Geschichte, die ich Ihnen erzähle werde, ist drei Jahre nach Kriegsende geschehen. Und zu dieser Zeit hat man andere Probleme gehabt, als einen örtlichen Skandal aufzubauschen. Natürlich hat es einen Aufschrei der Empörung von einigen Beteiligten in dem Fall gegeben. Doch wurde diesen von Behörden und Presse einfach ignoriert. Wobei ich mir denken kann, dass die Presse schon damals gegen ein Entgelt weggeschaut hat. Aber wie gesagt: Die Geschichte, die ich ihnen erzähle, ist eng mit meiner Lebensgeschichte verknüpft. Und mit den Namen Klaus Hartenstein, Emil Breitkreutz und Adolf Hoppe. Ihre Namen dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Wenn es dafür hoffentlich noch nicht zu spät ist.

Ich hoffe, ich habe Sie damit ein wenig neugierig gemacht, was rund um den 18. Juli 1948 geschehen ist.

Aber der Reihe nach.

Alles begann damit…

dass ich als einer der ersten Schüler in dem Internat „Adlerhof“ eintraf.

Nach zweijähriger Renovierung war das neue Eliteinternat endlich wieder hergerichtet, da es in den letzten Tagen des Krieges von einer Fliegerbombe der Alliierten getroffen wurde. Bis zum Mai 1945 diente es als Casino für die deutsche Wehrmacht, zur Zerstreuung seiner Oberste und Generäle.

Als es nach dem Krieg an den Wiederaufbau ging, wurde auch der Adlerhof saniert. Dabei frage ich mich bis heute, woher das Geld kam, dass für die Wiederherstellung benötigt wurde. Ich habe nie herausgefunden, wer zu den Gönnern gehörte, damit das Gebäude nicht endgültig abgerissen wurde. Meine Vermutung ist, dass genau diejenigen Subjekte zu den Förderern zählten, die sich in der dunklen Zeit in dem Casino „erholten“. Aber etwas Genaues weiß ich wirklich nicht und ist für meine Geschichte auch nicht von Belang.

Mein Vater war ein glühender Verehrer des Führers und wünschte sich die gute alte Zeit zurück. Zu Beginn der Machtergreifung Hitlers besaßen meine Eltern einen Schlachthof mit zwölf Angestellten. Die Schlachterei lief gut, so dass sie ein sorgenfreies Leben führten.

Ich wurde mitten im Nationalsozialismus geboren und war zu Kriegsbeginn vier Jahre alt. Von den ganzen Veränderungen bekam ich natürlich nichts mit. Nur, dass einige meiner Spielkameraden eines Tages nicht mehr zu mir kamen und meine Mutter auf Nachfrage meinte: „Dass sind Judenkinder und mit denen spielt man nicht.

Es gab kein anderes Thema als den Führer. Was für wundervolle Dinge er vollbrachte. Dass er dieses Land endlich zu dem machte, was es verdient hat. Sie wissen was ich meine. Ich aber, als vierjähriger Bursche verstand kein Wort, wagte es aber auch nicht nachzufragen, da dies nicht gestattet war. Und eine Tracht Prügel war es nicht Wert.

Dennoch fiel mir einiges auf. So schmückte das Revers des jeweiligen Anzugs meines Vaters eine Anstecknadel, an dessen Ende ein Hakenkreuz umrahmt von einem Eichenkranz angebracht war.

„Die Leute da draußen sollen ruhig wissen, dass ich unserem Führer bedingungslos folge“, pflegte mein Vater immer zu sagen, wenn er meine Blicke auf der Anstecknadel ruhen sah. Auch bewegte er sich in den höchsten Kreisen der Führungselite, wodurch ihm immer wieder Aufträge zugeschustert wurden, so dass es uns letztendlich an nichts mangelte, trotz der schlechten Wirtschaftslage.

Als der Krieg sich langsam zuungunsten Nazi Deutschlands neigte, legte mein Vater seine Anstecknadel ab und verbrannte sein Parteibuch. Beinah konnte man den Eindruck gewinnen, dass das alles nur ein dummes Spiel war und man sich zur rechten Zeit mit dem Stärkeren verbündete. So schaffte es mein Vater tatsächlich zu behaupten, dass die Nazis es nicht geschafft hätten, dass sein Betrieb der Rüstungsindustrie zugeschlagen wurde und er standhaft geblieben sei. Obwohl er und seine Familie jeden Tag mit der Deportation zu rechnen hatten. Wie er mit dieser und vielen anderen Lügen bei den Alliierten durchkam, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Er stellte sich mit den Besatzern gut und bekam recht schnell die Genehmigung zurück, seinen Schlachtbetrieb wieder aufzunehmen. Wir lebten daher wieder schnell unser gewohntes Leben und verschlossen die Augen vor dem Elend, das vor unserer Haustür stattfand.

Mein beschauliches Leben änderte sich schlagartig, als meine Mutter plötzlich und unerwartet starb. Ich war gerade dreizehn Jahre alt geworden und sah mich mit einem Vater konfrontiert, der kaum ein Wort mit mir wechselte. Hatte sich meine Mutter um meine Erziehung gekümmert, so fiel diese jetzt meinem Vater zu. Doch dieser hatte gar kein Interesse, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen. Schließlich hatte er mit seinem Schlachthof genug zu tun. Da konnte er sich nicht auch noch um seinen Sohn kümmern.

Daher war es ein Glücksfall für mich, dass er vom „ Adlerhof“ hörte. Das ehemalige Casino für Nazigrößen war mittlerweile zu einem Eliteinternat umgebaut worden. Genau die richtige Einrichtung, um seinen Sohn abzuschieben und die Erziehung anderen zu überlassen. Wie ich mich dabei fühlte, darauf nahm er keine Rücksicht. Wobei mir alles besser erschien, als die Gesellschaft meines Vaters.

Nur aus reiner Geschäftsmäßigkeit nahm er mich zu einer Besichtigung meiner neuen Schule mit. Denn, dass ich dorthin gehen würde, daran bestand kein Zweifel. Ehrlicherweise musste ich mir eingestehen, dass mir die Lehrzimmer als auch die Zimmer, in denen wir Schüler schlafen und lernen sollten, sehr gefielen. Daher nickte ich eifrig, nachdem mich einer der Erwachsenen, später sollte ich erfahren, dass es sich um den Schuldirektor Wilhelm Himmel handelte, fragte, ob es mir den hier gefallen würde. Aber alles hätte mir an diesen Tagen besser gefallen, nur damit ich endlich von meinem trostlosen Zuhause weg kam.


Folglich wurde ich im Juni 1948 in das Internat aufgenommen. Da die Einrichtung erst neu eröffnete, gehörte ich zu den ersten Schülern, die eintrafen. Das hatte den Vorteil, dass

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.02.2024
ISBN: 978-3-7554-7840-9

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