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Mein Weg zu dir

„Kann ich dir helfen?“

Alexa fuhr erschrocken um und sah sich einem, gutaussehenden, schlanken jungen Mann gegenüberstehen, der sie aus warmen braunen Augen freundlich anlächelte. Ausgerechnet an diesem fremden Ort in ihrer Landessprache angesprochen zu werden, überraschte sie.

Da ihre Antwort auf die von ihm gestellte Frage bislang ausblieb, legte John noch einmal nach und streckte ihr seine Hand zu einer ordentlichen Begrüßung entgegen.

„Du sprichst doch deutsch, oder? Hi, ich bin John.“

Den Überraschungsmoment noch nicht ganz verdaut, erwiderte Alexa zögernd den Händedruck und lächelte unsicher zurück. Beeindruckt von seinem selbstsicheren Auftreten, das dennoch nicht überheblich wirkte, musterte sie seine kantigen, männlichen Gesichtszüge und versuchte einzuschätzen, wie alt er wohl sein mochte, als sie endlich ihre Sprach wieder fand.

„Hallo, ja - ähm danke. Ich bin Alexa. Ich brauche eine Fahrkarte, kann kein französisch und finde den verdammten Knopf zur Einstellung der Sprache nicht. Von daher – ja, wenn du irgendeine Ahnung hast, wie dieser Fahrkartenautomat hier funktioniert, wäre mir das eine große Hilfe.“ Sie spürte wie ihre Wangen vor Verlegenheit Farbe annahmen.

John verzog halb belustigt, halb entschuldigend das Gesicht.

„Da muss ich dich enttäuschen. Die Fahrkartenautomaten in diesem Bahnhof sind ziemlich veraltet. Eine Sprachwahl gibt es hier leider nicht.“

Alexa starrte ihn ungläubig an. „Du nimmst mich auf den Arm!“

„Wie könnte ich?“, gab John mit gespieltem Entsetzen zurück und hob abwehrend die Hände.

„Na, zum Glück hast du ja mich getroffen – ich kann französisch, also kann ich dir auch mit deiner Fahrkarte helfen. Wo soll die Reise denn hingehen?“ Nachdenklich musterte sie ihn. Einerseits widerstrebte es ihr, einem wildfremden ihr Reiseziel anzuvertrauen – heut zu Tage wusste man ja nie, wer vor einem stand. Andererseits drängte die Zeit und sie brauchte ganz offensichtlich Hilfe beim Kauf ihrer Fahrkarte um heute noch einen Zug nach Hause zu erwischen. Sein treuherziger Blick und die direkte, ehrliche Art, mit der er ihr bislang gegenübergetreten war, ließen schließlich einen kleinen Vertrauensvorschuss zu.

„Ich muss nach Deutschland zurück. Meine Mutter ist sehr krank geworden, sodass ich mich dazu entschlossen habe meinen Urlaub vorzeitig abzubrechen und mich um sie zu kümmern.“

„Oh“. Betreten schaute er sie an. „Das mit deiner Mutter tut mir leid. Ich hoffe, sie wird wieder gesund.“ Irgendetwas in seiner Stimme ließ sie vermuten, dass er genau wusste, wie es sich anfühlt, wenn man sich um ein Elternteil sorgen machte und ließ ein seltsames Gefühl der Verbundenheit entstehen. John räusperte sich, um die verlegene Stille zwischen ihnen zu unterbrechen.

„Na dann wollen wir mal sehen, das wir dich schnellst möglich auf den Weg bringen. Eine Fernreise also.“ John tippte mit seinem Zeigefinger das Feld mit der Aufschrift Voyage a`distance auf dem Bildschirm des Fahrkartenautomaten an und holte anschließend einen Stift, sowie ein zerknülltes Kaugummipapier aus seiner Umhängetasche, während Alexa ihn interessiert beobachtete.

„Am besten notiere ich mir erst einmal die Zieladresse, damit es nachher bei der Eingabe in den Automaten schneller geht“, sagte er, stützte sich mit Papier und Stift seitlich am Automaten ab und schaute sie erwartungsvoll an.

Alexa ließ ihren Blick misstrauisch zwischen seinem lächelnden Gesicht und der improvisierten Schreibgelegenheit hin und her wandern.

„Nimmst du mich schon wieder auf den Arm? In der Zeit, die du brauchst um es auf diesen Zettel zu schreiben, kannst du es doch auch gleich in diesen blöden Automaten eingeben“, sagte sie und zog abwartend die Augenbrauen hoch. Plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, ob es so eine gute Idee gewesen war, seine Hilfe anzunehmen.

John bemerkte ihren Widerwillen, ließ Papier und Stift zurück in seine Tasche gleiten und trat neben sie an den Fahrkartenautomaten.

„Hätte ja klappen können“, murmelte er mit einem schiefen Lächeln, das seinen Gesichtszügen etwas jungenhaftes verlieh und Alexas Herzschlag zu ihrer eigenen Überraschung für einen Moment vor Entzückung aussetzen ließ.

Er tippte einen Moment mit routinierten Bewegungen auf dem Bildschirm herum und wandte sich dann wieder Alexa zu.

„Das hier sind die Eingabefelder für den Start- und Zielbahnhof. Vielleicht möchtest du die Informationen selbst eingeben?“ Er zeigte auf die digitale Tastatur des Bildschirms.

Alexa zwang sich, ihren Blick von ihm loszureißen, tippte konzentriert die nötigen Angaben ein und trat anschließend zur Seite, um John wieder das Feld zu überlassen. Sie lehnte sich mit dem Rücken am Automaten an, verschränkte bequem die Arme vor der Brust und beobachtete die geschäftig vorbeiziehenden Menschen, als sie den Gesprächsfaden wieder aufnahm.

„Woher wusstest du eigentlich, dass ich Deutsche bin?“

John, der gerade dabei war das Tagesdatum auf dem digitalen Kalender auszuwählen, warf ihr einen verschmitzten Seitenblick zu.

„Ich stand an der Kasse im Zeitschriftenladen neben dir und war ehrlich beeindruckt von deinem Versuch, dich mit Händen und Füßen dem Verkäufer verständlich zu machen. Da lag es nahe, das du nicht von hier bist.“

Während er die Anzahl der reisenden Personen, sowie die Preisstufe der 2. Klasse auswählte, verschränkte Alexa mit gespieltem Trotz die Arme vor der Brust.

„Pff, ich hätte genauso gut Engländerin sein können!“

„Seit wann kaufen Engländerinnen sich deutschsprachige Klatschmagazine?“, fragte er und runzelte spöttisch die Stirn.

„Okay, gleich haben wir es geschafft“, murmelte er und machte einen Schritt zur Seite, damit Alexa neben ihn treten konnte. Auf dem Bildschirm vor ihnen waren nun zahlreiche Reisevorschläge zu verschiedenen Abfahrtzeiten und unterschiedlichen Fahrkartenpreisen zu sehen. Alexa entschied sich für eine günstige Direktverbindung, um nicht umsteigen zu müssen und tippte die nächst mögliche Abfahrtzeit an.

Kurz darauf zeigte der Bildschirm den zu zahlenden Betrag für ihre Fahrkarte an. Mit vor Schreck geweiteten Augen fuhr sie zu John herum. „Das kann doch gar nicht sein! John, da muss etwas schief gelaufen sein! Ich habe doch gerade eine Verbindung ausgewählt, die nur halb so teuer war!“

John lächelte sie an, während er in seiner Tasche nach der Geldbörse tastete und seine Selbstsicherheit wich einer für ihn untypischen Verlegenheit.

„Oh, ach das. Mach dir keine Gedanken, ich zahle meinen Anteil natürlich selbst“.

„Deinen Anteil?“, fragte Alexa. „Was soll das heißen?“

„Na hör mal, was soll ich hier in Frankreich meine Semesterferien vergeuden, wenn die interessanteste Sehenswürdigkeit gerade auf dem Weg nach Deutschland ist? Ich komme jedes Jahr hier her. Meine Eltern leben hier, seit sie vor einigen Jahren aus Deutschland ausgewandert sind und den Zeitschriftenladen hier übernommen haben. Der Verkäufer, der deine beeindruckende Performance genießen durfte ist mein Vater. Ganz schön gemein von ihm, dich in dem Glauben zu lassen, er würde kein deutsch verstehen.“

Alexa starrte ihren attraktiven Helfer verwirrt an, während dieser begann, Geldscheine in die dafür vorgesehene Vorrichtung des Fahrkartenautomaten gleiten zu lassen. Sie verfolgte die zügigen Bewegungen, mit denen er den Automaten routiniert bediente und ertappte sich dabei, den Gedanken, die bevorstehende mehrstündige Zugfahrt nicht alleine antreten zu müssen, gar nicht so schlecht zu finden. Erst jetzt bemerkte sie, dass John sie abwartend ansah.

„Was ist?“, fragte sie.

„Du solltest langsam dein Ticket bezahlen, sonst verpassen wir noch unseren Zug.“

Alexa zog schmunzelnd ihre Geldbörse aus dem kleinen Rucksack, der ihr locker über einer Schulter hing und reichte ihm ein paar Geldscheine. Nachdem sie die frisch gedruckten Fahrkarten, sowie eine Übersicht der Reiseverbindung aus dem beleuchteten Entnahmefach unterhalb des Eingabebildschirmes an sich genommen hatten, führte John sie in Richtung des Zeitschriftenladens.

„Warte einen Moment, ich will meinem Vater nur schnell sagen, wo er mich im Notfall finden kann. Ich möchte nicht, das er sich Sorgen um mich macht.“

Als er kurz darauf wieder neben ihr stand, grinste er sie breit an, nahm ihr den schweren Koffer ab und deutete auf das Gleis, von dem aus sie der nächste Zug nach Deutschland bringen würde. Alexa schüttelte nachdenklich den Kopf.

„Du bist verrückt das du mitfährst. Du kennst mich doch gar nicht“.

„Noch nicht“, erwiderte John. „Aber dazu haben wir ja jetzt jede Menge Zeit, oder?“

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 09.08.2018

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